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Aus den Wachhäusern scheint in letzter Zeit sämtliches Papier zu verschwinden.
Müssen Die Wächter ihre Berichte bald in Steine meißeln?
Wer oder was steckt dahinter?
Dafür vergebene Note: 10
Ein langer und wenig anstrengender Tag lag hinter Obergefreiter Pismire, als er das Wachhaus am Pseudopolisplatz erreichte. Er hatte "diwärse" Kneipen "untersucht" und dort "diwärse" gefährliche Getränke (in seinem Magen) sichergestellt und freute sich nun auf eine Stunde ruhigen Papierkram an einem der meist freien Schreibtische der Wache. Lässig grüßte er die anderen Mitglieder der Wache, die sich entweder auf oder unter dem Schreibtisch zu einem kleienen Vor-Feierabend-Nickerchen zusammengerollt hatten und so hofften, der sommerlichen Hitze in Ankh-Morpork entgehen zu können. Er hatte es sich gerade bequem gemacht: die Füße auf dem Tisch, einen Bleistift in der Hand, als ihm aufging, dass er kein Papier auf dem Unterlagebrettchen hatte. Er grub ein bisschen unter seinem Schreibtisch, aber das Fach mit dem Papier war leer. Vernehmlich räusperte er sich und hoffte so, die Aufmerksamkeit seiner Mitwächter erregen zu können.
"Äh, hrrmm, hallo, hat jemand noch ein bisschen Papier da?" fragte er hoffnungsfroh in die Runde.
"Nö..." oder "Nicht einen Fitzel" oder auch nur tiefes Schweigen war die Antwort.
"Na, dann werd' ich mal zu Nobby gehen", sagte er. Und fragte höflichkeitshalber: "Soll ich sonst noch jemandem was mitbringen?"
"Klar, mir auch", knurrte Hauptgefreiter Dingo. "Und bring' gleich ein bisschen mehr mit, wenn du kannst", fügte er mit einem Grinsen hinzu, daß Pismire so erst einmal nicht deuten konnte.
Er machte sich auf den Weg in den Keller, wo Nobby Nobbs, vielleicht auch Graf von Ankh, zumindest aber eine der zwielichtigsten Figuren der Wache (was eine Menge hieß), seit einiger Zeit sein Refugium gewählt und die Materialverwaltung unter sich gebracht hatte.
"Hallo Nobby", grüßte er freundlich, "wir brauchen noch ein bisschen Papier da oben."
"Tja, Pismire, ich würde dir ja gerne behilflich sein", entgegnete es ihm, "aber ich habe sein zwei Tagen kein Papier mehr. Und", Nobby winkte ihn mit grünlicher Hand heran, um im Flüsterton fortzufahren, "ALLES Papier, was wir einmal hatten, ist verschwunden. Von heute auf morgen. Einfach so. Schau mich nicht so an; ich habe nichts damit zu tun", fügte Nobby noch im Brustton allgemeiner und angeborener Unehrlichkeit hinzu.
"Du meinst, wir haben kein Papier und wir können nie wieder Berichte schreiben?", fragte Pismire hoffnungsfroh.
"Kein Papier, keine Berichte", wiederholte er noch einmal mit Behagen und ohne auf Nobbys heftiges Gestikulieren zu achten
"Nun, vielleicht solltest du dir als plichtbewußter Wächter eher die Frage stellen: wohin ist das Papier verschwunden? Und: wie können wir dem permanenten Diebstahl Einhalt gebieten?", ertönte hinter Pismire eine wohlbekannte Stimme, die ihn zusammenzucken ließ. "Und mir dann über das Ergebnis deiner Ermittlungen einen Ausführlichen und schriftlichen Bericht zukommen lassen?"
"Aber natürlich, Kommandeur Rince", versuchte Pismire Haltung anzunehmen. "Aber, ich meine, vielleicht sollte ich einfach in die Faltgasse gehen und Papier kaufen?", und nach einem Blick auf Rince Gesicht, "oder vielleicht doch eine gründliche Untersuchung... nun, ich bin schon weg, Sir, auf der Stelle."
Oben im Wachraum begrüßte ihn heftiges Feixen, als die anderen Wächter sei langes Gesicht sahen.
"Tja, ich nehme an, daß von euch niemand weiß, was es mit dem verschwundenen Papier auf sich hat? Und", fügte er noch hinzu, als er das allgemeine Kopfschütteln sah, "ihr seid sicher alle sehr beschäftigt, nicht?" Eifriges Nicken war die allgemeine Antwort.
Also seufzte Pismire resigniert und machte sich auf den Weg in den schwülen Abend. Zuerst untersuchte er den Vordereingang, ging dann einmal um das Gebäude herum und untersuchte zuletzt die Kellerfenster hinter dem Materiallager. Dort wurde er fündig: ein kleiner Papierfetzen hatte sich im Gitter verfangen, die Ecke eines der üblichen Formulare der Wache. Er schaute sich auf dem Boden um, konnte aber keine weitere Spur entdecken. Er ließ seinen Blick schweifen und sah einen weiteren Papierstreifen an der Regenrinnen. Nun, wer immer das Papier geklaut hatte, er war den Weg über die Dächer gegangen. Mühsam zog Pismire sich an der Regenrinne hoch und folgte seiner kleinen Spur. Ächzend zog er sich auf das Dach und verschnaufte kurz, als er über sich das vertraute Gesicht von Täuble, einem der Wasserspeier der Wache, sah.
"Hallo Täuble", begann er, "du hast nicht zufällig in der letzten Zeit jemanden aufs Dach kommen sehen – äh, ein einfaches Kopfschütteln oder Nicken reicht."
Die Äußerungsfähigkeit von Wasserspeiern ist bekanntlich begrenzt, aber das Schütteln war eindeutig.
"Oder weißt du etwas darüber, dass im Wachhaus ein erheblicher Papiermangel herrscht?"
Täuble wurde dunkelgrau – das wasserspeierliche Äquivaltent für zartes Erröten.
"Du weißt was darüber?", hakte Pismire nach. "Komm schon, was weißt du darüber? Ich bin nur neugierig, und ich verspreche dir, dass die Sache unter uns bleibt," log Pismire.
Täuble schaute ungerührt zurück – darin waren Wasserspeier einsame Spitze. Pismire starrte ihn an – nun, auch Schamanen haben da so ihre Qualitäten. Die Zeit verstrich...
Am nächsten Morgen seufzte Täuble resigniert und zog Pismire am Arm.
"Na bitte, ich wußte doch, daß du vernünftig bist", lobte dieser sein Gegenüber.
Steifbeinig richtete der alte Schamane sich auf und folgte Täuble, der mit eckigen Bewegeungen über das Dach stelzte. Auf dem Turm des Wachhauses stoppte Täuble und deutete nach vorne. Das, was er da sah, war selbst für Pismire ein überraschender Anblick, der ihn sprachlos machte.
"Nun, wenn das so ist", meinte er nach einiger Zeit, "damit hätte sicher niemand gerechnet. Ach du meine Güte. Ich glaube, ich sollte dem Kommandeur darüber berichtet...", zweistimmiges entsetztes Gurgeln unterbrach ihn. "Keine Panik, er ist kein Unmensch, ich denke, wir werden eine Lösung für das Problem finden", fügte er hinzu.
Die Wasserspeier gurgelten erregt und Pismire entnahm ihren Lauten eine unglaubliche Geschichte.
"Ach du meine Güte, darauf wäre ich nie gekommen," sagte er nachdenklich, "aber vielleicht sollte ich ihm das auf dem direkten Wege berichten."
Er machte sich auf den Weg nach unten.
Kommander Rince saß – übellaunig und gereizt wie immer – an seinem Schreibtisch, als ein Klopfen ihn störte.
"Herein", donnerte er. Es klopfte wieder. "Verdammt," er stutzte. Das Geräusch kam vom Fenster, nicht von der Tür.
Sein Blick ging dorthin und der Anblick von Pismire, der an der Regenrinne vor seinem Fenster baumelte, machte ihn auch nicht fröhlicher. Er öffnete das Fenster und blieb in der Öffnung stehen.
"Obergefreiter Pismire, könntest du mir bitte erklären, was dieses Rumgekaspere hier soll? Das ist eine Wache und keine verdammter Zirkus. Und wenn du nicht eine verdammt gute Begründung für dein Verhalten hast, nun dann wissen wir auch, wer in den nächsten 3 Monaten für die Reinigung des Gebäudes zuständig ist."
Pismires Haltung ging ins sackartige Baumeln über – Schamanen sind nicht gerade für sportliche Leistungen bekannt.
"Herr Kommandeur, Hauptgefreiter Pismire bittet eintreten zu dürfen;" ächzte er.
Rince gab den Weg frei und Pismire angelte sich ungeschickt zum Fenster herein.
"Du hast um Bericht in der Sache des verschwundenen Papiers gebeten. Nun, ich weiß jetzt, wo unsere Formulare sind." Der Kommandeur sah ihn gespannt an.
"Vielleicht sollten wir die Bezahlungsmodalitäten für die Wasserspeier ändern, Hälfte Tauben, Hälfte Papier. Und die Wasserspeier haben sich einfach einen Vorschuss genommen und die Sache wäre geregelt." Er schaute seinen Vorgesetzten an.
"Und, bitte, warum sollten wir das tun?" fragte Rince verdächtig ruhig zurück.
"Naja, willst du das wirklich wissen?" entgegnete Pismire, gleichzeitig wohl wissend, dass die Antwort garantiert nicht 'nein' lauten würde. Er seufzte.
"Tja, Täuble und Alx brüten auf dem Dach und die Nester von Wasserspeiern sind aus Papier. Das ist bei ihnen so üblich. Sie wollten nicht darüber reden, es war ihnen peinlich..."
Rince schluckte vernehmlich und starrte Pismire an.
"Du meinst, irgendwo in dieser Stadt sind zwei Mitglieder meiner Wache damit beschäftigt... ich meine, sie haben..."
"Nein, nein, das hast du jetzt missverstanden." unterbrach ihn Pismire.
"Das große Gewitter vor einer Woche hat einen Wasserspeier vom Nachbargebäude auf's Straßenplaster geschmettert. Oder vielmehr eine Wasserspeierin. Und die hat ein Gelege hinterlassen. Und das war natürlich völlig hin. Ich weiß auch nicht warum die Nester von Wasserspeiern ausgerechnet aus Papier sind", unterbrach er seinen Bericht, als er das beängstigende Dunkelrot von Rince Gesicht wahrnahm.
"Auf jeden Fall haben Alx und Täuble die Eier gerettet und hier auf dem Turm des Wachgebäudes ein neues Nest gebaut. Und weil sie anzügliche Bemerkungen befürchteten, haben sie die Formulare aus Nobbys Keller entwendet. Nun, vielleicht haben sie ihn auch bezahlt – sie gehen häufig an den Abflußrohren von 'Winkels unglaublicher Brauerei' Streife. Aber das werden wir weder von ihnen noch von Nobby erfahren."
Rince Gesicht war im normalroten Bereich angelangt.
"Ich finde, dass sie vorbildlich gehandelt haben. Naja, sie haben ungefähr 18 Dienstvorschriften verletzt, aber in vorbildlicher Weise." fügte Pismire noch hinzu.
"Und du kriegst natürlich auch noch schriftlich Bericht, Herr", versuchte er, die Stimmung zu retten.
Rince ging zu seinem Schreibtisch und ließ sich in seinen Sessel fallen. Ein resignierter Blick fiel auf Pismire, der mit ungerührt freundlichem Lächeln zu seinem Kommandeur blickte.
"Dir ist hoffentlich klar, dass das niemals bekannt werden darf, oder? Denn sonst können wir uns vor abgelegtem Nachwuchs der unterschiedlichsten Arten hier nicht mehr retten.", er seufzte. "immerhin ist das hier Ankh-Morpork und wir, wir sind die Stadt-Wache." Er schaute eine Zeit ins Lesse und dann grinste er. "Ich erwarte die beiden hoffnungsvollen, äh, Väter?, Mütter?; ich erwarte einen Bericht. Von beiden. Schriftlich und in dreifacher Ausfertigung. Und du kannst schon mal in der Wache sammeln gehen. Für das erste Sandpapier, oder was da so gebraucht wird."
Der Kommandeur holte tief Luft und brüllte:
"Und das mir sowas nie wieder vorkommt. So, auch das mußte gesagt werden", fügte er ruhiger hinzu.
Er schwang den Sessel herum und schaute zum Fenster. Pismire salutierte ungeschickt wie immer. Und als er das Lächeln auf Rince Gesicht sah, machte er sich frohen Herzens auf den Weg in die Wachstube.
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