Nach ihrer Verurteilung muss Kathiopeja eine Woche im "Institut für spät pubertierende Straßenjungen mit kriminellen Neigungen" verbringen. Kathi und Kinder? Na ob das was wird...
Dafür vergebene Note: 11
Prolog
Kathiopeja lag in ihrem Bett. Es war nicht sehr bequem und dass ihr Gnom Marven sich mal wieder auf ihrem Kopfkissen breit gemacht und zu schnarchen begonnen hatte machte es nicht unbedingt besser.
Sie hatte den Abend bei Araghast verbracht, wegen einer Püscho-Sitzung. Er war nicht wirklich freundlich gewesen, aber wenn sie sich überlegte wie sie sich benommen hatte, war er eigentlich noch ziemlich nachsichtig mit ihr umgegangen. Jedenfalls verstand sie nicht, warum der Hauptfeldwebel so unbeliebt war. Nein, 'gefürchtet' war das bessere Wort dafür.
Nur, dass Kathi sich bei Romulus für den Diebstahl während einer von ihm durchgeführten Übung
[1] hatte entschuldigen müssen störte sie. Ganz zu schweigen von der Anmaßung des Püschologen, ihr den Kaffee zu verweigern.
Aber sie hatte beides überstanden, das zählte im Moment. Selbst das Geld hatte sie bereits zurückgegeben.
Weiß gar nicht mehr, warum ich es eigentlich eingesteckt habe.Eine Stimme antwortete aus dem hintersten Teil ihres Kopfes, sie hatte sich einfach nur in Schwierigkeiten bringen wollen, doch die ignorierte sie gekonnt. Denn warum sollte sie sich in Schwierigkeiten bringen wollen?
Sie schüttelte den Kopf, was Marven unruhig werden ließ. Ein kurzer Seitenblick auf ihn entrang ihr ein Lächeln. Irgendwie hatte sie die kleine Nervensäge in ihr Herz geschlossen.
Nacheinander begannen die Uhren der Stadt elf zu schlagen. Die Ermittlerin gähnte herzhaft.
Ich sollte schlafen., dachte sie.
Morgen beginnt diese dämliche Strafe.Während sie darüber nachgrübelte, wie die nächste Wochen in dem Institut wohl aussah, versank sie in einem unruhigen, immer wieder unterbrochenen Schlaf.
***1. Tag- Einstand
Mit der Kaffeetasse in der Hand streifte Kathiopeja durch das morgendliche Ankh-Morpork. Nun... eigentlich war es noch nicht Morgen. Die ersten Sonnenstrahlen erreichten grade die äußersten Punkte der Stadt.
"Warum muss ich denn bitte zum Sonnenaufgang in diesem verdammten Institut sein? Das ist ja schlimmer als bei der Wache.", grummelte sie zwischen zwei Schluck Kaffee vor sich hin.
Wenigstens hatte sie ihren Gnom davon überzeugen können, diese Woche bei den RUM zu verbringen.
Wäre ja noch schöner. Sich mit diesen Gören auseinander zu setzen wird schlimm genug. Da brauch ich nicht auch noch einen gnomischen Jugendlichen, der über jeden Misserfolg von mir lacht.Sie seufzte, als sie um die nächste Ecke bog und ein Haus erblickte, das nicht nur der ihr gegebenen Beschreibung entsprach, sondern sich auch noch bei der richtigen Adresse befand. Vor der Tür stand ein Mann mit Brille. Er konnte höchstens so groß sein wie sie selbst. Kathi war sich sicher, bereits eine Ikonographie von ihm gesehen zu haben. Es musste sich um einen der Institutsleiter handeln.
Als er die Wächterin in ihrer Uniform sah, winkte er ihr.
Ja.. es ist wirklich einer der beiden.Als sie bei ihm ankam, streckte er ihr bereits seine Hand entgegen.
"Obergefreite.." Er blickte auf einen Zettel. "Ka.. Kathio.. Kathiopeja. Richtig?"
Die Angesprochene nickte und schüttelte dann die Hand des Mannes.
"Ja, Aber Kathi reicht vollkommen aus."
"Selbstverständlich. Ich bin Heidryck Halbstark, gemeinsam mit meinem Bruder Hermann leite ich dieses Institut. Und es wäre wirklich schön, wenn Sie ab morgen nicht mehr in Uniform kommen. Immerhin sollen Sie meine Schützlinge davon überzeugen, dass Straftaten sich nicht lohnen und sie nicht festnehmen." Heidryck lachte. Es klang ein wenig nervös.
"Gar kein Problem. Ab morgen dann also in zivil." Kathiopeja lächelte den Institutsleiter an.
"Herr Halbstark, wie läuft das alles ab?"
"Hmm.. ich hatte gehofft, dass Sie da vielleicht Genaueres Wissen." Er schaute noch einmal auf den Zettel in seiner Hand. "Sie sind also hier, um den Kindern zu helfen. Obwohl Sie selbst offensichtlich ein kleines Problem haben, was den eigenen Besitz und den von Fremden angeht. Vor allem darin, Fremd- und Eigentum zu unterscheiden." Wieder ein nervöses Lachen.
"Ja, genau. Haha.." Die Ermittlerin lächelte ihn weiter an.
Wie lustig.. Ich hoffe, dieser Kerl bleibt mir fern. Sonst lande ich wieder bei IA. Nur diesmal wegen Körperverletzung. Auf der Stirn Heidrycks befand sich eine unübersehbare Schweißschicht.
Wie kann ein einzelner Mensch so nervös sein? Ich wette, diese Straßenjungen mit.. 'kriminellen Neigungen' tanzen diesem Typen auf der Nase rum."Ich werde Ihnen dann die Räumlichkeiten zeigen." Damit öffnete er die Tür zum Haus. "Nach der Dame."
Kathi knirschte mit den Zähnen und schloss die Augen.
Du wirst ihn nicht schlagen. Nein, das wirst du nicht tun.Mit einem steinernen Lächeln schritt sie durch die Tür.
"Danke", sagte sie gepresst.
Das Haus war etwas größer als es der Durchschnitt in Ankh-Morpork war. Es gab vier Klassen, wie Heidryck ihr bei dem Rundgang erklärte. Jede Klasse hatte ihren eigenen Raum und bestand aus fünf bis neun Schülern.
"Sie werden die Klasse drei begleiten. Ich schicke nachher nach einem der Jungen. Er wird Ihnen dann die anderen vorstellen." Der Institutsleiter deutete auf eine Treppe. "Dort oben können die Kinder schlafen. Jede Klasse hat einen Schlafraum. Sie müssen sich drei Bäder teilen."
Lärm erklang von der oberen Etage. Der Mann spielte mit seinen Händen und grinste.
"Sie können hören, dass der Kampf um die sanitären Anlagen grade begonnen hat. Bitte gehen Sie doch schon mal in den Raum für die Lehrkräfte, dort vorne. Ich muss mich um die Kinder kümmern."
Damit wandte er sich ab, um die Stufen hinauf zu steigen.
Kathi blieb einen Moment verwirrt stehen, lief dann aber auf die Tür am Ende des Ganges zu, die mit 'Lehrer' bezeichnet war. Sie grinste breit.
Bin ich jetzt Lehrerin? Das würde Mutter sicherlich sehr überraschen. Und die anderen Wächter erst. Besonders Jack!Die Wächterin klopfte an und fragte sich dabei, warum es sie eigentlich interessierte, was Jack dazu meinte. Einen Sekundenbruchteil war sie kurz davor, ob der möglichen Antwort zu erröten, schaffte es aber ihre Verlegenheit in Zorn umzuwandeln.
"Jack und seine dämlichen Scherze. Verdammter Mistkerl, die Götter sollen ihn strafen!"
Die Tür vor ihr öffnete sich.
"Hallo. Du musst die Wächterin sein, die diese Woche für uns arbeitet." Eine lächelnde blonde Frau bat sie ins Zimmer. Sie war wohl genauso alt wie Kathi.
"Ja, das stimmt. Und du bist Lehrerin hier?"
Die Blonde lachte. "Nein, ich bin nur eine Aushilfe für den Lehrer der Klasse drei. Herr Lehmann hat sich krank gemeldet. Ach.. wo sind denn meine Manieren? Ich bin Sophie."
"Kathi. Klasse drei hast du gesagt? Dann arbeiten wir zusammen."
Sophie nickte. "Ja, das tun wir. Der Unterricht beginnt um neun. Nun.. eigentlich ist es kein wirklicher Unterricht. Wir haben andere Lehrinhalte als übliche Schulen."
Während die Frau sprach, sah Kathiopeja sich um. Er maß vielleicht zehn Quadratmeter, allerdings waren die Wände nicht zu sehen. Sie waren von Regalen und Schränken verdeckt. In der Mitte stand ein Tisch mit sechs Stühlen.
"Bitte, setz dich doch,.. Kathi." Sophie hatte ihren Namen zögerlich ausgesprochen und auch ein wenig fragend.
"Danke, gern."
"Kaffee?"
"Ja! ..Bitte."
Die Klatschianerin ließ den Blick noch einmal durch den Raum schweifen.
"Das ist also das Institut für spät pubertierende Straßenjungen mit kriminellen Neigungen.", stellte Kathi fest, sah die Aushilfslehrerin an und nahm einen Schluck des ihr angebotenen Kaffees.
In Gedanken nannte sie die Einrichtung IKK, 'Institut für Kleine Kriminelle'.
Nach einer Stunde sinnlosen Wartens in dem Lehrerzimmer fragte sich die Obergefreite, warum sie eigentlich hatte so früh auftauchen müssen.
Dann trat Heydrick ein.
"Bitte entschuldigen Sie, ich hatte noch dringend etwas mit den Jungen Ihrer Klasse zu klären. Immerhin musste ich denen ja auch mitteilen, dass heute eine weitere Dame bei ihnen sein wird."
Er spielte schon wieder auf diese nervöse Art mit seinen Händen. Und er hatte sie schon wieder Dame genannt.
Andererseits.. die Wartezeit war ihr mit einer Menge Kaffee versüßt worden. Und herumzusitzen war besser, als sich mit irgendwelchen Gören abzugeben.
"Der Unterricht beginnt in 20 Minuten, wenn ich Sie dann bitten dürfte, schon einmal in den Klassenraum zu gehen. Die Jungen werden bestimmt auch bald eintreffen. Fräulein Sophie wird nur noch schnell ein paar Vorbereitungen für nachher beenden und dann ebenfalls kommen."
Er hielt ihr die Tür auf.
"Natürlich.", antwortete die Klatschianerin einfach, goss sich eine weitere Tasse Kaffee ein und machte sich damit auf den Weg zu dem Raum, der ihr vorhin als der der Klasse drei vorgestellt worden war.
Kurz nachdem sie dort hinein getreten war und einen zweiten Stuhl neben den Tisch der Lehrerin gezogen hatte, um sich darauf hinzusetzen, öffnete sich die Tür.
Ein Junge mit schwarzen Haaren und ebensolchen, raubtierartigen Augen steckte den Kopf in den Raum. Kathi schätzte ihn auf 16.
Dann kam er vollständig hinein, nicht ganz freiwillig, wie die Wächterin bemerkte. Er war wohl geschubst worden.
"Tach.", sagte er und musterte sie von oben bis unten. "Schätz mal, du bist die Schna... ähm... Wächterin, die ihre Zeit jetze mit uns verschwendn soll."
Kathiopeja sah ihn streng an, was ihr viel Beherrschung abverlangte. Eigentlich war ihr nach Lachen zumute.
"Nein, mein liebes Kind." Sie grinste bei dieser Anrede noch breiter in sich hinein. "Ich bin die Wächterin, die euch ein bisschen Disziplin beibringt. Ihr scheint es nötig zu haben. Wie heißt du? Und du kannst mir auch gleich deine Freunde vorstellen, die sich nicht getraut haben einzutreten." Bei dem letzten Satz fixierte sie die Tür.
Murmeln erklang aus dem Flur, dann traten vier weitere Jungen ein. Alle im Alter von 15 bis 17, wie Kathi vermutete.
"Ich heiße Ebbo.", stellte sich der Bengel vor, der von den anderen hinein geschubst worden war.
"Quatsch mit Soße!", meinte ein Hellblonder mit braunen Augen. "Sein Name ist Eberhard."
Kathi konnte gut verstehen, warum Eberhard sich lieber Ebbo nennen lassen wollte. Sie selbst war mit ihrem Namen auch nicht allzu glücklich davon gekommen. Oh sicher, alle in der Wache kannten sie als Kathiopeja. Aber genau genommen war das ihr zweiter Vorname.
Wer nennt denn seine Tochter auch schon Regis? Sie unterdrückte einen Seufzer.
Naja.. wer mit gesundem Menschenverstand nennt seine Tochter so?Das RUM-Mitglied wandte sich Eberhard zu.
"Nun gut, also Ebbo."
Dann sah sie den blonden Jungen an.
"Und du bist..?"
"Jörg.", antwortete er und schob sein Kinn trotzig vor. "Aba das geht dich eigntlich gar nichts an! Du hast uns ja auch noch nich gesagt, wer du eigntlich bist. Und was hast du überhaupt verbrochn, dass du bei uns sein musst? Denn freiwillig macht das ja wohl keina."
Kathiopeja ignorierte die Fragen des Jungen und wandte sich dem nächsten zu. Auch er war blond, allerdings dunkler.
"Wie heißt du?"
Aus grünen, gelassenen Augen sah er sie an.
"Erik mein Name, Mä'äm."
Er setzte ein Lächeln auf, das genauso gut ein Grinsen hätte sein können.
"Nicht Mä'äm", belehrte sie ihn. "Nicht einmal Wächterin. Ich bin hier zivil."
Erik deutete süffisant auf ihre Uniform. "Ach? Wie konnte ich das übersehen."
Wäre sich die Obergefreite nicht sicher gewesen, dass Jungen in diesem Alter nicht kicherten, hätte sie gemeint seine Freunde taten es.
Dann stand ein Lockenkopf mit braunem Haar vor ihr. Seinen Mund umspielte ebenfalls ein Lächeln, das von seinen dunkelblauen Augen noch unterstützt wurde.
"Ich bin Ferry, Mademoselle."
"Friedrich!", warf Jörg ein.
"Ferry?", fragte Kathi, die Jörgs Einwurf überging.
Der Angesprochene nickte, deutete etwas an, das nach der Meinung der Ermittlerin eine Verbeugung sein sollte und machte dann dem fünften Jungen Platz. Er trug eine Brille, was sie überraschte. Ansonsten war er recht unauffällig. Wie alle anderen in seiner Klasse waren seine Sachen nicht die besten. Mit seinen kurzen, braunen Haaren und Augen in derselben Farbe wirkte er ziemlich klug. Hätte das RUM-Mitglied ihn in vernünftigen Sachen auf der Straße angetroffen, hätte sie ihn wohl für den Sohn von Kaufmannseltern gehalten.
"Ich heiße Rudolf, werde aber von allen Dolf genannt."
Nachdem auch er sich vorgestellt hatte, sahen die fünf Jungen sie fragend an.
"Aaalso", begann sie, "Ich bin Obergefreite Kathiopeja, allgemein hin werde ich Kathi genannt, was ihr auch tun werdet. Wie schon gesagt: Ich bin keine Wächterin, keine Mä'äm, auch keine Mademoselle, Dame oder ein Fräulein." Als sie die Blicke der Fünf bemerkte fügte sie hastig hinzu: "Oder was euch sonst noch in diese Richtung einfällt. Einfach nur Kathi."
Als hätten sie sich abgesprochen, nickten ihre Zuhörer.
Sie wollte ihnen erklären, warum sie eigentlich dort war, doch in dem Moment ging die Tür auf und Sophie trat ein.
Die Jungen drehten sich um und sagten wie ein Chor kleiner Engel "Guten Morgen, Fräulein Sophie."
Ich glaube, ich muss mehr auf diese Banditen achten, als ich dachte., schoss es der Klatschianerin dabei durch den Kopf.
"Guten Morgen, Jungs.", erwiderte die Aushilfe. "Wie ich sehe, habt ihr die Wächterin.. ähm.. also.. Kathi schon kennen gelernt." Verlegen lächelte sie in Kathiopejas Richtung. "Nun denn.. beginnen wir mit dem Unterricht."
Kathi saß neben Sophie und wunderte sich den ganzen Vormittag über, warum die Jungen still waren. Nun.. vielleicht waren sie eingeschlafen. Jedenfalls wäre es der Klatschianerin fast so ergangen. Angefangen hatte es noch halbwegs interessant. Lesen, Schreiben und Rechnen üben. Wie an jeder üblichen Schule. Doch dann kamen die langweiligen und wahrscheinlich auch vollkommen nutzlosen Lektionen über das Miteinander in der Gesellschaft und ähnliche 'hochinteressante' Themen. Die Wächterin sehnte sich in diesen Stunden zurück in die Wache. Dort war immer etwas los. Und selbst wenn es einmal für kurze Zeit zu keinem Mord oder Raub kam, konnte sie immer noch Akten bearbeiten, was sicherlich interessanter war als dieser naiven Frau bei ihren Vorträgen zuzuhören.
Als Sophie mit einem strahlenden Lächeln sagte: "Soo, meine Lieben, das war's erstmal für heute. Ihr könnt euch nun allein beschäftigen. Aber ich erinnere euch noch einmal daran: Verlasst das Gebäude nicht ohne Aufsicht." schenkte sie Erik etwas, das vermutlich ein strenger Blick sein sollte.
Kathiopeja gab sich alle Mühe, ihre Erleichterung nicht zu zeigen, konnten einen Seufzer jedoch nicht unterdrücken.
"Ja, diese Arbeit ist hart, aber jemand muss sie machen und ich bin mir sicher, dass sie den Jungen helfen wird.", meinte die Aushilfslehrerin zu ihr.
Die Ermittlerin nickte nur.
Ha! Wie sollte man denen mit stundenlangen Vorträgen über richtiges und falsches Verhalten helfen?Sie betrachtete Sophie, die sich mit dem Ordnen einiger Bücher beschäftigte, von der Seite her und schüttelte den Kopf.
Immerhin glaubt sie, ihre Arbeit richtig zu machen. Da kann ich nur hoffen, dass der eigentliche Lehrer dieser Klasse mehr drauf hat. Bei diesem Gedanken wanderte ihr Blick zu den Jugendlichen, die einen kleinen Kreis gebildet hatten und miteinander tuschelten.
Was haben die vor? Und warum, verdammt noch mal, haben sie sich die ganze Zeit benommen? Da stimmt doch was nicht..Den Rest des Tages fragte sich die Klatschianerin, ob sie für das Institut schlicht und ergreifend eine billige Putzfrau war. Ihre einzigen Aufgaben bestanden darin, das Klassenzimmer auf- und den Kindern hinterher zu räumen. Mit für ihren Geschmack zu wenig Kaffee in den Adern durfte sie dann auch noch Akten im Lehrerzimmer sortieren.
"Das hätte ich in der Wache auch haben können, dazu hätte mich Ras nicht hierher schicken brauchen."
Sie knurrte fast bei dem Gedanken an den Kommandeur. Er hatte noch immer ihre Lieblingskaffeetasse
[2]. Völlig fertig und schlecht gelaunt kam sie zu Hause an. Zumindest wartete Marven dort nicht auf sie. Etwas gutes hatte auch dieser Tag.
***2. Tag- Männer!
An diesem Morgen war sie Punkt 8:00 Uhr im Lehrerzimmer des Instituts. Es wunderte sie ein wenig, dass Sophie noch nicht da war und so kochte sie sich ihren Kaffee selbst.
Sie setzte sich in aller Ruhe hin und genoss ihr heißes Getränk, als sich die Tür öffnete. Heidryck trat ein, nur dieses Mal hatte er seine Brille nicht auf.
"Oh, guten Morgen Herr Halbstark."
Der Mann sah sie einen Moment irritiert an, dann lächelte er.
Merkwürdig. Gestern wirkte er nervöser."Sie müssen die Wächterin sein. Wir kennen uns noch nicht. Ich bin Hermann. Sie hatten gestern sicherlich mit meinem Bruder zu tun. Tut mir leid, wir sorgen öfter für Verwirrung."
"Also sind Sie Zwillinge?"
Der Institutsleiter nickte.
"Kaffee?", bot die Obergefreite an.
"Oh ja, danke. Ich muss dann in meine Klasse. Ach ja: Ich wollte nur bescheid geben, dass Herr Lehmann ab heute wieder da ist."
Die Tür ging auf und ein Mann im braun-karierten Anzug kam herein. Er mochte Anfang dreißig sein und trug seine dunkelblonden Haare relativ lang.
"Morgen, Hermann."
Sein Blick glitt zu Kathiopeja. Die grünen Augen schienen sie anzustrahlen. "Oh, und wen haben wir denn hier?" Er lächelte bei seinen Worten.
Sie wollte es nicht, denn der Typ wirkte irgendwie schmierig, doch ihr versagte die Stimme. Schließlich schluckte sie und flüsterte fast: "Kathi."
"Und du hast das Vergnügen mit ihr, Mario. Sie verbringt noch die nächsten sechs Tage bei deiner Klasse."
Mit diesen Worten verließ Hermann den Raum.
"Nun, Kathi, ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit dir. Bitte sei doch so lieb und mach schon mal die Tafel und den Tisch sauber, ja? Ich komme gleich nach."
SAUBER MACHEN!?, dachte die Ermittlerin.
Ich soll für ihn sauber machen!?Wenn sein Lächeln sie nicht so verunsichert hätte, wäre sie ihm vermutlich an den Hals gesprungen. Doch ihr Körper gehörte ihr immer noch nicht wieder und sie spürte, wie weich ihre Knie waren.
So blieb ihr vorerst nichts anderes übrig, als zu tun wie ihr geheißen.
Der Unterricht unterschied sich nicht von dem bei Sophie, sah man einmal von der einen oder anderen ziemlich frauenfeindlichen Äußerung und einer Menge schmutzigen Witzen ab.
Und da sie mit langweiligem Unterricht gerechnet hatte, hatte die Wächterin ein Buch dabei. Sie wunderte sich nicht darüber, dass Mario zu sprechen aufhörte. Genauso wenig kümmerte es sie, als die Jungen zu lachen anfingen.
Erst, als ihr das Buch aus den Händen gerissen wurde, nahm sie ihre Umwelt wieder bewusst war.
"Was haben wir denn hier? 'Tatort Klatsch- Galgen, Mörder und Verbrechen' Interessant, aber was will eine Frau mit solchen brutalen Büchern? Ich würde behaupten, für unser Mädchen gibt es heute Nachmittag Putzdienst gemeinsam mit Rudolf." Der Lehrer lächelte mit gütigem Gesichtsausdruck auf sie herab. "Und sei froh, dass ich es dabei belasse, Süße."
Kathiopeja starrte den Mann wütend an. Sie hatte das Verlangen ihn zusammen zu schlagen. Doch das wirkte sich mit Sicherheit negativ auf ihre Karriere aus. Eine IA-Verurteilung reichte fürs Erste wirklich.
Also trat sie ihm nur mit aller Macht auf den Fuß, holte sich ihr Buch zurück und verließ den Klassenraum.
"Mistkerl!", murmelte sie.
Am Nachmittag fand sie sich im Klassenzimmer ein, das bis auf Rudolf leer war.
"Wo sind denn die anderen?", fragte sie den Jungen mit Brille.
"Mit Herrn Lehmann unterwegs."
Er kramte im Schrank nach Lappen, Besen und Eimer und stellte dann alles auf dem Lehrertisch ab.
Nachdem er Wasser geholt hatte, begann er ohne eine weiteres Wort zu sagen damit, den Boden zu kehren. Nachdenklich blickte die Wächterin ihn an.
Seltsam.. so ein ruhiger und zurückhaltender Junge. Was der wohl hier macht?"Willst du nicht auch langsam anfangen?", fragte er sie über die Schulter.
"Oh.. ja, sicher..."
Sie schnappte sich einen Lappen. Während sie die Tische abwischte überlegte sie angestrengt, warum sie sich wie eine unartige Schülerin behandeln ließ.
Wahrscheinlich, weil dieser Lehmann einen Teil des Berichts über mich schreiben wird. Und es ist definitiv ratsam, dass der gut ausfällt.Sie seufzte.
"Sag mal..", begann Dolf vorsichtig. "..du bist also hier, weil du beim Stehlen erwischt wurdest?"
Kathiopeja nickte.
"Genau wie ich." Der Junge lächelte sie an.
"Ach so?"
"Ja, ich war früher in einer Bande. Sozusagen deren Kopf." Er lachte kurz. "Also ich hab sie nicht angeführt, aber Planungsarbeit habe immer ich erledigt. Bis die Diebesgilde mich und Jörg erwischt hat."
"Dich und Jörg? Jörg ist doch diese kleine Petze, oder?"
Rudolf grinste, ließ sich aber von dem Gespräch nicht von der Arbeit ablenken. "Genau das ist er. Die Gilde meinte, wir seien noch zu jung um mit uns wie mit Erwachsenen zu verfahren. Und darum haben sie uns hier rein gesteckt. Das war vor über zwei Jahren."
Kathi stieß den Eimer auf dem Lehrertisch, den sie grade sauber machte, um.
"Über zwei Jahre!?", wollte sie mit einer Mischung aus Überraschung und Entsetzen wissen.
"Ja. Weißt du, die meisten von uns sehen das Institut mehr als eine Art Kinderheim. Nur, dass es hier eindeutig besser ist."
"Aber wer bezahlt das?"
Doch von nun an schwieg der braunhaarige Junge wieder.
***3. Tag- Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft
Der Vormittag verging so langsam, wie sie es von den beiden vorigen Tagen gewohnt war. Nach der gestrigen Erfahrung mit Mario hatte sie sich nicht getraut, wieder ein Buch mit zu bringen. Kathi sagte sich selbst zwar, sie habe einfach keine Lust heute zu lesen, doch ein Teil ihres Unterbewusstseins lachte sie ob dieser Lüge aus.
Interessant wurde es allerdings zum Mittag. Heute sollten die Kinder ihr Essen selber machen.
Zu Beginn kamen die Jungs zu ihr und fragten sie darüber aus. Leider konnte die Klatschianerin nicht einmal Kartoffeln kochen.
Erik schlich sich von hinten an sie ran, legte ihr einen Arm auf die Schulter und fragte ganz leise:
"Wirklich nicht? Ich dachte immer, Frauen könnten das von Geburt an."
Sie sah ihn ungläubig an. Was sollte das? Was zum Teufel meinte dieser Bengel? Bevor sie jedoch irgendetwas sagen konnte, ging er auch schon, um den anderen zu helfen.
Irritiert starrte sie ihm hinterher. Irgendwas stimmte da doch nicht..
"Während die Kinder arbeiten, könnten wir ja mal einen Moment raus gehen, oder?", fragte eine ihr leider bekannte Stimme, die Kathi zusammen schrecken ließ.
Jetzt stand auch noch dieser Lehmann neben ihm.
"Oh, tut mir leid, Kleines. Hab ich dich erschreckt?" Er schenkte ihr ein überlegenes Lächeln.
Die Wächterin wollte sich wegen ihm nicht verlegen fühlen, doch sein Lächeln ließ es gar nicht anders zu. Sie wusste, dass er ein Arschloch war. Dennoch lief sie rot an. Nervös griff sie nach ihrer Kette. Es war unglaublich, dass sie sich dieses Herumspielen daran innerhalb eines einzigen Tages angewöhnt hatte. Sie hielt inne. Da gab es ein Problem. Die Kette samt Om-Anhänger war verschwunden. Überrascht riss sie die Augen auf. Wo konnte sie nur sein? Verloren hatte sie sie sicher nicht.
"Alles in Ordnung?", wollte Lehmann wissen.
Zur Antwort nickte sie nur. Ihr Blick schweifte durch die Klasse. Hier gab es eine Menge kleiner potentieller Täter. Um genau zu sein konnte es jeder der sieben Jungen gewesen sein. Kathi grübelte. Nein... Wenn sie richtig nachdachte, konnte es nur einer sein.
"Erik? Kommst du mal bitte?"
Der dunkelblonde Junge drehte sich zu ihr um. Schulter zuckend kam er durch den Klassenraum auf sie zu.
"Ja?"
"Entschuldige uns bitte", sagte die Wächterin zu dem Lehrer, zog den Jungen mit sich in eine der Ecken und sah ihn streng an.
"Was ist denn?", wollte er, offensichtlich genervt, wissen.
"Gib mir meine Kette wieder."
Kathiopeja sprach leise. Noch war es nicht nötig, einen der Institutsleiter darauf aufmerksam zu machen.
"Wo soll ich denn deine Kette haben?"
Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß.
"Nun.. ich schätze in einer deiner Taschen. Du glaubst gar nicht, wie viele Taschen man in einem einzigen Kleidungsstück verstecken kann. Und jetzt her damit."
"Warum soll ich die denn bitte haben? Es könnte genauso gut einer der anderen gewesen sein.", erwiderte der Junge, durch seine Gesprächspartnerin in die Defensive gedrängt.
Die Klatschianerin grinste ihn an. "Gutes Argument, aber du bist der einzige, der heute die Chance hatte, die Kette zu öffnen."
Erik setzte zum Sprechen an. Doch Kathi fuhr fort, ohne darauf zu achten.
"Und jetzt wende nicht ein, dass man diese dünne Kette ganz einfach hätte abreißen können. Das gäbe erstens ein Geräusch, das ich bestimmt bemerkt hätte und vermindert zweitens den Verkaufswert. Über so was weiß ich Bescheid."
Das Grinsen wich zwar immer noch nicht von ihren Lippen, aber deutlich sichtbar aus ihren Augen. Ein kaltes Funkeln trat an seine Stelle.
"Her mit meiner Kette, dann könnte ich mich vielleicht sogar dazu durchringen, den Herren Halbstark dein kleines.. Missgeschick nicht zu melden. Denn es war doch sicherlich ein Missgeschick und du bist bestimmt überrascht, meine Kette in deiner Tasche zu finden und daher auch gern bereit, sie mir wieder zu geben?"
Der Junge seufzte ergeben. Seine Hand verschwand im inneren seines Hemdes, um dann mit ihrer Kette wieder daraus aufzutauchen.
"Du bist gut.", meinte er.
Belustigung machte sich in Kathiopejas Gesicht breit. "Na sicher. Du wärst verblüfft, was ich so alles kann. Und du bist auch recht gut. Nur eben nicht gut genug."
Sie legte einen Arm um seine Schultern und beugte sich verschwörerisch zu ihm vor.
"Du musst einfach lernen, den passenden Moment abzuwarten. Dann erwischt man dich auch nicht. Zumindest nicht so leicht wie ich dich heute."
Erik blickte sie an. "Nun.. Dich hat man erwischt, oder?" Er lächelte verschmitzt.
Prüfend sah sie ihm in die Augen. Einen Augenblick fürchtete der Junge, etwas Falsches gesagt zu haben. Dann nickte die Obergefreite.
"Gutes Gedächtnis, die Fähigkeit sich im rechten Moment an Dinge zu erinnern und dazu eine ausreichende Portion Klugheit. Ich sehe, du hast Talent. Und ich finde, du solltest es nutzen."
Die Wächterin hatte da schon eine geradezu geniale Idee.
"Wir gehen morgen Nachmittag mal aus, mein Kleiner."
Obwohl Erik sie fragend ansah, grinste sie nur.
***4. Tag-Unterricht
Kathi hatte einen langweiligen Vormittag erwartet, doch statt dessen bekam sie eine unangenehme Überraschung.
Mitten in seinem Vortrag über ehrliche Berufe hielt Lehmann inne.
"Und da wir eine junge Frau bei uns haben, die bestimmt einen vernünftigen Beruf gelernt hat, können wir uns ja mal anhören, was sie dazu zu sagen hat."
Es dauerte einen Moment, bis das RUM-Mitglied verstand, dass sie gemeint war.
"Ich.. was!?"
"Komm schon, Kleine, du wirst den Jungs bestimmt 'Interessantes' zu berichten haben."
Kathiopeja hörte die Anführungszeichen mehr als deutlich und so beschloss sie, seiner Aufforderung nach zu kommen.
Der hat offensichtlich keine Ahnung, dass ich Wächterin bin., dachte sie noch.
Dann wandte sie sich an die Klasse.
"Wie ihr ja alle wisst, bin ich Wächterin."
Sie sah das überraschte Gesicht des Lehrers leider nur aus den Augenwinkeln, aber den Blicken der Kinder zu folge musste es ein herrlicher Anblick sein.
"Um genau zu sein, bin ich Ermittlerin.", fuhr sie fort. "Das heißt, ich bin nach meiner Rekrutenzeit zu RUM gewechselt, der Abteilung für Raub und Mord."
Die Obergefreite übersah Eriks spöttisches Lächeln. Sie wusste um die Ironie der Tatsache, dass sie, Ermittlerin in einer Abteilung für Raub, vor kleinen Dieben einen Vortrag über ihre Arbeit hielt und das nur, weil sie selbst beim Stehlen erwischt worden war.
"Die Wache ist in dem Sinne nur für wenige ein Beruf. Wer nicht als Wächter geboren wurde, wird auf lange Sicht kaum Erfolg und Spaß an diesem Tschob haben."
"Und du bist als Wächtarin un' Diebin gebor'n, oda was?", warf der schwarzhaarige Ebbo ein. Seine Klassenkameraden lachten.
Einen Augenblick sah sie zum Lehrer, der gar nichts zu verstehen schien.
"Nun.. so kann man das nicht sehen."
Sie erzählte eindringlich von ihrem Beruf. Von verschiedenen Ermittlungen und Morden, die sie zu ihrem Bedauern nicht hatte lösen können.
Die Jungen fanden schnell gefallen an ihren Geschichten.
[3]Lehmann sah das alles eher ungern, wie Kathi befriedigt bemerkte. Nach einer halben Stunde schrie er plötzlich: "Schluss jetzt!" Er räusperte sich. "Wir haben genug gehört, danke. Langsam sollten die Kinder zu Mittag essen."
Nach dem Mittagessen winkte sie Erik zu sich.
"Weißt du noch, was ich gestern gesagt hab?", wollte sie wissen.
"Dass wir ausgehen?", fragte er zurück und der Wächterin entging die angespannte Neugier in seiner Stimme nicht.
"Genau das.", antwortete sie, nahm den Jungen bei der Hand und zerrte ihn mit sich heraus aus dem Haupteingang des Instituts.
"Aber ich darf das Anwesen nicht verlassen!"
"Doch, du hast ja mich als Begleitung."
Die anderen Jungen erfuhren nicht, wo Erik mit Kathiopeja war. Oder was die beiden eigentlich angestellt hatten. Gegen Abend waren sie jedenfalls wieder im Institut.
Jörg stupste Rudolf an, der neben ihm saß.
"Guck ma: da sind se wieda."
Dolf sah einen Moment auf.
"Erik wirkt aufgeregt. Seltsam.. bei ihm bin ich das gar nicht gewohnt."
Dann zuckte der Junge mit den Schultern und wandte sich wieder seinem Buch zu.
"Na, wo waren wir denn mit dem Jungen?", fragte Lehmann sofort. Er gab sich keine Mühe den Ärger in seiner Stimme zu verbergen.
"Wir waren aus. Die Institutsleiter haben es erlaubt."
"Das überprüfe ich lieber noch mal."
Der Lehrer verschwand grummelnd aus dem Raum.
"Er ist ein bisschen altmodisch eingestellt, was Frauen angeht", vertraute der blauäugige Ferry ihr an. "Aber eigentlich kein schlechter Mensch, tü sä?"
Kathi behielt ihre Zweifel an seinem letzten Satz für sich und fragte sich dann im Stillen, was er ihr mit 'tü sä' hatte sagen wollen.
Auf dem Weg zur Tür drehte sie sich noch einmal um. Vorhin war ihr eine Idee gekommen. Lehmann war grade nicht da, also sie könnte es versuchen...
"Nun, Kinder, was haltet ihr davon, wenn wir uns morgen mal die Wache ansehen? Ich finde, es kann euch nur gut tun, wenn ihr seht, wie wir arbeiten und unser Leben, vor allem das private, für die Sicherheit dieser Stadt riskieren."
Kathiopeja hörte eine Menge Gemurmel und darin einige Kommentare wie 'selber Schuld, wenn sie Wächter werden' oder 'Sicherheit dieser Stadt? Anscheinend riskieren sie nicht genug', doch nach einigen Momenten nickten alle fünf.
"Gut, dann sollte ich das eurem Lehrer sagen."
Die Vermutung, dass der davon ganz und gar nicht begeistert sein würde brachte sie zum Grinsen.
Außerdem sehnte sie sich nach dem Wachhaus, wenn ihr das auch nur unterbewusst klar wurde.
***5. Tag-Wächter
Den ganzen Vormittag über freute sie sich auf den Nachmittag in der Wache. Nur Lehmann wusste noch immer nichts davon.
Als die Jungen beim Mittag saßen, bat sie ihn zu einem kurzen Gespräch auf den Flur.
"Was will die Wächterin denn?", fragte er dort.
Kathi grinste. Sie war heute Morgen bei Heidryck und Hermann gewesen, die ihre Idee sehr gut fanden. Dieser verdammte Mistkerl konnte also ohnehin nichts mehr dagegen tun.
"Ich dachte nur, du möchtest vielleicht über unseren Ausflug an diesem Nachmittag Bescheid wissen. Wir werden die Wache besuchen."
Lehmann fluchte und begann zu protestieren, doch Kathiopeja hörte gar nicht zu, sondern strahlte ihn nur an.
"Die Herren Halbstark wissen schon bescheid."
Damit kehrte sie zurück zu den Kindern.
Voller Begeisterung zeigte sie den fünf Jungen und sogar Lehmann die Wache. Etwas war anders, sie hatte das Gefühlt, dass es mit der fehlenden Uniform zu tun hatte, doch genau konnte sie es nicht sagen. Zumindest fühlte sie sich nicht so, wie sie es für gewöhnlich in der Wache tat. Die Führung dauerte fast den gesamten Nachmittag. Kathiopeja und die Kinder ernteten einige fragende Blicke, aber Kathi war so stolz auf 'ihre Kleinen', dass sie das vollkommen ignorierte.
"So, jetzt tobt euch noch ein bisschen in der Kantine aus. Aber lasst sie heile, hört ihr?", meinte sie zum Schluss.
"Sag mal, Erik? Was hast du gestern eigentlich mit Kathi angestellt?", wollte Rudolf von seinem Klassenkameraden wissen.
"Och.. nichts wichtiges.", antwortete er.
Sie hat mir nur ein paar neue Tricks beigebracht. Ich hätte wirklich nie gedacht, dass eine Wächterin sich mit diesen Themen auskennt. Und ihr Wissen dann auch noch weiter gibt., dachte er und ging lächelnd durch die Kantine.
Mit Dolchen kann sie auch umgehen, würde mich interessieren, woher sie das kann.Unauffällig betrachtete er die Ermittlerin, wie sie sich mit einem anderen Wächter unterhielt.
Kathiopeja sah zu, wie sich die Jungen in der Kantine umschauten.
"Kathi?"
Sie schrak von der Stimme ihres Kollegen auf.
"Oh, Ruppert."
"Sag mal, ich dachte, du müsstest irgendwo anders Dienst machen?"
"Ja, muss ich. Das da sind meine.", sagte sie voller stolz und deutete in Richtung der Jugendlichen. "Aber ich mache einen kleinen Ausflug mit ihnen. Weißt du, Ruppi, ich hätte nie gedacht, dass diese Kinder so vernünftig sind. Oh sicher, kriminelle Veranlagungen haben sie alle. Aber wer hat die nicht?" Sie lachte verlegen und blickte dann zu den fünf Jungen, die sich in der Kantine umsahen.
"Erik zum Beispiel, das ist der mit den dunkelblonden, lockigen Haaren, stammt sogar von recht wohlhabenden Eltern. Wohingegen Ebbo bis zu seiner Zeit im Institut auf der Straße lebte. Und sie verstehen sich alle gut. Obwohl sie aus so unterschiedlichen Schichten kommen. Das ist wirklich hochinteressant. Das alles nur, weil sie ihre kriminelle Vergangenheit teilen, wie ich glaube. Ist das nicht wirklich wundervoll?"
Ruppert sah seine Kollegin verwundert an. "Ja, unheimlich wundervoll, dass sie alle kriminell sind."
Kathiopeja schlug ihm in die Seite. "Ruppert! So war das nun wirklich nicht gemeint!"
Sie wandte sich an die Jungen. "Kinder, wir sollten zurück. Immerhin wisst ihr schon mal, wie es in der Wache aussieht."
"Un' du musst'st uns dazu nich' ma' festnehm'.", grinste Ebbo.
"Sind sie nicht niedlich?", fragte die Ermittlerin den Werwolf.
Doch der sah nur eine Horde Jugendlicher durch die Kantine sausen und die Einrichtung in aller Ruhe betatschen. Er glaubte sogar gesehen zu haben, wie sie Dinge einsteckten.
"Ja, das sind sie."
An diesem Nachmittag unterrichtete sie Erik wieder. Er war begierig neue Tricks zu lernen. Und er hatte die richtige Einstellung zum Stehlen, wie Kathiopeja fand.
"Es ist eine Kunst.", erklärte sie ihm. "Und du kannst sie auf verschiedene Arten beherrschen. Dich zum Beispiel entweder gar nicht erwischen lassen, oder eine verdammt gute Ausrede haben. Bei mir traf weder das eine, noch das andere zu, als sie mich zu dieser Woche verurteilt haben. Aber die wirklich interessante Frage ist, wie viele male sie mich nicht verurteilt haben."
Der Junge nickte verstehend und grinste dann, als er mit dem Holzdolch auf die Wächterin zuging. Er sah ein, dass es als unlizenzierter Dieb nur von Vorteil sein konnte, sich verteidigen zu können.
***6. Tag-Abschiede
"Da unsere Wächterin uns heute
leider verlässt", begann Lehmann seine erste Stunde an diesem Morgen, "habe ich beschlossen, dass wir den Unterricht etwas verkürzen und zu Anfang einen kleinen Ausflug in die Stadt machen."
Ihr Weg führte die siebenköpfige Gruppe in den Hide-Park.
Zu Anfang dieser Woche wäre Kathi vielleicht noch überrascht gewesen, dass sich die Jungen verhielten wie normale Jugendliche. Die Klatschianerin betrachtete die fünf. Sie spielten Ball, lasen ein Buch, bestahlen Leute. Zufrieden nickte sie.
Moment!, schoss es ihr durch den Kopf. Überrascht sah sie zu, wie Erik Geld aus der Tasche einer Passantin stibitze, die davon nichts mitbekam.
Das kann doch wohl nicht wahr sein!Möglichst unauffällig schlenderte sie zu ihm herüber und zog ihn dann ein wenig abseits.
"Erik, verdammt noch mal! Ich hab dir das alles bestimmt nicht beigebracht, damit du es vor aller Augen ausprobierst! Du bringst uns beide in Vetinaris Skorpiongrube! Was glaubst du, was passiert, wenn die mitbekommen, dass eine Wächterin einem jungen in einer Besserungsanstalt Tipps gibt, wie man Straftaten begeht?!"
Er sah sie mit kühlem Blick an.
"Nun.. das ist doch wohl die eigene Schuld der Wächterin, oder? Der arme Junge könnte ja auch einfach sagen, sie habe ihn dazu gedrängt."
Entsetzt blickte Kathi den Bengel an. Wenn MeckDwarf das erfuhr. Oder noch schlimmer, der Kommandör! Sie hatte sich zu viel geleistet in letzter Zeit, um auf Gnade hoffen zu können.
"Jetzt hör mal zu, mein Kleiner, wenn du glaubst, mich erpressen zu können, bist du in gewaltigen Schwierigkeiten, verstanden?"
Sie selbst wusste am besten, dass das eine leere Drohung war. Auch Erik musste das wissen, doch zu ihrer Erleichterung zuckte er mit den Schulter und sagte dann: "Das bleibt unter uns, keine Sorge. Ein bisschen kann ich von dir immerhin noch lernen, denke ich. Und du wirst uns doch bestimmt nicht einfach verdrängen, oder? Ich habe den Eindruck, du wirst uns zumindest mal besuchen kommen."
Kathiopeja setzte zu einer Antwort an, als Mario sie unterbrach.
"So, Leute, es geht zurück nach Haus! Der Unterricht wurde heute nur verkürzt und nicht vollkommen gestrichen!"
Hermann
[4] betrat ihre Klasse gegen Mittag und bedeutete der Wächterin dann, ihm auf den Flur zu folgen.
"Nun.. Sie haben Ihre Sache wirklich gut gemacht. Ich habe hier einen Bericht, der sie und ihre Vorgesetzten sicherlich zufrieden stellen wird." Er übergab ihr eine Aktenmappe.
"Sie dürfen uns dann wieder verlassen, ihre Strafe ist hiermit beendet."
Kathiopeja sah ihn entgeistert an.
"Aber es ist doch noch nicht mal Nachmittag!"
Bis zu diesem Zeitpunkt war ihr nicht klar gewesen, wie sehr sie die Jungen lieb gewonnen hatte.
Der Institutsleiter blinzelte sie an, schüttelte dann verständnislos den Kopf und ging zurück in seine Klasse.
Die Wächterin stand verlassen im Flur. Sie fühlte sich nicht gut. Einerseits wollte sie zur Wache. Das war ihr Beruf und sie mochte ihn. Andererseits mochte sie auch die Kinder. Mit der Mappe in der Hand, die Schultern hängen lassend, stand sie vor der Tür zu Klassenraum drei. Ihr war bewusst, dass sie zu weinen anfangen würde, ginge sie noch einmal hinein, um sich von den fünfen zu verabschieden.
Mit einer Mischung aus Vorfreude auf ihren Tschob und Trauer, weil sie die Jungs verlassen musste, schlurfte sie, begleitet vom Lärm, den pubertierende Kinder verbreiten, zur Tür hinaus.
Eine kleine Wanderung durch die Stadt tat ihr bestimmt gut.
***Epilog
Noch am selben Abend kehrte sie, diesmal in Uniform, in die Wache zurück. Sie wollte ihren Kaffeedämon benutzen, dessen Kaffee ungenießbar war, sich in ihr Büro setzen und die Atmosphäre des Wachhauses spüren, wie sie es gewohnt war.
Kathiopeja ging genüsslich die Treppe hinauf. Jedes Knistern und Knacken bereitete ihr Vergnügen. Ebenso die Diskussionen und das unbestimmte Brummen, dass das Gebäude erfüllte, wenn die Wächter wie Ameisen die Gänge entlang eilten. Auch wenn ein Teil in ihr noch immer zum Institut zurück wollte.
Nur wenige Schritte vor ihrer Bürotür begegnete ihr Jack Narrator. Er war vermutlich aus der Pathologie gekommen und sein Anblick steigerte das Glück der Ermittlerin. Es war ihr im Augenblick egal, dass er sie manchmal wie Luft behandelte.
Ihr Kollege hatte sie ebenfalls bemerkt.
"Na, Kathio, endlich wieder..", begann der Gerichtsmediziner in spöttischem Ton, brach dann aber überrascht ab.
Seine Mitwächterin traf es nicht weniger unvorbereitet, als ihr klar wurde, dass sie Jack stürmisch umarmt hatte und immer noch fest hielt.
Rot angelaufen und Entschuldigungen murmelnd stürzte sie in ihr Büro und lehnte sich von innen gegen die Tür.
"Was hast du denn getrieben?", fragte ihr Gnom Marven noch im selben Moment. Er hatte bereits auf ihrem Schreibtisch auf sie gewartet. Eine Gelegenheit zu antworten, gab er ihr nicht, sondern legte direkt mit Beschwerden und Beschuldigungen los.
Kathi atmete ein paar Mal tief durch. Sie bemerkte, wie sich die Stimme des Gnoms mit dem Lärm des Wachhauses verbannt. So gut es ging vergaß die Klatschianerin die Begegnung mit Jack und genoss das Durcheinander der Geräusche, das für die Wache nur allzu typisch war und sich deutlich von dem Krach im Institut unterschied, noch einmal.
Dann glättete sie lächelnd ihre Uniform. Ja, sie war wieder zu Hause.
[1] siehe Live 'Locked Away'
[2] siehe IA-Akte vom 19.05.06
[3] Die, zugegebenermaßen, an einigen Stellen ein wenig übertrieben ausgeschmückt waren.
[4] Sie vermutete zumindest, dass es Hermann war, da er keine Brille trug. Allerdings hätte sie lieber nicht darauf gewettet.
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