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Ein Gildenvorsitzender stirbt unter mysteriösen Umständen und die DOG benötigt SUSI-Hilfe
Dafür vergebene Note: 11
Eigentlich war Sillybos schon in Badestimmung und wartete nur noch darauf, dass Hegelkant die Badewanne ganz aufgefüllt hatte, als Drei hungrige Mäuler sein Büro betrat. Die Stellvertreterin von Robin Picardo legte eine dünne Akte auf Sillybos' Schreibtisch:
"Wil haben einen mysteliösen Totesfall und blauchen eule Hilfe."
"Worum geht's denn, Lance-Korporal?" fragte Silly und sah zu seiner Badewanne herüber, die schon halb aufgefüllt war.
"Malkus Kalesus ist tot."
"Wer ist das?"
"Del Pläsident del Obstgilde!"
"So etwas gibt es?"
Die Achatenerin schien keine Lust zu haben sich mit dieser Fragestellung zu beschäftigen: "El wulde heute Molgen von seinel Tochtel tot aufgefunden. Del Tatolt muss untelsucht und die Leiche ins Wachhaus geschafft werden! Außeldem blauchen wil eine Meinung eulel Okkultismusexpelten zu diesem Fall."
"So so, ihr geht also von einem übernatürlichen Fall aus. Wie sieht es mit dem Alibi der Tochter aus?"
"Sie ist natülich unsere Hauptveldächtige, abel sie hat kein Motiv und in del Gilde ist sie sehl angesehen! Es wülde das Chaos ausblechen wenn will sie einfach festnehmen wülden!"
"Wir werden uns natürlich schnellstmöglich darum kümmern!"
Durch das von Staub getrübte Fenster fiel warmes Licht in das Büro der Okkultismusexperten und wärmte angenehm die dunkle Kleidung von Laiza Harmonie.
Sie saß inmitten von Akten und Büchern auf ihrem Bürostuhl, mit dem Oberkörper nach vorne gelehnt und hatte den Kopf auf ihre verschränkten Arme gelegt.
Ihre Mittagspause war schon seit einer halben Stunde vorbei, doch das kontinuierliche Ticken der mechanischen Uhr konnte den Korporal nicht aus ihrem Schlaf reißen, obwohl es in der Stille des Büros wie Gongschläge klang. Normalerweise hatte Ruppert von Himmelfleck es sich zur Aufgabe gemacht seine ehemalige Ausbilderin aus ihrem täglichen Mittagsschlaf zu wecken. Doch der Gefreite befand sich seit heute im Urlaub.
Das Wasser plätscherte, als der Abteilungsleiter von SuSi in seiner Badewanne stieg.
"Herr, wollt ihr Korporal Harmonie nicht Bescheid geben?"
"Alles zu seiner Zeit."
"Aber Herr, ein Mord ist geschehen und die Gilde wird sicher sehr empört sein wenn die Tat nicht schnellstens aufgedeckt wird."
"Ach die Gilde, dass ist doch nicht unser Problem."
"Es wird vielleicht einen Gildenstreik geben."
"Damit muss sich dann DOG beschäftigen."
"Aber Herr, wenn die Gilde streikt dann wird es kein frisches Obst mehr geben. Wie soll ich dann einen Apfelkuchen backen?"
Blitzschnell stand Sillybos aufrecht in seiner Badewanne: "So geht das natürlich nicht. Hol mir Korporal Harmonie!"
Alle Geräusche die das Multiversum von sich geben konnte, schienen in dem Büro der Okkultismusexperten nicht anwesend zu sein. Sogar die Staubkörnchen tanzten langsamer durch den Schein der Sonne.
Ein Hauch von Wald und Wiese durchstreifte den Raum, ohne von jemand wahrgenommen zu werden.
Auf dem Schreibtisch der jungen Frau stand eine dreißig Zentimeter große buschige Pflanze. Es war eine wiewunderländische Fleißfressende Pflanze, die sie einmal von einem Wächterkollegen geschenkt bekommen hatte, der auf mysteriöserweise Spurlos verschwunden war. Sie hatte große Blütenkelche in den Farben Magenta und Orange, die an kleine Mäuler erinnerten und in den frühen Morgenstunden stanken sie wie ein Kilo Vanilleschoten. Der Geruch war verflogen und konnte Laiza nicht mehr an einen erholsamen Schlaf stören.
Die saftgrünen Blätter, die aussahen wie wildwucherndes Gras raschelten geheimnisvoll, als hätte sie ein Windhauch gestreift.
Auf Laizas nacktem Unterarm bildete sich eine leichte Gänsehaut und ein Bleistift machte sich auf den gefährlichen Weg Richtung Tischkante.
Die Mechanische Uhr tickte weiter erbarmungslos, dieses scheinbar lautes Ticken, das die seltsame Stille in kleine Stücke zerschnitt. Doch die wenigen Augenblicke zwischen jedem Schritt des Sekundenzeigers schienen unendlich lange zu dauern.
Der Bleistift fiel nicht, denn er rollte in Zeitlupe gegen ein kleines dunkles Holzstück.
Es war mit einem schwarzen dreieckigen Halbedelstein geschmückt, um dem sich Worte in latatianischer Sprache schlängelten.
Laiza schnaufte und drehte ihren Kopf zur anderen Seite. Der Stein blitze einen Augenblick Blau auf um dann wieder sein tiefes Schwarz anzunehmen.
Unruhig lag sie auf dem Buch über Schutzzauber für den täglichen Gebrauch und zog ihre Blusenärmel im Schlaf zu Recht. Die Sonne schien ihren Rücken nicht mehr ausreichend zu wärmen und die Gänsehaut hatte sich auch über ihren Hals ausgebreitet. Die Pflanze raschelte wieder geheimnisvoll und ihre Blätter und Blüten überzogen sich mit leichtem Raureif.
Schmatzende Geräusche kamen aus dem Rohrpostsystem, das direkt über Rupperts Schreibtisch endete. Schmatzende Geräusche gesellten sich dazu und dann versuchte etwas das Brett aufzustoßen, das das Loch in der Wand verdeckte.
Ein kleines weißes Bündel Fell drückte sich vorsichtig aus dem Loch heraus. Böse fauchte der kleine Kater das Rohrpostloch an, während er angewidert die Nase rümpfte, denn sein Fell war fettdurchtränkt.
Er sah die schlafende Laiza und es machte den Eindruck als würde er seufzten, bevor er vom Rupperts Schreibtisch runter sprang und auf den anderen Tisch zuging.
Sampo starrte für einige Augenblicke in Richtung Fenster, neigte den Kopf von einer Seite zur anderen und miaute leise, bevor er am Tisch hochsprang.
Vom Pseudopolisplatz drang der übliche Lärm ins Büro und einige Tropfen bildeten sich an den Blättern der Pflanze auf Laizas Schreibtisch.
Der Kater miaute, doch sein Semifrauchen wurde davon nicht wach, noch nicht Mals der Gestank von Schnappers Würstchenfett schien sie zu stören. Er hob die fettige Pfote und drückte sie gegen ihre Nase.
Für einige Momente wusste Laiza nicht wo sie war und was an ihrer Nase so piekste. Doch der Geruch des ranzigen Fettes ließ eine schwere Übelkeit in ihr aufsteigen, die jede Müdigkeit sofort vertrieb. Sie blickte in die eisblauen Augen des Katers und dann auf die Uhr, die direkt vor ihr stand.
"Oh meine Güte, ich hab verschlafen!" Sie sprang auf und sah sich erschrocken um.
Sampo miaute.
"Ich hatte ja eh nichts vor..." Sie setzte sich wieder. "Zum Glück ist keiner rein gekommen." Der Kater sah sie durchdringlich an, doch sie hatte keine Ahnung, an was er dachte, "Bist du etwa schon wieder durch das Rohrpostsystem gekommen?"
Miau
"Leck dich bloß nicht sauber. Das Fett wird dich sonst umbringen..." Sie wischte sich den restlichen Schlaf aus den Augen und wollte sich gerade strecken, als die Tür nach einem kaum wahrnehmbaren Klopfen aufging.
Hegelkant betrat das Büro. Falls er die fettverschmierte Katze auf ihrem Schreibtisch seltsam oder gar abstoßend fand, so ließ er sich das nicht anmerken.
"Mein Herr will dich sprechen."
"Ich komme sofort."
Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte wandte sie sich wieder dem Kater zu. "Da bist du ja zur rechten Zeit gekommen, Sampo. Bitte leck dich nicht sauber! Geh zu Rea, die regelt das schon."
In Sillybos Büro lag immer noch in seiner Badewanne, als Laiza eintrat und salutierte.
"Korporal, die DOG benötigt unsere Hilfe."
"Wer braucht nicht unsere Hilfe, Sör?" Laiza schmunzelte.
"Markus Karesus ist tot, aber setzt dich doch, Korporal. Tee?"
"Bitte wer?" fragte sie und kam der Aufforderung nach. "Tee immer gerne."
"Na Herr Karesus, der Präsident der Obstbaumgilde." Er verdrehte leicht die Augen.
"... Obstbaumgilde? Noch nie was von gehört."
"Aber Laiza, so was weiß man doch, ohne ihn hätten wir nicht die beste Obstware auf den Märkten." Er lächelte, er brauchte ihr ja nicht direkt unter die Nase reiben, dass er genauso wenig Ahnung von diesem Mann hatte wie sie. Hegelkant hatte ihr inzwischen Tee eingeschüttet.
Sillybos beugte sich in seiner schaumbedeckten Wanne vor: "Und damit das so bleibt, mit dem frischen Obst, sollten wir diesen Fall schnellst möglichst lösen."
"Was ist denn passiert?"
"Er ist unter mysteriösen umständen ums Leben gekommen. Die Tochter hat ihn heute Vormittag tot in seinem Bett aufgefunden, als er nicht wie sonst zum Brunch erschien. Herr Karesus schläft stets bei geschlossener Tür und Fenster. Er schließt die Tür immer von innen ab. Niemand konnte also den Raum betreten und trotzdem ist er tot."
"Wie aber ist dann die Tochter in das Schlafzimmer gekommen?"
"Sie hat einen Zweitschlüssel."
"Aha!..."
"Keine voreiligen Schlüssel, Korporal. Die Tochter und das Dienstmädchen, das sich mit ihm Haus befand haben, sich sofort zum Pseudopolisplatz aufgemacht. Die DOG bittet um deine Mitarbeit und natürlich um eins unserer Teams." Er schob ihr einen Zettel mit einer Anschrift über den Tisch. "Nimm Jack, Charlie Holm und Alice mit und am besten noch Humph, der kann ein wenig mehr praktische Erfahrung gebrauchen. Ich werde hier auf die ersten Fakten warten und mir Gedanken über das Wieso machen."
Das Anwesen von Markus Karesus befand sich außerhalb der Stadtmauer, eine gute halbe Stunde mit dem Karren Richtung Sto-Ebene. Schon von weitem sahen die fünf Wächter die riesigen Obstplantagen, die das kleine Haus des Gildenvorsitzenden umrahmten wie auf einem kitschigen Ölgemälde.
Ein schmaler Feldweg führte von der Straße ab zu einem kleinen weißen Haus, mit spitzem dunklem Dach. Laiza zog den Schlüssel hervor, den ihr Goldie Kleinaxt in die Hand gedrückt hatte.
"Der Tatort ist im oberen Stockwerk", gab Laiza an, als sie das kühle Innere betraten.
"Wir können uns ruhig Zeit lassen", murrte Jack, "Bei der Mittagshitze können wir keine Leiche transportieren, die ist sonst Gar wenn wir am Wachhaus ankommen und ihr drinnen ist es noch relativ angenehm."
Die Okkultismusexpertin zog ihre Taschenuhr hervor. Es war fast halb vier Uhr Mittags und man konnte nicht davon ausgehen, dass es in den nächsten drei Stunden abkühlen würde. Sie seufzte und folgte Jack und den anderen in den zweiten Stock.
Der Geruch von geronnenem Blut hatte sich im obersten Stockwerk breit gemacht und führte die Wächter in ein Schlafzimmer am Ende des Ganges. Die Tür stand halb hoffen und gab die Sicht auf ein großes Himmelbett mit dunkelroten Baldachin frei.
Auf der rechten Seite vom Bett lag der leblose Körper des Obstbaumgildenpräsidenten, die weiße Bettwäsche war größtenteils Blutgetränkt.
Jack aktivierte seinen Diktierdämon und klemmte sich den kleinen Kasten an seinen braunen Mantel: "Aufnahme, beginn: Fundort ist eindeutig auch der Tatort des Verbrechens." Der Pathologe wollte gerade einen Fuß in das Schlafzimmer des Toten setzen, als Charlie in zurück hielt.
"Moment, erst sind wir dran, okay?"
"Aufnahme Pause." Jack verschränkte grimmig die Arme und trat zurück.
"Es reicht schon, dass die Tochter und das Dienstmädchen da drin gewesen sind", argumentierte Charlie und stellte seinen Koffer ab, um ihn zu öffnen. Alice tat es ihm gleich, und beide holten Schuhüberzieher und Handschuhe aus weißem Stoff hervor.
Während die beiden sich mit kleinen Nummerschildern und Ikonographen bewaffneten und den Raum betraten, begutachtete Laiza die Szene von der Tür aus.
Das Zimmer war für das kleine Haus recht geräumig und nur wenig, aber dafür stilvoll möbliert. Ein großes zweiflügliges Fenster erhellte den Raum, vor dem ein kleiner Sekretär aus dunklem Holz stand. Er war verschlossen und davor stand ein Stuhl aus dem gleichen dunklen Holz mit einem roten Polster, auf dem zusammengefaltete Kleidungsstücke lagen. Es schien die Kleidung für den heutigen Tag zu sein, doch sie würden nie wieder angezogen werden.
Die Aussicht aus dem Fenster zeigte die weiten Obstplantagen des Anwesens und das schöne Sommerwetter, das wie ein derber, schlechter Witz über dem Haus herrschte.
An der Wand gegenüber der Fensterwand stand eine große verzierte Truhe, über der ein Spiegel mit schwerem Rahmen hing.
Die Holzart setzte sich dem großen Himmelbett fort. Direkt links neben der Tür stand ein schmaler Kleiderschrank. Die hellgelbe Tapete stand im freundlichen Kontrast zum dunklen Holz der Möbel.
Laiza kramte aus ihrer Umhängetasche ebenfalls Handschuhe hervor und streifte neugierig durch das Haus. Außer dem Schlafzimmer des Toten, befanden sich noch ein Gästezimmer und ein kleiner Waschraum in der ersten Etage, sowie eine schmale Treppe, die auf den Dachboden führte.
Das Erdgeschoss besaß ein geräumiges Wohn- und Esszimmer, ein Büro und ein kleines Bad. Die Dienstmädchenunterkunft und die Küche befanden sich in einem angrenzenden schmalen Bau auf der Hinterseite des Hauses. Nichts schien auf einen Einbruch hinzudeuten.
Auf dem Möbiliar im Wohnzimmer standen zahlreiche Fotos, sie zeigten Markus Karesus zusammen mit seiner Ehefrau und der Tochter als Baby bis hin zum Teenager. An den Wänden hingen neuere Fotos, das Mädchen war zu einer hübschen Frau herangewachsen, der Vater war ergraut und die Mutter... sie war von den Bildern verschwunden. Was war mit ihr geschehen? Hatte sie die Familie verlassen oder war sie verstorben?
Laiza wurde aus ihren Gedanken gerissen, als es an der Eingangstür klopfte. Sie trat in die schmale Diele und versuchte durch die verhängten Fenster neben der Tür durch zu spähen. Es war ein Mann, der vor der Tür stand, er blickte sich neugierig um und betrachtete den Karren der Stadtwache.
Laiza fragte sich, was sie tun sollte. Der Tod des Gildenoberhauptes war noch nicht bekannt und sie hatte keine Ahnung, wer dort vor der Tür stand.
Während sie sich im Hintergrund hielt und darüber nachdachte, wandte sich der Fremde von der Tür ab. Sie beobachtete, wie er den Hof überquerte und auf einen alten Gaul stieg. Von dort beobachtete er noch einige Augenblicke die Hausfront und ritt dann langsam davon.
Der Korporal erklomm die Treppe und gesellte sich wieder zu ihren Kollegen. Inzwischen hatten Charlie und Alice einen Großteil ihrer Arbeit vollzogen und räumten gerade den Inhalt des Sekretärs in eine Kiste, während Jack die ersten Blicke auf den Leichnam warf und Humph missmutig den Inhalt eines Leinensackes betrachtete.
"... Der Tote ist etwa ein Meter siebzig groß, Statur schmächtig. Erster Eindruck: Das Opfer wurde mit einem Messer erstochen und ist verblutet. Betroffen ist das Abdomen." Jack sah am Körper des Toten hinauf. "Auffällig sind geplatzte Kapillare unter den Augen und Zyanose an den Lippen, Anscheinend ist der Ventriculus durchstochen, um den Mund herum sind Blutspuren."
Humph hatte den Sack an Alice weiter gereicht und sah sich nun auch den Leichnam genauer an. Jack drückte mit seinen behandschuhten Händen auf Lippen und Kieferbereich herum, "Die Rigor Mortis ist schon teilweise eingetreten", seine Finger tasteten sich am Körper herunter, "Bedenkt man die warmen Temperaturen, dann liegt der Todeszeitpunkt etwa zehn Stunden zurück. Hilf mir mal bitte."
Zusammen mit Humph drehte er den Mann auf die Seite und schob das Oberteil des Schlafanzuges weg.
"Auf dem Rücken befinden sich leichte Livores, sie lassen sich noch einwenig wegdrücken, was den Todeszeitpunkt bestätigt."
Laiza betrat das Zimmer. "Deinen Bericht bekomme ich aber ohne dein Fachachatenisch, oder?"
Der Pathologe schaute sie grimmig an und ließ die Leiche wieder auf den Rücken gleiten. "Du kommst doch auch immer mit seltsamen Begriffen daher, Püschokäse und Astraldinger."
Laiza schmunzelte: "Das heißt Püschokinese, Jack, und im Gegensatz zu diesen seltsamen Begriffen gibt es bei deiner Arbeit für jedes Wort auch noch ankh-morporkiansiche Wörter."
"Ich dachte du könntest Latatianisch?" fragte Humph erstaunt nach.
"Ich war nie die Beste in der Schule."
Charlie trat auf die drei zu: "Ein Regenschauer zieht auf, vielleicht sollten wir uns auf den Weg machen. Aber schau dir erst einmal das an."
"Was denn?" fragte Laiza.
Charlie deutete zu Decke und Laiza traute ihren Augen nicht, als sie ein riesiges verworrenes Oktagramm entdeckte.
"Plausibel, plausibel!" murmelte Sillybos vor sich hin und blätterte in einem dünnen Buch. Der Schaum war inzwischen so gut wie verflogen und das Wasser war nur noch lauwarm, "Das muss es sein! Das werde ich ihr sofort mitteilen. Hegelkant! Mein Handtuch!"
Der Himmel grummelte und entließ schlagartig sein Wasser auf die ausgetrocknete Scheibe. Laiza saß auf dem Kutschbock und spornte den Esel mit einer Peitsche an, während die anderen unter der Plane des Karrens vor dem Regen geschützt waren. Sie sah schon das Mittwärtige Tor, als der Stadtwachekarren einen einsamen Reiter passierte. Der Gaul war lahm und so hatte der Esel keine Mühe den Mann zu überholen. Neugierig lugte der Fremde in den Karren hinein, in dem der Leichensack lag.
Über der Labortür im zweiten Stockwerk des Wachhauses prangten die Worte "DIE ANDEREN WOLLEN WAS VON UNS!", doch Laiza riss die Tür, auf ohne den goldenen Lettern weiter Beachtung zu schenken.
Rib stand auf einer der Anrichten und sah wie immer beschäftigt aus. Allerdings nicht zu beschäftigt, um sich wütend umzudrehen und denjenigen anzuschnauzen, der gerade wie ein Wirbelsturm sein Labor betreten hatte.
"Man kann auch anklopfen!! ... ach hallo Laiza. Auch DU kannst anklopfen!"
Sie schloss leise die Tür hinter sich und kam auf die Gnumie zu.
"Und wieso tropfst du einfach mein Labor so nass? Seh ich aus wie ein Wischmopp? He?"
"Entschuldige, ich brauche deine Hilfe."
"Jeder braucht meine Hilfe. Auch du musst dich hinten anstellen." Mit den Händen in den mullumwickelten Hüften stand Rib vor ihr.
"Ich muss dich ausleihen."
Die Rubinroten Augen bekamen einen zornigen Glanz. "Bin ich etwa ein Reagenzglas oder ein Buch? Mich kann man doch nicht einfach ausleihen!"
"Betrachte dich als thaumaturgisches Messinstrument...."
Die Gnumie bewegte sich zu der Tafel herüber und griff nach einem Stück Kreide.
"Du willst doch sicher mal raus aus deinem Labor, oder?"
Er malte einen Strich hinter Laizas Namen, der schon auf der Tafel stand.
"Füll einen Antrag aus, reiche ihn bei mir und Silly ein."
"Ich bin grad an einem Fall dran und Silly liegt bestimmt was daran, dass ich diesen schnell löse, also stell dich doch nicht so an."
"Wenn ich bei dir nachgebe, dann suchen die anderen auch Möglichkeiten... ich bin froh das ich langsam ein wenig Ordnung hier herein bekomme!"
"Das machst du auch ganz super!"
"Schleimerin."
Sie lächelte: "Ich lade dich nach Feierabend auch in den Eimer ein."
Keine zwei Stunden später
Der Geruch von Badezusatz näherte sich dem Gemeinschaftraum von SUSI im zweiten Stock. Sillybos betrat den Raum und betrachtete zunächst das Blitzspektakel am Himmel über Ankh-Morpork. Als der Donner folgte, drehte sich Sillybos um. Charlie, Alice und Laiza saßen an einem der Tische und werteten die Spuren aus. Charlie hatte den Inhalt von Markus Karesus' Sekretär in einen Karton verfrachtet und Laiza war gerade dabei, diesen durchzusehen. Der Abteilungsleiter betrachtete ein Bild, das auf dem Tisch lag, es zeigte ein seltsam verzogenes Oktagramm auf weißen Grund
"Was ist das?"
"Ein Oktagramm, Sör", antwortete Laiza.
"Na, das seh ich auch."
Der Korporal verdrehte die Augen und schnaufte: "Es ist in die Zimmerdecke eingebrannt. Wir wissen noch nicht, wie es dahin gekommen ist, aber es glänzt oktarin. Ich bin mit Rib noch einmal zum Tatort gefahren", meinte sie erklärend, als Sillybos sie verdutzt ansah.
"Es muss was mit dem Tod zu tun haben", meinte der Philosoph und strich sich über den Bart.
"Ja, Sör, davon gehe ich auch aus."
"Immerhin weiß ich von DOG, dass Karesus eine Zaubereiphobie hatte, wieso sollte er also was Magisches in seine Zimmerdecke brennen?"
"Ein Oktagramm ist ein beschützendes Symbol. Nur weil er Angst vor Magie hatte, heißt es nicht, dass er sich nicht mit okkulten Dingen vor bösartiger Magie schützen wollte. Der oktarine Glanz lässt aber eher darauf deuten, dass es nicht von Hand in die Decke gebrannt wurde. Ich weiß nicht, was genau dort passiert ist, aber auf jeden Fall war Magie im Spiel. Das ganze Zimmer weist Oktarin auf und beunruhigend ist auch die Form des Oktagramms, normalerweise ist es ein sehr gleichmäßiges Symbol."
"Ich muss sowieso mit dir über die Details reden, ich hab da eine äußerst interessante Theorie für diesen Fall."
"Es findet sich sicher noch Zeit, um das zu besprechen, Sir."
"Allerdings, und zwar jetzt. Was machen die übrigen Spuren?"
"Es gibt nicht viele verwertbare Spuren", begann Charlie, "Die wenigen Fingerabdrücke, die wir gefunden haben, gehören dem Verstorbenen oder der Tochter und dem Dienstmädchen. Die Haare, die wir gefunden haben, sind ebenfalls von diesen drei Personen. Wir fanden keine Einbruchspuren oder ähnliches. Einige Dinge sind noch zur Analyse im Labor, wir werten gerade die Habseligkeiten aus Kerasus Sekretär aus und begutachten noch einmal die Ikonografien."
"Was macht der Pathologiebericht?"
"Jack und Humph sind noch bei der Arbeit, könnte noch ein wenig dauern."
"DOG hat auch noch nichts Handfestes, die Verhöre der beiden Frauen haben nichts erbracht. Karesus sprach nicht über seine Arbeit und seine Geschäftspartner."
"Und was ist mit der Tochter als Hauptverdächtige?" fragte Charlie. "Sie hatte immerhin einen Schlüssel für das Zimmer."
"Es gibt kein Motiv für diese Tat", sagte Sillybos, "außerdem: wurden Fingerabdrücke auf dem Messergriff gewunden?"
Laiza schüttelte den Kopf: "Es gibt nichts, das sie belasten würde, außer dem Schlüssel."
"Dann macht mal weiter mit der Arbeit, und du, Laiza, kommst mit mir."
"Hast du schon eine Theorie für diese ganze Geschichte?"
"Wenn ich ehrlich bin, Sir, nein."
"Ich aber. Und das hat nichts mit Übersinnlichem zu tun, sondern nur mit Philosophie und ein bisschen Püschgologie."
"Ich glaube nicht, dass Philosophie uns da weiterhilft, Silly."
"Oh doch, wie der angesehene Alexin Paitios von Ephebe in seinem neuen Buch lehrt, entwickelt ein Mensch manchmal sonderbare Ansichten. Vom so genannten Herdentrieb spricht man, wenn jemand so viel Zuneigung für jemanden empfindet, dass er Selbstmord begeht."
"Das hört sich aber ziemlich schwachsinnig an." Laiza verschränkte die Arme vor der Brust.
"Wieso schwachsinnig? Wenn du an etwas hängst, dann möchtest du es dir auf keinen Fall wegnehmen lassen. [NAME einfügen] geht davon aus, dass diese Leute lieber von eigener Hand sterben, als es sich wegnehmen zu lassen."
"Und das nennt man Herdentrieb?"
"Sicher, das aktuelle Thema in der Welt der Philosophie."
"Und an was hing er so? Und wer sollte ihm das abnehmen?"
"Vielleicht seine Gilde oder die Tochter? Bei den meisten ist es auch eine Psychose. Sie glauben man will ihnen etwas abnehmen, dass treibt sie in den Wahnsinn."
Laiza seufzte. "Er hat sich also selbst ein Messer in den Bauch gerammt? Gibt es nicht durchaus bessere Möglichkeiten, sich umzubringen?"
"Wer weiß, wie diese Menschen funktionieren."
"Und wie erklärst du dir das Oktagramm?"
"Vielleicht wollte er sich mit Magie umbringen", überlegte Silly.
"Aber ein Oktagramm ist ein Schutzsymbol."
"Es hat ja auch nicht funktioniert, nicht wahr?"
"Wir sollten die Ergebnisse des Büros abwarten, bevor wir weiter irgendwelche wilden Theorien in die Welt setzen."
Am nächsten Morgen
Die Sonne war schon aus ihrer Schlafmulde gekrochen, als Laiza sich am nächsten Morgen auf den Weg zum Wachhaus machte.
Als sie den Pseudopolisplatz überquerte, kaufte sie sich einen Kurier und betrat mit der Zeitung das Wachhaus. Im Büro angekommen, schmiss sie die Zeitung auf ihren Schreibtisch und entfachte im kleinen Ofen ein Feuer. Es war zwar warm draußen, aber das hielt sie nicht davon ab, eine gute Tasse Tee zu trinken, und so griff sie nach einer Wasserflasche und füllte etwas in ihren Teekessel.
Eine Nachricht von Charlie erwartete sie auf ihren Schreibtisch. In den Habseligkeiten von Karesus hatten sie einen unvollendeten Brief gefunden, in dem er einer Frau die Aussichtslosigkeit ihrer Liebe schilderte. Der Brief war nie beendet worden, nie versendet worden. Wie alt war er? Hatte die Unbekannte vielleicht etwas mit seinem Tod zu tun? Das Labor sollte herausfinden, von wann dieser Brief war. Laiza griff nach der Zeitung.
Auf der unteren Hälfte der Titelseite erblickte Laiza das Portrait eines Mannes, der ihr irgendwie bekannt vorkam. Während sie darüber nach dachte, woher sie ihn kannte begann sie den Bericht zu lesen. Mit jedem Wort, das sie las, wuchs ein Kloß in ihrer Kehle heran. Der Fremde am gestrigen Mittag war ein Reporter gewesen, der wegen eines Interviews gekommen war. Auf dem Rückweg zur Stadt überholte ihn dann der Karren der Stadtwache mit eine Leichensack auf der Ladefläche. Laiza stand auf und schmiss dabei fast ihren Stuhl um.
Wie würden die Gildenmitglieder reagieren? Wie würden die weiteren Ermittlungen verlaufen?
Der Teekessel pfiff, sie griff danach und schreckte zurück, als sie sich verbrannte.
Dieser Tag schien interessant zu werden.
Der Patient offenbarte dem Pathologen alles, ob er nun wollte oder nicht, und in den seltensten Fällen beschwerte er sich darüber. Markus Karesus war ein Mann des Rauchens und des Trinkens gewesen, und während Jack den offenen Torso betrachtete, wurde ihm klar, dass dieser so oder so kein allzu langes Leben mehr vor sich gehabt hätte.
Humph war gerade dabei den Darmtrakt zu entfernen und zu wiegen. Er sah nicht sonderlich angetan aus. Jack wandte sich dem Magen zu, der schon zur weiteren Untersuchung in einer Schüssel lag. In jahrelanger Übung perfektioniert, schnitt er ihn auf und füllte den Inhalt in eine weitere Schüssel.
"Mh", brummte Jack und stocherte mit einem Glasstab darin herum, "Humph? Schau dir das einmal an."
Der Angesprochene wandte sich glücklich vom schlingenden und windenden Darmtrakt ab.
"Was ist das? Sieht sehr unverdaut aus."
"Wie soll das gehen, der Kerl hat geschlafen."
"Vielleicht war er in der Nacht auf gewesen und hat einen kleinen Snack zu sich genommen?"
Jack nahm eins der runden Objekte aus der Schüssel und wusch es sauber.
"Eine Kirsche, keine Bissspuren, nur leicht angegriffen durch die Magensäure. Er muss sie ganz gegessen haben. Davon sollten wir eine Probe ins Labor geben."
Rib erwartete sie schon, als sie mit dem Obduktionsbericht aus der Pathologie trat, und es kam nicht häufig vor, dass die Türen des Labors einladend offen standen.
"Die Spuren, die ihr gesammelt habt, sind im Grunde alle wertlos", begann die Gnumie noch bevor seine Kollegin das Labor betreten hatte, "das Messer weist überhaupt keine Spuren auf, so was sauberes findet man in Ankh-Morpork eigentlich gar nicht. Auf dem Kissen befinden sich Blutspuren des Opfers, sowie dessen Haare. Wenn man bedenkt, dass der Mann mit diesem Kissen erstickt wurde, dann müsste man davon ausgehen das der Täter Spuren zurück gelassen hat."
Laiza setze sich auf einen einsamen Stuhl und hörte aufmerksam zu.
"Der Stoff ist schon recht alt und ein wenig spröde, wenn man es nun packt und es mit viel Kraft auf ein Gesicht drückt, müsste man dies am Gewebe sehen." Rib seufzte und schüttelte den Kopf. "Nichts. Ich würde behaupten, dieses Kissen wurde nicht für einen Mord benutzt. Das Blut auf dem Kissen und die Fasern, die im Mund des Toten gefunden wurden, sprechen natürlich eine andere Sprache." Er deutet auf den Obduktionsbericht in Laizas Hand.
"Wir haben also absolut nichts in der Hand?" fragte sie enttäuscht.
"Ganz so schwarz sieht's dann doch nicht aus, etwas haben wir. Alice fand im Bett des Toten ein Taschentuch. Die Tochter kennt es nicht, wahrscheinlich ist es unsere einzige richtige Spur. Auch dieses ist so sauber, wie es in Ankh-Morpork unmöglich ist." Er reichte ihr ein braunes Kuvert aus dem sie ein blaues Tuch herausholte. Es trug in einer Ecke die Initialen des Toten: MK.
"Es ist Seide?" fragte sie und befühlte den Stoff mit den Fingerkuppen.
"Oh ja! Es ist sogar seidiger als seidig. Die beste Qualität, die man im ganzen Achatenen Reich finden kann."
"Ist das ... gut?"
Die Gnumie grinste unter ihrem Mull: "Nur ein einziger Laden in Ankh-Morpork verkauft diese Seidenart, und zwar Soi Kutschikatis Stoffwelt in der Straße Schlauer Kunsthandwerker."
Laiza notierte sich den Namen in ihrem Notizblock.
"Jack hat noch etwas Interessantes im Magen des Toten gefunden. Es handelt sich dabei um die Frucht der Sauerkirsche. Wie mich die DOG informiert hat, stehen entsprechende Bäume auf dem Grundstück des Toten."
"Was genau ist daran interessant?"
"Gedulde sich doch! Die Früchte aus dem Magen sind schon reif, jene auf der Plantage des Toten noch nicht. Außerdem war auch eine Kirsche mit Stiel dabei. Wer isst schon eine Kirsche mit allem drum und dran? Und hier wird es interessant. Normalerweise befindet sich am Ende des Stieles eine Bruchstelle, dort, wo er mit dem Baum verwachsen war, doch dieser Stiel hier sieht aus, als hätte er nie an einem Baum gehangen."
Laiza betrachtete den Stängel unter einer Lupe.
"Außerdem sei dir gesagt, dass das Tuch, Kissen, Kirsche und Messer oktarin glänzen. Was immer passiert ist, Magie war im Spiel."
Laiza sinnierte einige Augenblicke darüber nach: "Ich werd wohl erstmal bei dieser Soi Kutschikati vorbei schauen. Ich leih mir das Beweisstück."
"Ach ja, da wäre noch der Brief", meinte Rib, als Laiza schon an der Tür war. "Das Papier ist relativ neu. Er dürfte ihn also in den letzten Monaten geschrieben haben."
Auf dem Weg nach draußen fing Sillybos sie ab. Seine Haut war leicht gerötet und seine Finger schrumplig, sein Bart tropfte sein Hemd nass.
"Du Laiza, wie sieht es im Fall Kerasus aus? Wir müssen einige wichtige Aspekte besprechen; ich kann dir helfen, ein Täterprofil zu erstellen."
"Du solltest nicht zu viel Baden, sonst löst du dich noch auf."
Der Philosoph überging diesen Kommentar gekonnt: "Wir müssen mal über den weiteren Verlauf der Ermittlungen reden."
"Hier hast du erst einmal den Obduktionsbericht, ich muss unbedingt noch eine Zeugin vernehmen und komme dann später zu dir, okay?"
Er nahm ihr die Akte ab und nickte widerwillig.
Es roch nach Mottenkugeln und Duftkissen. Der Vorraum mit der Auslegeware war verlassen und ruhig, doch aus dem Hinterzimmer hörte man das kontinuierliche Geräusch einer Schneidermaschine, von irgendwer ertönte das Pfeifen eines Wasserkessels, während hinter Laiza das Windspiel an der Tür langsam verklang.
"Losi, schau mal wel dolt gekommen ist!"
Ein junges Mädchen mit blonden Korkenzieherlocken betrat den Bereich hinter dem Tresen. Sie lächelte freundlich und fragte womit sie dienen könnte.
"Stadtwache Ankh-Morpork, ich bin Korporal Harmonie und hätte einige Fragen an sie."
"Oh, was denn für Fragen?" Sie schien das Lehrmädchen des Ladens zu sein und hatte bis Dato wohl noch keinen nahen Kontakt zu einem Wächter gehabt.
"Es geht um einen ihrer Kunden."
Das Arbeitsgerät verstummte und ein Stuhl wurde hastig zurück geschoben. Eine kleine Achatenin im schwarzen Rock und einem typisch achatenen Oberteil in blau betrat den Verkaufsraum.
"Guten Tag, ich bin Flau Kutschikati, um welchen Kunden handelt es sich denn?"
"Ich hoffe, dass Sie mir das beantworten könnten", meinte Laiza und zog das Kuvert aus ihrer Umhängetasche. "Können sie sich daran erinnern, wer dieses Taschentuch bei ihnen gekauft hat?"
"Oh, dass ist beste Wale die wil haben, das blau kam elst letzte Woche bei uns an", die Achatenin lächelte und in Laiza stieg Vorfreude auf. "Ich habe sofolt einige Taschentüchel genäht, abel bislang habe ich keins velkauft."
Laiza verzog das Gesicht: "Soweit ich weiß vertreiben nur sie diese Seidenart."
Die Frau lächelte: "Ich bin sehl stolz dalauf."
"Wissen sie noch, wie viele Taschentücher sie genäht haben?"
"Es sind zehn Stück."
"Würden sie mir den Gefallen tun und nachsehen ob noch alle da sind."
"Losi! Bitte schau mal."
Das Lehrmädchen verschwand im Hinterzimmer und kam kurz darauf mit einer Kiste wieder.
Die Achatenerin hob den Deckel und präsentierte zehn gleichschöne blaue Taschentücher. Laiza zählte sie zwei Mal durch.
"Das passt alles nicht", murmelte Laiza verbittert, "Woher kommt das elfte Taschentuch?"
Die Achatenerin ließ den Blick zu ihrer Schülerin gleiten und sah diese skeptisch an: "Hast du etwa heimlich geübt?"
"Nein bestimmt nicht!!"
"Wohel ist dann dieses Tuch?"
"Bleiben sie ganz ruhig", griff der Korporal beschwichtigend ein, "sie sollten niemanden ohne feste Beweise verurteilen. Hat sich vielleicht jemand nach den Taschentüchern erkundigt?"
Die kleine Frau schien über das zusätzliche Taschentuch aufgebracht zu sein: "Weiß ich doch nicht! Es kommen so viele Leute tagtäglich volbei!"
"Schäffin, ich erinnere mich an jemanden der hier war."
"Jetzt velsuch nicht, dich aus del Affäle zu ziehen, junges Fläulein!"
"Aber wirklich Schäffin! Diese Dame, die vergangenen Dienstag hier her kam!"
"Welche Dame?!" Frau Kutschikati hatte wütend die Arme in die Hüften gestemmt, während Laiza neugierig an den Lippen der jungen Frau klebte.
"Ich hatte mich doch noch gewundert, wieso sie eine Sonnenbrille trug, obwohl es geregnet hatte. Sie hatte sich verschiedene Tücher angesehen, aber sie waren ihr alle zu teuer."
"Meinst du etwa, sie hat dann den Stoff geklaut, odel was?!"
"Frau Kutschikati, könnte ich ihre Mitarbeiterin mit auf die Wache nehmen, damit ein Phantombild angefertigt werden kann?"
Sie schnaufte erbost, nickte dann aber.
Als die Beiden am Wachhaus ankamen, war verhältnismäßig mehr los vor dem Gebäude, als es eigentlich die Regel war. Leute versuchten, sich ins Gebäude zu drängeln und die Rekruten am Tresen wirkten ausgelaugt.
Rea Dubiata und Michael Machwas verstärkten die zwei hinter dem Tresen und mittendrin wuselte Sampo und fauchte jeden an.
"Was ist denn hier los?" wandte sich die Okkultismusexpertin an Rea.
"Jemand hat spitz bekommen, dass dieser Gildenpräsident tot ist. Es steht in fast jeder Zeitung. Sie wollen alle wissen, wer der Mörder ist."
"DOG soll sich drum kümmern, ist immerhin ihre Sparte! Ich muss jetzt zu Silly."
Sie drängelte sich mit der jungen Frau an den Leuten vorbei in die freie Zone hinter dem Tresen und führte sie dann in den zweiten Stock, in den Aufenthaltsraum der SuSis, wo Olga-Maria gerade ein Brot verdrückte.
"Gut das du hier bist. Diese junge Frau muss ein Phantombild machen, würdest du den Dämonen herauskramen und auf sie acht geben?"
"Natürlich", antwortete die Tatortwächterin mit vollem Mund und begab sich zu einem Schrank.
Silly hatte die Zeit mit Philosophieren verbracht. Zumindest machte sein Büro den Eindruck. Die Akten waren säuberlich bei Seite gelegt, um verschiedenen Lehrbüchern Platz zu schaffen. Er starrte an die Decke und murmelte sich unverständliche Dinge in den Bart als Laiza nach dem 'Herein' eintrat.
"Da bist du ja endlich."
Seine Okkultismusexpertin setze sich ihm gegenüber. "Hast du die Berichte der Spurensicherung und der Obduktion schon gelesen?"
"Aber natürlich." Er räusperte sich und fragte sich, wo Hegelkant sie hingelegt hatte.
"Die DOG wartet auf deinen Abschlussbericht, sie wollen endlich etwas Handfestes, damit die Gilde uns nicht die Bude einrennt. Man vermutet, die Tochter werde verdächtigt?"
"Alle sprechen von der Tochter! Nur weil sie einen Schlüssel für sein Schlafzimmer hat?"
"Du hast Recht, es wäre eine Katastrophe wenn wir sie in eine Zelle werfen würden. Wie würde den die Gilde da reagieren? Da kommen wir dann wieder zu Alexin Paitios."
"... Philosophen! Diese absurde Selbstmordtheorie?!"
"Wohl kaum absurder als deine okkulten Dinge."
"Was spricht also deiner Meinung nach dafür, dass er sich selbst umgebracht hat?"
"Die Kirschen. Er hat sie ganz geschluckt, um daran zu ersticken."
"Er hätte doch schon nach der vierten Kirsche merken müssen, dass das nicht klappt!"
"Deshalb griff er dann zur Magie. Das klappte natürlich auch nicht."
"Laut Obduktion ist Karesus eindeutig erstickt, aber nicht an den Kirschen, sondern an dem Kissen!"
"Ich dachte, Rib wäre der Meinung das Kissen sei nicht verwendet worden?"
Dieser Philosoph brachte sie zur Verzweiflung. "Sir, hast du schon Mal versucht die Luft anzuhalten?"
"Ab und zu in der Badewanne."
"Irgendwann holt man instinktiv Luft. Niemand kann sich selbst mit einem Kissen ersticken und erst recht nicht, wenn er ein Messer im Bauch hat!"
"Na gut, dann hat das mit dem Kissen eben nicht geklappt und zum Schluss hat er dann zum Messer gegriffen!"
"Er ist eindeutig erstickt, Sillybos! Das Messer hatte er vor seinem Tod im Bauch, außerdem müssten dann Fingerabdrücke auf dem Messer sein."
Der Philosoph grummelte: "Und was ist deine Theorie?"
"Es waren höhere Kräfte mit im Spiel und wir haben eine Unbekannte, die eventuelle mit dem Mord in zusammen hang steht. Ich habe eine leise Ahnung was dahinter stecken könnte."
"Das wäre? DOG wartet auf unser Ergebnis."
"Ich muss das noch genauer untersuchen. Ich werde später wiederkommen."
Was auch immer an der Theorie des ephebianischen Kriminalphilosophen dran sein könnte, Laiza glaubte nicht, dass sie sich mit ihr auf dem richtigen Weg befand.
Die Situation vor dem Wachhaus war inzwischen einigermaßen unter Kontrolle gebracht worden. Friedlich saßen die Mitglieder der Obstbaumgilde vor der Tür.
Rea Dubiata sah zufrieden aus.
"Rea, ich bräuchte deine fachliche Hilfe. Möchtest du einen Tee?"
Die blonde Frau drehte sich zu ihrer Kollegin um und lächelte: "Gerne!"
Der Pfefferminztee war wohltuend, obwohl es Sommer war und die Temperaturen außerhalb der dicken Steinmauern langsam unerträglich wurden.
"Du hast gesagt, du bräuchtest meine Hilfe?"
"Allerdings." Sie holte einen Apfel aus der oberen Schublade ihres Schreibtisches, er war grün mit roten Backen und am abgebrochenen Stiel hing noch ein kleines Blättchen, "Schau dir diesen Apfel genau an."
Rea nahm ihn in die Hände und betrachtete ihn von allen Seiten, bevor sie ihn zurückgab. Laiza legte ihn zurück in die Schublade. "Am besten machen wir es uns auf dem Boden bequem."
Rea sah ihre Kollegin fragend an, folgte ihr aber auf den kühlen Steinboden.
"Mach es dir bequem und schließ die Augen. Bitte konzentrier dich nur auf diesen Apfel, stell' dir vor, er würde vor dir liegen, denke an nichts anderes."
Rea atmete tief durch und ihr Gesicht wurde ausdruckslos.
Laiza beobachtete Rea genau.
"Stell' ihn dir ganz genau vor." wisperte sie.
Die Minuten verstrichen, und Schweißperlen hatten sich auf der Stirn des Vektors gebildet. Und plötzlich geschah es. Funken sprühten und Qualm bildete sich vor Rea auf dem Boden und ein helles Licht blendete die beiden Frauen. Dann fiel Rea erschöpft nach hinten, und als sich der Qualm legte lag dort ein grüner Apfel mit roten Backen.
"Wow", hauchte Laiza und nahm den Apfel in die Hand, er war warm und leicht matschig. Rea sah erschöpft zu ihr auf.
"Ist es das was zu wolltest? Apfelmus?"
Die Okkultismusexpertin stand auf und öffnete die Schublade ihres Schreibtischs. Bis auf einen Bleistift und ein Notizblock war diese leer: "Ja! Super, es hat geklappt!"
Rea war aufgestanden und warf ebenfalls einen Blick in die Schublade: "Ist das wirklich der Apfel der dort drin lag?"
"Oh ja! Hierbei handelte es sich um..."
"Apportation."
"... exakt. Gegenstände werden allein durch Gedankenkraft an andere Orte gebracht. Nicht zu verwechseln mit Telekinese. Denn bei der Apportation werden die Dinge durch feste Gegenstände hindurch bewegt ohne diese zu zerstören."
"Ist das die Lösung für deinen aktuellen Fall?"
"So in der Art." Sie ließ den Apfel in den Mülleimer fallen, "Wenn es die Möglichkeit gibt, Dinge kraft der Gedanken zu bewegen, dann ist es sicher auch möglich, pure Phantasien lebendig werden zu lassen. Das Messer, das in dem Bauch des Opfers gefunden wurde, lässt sich keiner Marke zuweisen. Wir haben keine Ahnung, woher es kommt und vielleicht ist es gar nicht echt?"
"Ihr sucht also einen starken Magier."
"Mehr eine Hexe als ein Magier, aber stark auf jeden Fall. Die Indizien weisen darauf hin, dass Karesus in der Vergangenheit eine Frau kennen gelernt hatte. Sie hatten sich verliebt, aber aus irgendeinem Grund, vielleicht wegen seiner Zaubereiphobie, hat Karesus sie zurück gewiesen. Vielleicht war das ein Racheakt?"
"Vielleicht. Weiß die Tochter etwas davon?"
Laiza zuckte mit den Schultern. "Davon geh ich nicht aus, aber es könnte sein, dass wir von einer jungen Frau aus einem Stoffladen ein Phantombild bekommen, das die Verdächtige zeigt."
"Vielleicht wollte sie ihn gar nicht umbringen, sondern hat es sich nur vorgestellt?"
"Und dann ist es wirklich passiert? Klingt grausig."
"Vielleicht kann man sie mit Hilfe des Phantombildes finden."
"Ich sollte meinen Bericht schreiben, Silly wartet schon darauf."
Die Tür des Okkultismusexpertenbüros ging auf, als Laiza gerade den Schlusssatz ihres Berichtes formulierte.
Sillybos beobachtete, wie sie gedankenverloren am Ende ihres Federhalters knabberte und ihn fragend ansah.
"Schon fertig?"
"...fertig... nein."
"Musst du immer auf die letzte Minute deine Berichte abgeben? Drei hungrige Mäuler sitzt in meinem Büro und wartet."
"Ich bin gleich fertig."
Sillybos griff nach einer Ikonographie, die auf ihrem Schreibtisch lag. Sie zeigte eine junge Frau mit schmalem Gesicht und scharfen Konturen.
"Ist dass das Phantombild?"
Laiza nickte nur und starrte wieder auf ihren Bericht.
"Und wie lautet deine Theorie?"
"Er wurde mit Hilfe von Magie umgebracht, der Täter hat das Zimmer nie betreten, sondern hat das Ereignis von einem anderen Ort aus bestimmt."
"Ich habe zwar nicht viel Ahnung von Magie, aber würde man jemanden nicht einfach zu Staub oder Glibber zerfallen lassen? Oder in einem Frosch verwandeln?"
"Ich gehe davon aus, dass diese Tat nicht vorsätzlich gemacht wurde. Der Täter hat sich die Tat eventuell nur vorgestellt, doch durch die große magische Begabung wurde es dann zur Wirklichkeit."
Laiza schrieb weiter, während Sillybos nur den Kopf schüttelte: "DOG wird uns auslachen wenn wir denen das erzählen."
"DOG wollte meine Meinung, dass ist meine Meinung", beharrte sie nach kurzem schweigen und beendete ihren Bericht.
"Die Gilde wird uns die Bude einrennen! Meine Herdentrieb-Selbstmord-These klingt um einiges plausibler."
"Wer glaubt schon, dass er sich auf diese Weise umgebracht hat?"
"Es geht hier darum, einen Gildenstreik zu verhindern!", 'Und es geht um Hegelkants Apfelkuchen', fügte Sillybos in Gedanken hinzu.
"Es geht ihr nicht darum, dass irgendwer zufrieden ist, sondern darum, den Fall richtig zu lösen." Sie schlug die Akte zu und stand auf. "Und das, Silly, ist Aufgabe von DOG."
EndeZählt als Patch-Mission.
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