Gefreite Baum schlägt sich durch die Ausbildung zur verdeckten Ermittlerin.
Dafür vergebene Note: 10
Vorbemerkung:
Ich habe einiges an Zeit und Aufwand in diese Single gesteckt, vor allem, was das Gesamtkonzept angeht; darum möchte ich drei vier Dinge loswerden, ehe ich mit der eigentlichen Single beginne:
Zunächst wäre ich dankbar, wenn nur Leute benoten, welche die Single innerhalb eines Tages gelesen haben (oder ein sehr gutes Gedächtnis haben). Es gibt viele Dinge, die man sonst zwischendrin vergessen könnte. Die Farben dienen übrigens zur leichteren Orientierung.
Dann möchte ich noch raten, die Ereignisse in der Single nicht allzu ernst zu nehmen; wer sie komplett lesen sollte, wird wissen warum. Ich will mir nicht vorwerfen lassen, ich hätte jemanden Flausen in den Kopf gesetzt. ;)
Zum dritten bin ich mir bewusst, wie verkorkst diese Single ist; ich stehe trotzdem dazu und hoffe, dass jeder wenigstens eine Kleinigkeit finden wird, die ihm gefällt. Kritik ausdrücklich erwünscht! (Wer gerne wissen will, was ich mir bei bestimmten Dingen gedacht habe, der möge sich bitte per AIM melden.)
Die unzähligen Fußnoten müssen übrigens nicht unbedingt zum Verständnis der Geschichte gelesen werden - ich weiß ja, dass die nicht jeder mag. Dies ist eine Geschichte über Ameisen, Limetten, den Patrizier. eine herzzerreißende Romanze, die Kunst der Kalligraphie und ein dämonisches Tribunal. Aber ohne jeglichen Zusammenhang. Dafür mit Kneipenschlägereien. Vielen Kneipenschlägereien...
Stille.
Vereinzeltes Husten.
"Opa Hans", fragen die Kinder schließlich im Chor, "wann fängst du denn endlich mit der Geschichte an?"
"Oh", entgegnet dieser: "Ich habe den Satz eben versehentlich nur gedacht, statt ihn auszusprechen. Ihr müsst mir verzeihen, Kinderchen, ich bin schon alt, da können solche Dinge schon einmal passieren. Hm... aber irgendwie weiß ich nicht mehr, was ich eben noch gedacht habe..."
Die Kinder beginnen unmutig zu murren.
Opa Hans ist zwar der beste Geschichtenerzähler weit und breit, allerdings gibt es immer wieder Unterbrechungen während seiner Schilderungen. Entweder, weil er vergisst, was er eben noch sagen wollte, oder weil er spontan einschläft.
Trotzdem waren die Eltern der Kinder sehr froh, dass sie die kleinen Plagen Engelchen für eine Weile irgendwo absetzen konnten, während sie sich ihre Brötchen verdienen gingen. Opa Hans hingegen war froh, dass er sich auf seine alten Tage noch nützlich machen konnte. Außerdem gab es für jedes Kind, das er beschäftigte, ein kleines Geldstück, was genug war, um über die Runden zu kommen und die Pflegerin zu bezahlen.
"Opa Hans, ich sehe gerade, dass Sie vergessen haben, ihre Tropfen gegen Vergesslichkeit zu nehmen! Mund aufmachen."
Opa Hans sperrt gehorsam den Mund auf, und seine private Pflegerin steckt ihm den Löffel hinein. Er mochte seine Pflegerin, wirklich. Vor allem wegen der zwei dicken Argumenten.
Der alte Mann hatte genug Jahre gesehen, um zu wissen, dass es bei einen Individuum weder auf Herkunft noch auf Aussehen ankam, dass der Charakter zählte. Aber, Mannomann, bei diesen Vorzügen brauchte man keinen Charakter.
Gut gelaunt lässt er den Blick über sein kleines Reich schweifen. Er trifft sich immer mit den Kindern in einer Kneipe namens "Bitte Namen ausdenken" [1], wo er selbst jedes Mal mit den Rücken zur Theke zu sitzen pflegt, die Kinder um ihn herum. Natürlich wurde vormittags nur Milch ausgeschenkt. Nachmittags gab es schon härteren Stoff, wie Traubensaft und Apfelschorle. Abends, wenn die Kinder alle wieder abgeholt worden waren, blieb es zwar bei dem Saft, aber der Wirt schenkte immer solchen aus, der schon so alt war, dass er zu Wein vergoren war.
Der Besitzer hatte anfangs Bedenken gegen Opa Hans und seine Kinderschar gehabt, aber seine Pflegerin hatte ein paar dicke gute Argumente vorgebracht, so dass die Kinderschar mittlerweile zu den Stammgästen gehören. Zudem ist der Umsatz ganz schön gestiegen; normale Kneipen machen ihr Hauptgeschäft nachts, hier wurde schon vormittags Geld gescheffelt.
Opa Hans hält in seinen Blick inne. Dort, zwischen KleinTimmi und der dicken Bernadette. Da sitzen einige neue Gesichter. Reiche neue Gesichter. Was bei der Kleidung selbst ein Blinder erkennen würde.
"Kenn' ich euch?", fragt er und deutet auf die drei Neuen.
"Natürlich nicht!", zischt der in der Mitte: "Wir sind die Kinder der Markise von Ö. Wir sind nur hier, weil wir gehört haben, dass Sie angeblich gute Geschichten erzählen können. Allerdings bezweifeln wir das doch sehr stark, wenn wir uns hier genauer umsehen. Aber Sie sollen ihre Chance haben. Erzählen Sie eine Geschichte. Wenn wir sie gut finden, dann wird Sie unsere Mutter, die Markise von Ö, mit Geld überhäufen. Gefällt sie uns nicht, dann ist Ihr Ruf auf immer ruiniert. "
'Großartig', denkt sich Opa Hans und verzieht keine Miene: 'Die drei Hosenscheißer haben mir gerade noch gefehlt.'
Dann beginnt er aber zu lächeln. Er war nicht erst seit gestern Erzähler, er weiß, was die Leute wollen. Insbesondere dadurch, da er in anderer Leute Gedanken wie in einem offenen Buch lesen kann. Das ist auch das Geheimnis seiner Erzählkunst: Ein Teil von dem, was er erzählte, entspricht immer der Wahrheit.
"Fangen Sie jetzt endlich an, oder was?"
Opa Hans hebt eine Augenbraue. Dann hüstelt er entschlossen, und beginnt in einem warmen herzlichen Tonfall sein Handwerk: "Dies ist eine Geschichte über Ameisen, Limetten, den Patrizier. die Kunst der Kaligraphie und ein dämonisches Tribunal. Aber ohne jeglichen Zusammenhang. Dafür mit Kneipenschlägereien. Vielen Kneipenschlägereinen... Es war einmal..."
"Was ein Märchen?! Sie wollen uns mit einem Märchen abspeisen? Einem Märchen?!"
Das Anführerkind der Markise von Ö verschränkt empört seine Arme.
"Kein Märchen", entgegnet Opa Hans: "Sondern eine wahre Geschichte. So wahr Geschichten eben sein zu pflegen."
Er zwinkert seinen Stammkindern zu. KleinTimmi klatscht freudig in die Hände und die dicke Bernadette gluckst fröhlich, und auch die anderen scheinen außerordentlich froh. Nur die drei zukünftigen Markisen nicht.
Opa Hans setzt erneut an: "Es war einmal... vor nicht allzu langer Zeit. Ein Mädchen, nein, eine junge Frau, von zwanzig Jahren. Die war, und ist es immer noch, bei der Stadtwache. Aber ich werde euch nicht sagen, wie sie wirklich heißt, denn ich will nicht, dass ihr mir auf dumme Ideen kommt. Nein... ich nenne sie... Lilli. Lilli Baum."
"Was für'n selten dämlicher Name."
"Tja, aber es hatte gute Gründe, warum Lilli Baum, Lilli Baum hieß. Sie war nämlich einer."
"Halt, halt, halt. Eben noch haben Sie von einer jungen Frau gesprochen."
"Ja. Und?"
"Man kann nicht gleichzeitig eine Frau und ein Baum sein. Das ist biologisch unmöglich."
"Mein Lieber", entgegnet Opa Hans: "In diesem Falle war es sehr wohl möglich. Denn auf Lili lag ein Zauber."
Es Oh!t durch die Reihen. Nur Markise Junior bleibt skeptisch.
"Jener Zauber bewirkte, das aus ihr immer mehr ein Baum wurde. Er lief langsam vor sich, sogar sehr langsam. Denn wie wir alle wissen, muss eine echte Verwandlung langsam vonstatten gehen. Die Physische Verwandlung ist zwar ein relativ leichtes und schnelles Unterfangen, aber wenn man den Geist eines Menschen zu dem eines Baumes machen wollte, dann brauchte man viel Zeit und Energie. Nun, unsere Protagonistin war erst in der zweiten Phase des Zaubers angelangt, aber zugleich hatte sie schon einen Großteil der zur Verwandlung benötigten Zeitspanne hinter sich gebracht, als sie zur Gefreiten befördert wurde. Großes Entsetzen machte sich auf Lillis Gesicht breit.
Einige kleinere Entsetzen gesellten sich hinzu und begannen mit dem großen Entsetzen eine entsetzliche Partie Karten in der entsetzlichen metaphorischen Kneipe in Lillis entsetzter Gedankenwelt zu spielen.
Wie betäubt starrte Lilli auf das schwarze Brett in der GRUNDkantine. Dort hing ein höchst offizielles Papier, vom Chäff höchstpersönlich.
Ärger keimte in ihr auf und gesellte sich zu der illustren Kartenrunde hinzu Wie gemein! So etwas Fieses hätte sie nicht erwartet! Man hatte sie einfach zur Gefreiten befördert, ungefragt, hinter ihrem Rücken! Wie gemein! Dabei hatte sie sich so viel Mühe mit ihrer Inkompetenz gegeben... Nun gut... manches Malheur war auch von ganz alleine passiert. Trotzdem, es ging Lilli hier um Grundsätzliches. Schließlich hatte sie noch nicht einmal den zweiten Teil der Püschologischen Sitzung bei Tussnelda hinter sich gebracht. Sie hätte gar nicht befördert werden dürfen! Wer war auf diese dämliche Schnapsidee gekommen?
'Großartig', dachte sich Lilli, 'das kann ja nur in Arbeit ausarten.'
Dann tauchte Verwirrung auf. Im Schlepptau mit dabei: Weiteres Entsetzen. Und einen zweiten Packen Karten.
'Man soll einen ausgeben?', fragte sich die frisch beförderte Gefreite. Und las sich den Absatz zur Sicherheit noch ein weiteres Dutzend Mal durch.
Das war ja grauenhaft! So etwas hatte Lilli doch noch nie gemacht, sie wusste gar nicht, wie das ging, was, wenn sie etwas falsch machte?
Als sich auch noch Verzweiflung zur Kartenrunde hinzugesellte, wurde es in der Metapher so voll, dass alle Gefühle mit einem Schlag verpufften. [2]
Lilli hob eine Augenbraue und begann kampflustig zu grinsen.
Nun, gut dann gab sie einen aus, sie hatten es ja so gewollt...""Oh, jetzt wird es sicher ganz spannend!", ruft KleinTimmi und klatschte erfreut in die Hände.
"Du lässt dich ja leicht reinlegen", entgegnet KleinMarkise: "Was für eine grottenschlechte Erzählung. Sagt uns nicht einmal, wie diese ominöse Lilli aussieht..."
"Ist sie denn hübsch?", fragt die dicke Bernadette mit leuchtenden Augen. Sie liebt hübsche Heldinnen.
Opa Hans erhebt sich schwerfällig aus seinem Stuhl-mit-Rollen-unten-dran: "Moment. Um diese Frage zu beantworten, brauche ich erst mal ein Glas Milch."
"Stümper", murmelt der Markisenjunge, "damit will er doch nur Zeit schinden." Seine Geschwister neben ihm nicken.
Opa Hans lässt sich jedoch nicht beirren. Er bestellt seelenruhig beim Wirt ein Glas Milch. Er beugt sich über die Theke, den Blick nach unten gerichtet, legt den Kopf leicht schief, als würde er etwas betrachten, und trinkt dann sein Glas recht zügig aus.
Schließlich wendet er sich wieder den Kindern zu.
"Nun, sie war nicht wirklich hübsch, aber auch nicht hässlich. Sie hatte ein paar Pfunde zuviel, aber nicht zu viele. Sie hatte schulterlanges, braunes Haar"
"Was für ein Braun?"
"Ein Braun eben. Nichts besonderes, die Sorte Braun, die man täglich sieht... nun, ich würde sagen, sie ist Durchschnitt."
"Schade...", murmelt die dicke Bernadette.
"Was für ein beklopptes Märchen. Sind die weiblichen Hauptrollen nicht immer wunderschön?"
"Nun, ich erwähnte, schon, dass es sich hier um kein Märchen handelt. Das ist eine wahre Geschichte. So wahr eine Geschichte eben wahr sein kann. Nun, ich war aber noch nicht mit meiner Schilderung fertig. Was Lilli schon äußerlich zu etwas besonderen machte, war ihre ausgeprägte Mimik. Wenn sie fröhlich war, strahlte sie mit der Sonne um die Wette, war sie traurig, dann weinte sie zum Herzerweichen. War sie skeptisch, dann hatte sie genau den gleichen Gesichtsausdruck, wie unser Misjö Markise hier vorne." Opa Hans zeigt auf jenen.
Der verschränkt seine Arme erneut, seine Stirn ziehen sich in tiefste Furchen: "Nennen Sie mich nicht so!"
"Wie du willst, mein Junge. Nun, zu der Mimik kam natürlich auch die entsprechende Gestik. Was vielleicht noch erwähnenswert ist, sind ihre grünen Augen. Ein Allerweltsgrün. Aber was viel wichtiger war, das war eine andere Eigenschaft von ihr."
"Jetzt kommt's, jetzt kommt's!", ruft KleinTimmi aufgeregt.
Auch die Augen der dicken Bernadette begannen beginnen zu leuchten. Vielleicht ist ja ihr Bild von einer strahlenden Heldin doch noch gerettet.
"Sie schwieg."
Opa Hans lehnt sich zurück und beobachtet die Wirkung seiner Worte. Größtenteils schauen die Kinder verwirrt. Selbst die kleinen Sonnendächer.
"Sie schwieg. Tagein, Tagaus. Kein einziges Wort kam über ihre Lippen, und das schon seit mehr als acht Jahren. Nun, sie wäre aber sehr wohl in der Lage gewesen zu sprechen, wenn sie es wirklich gewollt hätte. Aber sie schwieg eisern, und das aus guten Grund."
"Und., wie lautet dieser ach so tolle Grund?", ertönt eine Frage in sehr schnippischen Ton, von einem gewissen Kind.
"Tja. Diesen Grund kann ich euch natürlich nicht verraten, sonst geht doch die ganze Spannung schon vorher flöten. Und das wäre doch..."
"Eine Erlösung. Von welcher Spannung reden Sie überhaupt? Die Geschichte ist stinklangweilig!"
"Wart's nur ab, Jungchen. Das war ja nur der Auftakt zu einem größeren Ereignis. Der größten Sauftour des Jahrhunderts! Rubinrot funkelte der Wein in der Karaffe, fühlte sich aber gänzlich unbeachtet von den Unmengen an Gästen in der geflickten Trommel, welche sich mit Vergnügen dem ausgiebigen Genuss von Bier und Knieweich hingaben.
Selbst die Nichttrinker und die Antialkoholiker, wie die werte Frän, (die keinen Rückfall erleiden wollte), welche allesamt pures erquickendes Wasser ausgeschenkt bekamen, wurden anstandshalber beschwipst, so dass ein heiteres und überaus munteres Treiben herrschte. Nur Maggie verließ vorzeitig die Runde, ohne einen eigenen Tropfen angerührt zu haben, weil sie sich um ihr Baby kümmern wollte.
Dafür konnte man sogar Thask beobachten, wie er sich daran machte einen Krug Bier zu leeren. Mit einer gewissen, fast genießerisch anmutenden Langsamkeit. Die anderen Zombies der Wache, welche die Gelegenheit ergriffen hatten, um sich mal alle zusammenzusetzen und zu philosophieren, taten es ihm nach. Nur schneller.
Freilich ist aber ein Blick an den Tisch, an dem Lilli saß, wesentlich interessanter.
Da die Sitzordnung nirgends festgelegt worden war, und die Leute sich dort verteilt hatten, wo Platz vorhanden war - die Trolle hatten sich bevorzugt nach draußen verteilt -, hatte es sich so ergeben, dass mit ihr am Tisch drei ihrer alten Grundkumpels, nämlich Esus von Tara, Anette Knödel und Amalarie Mögebier saßen; zudem noch Kathyopeia, Doris von Zittli, Rabe Raben und Neflie.""Moment. Sie schmeißen uns mit Namen zu! Wer sind all diese Leute? Was ist das für eine grauenvolles Märchen, in dem sich der Erzähler alle Naselang irgendwelche Personen aus der Nase zieht?!"
KleinTimmi beginnt zu kichern: "Sag bloß du kennst die nicht!"
Auch die dicke Bernadette gluckert fröhlich: "Also wirklich, so etwas von ungebildet. Hast du noch nie von den Abenteuern von Rabe Raben und Lordi, seinem treuen Gefährten gehört? Oder von Neflie, der Killermaschine?"
Der adlige Bengel errötet leicht. Anscheinend scheint Opa Hans schon öfter Geschichten über die Wache erzählt zu haben. Also ist das hier eine Demütigung für ihn. Und diese wird mit allergrößter Härte sanktioniert werden! Wo käme man denn hin, wen man sich vom gewöhnlichen Pöbel veräppeln lässt?!
Der kleine Junge ballt seine Fäuste. Jetzt wird er erst recht nach jedem einzelnen Kritikpunkt an Opa Hans' Geschichte suchen.
Dieser grinst aber nur - schließlich gibt es niemanden, der schlagfertiger war als er - dank Gedankenlesen.
"Sei so nett und unterbreche mich jetzt nicht mehr ständig. Sonst kommen wir nie zu einem Ende...Es war eine sehr vergnügte Runde, das kann man problemlos behaupten und irgendwann traf das Unvermeidliche ein. Doris stieg auf den Tisch, ließ die Hüften kreisen, und lallte etwas von Gold, während sie sich versuchte, an den Text ihres Lieblingsliedes zu erinnern. Liebe Kinder, nicht vergessen, Alkohohl macht dumm. Solange ihr jedenfalls nicht selbst in der Lage seid, ihn aus eigener Tasche zu bezahlen. Anette starrte wie gespannt auf Doris Lippen, und ein Urtrieb begann sich in ihr zu regen. Sie sprang ebenfalls auf den Tisch und öffnete ihren Mund, um zu singen:
"Trallala! Heute ist ein schöner Tahag!"
Mit einem Male war Lilli nicht mehr das einzige stumme Wesen in der Taverne. Alle starrten zu Anette; die Zwerge mit gezückter Waffe, die anderen aus sicherer Deckung.
Doris piekste Anette in den Bauch: "Wir kannst du so einen Müll singen? Jeder gute Zwerg weiß, dass ein richtiges Lied nur von Gold handelt!"
"Ich bin doch gar kein Zwerg!", entgegnete Anette, leicht verwirrt.
"Das gibt dir nicht das Recht, dich über Jahrtausendealte Zwergestraditionen hinwegzusetzen!"
Die Stimmung war so gespannt wie ein straff gezogenes Einmachglasgummi.
"Ähm...", entgegnete Anette und überlegte mehr als angespannt.
Es ist wohl überflüssig anzumerken, dass sie sich somit das hübsche Köpfchen zerbrach. Aber es macht sich trotzdem gut im Text.
"Ich hab's!", rief Anette: "Ich singe ein Lied über uns Wächter, das müsste sogar einem Zwerg gefallen!"
Doris begann angriffslustig mit ihrer Axt zu winken. "Gold!", zischte sie.
"Ähm... ja. Darüber auch!", entgegnete Anette, und machte einen Schritt von Doris weg. Und sie hob an: "Zum Wächter sein, braucht man nicht viel."
Und Doris warf ein: "Nämlich Gold!"
"Einen unnachahmlichen Stil"
"Besser Gold!"
"Und natürlich ein Herz aus... "
Doris schmetterte aus voller Kehle den textmäßig sehr minimalistisch gestalteten Refrain - zusammen mit Anette:
"Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gooold!" Das Lied ging natürlich weiter. Aber vieles darin wiederholt sich, worum ich auf eine allzu genaue Darstellung, der Art und Weise ich verzichten werde. Außerdem, liebe Kinderchen, ihr könnt euch doch sicher noch an meine letzte Erzählung erinnern, bei der Doris und Anette schon einmal gesungen haben... Zum Glück ist das hier ja nicht unsere erste Zusammenkunft.
Während die beiden Wächterinnen auf dem Tisch, in urplötzlicher trauter Zweisamkeit ihr Lied schmetterten, erhob sich plötzlich Kathjope... Kaffepe... Cathyobe... Kathi, erhob dann ihr leeres Glas, und lallte mit ebenfalls erhobener Stimme[3]: "Wirt, isch will nosch mehr Kaffeehol!" "Der Tag ist schwer, das Herz ist's nicht."
"Gold, Gold, Gold!"
"Wir erfüllen stolz uns're Pflicht."
"Ich will Gold!"
"Denn ein Wächter hat ein Herz aus..."
"Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gooold!" Kathi setzte einen Fuß auf den Tisch, dann den zweiten, torkelte ein wenig, und begann mehr oder weniger lasziv mit den Hüften zu kreisen. "Kaffeehol!", forderte sie erneut. Allerdings klang diese Fusion der Wörter "Kaffee" und "Alkohol" für den unalkoholisierten Leser mehr wie "Gaféöl", ein seltenes und sündhaft teures Parfüm, dass man nur auf einer einzige Kohlfarm unweit von Sto Lat kennt; es mag also nicht verwundern, dass keiner der Anwesenden sonderlich viel mit Kathis mit Koffein und Alkohohl geschwängerten Gebrabbel anfangen konnte. "Der Sold ist schlecht, das Essen mies."
"Hä? Was?! NEIN!"
"Kaum kriegt man g'nügend Gold zusamm'."
"Her mit Gold!"
"Doch Bezahlung ist nicht wichtig!"
"Hey! Du tickst wohl nicht ganz richtig!!!"
"Du hältst dich nicht an das Versmaß!"
"Ich versteh' bei Gold keinen Spaß!"
"Denn wir lieben..."
"Denn wir lieben!"
"Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gooold!" Plötzlich brach Kathi in Tränen aus und brabbelte noch mehr von "Kaffeehol..."
Währenddessen machte sich die Gnomin Amalarie Mögebier auf einen Streifzug. Sie hatte ein komplettes halbvolles Bierglas ausgetrunken, und war dementsprechend vollkommen abgefüllt. Und hatte soeben kurzerhand beschlossen, dass es an der Zeit war, jetzt sofort eine Familie zu gründen. "Ein Wächter sein, dass ist wichtig!"
"Und Gold, das ist immer Richtig."
"Es ist gut, goldrichtig, schön."
"Drum woll'n wir unsre Taschen gefüllt seh'n."
"Mit, mit, mit."
"Gold, Gold, Gold!"
"Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gooold!" Unsicher wankte Amalarie in Richtung von Harry. "Hallo, Schnuggelschen!", lallte sie. Dieser rutschte, leicht pikiert, etwas von der Gnomin weg, doch diese ließ sich nicht so einfach abschütteln. Kein Wunder, war Harry doch die beste Partie im Hause. Es konnte nie schaden Beziehungen zu höheren Dienstgraden aufzubauen. Zumindest glaubte Amalarie das. "Kupfer, Silber, Bronze oder Blei..."
"Hey, du singst vom falschen Metall!"
"... war'n mir schon immer einerlei!"
"Gold ist das beste Edelmetall!"
"Doch ein Dieb schätzt auch seinen Glanz."
"Ich krieg Angst..."
"Doch wir Wächter halten ihn auf!"
"Mit der Axt!"
"Keine Gewalttätigkeiten!"
"Du hast angefang'n mit Streiten."
"Keine Sorge, hab' ein Herz aus"
"Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gooold!" Dann schien es sich die Gnomin anders zu überlegen. Sie drehte sich - angesichts ihrer Trunkenheit - auf sehr elegante Art und Weise um, und wandte sich an Esus von Tara: "Na, du alte Knalltüte!" Dann hielt sie inne, warf einen zweiten Blick auf ihn, und überlegte es sich erneut anders. Sie schaute sich um, und wankte dann zum neuesten Objekt ihrer reinen, unvergänglichen Liebe: "Saiyana! Hab' Isch dir schoa mal g'sagt, dass du an escht heiser Kerl bischt?"
Anschließend fiel Amalarie einfach, ohne großes Aufheben, um und begann lauthals zu schnarchen. "Wie alle andre'n Wächter hier."
"Gold, Gold, Gold!"
"Pflichtbewusst, allzeit pünktlich da."
"Gold, Gold, Gold!"
"Und das für nur ein wenig Sold."
"Das sagt SIE!"
"Retten wir jeden und sein Haus."
"Gold, Gold, Gold!"
"Denn Wächter haben ein Herz aus"
"Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gooold!" Rabe Raben hingegen, der direkt neben Lilli am Tisch saß, wirkte ein wenig betrübt. Wieder einmal quälten ihn arge Zweifel an seiner Existenz, und so tat er das, was schon viele Wesen vor ihn getan hatten. Er trank, um die Auf und Abs, ja ganz besonders die Abs seines Lebens zu vergessen. Und nach einer Weile tat er noch etwas, was viele Leute in seiner Situation taten. Er begann dem Wirt sein Leid zu klagen. Nun, eigentlich hätte er das getan, wäre es die normale Situation gewesen, in der sich jemand bis spät nachts betrank, und niemand anderes dort war. Zu einer Zeit, die so spät war, dass es schon wieder früh wurde.
Allerdings war es noch nicht wirklich spät, Rabe vertrug nur nicht sonderlich viel; was zweifellos daran lag, dass er noch nicht lange genug Mensch war, um sich an größere Mengen zu gewöhnen. Deshalb klagte er auch Lilli sein Leid, und nicht dem Barmann.
"Weissu, eigentlich binsch ein wascheschter Wascherschpeier!"
Lilli klopfte ihm aufmunternd auf die Schultern. Auch sie war betrunken, aber aufgrund ihrer eichenen Gelassenheit, musste man sie schon mit einer enormen Menge abfüllen, um einen echten Verhaltensumschwung zu erreichen.
Sie konnte sogar den halben Tag lang schlafen, ohne das es jemand bemerkte; eine Fertigkeit, die sie sorgsam kultiviert hatte. Sie brachte es sogar fertig, mit offenen Augen im Gehen zu schlafen, vorausgesetzt, jemand zerrte sie gerade hinter sich her.
Der nächste Schritt würde wohl sein, mit offenen Augen, beim Karrenlenken zu schlafen. Welche Herausforderung! [4]
"Aber jetzt binsch ja ein Mensch. Weischu, isch weisch jar nischt mehr, wasch isch eigentlich bin!...", fuhr Rabe Raben niedergeschlagen fort. Lilli nickte einfach nur, um wenigstens irgendwas zu tun. "Voller Mumm und auch voller Mut!"
"Gold, Gold, Gold!"
Dank uns geht es Ankh-Morpork gut
"Wir sind toll!"
"D'rum dankt uns jeden einzel'n Tag."
"Gold ich mag!"
"Denn wir ham ein echtes Herz aus"
"Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold, Gold! Wächter sind wie Gooold!" Mittlerweile fielen fast alle Wächter in den fesselnden Refrain mit ein. Manche sangen zwar wie eine rostige Gießkanne und dermaßen falsch, dass es einem die Schuhe auszog, aber durch die Vielzahl an Stimmen, den gnomigen, den menschlichen, den drolligen - pardon, ich meinte trolligen -, klang es tatsächlich gut!
Selbst Lilli summte leidenschaftlich mit.
Was Rabe Raben von seinen eigenen Kummer ablenkte und ihn auf etwas brachte: "Irre ich mich, oder funktioniert dein Stimme?!"
Lilli zuckte nur mit den Schultern.
Sie wäre durchaus in der Lage gewesen, zu sprechen, aber sie wollte und durfte in gewisser Weise auch nicht. Sie würde doch nicht über acht Jahre Arbeit in den Sand setzen, nur weil sie eben mal einen kleinen Plausch machen wollte. Dafür konnte sie sich mit Pflanzen unterhalten, dass war wesentlich interessanter.
Rabe wusste das natürlich nicht. Dafür kam er aber auf eine grandiose[5] Idee: "Weißt du was, Lilli. Du solltest noch ein bisschen mehr trinken, dass lockert ganz bestimmt deine Zunge!"
"Ich mache auch mit!", rief Esus von Tara, der bis soeben versuchte hatte, Amalarie wieder aufzuwecken, da er ganz und gar nichts gegen ähm... Familiengründungen hatte.
Rabe schnappte sich Lillis Arm, und zerrte sie hinüber zu Theke.
"Wirt!", rief Rabe, der seitdem er aus seiner Depression erwacht war, merkwürdig nüchtern wirkte, was gewiss am übermäßigen Alkoholgenuss lag. Der junge Mann zeigte auf eine alte, verstaubte Flasche, die in dem Regal mit den besondern Zeug stand: "Was ist das?"
"Marillenlikör", erwiderte dieser.
"Schenken sie ihr mal ein großes Glas ein!", meinte Rabe und zeigte auf Lilli, die er auf er einen Barhocker geschoben hatte.
"Mir auch!", krähte Esus unternehmungslustig, der es irgendwie geschafft hatte, auf die Theke zu klettern.
(Noch Jahre später wachte Lilli des Nachts auf und fragte sich wie Esus darauf gekommen war. Und warum sie um Himmels willen gerade daran denken musste. Um anschließend wieder einzuschlafen.)
Lilli betrachtete die helle, undurchsichtige Flüssigkeit, zuckte dann mit den Schultern und kippte das Glas mit einem Zug herunter, was Rabe entsprechend honorierte: "Gut so! Immer runter damit! Trink!"
Die Gefreite setzte das Glas ab, schaute zum Wirt und deutete auf eine andere Flasche im Regal. Der Inhalt war irgendwie grünlich trüb.
"Oh, die Pfefferminzüberraschung! Eine exzellente Wahl!", meinte der Wirt, der aber auch jedes andere seiner wirklich teuren Alkoholika für eine exzellente Wahl gehalten hätte.
Lilli prostete Rabe still zu und kippte dann den Inhalt des Glases in einem Zug hinunter. Dann deutete sie auf die nächste Flasche.
Die Gefreite legte in dieser Situation ein für sie mehr als typisches Verhalten an den Tag: Sie hatte eine Anweisung bekommen, die klar genug formuliert worden war, dass sie diese verstand (und nicht durch irgendeinen Gedankengang völlig verdrehen konnte). Außerdem war Trinken keine Arbeit. Also eine angenehme, durchaus der Fortführung sich lohnende Tätigkeit.
Wenn man davon absah, dass jemand irgendwann den ganzen Spaß zu bezahlen hatte... Aber Lilli hatte es eh nie so mit Geld. Und diesen Aspekt bei ihrer kleinen Einladung ganz in die hinterste Ecke ihres Gehirnes verschoben, wo dieser nun mit ihren Orthographiekenntnissen eine Runde Karten spielte. Wäre wahrscheinlich ein entsetzlicher Anblick gewesen, webnn es nicht rein metaphorisch gemeint wäre. Der wirklich entsetzliche Anblick war die Rechnung. Aber dazu kommen wir später, weil die auch erst später kam. Ähm... Wo war ich stehen geblieben?"
"Bei der Stelle an der diese Lilli abgefüllt wird", entgegnet der Markisenspross in einem empörten Tonfall: "Das ist doch absolut unglaubwürdig! Welcher normale Mensch, der noch halbwegs bei Verstand ist, lässt sich von einem dahergelaufenen Typen abfüllen, der auch noch behauptet ein Wasserspeier zu sein?"
"Lilli!", rufen KleinTimmi und die dicke Bernadette im Chor und strahlen Opa Hans an. Sie kannten zwar Lilli erst seit Beginn der Geschichte - aber hey, jede Geschichte, die potenziell in einem Bett einer Hochzeit enden könnte, war eine gute Geschichte!
"Da habt ihr Recht, meine Lieben. Außerdem wissen wir ja, dass Rabe Raben nie jemanden aus hintergründigen Motiven abfüllen würde. Außerdem ein Baum und ein Wasserspeier? Welcher Autor, der etwas auf sich hält, würde so etwas miteinander verkuppeln?"
"Sie meinen Erzähler, nicht Autor!", meint der zukünftige Markise von Ö.
"Oh stimmt", entgegnet Opa Hans: "Warum um Himmels willen, habe ich bloß Autor gesagt? Seltsam, seltsam... Aber machen wir da weiter, wo ich eben aufgehört habe: Ich sollte an dieser Stelle vielleicht noch einfließen lassen, dass Lilli ein mehr als merkwürdiges Verhalten an den Tag legt, wenn sie ein gewisses Maß an Alkoholkonsum überschritten hat.
Bis das aber geschah, musste sie sich schon durch die halbe Theke trinken. Was sie ja auch tat.
Erdbeerschnaps, klatschianischer Lampenfischextrakt, gepresste Kalbsleberwurst und noch vieles mehr. Darunter einige Dinge, deren Etikett der Wirt nicht entziffern konnte.
Rabe trank ab und an auch etwas, wenn er es schaffte, vor ihr an die Flasche zu kommen, denn sie leerte diese mit zunehmender Alkoholisierung in einem immer rasanteren Tempo.
Irgendwann - die meisten anderen Wächter waren schon heimgekehrt beziehungsweise an Ort und Stelle eingeschlafen,[6] geschah etwas höchste bemerkenswertes.
Lilli, die gerade an drei Flaschen gleichzeitig nuckelte, da sie die Gläser als viel zu unpraktisch eingestuft hatte, hielt plötzlich inne. Sie stellte die Flaschen behutsam auf die Theke, wankte einmal vor und wieder zurück. Dann öffnete sich langsam ihr Mund.
Rabes Augen weiteten sich jäh. War es soweit? Würde Lilli jetzt sprechen?
Hicks!
Lillis ganzer Körper erzitterte kurz aufgrund der Urgewalt dieses Schluckaufs.
Hicks! Hicks! Hicks!
Rabe ließ enttäuscht die Schultern hängen, während Lilli leicht mit jedem Hicks! auf und ab zu hüpfen schien. Er hatte sich wirklich mehr vom Abfüllen seiner Kollegin erwartet. Er warf einen kurzen Blick über die gewaltige Menge der von ihr geleerten Flaschen und beschloss dann, dass der Versuch wohl gescheitert war. Wenn sie jetzt nicht betrunken genug war, um zu reden, dann würde sie es nie sein. Außerdem fragte er sich, wie ein Mensch eigentlich so viel Alkohol trinken konnte, ohne ins Koma zu fallen...
Der Wirt schien auch mehr als unberuhigt: "Das kann so nicht weitergehen! Dass darf ich nicht zulassen!", rief er mit Blick auf die ganzen schon geleerten Flaschen.
Hicks!
Der Wirt griff nach Lillis Arm, dann... drückte er ihr eine weitere Flasche in die Hand: "Hier! Wie jeder weiß, wird man durch trinken seinen Schluckauf wieder los."
Hicks!
Lilli nickte und setzte die Flasche an die Lippen und leerte auch diese in einem Zug.
Dann setzte sie die Flasche auf der Theke ab. Ihr Blick wurde leicht glasig, als sich ihr Organismus endlich bewusst wurde, dass sie immer noch ein minderwertiger Mensch und kein vollwertiger Baum war...
Der Alkohol entfaltete augenblicklich seine volle Wirkung und Lilli kippte vornüber um, ihr Kopf knallte auf die Platte.
Dann fiel ihrem Organismus wieder ein, dass sie ja ein Baum sein würde, und weil Bäume nicht betrunken wurden, durfte Lilli folglich auch nicht betrunken werden.
Augenblicklich gelangte sie wieder zu Bewusstsein, richtete sich stockgerade auf und begann zu überlegen, was denn jetzt eigentlich war.
Die einzige Erklärung für das jetzt folgende Verhalten Lillis ist wohl, dass Alkohol eine sehr seltsame Wirkung auf manche Wesen hat. Anders lässt sich nicht erklären, dass sie plötzlich nur so vor Kreativität und Schaffensdrang förmlich überquoll.
Lilli erhob sich und wankte durch den Raum, nicht ganz fähig, sich zu entscheiden, auf was sie denn jetzt genau ihre eben erworbene Schaffenskraft richten sollte. Dann traf sie ein verirrtes Inspirationspartikelchen, und ihr wurde sofort ihre wahre und einzigartige Bestimmung im Universum klar. Cocktails mischen!
Sie erhob sich elfengleich,( vorausgesetzt Elfen wankten wie ein Schiffsmast bei einem schweren Orkan,) und torkelte in Richtung eines unscheinbaren Bücherregals, in dem einige Bücher vor sich hin verstaubten. Es war die Sorte Regal, die sich in manchen Spelunken fand, die voll gestellt war mit Büchern über die hohe Kunst des Alkoholausschanks, die sich der Besitzer zugelegt hatte, weil er mit dem Wissen aus jenen Werken ein perfekter Wirt zu werden hoffte. Nun, die wenigen Bücher, die es in der Scheibenwelt über das Cocktailmischen gab, waren allesamt nicht schlecht - aber welcher Spelunkenwirt fand schon die Zeit zum Lesen? Beziehungsweise konnte überhaupt lesen?
Und so endeten solche Bücher irgendwo auf einen Regal, welches nicht einmal zur Dekoration taugte, da es konsequent übersehen wurde. Oder wann habt IHR das letzte Mal ein Bücherregal in einer Kneipe bemerkt? Genau, ihr liegt da vollkommen richtig. Niemals nie. Aber die Bücher waren trotzdem da.
Lilli hatte einen Riecher für Bücher - ganz einfach weil diese für gewöhnlich größtenteils aus Zellulose bestanden, und Lilli einen Riecher für Bäume hatte. Genau genommen, ein Ohr. Denn sie konnte jene hören. Was auch eine essentielle Voraussetzung für eine vernünftige Unterhaltung mit einem Baum ist. Ansonsten wäre so eine Unterhaltung doch recht einseitig. Und das Lilli die hohe Kunst der Kommunikation mit Pflanzen beherrscht, habe ich ja bereits angemerkt.
Also, wo war ich gleich noch mal... aja, das Bücherregal. Nun, Lilli wankte also zu den Cocktailbüchern um ihrer einzig wahren Bestimmung als Cocktailmischerin zu folgen, und griff sich wahllos ein Buch heraus. Sie schlug es auf und ja... lesen konnte man die darauf folgende Tätigkeit nicht nennen.
Denn wenn Lilli für gewöhnlich einen Text las, dann quälte sie sich förmlich durch jenen. Sie erkämpfte sich mühsam Buchstabe für Buchstabe, Wort um Wort. Ihre Augen waren dabei stets starr auf das eben zu lesende fixiert, und wenn sie längere Passagen las, wurde ihr meist leicht schwindelig und sie bekam Kopfschmerzen. Was der Grund dafür war, dass sie das Lesen längerer Lesestücke konsequent vermied.
Lilli war aber in einem dermaßen seltsamen Zustand, so sehr alkoholisiert, dass sie nicht betrunken, sondern kreativ war, dass sie gar nicht erst auf die Idee kam zu lesen.
Nein, intuitiv strich sie mit den Fingerkuppen über das Papier, konnte so jede einzelne Unebenheit und Eigenheit erspüren. Vor ihrem inneren Auge entstand eine genaue Karte der Buchseite und die Buchstaben ragten wie Berge hervor, was daran lag, dass das Papier durch die Farbe an diesen Stellen dicker war.
Hätte Lilli immer so gelesen, dann hätte sie mit ihrem Tempo selbst den fleißigsten Bibliotheksbesucher geschlagen; aber da sie meist beim Lesen auch noch dachte, tat sie dies stets auf konventionelle Art und Weise und kam nicht im Entferntesten auf die Idee, dass es auch anders und vor allem wesentlich leichter gehen konnte. Aber hey - Lilli war auch nur ein Mensch.
Jetzt allerdings schaffte sie es in wenigen Minuten das komplette Buch durchzuarbeiten. Anschließend stellte sie es auf das Regal zurück und krempelte sich die Ärmel hoch. Nun, da sie wusste wie man perfekte Cocktails mischte, konnte sie auch ihrer einzig wahren Bestimmung folgen. Sie drehte sich um und wollte Richtung Theke wanken, doch irgendwie war da statt freiem Schankraum plötzlich ein Bücherregal, wie sie durch eine unsanfte Kollision feststellen musste. Verwirrt rieb sie sich den Kopf und fragte sich, warum sie plötzlich in einer Bibliothek war.
Hinter ihr hörte sie jemanden reden: "Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie sie es schafft, sich bei einem einzelnen Bücherregal so zu verlaufen, dass sie im B-Raum landet."
Irgendwoher kam ein "Ugh!", als Antwort.
"Du hast Recht, wir sollten uns beeilen. Schließlich haben wir nicht den ganzen Tag lang Zeit."
Lilli schaute sich erstaunt um, und konnte dann eine Person ausmachen.
Eine weibliche Person, die einen schwarzen Ledermantel, hohe Lederstiefel und eine Augenklappe über dem linken Auge trug. Dazu noch eine Brille. ein schwarzes Hemd, eine schwarze Hose. Die Haare waren hochgesteckt, mit einigen Federn, offensichtlich zur Zierde, darinnen. Quer über das Gesicht ging eine gewaltige Narbe und der Blick in das eine Auge ließ auf eine leicht gereizte Stimmung schließen. Die Stimme mit der die Person gesprochen hatte, war ungewöhnlich rauchig und kratzig gewesen.
Insgesamt wirkte die Person ein wenig bizarr und sehr einschüchternd, aber Lilli ließ das kalt. Sie kannte die Person bereits, war ihr schon mehrere Male begegnet.
Diese Begegnungen waren über mehrere Jahre verteilt gewesen. Und fanden jedes Mal in einer Bibliothek statt. Lilli wusste so gut wie nichts über jene Person, aber diese gab ihr immer wieder den einen oder anderen nützlichen Ratschlag und manchmal auch kleine Gegenstände. Zudem strahlte diese Person etwas aus, dass Lilli zu sagen schien: "Wenn du mir nicht vertrauen kannst, dann kannst du nicht einmal mehr dir selber trauen..."
Doch irgendwie wurde Lilli den verdacht nicht los, dass jene für mehr Probleme sorgte als das sie bereinigte. Zum Beispiel der Vorschlag vor einer Weile, zur Stadtwache zu gehen, der war doch eine echte Schnapsidee gewesen. Allein diese Verpflichtung alle einzuladen, wenn man befördert wurde![7]
Lilli warf der Person einen erbosten Blick zu. Diese machte eine wegwerfende Handbewegung: "Schau nicht so. Du wirst schon sehen, zur Wache zu gehen bringt dich deinen Zielen näher als du glaubst. Da ich bald wieder wegmuss, möchte ich dir nur eben das hier geben. Das wird dir helfen deine Rechnung beim Wirt zu begleichen." Die unbekannte Bekannte reichte Lilli eine kleine Schatulle.
Dann schien die einen Augenblick mit sich zu ringen, griff in ihre Hosentasche und drückte Lilli eine grüne Frucht in die Hand, "Hier das kannst du sicher für deine Cocktails gebrauchen."
Im Hintergrund hörte man ein empörtes "Ieek! Ieek!", doch Lilli konnte niemand zweites ausmachen. Die Frau mit der Augenklappe schob die verdutze Lilli mit sanfter Gewalt ein Stück weg und mit einem Mal befand sich die Gefreite wieder in der vertrauten Umgebung.
Sie zuckte mit den Schultern und machte sich auf zur Theke.
Es war Zeit ein paar Cocktails zu mischen!
In der Bibliothek stritt sich währenddessen die Person mit ihrem Begleiter.
"Hey, ich habe ihr nur eine kleine Frucht gegeben, was soll das schon groß am Verlauf der Geschichte ändern?"
"Ieek!"
"Du und deine seltsamen Bede.... Hatschi!"
Unvermittelt musste die Person niesen, als der Orang-Utan vom Regal kletterte und dabei eine
Menge Staubt aufwirbelte. Die Person griff in die Hosentasche, holte ein Taschentuch hervor und putze sich die Nase.
"Wo müssen wir als nächstes hin?", fragte sie den Bibliothekar, der einen kurzen Blick auf einen Zettel warf, den er sich selbst nach Abschluss der Reise schreiben würde, damit er die Reise überhaupt erst antreten würde. "Ugh!"
"Aja"
"Ieek!"
"Was ist?"
Die Person griff in die Tasche und holte einen kleinen Spiegel hervor und blickte hinein: "Na großartig, jetzt habe ich die Narbe verwischt!"
Sie seufzte, setzte Augenklappe und Brille ab, und versuchte dann den Schaden zu reparieren. Was ihr nicht wirklich gelang, denn sie war auf beiden Augen stark weitsichtig.
Und mit einem Mal wirkte die Person ganz anders, als sie Lilli immer erlebt hatte,
Aber irgendwann in ferner Zukunft würde sie jener ihre wahren Absichten enthüllen. Und bis dahin würde sie neben den zu erledigenden Dingen jener ein wenig unter die Arme greifen.
Auch wenn das dem Bibliothekar so gar nicht gefiel... Wenden wir uns lieber wieder Lilli zu. Eigentlich gibt es nicht mehr viel zu sagen, sie mischte Cocktails, gute Cocktails. Mit Limettenscheiben.
Manchmal kam es der Gefreiten allerdings so vor, als würde ein kleines dünnes Stimmchen sagen, dass sie weniger trinken solle. Ein anderes dünnes Stimmchen forderte sie dann aber sofort zum Gegenteil auf. Lilli stufte beide Stimmchen als höchst lächerliches Hirngespinst ein. Jeder Abend geht irgendwann zu Ende, und dieser tat es am nächsten Morgen mit folgenden historischen Worten: "Wo sind sie denn alle hin?"
Thask, der soeben seinen Krug Bier geleert hatte, wirkte verärgert. Ja, wo waren die Wächter? Ganz einfach, an ihrer jeweiligen Schlafstätte, ihren Rausch ausschlafend. Das war nicht in allen Fällen ein bequemes Bett, und in manchen Fällen nicht einmal ein dreckiger Fußboden unter einem Tisch.
Nein, in Lillis Fall handelte es sich um einen schon etwas abgenutzten Teppich.
An jenem Morgen war im Patrizierpalast eigentlich nicht mehr los als sonst. Lord Vetinari saß an seinem Schreibtisch und hörte mit mäßiger Begeisterung einem seiner Spione zu, der gerade Bericht erstattete: "Ähm... in der Wäscherinnengilde gibt es derzeit Probleme..."
Der Spion brach ab und warf einen Blick über die Schulter zurück. Allerdings konnte er Lord Vetinaris Blick im Rücken spüren und drehte sich schleunigst wieder um: "Ähm... es geht nämlich um dieses weiße komische Pulver, dass die immer ins ähm... Waschwasser tun..."
Erneut brach er ab und warf einen beunruhigten Blick nach hinten.
Havelock räusperte sich.
"Ähm...", begann der Spion von neuen: "Ähm... seit kurzem kommen nachts immer Typen, mit Strohhalmen und schniefen das Pulver... ähm.. in die Nase ein... ähm..."
Der Spion schaute betreten zu Boden und saß wie auf heißen Kohlen, unruhig zupfte er an seinem Gewand herum. Dann schaute er zu dem Patrizier auf und schluckte.
Er musste es einfach sagen: "Da hinten liegt jemand!"
"Und?", fragte Lord Vetinari.
Der Spion schluckte und sandte einen flehentlichen Blick zm Patrizier. Dessen Miene blieb völlig ausdruckslos. Betreten schaute der Spion erneut zu Boden.
"War das Alles?", fragte nach einer Weile Lord Vetinari.
Der Spion zuckte nervös zusammen. "Ähm... ja..."
"Dann geh", entgegnete Havelock: "Ich bin mir sicher, dass du noch eine Menge vorhast."
Der Spion sprang auf, so dass der Stuhl umkippte, und stolperte in einem erstaunlichen Tempo aus dem Zimmer.
Lord Vetinari wirkte ein wenig... verdrießlich. Dieser Spion taugte offensichtlich nicht wirklich zum spionieren. Also würde er sich einen neuen suchen müssen. Nun, früher oder später würde sich bestimmt jemand neues finden, der diese Aufgabe freiwillig übernehmen würde. Und was die Sache mit dem Waschpulver betraf, die Wache würde sich darum kümmern können. Apropos Wache - da drüben lag ein Mitglied.
Einer der unzähligen Vorgänger von Havelock Vetinaris hätte den unerwünschten Eindringling wahrscheinlich sofort in den Kerker werfen lassen. So nicht der Patrizier.
Dieser sah auf den ersten Blick, dass von jener Gestalt keinerlei Gefahr ausging. Schon allein der Geruch nach halb abgebautem Alkohol verriet ihm, dass jene Gestalt alles andere als ein Attentäter war.
Zudem fand Lord Vetinari, dass jene junge Frau dort vorne etwas ungewöhnlich... florales an sich hatte. Man musste schon ein sehr aufmerksamer Beobachter sein, um zu sehen, dass jene Frau mehr Ähnlichkeit mit einem Baum als nun... mit einer jungen Frau hatte.
Und eines war gewiss, jene Person war nicht gefährlicher, als sagen wir mal, ein Schwert. Ein guter Vergleich. Leute hielten Schwerter immer sehr gefährlich - aber das stimmte nicht. Schwerter waren nur gefährlich, wenn sie jemand benutzte. Das Stück Metall selbst hatte für Lord Vetinari nichts Bedrohliches an sich.
Ebenso wie jene junge Frau in der Wächteruniform dort vorne, die gerade wieder zu Bewusstsein zu kommen schien.
Die Welt schien Pirouetten zu drehen. verdammt schnelle Pirouetten. Alles drehte sich und in Lillis Kopf war alles ganz schummrig. Außerdem fühlte dieser sich an, als würde er gleich in genau 3719 Stücke zerspringen. Keine besonders angenehme Vorstellung. Aber auch kein besonders angenehmes Gefühl.
Lilli stöhnte (ohne dabei ein Wort zu verlieren) und hielt sich den schmerzenden Kopf. Sie hatte einen Kater, der seinesgleichen suchte - kein Wunder, bei den Mengen, die sie getrunken hatte.
Deswegen konnte sie sich nicht an ihre Berufung zur Cocktailmischerin erinnern, genauso wenig an die Dinge, die danach passierten. Sie konnte sich nie daran erinnern, an die Sachen, die nach den ersten paar Tropfen passierten.
Da war es eigentlich ganz gut, dass Lilli eigentlich nur sehr selten trank... insgesamt in ihrem Leben fünf Mal. Beim ersten Mal war ihre wahre Berufung Stuckateurin gewesen (wobei sie eine komplette klatschianische Kathedrale ausgearbeitet hatte [7a]). Beim zweiten Mal hatte sie erfolgreich einen Spinnenaufstand in der unbekanntesten Mine der Scheibenwelt niedergeschlagen[9], beim dritten Mal wurde sie Fair-Sicher-Ungsvertreterin des Jahres im streng geheimen Orden der unaufgeklärten Trolle vom Knollenblätterpilz [10]. Beim vierten Mal machte sie Karriere als Zebragärtner auf einer Kohlfarm nahe Sto Lat[11]. Das fünfte Mal schaffte sie es zur Cocktailmischerin, die am nächsten Morgen im Patrizierpalast aufwachte. [12]
Lilli legte bemerkenswerte Talente an den Tag, wenn sie so richtig betrunken war - nur um sie am nächsten Morgen wieder zu vergessen.
Die Gefreite erhob sich und erblickte einen Mann in schwarzer Kleidung. Kein edles schwarz, eher ein gräuliches, stumpfes abgetragenes Schwarz. Ein gutes Schwarz. Lilli wusste nicht, dass das der Patrizier war. Sie hatte zwar schon von ihm gehört, aber nie genaueres nachgefragt. Und warum sollte sich ein Baum auch für Politik interessieren? (Außer Umweltpolitik natürlich.)
Er maß sie mit einem kurzen Blick, stand auf, und reichte ihr einen Zettel, den er eben schnell beschrieben hatte. "Gib das bitte an den Wachekommandanten weiter."
Dann setzte er sich wieder hin.
Lilli wankte ein wenig, und beschloss dann, zu gehen. Dieser Ort war nicht gerade einladend.
Aus gutem Grund. Lord Vetinari hatte den Palast nicht eingerichtet, damit sich die Leute wohl fühlten. Am Ende kämen sie ja sonst auf die Idee, zu bleiben. Lilli brauchte recht lange um zum Wachehaus zu finden. Zum einen latschte sie zuerst zum falschen, als ihr einfiel, dass sie ja dem Kommandeur was geben sollte. Dann ging sie wieder los, zum nächstem falschen Wachhaus. Nachdem sie von Frau Palm einen starken Kaffee bekommen hatte, war sie ein wenig munterer und machte sich zum übrig gebliebenen Wachhaus auf. Der Weg dauerte aber auch seine Zeit, da sie auf die hirnrissige Idee kam, eine Abkürzung über den Ankh zu nehmen. Bis weit über sie Knöchel im Fluss zu versinken, steigerte nicht unbedingt das Tempo.
Außerdem fiel ihr ein, dass sie ja schon immer mal ein bisschen Ankh trinken wollte, als sie schon fast das Wachhaus erreicht hatte. Sie kehrte also um, nur um festzustellen, dass sie ihr Wasserglas vergessen hatte. Deshalb kehrte sie erst mal wieder um, um die Nachricht zu überbringen.
Lilli marschierte schnurstracks in Rascaal Ohnedursts Büro, legte die Nachricht auf seinen Tisch, drehte sich um und verließ das Büro und Wachehaus wieder.
Der Kommandeur, der eben mit dem Unterzeichnen von wichtigen Papieren beschäftigt gewesen war, sah verwirrt auf. Das unvermittelte Auftauchen der Gefreiten überraschte ihn zu sehr, als dass er die Zeit fand, zu reagieren. Es kam nicht jeden Tag vor, dass jemand ohne zu klopfen in sein Büro torkelte.
Er entfaltete den Zettel, der deutlich den unnachahmlichen Duft von "O de Toilette Ankh Morpork" (sprich vom Ankh) verströmte. Er entdeckte den Briefkopf des Patriziers und seine Unterschrift. Rascaal hob eine Augenbraue. Dann schickte er ein Memo an SUSI raus, die gleich mal ein paar Spuren in der Wäscherinnengilde aufnehmen sollten, bevor RUM ermitteln würde.
Dann warf er noch einen Blick auf die andere Botschaft des Zettels, bei der ihm der Patrizier beglückwünschte, dass er schon Vertreter von Interessensgruppen aufnahm, bevor diese überhaupt existierten, er habe das Prinzip von Gleichberechtigung jetzt völlig verstanden.
Rascaal zerknüllte das Papier und warf es in den Papierkorb. Lord Vetinaris Humor war manchmal grausam. Was wohl vor allem daran lag, dass dieser keinen hatte.
Lilli schwankte schnurstracks ins Wachehaus in der Kröselstraße, und suchte sich dort einen bequemen Platz, um augenblicklich einzuschlafen, um den Rest ihres Rausches loszuwerden.
Drei Tage und sieben Stunden später erwachte sie wieder. Sie reckte und streckte sich und öffnete die Tür.
Draußen kam ihr zufällig Carisa von Schloss Escrow entgegen.
Diese hob missbilligend die Augenbrauen: "Gefreite, wo warst du die letzten Tage? Und was willst du mit dem Besen?!"
Lilli errötete leicht und stellte den Besen zurück in die Besenkammer, in der sie die letzten Tage wie ein Stein... ähm Stück Holz geschlafen hatte. Dann grinste sie Carisa beschwichtigend an, überlegte einen Moment und salutierte.
Die Wasserspeierin musterte sie mit einem misstrauischen Blick und sagte: "Gefreite, du bist dir doch sicher bewusst, dass du nicht länger bei Grund verweilen kannst. Es wird Zeit, dass du dir eine neue Abteilung suchst!"
Lilli wurde bleich. Sie hatte ja schon geahnt, dass so eine Beförderung sicher in Arbeit ausarten würde, aber hatte inständig gehofft, dass nach diesen kleinen Besäufnis auf ihre Kosten alles wieder wie vorher werden würde. Na großartig.
"Am besten du gehst in die Kantine, dort liegen ein paar Broschüren mit ähm... wundervollen Spezialisierungen aus. Eine besser als die andere. Du wirst sicher etwas finden. Und vergiss nicht, dein Gerümpel mitzunehmen, wenn du gehst. Ich meine damit insbesondere deinen vorlauten Dämon."
Lilli salutierte und zog dann mit hängenden Schultern von dannen.
Carisa wartete einen Moment lang ab und rief dann ein erleichtertes "Ja! Sie geht, sie geht!"
Fröhlich pfeifend machte sie sich auf den Weg in ihr Büro und holte eine Flasche mit dem guten Mineralwasser hervor. Sie hatte das Bedürfnis mit sich selbst anzustoßen.
Sollte sich ab jetzt doch jemand anders mit Lilli herumärgern!
Der Gefreiten Baum gefiel es zwar nicht, aber irgendwann entschied sie sich doch für eine Abteilung und eine Spezialisierung. Sie überstand sogar das Bewerbungsgespräch bei Kanndra, der RUM-Chäffin. Genaueres kann man darüber natürlich in den Akten nachlesen."
"Sie wissen schon, dass wir als Zivilisten keinerlei Einsicht in die Wacheakten haben, oder?!", empört sich das mittlere Markisenkind.
"Ich weiß", entgegnet Opa Hans: "Aber wieso sollte ich alles dezidiert erzählen, wenn es doch schon niedergeschrieben steht - ich bin doch nicht blöd!"
"Und wie sollen wir an die Information über dieses Bewerbungsgespräch kommen?"
"Tja", meint Opa Hans: "Wächter werden. Etwas anderes wird dir wohl kaum übrig bleiben. Schauen wir doch mal, was nach Lillis anschließenden Fortgang passierte:
Kanndra war gerade dabei Akten zu sortieren, als es an der Tür klopfte. "Herein!"
Ophelia Ziegenberger trat ins Zimmer und knickste: "Sie haben mich herbestellt, Mä'äm?"
Kanndra nickte: "Das stimmt. Du erhältst hiermit die Anweisung, unseren Neuzugang, Gefreite Lilli Baum, zur verdeckten Ermittlerin auszubilden."
"Es wird mir ein Vergnügen sein, Mä'äm."
"Und noch was. Sorg' dafür, dass sie an einem Schreibkurs teilnimmt. Nur für den Fall, das sie es nicht von alleine macht."
"Ein Schreibkurs, Mä'äm? Warum das?"
"Nun, lass es mich so ausdrücken: Wenn sie nicht bald etwas schneller schreibt, wird das eine sehr lange Ausbildung. Am besten du planst schon einiges an Wartezeit ein."
Ophelia schaute etwas verwirrt, knickste dann aber: "Auftrag wird ausgeführt!"
"Gut. Du kannst gehen."
Als Ophelia den Raum verlassen hatte, hielt Kanndra noch einen Moment inne.
'Vielleicht hätte ich sie vorwarnen sollen... Aber früher oder später findet sie es sicher von alleine heraus.'Währenddessen war Lilli draußen auf den Straßen Ankh-Morporks unterwegs. Sie hatte ihr weniges Hab und Gut (sie besaß so gut wie nichts, das meiste Zeug, dass sie durch die Gegend schleppte war von der Stadtwache gestellt) schon längst kurzerhand in ihrem neuen Büro abgeladen und wollte nun eine alte Rechnung begleichen. Naja, eigentlich war die Rechnung erst drei Tage jung, aber 'eine alte Rechnung begleichen' klingt viel besser als 'eine neue Rechnung begleichen'.Ich weiß, wovon ich rede, ich bin schließlich Erzähler."
"Blabla."
"So etwas gehört sich nicht!" Opa Hans warf dem Sonnendach von Ö einen mit vor Autorität nur so strotzenden Blick zu: "Man unterbricht keine Erwachsenen! Aber ich bin nicht so und fahre lieber mit meiner Erzählung fort. Lilli betrat also die Kneipe, in der der Wirt gerade dabei war, Kaugummis unter einem Tisch abzukratzen. (Die Farbe der Kaugummis stach sich nämlich mit dem Farbton der Fettpatina an den Wänden.) Als er Lilli erblickte, begann er zu strahlen: "Aah! Ich habe schon auf dich gewartet!"
Ein etwas klügerer Wirt mit mehr Menschenkenntnis hätte nicht so gestrahlt. So einer hätte nämlich schon vorher Lilli angesehen, dass sie nicht gerade ein Krösus war. Dieser Wirt freute sich aber auf die Unmengen von Geld, die ihm Lilli bestimmt gleich bezahlen würde.
Der Wirt stand auf und reichte Lilli einen eigens vorbereiteten Zettel, bei dem er sich extra von jemanden, der lesen konnte, hatte helfen lassen.
Lilli, die nichts böses ahnte - sie war zu betrunken gewesen, um wirklich zu realisieren, wie viel sie und die eingeladenen Wächter an diesem verhängnisvollen Abend da getrunken hatten - nahm die Rechnung und betrachtete diese wortlos. Ihre Augen weiten sich jäh, als sie die Zahl unten an der Rechnung erblickte. Sie warf einen zögerlichen Blick zu dem Wirt zu, der sie immer noch freudig anstrahlte. Lilli schluckte, es war wohl an der Zeit, sich feige aus der Affäre zu ziehen.
Sie kippte einfach um.
Etwas später erwachte sie wieder aus ihrer Ohnmacht. Als Lilli die Augen öffnete sah sie leider aber statt dem Gesicht eines beliebigen irren Arztes nur den besorgten Wirt. Lilli seufzte. Sie war anscheinend nicht geschockt genug gewesen, um lange genug ohnmächtig zu werden, um aus der Kneipe geschafft zu werden.
Vielleicht sollte sie noch einmal einen Blick auf die Rechnung werfen. Oder sich ein paar Zwerge mit gefährlichen Äxten vorstellen. Dann sah sie aber in das Gesicht des Wirtes und seufzte erneut.
So einfach ging das nichts, diese Sache musste sie wohl oder übel ausbaden.
Lilli holte sich ihr Schreibzeug hervor (dass sie immer bei sich trug) und begann eines ihrer 100% holzfreien Kärtchen zu beschreiben. Nach 20 Minuten reichte sie es dem Wirt.
Dieser schaute mehr als enttäuscht: "Was? Du hast kein Geld?"
Lilli nickte und schaute betrübt zu Boden. Dann aber fasste sie sich und beschrieb ein zweites Kärtchen. Dieses war schon nach 17 Minuten fertig. Auch dieses überreichte sie dem Wirt.
"Du willst die Schulden Rattenweise bezahlen?" Der Wirt schien zu überlegen und ging einige Male in der Kneipe auf und ab.
Währenddessen setzte sich Lilli auf einen Stuhl. Der Boden war auf Dauer doch etwas unbequem. Zumindest, wenn man nicht bewusstlos war."Du solltest besser abhauen! Beeile dich, solange der noch nachdenkt!", rief ein kleines, dünnes Stimmchen.
Ein anderes kleines, dünnes Stimmchen entgegnete: "Aber Lilli, das kannst du doch dem armen Wirt nicht antun! Du willst ihn doch nicht in die Insolvenz treiben!"
Lilli wusste zwar nicht, was Insolvenz bedeutete, aber so wie es das zweite Stimmchen betonte, musste das etwas schlimmes sein. Die Gefreite rieb sich nach einer Weile die Augen und schüttelte ihren Kopf. Dann schaute sie noch einmal. Doch tatsächlich, vor ihr schwebten zwei kleine Dämonen, einer knallrot und mit einer geklauten Kuchengabel aus Silber, der andere strahlend weiß mit einem Nachthemdchen, wie es Puppen für gewöhnlich trugen. Und beide führten eine ethisch moralische Diskussion:
"Dieses Etablissement gehört zu den Kleinbetrieben, und diese sind mehr als erhaltenswert, schließlich bilden sie doch das Rückrat der Ankh-Morporkinischen Gesellschaft."
"Aber sie hat kein Geld. Er hätte das vorher wissen müssen, dass sie nicht bezahlen kann."
"Nein, er ist nur ein herzensguter Mann, der seinen Mitbürgern vollstes Vertrauen entgegenbringt."
"Herzensgut? Vertrauen? Ein Wirt der in Ankh-Morpork tätig ist. Seit längerer Zeit?!""Bringt mir ein Handtuch!", rief der Wirt unvermittelt.
Die beiden Dämonen verpufften schlagartig und Lilli runzelte die Stirn.
Der Wirt dachte, dass sich dies auf seinen Ausruf bezog: "Ähm... Das ist der Ausruf von irgend so einem Ausländer, der saß mal in der Badewanne, und dann hatte er einen Einfall. Und dann rief er "Bringt mir ein Handtuch!". Ähm... aber in dessen Sprache heißt Handtuch Heurecka oder so ähnlich. Aber ich glaube, ich weiß, was du vorhin meintest, 'ratenweise' und nicht 'Rattenweise'. Hätte mich auch sehr gewundert, ich besitze schon genug eigenes Ungeziefer!"
Lilli nickte heftig.
"Oh gut!", sagte der Wirt. Dann überlegte er einen Moment lang: "Du könntest als Cocktailmischer aushelfen!"
Lilli sah ihn an, als hätte er nicht alle Tassen im Schrank. Wie kam der auf die dämliche Idee, dass sie Cocktails mischen konnte? Das war doch vollkommen absurd.
Der Wirt, der sie ja nicht wusste, dass das nur an dem übermäßigen Alkohol gelegen hatte, schien etwas verwirrt. Dann zuckte er aber mit den Schultern. Wahrscheinlich wäre es eh besser, keine Cocktails zu verkaufen, denn seine Kneipe war doch eher Treffpunkt für Leute des niederen Milieus. Was den hohen Prozentsatz an Wächtern erklärte.
Es war schon erstaunlich, dass er so ein schweres Wort wie 'Milieu' kannte.
"Du kannst ja abends Gläser spülen", sagte dann der Wirt, woraufhin Lilli nickte.
Sie zog eines ihrer Kärtchen hervor und begann zu schreiben. Nach 23 Minuten reichte sie es dem Wirt: "Du willst dir noch ein paar Nebenjobs suchen? Eine gute Idee, mach das. Je eher du deine Schulden abbezahlt hast, desto besser."
Lilli nicke und machte sich ein gedankliches Memo, dass sie sich auf keinen Fall mehr hinterrücks befördern lassen durfte. Das wäre ihr finanzieller Ruin. Später am selben Tag holte sie Horatius ab. Dieser hatte nämlich einen gewerkschaftlich garantierten freien Tag gehabt. Es war übrigens Lillis Idee gewesen, dass Horatius der Gewerkschaft beitrat. Sie hatte das für eine GUTE IDEE gehalten..., Das hatte Lilli allerdings während dem Bewerbungsgespräch vergessen, so dass sie einem plötzlichen Geistesblitz folgend einfach behauptete, dass Horatius seinen freien Tag hatte. Ja, Kinder, es stimmt. Auch wenn es sehr, sehr seltsam klingen mag,
Als sie den Kasten gerade in R(a)UM 6 abstellen wollte, betrat Ophelia Ziegenberger das Zimmer. Sie deutete auf Lilli: "Hallo, du bist doch sicher Gefreite Baum!" Lilli nickte.
"Ich bin Ophelia Ziegenberger und soll dich ausbilden."
Lilli schnappte sich eine von Ophelias Händen und schüttelte diese.
"Ähm... ja. Sehr erfreut", sagte Ophelia und entzog ihre Hand Lillis Griff. Dann maß sie die Gefreite von Kopf bis Fuß und versuchte sich ein Bild von dieser zu machen.
Ophelia war nämlich nervös, sehr sogar, denn sie war sehr um das Wohl ihr anvertrauter Personen besorgt. Sie wollte auf keinen Fall etwas falsch machen, sie konnte sich an die eigenen Fehler bei Abschluss ihrer eigenen Ausbildung erinnern. Sie würde nicht zulassen, dass Lilli am Ende so ein Malheur wie ihr passierte.
Ja, Ophelia war eine sehr ambitionierte und gewissenhafte Ausbilderin.
"Gefreite Baum, wir werden es langsam angehen. Besorge dir heute erst mal eine RUM-Uniform, in dem GRUNDzeug kannst du beim besten Willen nicht herumlaufen, dann richtest du dich hier ein wenig ein. Morgen beginnen wir mit dem theoretischen Unterricht.
Lilli salutierte zackig. Ophelia verließ den Raum, denn sie hatte noch anderweitig zu tun.Die Gefreite stellte ihre Sachen (hauptsächlich Schreibutensilien) auf den Teil des großen zentralen Tisches, der noch frei aussah, und schaute sich um. Der Raum wirkte ihrer Meinung nach kalt und steril, es fehlte dieses baumige Etwas. Aber darum würde sie sich später kümmern.
Allerdings fehlte noch etwas anderes, etwas entscheidendes und DAS duldete keinen Aufschub.
Lilli stellte noch Horatius Kasten (an dem sie eine praktische Schnurr angebracht hatte, so dass sie diesen wie eine Umhängetasche tragen konnte) ab, schrieb schnell (also innerhalb von 17 Minuten) eine Nachricht für den schlafenden Dämon (er hatte ja seinen freien Tag) und machte sich dann auf den Weg.
Ihr Ziel war klar, das Wachhaus in der Kröselstraße. Lilli spazierte pfeifend in die Grundkantine. Dort schaute sie sich um. Außer zwei Rekruten, die sich offensichtlich sehr in ein Gespräch vertieft waren, war niemand anwesend. Leise ging Lilli zu der Kaffeemaschine hinüber und klopfte an diese. Paul, der Kaffeedämon und einer der wenigen Freunde Lillis in der Wache schaute heraus: "Hey, ich habe heute schon 34 Tassen gekocht! Ich mag nicht mehr... oh, du bist's Lilli. Wie geht es dir?"
Lilli legte verschwörerisch den Finger an die Lippen, woraufhin Paul schwieg. Dann griff sie in ihre Hosentasche und holte einen gefesselten und geknebelten Kaffeedämon heraus, den sie aus der Kantine vom Pseudopolisplatzwachhaus mitgenommen hatte.
Paul schaute sich das missbilligend an, protestierte aber nicht, als Lilli ihn in die Hände nahm. Verstohlen schaute sie sich um, aber die Rekruten waren immer noch in ihr Gespräch vertieft. Lilli versteckte den Kaffeedämon hinter ihrem Rücken und verließ den Raum unauffällig pfeifend.
Kaum hatte sie das Wachehaus unauffällig verlassen, meldeten sich die seltsamen Hirngespinste zurück. "Findest du das richtig, einfach Dämonen zu entführen?", rief der Dämon in dem Nachthemd.
"Genau, das ist falsch!", fügte der Dämon mit der Gabel hinzu.
"Hey - ich bin der gute, DU musst ihre Untaten fördern."
"Aber ich finde das auch falsch!"
"Also findest du es gut."
"Ja, und somit ist es falsch... ähm... irgendwie bin ich durcheinander gekommen."
"Du fandest es nicht gut, wie sie den Dämon eben behandelt hat."
"Genau, dass war falsch!"
"Nein!", rief das Nachthemdding: "Es war richtig. Mach immer weiter so! Ja, du bist größer als sie, also kannst du sie auch schikanieren."
Der andere Dämon dachte nach: "Kommt mir das so vor, oder haben wir die Rollen vertauscht? Du bist so bitterböse, so kenne ich dich gar nicht."
"Schnauze!", rief der andere Dämon: "Und jetzt rück die verdammte Gabel raus!"
Der andere zuckte zusammen und reichte seinem weißen Kumpanen die Gabel. Dieser riss sie an sich, streifte schnell sein Nachthemd ab, und warf es dem roten zu, der es widerstrebend anzog. Dann wandten sich beide wieder an Lilli.
"Dein Handeln war ethisch nicht korrekt!", sagte der eine.
"Pah! Scheiß auf Ethik! Immer weiter so!"
Lilli starrte die Gestalten recht fassungslos an.
"Du solltest dir anderen Umgang suchen", meinte Paul nach einer Weile.
Die anderen beiden Dämonen erstarrten.
"O-oh!", sagte der eine.
"Mist, er hat uns gesehen!"
Dann verpufften beide.
Paul schüttelte unwirsch den Kopf: "Das sollte dringend der Gewerkschaft gemeldet werden."
Lilli nickte heftig, und machte sich nun ins Pseudopolisplatzner Wachhaus auf, um Paul in die Kaffeemaschine des entführten Dämons zu setzen. Einige Zeit später konnte man Lilli vor der Kleiderausgabe stehen sehen. Sie hatte unbewusst einen Finger in den Mund gesteckt, und überlegte angestrengt, was gleich noch mal ihre Abteilungsfarben waren. Bei den Bewerbungsgespräch war es leicht gewesen, da hatte sie einfach auf Kanndra gezeigt. Aber jetzt wollte ihr partout nicht einfallen, welche Farbe ihre Uniform zu haben hatte.
"Wird's bald?", fragte die Person an der Ausgabe ungeduldig.
Lilli warf noch einmal einen Blick über all die Uniformen, die sie hinter dieser sehen konnte. Irgendwie ließ ihr keine ein Licht aufgehen. Andererseits gab es da ein paar Uniformen, die ihr wahrhaft sympathisch erschienen, in einer Farbe, die sie mit Hoffnung erfüllte.
Lilli zeigte auf eine der grünen Uniformen.
"FROG? Mensch, sag das doch gleich!"
Lilli rollte entnervt mit den Augen und nahm dann aber ihre Uniform in Empfang. Zärtlich strich sie über den eingestickten Frosch. Sie hatte zwar keine Ahnung, was ein FROG sein sollte, aber diese Uniform würde ihr bestimmt Glück bei RUM bringen.
Mit so einer Uniform, in so einer Farbe, konnte doch nur alles gut werden. Und zum ersten Mal fand Lilli, dass es vielleicht doch so keine bekloppte Idee gewesen war, sich der Stadtwache anzuschließen. Wieder etwas später, der Tag wurde langsam zur Nacht, fand man Lilli mit mehren Tassen Kaffee und einer Zeitung in der Kantine sitzen. Neben ihr saß Paul, ebenfalls mit etwas Kaffee. Und Horatius durchforstete gerade die Stellenanzeigen.
"Schau mal Lilli, die suchen etwas in einem Sägewerk. Das wäre doch was! Da kann man mit Holz arbeiten!"
Ein Blick in Lillis kreidebleiches Gesicht ließ Horatius weitersuchen.
"Hm... hier steht, die suchen eine Hilfe beim Geigenbauer in der Petuliengasse. Du selbst musst nicht mit Holz arbeiten, nur Splitter zusammenkehren."
Ein kalter Schauer lief Lilli über den Rücken.
"Auch nicht? Okay, dann suche ich weiter... Oh, in der Besenmachergilde suchen sie einen Buchhalter. Du kannst doch schreiben Lilli, du schreibst ja fast ständig, dass wäre also doch der perfekte Job für dich!"
Die Gefreite verdrehte die Augen. Außerdem kommentierte Paul: "Einen blöderen Job findest du wohl nicht, oder?"
"Dann mach's du doch, Besserwisser!"
"Für dich immer noch HERR Besserwisser."
"Arschloch!"
"Horatius..."
"Aaargh! Ich hasse das! Ich heiße Günther! Günther! GÜNTHER! Willst du es buchstabiert haben?!"
"Sch... Alles wird gut."
"AAARGH!"
Horatius lief knallrot an und verschränkte die Arme.
"Ich will in meine Wohnung zurück!", zischte er, woraufhin ihn Lilli in den Kasten zurücksetzte.
Paul widmete sich derweil den Stellenanzeigen. Es las sie aufmerksam durch, und irgendwann hellte sich seine Miene auf, aber dann entschied er: "Nein, dass ist auch nicht so passend."
Lilli wurde hellhörig und tippte Paul an.
"Was?", fragte er: "Du willst doch nicht tatsächlich so etwas machen, oder?!"
Lilli nickte.
Einige Stunden später spülte Lilli in der Kneipe Gläser. Es war recht ereignislos, die meiste Zeit verteilte sie dabei mit einem Lappen den Schmutz.
Wieder etwas später, es ging so auf zwei Uhr zu, ging zu einem Vorsprechenschweigen. Sie hatte die Anzeige zuvor gründlich gelesen und sich einiges an Gedanken gemacht, wie sie am besten erscheinen sollte. Dann hatte sie sich kurzerhand am Fundus bedient (schließlich hatte es ihr ja niemand verboten) und war an der in der Anzeige genannten Adresse erschienen.
Lilli, deren Kleidung man mit viel Phantasie 'aufreizend rot' bezeichnen konnte, klopfte zaghaft an der Tür.
Ein kleines Fensterchen öffnete sich, und ein grimmiges Auge schaute Lilli an: "Was ist?"
Lilli hob die Zeitung hoch und zeigte auf die Annonce.
"Ach, du bist wegen der Anzeige hier? Dann komm rein!"
Mit einem lauten Knarren öffnete sich die Tür und Lilli huschte hinein.
Wortlos (wie es zu erwarten war), folgte sie dem grimmigen Auge, an dem zufälligerweise ein grimmiger Zwerg hing. Es ging durch schlecht beleuchtete, durchgängig verflieste Korridore.
Eine unheimliche Aura des Sterbens hing in der Luft."Oink?"
JA. DU BIST TOT. WIESO SONST KÖNNTEST DU MICH SEHEN?
"Oink!"
NEIN, DU HAST NICHT AUS VERSEHEN WIEDER MAL AUS DEM KOMISCHEN GLASDING MIT BAUER HUMPES SELBSTGEBRANNTEN GETRUNKEN. DU BIST TATSÄCHLICH TOT.
"Oinkl! Oink!"
SCHAU DIR DOCH DIE SAUERERI AN!
"Oink."
JA, ES IST MIR DURCHAUS BEWUSST, DAS DU EIN EBER WARST.
"Oink!"
ES GIBT KEINE GERECHTIGKEIT, sagte Tod: ES GIBT NUR MICH.
Er seufzte, was wie ein leises Knistern eines Leichentuch klang. JETZT SEI ENDLICH EIN BRAVES SCHWEIN UND KOMM MIT.
Im Vorübergehen spießte Gevatter Tod ein Würstchen mit einem seiner knöchernen Finger auf, während er die Metzgerei wieder verließ. Er benutzte natürlich nicht die Tür...Irgendwann waren Lilli und der Zwerg mit dem grimmigen Auge am Ziel angekommen, ein Schlachtraum, in dem ein Hüne von einem Mann gerade ein großes Stück Fleisch in kleine Fleischstücke hackte.
"Hey!", sagte der Zwerg: "Das ist jemand wegen der Anzeige hier!"
Der Schlächter sah auf und musterte Lilli von unten bis oben. "Ich finde es ja ganz nett, dass sie schon ihre eigene Blutbefleckte Schürze mitbringt, aber eine Frau? Die hat doch nichts in den Armen! Für diese Arbeit braucht man Muskelkraft! Reine Muskelkraft!"
Lilli stemmte sich erbost die Hände in die Seiten und tippte mit dem Fuß auf dem Boden.
"Ha!", sagte der Metzger, du willst es wohl versuchen, oder?"
Er reichte ihr sein Beil und trat einen Schritt beiseite.
Lilli griff danach und fühlte das glatte Holz am Griff. Das war großartig. Holz war immer gut, Holz hatte etwas Vertrautes.
Sie umklammerte den Griff fest mit beiden Händen und schwang dann das Beil weit zurück. Für einen Moment schien Lilli so biegsam wie eine Weide, als sie das Werkzeug peitschenartig nach vorne schnellen ließ. Das Beil raste nach unten, dass Fleischstück zersprang förmlich in zwei Teile, beide landeten auf den Boden.
Anschließend versuchte Lilli mit Puterroten Kopf das Beil aus dem Tisch zu ziehen.
Der Metzger hob eines der Fleischstücke auf, wischte etwas Schmutz herunter und meinte dann mit missbilligen Blick: "Das gute Fleisch! Du brauchst nicht so drauf einzudreschen, das ist doch schon tot. Wir sind hier ein Lebensmitteltechnischer Betrieb und keine Henker! Mädel, für diese Arbeit braucht man Gefühl! Fingerspitzengefühl!"
Lilli ließ enttäuscht die Schultern hängen. Immer machte sie alles falsch, sie konnte nicht einmal richtig ein Stück Fleisch zerhacken.
Trotzdem hob sie den Kopf und schaute den Metzger flehentlich an. verdammt noch mal, sie brauchte den Job, am Ende musste sonst der arme Wirt Insolvenz anmelden!Am nächsten Morgen erschien Lilli in voller Montur und ein wenig übermüdet bei Ophelia. Nicht, dass man ihr das hätte anmerken können, schließlich war sie ein Baum mit wahrhaft eisen... eichener Disziplin. Der ja zufällig auch noch im Stehen schlafen konnte."
Opa Hans begann zu grinsen.
Das Markisenkind begann entnervt zu stöhnen, woraufhin ihn KleinTimmi in die Seite knuffte.
"Still! Er erzählt weiter!"
"Genau!", pflichtete ihm die dicke Bernadette bei. "Ophelia musterte die ihr anvertraute Gefreite sehr, sehr kritisch. Sie umrundete sie einmal und seufzte schließlich.
"Gefreite Baum, habe ich nicht gestern gesagt, dass du dir deine neue Uniform holen sollst?"
Lilli nickte strahlend. Oh, sie mochte ihre neue Uniform, sie war schließlich so schön grün.
"Du erinnerst dich doch sicherlich auch, dass ich gesagt hatte, dass du dir eine RUM-Uniform holen sollst, oder?"
Lilli nickte sogar noch strahlender. Sie möchte diese herrlich grüne Uniform wirklich. Mittlerweile keimte in ihr außerdem der Gedanke, wie froh sie doch sein konnte, bei so einer wundervollen Organisation wie bei der Stadtwache mit ihren einzigartig grünen Uniformen zu sein.
Ophelia seufzte. Das sah gar nicht gut aus. Diese Gefreite schaffte es nicht einmal die richtige Uniform zu besorgen - und da sollte sie verdeckt ermitteln? Sie würde viel Energie in die Ausbildung stecken müssen, damit die Gefreite nicht am Ende dumme Fehler machte. Zum Beispiel mit der Dienstmarke am Revers Drogen einzukaufen.
"Gefreite, dass ist eine FROG-Uniform!"
Lilli lächelte nur. Ein wenig verwirrt war sie aber schon, denn da war dieses Wort schon wieder.
"Das ist die falsche Abteilung."
"?", entgegnete Lilli. 'Die falsche Abteilung von was?'
"Wir sind hier bei RUM. Unsere Abteilungsfarben sind schwarz und dunkelrot, unser Abteilungszeichen ist ein Drache."
'Komisch', dachte sich Lilli: 'Ich hatte immer auf Schnapsdrossel getippt. Oder Schluckspecht.'
"Du trägst eine FROG-Uniform. Das sind die Freiwilligen Retter ohne Gnade. Deren Wappentier ist ein Frosch!"
Sie zeigte auf den eingestickten Frosch auf Lillis Uniform.
"?"
"Du kannst nicht in einer FROG-Uniform herumlaufen, wenn du bei RUM bist."
"?"
"Aaargh!", Ophelia rieb sich den Kopf: "Schau mich nicht so fragend an! Du bist bei RUM, also musst du auch eine RUM-Uniform tragen, dass ist doch selbstverständlich. Du hast dich schließlich für diese Abteilung entschieden!"
Lilli schien einen Moment lang sehr stark zu überlegen, dann griff sie nach dem Kasten in dem Horatius war, und den sie sich umgehängt hatte.
Sie klopfte einmal an diesen und eine Stimme quäkte: "Was ist denn jetzt schon wieder? Ich habe gesagt, ich will nicht gestört werde, ich bin gerade in der Badewanne! Und wackle nicht ständig so mit dem Kasten, du verschüttest mein ganzes Badewasser! Außerdem rede ich nicht mehr mit dir!"
Lilli seufzte, und holte ihr Schreibzeug wieder heraus. Da Horatius anscheinend anderweitig beschäftigt war, benutze sie halt die Oberseite des Kastens als Schreibunterlage. Dann begann sie langsam und steig eines ihrer Kärtchen zu füllen.
Ophelia schaute sich das einige Minuten an.
"Gefreite, was machst du da?"
Keine Antwort.
"Gefreite, hättest du vielleicht die Güte mit mir zu reden?"
Lilli rollte mit den Augen, und griff in ihre Hosentasche und kramte alle Kärtchen heraus, die sie vor einiger Zeit beschriftet hatte. Sie schaute kurz durch, und reichte Ophelia zwei davon.
Auf der einen stand "Bäume reden nicht." Und auf der Anderen "Ich bin ein Baum."
Ophelia schaute etwas verwirrt: "Ähm. Natürlich. Das hätte ich wissen müssen."
In Gedanken fügte sie hinzu, dass sie dringend die Akten dieser Gefreiten lesen sollte. Sie wollte eigentlich unvoreingenommen die Ausbildung beginnen... aber in manchen Fällen...
Dann fiel ihr ein, dass Kanndra eigentlich diese geringfügige Tatsache hätte erwähnen können.
Nach etlicher Zeit war Lilli mit dem neuen Kärtchen fertig und reichte es Ophelia, welche zu dem Zeitpunkt schon längst zu dem Schluss gekommen war, dass zumindest diese Sache mit dem Schreibkurs eine verdammt gute Idee von Kanndra gewesen war.
Ophelia starrte das Kärtchen eine Weile an. "Ist das dein Ernst? Du willst tatsächlich wissen, ob du nicht die Abteilung wechseln könntest, damit du dir keine neue Uniform holen musst?! Das kann doch nicht dein Ernst sein!"
Miss Ziegenberger fühlte sich ernstlich gekränkt.
Lilli hingegen nickte fröhlich.
"Hey, du willst doch nicht etwa wegen einer blöden Uniform einfach die Abteilung wechseln! Du hast dich doch schon längst für RUM entschieden! Und RUM ist eine gute Abteilung, eine tolle Abteilung, wir haben Mut, Courage und Ehrgefühl! Wir sind die angesehenste und wichtigste Abteilung der gesamten Wache! Außerdem kannst du nur bei RUM verdeckte Ermittlerin werden."
Lilli überlegte einen Moment und zuckte dann mit den Schultern.
"Wieso hast du dich dann überhaupt bei RUM als verdeckte Ermittlerin beworben?!"
Lilli legte den Kopf schief und sah Ophelia aus großen runden Augen an.
"Bei Grund sind doch Unmengen an Broschüren, bei denen findet man unter anderem auch die Farbe der Uniformen heraus!"
"!", entgegnete Lilli, als sie endlich verstand. Sie nickte heftig und klopfte dann auf Horatius' Kasten.
"Was ist?", fragte dieser unwirsch.
Ophelia wirkte mit einem Male entsetzt: "Du willst doch nicht etwa andeuten, dass du einen DÄMON deine Spezialisierung hast aussuchen lassen?!"
Lilli nickte strahlend.
"Nur wenn man den Terminus 'aussuchen lassen' sehr, sehr weit auslegt...", entgegnete Horatius säuerlich.
Ophelia wirkte verwirrt.
"Nun...", fuhr Horatius fort: "Zuerst überflog sie sämtliche Spezialisierungen, konnte sich aber offensichtlich nicht entscheiden..."
Das stimmte. Lilli konnte sich tatsächlich nicht entscheiden. Mehrere Spezialisierungen klangen verdammt gut. Zum Beispiel Gerichtsmediziner - da bekam man den Dünger ja sogar geliefert! Und da sie sich nicht entscheiden konnte, entschied sie, dass das Schicksal das machen sollte. Aber da das eben nicht verfügbar war, musste Horatius herhalten.
"Auf einmal hängte sie sämtliche Broschüren ans schwarze Brett und dann holte sich mich aus meiner Wohnung heraus. Und dann..."
Horatius Stimme begann zu zittern. Zum Einem wegen der Furchtbarkeit seiner Erinnerung, zum anderen, weil er stinksauer war. Sein Zorn war schon physisch, erkennbar an dem starken Geruch nach Leberwurst[13].
"Lilli!", zischte der Dämon: "Hat mich gepackt, und dann... dann..."
"Dann, dann?"
"Mich auf das schwarze Brett geschleudert!"
Einen Moment lang herrschte absolute Stille. Nur Lilli grinste. Die Methode war ideal gewesen! Und hätte sich Horatius in seiner Angst am mehr als einer Ausschreibung geklammert, dann hätte sie ihn halt noch einmal geworfen.
Die Gefreite schaute zu Ophelia, deren Mund unbewusst aufgeklappt war. Die verdeckte Ermittlerin fasste sich und klappte ihre Oralöffnung zu. Um sie sofort wieder koordiniert zu öffnen und schließen. Mit anderen Worten, sie sagte: "Ich habe ja schon gehört, dass manche Leute Zettelchen aufhängen und dann mit Wurfpfeilen darauf werfen... Aber mit einem Dämon? Das ist selbst mir neu..."
Lilli grinste breit.
"Gefreite, ich muss aber noch anmerken, dass ein solches Verhalten nicht zu billigen ist..."
"Genau!", rief Horatius dazwischen: "Ich bin nämlich ein sehr sensibler und zartfühlender Dämon!"
"... denn Dämonen beschwören zu lassen ist teuer, und die Wache wird dir keinen neuen bezahlen!"
"Was?!", rief Horatius: "Blöde Kuh!"
Ophelias Oberlippe zuckte ein wenig: "Gefreite, dieses eine Mal werde ich dir aber nachsehen, denn..." die Ausbilderin wandte sich jetzt mehr an den Dämon als an Lilli: "Denn wenigstens hat der Dämon damit wenigstens etwas SINNVOLLES getan!"
"Pah!", rief Horatius und verzog sich beleidigt in seinen Kasten zurück.
"Naja", sagte Ophelia: "Wir sollten lieber so langsam mit der Theorie beginnen. Aber vorher möchte ich mir einen Überblick darüber verschaffen, was du eigentlich so in GRUND gelernt hast."
Lilli nickte heftig.
"Dann sollten wir auch sofort anfangen. Folge mir."
Ophelia marschierte los, die Auszubildende hinterher.
Nach einer Weile standen sie draußen auf dem Übungsplatz, auf dem gerade nichts los war. Wahrscheinlich waren die anderen Wächter mit Arbeiten beschäftigt.
"So Lilli, ich habe uns den Schlüssel für den Waffenschrank geholt, ich möchte nun, dass du mir zeigst, was du beim Waffentraining gelernt hast."
Ophelia ging zum Waffenschrank und schloss diesen auf. Dann suchte sie ein wenig darin herum und reichte Lilli schließlich ein Übungsschwert. Dann zeigte sie auf eine schon leicht lädierte Strohpuppe: "Das ist dein Gegner, dann leg mal los."
Lilli betrachtete das Schwert mit kritischem Blick. Unangenehme Erinnerungen keimten in ihr auf. Und sie erinnerte sich daran, festgestellt zu haben, dass Waffen doof sind. Zumindest stellte sie es jetzt fest.
Sie ließ das Schwert auf den Boden fallen und trat schaudernd zurück.
"Gefreite, was wird das? Du hattest doch Schwerttraining, oder?"
Lilli nickte. Genau das war ja das Problem gewesen.
Ophelia schaute ihre Auszubildende zweifelnd an und meinte dann: "Anscheinend willst du nicht mit dem Schwert kämpfen... Aus welchen Gründen auch immer." Ophelia überlegte, ob sie Lilli eine Übungsarmbrust geben sollte, überlegte es sich dann aber anders: "Weißt du was, wir machen es so: Du gehst jetzt in den Schuppen und holst die Waffe heraus, mit der du deiner Meinung nach am besten umgehen kannst."
Die Gefreite begann bei diesen Worten zu strahlen, klatschte in die Hände und verschwand im Schuppen.
Ihre Vorgesetzte schaute ihr Stirn runzelnd hinterher.
Einen Moment später kam Lilli wieder aus den Schuppen heraus, und Ophelias Stirnrunzeln wurde sogar noch tiefer: "Was willst du mit der Hellebarde?!"
Lilli zeigte auf die Strohpuppe.
"Das kann doch nicht dein Ernst sein! Lilli, um Himmels Willen! Hellebarden sind unpraktisch, unhandlich und ununauffällig. Hellebarden haben hauptsächlich dekorative Funktion. Sie sehen gut aus, aber sie sind in den engen Gassen der Stadt unbrauchbar."
Die Gefreite verschränkte beleidigt die Arme.
"Jetzt glaube mir doch, wir benutzen normalerweise keine Hellebarden. Die taugen nichts."
Lilli schaute finster aus der Wäsche.
"Nun glaube mir doch, ich meine es nur gut mit dir."
Die Gefreite warf ihrer Ausbilderin einen giftigen Blick zu und hob dann die Hellebarde.
"Um Himmels Willen! Was hast du vor?! ... Lass sofort die Waffe fallen, das ist ein Befehl, Gefreite!"
Die Gefreite hörte Ophelia zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr zu. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das Holz.
Holz war gut, Holz war toll.
Schließlich war sie ja ein Baum, und die bestanden bekanntermaßen aus Holz.
Bis vor einer Weise hatte Lilli ab und an emotionale Probleme gehabt; aber seitdem Phase zwei des Zaubers begonnen hatte, ging sie die Sache wesentlich gelassener und professioneller an.
Vorher war sie verunsichert gewesen und wollte sich anpassen, hatte gezweifelt, ob sie wirklich ein Baum werden konnte.
Nun wusste sie es, und dass änderte alles.
Zum einen scherte sie sich nicht mehr um jedes dahergelaufene Holzstück. Nur um welche, die sie persönlich kannte.
Und zum zweiten fühlte sie sich seit dem Erreichen der zweiten Phase viel baumiger als vorher.
Lilli konnte das glatte Holz des Hellebardenstiels fühlen. Glattes Holz, das in mikroskopischer Auflösung zigfach gefurcht war. Sie hatte nicht die Hellebarde im Griff, sondern das Holz. Somit war die Waffe wie eine Verlängerung ihres Armes untrennbar mit ihr verbunden. Bis sie sich eventuell entschied sie fallen zu lassen.
Wie im Trance schwang Lilli die Hellebarde einmal herum und visierte ihr Ziel an. Ein kurzer Sprint -erstaunlich wie mobil ein Baum sein konnte - schon hatte sie ihr Ziel erreicht. Sie holte aus und schlug zu.
"Lilli!", rief Ophelia verärgert: "Sie dir an, was du angerichtet hast!"
Die Gefreite blinzelte und besah sich den Schaden genauer. Der metallene Teil der Hellebarde steckte im Puppentorso, und Stroh rieselte heraus.
"Komm wieder her!"
Die Gefreite errötete leicht, drehte sich um, um zu Ophelia zurückzukehren. Bedauerlicherweise klappte das nicht ganz, nach einem Schritt flog Lilli auf die Nase. Ein trockenes Knirschen verriet, dass der Hellebardenstiel zerbrochen war.
Die verdeckte Ermittlerin in spe hatte doch glatt vergessen, das Holz wieder loszulassen.
Lilli nahm die Hand von den Überresten der Hellebarde, rappelte sich auf, und klopfte sich den Staub aus der FROG-Uniform. Dann kehrte sie zu Ophelia zurück, mit einem beschwichtigenden Grinsen auf den Lippen.
"Was habe ich dir gesagt? Da siehst du es. Wenn ich dir etwas sage, dann solltest du auch darauf hören Gefreite. Schließlich kenne ich mich besser aus, ich habe meine Ausbildung schon lange hinter mir. " Ophelia überlegte einen Moment und fuhr dann fort: "Ich werde darauf verzichten, mir eine Strafe auszudenken, weil du meinen Befehl nicht befolgt hast. Aber das mir das nicht noch einmal vorkommt!"
Lilli nicke schuldbewusst und schaute zu Boden.
"Dann lassen wir es mal gut sein."
Ophelia warf einen Blick auf die Strohpuppe mit den Hellebardenresten. Erstaunlich, wie schnell doch eine Waffe zerbrechen konnte. Die Übungshellebarden waren zwar bekanntlich sehr, sehr alt, aber SO alt?
"Folge mir Lilli, Zeit für etwas Theorie."
Ein wenig später saßen sie in ihrem Büro, in dem sich, wie es zu erwarten war, ihre dritte Zimmergenossin nicht aufhielt. Ophelia wies Lilli an, sich auf einen Stuhl zu setzen und holte dann ein Buch aus ihrem Schreibtisch. Sie pustete den Staub davon herunter, schlug es auf und positionierte sich dann vor Lilli.
Ophelia hatte extra am Vortag den Bibliothekar der unsichtbaren Universität aufgestöbert und ihn eine halbe Stunde lang bequasselt, bis er ihr dieses Buch geliehen hatte. Ophelia nahm die ihr anvertraute Sache sehr ernst.
"Also Lilli, hier im 'Ultimativer Guide zur verdeckten Ermittlung' steht als erste Regel, fettgedruckt und in Versalien: 'Das allerwichtigste beim verdeckten Ermitteln ist die verdeckte Identität. Der verdeckte Ermittler darf nie so weit gehen, dass seine geheime Identität vor Beendigung der verdeckten Ermittlung aufgedeckt wird. Und auch nicht danach! Die Verkleidung ist in vielen Fällen der einzige Schutz des verdeckten Ermittlers und sie ist sein Lebensunterhalt. Denn wenn ein verdeckt Ermittler nicht verdeckt ermitteln kann, dann ist er kein verdeckter Ermittler, weil verdeckte Ermittler verdeckt ermitteln, und wenn sie das nicht tun, dann steht ihnen nicht das Gehalt eines verdeckten Ermittlers zu, weil verdeckte Ermittler verdeckt ermitteln.' Ähm..." Ophelia stellte überrascht fest, dass die fette Großschrift sich noch dreiundzwanzig Seiten hinzog. Auch wenn es erstaunlich war, in wie vielen Facetten die Worte 'verdeckt' und 'ermitteln' auftauchten.
"Hast du begriffen, worauf es ankommt?", fragte Ophelia und klappte das Buch zu.
Lilli nickte. Natürlich hatte sie das. Es war ganz einfach: 'Man bekommt nur Gehalt, wenn man sich vorher verkleidet.'
"Dann erkläre ich die heutige Lektion für beendet. Denn ich habe noch einige Fälle zu bearbeiten und du sollst die Gelegenheit haben, dich, wie von Kanndra angeordnet, einem Schreibkurs zu unterziehen. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass man sich heute bei Misjö Jaque zu seinem nächsten Kurs anmelden kann."
Ophelia reichte Lilli eine Broschüre. Diese salutierte und verließ den Raum.Das Geschehen danach war nicht besonders ausführenswert. Ich erlaube mir daher, die Ereignisse kurz zusammenzufassen: Lilli ging zu Jaque, meldete sich bei dem Schreibkurs an, dann meldete sie sich wieder zum Gläserspülen und anschließend ging sie zu ihrem Nebenjob.[14] Am nächsten Morgen, der bemerkenswert rasch begann, was wohl daran lag, dass Lilli keine Gelegenheit zum Schlafen bekommen hatte, meldete sich die Gefreite wieder bei Ophelia.
"Gut, gut", sagte diese: "Lass uns weiter mit der Theorie machen."
Die Ausbilderin hatte das Buch vom Vortag wieder zurückgebracht, denn lieber schlechter Unterricht, als ein mieses Lehrbuch.
"Also, wie du dich sicher erinnern kannst, ist die Grundlage des verdeckten Ermittelns die Verkleidung. Hörst du mir eigentlich zu?"
Lillis Blick wirkte leicht trüb, aber als diese nach einer Weile langsam nickte, fuhr Ophelia Stirn runzelnd fort:
"Nun, zu einer guten Verkleidung gehört nicht nur die richtige Kleidung und die richtigen Accessoires. Wenn man sich in seinem Milieu nämlich auskennt, dann bemerkt man sofort einen Eindringling, denn diese fallen durch ihr Verhalten auf wie ein bunter Hund. Ähm... Lilli?"
Die Gefreite blinzelte.
"Hm... Nun, ich fahre besser fort. Also, zur Tarnung gehört, wie schon gesagt, nicht nur die richtige Kleidung, sondern auch das richtige Verhalten. Deswegen musst du vorher recherchieren. Finde heraus, wie sich die Leute, bei denen zu ermitteln willst, sich bewegen, wie sie reden, wie sie denken. Und dann benimm dich genauso."
Ophelias Stirn legte sich in Falten: "Außerdem.... solltest du dir in deinem speziellen Fall immer eine verdammt gute Ausrede zurechtlegen, warum du nicht sprichst."
Lilli nickte träge.
"Zudem fällt es auf, wenn du plötzlich irgendwo wie aus dem Nichts auftauschst. Deswegen ist es wichtig, dass du Kontakte hast. Bleib einfach im Gespräch, sei ein Teil der Umwelt, in der du ermittelst. Die sollte in dem Zusammenhang klar sein, dass dein Arbeitstag als verdeckter Ermittler nicht wie früher bei Grund um eine bestimmte Uhrzeit endet und beginnt, verdeckt zu ermitteln ist eine 24-Stunden Arbeit. Allerdings stehst du nie vollkommen alleine da. Willst du dich irgendwo einschleusen, dann werden dir unsere Informantenkontakter von unschätzbaren Wert sein; sie kennen nicht nur die richtigen Leute, die dir helfen können da rein zu kommen, wo du rein musst, nein an sie kannst du auch deine gesammelten Informationen weitergeben. Deine Hauptaufgabe als verdeckter Ermittler besteht nämlich im Sammeln von Informationen. Vermeide irgendwelche Heldentaten, vor allem, wenn sie deine Tarnung auffliegen lassen könnten."
Lilli nickte langsam, wie im Trance.
"Natürlich gibt es Fälle, in denen du eingreifen musst, ein Leben ist wichtiger als deine Tarnung; aber du solltest dich nach Möglichkeit solange wie möglich zurückhalten. Es ist schon passiert, dass ein verdeckter Ermittler voreilig gehandelt hat.
Leider gibt es kein Patentrezept, wann man seine Tarnung aufgeben sollte; in der Hinsicht verlässt man sich am besten auf seinen gesunden Menschenverstand und seine Intuition.
Die Intuition ist in dem Job generell sehr wichtig; denn du wirst früher oder später in die Situation kommen, eine kriminelle Tat zu begehen, damit deine Ermittlungen nicht scheitern. Generell gilt eine Art Generalablass für verdeckte Ermittler: Musst du gegen das Gesetz verstoßen, um deine Arbeit zu erledigen, brauchst du hinterher keine Konsequenzen zu fürchten. Jedoch solltest du dir immer zu 110 Prozent sicher sein, dass du das, was du tust, auch wirklich notwendig ist. Sonst darfst du dich nämlich auf jede Menge Ärger mit den Kollegen von den IA einrichten. Zudem gibt es die eine oder andere Grenze, die du bei deinen Ermittlungen auch nie überschreiten solltest. Wir dulden zum Beispiel keinen Mord, da kannst du dir noch eine so gute Ausrede zurecht legen.
Denn egal, was auch immer passiert; du bist und bleibst eine Wächterin. Ein Wächter macht nicht alles, ein Wächter hat ein Gewissen; das ist es was uns zu den Guten macht, auch wenn wir noch so viele Fehler haben und machen. Wir Wächter handeln immer so, dass wir uns am nächsten Morgen immer noch im Spiegel ansehen können."
Ophelia legte Lilli in einem Anflug von Patriotismus die Hand auf die Schulter.
Die Gefreite zuckte unmerklich, und in ihre Augen stahl sich ein wacher Funke. Lilli hatte die letzte Zeit in einer Art Halbschlaf zugebracht.
"Verstehst du, was ich meine, Lilli? Es kommt bei deinem Tun und Handeln ganz alleine darauf an, ob du am nächsten Morgen noch guten Gewissens in den Spiegel schauen kannst. Früher oder später kommt ein Fall, in dem du eine schwerwiegende Entscheidung treffen musst. Aber solange du ein gutes Gefühl dabei hast, solange du auf deinen Verstand und auf dein Herz hörst, kann es nicht falsch sein."
Lilli nickte. Das was Ophelia da sagte, hörte sich mehr als richtig an. Die Gefreite wusste zwar nicht genau, was ihre Ausbilderin zuvor gesagt hatte, aber das war wahrscheinlich nicht so wichtig gewesen. Auf diesen Rat kam es an, dass konnte sie an dem Ausdruck in Ophelias Gesicht sehen.
Ophelia redete noch eine ganze Weile weiter. Sie wies unter anderem darauf hin, dass die Sache mit dem Spiegel auch für Vampire galt, allerdings im übertragenen Sinn. Lilli erfuhr auch, dass sie wahrscheinlich ab und an mit verdeckten Ermittlern zusammenarbeiten werden müsste; denn oft überschnitten sich die Arbeitsbereiche. Außerdem verriet Ophelia der Gefreiten auch den einen oder anderen Trick, wenn es darum ging, die RUM Püschologen davon zu überzeugen einen ein Täterprofil zu erstellen, damit man sich besser in das kriminelle Milieu eingliedern konnte. Die nächsten Tage vergingen für Lilli sehr schnell, denn die Gefreite fand kaum Zeit dazu, sich einen Augenblick der Ruhe zu gönnen, geschweige denn zu schlafen. Die Nächte vergingen mit Gläserspülen und Aushelfen beim Metzger, der Lilli gnädigerweise doch genommen hatte, so dass die Gefreite das Vergnügen hatte, Fleischreste[15] in Därme zu stopfen und das Ganze an einen gewissen T.M.S.I.D.R. Schnapper zu liefern. Die Tage verbrachte Lilli mit Ophelia im Büro, die sehr lange und ausschweifende Vorträge über das verdeckte Ermitteln hielt. Dummerweise war Lilli meist so dermaßen müde, dass sie erst ab drei Uhr nachmittags wieder wach war, so dass sich der Teil mit der grundlegenden Theorie länger hinzog, als es Ophelia gerne gehabt hätte.
"Aber", so pflegte sie zu sagen: "Besser ich lasse Lilli verspätet als verdeckte Ermittlerin antreten, als zu früh." Ab und an wurde Lillis Alttagstrott auch unterbrochen; und zwar von dem Schreibkurs bei Misjö Jaque. Dieser hatte ein eher ungewöhnliches Unterrichtsprogramm; und wenn Ophelia das gewusst hätte, dann wäre die Gefreite nicht gewiss dorthin geschickt worden.
Aber statt euch jetzt damit zu langweilen, wie genau der Lehrplan bei Misjö Jaque aussah, lasse ich euch lieber bei einer seiner Stunden Mäuschen spielen, das ist zudem wesentlich eindrucksvoller.
"Madmoselle Baum, sie mac'en das falsc'!"
Lilli schaute von ihrem Blatt auf und hielt im Schreiben inne.
"Sie müssen die Feder so 'alten, dann sind Sie dreimal so sc'nell!"
Misjö Jaque, der ein lila Wams, eine weiße Hose und einen gewaltig großen Schlapphut mit einer wirklich gigantischen Feder trug, zeigte Lilli wie man es richtig machte.
Die Gefreite hob eine Augenbraue, versuchte die neue Griffhaltung und schrieb weiter den Text ab, den sie abschreiben sollte.
"Genau!", sagte Misjö Jaque: "So langsam 'aben Sie es raus. Wenn Sie so weitermac'en, dann be'errsc'en Sie die Kunst des Steno!"
Lilli begann zu lächeln, während ihre Feder förmlich über das Papier flog. So schnell hatte sie noch nie geschrieben, dieser Misjö Jaque war ein wahres Genie! Für einen Text, für den sie für gewöhnlich dreißig Minuten gebraucht hätte, brauchte sie nur noch eine einzige.
Eigentlich hätten alle Beteiligten am Ende des Schreibkurses so freudig jauchzen sollen, wie Lilli, die mit Bravour abschloss, und Jaque, der sie für ein 'Wa'res Talent' hielt - allerdings war Ophelia nicht besonderes angetan, dass Lillis Schrift nun kryptischer war, als mehrere tausend Jahre alte klatschianische Hieroglyphen. Denn besagtes Steno benutzte statt der normalen Buchstaben verschiedene Striche, mal dicker, mal dünner und war damit perfekt geeignet um sich innerhalb von kürzester Zeit Notizen zu machen. Allerdings kam hinzu, dass Lillis Schrift noch unordentlicher wurde; außerdem stieg die Anzahl ihrer orthographischen Fehler expotenzial. Da es Ophelia - ganz im Gegensatz zu Misjö Jaque - nicht nur auf die Schreibgeschwindigkeit ankam, suchte sie kurzerhand einen zweiten renommierten Schreibkurs heraus, der KEI N Steno lehrte, heraus und ließ Lilli sich dort einschreiben." "Oh, war das jetzt aber eindrucksvoll. Ich kann mich vor Begeisterung gar nicht mehr halten", sagte ein gewisser Adelsspross und gähnte um den Sarkasmus das Sahnehäubchen aufzusetzen.
"Wenn es dir nicht passt, dann kannst du ja gehen", zischte Opa Hans eisig: "Aber ich erzähle jetzt weiter. Denn dadurch, dass ich diesen Kurs kurz abgehandelt habe, kann ich die Geschichte heute noch zu Ende erzählen. Also, Lilli wurde zu einem zweiten Schreibkurs verdonnert. Aber zugleich hatte Ophelia noch eine Mitteilung für sie: "Gefreite, ich denke, du bist jetzt bereit, mit der nächsten Phase der Ausbildung zu beginnen."
Lilli, die sich bereits an die Monologe über diverse Aspekte der Arbeit eines verdeckten Ermittlers gewöhnt hatte, fühlte sich leicht überrumpelt.
Entgeistert starrte sie Ophelia an.
Lillis Ausbilderin achtete nicht darauf und fuhr fort:
"Da wir jetzt ausgiebig sämtliche theoretischen Aspekte besprochen haben, wird es an der Zeit, dass du die eine oder andere praktische Erfahrung machst. Dazu habe ich bei den Kollegen von DOG nachgefragt, die so freundlich waren, einen Schminkkurs bei den Damen des Boucherie Rouge für dich zu organisieren. Außerdem hat sich Kathi bereit erklärt, dich einmal mitzunehmen, damit du Einblick in die Arbeit eines 'richtigen' Ermittlers erhältst. Der Kurs dauert übrigens die ganze nächste Woche, du bist für die Dauer offiziell vom Dienst freigestellt."
Lilli salutierte und verließ den Raum.
Ophelia schaute ihr einen Moment lang hinterher und wandte sich dann ihrem 'noch zu erledigen' Stapel' zu. In letzter Zeit hatte sich die Arbeit etwas angehäuft und Ophelia verspürte das dringende Bedürfnis ihrer Spezialisierung wieder einmal nachzugehen. Wenn man über eine Sache sehr viel und ausführlich redete, dann trat meistens immer irgendwann der Drang zu Tage, jene Sache auch einmal auszuüben.
Die Gefreite hingegen beschloss, sich eine kleine Kaffeepause zu gönnen. Sie überlegte ob sie sich einen von Paul machen lassen sollte; entschied sich aber dagegen. Der Gute durfte sich zur Zeit allzu sehr mit Horatius herumärgern, ein Umstand, an dem Lilli nicht ganz unschuldig war. Sie hatte nämlich Horatius Kasten direkt neben Pauls Kaffeemaschine abgestellt und ihn anschließend dort 'vergessen'. Miss Baum hatte die letzten Tage dann jeden Kontakt mit den beiden vermieden, sie war allerdings erstaunt, wie gut sie auch ohne Horatius zurechtkam. Eigentlich logisch, vorher hatte sie es auch geschafft. Und ihre Tage hatten bis zu der Eröffnung eben ja eh größtenteils aus recht einseitigen Monologen bestanden. Lilli bewunderte, wie viel Ophelia sprechen konnte. Ihrer Ausbilderin musste wohl ziemlich viel an der Sache liegen. Lilli begab sich in die Kantine, holte sich beim neuen Kaffeedämonen (der alte war ja auf 'mysteriöse' Art und Weise spurlos verschwunden) eine dampfende Tasse Kaffee, setzte sich an einen Tisch und begann in ihrer Kaffeetasse zu rühren. Die Kantine war leer, wie meistens, was eigentlich sehr seltsam war. Immer wenn Lilli die Kantine betrat war diese wie leergefegt.
Was wahrscheinlich nicht unwesentlich damit zusammenhing, dass jene sich zu den unmöglichsten Zeitpunkten in diesen Raum begab. Vorzugsweise um halb vier Uhr morgens.
Aber ein wenig Ruhe war Lilli ganz recht.
Sie lehnte sich gemütlich auf ihren Stuhl zurück und trank ihren Kaffee. Eigentlich war ihr ganz wohlig zu Mute.
Wenn man es genau nahm, dann war die Wache gar nicht mal so übel. Es war gar keine so schlechte Idee gewesen, wie sie sich nach den ersten paar Tagen bei Grund gedacht hatte.
Lillis Stirn runzelte sich, als sie angestrengt überlegte, warum sie eigentlich überhaupt zur Wache gestoßen war. Dann fiel es ihr wieder ein, dass war die Idee von der Frau mit der Augenklappe gewesen.
Die Gefreite konnte sich noch daran erinnern, wie ihr die Frau damals gesagt hatte, dass sie zur Wache soll: "Lilli, du wirst dich der Stadtwache anschließen. Glaube mir, dass wirst du gewiss nicht bereuen."
Sie war nicht sofort der Wache beigetreten, weil sie dass immer wieder vergessen und in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins geschoben, wo diese Angelegenheit dann mit dem einen oder anderen gut gemeinten und völlig ignorierten Rat Karten spielte. [16]
Als sie dann aber eines Tages in Ankh-Morpork bei dem Versuch, ein Stück Ankh zu trinken, zu ihrer eigenen Sicherheit (und weil man sie zunächst für einen Pantomimen hielt) festgenommen und vorübergehend in eine Zelle gesperrt wurde, stahl sich dieser Rat heimtückisch zurück in ihr Bewusstsein. Lilli war dann einfach nach ihrer Entlassung im Wachehaus geblieben und wurde so zu einer Rekrutin, statt weiter durch die Stadt zu stromern.
Eigentlich komisch, seitdem sie diesen Zauber über sich hatte sprechen lassen, war sie ständig unterwegs gewesen. Wie eine Suche, nur dass sich ihre dadurch auszeichnete, dass sie kein Ziel hatte. Sie war an keinem Ort länger verweilt, weil es dazu keinen Grund gab.
Irgendwann war sie dann in Ankh-Morpork gelandet, wo sie sich einige Tage mit schwachen Interesse umsah.
Lilli stellte überrascht fest, dass sie wohl die Stadt wieder verlassen hätte, wenn sie sich nicht der Wache angeschlossen hätte. Aber besser als dieses ewige 'nach etwas essbaren suchen' war es alle Mal. Sie gab es ungern zu; aber leider war sie noch nicht in der Lage nur von Luft, Wasser und Sonnenschein zu leben, auch wenn sie das gerne so gehabt hätte.
Lilli fühlte sich mit einem Male so furchtbar menschlich. "Sag mal, was treibst du da?", fragte ein gewisser kleiner roter Dämon in einem Nachthemd.
"Ha! Bestimmt faulenzen! Gut so, weiter so!", schaltete sich der weiße Dämon mit Gabel ein.
Innerlich ächzte die Gefreite: 'Nicht die schon wieder...'
"Nein, nein, als guter Wächter sollte sich Lilli lieber darum bemühen, dass sie den anderen hilft."
"Pah! Sie hat schon genug zu tun! Jeder hat ein Recht auf eine Pause, wenn er die Schnauze voll hat!"
"Aber sie hat doch bestimmt keine Zeit dazu! Ich habe in ihren Kalender geschaut, sie hat Morgen einen Termin bei der Püschologin Tussnelda von Grantnick!"
Wie von der Tarantel gestochen schoss Lilli in die Höhe und flitzte in ihr Büro. Wie konnte sie das nur vergessen?
"Hey! Man darf sich nie von seinem Terminkalender versklaven lassen!"
"Pah!"
"Doch ich meine das ernst. Wenn man ständig unter Stress steht, dann kann man eine psychosomatische Erkrankung bekommen."
"Moment!"
"Hm?"
"Sie ist abgehauen!"
"Oh, das habe ich gar nicht bemerkt, los hinterher!" Die beiden Hirngespinste benahmen sich wenig gehirngespinstig."
"Das ist kein echtes Wort", bemerkt der Sonnendachknabe.
"Ach", entgegnet Opa Hans.
"Sie können mir ruhig glauben!" Der kleine Sonnenschutz öffnet ein kleines Buch: "Hier in 'die kleine Gesamtausgabe des Wörteralmanachs für junge Adelige' steht unter Hirngespinst, dass dieses Wort ausschließlich als Nomen existiert."
"Natürlich", erwidert Opa Hans: "Schließlich handelt es sich bei 'gehirngespinstig' um einen wahrlich vollendeten Neologismus. Das wäre also geklärt. Ich fahre nun mit der Schilderung der Püschologischen Sitzung fort."
"Ach was, wie ich Sie kenne, verweisen Sie gleich wieder auf die Wacheakten."
"Hey!", rief KleinTimmi: "Sei nicht so gemein zu Opa Hans, du blÖder Marquise!"
"Genau!", stimmte ihm die dicke Bernadette energisch zu.
"Aber, aber Kinder", sagte Opa Hans in einem beruhigenden Tonfall: "Regt euch doch nicht so auf. Vor allem nicht über so eine grandiose Idee! Ihr könnt wirklich ruhig in den Wacheakten nachlesen; vor allem da währende der Sitzung nicht wirklich viel passierte.
Naja, Tussnelda bekam das zweifelhafte Vergnügen mit Horatius und Lilli sprang aus dem Fenster, weil sie es für unmöglich hielt, ihren Dämon so etwas wie Manieren beizubringen. Dummerweise stand unter dem Fenster ein Karren, so dass sie um den schönsten Selbstmord gebracht wurde. Stattdessen wurde sie von Tussi an Bregs überwiesen und Horatius samt Kasten vor die Tür gesetzt. Am nächsten Morgen, nach eifrigen Ausspülen von Gläsern und der Fertigung von absolut ungenießbaren und wahrscheinlich sogar tödlichen Würstchen, meldete sich Lilli Baum am Boucherie Rouge. "Hallo!", sagte Frau Palm: "Du wurdest uns schon angekündigt."
Lilli nickte. Irgendwie kam ihr die ältere Dame da vorne bekannt vor.
"Nun, meine Mädchen sind derzeit leider allesamt... nun beschäftigt. Deswegen werde ich dich unterweisen. Keine Sorge; ich kenne mich mit solchen Dingen wirklich gut aus, sonst hätte ich es nie zu meiner Stellung als Oberhaupt der Näherinnengilde gebracht."
Nun fiel es Lilli wieder ein; Frau Palm hatte ihr damals einen Kaffee gekocht, als sie auf der Suche nach dem richtigen Wachehaus beim Boucherie Rouge gelandet war. Mensch, wie die Zeit verging...
"Nun folge mir bitte."
Lilli folgte Frau Palm ins Boucherie Rouge und schaute sich verwundert um. Besondere Aufmerksamkeit erregte bei ihr eine kleine rote Laterne. Feuer fand Lilli schon immer furchterregend und eine rote Verkleidung von einem kleinen Feuer tat das übrige dazu.
Zudem konnte Lilli hinter den Türen des Erdgeschosses tiefes Stöhnen vernehmen. Aber Lilli war kein Baum von gestern, sie wusste, was hinter den Türen vor sich ging." "Was denn?", fragt KleinTimmi unvermittelt.
"Es war doch nicht etwa jemand krank?", erkundigt sich die dicke Bernadette besorgt.
"Hey, ihr wollt doch nicht so tun, als ob ihr nicht wisst, was im Hauptquartier der Näherinnengilde vor sich vorgeht?!", entrüstet sich Opa Hans.
"Mein Vater sagt immer, dass dort fleißig genäht wird und dass das eine ebenso wichtige Tätigkeit wie zum Beispiel das Klempnerhandwerk, oder auch alle Berufe, in denen man Braten in Röhren schieben muss, ist", entgegnet KleinTimmi.
"Ach, dann verstehe ich aber nicht, dass meine Mama einen Heulkrampf bekommen hat, als ich ihr gesagt habe, dass wenn ich mal groß bin, dass ich dann die bekannteste und beliebteste Näherin von ganz Ankh-Morpork werden will!", sagt die dicke Bernadette.
Opa Hans fällt wieder ein, dass sein Publikum aus größtenteils zehnjährigen Kindern besteht. Kinder mit Eltern, die ganz und gar nicht begeistert wären, wenn ihre Bagage einfach so über gewisse Dinge aufgeklärt werden würden.
"Pah!", ruft Ihr-wisst-schon-welches-Kind: "Seit ihr wirklich so dumm, oder habt ihr wirklich keine Ahnung, was im Boucherie Rouge vor sich geht?!"
Alle Augenpaare richten sich auf diesen anscheinend schon aufgeklärten Sonnenschutz. Und Opa Hans bricht der kalte Angstschweiß aus.
"Im Boucherie Rouge gehen sie dem ältesten Handwerk der Welt nach[17]: Der Imkerei!"
"Die produzieren Honig?!", fragt eines der anderen Kinder ungläubig.
"Ja genau!", bestätigt Opa Hans schnell: "Die machen dort Honig. Jede Menge Honig. Ihr wisst schon, mit Bienchen und Blümchen." Opa Hans verfällt in einen sehnsüchtigen Tonfall: "Ach, wenn ich mich an früher zurückerinnere... die Sache mit den Bienchen und Blümchen war eine meiner liebsten Beschäftigungen...
Aber ich schweife ab. Wenden wir uns lieber wieder Lilli Baum zu, nicht dass ich am Ende noch Ärger mit euren Erziehungsberechtigten bekomme."
"Wieso sollten die das?"
"Ähm... weil Honig eine sehr klebrige Angelegenheit ist, und kleine Kinder davon Löcher in den Zähnen bekommen."
"Menno."
"Nein, ich mache jetzt weiter. Kinder, ihr lasst gefälligst die Hände vom Honig, zumindest solange ihr die Hebamme... ähm den Zahnarzt nicht aus eigener Tasche bezahlen könnt. Frau Palm führte Lilli in ein kleines Zimmer mit einem großen Bett, auf dem eine Vielzahl von Kästchen verstaut war. Auf dem Bett saßen noch zwei junge Näherinnen, die sich gerade begeistert gegenseitig anmalten.
Als die beiden bemerkten, dass jemand das Zimmer betrat, begann eine zu kichern, während die andere sich lasziv räkelte.
"Hey, benimmt euch!", sagte Frau Palm: "Ich habe euch doch gesagt, dass ihr keine Kunden bedienen müsst."
"Ach so", sagte eine der jungen Damen und entspannte sich sichtlich.
Die andere schaute zu Frau Palm und dann zu Lilli: "Noch eine Neue?"
"Nein", sagte Frau Palm: "Das ist keine von unserem Gewerbe. Das ist Gefreite Lilli Baum von der Stadtwache."
Lilli salutierte sicherheitshalber, weil es ihr an der Stelle angemessen erschien.
"Lass das", wies daraufhin Frau Palm sie zurecht: "Ich bin schließlich kein Vorgesetzter. Die sind im zweiten Stock. Beginnen wir lieber mit dem Unterricht... hey!"
Die beiden jungen Mädchen schminkten sich erneut gegenseitig.
"Ihr seid hier, um zu lernen, wie man sich selbst schminkt! Nicht wie man sich schminken lässt. Also, Adelgunde und Brunhilde, schminkt euch gefälligst ab, damit wir mit dem Unterricht beginnen können."
"Ja, Frau Palm", entgegneten beide Mädchen synchron.
Beide griffen nach einem der Kästen, öffneten ihn und holten einige Tücher und eine Flasche mit seltsamer Flüssigkeit heraus. Sie träufelten etwas von der Flüssigkeit auf jene Tücher und schminkten sich dann ab. Hatten sie zuvor noch wie schillernde Paradiesvögel gewirkt, wirkten sie hinterher etwas hm...farblos. Ja, das ist das passende Wort.
"Gut, dann lasst uns mal anfangen, Mädels; in einer Woche müsst ihr schließlich in euren Heimatort zurück. Beziehungsweise ins Wachehaus. Dann lasst uns mal anfangen."
Frau Palm schob Lilli Richtung Bett, so dass sich diese neben Brunhilde niedersetzte.
"So, die heutige Lektion dreht sich darum, wie man sich so schminkt, dass die Männer alle scharenweise umfallen. Also so, wie es sich für jede gute Näherin gehört. Aber ", Frau Palm wandte sich an Lilli: "Das DU mir ja nicht auf die Idee kommst, so zu tun als wärst du eine Näherin und dann auch noch fürs nähen Geld nimmst. Außer du hast zufällig vor hier in die Gilde einzutreten."
Lilli schüttelte entsetzt den Kopf. Ein Baum der beruflich nähte, so weit würde es bestimmt nicht kommen... Schließlich hatten Bäume keine Berufe, und somit durfte Lilli auch keinen haben.
Die Gefreite sah sich plötzlich mit einem Problem konfrontiert, 'Mist! Das hatte ich gar nicht bedacht!' Sie arbeitete für Geld, also hatte sie einen Beruf. Naja, wenn man es genau nahm, dann war das allabendliche Gläserspülen kein Beruf sondern eine Wiedergutmachung. Und das beim Metzger war nur ein Nebenjob, aber kein Beruf. Einen richtigen Beruf erlernte man.
Verdammt, was trieb sie dann hier? Sie ließ sich ausbilden um später als verdeckte Ermittlerin zu arbeiten. Wenn das kein Beruf war, was dann?
'Lilli, ganz ruhig, dir fällt sicher gleich etwas ein.'
Die Gefreite überlegte sehr angestrengt. Wenn man es ja genau auslegte, dann stammte das Wort Beruf ja von Berufung. Und irgendwie gab es da eine kleine Stimme im hintersten Eckchen ihres Kopfes, das vehement behauptete, dass Verdeckte Ermittlerin nicht ihre wahre Berufung war.
Natürlich nicht, wir wissen es ja, ihre wahre Berufung war Cocktailmischerin. Natürlich aber nur bis zum nächsten Besäufnis.
Wenn also Verdeckte Ermittlerin nicht ihre wahre Berufung war, dann konnte es ja auch nicht ihr Beruf sein. Aber wie sollte sie anderen Bäumen erklären, dass sie als Wächterin tätig war?
Lilli überlegte eine Weile, dann kam ihr ein Geistesblitz. Natürlich, sie behauptete einfach, dass das ihr Hobby war! Wenn auch ein sehr ungewöhnliches, aber Hobbys waren bei Bäumen durchaus üblich. Okay, die meisten Bäume hatten Hobbys wie 'in der Sonne stehen' oder 'rhythmisches Öffnen und Schließen der Spaltöffnungen', aber das war egal, Hauptsache Hobbys waren in Ordnung.
Lilli begann gut gelaunt zu strahlen. Ja, jetzt war alles gut, denn da es ihr ja mittlerweile in der Wache gefiel, wäre es doch verflixt schade gewesen, wenn sie wegen so einer Lappalie hätte austreten und ihre wunderhübsche grüne Uniform zurückgeben hätte müssen. Schließlich hatte sie ja soeben festgestellt, dass es sich hierbei um ein Hobby handelte.
"Ja, diese Einstellung lobe ich mir!", sagte Frau Palm zur begeistert strahlenden Lilli. "Seht ihr Adelgunde und Brunhilde, Lilli hier weiß meinen kurzen Einführungsvortrag über die Inhaltsstoffe von Kosmetika zu schätzen."
Die Gefreite war einen Moment lang verwirrt, wollte sich das aber nicht anmerken lassen.
"So, und da ich jetzt ausführlich darüber referiert habe, beginnen wir nun mit der Grundlage. Wie schminkt Frau sich so, dass sie jeden Kerl dazu bringt, hemmungslos zu sabbern. Also das Standartrepertoire einer jeden Näherin. Beginnen wir also sogleich... hey!"
Frau Palm stemmte verärgert einen Arm in die Seite: "Nicht schlafen!"
Lilli, die nach ihrer Feststellung den Schlaf der Gerechten schlafen wollte, wurde höchst unsanft aus diesen gerissen.
"NIEMAND schläft, wenn ich rede!", zischte Frau Palm sehr ungehalten.
Lilli zuckte zusammen und schaute dann sehr verwirrt auf.
"Also wirklich, als ob ich nicht merken würde, dass jemand vor meinen Augen schläft! Mit offenen Augen, dass ist ja wohl der älteste Trick der Welt. Ich bin Chef der Näherinnengilde, ich kenne mich mit so etwas aus!"
Die Gefreite bemühte sich darum, möglichst reuig zu Frau Palm zu schauen.
"Machen wir also weiter", meinte diese: "Nun, das Schminken selbst ist in diesem Fall nicht wirklich schwierig. Man sollte nur wissen, welche Farben zu einem passen. Adelgunde, du hast eine ziemlich helle Haut und blonde Haare. Zu dir passen eher hellere Farben. Außerdem hast du bezaubernde blaue Augen. Ich würde also sagen, die Lippen rosa dazu blauer Lidschatten. Brunhilde ist hingegen etwas dunkler. Also die Farben kräftiger, für die Lippen zum Beispiel ein volles Rot."
Dann musterte Frau Palm Lilli kritisch: "Hm... Du hast irgendwie etwas sommerliches an dir. Grün... Ja, Grün. Und davon jede Menge."
Lilli hob skeptisch eine Augenbraue. Sommerlich? So ein Zufall, es war gerade Sommer. Dann wurde sie bleich und kam zu einen entsetzlichen Verdacht. 'Jahreszeiten! Oh mein Gott, hoffentlich habe ich nicht Jahreszeiten!'
Jahreszeiten komplizierten die Dinge nur unnötig, Jahreszeiten konnten einen Menschen, der erst ein Baum werden würde, in ganz schön prekäre Lagen bringen. Vor allem der Herbst. Und der Winter. Die Gefreite hatte eigentlich erwartet, dass sie von diesem Phänomen erst in einer späteren Phase des Zaubers betroffen sein würde.
Der Rest des Kurstages verging recht schnell, auch wenn Frau Palm Lilli bei ihrem ersten Versuch sieben Mal sagen musste, dass sie noch viel zu dezent geschminkt sei. Irgendwann ging die erste Lektion zu Ende und Lilli machte sich wieder auf den Weg zum Gläserspülen. Anschließend ging es wieder zur Metzgerei und danach war es schon wieder Zeit für den Kurs bei Frau Palm. "So, heute wenden wir uns der zweiten Lektion zu. Nachdem ihr nun wisst, wie man sich als Näherin zu schminken hat, folgt nun die Lektion, in der ihr lernt, wie man sich so schminkt, dass man eben NICHT wie eine Näherin aussieht. Denn manche Kunden bevorzugen andere Aufmachungen. Dafür gibt es sogar ein besonderes Wort, dass ursprünglich aus Klatsch stammt. Das so genannte 'Lollenspiel'. Eigentlich wird beim traditionellen Lollenspiel nicht genäht, aber bei unserer Adaption schon. Wir haben es auch noch stark vereinfacht, es reicht das richtige Aussehen zu haben, nähen tut man schließlich überall auf die gleiche Art und Weise."
"Aber Frau Palm!", rief da Brunhilde: "Ich habe mal gehört, dass es auf dem Gegengewicht Kontinent Nähmaschinen geben soll."
Adelgunde kicherte, während Frau Palm rot anlief: "Rede nicht so einen Unsinn! Wozu braucht man denn dazu einen Maschine? Selbst ein Laie kann nähen! Und das bestimmt besser als jede Maschine, welcher Art auch immer. Als nächstes behauptest du noch, es gibt Näh-Dämonen..."
Während sich Frau Palm noch ein wenig weiter aufregte, gähnte Lilli herzhaft. Sie war ziemlich müde, traute sich aber nicht ein paar Minuten zu schlafen. Die Gefreite begann langsam das Wachehaus zu vermissen, dort hatte keiner gemerkt, wenn sie ein Nickerchen machte.
Lektion Nummer zwei war um einiges umfangreicher als die erste, weswegen sie am zweiten Tag fortgeführt wurde. (
Natürlich mit entsprechender Pause während der Nacht - sprich Lilli spülte Würstchen und füllte ungenießbare Gläser. Oder so ähnlich...)
Die Gefreite wurde immer müder, als sie lernte, wie man sich als Magd, als Köchin, als Immobilienmaklerin, als Handtaschendiebin, als Fleischfachverkäuferin, als Hexe, als gut situierte Dame, als Vampir, als Drachenzüchterin, als Krankenschwester und als Ankhschifffahrtskapitänswitwenschleierherstellerin schminkte.
"Guten Morgen", sagte Frau Palm am Morgen des vierten Tages: "Kommen wir nun zu Teil drei, nachdem wir 'Schminken wie eine Näherin' und 'Schminken für Lollenspieler' abgehandelt haben, lernt ihr heute, wie man sich schminkt, damit man möglichst maskulin wirkt."
Lilli hob mehr als skeptisch eine Augenbraue.
"Nein, nicht was du jetzt denkst. Es gibt zwar Kunden, die so etwas mögen, aber die wenden sich für gewöhnlich nicht an uns. Was denkst du, macht eine Näherin an einem freien Tag?"
Lillis Stirn zog sich in Furchen, als diese angestrengt nachdachte.
"Ich weiß es!", rief Adelgunde.
"Ich auch!", behauptete Brunhilde.
"Na, dann sagt es, Mädchen."
"Genau das gleiche wie jede andere normale Frau auch!"
"Da habt ihr vollkommen Recht", bestätigte Frau Palm und wandte sich an Lilli: "Du musst wissen, nur weil man näht, kann man sich nicht um seine häuslichen Pflichten drücken. Man will auch nicht sämtliche sozialen Kontakte einschlafen lassen. Allerdings hat man als Näherin oft das Problem, dass man so attraktiv auf die Kerle wirkt, dass frau auf der Straße keinen ruhigen Moment mehr hat. Also muss frau sich ein wenig tarnen, wenn frau mal einen ruhigen Moment für sich möchte. Eine unser beliebtesten Näherinnen hat außerhalb ihrer Arbeitszeit einen gewaltigen Bart, sieht dreiundzwanzig Jahre älter aus und hat sieben Kinder. Nicht einmal ihre Ehefrau weiß, dass sie kein Mann ist." Lilli dachte nach der Lektion während dem Gläserspülen und dem Würstchenfüllen, dass es abgedrehter gar nicht gehen könnte, aber da hatte sie sich geirrt, wie sie am nächsten Morgen feststellen durfte. "Heute, Mädchen, wenden wir uns einer besonders wichtigen Facette des Schminkens zu. Wunden. Genauer gesagt, wie sorge ich für eine täuschend echte Wunde. Nicht dass ihr glaubt, dass wir uns beschäftigen, wie man sie verdeckt."
Die Gefreite starrte Frau Palm entsetzt an. Das konnte doch nicht deren Ernst sein!
"Denn, wie ihr sicher wisst, hilft es bei Meinungsverschiedenheiten bei einem Schiedsgericht ungemein, wenn man die eine oder andere große Fleischwunde vorweisen kann. Kerle sind auch gleich um einiges freundlicher, wenn man ein großes Veilchen hat." Lektion Nummer Fünf, die am sechsten Tag nach einer weiteren schlaflosen Nacht, voller leerer Därme und dreckiger Gläser, folgte setzte dem Ganzen aber das Sahnehäubchen auf. "Heute zeige ich euch, wie man sich schminkt, so dass man wie ein Zombie aussieht!"
Lilli, die sich einen starken Kaffee mitgenommen hatte, und soeben daran genippt hatte, spuckte das Zeug überrascht aus. Sie sah Frau Palm mit einem vollkommen entgleisten Gesicht an.
"Ach", sagte diese: "Du denkst doch nicht, dass wir für Zombies nähen. Abgesehen von der Tatsache, dass Zombies oft Probleme haben gewisse Körperteile zu benutzen, viele Zombies haben auch gar kein Interesse daran, dass man mit ihnen näht. Außerdem wäre es doch ziemlich unangenehm, wenn bestimmte Teile dabei abfallen würden. Zombies haben ganz andere Bedürfnisse, die meisten kommen zu uns, weil sie möchten, dass wir sie nähen, weil sie das nicht selbst können. Außerdem schaffen wir so etwas wie eine familiäre Atmosphäre, indem wir uns den Zombies etwas angleichen. Vielen ist es nämlich peinlich, dass sie nicht selbst nähen können. Und statt eine Näherin zu besuchen, ist es viel weniger peinlich eine Näherin zu besuchen, da die Leute denken, dass die Zombies so richtig genäht werden, obwohl wir sie eigentlich nur nähen. Ihr versteht doch, worauf ich hinaus will!"
"Natürlich!", meinte Brunhilde.
"Logo", bestätigte Adelgunde.
'Hä?!', dachte Lilli und schüttelte den Kopf.
"Oh, du machst einen Fehler!", meinte Frau Palm: "Wenn man zustimmt, dann nickt man. Man schüttelt nicht den Kopf."
Und damit war diese Frage für Frau Palm abgehackt. Lilli lernte eine Menge, der Tag verging, es wurde Nacht, Lilli ging diversen Tätigkeiten nach, die nichts, aber auch überhaupt nichts mit der Wache zu tun hatten (einmal davon abgesehen, dass diese komische Wachetradition mit 'bei Beförderung einen ausgeben' ihr das Ganze eingebrockt hatte), und ehe sie es sich versah, brach der siebte Tag an.
"Mädels!", sagte Frau Palm in einem strengen Tonfall: "Heute ist der letzte Tag hier in diesem Kurs, eure Woche hier ist fast vorüber."
"Aber Frau Palm!", sagte Adelgunde: "Wie kann das sein?"
Und Brunhilde fügte hinzu: "Die Woche hat doch acht Tage!"
"Stimmt. Aber morgen müsst ihr wieder in euren Heimatort zurück, ihr habt schließlich nur eine Woche Urlaub bekommen."
Lilli hob erstaunt eine Augenbraue.
Frau Palm lächelte: "Tja, die Näherinnen aus Ankh-Morpork haben einen ganz besonderen Ruf. Viele Kolleginnen aus der Umgebung kommen hierher, um sich fortzubilden. Und so schlecht ist das ja nicht; vor allem kann man sich dann auch mal eine Auszeit vom Nähen gönnen. Auch wenn der Verdienst niedriger ist. Aber genug des Herumredens, ich muss mich noch davon überzeugen, ob ihr euch auch wirklich alles gut eingeprägt habt."
Frau Palm stand auf und holte sich aus der Zimmerecke einen Stuhl. Sie platzierte ihn neben das Bett, erklomm ihn und tastete dann mit einer Hand auf dem Betthimmel. Schließlich zog sie etwas herunter. Einen Umschlag.
Frau Palm öffnete ihn und hielt diesen ihren Schülerinnen wie eine Papiertüte hin. Drinnen waren lauter kleine Schnipsel. "So, ihr zieht jetzt jeder ein Stück Papier und dann schminkt ihr euch entsprechende der Aufgabe, die darauf steht. Ihr habt jeweils 60 Minuten Zeit. Lilli fängt an."
Die Gefreite wurde bleich, zog dann aber den Papierschnipsel.
Sie betrachtete ihn, ihre Augenbrauen schossen in die Höhe, dann seufzte sie und reichte den Zettel an Frau Palm weiter.
"Oh eine leicht Wunde am Arm. Viel Spaß! Adelgunde, Brunhilde, folgt mir, ihr müsst noch euer Gepäck packen. Also Lilli, die Uhr tickt."
Lilli sah sich um. Da war doch gar keine Uhr im Raum!
Langsam wurde sie nervös und dieser Zustand steigerte sich auch noch, als sie mit ansah, wie Frau Palm, Adelgunde und Brunhilde das Zimmer verließen. Die Tür fiel zu. Das war's. Sie war alleine mit einem Himmelbett und einen Haufen von Kästchen mit Schminkzeug.
Panik keimte in ihr auf. Sie war zwar immer wach gewesen (es hatte sich als unmöglich erwiesen unter Frau Palms Obhut zu schlafen) aber das hieß nicht, dass sie die ganze Zeit immer 100% bei der Sache war. So ein Mist! Wenn sie gewusst hätte, dass am Ende eine Prüfung auf sie wartete, dann wäre sie doch um einiges aufmerksamer gewesen.
Unruhig ging Lilli im Zimmer auf und ab. Das war aber auch irgendwie typisch. Nie kamen die Leute darauf, alle Einzelheiten ihrer seltsamen Pläne aufzudecken. Verdammt noch mal, sie konnte schlecht danach fragen! Und manche stellten sich bei der Kommunikation sogar besonders ungeschickt an - obwohl sie schon länger wussten, dass sie nicht gerade gesprächig war. Selbst ihre Püschologin war nicht in der Lage gewesen ihre Fragen über einen längeren Zeitraum so zu formulieren, dass Lilli zur Antwort nur nicken oder den Kopf schütteln musste. Das hätte man doch von einem Püsschologen erwaten können, oder? Das er genug Empathie hat, um sich in ihre Sprachlosigkeit hinein zu versetzen.
Die Wache war eh ein seltsamer Verein! Welcher Teufel hatte sie eigentlich dazu geritten, so einem Chaotenhaufen beizutreten? Sie könnte jetzt schon auf der Suche nach einem idealen Standplatz sein, aber nein, stattdessen saß sie hier in diesem Zimmer fest und sollte eine unechte Wunde schminken. Na toll! Dabei könnte sie ihre Zeit besser nutzen!
Lilli setzte sich mit verschränkten Armen aufs Bett und schaute grimmig.
Schlafen zum Beispiel... Ja, himmlischer, elysischer Schlaf. Sie hatte in letzter Zeit viel zu wenig schlafen können und fühlte sich furchtbar müde.
Die Gefreite ließ sich nach hinten kippen und starrte den Betthimmel an.
Ach, wie gerne würde sie jetzt einfach ein paar Minuten schlafen.
Lilli schloss probeweise die Augen, nur um eben kurz auszuprobieren, wie das wohl wäre, wenn sie jetzt schlafen würde. Ja, schlafen... Schlafen....
Augenblicke später - zumindest kam es Lilli so vor - wurde sie unsanft an der Schulter gerüttelt. Sie schlug die Augen auf und war verwirrt.
In ihrem rechten Arm flammte ein kurzer Schmerz auf, aber Lilli schob diesen mental bei Seite. Bäume fühlten derlei Firlefanz nicht!
Trotzdem griff sie sich an den Arm und zog schnell die kleine Scherbe heraus, die sich hineingebohrt hatte. Sie benutzen das Ding für gewöhnlich, um diese seltsamen Stifte für den Lidstrich zu spitzen. Ihr kam der Gedanke, dass sie das ganze Gerümpel vorher hätte vom Bett nehmen sollen...
Brunhilde und Adelgunde begannen zu kichern, doch Lilli warf beiden einen bedrohlichen Blick zu, was beide zu noch mehr Gekicher veranlasste.
Aber die Gefreite hatte Glück gehabt, unwahrscheinliches, beinahe schon unverschämtes Glück - denn Frau Palm hatte noch nicht den Raum betreten. Sie war kurz von einer ihrer Näherinnen aufgehalten worden, es war Adelgunde gewesen, die Lilli wachgerüttelt hatte.
Ihr Glück war sogar noch unverschämter, denn die beiden blinzelten ihr verschwörerisch zu. "Wir sagen nichts!", meinte Brunhilde, die aber immer noch etwas kicherte.
Die Gefreite bekam ein furchtbar schlechtes Gewissen. Wie hatte sie ihre beiden Genossinnen während dieses Kurses nur so wenig würdigen können! Dabei verband sie doch etwas, dass tiefer ging, als jede freundschaftliche Beziehung - sie hatten den selben Lehrer! Sie waren eine Klassengemeinschaft!
Lilli überlegte, ob sie den beiden einen ausgeben sollte.
Dann fiel ihr ein, was ihr das beim letzten Mal eingebracht hatte, und sie fand die Idee plötzlich nicht mehr so gut.
"So, dann zeig mal her, was du zustande gebracht hast", sagte Frau Palm und Lilli hob geistesgegenwärtig den rechten Arm.
Das Oberhaupt der Näherinnengilde kniff die Augen zusammen und betrachtete die Verletzung eingehend. Schließlich ließ sie Lillis Arm los und sagte: "Die Idee, eine frische Wunde zu imitieren ist zwar recht originell und das herausströmende Blut ein nettes Detail, aber insgesamt wirkt die Wunder unecht."
Adelgunde und Brunhilde kicherten hinter vorgehaltener Hand.
"Eine ältere Wunde vorzutäuschen ist um einiges wirksamer als das, was du hier abgeliefert hast. Allerdings glaube ich, dass du mit ein bisschen Übung schon die Kurve kriegen wirst. Du hast den Test bestanden. Vier Minus."
Lillis Mund klappte auf.
"Also, ich wünsche dir noch alles Gute; wenn du möchtest kannst du noch bleiben und den anderen zuschauen, ansonsten kannst du ins Wachehaus zurückkehren."
Die Gefreite überlegte einen Moment, drehte sich dann um und ging.
Draußen vor der Näherinnengilde begann sie im Freudentaumel herum zu hüpfen. Ha! Sie hatte es überstanden! Endlich konnte sie ins Wachehaus zurückkehren und wieder ausgefeilten Monologen von Ophelia lauschen - beziehungsweise so tun und dabei ein Runde schlafen. Die Wache war doch großartig! Was für ein toller Verein! Allerdings ahnte Lilli nicht, dass sie bald Kathiopeja in die Arme laufen sollte, welche sie auf Bitten Ophelias zu einer Ermittlung mitnahm. Diesen Fall werde ich natürlich nicht länger ausführen, denn"
"Er steht in den Wacheakten. Jaja, wir wissen es."
"Hey! So viel Intelligenz hätte ich dir gar nicht zugetraut, Kleiner, so für einen Adeligen."
"Und ich dir keine so originelle Beleidigung, so für einen alten Sack!"
"Tusche!"
"Das heißt Touché, du Kretin!"
"Was, du wagst es mich als Crouton zu bezeichnen? Ich bin keine Salatbeilage! Hüte deine Zunge Bürschchen!"
"Blablabla, erzähl weiter, alter Sack!"
Opa Hans will schon seinen Ärmel hochkrempeln um dem vorlauten Sonnenschutz die Tracht Prügel seines Lebens zu erteilen, doch dann hält er inne und beginnt zu grinsen. Gedanken sagen manchmal mehr als tausend Worte.
"Erzähl weiter!", rufen die dicke Bernadette und KleinTimmi im Chor.
"Wie ihr wollt. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, der Fall mit Kathi. Eigentlich passierte nicht viel. Aber Horatius erwies sich ausnahmsweise als nützlich, da er so tat, als sei er ein Abgesandter des Gottes Om. Und Lilli legte sich eine kleine Spinne zu, vor welcher der Dämon zunächst schreckliche Angst hatte.
Bis Paul ihn darüber aufklärte, dass eine kleine Spinne einem Dämon nichts anhaben konnte.
Lillis Alltag hatte wieder fast gewohnte Züge angenommen; nachts ging sie immer erst Gläser spülen und anschließend Würstchen füllen.
Tagsüber hielt sie sich meist im Fundus auf. Ophelia hatte gemeint, dass sie sich einen Überblick verschaffen soll, damit sie im Ernstfall nicht allzu lang suchen muss.
Außerdem hatte ihre Ausbilderin so die Möglichkeit, sich ihrer eigentlichen Arbeit zu widmen.
Der Fundus gefiel Lilli, abgesehen davon, dass es dort sehr wenig Sonnenlicht gab. Sie wühlte teilweise Stunden in den Schränken und Kisten herum und fand manch einen verborgenen Schatz - und auch ziemlich viel Müll. Irgendwann kannte sie den Inhalt des Fundus auswendig, doch Ophelia machte keinerlei Anstalten, ihr einen neuen Befehl zu erteilen. Da beschloss Lilli, einige Stücke auszubessern. Sie besorgte sich etwas Nähzeug (was im Fundus schon vorhanden war, falls sich jemand als Näherin verkleiden wollte [18] und ging dann ans Werk.
Das Nähen war eine der wenigen Sachen, die Lilli halbwegs beherrschte, sie hatte auf dem Weg durch die Welt, öfter mal das eine oder andere flicken müssen. Als Mensch, der sich für einen Baum hielt, hatte man nicht gerade das Geld sich ständig neue Sachen zu kaufen. Außerdem konnte man durch die eine oder andere Näharbeit auch ein wenig Geld verdienen.
Zudem war das eine hübsch geruhsame Tätigkeit, bei der man nicht viel denken musste.
Ein paar Tage später hatte sie sich einen Stuhl besorgt, damit sie es etwas bequemer hatte und eine Schattenliebende Zimmerpflanze mitgenommen. Lilli wollte etwas Gesellschaft haben, sie kam kaum mehr zu einem richtigen Gespräch. Das Sprechen mit Pflanzen war schon eine Sache für sich; eigentlich war 'sprechen' auch nicht das richtige Wort.
Pflanzen kommunizierten nicht akustisch. Nein, hier ging es um kleinste Moleküle, um Nuancen einer Veränderung.
Die Botschaften von Bäumen ließen sich nicht in Worte fassen.
Leider verstanden die meisten aber nur sehr schlecht Pflanzen; weswegen es erzähltechnisch doch sinnvoll ist, die Inhalte der Botschaften in Worte zu fassen - auch wenn das eigentlich nicht geht. Um aber den Umstand Rechnung zu tragen, dass Bäume doch anderes reden - und um zu vermeiden, dass jemand auf die Idee kommt, so etwas mit normaler wörtlicher Rede zu verwechseln - wird einfach alles klein geschrieben. Spart nebenbei auch das ewige Drücken auf die Umschaltaste." "Was ist eine Umschaltaste?", fragt KleinTimmi verwirrt.
"Hm..", entgegnet Opa Hans.
"Ja, ich will's auch wissen!", ruft die dicke Bernadette.
Und der Lichtschutzbengel fügt hinzu: "Mich würde es außerdem interessieren, wie sie sich das vorstellen, wie wir erkennen sollen, wann ein Baum spricht, wenn wir Ihnen zuhören. Wenn die Geschichte schriftlich wäre, wäre das ja kein Problem, aber sie erzählen!" "Ein guter Einwand. Aber kein Problem, denn die permanente Kleinschreibung berücksichtigt eine Tatsache nicht: Es gibt verschiedene Art von Bäumen. Das ist wie bei Menschen. Deswegen haben verschiedene Arten und auch verschiedene soziale Schichten ihre ganz eigene Art zu sprechen.
Lilli beherrschte im Gegensatz zu den meisten Bäumen mehrere Dialekte, ein Verdienst ihrer menschlichen Seite, allerdings gab es da einen Dialekt, den sie besonders gut beherrschte.
Leider gibt es hier keine Kostprobe davon - einfach weil Lilli für gewöhnlich versuchte denselben Tonfall wie die Pflanze anzuschlagen.
"mir dünkt, es ist recht duster hier", meinte die Zimmerpflanze.
"ach, es gibt dunklere gefilde", entgegnete Lilli.
"aber diese befindlichkeit ist um einiges behaglicher als mein vorheriger standort."
"natürlich", erwiderte Lilli.
"es ist zum einwelken! ständig landet diese dubiose flüssigkeit in meinem topf!"
"sie heißt kaffee", klärte Lilli die Pflanze auf.
"ich finde das Zeug trotzdem grauslich!"
"dann sei gewahr, dass dies getränk fürwahr meist nicht übel ist, besonders mit gar viel zucker versüßt."
"aber dieses zeug ist so abscheulich grässlich!"
"natürlich..."
Lilli wurde das Gespräch langsam leid, denn die Pflanze schien keinerlei Anstalten zu machen, zu einem interessanteren Thema zu wechseln.
Eigentlich hatte die Gefreite erwartet, dass die Pflanze, in der Kathiopeja immer den ungenießbaren Kaffee ihres Kaffeedämons kippte, ein wenig... aufgedrehter war. Soviel also zu der aufputschenden Wirkung von Koffein. Kinder, nicht vergessen, Kaffee ist nicht gut für euch, den dürft ihr erst trinken, wenn ihr genug Geld verdient, um das Schlafmittel selbst zu bezahlen. Hm... Wo war ich noch eben gleich? Aja, im Fundus. Eigentlich war ich genau genommen ja nie da drin gewesen, aber ihr wisst ja, was ich meinte. Nun, dann fahre ich mal fort: Ich habe euch eben erzählt, das Lilli den halben Fundus durchwühlt und das eine oder andere ausgebessert hat und sich auch noch mit einer Zimmerpflanze unterhielt, die offensichtlich von einer Kollegin mit Kaffee vergiftet wurde.
Im Grunde weder sonderlich interessantes noch wissenswerte Dinge. Weshalb Lilli wohl auch auf die Idee kam, dass ein Tapetenwechsel jetzt ganz recht wäre.
Natürlich nicht im Fundus, da hätte sie erst alles beiseite räumen müssen. Aber im Büro wäre so etwas doch ganz recht!
Zu ihrem eigenen Bedauern hatte Lilli aber keinerlei Ahnung von der hohen Kunst des Tapezierens und kam auch nicht auf die Idee, sich hemmungslos zu besaufen, um dass zu ihrer wahren Berufung werden zu lassen. Einmal ganz davon abgesehen, dass sie sich nicht aussuchen konnte, was sie auf einmal ungewöhnlich gut einen Vollrausch lang beherrschte.
Also überlegte sich die Gefreite etwas anderes, etwas das besser war als eine neue Tapete, etwas das besser zu ihrer floralen Natur passte, etwas, dass nützlich war. Und mit einem Mal hatte sie die Idee. "Merkwürdig", stellte die Igorina Rogi fest, als eine kleine Ameise quer durch ihre Zelle respektive Wirkungsstätte kroch.
"Merkwürdig", stellte Kathiopeja fest, als sie eine Fleischbeilage in Form einer Ameise in ihrem Kaffee schwimmen sah.
"Merkwürdig", stellte Rabes treuer Gefährte Lordi fest, als er sah, wie zwei Ameisen aus dem ersten Stockwerk nach unten krabbelten.
"Gurrru (Merkwürdig)!", stellten die Tauben fest, als sich einige Ameisen in ihren Verschlag verirrten.
"Ungeziefer!", stellte Frau Willichnicht fest, als sie pünktlich wie immer dem Wachetresen einen Besuch abstatte und dabei eine Ameisenstraße entdeckte. Und bewies so ganz nebenbei ihr Talent, genau das zu sagen, was man nicht hören will.
"Merkwürdig", stellte Carisa fest, als sie einige Sachen in ihrem alten Büro ablegen wollte und Dutzende von Ameisen im Flur davor entdeckte.
"Merkwürdig", hatte der Besitzer des einzigen Insektenrestaurants Ankh-Morporks festgestellt, als er einen Auftrag über lebende 800 Ameisen zum mitnehmen (nicht dort essen) bekam.
"Lilli!!!", stellte Ophelia fest, als sie im gemeinsamen Büro den Ameisenhaufen unter dem Tisch fand.
Die Gefreite wurde anschließend dazu verdonnert diese nützlichen und völlig missverstandenen Kreaturen zu entsorgen. Es tat ihr im Herzen weh""Oh... jetzt werden Sie jetzt nicht auch noch schnulzig", meint der mittlere Marquisenknabe in einem patzig klingenden Tonfall. Außerdem schien er mit einem Male zappeliger als ein Schwarm Sardinen.
"Was? Hast du etwa etwas einzuwenden, du Schutzdach?"
"Haha, sehr witzig. Sie können wohl nicht mit Kritik umgehen. Ihre Geschichte wird immer schlechter, jetzt wiederholen Sie auch noch die Satzanfänge. Muss das sein?! Grauenvoll, dieses Machwerk! Aber was hätte ich auch erwarten können, von einem drittklassigen Erzähler?!"
"So redet man nicht mit jemanden, der älter ist!"
"Was?! Warum sollte ich nicht? Ich erwarte überall Qualität. Wenn ich Müll haben will, dann gehe ich in eine öffentliche Einrichtung", man kann ein deutliches Zittern in seiner Stimme vernehmen.
"Ach so, du willst also eine bessere Geschichte hören."
"Wow - so ein Blitzmerker!"
"Gut! GUT!!! Du kannst es gerne so haben; Kinder vergesst alles, was ich euch bisher erzählt habe, jetzt kommt eine völlig neue Geschichte."
Ein Ächzen geht durch die Kinderschar, doch Opa Hans beginnt ohne mit der Wimper zu zucken eine andere Geschichte. "Wir befinden uns im Büro des Abteilungsleiter der DOG, mitten im Boucherie Rouge.
Der Raum wirkt kleiner als er ist, denn mitten im Zimmer steht ein gewaltiges purpurplüschiges Himmelbett, dass früher einmal dazu diente, Kunden der Näherinnengilde zu bedienen. Daneben, millimetergenau zwischen Liegestatt und Wand eingepasst, stand der Tisch des Abteilungsleiters, der eben eine Nachricht erhalten hatte.
"Soso", sprach der Abteilungsleiter: "RUM meint also, der Fall liegt in unserem Zuständigkeitsbereich."
"Ja", erwiderte der Rekrut, der losgeschickt worden war, die Nachricht zu überbringen und sich angesichts des charismatischen Abteilungsleiters höchst unwohl fühlte.
"Willst du wissen wie es sich wirklich verhält, Rekrut?"
Der Abteilungsleiter beugte sich vor und grinste diabolisch.
"Ja, Sir", entgegnete der Rekrut fast lautlos, so sehr fürchtete er sich.
"Sie haben verdammt noch mal recht! Schließlich handelt es sich um ein Vergehen in der Wäscherinnengilde und ist somit eine Angelegenheit der Dienststelle zur Oberservierung von Gildenangelegenheiten!"
Der Abteilungsleiter lachte auf eine sehr freundliche Art und Weise, und der Rekrut fiel erleichtert mit ein. Irgendwann war das Ganze aber vorbei und der Abteilungsleiter sagte: "Rekrut, bevor du wieder zurückkehrst, habe ich noch einen kleinen Auftrag für dich. Sage eben dem verdeckten Ermittler Bescheid, dass er sich hier in meinem Büro melden soll.
"Natürlich Sir!", sagte der Rekrut und salutierte zackig.
Einige Minuten später stand der angeforderte Wächter im Büro und salutierte ebenfalls.
"Sir, sie haben mich herbestellt!"
"Ja, verdeckter Ermittler, ich will, dass du in der Wäscherinnengilde ermittelst. Es treibt sich seit einiger Zeit ein komischer Geselle dort herum, der das Waschpulver stiehlt."
"Waschpulver stiehlt?"
"Ja, auf einer sehr eigenartige Art und Weise: Er nimmt etwas Pulver, streut es aus und schiebt es dann mit einem Kärtchen zu einer Art Waschpulverspur zusammen. Dann steckt er einen Strohhalm in die Nase und saugt es auf."
"Das klingt aber sehr merkwürdig."
"Meine Meinung. Scheint aber nicht sehr gefährlich zu sein, der Spinner."
"Wieso kümmern wir uns denn um einen Fall mit so offensichtlich niedriger Priorität? Wäre das nicht eher ein Fall für RUM?"
"Nein, ist es nicht. Bisher wurde niemand verletzt, also handelt es sich nur um Diebstahl, nicht um Raub. Außerdem will der Patrizier selbst, dass der Fall möglichst bald von den Besten gelöst wird."
"Ach so. Dann mache ich mich sofort an die Arbeit, Sir!"
Der verdeckte Ermittler salutierte und verließ dann den Raum. Wer aber jetzt denkt, dass er sofort zu Wäscherinnengilde eilte, der irrt. Der verdeckte Ermittler war ja nicht auf den Kopf gefallen, erst suchte er das Gildenregister auf, um sich umfassend über die Wäscherinnengilde zu informieren." Die Geschichte wird jäh unterbrochen. Durch ein Gähnen. Ein Gähnen so provokant und herausfordernd, dass es noch Jahrzehnte lang die Hitlisten der besten Gähner Ankh-Morporks krönen werden wird. Dieses Gähnen hallt in den Köpfen der Anwesenden wieder, mit einem Klang der so lieblich wie der von einem Igor gewarteten Tür ist.
Es herrscht absolute Stille, und es scheint als hielten alle den Atem angesichts dieser Ungeheuerlichkeit an.
Da springt mit einem Male der Marquise in spe auf und verlässt die Gruppe im Eilschritt Richtung Toilette.
Die Stille hallt einen Moment lang weiter an, um dann zu enden.
"Halt dir gefälligst die Hand vor dem Mund, wenn du gähnst!", faucht die dicke Bernadette KleinTimmi an, der aber nur mit den Schultern zuckt.
Etwas später kehrt das mittlere Adelskind zurück. Würdevoll schreitend, als hätte er soeben einen enorm wichtigen Vertrag unterschrieben[19].
Er setzt sich nieder und starrt Opa Hans an, welcher zurückstarrt.
Eine Weile herrscht kollektives Starren.
Dann: "Nun erzählen Sie endlich ihre abscheuliche und grauenhafte Geschichte weiter. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!" "Lilli hatte sich nur ungern von den armen Ameisen getrennt. Aber schon bald sollte etwas anderes ihre volle Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen:
Schreibkurs Nummer Zwei stand an.
Zunächst fand sie den Unterricht recht ungewöhnlich und fragte sich, wie ihr das helfen sollte. Aber nach einer Weile hörte sie auf, sich Gedanken zu machen und widmete sich mit Feuereifer der Sache. Schließlich hatte sie selbst sich den Kurs nicht ausgesucht.
Obwohl ihr dieser Schreibkurs bei dem Achatener mehr wie ein Malkurs vorkam.
"Die hohe Kunst der Kalliglaphie elfoldelt ein hohes Maß an Konzentlation. Und an Geduld. Nehmen Sie nun den Pinsel und tauchen ihn in die Tusche ein. Fühlen Sie, wie die Falbe die Pinselhaale benetzt, wie die Tusche das innere Chi des Pinsels dulchdlingt? Fühlen Sie das Chi! Welden Sie eins mit dem Pinsel! Und nun schleiben sie. Abel langsam, nicht zu hastig, odel sie blingen das innele Gleichgewicht dulcheinandel. Nicht das aus dem Yin ein Yang wild, odel umgekehlt."
Lilli verstand zwar kein Wort, aber zumindest hörte sich das Ganze recht interessant an.
Die Gefreite besuchte den Kurs mehrere Wochen lang an mehreren Werktagen und mit der Zeit wurde ihre Schrift immer hübscher, ausgefeilter, eleganter. Dafür brauchte sie aber auch für einen einzigen Buchstaben die Zeit, die sie vorher für einen langen Satz gebraucht hatte.
Aber offensichtlich war der altehlwüldige Lehlmeistel der Meinung, das Schriftbild wichtiger war, als Schriftgeschwindigkeit.
Wenigstens gingen auch die Fehler etwas zurück.
Ophelia war dennoch nicht sonderlich begeistert als sie als Beobachter an der Abschlussprüfung teilnahm, und nach sechs Stunden Prüfungsdauer (inklusive der fünf Minuten, die das Ausfüllen des Zertifikats zum erfolgreichen Abschluss) feststellte, dass Lilli zwar mit Auszeichnung bestanden hatte, die Prüfung aber nur darin bestand, das Wort Kaligraphie auf ein Stück Papier zu malen. Ophelia hätte in der Zeit einen halben Roman verfassen können!
Der zweite Schreibkurs hatte aber, natürlich gepaart mit dem Einfluss des ersten, eine seltsame Wirkung auf Lillis Schrift: Sie schrieb zum einen langsamer als eine Schnecke auf dem Sterbebett und hatte zum anderen eine Sauklaue. Im Endeffekt genau der Zustand, der vor den Schreibkursen vorherrschte. Mit dem kleinen Unterschied, dass ihre 'R"s nun alle zu "L"s wurden. Was die Wache eigentlich zu der Einsicht bringen sollte, dass man alten Bäumen keine neuen Tricks beibringen kann... Hm...", macht Opa Hans dann und überlegt einen Moment: "Was kommt jetzt... Wir hatten schon die Ameisen, die Limetten, den Patrizier und die Kunst der Kaligraphie... Also fehlen uns noch die herzzerreißende Romanze und das dämonische Tribunal. Und natürlich mehr Kneipenschlägereien."
"Den Punkt 'ohne Zusammenhang' haben Sie meiner Meinung nach auch schon hinreichend erfüllt..."
"Ja stimmt! Ich bin ein großartiger Erzähler, oder?"
"Ne, da bin ich anderer Meinung", erwidert der RÖtzbengel.
"Die interessiert aber keinen!", faucht KleinTimmi.
"Ja, ich will endlich die Romanze hören!", ruft die dicke Bernadette und klatscht freudig erregt in die Hände.
"Wie du willst, Kleines. Aber leider war das ganze eine recht einseitige Romanze. Und Lilli war nur am Rande daran beteiligt. Was nicht zuletzt daran liegt, dass man schwerlich einen menschlichen Baum verkuppeln kann. Mit wem auch? Einem gefallenen Wasserspeier?
Aber bevor wir zu der Sache mit der Romanze kommen, finde ich, dass mal wieder andere Gestalten zu Wort kommen sollten."Wie kannst du nur in einer solchen Situation einen Kaffee trinken?", rief der weiße Dämon mit der Gabel.
"Also ich billige und befürworte ihr Verhalten. Auch wenn ich es gemein finde, dass sie dazu in die Kantine und nicht zu ihrem Kaffeedämonen Paul gegangen ist", entgegnete der rote mit dem Nachthemd.
"Ha, wenigstens das hat sie richtig gemacht. Normalerweise würde ich ja eine Kaffeepause befürworten, aber hier..."
"Tja, Pech für dich, sie hat sich den Kaffee nur geholt, um gestärkt mit der Arbeit fortzufahren."
"Anstatt sich mal einen lauen Tag zu machen... Tsk. Tsk. Tsk."
Lilli fokussierte ihre Gedanken derweil auf eine einzige Sache: 'Sie existieren nicht, das sind reine Hirngespinste...'
Die beiden waren in letzter Zeit öfter aufgetaucht und lagen ihr in den Ohren. Die Gefreite hatte nur keinerlei Ahnung, warum das geschah. Seitdem sie befördert worden war, hatte sie nur noch Ärger! Lilli kam mal wieder auf den Gedanken sich ernsthaft zu fragen, was sie eigentlich dazu bewogen hatte, der Wache beizutreten.
Mit einer Mischung aus Ärger und Verdruss - und mit zwei nörgelnden Dämonen im Schlepptau - betrat sie ihr Büro. Es war mal wieder keine ihrer Kolleginnen anwesen, was nicht verwunderlich war, da ihre Spezialisierungen manchmal tagelange Abwesenheit erforderten. Selbst Ophelia schien ihren Fokus auf andere Dinge als ihre Ausbildung gelegt zu haben, denn sie war auch nur noch selten anwesend. Aber Lilli fand seit einer Weile stets immer Zettel mit Aufgaben an ihrem Platz, die sie mehr bis weniger gewissenhaft erledigte. Diese blöde Ausbildung dauerte ja ewig!
Da war der kleine Einsatz am Vortag ganz unterhaltsam gewesen. Auch wenn sie noch immer nicht genau wusste, was Rogi eigentlich mit den Waffeln machen wollte... Kinder, auch diese Mission findet ihr im Wachearchiv!"
"Toll..."
"Ja, da staunste, was?!"
"Wir kommen ja auch so einfach an Wacheakten heran."
"Ach... Wenn man sich wirklich anstrengt, dann geht das schon. Einfach einen Blick in die Akte mit dem zusammenfassenden Verlauf von Lillis bisheriger Wächterkarriere. Da findet ihr "Spinner, Spinnen und göttliche GeSANDte", die Püschositzung, das Bewerbungsgespräch und "Kathis Liebhaber" ganz einfach. Aber lasst mich fortfahren.
Das Büro war natürlich nicht leer. Zum einen war Paul, der Kaffeedämon anwesend, dann noch Horatius, der S.P.R.E.C.H.-Dämon. Und die Spinne.
Und natürlich Ilonas Zimmerpflanzen, die in dem Raum langsam vor sich hin vegetierten.
Die beiden Dämonen, die Lilli schon seit geraumer Zeit belagerten waren an diesem Tag besonders unverschämt und verschwanden nicht einmal in Anwesenheit der beiden anderen.
Die Gefreite setzte sich an ihren Tisch und schaute verdrießlich drein, als ihr plötzlich auffiel, das Horatius sich sehr merkwürdig benahm. Wenn Lilli das Zimmer betrat dann stritt sich Horatius normalerweise mit Paul, oder beschimpfte die Spinne, die er immer noch etwas fürchtete oder er bemerkte Lilli und verlangte lautstark nach einem Bier.
Heute aber... Sang er?
Misstrauisch erhob sich die Gefreite und ging zu der Kaffeemaschine, neben der sie für gewöhnlich den Kasten abstellte, in dem Horatius wohnte. Sie spähte durch das durchsichtige Glas mit dem Buchstaben und beobachtete einige Augenblicke lang sprachlos, wie Horatius sich schick machte.
Verwirrt schnappte sie nach Luft, während die beiden ungebetenen Gesellen wieder fortfuhren: "Also ich finde das total unhöflich in anderer Leute Wohnung zu glotzen."
"Ach was, der da ist doch bloß ein Gerätedämon, ein Stück Inventar. Das braucht keine Privatsphäre!"
Erstaunt sah der eben noch singende Horatius auf: "Was'n los? Wer sind diese komischen Gestalten?"
"Selber komisch!", entgegnete der Weiße.
"Genau!", meinte der Rote.
Lilli runzelte die Stirn.
Da sagte der Weiße: "Es handelt sich hier nicht um eine moralische Frage, also sind wir nicht verpflichtet, uneins zu sein."
"Wo hast du denn diese Schnabeltassen aufgetrieben?"
Lilli zuckte mit den Schultern. Dann machte sie etwas stutzig. Sie zeigte auf die Kaffeemaschine.
"?"
"Paul? Ach, der Kretin ist weg gegangen, der wollte sich bei irgendeiner Obrigkeit beschweren... Pff! Regt sich auf, nur weil ich meinen Abfall entsorgt habe..."
"?"
Horatius ignorierte Lillis fragenden Blick und machte sie weiter an seiner Kleidung zu schaffen. Die Gefreite begann sich ernsthaft zu fragen, wo er diesen winzigkleinen Smoking herhatte.
"?!" Lilli sah den Dämon mit einem noch wesentlich misstrauischeren Blick an.
"Was denn? Ich habe wirklich nur meinen Müll entsorgt... in die Kaffeedose."
Lillis Augen weiteten sich jäh.
Horatius zuckte mit den Schultern: "Bitte, wegen so einer Kleinigkeit muss man sich doch nicht gleich so aufregen... Pah!"
Da hörte man ein deutliches Räuspern aus Bodennähe. Es war Paul, der Kaffeedämon: "Ach ja? Bei dir ist wohl alles eine Kleinigkeit! Aber damit ist jetzt Schluss, ich habe dich angezeigt!"
"Was?!!", kreischte Horatius: "Du hast mich angezeigt?! Sag mal, spinnst du jetzt vollkommen?!!"
"Also ich, finde das gut!", behauptete der weiße Dämon.
"Ich auch", fügte der Rote hinzu. Anscheinend schien es sich auch hier nicht um eine moralisch-ethische Gewissensfrage zu handeln.
Paul kam nicht mehr zu einer Antwort, den plötzlich ertönte ein ohrenbetäubendes Brausen im Raum. Etwas riesiges schien sich im Zimmer zu materialisieren.
Instinktiv wichen Lilli und alle Dämonen in eine Ecke des Raumes.
Gewaltige graue Nebelschwaden verdichteten sich zu einer Gestalt, bis sie sich am Ende als Dämon entpuppten, mächtig genug, um einen Troll mit einem Husten zu zerbröseln.
Allerdings bot das uralte, Schrecken erregende Scheusal einen unfreiwillig komischen Anblick, denn es war eindeutig nicht auf ein Zweiraumbüro, dass vier Leute sich teilen mussten, ausgelegt. Das Ungetüm nahm eine offensichtlich sehr ungemütliche Pose ein.
Eines der gewaltigen Hörner, die aus seinem Kopf ragten, war irgendwie im Bücherregal verklemmt, am anderen baumelte die ehemalige Deckenlampe. Wegen dem Platzmangel war der gewaltige, dornenbewehrte Schwanz nach vorne hin eingeklemmt. Der Vergleich mit einem Hund, der den Schwanz einzieht drängte sich geradezu auf.
Außerdem trug der Dämon eine weiße gepuderte Perücke.
"Ich bin der große Strnzdmkskrnprnvrtds!", donnerte das Ungeheuer. Dann räusperte sich das Scheusal und sprach mit verhältnismäßig normaler Stimme: "Ich bin hier, um Gericht zu halten, über den niederen Dämonen Günther. Der ist doch hier, oder?"
"Natürlich!", rief Paul und zeigte auf Horatius, der kreidebleich geworden war.
Das Scheusal kniff das Auge, mit dem er die Gruppe sehen konnte[20] zusammen. "Was sucht der Mensch denn hier? So kann doch kein dämonisches Tribunal stattfinden!"
Horatius begann nur zu wimmern, Weiß und Rot zuckten nur mit den Schultern, erneut ergriff Paul das Wort: "Keine Sorge, großer Strnzdmkskrnprnvrtds, Lilli wird nichts verraten."
Die Gefreite nickte, von dem Ungetüm trotz der seltsamen Pose, tief beeindruckt. Einen Moment später schoss ihr noch der Gedanke in den Kopf, dass ihr auch niemand diese abstruse Geschichte abkaufen würde.
"Außerdem", fuhr Paul fort: "Ist sie der Hauptzeuge."
Lillis Blick verdüsterte sich. Der S.P.R.E.C.H.-Dämon hatte ihr zwar bisher mehr Probleme bereitet, als er gelöst hatte, aber das war dennoch kein Grund vor Gericht gegen ihn auszusagen! Wobei sich Lilli fragte, wie Paul eine Aussage haben wollte, wenn sie doch nie etwas sagte.
"Hm", meinte Strnzdmkskrnprnvrtds: "Wenn das so ist, dann ist es eben so. Lässt sich eh nicht mehr ändern, dass sie mich gesehen hat. Ich glaube deinem Wort niederer Dämon Paul, denn du hältst dich schließlich an unseren großen Dämonenkodex. Deshalb werde ich auch darauf verzichten dem Menschen dem Kopf abzubeißen."
Lilli wurde bleich. Und dann puterrot. 'Den Kopf abbeißen?! Dem Menschen den Kopf abbeißen?!! DEM MENSCHEN DEN KOPF ABBEISSEN?!! Verdammt noch mal, wann kapieren es die Leute endlich?! Ich bin ein Baum!'
Beleidigt verschränkte die Gefreite die Arme.
"Also, ich finde das nicht richtig", sagte der Rote: "Wir können schließlich nicht die ehernen Regeln einfach brechen, nur damit dem Menschen nicht der Kopf abgebissen wird."
"Ach was!", sagte der Weiße: "Beiß ihr ruhig den Kopf ab!"
Eine peinliche Pause entstand.
Dann meinte Paul: "An euerer Argumentation stimmt was nicht. Ihr seid beide eben zu dem Entschluss gekommen, dass der große Strnzdmkskrnprnvrtds Lilli den Kopf abbeißen soll."
"Ja... und?", fragte der Weiße.
"Gibt es da etwa noch eine andere mögliche Option?"
"Natürlich!", rief Horatius, der sich etwas beruhigt hatte: "Einfach den Kopf nicht abbeißen! Lass Lilli in Ruhe, friss lieber dem Kopf von dem da!"
Horatius zeigte auf Paul.
"Hier wird überhaupt kein Kopf abgebissen!", donnerte Strnzdmkskrnprnvrtds: "Ich allein entscheide, was in diesem Raum hier passiert! Und da ich nicht die Lust habe, mir meinen Hals zu verrenken, bleiben alle Köpfe da, wo sie sind!"
Eine weitere Pause entstand.
Dann verkündete Strnzdmkskrnprnvrtds: "Horatius, du hast ein schlimmes Verbrechen begangen. Du hast die Unwahrheit gesagt! Du kannst die Menschen beleidigen, du kannst die Menschen piesacken, du kannst die Menschen um den Verstand bringen, aber du darfst niemals lügen.
Stell dir vor, die kriegen das raus, dass wir doch Phantasie haben, dass wir doch in der Lage sind, die Unwahrheit zu sagen! Die vertrauen uns doch nie wieder! Die Dämonen gelten doch nur so verlässlich, weil diese tauben Tassen annehmen, dass wir immer bei der Wahrheit bleiben."
Strnzdmkskrnprnvrtds hielt kurz inne und fokussierte den Blick auf Lilli: "Anwesende natürlich ausgeschlossen."
Die Gefreite zuckte mit den Schultern. Sie war kein Mensch, sondern ein Baum. Und dass die Menschen bisweilen nicht alle Tassen im Schrank hatten, wusste sie schon länger.
"Die gängige Strafe für dieses derartige schwere Delikt ist die vollkommene Auslöschung des Dämonen, inklusiver aller Erinnerungen an ihn."
"Aber, aber!", rief Horatius und brach in Tränen auch.
Auch bei Paul schien sich das schlechte Gewissen zu regen. Er hatte eigentlich eine viel geringere Strafe erwartet. Bestürzt schaute er zu Boden, während sein Kumpel bitterlich weinte, doch dann fasste sich der Kaffeedämon ein Herz: "Er hat doch gar nicht richtig gelogen... Nur die Wahrheit ab und zu ein wenig weiter ausgelegt! Nicht wahr, Lilli!"
Alle Blicke richteten sich auf die Gefreite, die erst nickte, dann aber den Kopf schüttelte. Sie runzelte die Stirn. Musste man auf die Frage eben bejahen oder verneinen?
"Bitte, verschone mich, großer Strnzdmkskrnprnvrtds!", begann Horatius mit einem Male zu betteln: "Ich habe doch gerade erst meine große einzig wahre Liebe gefunden und sie, sie liebt mich auch!"
"Günther! Fängst du schon wieder an?!", tadelte Strnzdmkskrnprnvrtds.
"Okay, ich glaube zumindest, dass sie mich auch liebt."
"Günther!"
"Jaja, schon gut. Mir fiel es vor einigen Tagen wie Schuppen von den Augen: Das ist doch eine heiße Schnecke! Zuerst hielt ich sie für eine blöde Tussi, aber dann sah ich hinter der ganzen Ablehnung und der "Du bist doch nur seelenloses Inventar"-Sache. Ja, ich bin mir sicher, Tussnelda von Grantnick ist total scharf auf mich! Ich wollte sie eben besuchen um sie mit der Wahrheit zu konfrontieren - die Gute soll ja nicht ewig unwissend bleiben, dass sie total in mich vernarrt ist!" Horatius setzte seinen besten Schlafzimmerblick auf, dann fiel ihm wieder ein, dass er vor Gericht stand und er begann zu bibbern.
Lilli klappte indessen die Kinnlade herunter. Also, wenn sie diese Sache heil überstanden, dann würde sie Horatius gleich zum nächsten Püschologen bringen. Dann fiel ihr ein, dass Tussi ja auch aus dieser Zunft stammte und verwarf den Gedanken gleich wieder. Nicht das Horatius sich gleich in den nächsten Seelenklempner verguckte.
"Nichts desto trotz, wirst du bestraft werden müssen. Und seh's so: Dem Vergessen anfallen ist keine so schlimme Sache. Das geht ganz schnell und schmerzlos, bisher habe ich keinen getroffen, der sich irgendwie an negative Seiten dieser Prozedur erinnern kann."
"Das ist nicht fair!", rief Horatius: "Das ist gemein! Natürlich habe ich manche Sachen ab und zu ein bisschen weiter ausgelegt, aber nur, weil ich ständig gemobbt werde! Diese blöde Kuh aus dem Handkuss hat damit angefangen, von der stammt nämlich dieses Schild mit 'Dieser Dämon heißt Horatius, nennen sie ihn auf keinen Fall Günther!'. Ich heiße aber Günther! GÜNTHER! Soll ich es buchstabieren?!!"
"Mäßige deinen Ton!", donnerte Strnzdmkskrnprnvrtds.
"Entschuldigung", entgegnete Horatius kleinlaut.
Dann fuhr der große Strnzdmkskrnprnvrtds fort: "Du hast also angeblich einen guten Grund für dein Verhalten gehabt. Mobbing. Keine schöne Sache, aber keine die bestraft wird. Wie erwähnt - ihr könnt jeden Mist bauen, den ihr wollt, nur lügen dürft ihr nicht."
Strnzdmkskrnprnvrtds schaute kurz zu Paul hinüber, der schuldbewusst den Blick senkte. Er hatte den anderen Dämon besonders gerne wegen der Sache mit dem Namen aufgezogen.
"Das ist nicht fair!", jammerte Horatius erneut.
"Und was ist mit dieser Gott Om Sache? Du hast dich einmal als sein Gesandter ausgegeben. Und ich weiß rein zufällig, dass du da nicht gemobbt wurdest."
"Aber, das war doch ein Notfall!", rief Horatius.
Ehe er aber den Sachverhalt genauer erläutern konnte, trat Lilli einen Schritt vor, und schüttelte drohend mit der Faust.
Strnzdmkskrnprnvrtds blinzelte.
"Ich glaube es wird Zeit, das Urteil zu verstrecken."
Lilli verschränkte erbost die Arme und gab dann dem bewegungsunfähigen, weil eingekeilten, Dämon einen Tritt.
"Aua!"
Strnzdmkskrnprnvrtds versuchte Lilli mit dem freien Arm zu erwischen, (der andere Arm hing im Bücherregal), doch diese wich mit Leichtigkeit aus. Sie setzte sich einfach auf den Boden und schon war sie außerhalb von Strnzdmkskrnprnvrtds' Reichweite. Für so einen gewaltigen Dämon hatte der nämlich ziemlich kurze Arme.
Das war wohl auch der Grund, warum er immer Köpfe abbiss und nicht etwa abriss.
"Menno!", donnerte Strnzdmkskrnprnvrtds: "Bleib gefälligst stehen. Wie soll ich dich so erwischen?"
Lilli boxte Strnzdmkskrnprnvrtds von ihrer Position aus einfach in die Seite.
"Aua! Mensch, kannst du nicht aufhören?!"
Die Gefreite schüttelte den Kopf.
"Dann, gut, mach weiter, ich verkünde derweil meinen Urteilsspruch."
Die Gefreite verschränkte die Arme und kochte schon halb vor Wut.
"Ach so!", donnerte der große Strnzdmkskrnprnvrtds plötzlich: "Du bist der Besitzer!"
Die Wut schlug in Verwirrung und dann in Erstaunen um. Die Gefreite hob die Augenbrauen.
"Tja, ich bin gut dabei solche Sachen zu erraten. Außerdem gibt es da so ein paar seltsame Gesetze der narrativen Kausalität. Eines davon lautet: Zieh eine Szene nicht unnötig in die Länge, indem du jede einzelne idiotische Möglichkeit durchkaust. Außerdem habe ich in ein paar Minuten einen Friseurtermin, den möchte ich nicht verpassen, du weißt nicht wie schwer es ist, einen Friseurtermin zu bekommen."
Erstaunen wandelte sich zurück in Verwirrung. Friseurtermin? Strnzdmkskrnprnvrtds hatte doch gar keine Haare...
"Und mein Nacken wird langsam steif", meinte das Scheusal: "Also wie wäre es mit einem Vorschlag: Du entscheidest, was mit dem Dämon geschehen soll. Obwohl, wenn du schon dabei bist, dann kannst du gleich auch mal über das Schicksal des Rests entscheiden."
"Was?!", keuchte Paul.
"Warum nicht?", fragte der riesige Dämon: "Denkt ihr, ich habe vor, ständig hierher zu kommen? Nene, entweder jetzt oder nie."
"Genau!", rief der weiße Gabeldämon: "Schick sie ins Vergessen!"
"Sie haben es nicht anderes verdient!", fügte der rote Nachthemddämon hinzu.
Lillis Augen verengten sie zu Schlitzen.
Langsam erhob sie sich und klopfte den Staub aus ihrer Kleidung. Dann zeigte sie mit dem Finger auf Paul, schaute zu Strnzdmkskrnprnvrtds und lächelte.
Dann sah sie zu Horatius, seufzte leise, und lächelte erneut.
Schließlich wandte sie sich dem namenlosen Gespann zu. Erst zeigte sie auf den Weißen, dann auf den Roten. Dann drehte sie Strnzdmkskrnprnvrtds den Rücken zu, ging zur Wand, und hämmerte demonstrativ mit dem Kopf dagegen.
"Okay, Beschluss vernommen. Gnade für die beiden Pappnasen, und die anderen beiden nicht."
Lilli grinste bei dem Wort Pappnasen und nickte nach Beendigung des Satzes.
"Aber ich finde das nicht seltsam - die beiden könntest du doch spielend loswerden, du musst doch nur das Anti-Dämonisiakum trinken."
Die Gefreite schaute das Scheusal fragend an.
"Haben sie dir das etwas nicht gesagt?"
"Sie hat nie danach gefragt!", sagte Weiß.
Strnzdmkskrnprnvrtds schaute streng auf die beiden Dämonen: "Das ist keine gute Ausrede. Ihr bringt einen ganzen Wirtschaftszweig in Verruf! Ein Gewissen aus der Flasche sollte doch selbst zumindest ansatzweise gewissenhaft handeln. Zumindest einer von euch. Ihr wisst schon, gut und böse..."
"Wir haben zwischendrin die Gesinnung getauscht!", verkündete Rot stolz.
"Och ne... Seht ihr, genau das ist der Grund, warum niemand mehr Dämonisiakum[21] haben will. Keiner, keiner, keiner will das Zeug noch haben! Es existieren höchstens noch Restbestände, die aber niemand loswird. Naja, genug gequasselt, es wird Zeit zu gehen, ich will mir nämlich Strähnchen machen lassen!", donnerte der große Strnzdmkskrnprnvrtds.
Die drei Dämonen lösten sich in Rauch auf, und Lilli winkte den beiden Teilen ihres ungewollten Gewissens hämisch grinsend zu. Als Baum konnte sie schließlich ihre Entscheidungen alleine fällen. (Ironischerweise.)
Kaum hatte sich der Rauch verzogen, heulte Horatius auf: "Du mieses Arschloch!"
"Ach ja!", konterte Paul: "Du hast dir das selbst zuzuschreiben! Du hast meine Kaffeedose entweiht; du hast auf meine Aufgabe, meine Existenzberechtigung gespuckt!"
Lilli stemmte die Arme in die Seite und tippte energisch mit dem Fuß auf den Boden. Die beiden sahen zu ihr auf.
Erneut waren ihre Augen zu Schlitzten verengt.
"Aber Paul ist im Unrecht! Man zeigt einen Kollegen wegen so einer Kleinigkeit nicht an."
Man hörte ein Zähneknirschen als Antwort.
Die beiden Dämonen sahen sich an.
Dann meinte Paul: "Ich glaube, sie will, dass wir uns vertragen."
"Das sehe ich gar nicht ein!"
"!!!"
"Okay, okay. Entschuldigung, weil ich meine alten Socken in deiner Kaffeedose entsorgt habe."
"Entschuldigung, weil ich dich angezeigt habe. Ich dachte nicht, dass die so schlimme Strafen verteilen. Ich habe wohl überreagiert."
Beide Dämonen reichten sich die Hände.
"Und ich war neidisch. Weißt du, ich finde, du hast eine viel bessere Aufgabe als ich. Du ahnst nicht, was Lilli für eine Rechtschreibung hat!"
"Ich kann's mir denken."
Die Gefreite schnaufte kurz und kam dann zu dem Schluss, dass die Dämonen sich lieber über sie als über einander lustig machen sollten. Lilli begann sich aber ernsthaft zu fragen, wann sie denn wohl ein Dämonisiakum getrunken haben sollte. Sie würde nie einfach wahllos alles trinken, was man ihr vorsetzte!
Da kehrte eine Erinnerung wie mit einem Paukenschlag aus der metaphorischen Kneipe ihrer Gedanken zurück.[22] Die Erinnerung hatte beim Kartenspiel entsetzlicherweise verloren und war entsprechend schlechtgelaunt.
Natürlich! Sie hatte sich durch das halbe Sortiment getrunken, weil dieser eine Typ abgefüllt hatte. Eine weitere Erinnerung gesellte sich hinzu: Rabe Raben war's gewesen! Bedeutete das etwa... Genau! Er war.... er war... ihr Saufkumpane! Aber sie soff doch gar nicht... Komisch.
Der seltsame Gedankengang kam vor allem dadurch zustande, weil Lilli sich immer nur auf die aktuellste Erinnerung konzentrierte.
Dann kam die dritte Erinnerung. Sie hatte doch so eine Schatulle bekommen, zusammen mit der Behauptung, dass ihr der Inhalt helfen würde, die Rechnung beim Wirt zu begleichen. Lilli begann zu strahlen. Eilig begab sie sich auf die Suche nach dem Holzkästchen und nach einer Weile hatte sie es tatsächlich gefunden. Komisch, dass sie bisher noch nicht hineingeschaut hatte.
Nach kurzem Ringen und nach einem sehr energischen Schlag auf den Tisch, öffnete sich die Schatulle.
Drinnen war ein Schwamm.
Lilli rollte mit den Augen. Na toll. Das mit dem Gläserspülen hatte sie auch so hingekriegt. Blöde Augenklappenkuh... Machte sich nur über sie lustig!
Wenigstens würde es nicht mehr lange dauern, bis sie das Geld zusammenhatte, um den Wirt auszuzahlen.
Eine andere Sache war aber immer noch präsent - wann war endlich diese Ausbildung abgeschlossen?
Doch die nächsten Tage und Nächte verliefen relativ ereignislos. Eines Morgens dann, kam Ophelia offensichtlich aufgeregt ins Büro: "Gefreite Baum, du wirst mich bei einer Ermittlung begleiten. Der Fall genießt oberste Priorität, der Patrizier selbst hat RUM mit der Lösung beauftragt. Wir beide werden verdeckt in die Wäscherinnengilde eingeschleust, damit wir genügend Informationen sammeln können, um den mutmaßlichen Täter zu überführen!"
Lilli, die bis eben noch einen Kaffee getrunken hatte, sprang auf, bekleckerte dabei sich und den Tisch und salutierte zackig.
Ophelia bewies genug Selbstbeherrschung, um bei dem Anblick, der mit der Kaffeetasse salutierenden Lilli nicht loszuprusten, sondern sogar den Ernst der Situation zu betonen: "Gefreite, du hast eine Stunde, um dir die entsprechenden Informationen und Verkleidung herauszusuchen. Wende an, was du in den letzten Monaten gelernt hast. Und nun wegtreten."
Erneut salutierte die Angesprochene, diesmal so heftig, dass der Henkel der Kaffeetasse zerbrach, und die Überreste quer durch den Raum flogen.
Lilli schnappte sich dann ihr übliches Gepäck, ließ die Hellerbarde allerdings stehen, nahm dafür Horatius mit und verließ den Raum im Eilschritt.
Ophelia schaute ihr einen Moment lang hinterher, und konnte sich dann das Grinsen nicht verkneifen. Die verdeckte Ermittlerin wusste, dass es nichts besseres gab, um die Ausbildung abzuschließen, als mit einen Fall. Nur in einem Fall konnte ein verdeckter Ermittler in spe sehen, worauf es wirklich ankam, worin der Unterschied zwischen Praxis und Theorie bestand.
Und außerdem war ein Fall gut, um zu prüfen, ob der (respektive die) Auszubildende so etwas wie gesunden Menschenverstand besaß.
Lillis Gedanken rasten. Sie hatte bis dato nicht einmal gewusst, das es so etwas wie eine Wäscherinnengilde gab, und nun sollte sie auch noch dort ermitteln. Aber wo war diese Gilde überhaupt?
Wenn sie nicht einmal wusste, wo das eigentliche Gildenhauptquartier lag, dann würde sie nur schwer an entsprechende Informationen herankommen. Also musste sie jemanden anderes fragen, was eine echte Wäscherin ausmachte.
Spontan fiel Lilli im Zusammenhang mit Wäsche nur eine Person ein. Jedoch, um aus dieser Person Informationen herauszukitzeln, würde sie einige Kleinigkeiten benötigen.
Die Gefreite lief sogleich in den ersten Haushaltswarenladen und kaufte sich einige Käsereiben. Dann machte sie sich in den nächstgelegenen Süßwarenladen auf und kaufte einige klatschianische Schokoladenkugeln. Schließlich suchte sie die nächste Gärtnerei auf und kaufte sich einen Blumentopf und eine kleine Pflanzschaufel.
Dann begab sich Gefreite Lilli Baum in die Höhle des Löwen und dachte noch rechtzeitig daran, höflich zu sein.
Was ihr vielleicht nicht wisst, Kinder, ist, dass Lilli mal einen Benimmkurs machen sollte. Irgendwann hatte sie dabei ihren Kopf auf Durchzug geschaltet und sich einfach alles gemerkt. Allerdings wendet sie dieses Wissen selten an. Es ist, als hätte sie einen mentalen Schalter, mit dem sie ihr wirklich höfliches Verhalten beliebig an und ausschalten konnte. Sehr zum Leidwesen der meisten Menschen in ihrer Umgebung, stand jener Schalter meistens auf aus.
"Wer ist da?", fragte Frau Willichnicht ungehalten, als jemand zu einem ihrer Meinung nach völlig unpassenden Zeitpunkt an die Tür klopfte.
Amalie erbleichte, als sie Lilli Baum gewahr wurde, die grinsend mit einem Topf hübscher Petulien, wie sie in Frau Willichnichts Blumenkasten wuchsen, und einer Tüte Schokokugeln vor dem Eingang ihres Hauses stand.
"Nicht du!", keifte Frau Willichnicht, und knallte die Tür zu
Lilli zog eine Augenbraue missbilligend in die Höhe und klopfte erneut.
Frau Willichnicht öffnete wider jeder Vernunft (doch pro ihrer Neugier), und lugte höchst misstrauisch durch den Türspalt.
Die Gefreite räusperte sich und tippte dann etwas auf der Glasplatte. Einige Augenblicke später sagte Horatius zähneknirschend: "Guten Tag, Frau Willichnicht. Meine Besitzerin möchte an ihrem[23] unendlichen Erfahrungsschatz teilhaben und bittet sie darum um eine Aufdienz."
"Was?!", quäkte Amalie überrascht und vergrößerte den Türspalt ein wenig.
Lilli tippte wieder etwas und Horatius sagte in einem Tonfall höchster Angespanntheit: "Meine Besitzerin hat ihnen einige Blumen und Schokolade mitgebracht."
Amalie streckte den Arm durch den Türspalt und Lilli gab ihr ihre Opfergaben Gastgeschenke direkt in die Hand.
Frau Willichnicht zog ihre Hand zurück, so wie eine Schnecke sie in ihre Haus zurückzog und prüfte das Überreichte mit Argusaugen.
Einige Augenblicke später öffnete sie die Tür und meinte im hochnäsigen Tonfall: "du kannst reinkommen. Aber nur zehn Minuten."
Elf Minuten später befand sich Lilli wieder im Eilschritt auf den Rückweg zum Wachhaus. Zwischendrin fiel ihr ein, dass sie etwas vergessen hatte. Sie blieb stehen, nahm den Deckel vom Kasten ab, und holte die Käsereiben heraus, die sie so drapiert hatte, dass sie sehr schmerzhaft werden konnten, wenn Lilli den Kasten 'aus Versehen' ein wenig zu stark neigte.
Horatius starrte sie mit verschränkten Armen mit einer Mischung aus Wut und Kränkung an: "Ach so machen wir das jetzt! So ein billiger Trick! Das du dich nicht schämst!"
Lilli rollte mit den Augen.
"Als ob man mir nicht trauen könnte!", rief Horatius ungehalten: "Nur dass du es weißt, ich bin durchaus in der Lage mich der entsprechenden Situation anzupassen! Ich bin ein sehr verlässlicher Dämon!"
Die Gefreite dachte sich bei diesen Worten ihren eigenen Teil dazu.
Am Ende schniefte Horatius eindrucksvoll und behauptete: "Du hast meine Gefühle zutiefst verletzt!"
Lilli griff daraufhin in ihre Hosentasche und holte eine Schokoladenkugel hervor, die sie vor dem Besuch bei Frau Willichnicht extra abgezweigt hatte und ließ diese in den Kasten fallen.
"Woah! Ist die aber groß!", jauchzte Horatius entzückt und die Gefreite war wieder beruhigt.
Einige Zeit später saß Lilli mit Ophelia in einem Karren, der die beiden zur Wäscherinnengilde bringen sollte. Die Gefreite war dem Rat ihrer Informantin gefolgt und hatte sich ein recht gewöhnliches Kleid und eine Schürze angezogen. Und ein Handtuch um die Haare geschlungen. Das Handtuch war nach Frau Willichnichts Angaben ein sehr wichtiges Accessoire gewesen.
Amalie hatte über die Hälfte des Besuches über die Vorteile von Handtüchern doziert.
Ein Handtuch, so hatte Amalie behauptet, ist so ziemlich das nützlichste, was ein Ankh-Morporker besitzen konnte. Einmal ist es von großen praktischen Wert: Man kann sich zum Wärmen darin einwickeln, wenn man die frostigen Hänge des Cori Celesti erklimmt. Man kann am nicht vorhandenen Strand des Ankhs darauf liegen, während man den Schwindel erregenden Gestank einatmet. Man kann außerdem unter dem Schein der roten Laternen des Boucherie Rouge darauf schlafen, wenn gerade alle Nähzimmer belegt waren. Man konnte viele zusammengenäht als Heißluftballon verwenden, während man über den bedächtig 'fließenden' Ankh hinüberschwebt. Und nass ist es eine ausgezeichnete Nahkampfwaffe. Man kann es sich vor das Gesicht binden um sich vor widerlichen Gerüchen zu schützen oder dem Blick eines Typen aus dem Schatten zu entgehen. Eine zum verrückt werden dämliche Sache: Konnte man sein Gesicht gut genug verbergen, nahmen viele an, dass man es verbarg, weil man so ein schreckliches Gesicht hatte und hüten sich dann vor dir, weil sie annahmen, dass ein schreckliches Gesicht gleichbedeutend mit einem schrecklichen Person war. Ich meine übrigens schrecklich gewalttätig und nicht schrecklich nervig. Man konnte viele damit austricksen, dennoch blieb die Wanderung im Schatten sehr, sehr gefährlich. Bei Gefahr konnte man sein Handtuch als Notsignal schwenken und sich natürlich auch abtrocknen, so fern es dann noch sauber genug ist.
Was jedoch noch wichtiger ist, ein Handtuch hat einen immensen püschologischen Wert: Wenn jemand so irre war, den ganzen Tag mit einem Handtuch durch die Gegend zu laufen, dann nahmen alle nicht so irren an, dass man ein verdammt irrer Typ war, dem man alles zutrauen konnte und gingen einem aus dem Weg.
Frau Willichnicht besaß nach eigenen Angaben übrigens genau 42 Handtücher.
Wieder einige Zeit später machte der Wagen mit Ophelia und Lilli halt. Beide stiegen aus.
"Folge mir!", befahl die verdeckte Ermittlerin und beide gingen noch durch einige Gassen, bis sie auf ein großes und schon leicht verwahrlostes Gebäude trafen.
Ophelia klopfte energisch an die Tür und jemand öffnete ein kleines Fensterchen: "Was is'n?"
"Wir sind die beiden Neuen! Ich bin Rosetta, und das da neben mir ist Lena." Ophelia kicherte.
Lilli hatte Ophelia noch nie kichern hören.
"Du musst wissen, Lena ist nicht sehr gesprächig."
"Na, dann kommt rein", entgegnete der Typ: "Ich bin Peter. Merkt euch meinen Namen besser schnell."
"Natürlich!", entgegnete Ophelia und kicherte erneut ziemlich keck.
In Lilli wuchs große Bewunderung. Also ihre Ausbilderin, die hatte echt Ahnung von dem, was sie tat. Sie hatte echt ein Glück, dass Kanndra sie der Besten zugewiesen hatte!
Ausnahmsweise spann Lilli einen Gedankengang nicht weiter, sonst wäre ihr eingefallen, dass Ophelia auch die Einzige war.
Peter führte sie zu einem Raum an dem ein Schild mit Aufschrift 'Waschküche' hing. Drinnen stand ein großer Kessel und ein Korb Schmutzwäsche. Sonst war der sehr große Raum überaus leer. Lilli hob irritiert eine Augenbraue, die Wäscherinnengilde hatte sie sich irgendwie anders vorgestellt. Unter anderen mit Wäscherinnen.
"Also, Lena, du wirst hier Wäsche waschen, Rosetta, du folgst mir, du kommst in die Schleuderabteilung."
"Oh, dann möchte ich mich aber noch von Lena verabschieden!", kicherte Ophelia. Peter zuckte mit den Schultern. Ophelia ging zu Lilli hinüber und flüsterte, während sie zwei Wangenküsse andeutete: "Versuch dich umzuschauen, ob irgendetwas verdächtiges los ist. Wir sehen uns später wieder."
Lilli wollte schon salutieren, als ihr einfiel, dass das hier wohl nicht sonderlich angebracht war. Deshalb schaffte sie es auch, die Bewegung schnell genug umzuwandeln; statt zu salutieren, strich sie sich durchs Haar.
Ophelia und Peter verließen den Raum und die Tür fiel mit einem dumpfen Pochen zu. Lilli warf einen kurzen Rundblick durch das Zimmer, aber da außer dem Kessel und den Wäschekorb nichts zu sehen war, machte sie sich an die Wäsche. Der fast leere Raum war Indiz genug, dass hier etwas nicht stimmte. Die Gefreite hatte ein komisches Gefühl, wusste es aber nicht recht einzuordnen.
Sie schaute sich den Kessel genauer an, hatte aber keine Ahnung, wie sie das Feuer unten entfachen sollte, also ließ sie es sein und beschloss die Wäsche mit dem kalten Wasser zu waschen. Das war eh besser für das Gewebe. Lilli schnappte sich einen Kittel, ein Stück Gallseife und begann auf den Blutflecken darauf herum zu reiben.
Komisch, auf dem Namensschild stand Rogi Feinstich. Lilli hatte nicht gewusst, dass es mehrere in Ankh Morpork gab. Aber man lernte nie aus. Sie fand auch Kittel von Rib- und Jackdoppelgängern. Interessant! Es schien von vielen Wachemitgliedern Namensvetter zu geben. Aber seltsamerweise waren das fast ausschließlich Leute die in den Laboren arbeiteten.
Irgendwie fand Lilli dass doch sehr verdächtig. Sie wusch weiter Wäsche und fragte sich, wann denn wohl endlich Ophelia auftauchen wieder würde. Schließlich hatte Lilli sämtliche Kittel gereinigt und nichts mehr zu tun. Sie beschloss, dass sie sich vielleicht einmal selbstständig auf Suche begeben sollte.
Sie füllte die Wäsche in den Wäschekorb, dann konnte sie ja notfalls behaupten, dass sie die zum Trocknen wegbringen würde, was eigentlich auch stimmte, und stemmte den Wäschekorb an die linke Hüfte, so dass sie mit rechts die Tür öffnen konnte.
Die Gefreite schaute vorsichtig durch den Spalt und war erstaunt, als sie Ophelia in der Nähe auf einem Stuhl sitzen sah. Aber sie hatte sich umgezogen... Sogar eine Perücke aufgesetzt, diverse Stellen ausgepolstert und sich geschminkt, aber das war eindeutig Ophelia.
Lilli konnte sich über Moleküle mit Bäumen austauschen. Und sie wusste, dass auch Menschen Moleküle in der Gegend verteilten. Damit war zwar keine Konversation möglich, aber zumindest konnte man Leute daran leicht auseinander halten.
Als Ophelia bemerkte, dass Lilli auf sie zukam, fuhr sie in die Höhe. "Was suchst du 'ier? 'at man dich nischt zum Wäschewaschen abkommandiert? Marsch zurück an die Arbeit!"
Lilli schüttelte den Kopf. Sie wollte doch Ophelia ihre Erkenntnisse mitteilen!
Die Gefreite holte ihr Schreibzeug, dass sie immer bei sich trug, heraus, und begann zu schreiben.
Ophelia wartete keine halbe Minute: "Du bist einer dieser unsäglischen verdeckten Ermittler, oui?!"
Lilli nickte. Ophelia stellte aber seltsame Fragen.
"Wachen!", rief ihre Ausbilderin daraufhin und Peter erschien, der Lilli den Wäschekorb abnahm und brutal ihre Arme nach hinten riss. Die Gefreite wehrte sich nicht, zu verwirrt war sie.
Peter führte Lilli ziemlich lange herum, bis diese sich ernsthaft zu fragen begann, wie groß dieses Gebäude eigentlich war, oder warum alle Gänge irgendwie gleich auszusehen schienen.
Irgendwann hielt Peter vor einer Tür, (sah aus wie die Türen, an denen Lilli siebzehn mal vorbeigekommen war, (interessanterweise stand neben jeder Tür ein Troll, der jedes Mal verblüffend gleich aussah)), öffnete sie und führte Lilli in einem Kellerraum. Drinnen war eine vergitterte Zelle.
Und in der saß Ophelia, die wieder genauso gekleidet war, wie zu Beginn der Mission, auf der Pritsche.
"Oh nein!", rief die verdeckte Ermittlerin: "Lilli, sie haben dich auch erwischt! Was sollen wir nur tun?"
Der Gefreiten fiel es natürlich wie Schuppen von den Augen. Das vorhin, dass war eine Ophelia-Doppelgängerin gewesen! Arrrgh! Sie hätte es doch wissen müssen, der Hinweis auf die Kopien war eindeutig gewesen!
Betrübt setzte sich Lilli auf die Pritsche, die an der Zellenwand befestigt war und schaute zu Boden.
"Was machen wir nun?", fragte Ophelia nach einer Weile. Die Gefreite zuckte mit den Schultern, als ihr plötzlich eine gute Idee kam.
Lilli stand auf und ging zur Wand. Dann legte sie die rechte Hand darauf. Sie entfernte sich ein paar Dezimeter, und berührte die Mauer schließlich nur noch mit den Fingerspitzen.
"Was soll das werden, Gefreite?!"
Die verdeckte Ermittlerin in spe[24], ignorierte die Frage mit stoischer Gelassenheit.
Ophelia schwang sich auf und schaute zu Lilli.
Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie gleich Zeugin eines besonderen Vorganges werden würde. Doch minutenlang tat sich nichts. Lilli stand nur da, mit den Fingerspitzen auf der Wand, hochkonzentriert, wie es schien.
Fünf Minuten flogen wie nichts vorüber.
Zehn weitere Minuten harrte Ophelia ungeduldig aus.
In den zwanzig Minuten danach, stützte sie schon ihren Kopf auf den Ellenbogen.
Nach einer Stunde war Ophelia des Wartens überdrüssig geworden und hatte sich wieder auf der harten Pritsche ausgestreckt. Nur ab und zu warf sie einen kurzen Blick zu Lilli, die aber unverändert an der Wand stand. Stark und unbeugsam wie eine Eiche.
Ophelia runzelte die Stirn, als ihr dieser Vergleich kam. Sie hätte Lillis Akte lieber nicht zu genau lesen sollen, dann müsste sie jetzt wenigstens nicht an Bäume denken.
Nach gut drei Stunden brachte der Wachtroll eine Mahlzeit. Halb vergammeltes Brot und abgestandenes, schales Wasser.
Er warf einen kurzen verwirrten Blick zu Lilli, zuckte dann mit den steinernen Schultern und verließ dann das Verlies wieder.
Ophelia seufzte. Die Mahlzeit würdigte sie mit keinem einzigen Blick. Sobald sie hier draußen waren, dann würde sie wieder normales Essen zu sich nehmen können. Obwohl sie sich schon zu wünschen begann, dass die Prüfung weniger authentisch vorbereitet worden wäre.
Aber wenn die Gefreite nicht bald mal irgendwas gegen ihre Lage unternehmen sollte, dann würde wohl oder übel Ophelia ihren Kerkerschlüssel aus der Tasche holen müssen und die Prüfung für gescheitert erklären. Aber ein, zwei Stunden wollte sie Lilli noch Zeit geben. Schließlich kam es ihr darauf an, ob diese sich allein aus einer unangenehmen Situation wieder heraus manövrieren konnte.
So schwer war es ja auch nicht, hier herauszukommen. Hinter einem der Steine lag ein Schlüssel versteckt, außerdem gab es zusätzlich noch einen Geheimgang. Und vor den Gitterstäben lag auf dem Boden ein Stab, lang genug, um sich den Schlüssel von dem der Zelle gegenüberliegenden Haken zu angeln. Es war schon fast zu einfach.
Nach einem kurzen Blick stellte Ophelia fest, dass Lilli immer noch an der Wand stand. Und, zugegeben, nichts tat.
Miss Ziegenberger seufzte und begann die dunkle, modrige Decke anzustarren.
Nach einer Weile fielen ihr die Augen zu, und der letzte Gedanke, der ihr Bewusstsein durchstreifte war: 'Bestimmt stört es niemanden, wenn ich kurz meine Lider ausruhe...'
Die Stunden vergingen, wie eine zähe Masse und vermengten sich zu einem Brei.
Doch Lilli stand immer noch da, und ließ sich nicht beirren.
Weder dem Troll, der die Mahlzeit wieder aus dem Verließ schaffte, noch Ophelias leichten Murmeln im Schlaf schenkte sie Beachtung. Sie achtete auch nicht auf die Ratten, die leise quiekend durch das Stroh huschten, ebenso wenig wie auf die besonders ausgefallenen zwei Exemplare mit den kleinen Hüten, die gerade direkt neben Ophelia einen flotten Walzer aufs Parkett legten.
Nein, sie konzentrierte sie nur auf die Lücken.
Irgendwann, mitten in der Nacht, erwachte sie aus der scheinbaren Lethargie. Sie nahm die Hand von der Wand und holte langsam aus. Ihre Finger ballten sich zur Faust, die sie mit einer Weidenartigen Peitschbewegung gegen die Mauer donnerte.
Zuerst tat sich nichts. Abgesehen davon, das Lilli sich am rauem Putz die Knöchel aufschlug und diese ein wenig bluteten.
Doch wenn man genau hinsah, dann bemerkte man, dass die Mauer leicht zu vibrieren begann. Die Spannung wurde immer stärker, bis die Wand plötzlich zu bröckeln begann. Große Risse bildeten sich, nachdem dieselbe Kraft, mit dem Bäume ihre Wurzeln durch massiven Fels trieben, voll zugeschlagen hatte.
Lilli strahlte freudig. Sie hatte es geschafft, endlich, endlich hatte es geklappt! Nun gut, es war kein massiver Fels gewesen, auch keine mehrere Meter dick, aber auch schon der dünnen, leicht porösen Ziegelwand schwere strukturelle Schäden zuzufügen, war eine gute Leistung gewesen. Naja, außer man war ein Troll... Die Gefreite freute sich wahnsinnig, denn das war ein untrügliches Zeichen, dass sie einfach zum Baum geboren war. Jawohl!
Lilli schaute sie nach etwas um, das sie als Hebel benutzen konnte, um die gelockerten Steine aus der Wand zu brechen. Nach einer Weile fand sie hinter einem Stein einen Schlüssel. Sie schaute ihn an, warf einen kurzen Blick zur Wand (streifte dabei die Tür) und steckte dann den Schlüssel zurück. Der war viel zu klein und deshalb ungeeignet, um die Steine aus der Mauer zu hebeln.
Auf die Idee, die Zellentür aufzuschließen, kam sie gar nicht erst.
Nach einer Weile fand Lilli einen seltsam hervorstehenden Stein. Sie drückte eine Weile lang an ihm herum, bis sich plötzlich ein Geheimgang öffnete.
Neugierig lugt sie in dessen Finsternis hinein. Langsam tastete sie sich in den Geheimgang vor, bis sie auf eine Fackel stieß.
Lilli wandte sie um, und versuchte mit dieser die Steine irgendwie aus der Mauer herauszuhebeln. Aber das wollte nicht so recht klappen, und so ließ Lilli die Fackel einfach zu Boden fallen. Sie schaute sich um, und entdeckte die Stange unweit der Gitterstäbe vor der Zelle. Sie versuchte, sich die Stange zu angeln, was auch gelang, und begann dann die Steine mit dieser aus der Wand zu hebeln. Der Schlüssel an der Wand gegenüber glitzerte nur etwas verärgert. Was höchst bemerkenswert ist, da die Beleuchtung extrem spärlich war. Um nicht zu sagen, dass es stockdüster war. Auf die Idee, die Fackel anzuzünden, kam Lilli nicht..
Allerdings hatte sich der Geheimgang nach einer Weile eh von selbst wieder verschlossen; und da drin war (direkt eben der Fackel) eine Zunderbüchse gewesen. Um eben jene Fackel entzünden zu können. Aber Lilli spielte grundsätzlich nicht mit Feuer herum. Das gilt auch für ein Kinder! Mit Feuer spielen ist furchtbar ungezogen; zumindest solange ihr den Brandschaden nicht aus eigener Tasche bezahlen könnt. Leise rieselte Staub aus der Wand, doch die größeren machten genug Lärm um Ophelia aufzuwecken. Diese war einen Moment sehr verwirrt, bemerkte dann Lilli, die das Loch mit der Stange stetig weiter vergrößerte.
Langsam näherte sich die verdeckte Ermittlerin von hinten und schaute ihrer Auszubildenden eine Weile über die Schulter. Dann aber legte sie sachte die Hand auf Lillis Schultern, um deren Aufmerksamkeit zu erregen.
Jene wirbelte herum und strahlte Ophelia an. Diese besah sich Stirn runzelnd das Loch.
Nach einigen Momenten reichte sie dann Lilli die Hand: "Ich habe zwar keine Ahnung, wie du das Loch hinbekommen hast, aber du hast meine Prüfung bestanden und einen Ausweg gefunden. Das ist eine Sache, die sich nur schwer beibringen lässt, aber als verdeckter Ermittler fliegt man früher oder später auf, darauf wollte ich dich vorbereiten. Meinen Glückwunsch, ich erkläre deine Ausbildung hiermit für beendet."
Lillis Mund klappte vor Sprachlosigkeit auf.
Was? Und was war jetzt mit den Doppelgängern? Einige Tage später machte sich Lilli wieder einmal auf den Weg zum Kneipenbesitzer. Diesmal aber nicht, um irgendwelche Gläser zu spülen, sondern um diesem endlich sein Geld zu geben. Er war so überglücklich, dass er ihr gleich ein Glas mit Bier spendieren wollte, aber sie lehnte ab. [25] Aber das nicht getrunkene Bier erinnerte sie am Tag danach, als sie zufällig Rabe Raben auf dem Gang begegnete, dass dieser ja ihr Saufkumpane war und deswegen winkte sie ihm fröhlich grinsend zu.
Kathiopeja, mit der sich Rabe eben unterhalten hatte, fragte ihn, was das denn eben sollte, was er mit einem 'keine Ahnung' beantwortete." Opa Hans lächelt die Kinder an.
"Wie geht's weiter?", fragt da die dicke Bernadette.
"Ähm... Was?"
"Wie geht's weiter?!"
"Die Geschichte ist zu Ende, was soll da noch weitergehen?"
"Ach komm, erzähl noch ein bisschen", bettelt KleinTimmi.
"Na gut, wie ihr wollt Kinder... Ähm... am nächsten Tag ging Lilli zu dem Metzger, bei dem sie ja gearbeitet hatte, und kündigte die Stelle. Der war zwar nicht wirklich begeistert, gab ihr aber die Karte seines Bruders, der war Bäcker. Wahrscheinlich wollte er den nur ruinieren, indem er in Lilli als Verkäuferin aufschwatzt.
Anschließend verspürte sie den großen Drang eine Kneipe aufzusuchen. Sie musste zwar keiner Gläser mehr spülen, aber irgendwie war es wie eine Angewohnheit, nachts die Stammkneipe der Wache aufzusuchen. Die Gefreite wollte sich das sofort wieder abgewöhnen, also beschloss sie bewusst eine andere Kneipe aufzusuchen. Sie fand eine - was ja auch nicht schwer ist, und dort traf sie einen netten älteren Mann, der ihr ein Glas Milch spendierte."
"Was? Ist das alles?"
"Nein.... ähm... Aja, die anderen Wächter haben hinterher Ophelia gefragt, ob sie die Prüfung nicht wiederholen könnte, die Kleidung war noch nie so sauber gewesen."
"Mein Gott!", zischte der Sonnenschutz, der keiner war: "Das ist sogar noch mehr an den Ohren herbeigezogen als der Rest dieser hanebüchenen Geschichte! "
"Och... eigentlich nicht. Genau genommen habe ich mir am meisten beim Tribunal ausgedacht. Und beim Schminkkurs. Mannomann dieses Mal habe ich mich wirklich übertroffen!"
"Sie haben zu Beginn behauptet, dass die Geschichte wahr sein."
"Wirklich? Ich kann mich irgendwie so schlecht daran erinnern...."
"Bäh! Diese Erzählung war eh unter aller Sau! Stimmt's Geschwister?"
Die beiden anderen Markisenkinder, die der Einfachheit halber während der gesamten Geschichte kein Wort verloren hatten, nickten.
"Es gab keinen echten Spannungsbogen, Beschreibungen waren so gut wie gar nicht vorhanden und alles irgendwie total zusammenhangslos! Sie haben einfach ein paar kleinere Geschichten aneinandergereiht, statt eine wirklich ausführlich auszuarbeiten!"
"Ja... stimmt. Ist mir selbst gar nicht aufgefallen."
"Und dieses Lied! Das war doch viel zu lang. Und wo haben sie eigentlich Reimen gelernt?! Im Armenhaus?!!"
"Hey, stimmt! Das erinnert mich an die gute alte Zeit..."
"Und was ist mit diesen ganzen Logikfehlern? Wieso bemerkt niemand einen riesigen Dämon, der in einem Büro vor sich hin donnert? Warum hat keiner der Wächter was gesagt, als Lilli Gläser spülte? Das war die Stammkneipe der Wache! Das musste doch ein Kollege bemerken! Und warum trägt sie bis zum Schluss die falsche Uniform? Ihre Ausbilderin wird doch wohl ein Machtwort gesprochen haben!"
"Ähm... also der Dämon hatte einen Termin und außerdem Ohrenstöpsel verteilt, die Kneipe hat einen Nebenraum, der den Gästen nicht bekannt ist, in dem Lilli aber abgespült hat und die Uniformsache... Tarnung. Ja Tarnung. So kommt nämlich niemand auf die Idee, dass Lilli verdeckte Ermittlerin bei RUM ist."
"Das sind nicht die Antworten, die ich hören will."
"Ja, dann hast du ein Problem. Ich habe keines, denn durch das Zulassen von kleineren Ungereimtheiten habe ich mir langatmige Erklärungen erspart. Wieso sich Sorgen machen um so nichtige Probleme wie: Wenn die beiden Näherinnen einen Tag von Ankh-Morpork zurück in ihren Heimatort brauchen, wie können sie dann schon am ersten Tag der acht Tage, die sie freihaben, schon anwesend sein?"
"Ach und das hat sie wohl auch veranlasst, Lillis Nebenjobs während der Geschichte irgendwann vollkommen unter den Tisch fallen zu lassen?"
"Du hast es erfasst, Bursche."
"Und was sollte der Schwachsinn mit den Erwähnen von Fällen, die in den Akten sind?"
"Nun, Lilli hat schon einiges außerhalb dieser Ausbildung erlebt, dass wollte ich nicht unter den Tisch fallen lassen. Außerdem hat die Geschichte so einen ungefähren zeitlichen Rahmen.
Und seien wir ehrlich - wer bei den entsprechenden Fällen dabei war, wird die Anspielungen erkennen - und wer nicht dabei war, der wird nicht unnötig sehr damit belästigt, alte Fälle zu lesen. Und falls es dich tröstet: Lilli ist während ihrer Ausbildung auch noch auf der Rundwelt gewesen, dass habe ich aber vollkommen vernachlässigt, weil mir dass zu weit gegangen wäre, auch noch diese Episode einzubauen."
"Und welche Ausrede haben sie für dieses Übermaß an Fußnoten?!"
"Fußnoten? [26]", fragt Opa Hans.
"[27]"
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"[47]"
"[48]"
"Also, du findest echt an allem etwas auszusetzen, Kleiner!", fuhr der alte Herr fort.
"Natürlich! Ich bin eben Anspruchsvoll! Deswegen werde ich ab jetzt jede Woche hier auftauchen und mit Argusohren ihren so genannten Geschichten lauschen." Das Kind - für das mir einfach keine Synonyme mehr einfallen -, steht mit seinen Geschwistern zusammen auf und verlässt die Runde.
"Komischer Kauz!", diagnostiziert KleinTimmi.
"Nächstes Mal müssen Sie ihn aber mehr verarschen, ja?", bittet die dicke Bernadette.
"Natürlich. Aber jetzt Kinder, es ist schon reichlich spät, draußen wird es langsam dunkel. Es wird Zeit, dass ihr nach Hause geht."
"Auf Wiedersehen!" "Tschüssi!" "Bis Morgen!" "Bis bald!" "Gute Nacht!" "Machen sie's gut!"
Die Kinderschar verließ die Kneipe und machte sich wieder auf den Weg nach Hause. Und wieder einmal hatte er gute Arbeit geleistet. Nun, über die Qualität seiner Geschichten ließ sich streiten, aber hey - er hatte die Kinder den ganzen Tag über beschäftigt und seine Aufgabe somit mit Bravour erfüllt. Sogar das eine neuen Kind, das ständig rumgemosert hatte, hatte Gefallen an der Geschichte gefunden. Das konnte Opa Hans in dessen Gedanken lesen.
Allerdings gab es eine Sache, die der Knabe vergessen hatte anzuprangern: Die Pflegerin von Opa Hans ist seit dem Beginn der Geschichte nicht mehr in Erscheinung getreten.
Was sie allerdings nicht davon abhält, es jetzt zu tun: "Herr Hansen?"
"Ja?", fragt Opa Hans, der lustigerweise mit Nachnahme Hansen hieß: "Was ist?"
"Ich wollte sie vorhin nicht unterbrechen - vor allem weil sie gerade ihre Medizin gegen Vergesslichkeit genommen hatten - und da spinnen sie immer so seltsames Zeug zusammen, statt ordentlich zu antworten - nun, ich bin etwas beunruhigt."
"Wieso denn?"
"Nun...", die Pflegerin sucht nach den richtigen Worten, doch das Problem erledigt sich von selbst:
Es steht nämlich auf. Lilli erhebt sich schwerfällig von hinter dem Tresen und klammert sich an dem Teil fest. Ihr Kopf fühlt sich an, als hätten dreißig Elefanten eben darin Samba getanzt. Sie kann sich noch darin erinnern, von einem netten Herrn auf ein Glas Milch eingeladen worden zu sein, der sie dann noch jede Menge Zeug fragte.
So unglaublich es klingt, die Gefreite konnte Unmengen von Alkohol konsumieren, ohne mit der Wimper zucken. Aber Milch... DAS Zeug haut rein.
Langsam, weil kopfschmerzgeplagt, klopft sich die Gefreite den Staub aus der FROG-Uniform. Sie wendet sich dann schon dem Ausgang zu, als Opa Hans mit sehr lauter Stimme an seine Pflegerin gewandt sagt: "Wusstest du eigentlich, dass man wirklich darauf acht geben sollte, wo man in seinen Gedanken die vergangenen Wochen Revue passieren lässt? Ich kenne jemanden, der kennt wiederum jemanden, der jemanden kennt, der hier in Ankh Morpork in siebzehn Geheimorganisationen[49] sein soll, die sich dem Gedankenlesen verschrieben haben? Und weißt du, was daran am unglaublichsten ist? In drei von diesen Vereinen soll es doch tatsächlich Leute geben, die das können!" Die Pflegerin wirkt ein wenig verwirrt, als Opa Hans ihr nach diesen Worten schelmisch zublinzelt.
Die Verdeckte Ermittlerin aber dreht sich im Türstock um und hofft für einen Moment inständig, dass ihr Gedanke da ankommt, wo er ankommen soll: "arschloch!"
Anscheinend gibt es aber eine Übertragungsstörung, denn beim Empfänger landet nur ein Rauschen, wie vom Wind, der durch eine Baumkrone streicht, was daraufhin Hans Hansen zu einem enorm breiten Grinsen veranlasst. [50]
[1] von welcher der Betreiber immer noch hofft, dass ihm irgendwann ein Kunde aus seinem Krea-Tief heraushelfen wird
[2] Natürlich nicht ohne vorher eine kleine Kneipenschlägerei zu veranstalten
[3] Wie auch immer DAS jetzt zu verstehen ist...
[4] Für die Leute, die sich mit gewagten Sprüngen vor dem heranrasenden Fahrzeug retten müssen.
[5] im nüchternen Zustand als grandios dumm zu bezeichnende
[6] Natürlich nicht ohne vorher eine kleine Kneipenschlägerei zu veranstalten
[7] Seltsamerweise konnte sich Lilli nicht daran erinnern, dass das je einer ihrer Kollegen getan hätte... Seltsam, seltsam...
[7a] eine lange Geschichte, auf die ich nicht näher eingehen werde
[9] eine lange Geschichte, auf die ich nicht näher eingehen werde
[10] eine lange Geschichte, auf die ich nicht näher eingehen werde
[11] eine lange Geschichte, auf die ich nicht näher eingehen werde
[12] eine lange Geschichte, auf die ich nicht näher... Moment! Auf diese Geschichte BIN ich schon näher eingegangen!
[13] Diese gibt es in vielen verschiedenen Geschmacksrichtungen, am bekanntesten ist die beleidigte Leberwurst.
[14] Natürlich nicht ohne vorher eine kleine Kneipenschlägerei zu veranstalten.
[15] Mit mehr Rest als Fleisch..
[16] Wie üblich eine furchtbar entsetzliche Angelegenheit.
[17] *Trommelwirbel*
[18] Als Näherin, nicht als Näherin. Was ihr immer denkt...
[19] Es ging bei diesem Geschäft zwar um liquide Mittel, trotzdem handelte es sich um eine Routineaktion.
[20] Mit dem anderen hätte er allerhöchstens die Stadtkarte von Ankh-Morpork bewundern können.
[21] Ein Dämonisiakum funktioniert wie ein Aphrodisiakum. Nur, dass es einem nicht dazu veranlasst mit jemanden sofort in die Kiste zu hüpfen, sondern zwei Dämonen erscheinen lässt, die mit dir ausdiskutierten, ob man wirklich mit jemanden in die Kiste hüpfen sollte.
[22] Natürlich nicht ohne vorher eine kleine Kneipenschlägerei zu veranstalten.
[23] Der Dämon kannte den kleinen Betonungsunterschied, der eine Anrede trotz Höflichkeitsform dennoch unhöflich klingen lassen konnte.
[24] beziehungsweise die ehemalige verdeckte Ermittlerin in spe, schließlich hatte sie so ziemlich alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte, und bestimmt würde sie bald gefeuert werden, dessen war sich Lilli sicher, was sie emotional völlig durcheinander brachte
[25] Natürlich nicht ohne vorher eine kleine Kneipenschlägerei zu veranstalten.
[26] Welche Fußnoten?
[27] Diese hier zum Beispiel.
[28] Ach so! DIESE Fußnoten.
[29] Blitzmerker!
[30] Und was soll damit sein?
[31] Die Dinger nerven!
[32] Finde ich nicht!
[33] Wer hat das jetzt gesagt? Ich's war's nicht.
[34] Der Timmi war's.
[35] Da sehen Sie es! Fußnoten sind total unpraktisch!
[36] Ach, halt's Maul, Markischen!
[37] Bernadette! Benimm dich!
[38] Menno... Opa Hans, du hattest eine Romanze versprochen... aber da war nix romantisch.
[39] Besser als irgendwelcher übertriebener Kitsch. Aber das Tribunal war cool.
[40] Stimmt, Timmi, ich fand das Tribunal auch voll cool!
[41] Eigenlob stinkt!
[42] Wie habt ihr gemerkt, dass ich das gesagt habe?
[43] Intuition!
[44] Naja, dann sollten wir besser mit der eigentlichen Geschichte fortfahren.
[45] Machen wir das denn nicht?
[46] Nicht wirklich... Eigentlich treiben wir nur die Zahl der Fußnoten unnötig in die Höhe!
[47] Ach so...
[48] Ich sag's ja! Entweder Sie schludern herum oder übertreiben! Und außerhalb dieser bekloppten Fußnoten gab es keine einzige Kneipenschlägerei!
[49] in Ankh-Morpork ein gebräuchliches Synonym für 'privater Verein'
[50] Ende :)
Ich danke allen, die es bis hierher durchgehalten haben - und das auch nicht nur, weil ich mit diese
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