Ankh-Morpork Rhapsodie

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von Hauptgefreiter Scoglio (SEALS)
Online seit 12. 08. 2006
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Too late, my time has come,
Sends shivers down my spine -
Body's aching all the time,
Goodbye everybody - I've got to go -
Gotta leave you all behind and face the truth.

(F.Mercury)

Dafür vergebene Note: 11

Da stand er - Rosa Fleut, ein Junge von 14 Jahren, die Armbrust in den zitternden Händen haltend. Diese Aufgabe würde er meistern. Sein letzter Schuss hatte das Ziel zwar deutlich verfehlt, aber das würde ihm nicht noch einmal passieren. Das durfte ihm nicht noch einmal passieren. Er war kein Versager, wie sie alle immer sagten, auch wenn es oft den Anschein gehabt hatte. Aber damit würde es von nun an vorbei sein.
Er holte tief Luft und wischte sich mit einer Hand über die Stirn - sie war schweißnass. Dann legte er einen neuen Bolzen in die Armbrust ein und hob sie auf Schulterhöhe. Sein Finger legte sich um den Abzug, aber er hatte keine Kraft, ihn durchzudrücken.
Er ließ die Armbrust wieder sinken und fuhr sich mit einer Hand nervös durch sein kurz gelocktes, dunkelbraunes Haar. Erneut holte er tief Luft, um sich zu beruhigen und legte ein weiteres Mal an.
Durch die zusammengekniffenen Augen visierte er sein Ziel an, das in einiger Entfernung vor einer Mauer stand. Sein Finger zögerte, den Abzug zu betätigen und der Junge spürte, wie er am ganzen Körper zitterte. Er gab sich einen Ruck und...
"Von hier triffst du die Zielscheibe niemals!"
... wirbelte herum, wobei sich sein Finger krampfhaft zusammen zog.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte er den Mann an, der vor ihm stand, den Bolzen weit in der Brust steckend. Schreiend ließ er die Armbrust fallen und rannte davon.

"Mama, ich habe gerade einen Mann getötet." Immer noch geschockt stand Rosa in der Wohnungstür. "Ich habe mit der Armbrust geübt und plötzlich stand er da vor mir und... und ich habe den Abzug gedrückt und jetzt ist er tot." Die Stimme des Jungen war immer leiser geworden und hatte sich zuletzt fast gänzlich in lautem Schluchzen verloren.
Langsam ging seine Mutter auf ihn zu, aber als Rosa weiter sprach, blieb sie wieder stehen.
"Mama, das Leben hatte doch gerade erst für mich begonnen und jetzt... ich habe alles weggeworfen, mein ganzes Leben. Wie soll ich nur weiter fröhlich sein?" Ein tiefes Schluchzen unterbrach seine Worte. Unsicher fasste er nach der noch immer offen stehenden Tür hinter sich und schluckte schwer. "Wenn... wenn ich morgen um diese Zeit nicht wieder zurück bin, dann... leb so weiter, als ob nichts geschehen wäre." Und damit rannte er fort und warf die Tür hinter sich zu.
Seine Mutter stieß einen spitzen Schrei aus und Tränen liefen ihr plötzlich über die Wangen. Sie eilte zur Tür, riss sie wieder auf und trat auf die Straße, aber von ihrem Sohn war nichts mehr zu sehen.

"Es war ganz schön schrecklich, das kannst du mir glauben. Da hatte ich einmal echtes Gold in der Hand und dann reagiere ich darauf auch noch allergisch. Meine ganze Hand wurde rot und schwoll an. Sie wurde so groß wie... na ja, fast so groß wie deine Hand." Der Gefreite Johan Schaaf schüttelte sich bei dem Gedanken daran. "Na ja, musste der Zwerg halt seine Schmuckstücke alleine wieder ins Haus bringen. Immerhin konnte ich den Diebstahl verhindern."
Mit steinerner Miene hörte der Hauptgefreite Scoglio seinem Kollegen zu, während er neben ihm durch den Bachlosen Weg ging. Die Sonne schien heiß vom Himmel, seit Tagen hatte es nicht mehr richtig geregnet und die ganze Stadt schien träge zu sein. So hatte es auf ihrer Streife bisher auch keine Besonderheiten gegeben, abgesehen von dem Mann, der ihnen in der Königsstraße entgegen kam, mit einem Armbrustbolzen in der Brust steckend. Sie waren einigermaßen verwirrt und besorgt gewesen ob seines Anblickes, aber da er sich scheinbar bester Gesundheit erfreute und munter an ihnen vorbeiging, hatten sie ihn nicht mehr weiter beachtet. Nach diesem kurzen Zwischenfall war wieder die für den heutigen Tag so gewohnte Langeweile eingetreten und Scoglio konnte es seinem Kollegen kaum verübeln, dass er versuchte die Streife ein wenig stimmungsvoller zu gestalten, aber dennoch nervte es ihn ein wenig.
Während Johan von einem weiteren interessanten Erlebnis erzählte, bogen die Beiden in den Kurweg ein.

"Und du bist sicher, dass diese Methode auch klappt?" Marascouch klang sehr unsicher und er blickte skeptisch in den kleinen dunklen Raum hinein.
Marascouch war ein Gott und zwar ein sehr moderner. Er legte großen Wert darauf, in direktem Kontakt mit seinen Gläubigen zu sein, von denen es zugegeben nicht gerade viele gab, was vielleicht auch an seiner Zielgruppe lag. Er war der Gott der gescheiterten Selbstmörder. In Llamedos war er nicht unbeliebt, aber der Rest der Scheibe hatte noch nichts von ihm gehört. Nur in Ankh-Morpork lebten inzwischen fünf seiner Gläubigen. Diese hatten sich unter der Führung von Misbi Llah, der erst vor kurzer Zeit von Llamedos nach Ankh-Morpork gekommen war, in einem Bund zusammengeschlossen, dem sie den Namen Llagileo gaben. Was das bedeutete, wusste niemand außer ihrem Anführer, aber die anderen vermuteten, dass es im Llamedosianischen bestimmt eine tolle Bedeutung hatte.
"Todsicher bin ich mir", versicherte Misbi dem kleinen bläulich-grünen Frosch, in dessen Gestalt Marascouch aus irgendeinem Grund sehr gerne erschien. "Der zukünftige Glläubige wird in diese Kammer eingeschllossen und bekommt die wichtigsten und besten Kapitell aus deinen Heilligen Schriften zu hören." Er klopfte auf das in Leder gebundene Buch, welches er zusammen mit seinem Bruder daheim in Llamedos verfasst hatte. "Den Vortrag untermallst du mit irgendwellchen klleinen, aber ausdrucksstarken Wundern. Mit etwas gefährllichen, grauenerregenden Wundern am besten. Denn in Gefahrensituationen fängt man lleichter an zu gllauben. "
"Aber wie soll das denn aussehen?" Marascouch blickte fragend zu ihm hoch.
"Was weiß ich? Llass ein... ein, äh, schreckliches Billd vor seinen Augen entstehen. Oder beschwöre ein Gewitter herauf..."
"In der Kammer?"
Misbi nickte ernst. "In der Kammer. Hauptsache, es ist etwas, das ihn von deiner Existenz überzeugt. Zusammen mit den Schriften", er klopfte noch einmal auf das Buch unter seinem Arm, "wird er glläubig werden, keine Sorge. Denn du willllst ja mehr Anhänger bekommen, nicht wahr?"
Marascouch quakte zustimmend.

Auf der Sentimentalen Brücke machte Rosa Fleut Halt und lehnte sich erschöpft gegen die Brüstung. Die letzten Minuten war er nur durch die Straßen gehetzt, bloß weg von seiner Wohnung, von seiner Mutter, von allem, was er kannte und vor allem weg von seinem ungewollten Opfer. Er konnte es nicht fassen, dass er den Mann erschossen hatte. Er hatte doch nur lernen wollen, mit der Armbrust zu schießen und hatte deswegen die Zielscheibe dort aufgestellt. Er wollte doch nur von den anderen Jungen nicht mehr ausgelacht werden, er wollte kein Versager mehr sein, er wollte beliebt sein.
Rosa zitterte am ganzen Leib und zwang sich, tief durchzuatmen und sich zu beruhigen. Noch einmal sah er in Gedanken den Toten, wie er da stand, mit dem Bolzen in der Brust, und ihn beinahe vorwurfsvoll anzustarren schien, und musste sich beinahe übergeben. Er ließ seinen Kopf auf die steinerne Brüstung sinken und starrte lange in den Ankh hinab.
Dann eroberte ein Gedanke sein Bewusstsein, der schon ein wenig länger tief in ihm gesessen hatte, ohne dass er dessen bewusst war, und Rosa hob ruckartig den Kopf.
War es so einfach? Konnte das die Erlösung aus seiner misslichen Lage sein? Erneut schaute er in den Ankh hinab, diesmal aber bedeutend intensiver und prüfender. Es war verlockend - mit einem Mal konnte sein Leiden vorbei sein. Schon jetzt gleich... in nur wenigen Sekunden.
Noch einmal sah er den Blick des Toten vor sich und schwang sich dann umständlich auf die Brüstung. Zögerlich rutschte er vorwärts, sodass er am Rand saß, die Beine frei über dem Ankh hängend, und zuckte kurz zusammen, als er einen scharfen und kurzen Schmerz am Gesäß spürte.
Dann sprang er.

Wilhelmine Fleuts Suche nach ihrem Sohn war bisher erfolglos verlaufen. Nun stand sie am Ankh und wunderte sich über die große Anzahl an Menschen vor ihr. Sie drängelte sich durch die Massen, einerseits bestrebt, ihren eingeschlagenen Weg fortzusetzen, andererseits neugierig, was sich dahinter verbarg - das typische Verhalten eines Bewohners der Zwillingsstadt.
Als sie sich ihren Weg durch die schaulustige Menge gebahnt hatte, blieb sie wie vom Donner gerührt stehen.
Dann schrie sie.
Vor ihr hing Rosa an der Brüstung der Sentimentalen Brücke, hilflos in seinem Hemd zappelnd.
Sie schrie erneut.

"Was war das?" Johan Schaaf blieb abrupt stehen.
"So etwas ähnliches wie eine Maus. Ich glaube, man es Ratte nennt."
"Wie?" Johan blickte Scoglio verwirrt an. "Nein, ich meinte den Schrei. Er kam von dort drüben." Der Gefreite zeigte in die entsprechende Richtung und lief los. Der Troll folgte ihm mit großen Schritten.

Rosa fluchte vor sich hin. Wieso musste ausgerechnet ihm so etwas passieren? Konnte er nicht einmal von einer Brücke springen, ohne irgendwo hängen zu bleiben? Versuchsweise ruderte er nochmal mit den Armen, obwohl er genau wusste, dass es nichts brachte. Dann versuchte er hoch zu springen, um sein Hemd von dem zu lösen, woran er fest hing, was auch immer es war. Doch es fehlte ihm an etwas, von dem er sich abdrücken konnte.
Sein Blick glitt nach unten und ihm wurde schwindelig. Mittlerweile war er sich nicht mehr so sicher, ob er wirklich da unten landen wollte. Aber vielleicht war es sogar besser, als ewig hier oben herumzuhängen.
Plötzlich gab es einen Ruck, etwas ratschte und er hing einige Zentimeter tiefer. Rosa schluckte schwer und schloss die Augen. Ein erneuter Ruck und dann fiel er dem Ankh entgegen. Aber wieso bewegte er sich dann nach oben? Überrascht öffnete er die Augen und blickte sprachlos in das Gesicht eines jungen, bärtigen Mannes, der ihn gerade auf dem Boden absetzte.
"Das war wohl nichts mit deinem Selbstmordversuch, was? Du hattest dich mit deinem Hemd in dem Nagel dort verfangen." Der Mann zeigte auf das entsprechende Objekt. "Und ich schätze, jetzt bist du ganz froh, nicht gefallen zu sein, oder? Kann ich verstehen, mir ging es einst genau so."
Rosa hatte bisher keine Gelegenheit gefunden, zu Wort zu kommen.
"Ja... danke vielmals", beeilte er sich nun zu sagen. "Vielen Dank, Herr..."
"Nenn mich Karl", sagte Karl. Er legte dem Jungen den Arm um die Schultern und ging langsam los in Richtung Morpork. "Aber danke mir nicht. Es war allein der Wille Marascouchs, dass ich dich gefunden habe."
"Wer ist das?", fragte Rosa interessiert und trottete gemächlich neben dem jungen Mann her.
Karl erzählte es ihm.

"Lasst mich durch!" Wilhelmine versuchte, durch die Menge zu kommen. Doch die vielen Menschen standen sehr dicht und selbst mit verschärftem Einsatz der Ellenbogen kam sie nur langsam vorwärts. Sie warf einen weiteren Blick hoch zur Brücke - Rosa war nicht mehr zu sehen. "Lasst mich durch, verflixt, ich muss zu meinem Sohn!"
Endlich hatte sie sich durch die Masse gekämpft. Sie eilte die Brücke hinauf und als sie deren Scheitelpunkt erreicht und noch immer keine Spur von ihrem Jungen erblickt hatte, schlug sie verzweifelt die Hände vor ihr Gesicht und fing bitterlich an zu weinen.
"Ja, hier muss es gewesen sein."
Wilhelmine horchte auf und die Tränen hörten auf zu fließen. Die Stimme klang beruhigend.
"Du sicher bist?"
Sofort begann sie wieder zu weinen. Diese Stimme klang alles andere als beruhigend. Langsam drehte sie sich um und versuchte durch den dichten Tränenschleier zu erkennen, woher die Stimmen kamen.
Ein noch recht junger Mann kam auf sie zu und fragte: "Wir haben einen Schrei gehört. Kam er von hier?"
Dahinter wankte irgendetwas Großes auf Wilhelmine zu. Schnell bemühte sie sich, die Tränen aus dem Gesicht zu wischen.
"Ja, das war wohl ich", sagte sie dann mit leicht beschlagener Stimme. "Es... es war wegen meinem Sohn. Er hing hier an dem Geländer direkt über dem Ankh, weiß der Toifel warum. Ich wollte zu ihm, doch dann war er weg."
"Vielleicht ist er einfach... heruntergefallen?", fragte Johan Schaaf.
"Nein... ich hoffe nicht. Aber das hätte ich auch gemerkt." Mittlerweile hatte sich Wilhelmine Fleut schon wieder einigermaßen beruhigt.
Johan machte ein nachdenkliches Gesicht. Dann rümpfte er die Nase.
"Der Ankh riecht sehr intensiv heute, nicht?" Der Gefreite drehte sich um, um über die Brüstung zu blicken und stieß beinahe mit einem Zombie zusammen.
Er hatte einen Pfeil in der Brust stecken.
Johan zuckte zurück und betrachtete ihn nachdenklich. "Ich habe Euch doch schon mal gesehen?"
"Das weiß ich nicht. Aber ich bin auf der Suche nach diesem Jungen, über den ihr sprecht."
Wilhelmine schrak zusammen. "Was wollt Ihr von ihm?"
Und dann begann der fremde Mann zu erzählen. "Der Junge übte draußen vor den Toren der Stadt mit einer Armbrust. Er hatte sich viel vorgenommen, die Zielscheibe stand weit entfernt. Nun, ich ging zu ihm hin und sagte, dass er aus der Entfernung nie treffen würde. Es war bloß ein Hinweis. Aber der Junge erschrak derart, dass er zu mir herum zuckte und den Auslöser durch drückte. Seitdem renne ich mit diesem blöden Bolzen herum und versuche ihn zu finden, um ihn zu beruhigen. Hier hatte ich ihn endlich gesehen, aber in meinem Zustand kann ich nicht besonders schnell laufen und mir auch keine großen Sprünge erlauben und so. Deswegen habe ich ihn auch nicht mehr erwischt. Aber ich konnte noch sehen, wie er zusammen mit einem Mann fort ging. Es sah ganz friedlich aus", beeilte er sich zur Beruhigung Wilhelmine Fleuts hinzuzufügen.
Hinter ihnen rumpelte etwas und Scoglio meldete sich zu Wort.
"Ich eine Idee habe, wie wir den Jungen finden könnten", sagte er, die erstaunten Blicke der anderen ignorierend. "Aber dazu ich den Bolzen benötige..."
Der Zombie schein ein wenig verlegen zu werden. "Dann muss ich Euch bitten, ihn herauszuziehen. Ich habe es schon versucht, aber leider..." Er zeigte mit seinem rechten Arm auf seine Brust, dort wo der Bolzen in den Körper eindrang. Eine graue Hand, von der einige Fäden hinunterhingen hatte den Bolzen fest umschlossen.
"Ich verstehe", sagte Scoglio und griff nach dem Bolzen.
"Aber schön vorsichtig!", mahnte der Zombie, als der Troll daran zog.
Bald hatte Scoglio den Bolzen herausgezogen und mühte sich nun damit ab, vorsichtig des Zombies Hand davon zu lösen, während Johan sich abgewendet hatte und den Ankh begutachtete und Wilhelmine mit weit aufgerissenen Augen zusah.
"Johan, du kommst? Wir zum Wachhaus müssen", sagte Scoglio, als er dem Zombie seine Hand zurückgab, ohne ihr auch nur einen Finger gekrümmt zu haben.
"Was willst du denn im Wachhaus? Der Junge ist hier verschwunden."
"Du schon sehen wirst", antwortete Scoglio mit unergründlicher Miene und marschierte los.
Widerwillig, aber auch neugierig eilte Johan ihm hinterher.
"Hee, und was sollen wir jetzt machen?", rief Wilhelmine den beiden Wächtern hinterher.
Für einen Moment hielt Scoglio inne. "Ihr am Besten hier wartet und in der Zeit dem netten Herrn seine Hand wieder annäht oder so."

Karl öffnete schwungvoll die Tür. Sie knarrte unheilvoll und etwas morsches Holz bröckelte ab.
"Wir haben leider nicht genug Geld, um uns etwas Besseres zu leisten", sagte Karl entschuldigend. "Aber was will man als gescheiterter Selbstmörder auch erwarten? In das bisherige Leben kann man nicht zurückkehren, man will es vor allem auch gar nicht. Und etwas Neues anzufangen ist sehr schwer. Aber es ist sehr viel leichter, wenn man dabei an Marascouch glauben kann."
Rosa Fleut blieb skeptisch. Er wusste nicht so recht, was er davon halten sollte, was ihm Karl auf dem Weg hierher erzählt hatte. Ein Gott eigens für gescheiterte Selbstmörder? Warum sollte es so was geben? Und falls es ihn geben würde, was sollte es bringen, an ihn zu glauben? Als er das Karl gefragt hatte, wusste der nicht so recht, was er antworten sollte. Scheinbar hatte er sich diese Fragen noch nie gestellt. Aber das schien ihm nichts auszumachen, er glaubte einfach.
"Jetzt geht es hier herunter", sagte Karl. "Aber sei vorsichtig, die Treppe ist etwas brüchig. Oh, guten Tag, Frau Meise!"
Rosa nickte der Frau unsicher zu.
"Das ist unsere Vermieterin", erklärte Karl.
"Habt ihr etwa einen neuen Verrückten gefunden?", fragte sie mit einer überaus schrillen Stimme, die Rosas Zehennägel beinahe dazu veranlasste sich aufzukräuseln.
Karl lächelte nur nervös und schob Rosa schnell weiter. Dabei flüsterte er ihm zu: "Sie will nicht glauben, dass Marascouch existiert. Aber hör nicht auf diese verblendete Ungläubige."
Dann stieg er vorsichtig die kleine Treppe hinunter und bedeutete Rosa, ihm zu folgen.
Unten angekommen trat der Junge beinahe auf einen kleinen Frosch, der schnell unter einem herumliegenden Stein Schutz suchte.
Das Haus gefiel ihm immer weniger, aber jetzt konnte er schlecht wieder zurückgehen. Also folgte er Karl den kurzen Gang entlang, an dessen Ende sich rechts und links zwei Türen befanden, die einen ebenso stabilen Eindruck machte wie die Haustür. Karl wählte die rechte, hinter der sich ein weiterer Gang genau entgegengesetzt zum ersten erstreckte und an dessen Ende eine zweite Treppe wartete. Als sie auch diese sicher hinabgestiegen waren, blickte Rosa in die Gesichter von vier Männern, die wohl in etwa genauso alt waren wie Karl. Sie begrüßten ihn freundlich.
"Hat Karl also so schnell jemanden gefunden? Aber ich habe ja immer gesagt, dass sich Ankh-Morpork besser eignet als jede andere Stadt. Ich bin übrigens Misbi." Er legte Rosa freundschaftlich eine Hand auf die Schulter. "Wir fragen nicht, aber wenn du darüber reden möchtest, was dir geschehen ist in deinem bisherigen Leben, kannst du das gerne mit uns tun. Ich halte es zwar für besser, gar nicht mehr daran zu denken, um so gut wie möglich damit fertig zu werden, aber das ist nur meine Meinung. Die Entscheidung liegt bei dir."
Bedächtig ging Misbi zu einem kleinen Tisch, auf dem ein großes, in wundervolles Leder gebundenes Buch zwischen einem halben Dutzend, in einem Kreis aufgestellten, Kerzen lag. Es passte gar nicht so recht in diese heruntergekommene Umgebung.
Er zündete die Kerzen an. Es wurde ein wenig heller in dem Raum, der sonst nur durch die beiden kleinen Öffnungen oben in der einen Wand seine spärliche Beleuchtung erhielt.
"Ich schätze, Karl hat dir schon einiges über Marascouch erzählt?", fragte Misbi, während er das Buch sorgsam aufschlug. "Aber ich denke, du möchtest dennoch ganz gerne aus den Heiligen Schriften etwas hören, nicht?"
Das konnte Rosa nicht leugnen. Auch wenn ihm das Ganze etwas seltsam erschien, interessiert war er dennoch. Langsam nickte er.
"Dann darf ich dich bitten, dort in der Kammer Platz zu nehmen."
"Was? Aber wieso..." Fragend blickte er Karl an, der ihn ergriffen hatte und ihn sanft, aber bestimmt in die Kammer dirigierte.
"Du wirst es mir noch danken, keine Sorge, Rosa", sagte Misbi, als er die Kammer verschlossen hatte.
Er blätterte kurz in dem großen Buch, sah zu dem Frosch, der neben der Kammer saß und begann zu lesen.

Scoglio und Johan betraten das Wachhaus.
"Was willst du denn jetzt überhaupt?", fragte ihn Johan zum wiederholten Male.
"Du schon sehen wirst." Scoglio lächelte hintergründig. Er ging, mit einem an die dort sitzenden Rekruten gerichteten Nicken, zielstrebig am Wachetresen vorbei, auf die Treppe in den ersten Stock zu.
"Warte doch", rief Johan hinter ihm. "Bist du sicher, dass die Treppe dich aushält?"
"Nein", erwiderte Scoglio und machte sich an den Aufstieg.
Mit skeptischem Blick sah Johan ihm zu und folgte, als der Troll das obere Ende erreicht hatte.
"Und jetzt?" Der Verkehrsexperte blickte seinen Kollegen fragend an.
"Jetzt wir suchen müssen...", sagte Scoglio und ging zu den beiden Büros neben der Treppe. "SUSI 1 und FROG 1... wahrscheinlich nicht." Er ging weiter an den Büros vorbei und las aufmerksam die Beschriftungen. "RUM 4... auch nicht."
Johan stand recht verloren wirkend an der Treppe und lächelte den vorübergehenden Kollegen nervös zu - er wusste ja nicht, wonach der Szenekenner suchte.
Dann hörte einen Seufzer und ein "Na endlich..." von dem Troll. Rasch ging er zu ihm hinüber.
"Du vielleicht anklopfen kannst?", fragte Scoglio leicht verlegen. "Ich da immer so meine Probleme habe... obwohl es so einen Spaß macht."
Johan nickte und las das Schild an der Tür, während er klopfte. "FROG (Späher & Komm-Ex.)"
Von drinnen tönte ein leise gemurmeltes "Herein!".
Johan öffnete die Tür und ließ Scoglio den Vortritt, der sich bücken musste, um das Büro zu betreten. Der Troll sah sich in dem Raum um, dann richtete er sich an die ihm unbekannte Wächterin, die einzige andere anwesende Person.
"Ich Waldemar von Silberfang suche", sagte er.
"Da bist du hier falsch", antwortete die Hauptgefreite Mindorah Giandorrrh. "Der ist im FROG 1. Wenn er überhaupt da ist."
"Aber..." Scoglio stockte kurz. "Er doch Späher ist, oder?"
"Ja."
"Na gut." Mit einem Schnauben drehte sich der Troll um und verließ das Büro. Hinter ihm schloss Johan die Tür wieder.
Vor dem FROG 1 - Büro stehend sagte der Hauptgefreite: "Seltsame Ordnung die hier bei FROG haben."
Johan nickte, aber es ließ sich nicht erkennen, ob es zustimmend war oder bloß ein freundliches, aber nichtssagendes Nicken. Dann klopfte er an die nächste Tür und öffnete sie.
Scoglio trat ein und sagte: "Aha. Hallo Waldi...mar!"
Der angesprochene Werwolf saß starr hinter seinem Schreibtisch und starrte gedankenverloren auf eine Stelle an der gegenüberliegenden Wand.
"Waldemar?", sagte Scoglio erneut, diesmal etwas lauter. Er ging zu ihm herüber und fuchtelte mit seiner riesigen Pranke vor dem Gesicht des Gefreiten herum, der sich noch immer nicht regte. Dann stupste er ihn ganz sachte an.
Waldemar fiel beinahe vom Stuhl und ein Knurren entrang sich seiner Kehle. Als er den Szenekenner vor sich erkannte, sagte er schnell: "Oh, hallo! Tut mir Leid, ich war wohl in Gedanken."
Er schüttelte einmal kräftig den Kopf und sein langes silberfarbenes Haar, das er ausnahmsweise nicht zu einem Zopf gebunden hatte, wirbelte wild um seinen Kopf herum.
"Was gibt es denn?"
"Waldemar, ich deine Hilfe brauche."
"Meine Hilfe? Ich bin doch noch nichtmal vernünftig ausgebildet...."
"Nein, nicht als Späher. Ich deine Hilfe als Werwolf brauche", sagte Scoglio und legte den Armbrustbolzen, den er die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte, auf dem Tisch ab.
Waldemar sah ihn an. "Was ist denn passiert?"
Der Hauptgefreite erzählte es ihm.
"... und das der Bolzen ist, den der Junge verschossen hat. Ich dachte, vielleicht du seine Spur, äh, erriechen könntest?", schloss er.
Einen Augenblick lang überlegte der Gefreite und starrte den vor ihm liegenden Bolzen an. Dann sagte er: "Nun, ich kann es dir nicht versprechen. Ich weiß nicht, wie stark der Geruch hier dran ist, aber wenn du sagst, dass der Junge so nervös war... vielleicht hat er viel geschwitzt, der Geruch könnte sich auf den Bolzen übertragen haben. Wir können es zumindest versuchen."
"Gut." Scoglio schien erleichtert.
"Dann lass mich mal bitte kurz alleine. Das heißt, ich hoffe, ich bin alleine. Bei Max weiß man ja nie." Waldemar seufzte. "Wenn ich laut knurre, kannst du wieder hereinkommen. Meine Kleidung leg bitte in einen von den Beuteln da drüben und nimm ihn mit. Ich bin immer beruhigt, wenn ich sie dabei habe. Wer weiß, was so alles passiert..."
Scoglio nickte und verließ das Büro mit Johan, der an der Tür stehen geblieben war. Sie warteten eine kurze Zeit und als ein Knurren ertönte, betrat Scoglio den Raum wieder, verstaute die Kleidung in einem Beutel, nahm ihn in eine Hand und den Armbrustbolzen in die andere und machte sich mit seinen beiden Kollegen auf in Richtung der Sentimentalen Brücke. Johan achtete immer darauf, den Troll zwischen sich und dem Werwolf zu haben - seine Hundehaarallergie wollte er nicht unnötig herausfordern.

Marascouch hockte neben der Kammer und beobachtete Misbi Llah sorgfältig. Wenn dieser ihm ein Zeichen gab, sollte er anfangen mit seinem Wunder. Bloß wusste er nicht, wie dieses Zeichen aussah und er hatte Angst es zu verpassen. Vorsorglich sammelte der Frosch schon seine göttliche Macht, die hier weitab von der Mehrzahl seiner Gläubigen etwas geringer war.
"Marascouch!", intonierte Misbi plötzlich mit lauter Stimme, was den Frosch einen kleinen Hüpfer nach hinten machen ließ. "Marascouch, wirst du den Ganfando vollziehen?"
Der kleine Gott quakte verwirrt.
"Marascouch!", rief Misbi erneut, diesmal mit drängender Stimme und einigen Gesten. "Wirst du den Ganfando vollziehen?"
Da verstand Marascouch und er nahm all seine Kräfte zusammen. Eine Zeit lang geschah nichts und dem kleinen Frosch quollen vor Anstrengung beinahe die Augen aus dem Kopf hervor. Dann ertönte ein Donnern und über der Kammer, die nach oben hin offen war, begann es zu regnen. Es donnerte erneut und der ein oder andere Blitz suchte den Weg nach unten.
Ein Wimmern drang aus der Kammer.
"Das Gewitter... sollte einige Zeit lang... Bestand haben", keuchte Marascouch erschöpft.
"Gut", sagte Misbi und las weiter vor. "Und alls die zehn in ein großes Unwetter gerieten, fuhr Marascouch mit viell Tamtam und anderem Brimborium zwischen sie und wies dem Unwetter den Weg zu einer Gruppe von Widukind-Anhängern..."
Als ein etwas größerer Blitz in die Kammer hinabzuckte, stieß Rosa einen lauten, schrillen Schrei aus.

"Hier er verschwunden ist", sagte Scoglio und hielt Waldemar den Armbrustbolzen hin, als sie an der Sentimentalen Brücke ankamen.
Der Werwolf schnupperte kurz und rannte suchend ein wenig auf der Brücke herum.
Währenddessen war Wilhelmine Fleut auf Johan zugegangen und hielt ihm einen Stofffetzen hin.
"Das hier haben wir noch gefunden. Es hing an der Brüstung an einem Nagel, genau an der Stelle, wo mein Sohn herunterhing." Sie schauderte kurz. "Ich glaube, es ist von seinem Hemd, das er heute anhatte."
Johans Miene hellte sich auf. Das war deutlich mehr als dieser Bolzen. Vielleicht hatten sie so doch eine gute Chance, den Jungen wiederzufinden.
Er ließ Waldemar daran schnüffeln, der sofort den Kopf hob und ihn in eine bestimmte Richtung drehte. Dann ging er langsam los, damit die übrigen Wächter ihn nicht aus den Augen verloren.
"Ihr geht am Besten nach Hause", sagte Johan zu der Frau. "Wer weiß, wohin uns die Spur führt. Schreibt mir Eure Adresse auf, dann werden wir Euch benachrichtigen und Euch hoffentlich Euren Sohn zurückbringn." Er reichte ihr seinen Notizblock und einen Stift. Dann richtete er sich an den Zombie, der an der Brüstung lehnte. "Und Ihr..."
"Ich gehe mit Wilhelmine mit, wenn sie nichts dagegen hat", unterbrach der den Gefreiten und starrt entzückt auf seine wieder angenähte Hand.
Johan nickte, nahm seine Sachen von der Frau wieder entgegen und folgte seinen Kollegen.

Ariadne Meise verließ das brüchige Haus. Sie hatte es für eine fabelhafte Idee gehalten, den Keller ihres Hauses zu vermieten. In Ankh-Morpork gab es immer irgendjemanden, der froh war, immerhin irgendeine Behausung zu haben, und sie verdiente dabei wenigstens etwas. Aber wieso mussten ausgerechnet solche seltsamen Leute einziehen? Sie machten keinen sonderlich vertrauenerweckenden Eindruck, gingen ein und aus, wann es ihnen passte und hatten immer diesen ekelerregenden kleinen Frosch dabei. Allein Patina, die Göttin der Weisheit, mochte wissen, was sie dort unten trieben, bisher war es zumindest nicht störend gewesen. Aber das ging nun zu weit. Sie hatte ein Rumpeln gehört und irgendetwas plätscherte. Außerdem hatte jemand geschrien. Dennoch wollte sie nicht einfach dort unten hereinplatzen, womöglich war es gefährlich.
Deshalb ging sie nun an der Hauswand entlang, bis sie zwei Öffnungen auf Bodenhöhe erreichte. Davor ließ sie sich nieder und versuchte einen Blick ins Innere zu erhaschen.
Sehen konnte sie nicht viel, es war düster, nur einige Kerzen schienen zu leuchten. Aber sie hörte jetzt noch deutlicher das Plätschern und es rumpelte erneut. Dann war es plötzlich für einen kurzen Augenblick schlagartig hell. Als ein Schrei ertönte, stand sie schwungvoll auf.
Was sollte sie jetzt machen? Alleine dort herunter zugehen traute sie sich nicht.
Einem plötzlichen Entschluss folgend ging sie die Straße hinunter.

Ratlos standen Scoglio und Johan Schaaf auf dem Platz der Gebrochenen Monde. Waldemar stand vor ihnen und drehte verwirrt den Kopf in verschiedene Richtungen und schnüffelte immer wieder. Dann drehte er sich zu den Beiden um, schnappte den Beutel aus Scoglios Hand und verschwand in einer kleinen abzweigenden Straße.
Kurze Zeit später kehrte er zurück, jetzt in menschlicher Gestalt und mit einem leeren Beutel über der Schulter hängend.
"Hier habe ich die Spur verloren, nichts zu machen", sagte er schulterzuckend. "Es gibt einfach zu viele Gerüche."
Betrübt starrte Scoglio über den Platz. Irgendetwas hatte tief in seinem Innern seine Aufmerksamkeit erregt, aber er konnte nicht ausmachen, was es war. Verwirrt kratzte er sich an der Stirn.
"Ich schätze, da wir nichts machen können", sagte er und drehte sich um.
"Aber wir können doch nicht einfach so hier aufhören", protestierte Johan.
"Was du denn noch machen willst?"
"Wir könnten..." Der Verkehrsexperte brach ab, als ein Ruf zu ihnen herüber tönte.
"Hee, wartet!"
Scoglio drehte sich wieder um und sah eine kleine, aber recht wohlgenährte Frau auf sie zu eilen.
"Na endlich", schnaufte sie, als sie vor ihnen stand. "Ich winke euch schon die ganze Zeit zu mir herüber."
Das war es, worauf Scoglio aufmerksam geworden war. Er schalt sich selbst für seine Dummheit.
"Gut, dass ich euch finde", sprach die Frau weiter. Sie machte einen gehetzten Eindruck. "Ich hatte mir eigentlich nur irgendeine Hilfe erhofft, aber die Wache ist natürlich am Besten."
"Was ist denn los?", fragte Johan.
"In meinem Keller gewittert es", erklärte sie den verdutzten Wächtern. "Und irgendjemand hat geschrieen."
Waldemar maß sie skeptisch - sie sah eigentlich nicht so aus, als wäre sie verrückt.
"Wo wohnt Ihr denn?", fragte er ruhig.
"Ganz in der Nähe. Kommt schnell mit", bat sie flehend. "Bevor noch etwas Schreckliches passiert."
"Wir waren eigentlich gerade dabei..." Johan brach ab, als er Scoglios Blick bemerkte. "Schon gut, das hat sich wohl erledigt."

Marascouch hockte unglücklich auf dem steinernen Fußboden. Es erschien ihm einfach nicht richtig. Da war ein Junge, der aus Angst vor dem Gewitter die ganze Zeit wimmerte und schrie. Und das sollte ihn zu einem Gläubigen machen? Möglich war es zwar, denn er spürte eine neue Kraft in sich aufkeimen. Aber warum musste der Junge dafür so leiden?
"Misbi!", rief der kleine Gott.
Der Angerufene hörte verwundert auf, die Heiligen Schriften vorzutragen.
"Misbi, das ist nicht richtig, was wir hier machen."
"Warum denn? Spürst du etwa noch keine neue Glaubenskraft in dir aufsteigen? Ich bin mir sicher, dass der Junge angefangen hat, an dich zu glauben, als ich deine Rettung von den zehn Leuten in dem Unwetter vortrug."
"Ich meine", sagte Marascouch und hüpfte auf Misbi zu, "dass es nicht richtig ist, den Jungen auf so eine Art zu einem Gläubigen zu machen. Glaube sollte frei sein und nicht in solch einer Situation erzwungen werden. Das sind doch bloß hinterhältige Tricks."
Misbi lachte verächtlich.
"Ich meine es ernst, Misbi! Lass den armen Jungen gehen. Sonst werdet ihr es noch bereuen."
Diesmal stimmten die vier anderen in das Gelächter mit ein.
"Was willst du uns denn antun?", fragte Karl. "Du hast doch gerade mal Kraft für solch ein kleines Gewitter".
Marascouch hörte nicht hin. Er sammelte ein weiteres Mal seine göttliche Macht und hoffte nur, dass er irgendein eindrucksvolles Ergebnis erzielen konnte. Denn er war schon noch etwas geschwächt. Der Frosch blies seine Backen auf und machte ein unanständiges Geräusch.
Dann krachte es laut über ihnen und einige Gesteinsbrocken fielen von der Decke herunter. Schreiend und mit einem ängstlichen Blick auf Marascouch zogen sich dessen fünf Gläubige zur Tür zurück.
"Ich habe euch ja gewarnt!", rief der Gott.
Karl war der Erste der aus dem Raum hinaus rannte und die anderen folgten ihm auf dem Fuße.
"Benutzt den Hinterausgang", rief Misbi. "Dann sind wir schneller hier weg."
Karl riss die Tür am Ende des Ganges auf und hetzte sofort weiter durch die gegenüberliegende Tür, die anderen folgten ihm.
Draußen angelangt rannten sie noch einige Straßen weiter, bis sie sich in Sicherheit wähnten und sich erschöpft zu Boden sinken ließen.

"Waren sie das?", fragte Waldemar.
"Ja, ich denke... Wer sollte es sonst gewesen sein?" Die Frau, die sich den Wächtern unterwegs als Ariadne Meise vorgestellt hatte, schien verstört.
"Und wohin führt diese Tür?"
"Das ist der Hinterausgang. Er führt nach hinten raus."
"Das dachte ich mir", sagte Johan trocken. "Aber jetzt helft mal lieber mit, Scoglio wieder auf die Beine zu bringen. Die Burschen erwischen wir sowieso nicht mehr."
Waldemar blickte den auf dem Boden liegenden Troll seufzend an.
"Was musst du auch die Treppe hinunterfallen", meinte er und sprang zu ihm hinunter.
"Ich nichts dafür kann, die Treppe einfach eingebrochen ist", rechtfertigte sich der Troll und stand mühsam auf. "Hier, ihr seht? Es sogar einige Steine fehlen."
"Ja, du hast Recht, man kann bis nach unten sehen." Johan bückte sich und linste durch die Öffnung in der Treppe. "Und ich glaube, dort unten ist noch jemand."

Marascouch krabbelte langsam wieder unter den Steinen hervor. Das war ganz schön knapp, beinahe wäre er erschlagen worden. Er fragte sich nur, wie das passiert war - er selbst hatte es nicht bewirkt, das wusste er.
"Rosa, hörst du mich?", fragte er.
"Ja." Die Antwort war nur ein schwaches Flüstern.
"Rosa, es tut mir leid. Alles was hier passiert ist und auch dass ich nicht weiß, wie du da wieder herauskommst. Aber bitte, sobald du es schaffst, hier herauszukommen... nimm mich mit, ich muss sonst vielleicht auf ewig hier unten bleiben." Die Stimme des Frosches war flehend geworden.
"Ja, mein Gott. Das werde ich tun", flüsterte Rosa.

Ariadne führte die Wächter in den Kellerraum.
"Und wo du jetzt jemanden gesehen haben willst?", fragte Scoglio den Gefreiten Johan Schaaf. "Hier niemand ist."
Der Verkehrsexperte blickte zur Decke.
"Genau dort, hinter der Tür." Er zeigte auf die Stelle und blickte erstaunt auf das klaffende Loch in der Decke darüber. Scheinbar hatten die kleinen Bruchstücke aus der Treppe den Boden darunter regelrecht erschlagen. Dieses Haus war wirklich nicht sonderlich stabil.
Waldemar war unterdessen zu dem Tisch herübergegangen, der durch einige Kerzen erhellt wurde. Neugierig schlug er das Buch zu, welches darauf lag.
"Die Heiligen Schriften des Marascouch", murmelte er. "Interessant."
Dann fiel sein Blick auf etwas Glänzendes neben dem Buch. Er nahm den Gegenstand hoch und besah ihn sich.
"Hee, seht mal hier, Leute! Wozu könnte dieser Schlüssel gut sein?" Der Werwolf drehte sich zu den anderen um.
"Wahrscheinlich für diese Tür", sagte Johan. "Und dahinter ist noch jemand."
"Dann schließe ich lieber schnell auf, bevor Scoglio noch die Tür einschlägt", sagte Waldemar und prustete laut los, von den anderen mit ausdrucksloser Miene angestarrt.
Hinter der Tür erwartete die Wächter ein schrecklicher Anblick. Auf dem Boden lag ein Junge und aus einer klaffenden Kopfwunde strömte Blut. Er war umgeben von mehreren Gesteinsbrocken.
Waldemar fing an zu taumeln. Unwiderstehlich stieg der Geruch des Blutes in ihm auf und umnebelte seinen Geist. Seine Augen begannen merkwürdig zu glühen und er fing an, am ganzen Leib unaufhörlich zu zittern. Schnell fasste er sich an die Stirn, schloss die Augen und schüttelte den Kopf, um das Bild vor seinem inneren Auge loszuwerden. Als er die Augen wieder öffnete, war das Glühen daraus verschwunden. Der Gefreite sah die anderen mit einem traurigen Lächeln an, die seinen Blick mit einer Mischung aus Sorge, Furcht und Abscheu erwiderten.
"Waldemar, du schnell Rogi holen", wies Scoglio ihn sofort an.
Johan kniete sich derweil nieder und beugte sich über den Jungen.
"Er atmet noch... aber sehr schwach", sagte er besorgt.
Bevor Waldemar loseilte, warf er Johan seinen leeren Beutel zu.
"Hier, vielleicht kannst du daraus einen ersten Verband anfertigen."
Dann war er verschwunden.

Etwas später kam er wieder, gefolgt von Korporal Rogi Feinstich, Sanitäter der Wache. Die Igorina setzte sich sofort zu dem Jungen und begann mit der medizinschen Versorgung. Die anderen Wächter und Ariadne Meise zogen sich etwas zurück, um sie ungestört arbeiten zu lassen.
Während Rogi dem Jungen noch einmal sorgfältiger den Kopf verband, sagte sie: "Hallo. Kannft du mich hören? Brauchft nur fu nicken."
Rosa bewegte den Kopf leicht auf und ab, die Augen hielt er dabei geschlossen.
"Wo tut ef denn noch weh? Kannft du ef mir feigen?"
Rosa tat es, mit schmerzverzerrtem Gesicht.
"Gut..." Rogi suchte kurz in ihrer Tasche herum. "Jetft wird ef einen kleinen Nadelftich geben, dann wird ef nicht mehr fo fehr weh tun."
Als sie fertig war, rief sie die anderen wieder zu sich.
"Jetft tragt ihn ganf vorfichtig nach draufen. Wir find gerade mit einem Karren gekommen, damit können wir ihn ficher zur Wache fahren."
Scoglio kniete sich nieder und hob den Jungen sachte hoch. Dann wandte er sich zum Gehen.
Plötzlich flüsterte Rosa ganz schwach, kaum hörbar: "Wartet... nehmt den... Frosch mit. Er... gehört zu... mir."
"Den Frosch?" Johan blickte sich verwundert um und suchte den Boden ab. Auf einem der heruntergefallenen Steine entdeckte er ihn. Behutsam nahm er ihn auf, mit einem etwas angewiderten Gesichtsausdruck, und reichte ihn schnell an Rogi weiter.
Dann verließen die Wächter das Gebäude und fuhren zum Wachhaus.

Rosa erholte sich erstaunlich schnell von seinen Verletzungen. Schon bald konnte Rogi ihn ruhigen Gewissens nach Hause zurückkehren lassen, wo der Zombie inzwischen eingezogen war. Den Frosch nahm Rosa mit sich und Scoglio behauptete steif und fest, dass er gesehen und gehört hatte, wie die Beiden sich unterhielten. Niemand glaubte ihm.

Auf der Holzbrücke, nahe der Unsichtbaren Universität, standen fünf Gestalten an das Geländer gelehnt.
"Und jetzt?", fragte eine von ihnen.
"Ich weiß nicht", sagte eine andere schulterzuckend. "Jetzt hat nichts mehr einen Sinn. Wir haben die ganze Zeit für unseren Gott gelebt. Er war das, was unserem Leben einen Sinn gegeben hat. Aber jetzt ist das nicht mehr möglich..."
Die anderen seufzten.
Betrübt starrten die fünf hinunter auf den Ankh, als ihnen allen dieselbe Idee kam.



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Feedback:

Von Huitztli Pochtli

22.08.2006 09:40

Mir hat die Geschichte recht gut gefallen.

Vor allem die Anspielung auf den Liedtext von Queen und den Gag mit dem 'Erschossenen', der sich als Zombie herausstellt.



Den Mikrogott Marascouch in Froschform fand ich sehr gelungen, hier würde mich sogar interessieren, ob du noch weitere Stories mit dem planst. Das könnte sehr interessant werden...

Von Cim Bürstenkinn

22.08.2006 20:57

Ich mochte die Geschichte auch, fand aber die Nebencharaktere etwas farblos und unstet.

Da gibt es auf der einen Seite diese Gläubige, die ihr Leben zwar dem Minigott weihen, aber gleichzeitig nicht daran glauben (wollen) dass er etwas zu wege bringt, sich aber am Ende doch in den Ankh werden weil er von ihnen gegangen ist.



Ansonsten eine schöne Geschichte die ihr Happy End verdient hat und ich kann nur hoffen, dass dir Dein neuer Gott einen ARchiv-eintrag wert sein wird.



Ärgerlich ist nur, dass es keine Patchmission geworden ist. Dafür musst Du wohl ein "Klischee" darstellen, damit es jeder versteht ;)



Cu, Cim.



PS.: jemand hat mir allerdings gefehlt.....

Von Scoglio

28.08.2006 15:43

Na dann immerhin Danke für die beiden Kritiken.

Geplant ist bisher noch nichts weiteres mit Marascouch, aber wer weiß...

Und dieser Jemand wird bald auch wieder eine Rolle spielen. ;-)

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