Tatwaffe: Kerzenständer oder Arm wie eine Kirchenmaus

Bisher hat keiner bewertet.

von Chief-Korporal Romulus von Grauhaar (RUM)
Online seit 01. 06. 2006
PDF-Version

 Außerdem kommen vor: MaganeKanndraAxtspalterKolumbiniKathiopeja

Ein hoch verschuldeter Priester wird ermordet vor seiner Tempeltür aufgefunden. Am gleichen Tag werden verschiedene Auffälligkeiten beobachtet. Einer von Chrsysopras' Schlägertrollen soll am Tatort gewesen sein, ein geheimnisvoller Mönch der direkt aus Omnien gekommen ist taucht auf und die alte Haushälterin des ermordeten Priesters ist auch nicht ganz geheuer. Eine schwere Aufgabe für Romulus und die Abteilung RUM.

Dafür vergebene Note: 12

Wie jeden Tag nach dem Gottesdienst schloss Gregorius Orgelklang das Tor der Sakristei seines bescheidenen Gotteshauses. Die "Wahre und Einzige Kirche des Einen Gottes Om", eine der vielen Konfessionen des Omnianismus, hatte in Ankh-Morpork leider noch nicht so viele Anhänger, wie sich Obulus II., seines Zeichens der Oberste Diener Oms, wie das Konfessionsoberhaupt genannt wurde, gerne wünschte. Genauer gesagt zählte Gregorius' Gemeinde gerade mal neun Mitglieder, wenn man den Priester nicht mitzählte. Und ob diese neun alle so gläubig waren, wie sie ihm gegenüber erwähnten? Sie erschienen zwar einmal die Woche zum Omstagsgottesdienst, aber der Klingelbeutel war meistens hinterher nicht wesentlich voller als vorher. Und wie sollte er dem Obersten Diener und seinen Banalen erklären, weshalb von seiner Gemeinde so wenig Spenden für den Bau des großen Doms in Obulusien, der Hauptstadt der Wahren und Einzigen Kirche, aufgetrieben werden konnten?
"Na, Orgelklang?" wurde er in seinen Gedanken unterbrochen. "Ich dich nur daran erinnern wollen, dass in drei Tagen sein Zahltag. Chrysopras nicht gerne warten."
Einer von Chrysopras' Schlägern. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Warum hatte ihn auch niemand gewarnt, dass das Kreditgeschäft, das er bei seiner Ankunft in dieser Stadt abgeschlossen hatte, nicht gerade von der Redlichkeit seiner Geschäftspartner geprägt war? Aber wie hätte er sonst dem Obersten Diener die geforderten monatlichen Gemeindespenden schicken können, ohne Schulden zu machen? Ansonsten wäre die Gemeinde sicher aufgelöst worden und hätte sich in der etwas größeren Gemeinde seines ihm unsympathischen Kollegen Paulus Astor Klingelbeutel, eingemeinden müssen. Mit freundlichem Gesicht, bereit, dem Schläger-Troll eine beschwichtigende Antwort zu geben, blickte sich der Priester um und sah einen goldenen Kerzenständer auf seinen Schädel zu rasen.

"Todesursache?"
"Eindeutig wurde ihm der Schädel mit einem stumpfen Gegenstand eingeschlagen, und zwar mit diesem hier."
Lance-Korporal Holm hielt einen reich mit omnianischen Symbolen verzierten Kerzenständer hoch. Die darin befindliche Kerze hatte in der Mitte einen Knick. Auffallend waren die bereits verkrusteten Blutspuren am goldenen Rand des oberen Endes.
Chief-Korporal von Grauhaar nickte. Es war nicht das erste Mal, dass er eine derartig zugerichtete Leiche zu Gesicht bekam. Nur was dem Ermittler nicht in den Kopf wollte: Warum sollte jemand diesen harmlosen Priester ermorden? Seine Nase half ihm hier auch nicht weiter. Aus einem Weihrauchfass neben dem Altar strömte ein alles überdeckender Geruch nach omnianischem Kirchenweihrauch, der einem beim näheren Nachschnuppern die Sinne vernebelte. Schwer zu sagen, was hier geschehen war. Auch SUSI konnte ihm da nicht wirklich weiterhelfen. Fingerabdrücke gab es zuhauf auf dem Kerzenständer, aber Romulus bezweifelte, dass einer davon bei einem Vergleich mit der Verbrecherkartei den Mörder würde identifizieren können. Naja, auf einen Versuch konnte man es trotzdem ankommen lassen. Die SUSIs wissen schon, was sie tun. Und wenn laut ihrem Bericht der Schuldige gefunden werden könnte, hatte RUM weniger zu tun und Romulus konnte früher Feierabend machen.
Schulterzuckend wandte sich der Werwolf ab, und ging zurück ins Wachhaus, um den Bericht der Spurensucher abzuwarten.

Warum ich? fragte sich Pater Reliquius, ein junger Mönch aus Omnien, der den weiten Weg nach Ankh-Morpork auf einem Schiff der Wahren und Einzigen Kirche gerade ohne größere Zwischenfälle [1] hinter sich hatte, und nun vom Hafen durch die Straßen der größten Stadt auf der Suche nach dem Bischofsanwärter war. Die Frage hatte er sich schon öfter gestellt. Fraglos war es eine große Ehre eine derartige Botschaft vom Obersten Diener persönlich überbringen zu dürfen, jedoch fühlte er sich in dieser Stadt alles andere als wohl. Er ertappte sich dabei, die Tasche seiner Kutte zu öffnen, um einen Blick auf die Goldene Endlosschleife, das Symbol der Trischofsehre, zu werfen. Schnell schloss er die Tasche wieder. Man hatte ihm zwar eine Schutzplakette der Diebesgilde bezahlt, so dass er vor Überfällen sicher sein sollte, aber er traute diesen Dieben nicht weiter über den Weg als sein Gebetbuch sich von ihm entfernt befand [2]
Als er schon beinahe glaubte, er habe sich endgültig verlaufen, gewahrte er das heruntergekommene Straßenschild, das in unsauberen Buchstaben "Augentroststraße" verkündete. Einige Augenblicke später, stand er vor dem Tor des Tempels und wunderte sich über das rot-weiße Band vor der Tempeltür. Der Pater konnte sich keinen Reim darauf machen, was dieses Ding mit der Aufschrift "SUSI" zu bedeuten hatte. Er hämmerte mit der Faust gegen das Portal. Niemand antwortete, geschweige denn dass jemand öffnete. Leicht verwirrt entschloss er sich, nach dem Pfarrer zu suchen.

Es war so klar gewesen. Natürlich wurde in der Verbrecherkartei kein passender Fingerabdruck gefunden, der mit einem der auf dem Kerzenständer gefundenen Abdrücke übereinstimmte. Romulus warf den SUSI-Bericht resignierend auf seinen Schreibtisch. Es wäre auch zu schön gewesen, wenn sich ein Fall ausnahmsweise mal schnell lösen würde. Nun musste er also genauere Informationen über die kleine Gemeinde des ermordeten Pfarrers herausfinden. Mit einem Seufzer öffnete er die Tür des Schreibtischschranks und förderte eine Dose Superbulle aus seinem Vorrat zutage. Während die süßliche Flüssigkeit seine Kehle hinunterlief, dachte er scharf nach. Wer könnte ihm weiterhelfen? Nun, er wusste schon, wen er in die Gemeinde schicken würde, um dort vielleicht die ein oder andere nützliche Information zu kommen. Eine Liste der Gemeindemitglieder hatte er ja von dieser Haushälterin bekommen. Keine besonders lange Liste, aber immerhin etwas. Die Haushälterin... Vielleicht könnte sie ihm Näheres über den Pfarrer erzählen. Dinge, mit denen sich dieser seine Zeit vertrieben hat, Dinge, die vielleicht niemand anderes außer ihr wissen konnte.
Romulus stand ruckartig auf, schnappte sich seinen Hut und begab sich aus dem Wachhaus, jedoch nicht ohne vorher bei Lance-Korporal Magane vorbeigeschaut zu haben.

"Gregorius Orgelklang?"
Die Stimme klang laut und deutlich durch die Augentroststraße, wo sich das heruntergekommene Pfarrhaus und der kleine Tempel der Gemeinde von Orgelklang befand. Fräulein Martha Reinschmaus runzelte die Stirn. Gab es tatsächlich noch jemanden, der noch nicht vom Tod des Priesters erfahren hatte? Dabei waren diese rüpelhaften Wächter hier nicht gerade mit Respekt und der nötigen Erfurcht vorgegangen sondern hatten lauthals Befehle gebrüllt und sich ganz Beiläufig über den Toten unterhalten. Natürlich, wenn sie mit den Anwohnern gesprochen hatten, heuchelten sie Mitgefühl und dergleichen, um möglichst viel über die Hintergründe zu erfahren. Fräulein Martha zog die Stirn kraus, als ihr das Bild des stoppelbärtigen, langhaarigen Mannes vors geistige Auge kam, der sie befragt hatte. Die Jugend von heute. Kein Respekt mehr vor dem Tod und ebenso wenig Respekt vor dem Alter. Fräulein Martha war jetzt 78 Jahre alt, und war immer fromm und respektvoll gewesen. Das "Fräulein" war ein Teil ihres Namens geworden, sie trug dieses Wort wie einen Adelstitel vor sich her. Keusch und rein geblieben war sie, ihr ganzes Leben bis zu ihrem Lebensabend.
Der Tod von Pfarrer Orgelklang hätte ein schwerer Schlag für sie sein müssen, verlor sie doch damit ihre Anstellung als dessen Haushälterin und Küsterin. Aber er nahm sie weit weniger mit als die Tatsache, dass die Welt nicht mehr in Ordnung zu sein schien. Früher war alles besser. Da konnte man noch in aller Ruhe seinen Glauben ausüben, ohne befürchten zu müssen, mit einem Kerzenständer im Schädel enden zu müssen. Bei Om, jetzt mussten sie bestimmt durch die halbe Stadt laufen, um zum Gottesdienst in den Tempel von Pfarrer Klingelbeutel zu gehen. Sie beschloss, das Fenster zu öffnen, um dem Fragenden draußen Auskunft zu geben.

Der Chief-Korporal ging mit weiten Schritten auf die Augentroststraße zu. Als er um die letzte Ecke bog, sah er eine geistlich anmutende Gestalt, die aus einem Haus heraustrat, das er als das der Haushälterin identifizierte. Interessant, dachte sich der Ermittler. Was macht ein Mönch in der Gemeinde, die vor wenigen Stunden ihren Priester durch Mord verloren hat? So schnell kann sich das doch gar nicht herumgesprochen haben, dass sofort ein Ersatzmann eingesetzt wird.
Romulus duckte sich in einen Hauseingang und musterte den vorbeigehenden Geistlichen so gut es in der Kürze der Zeit ging. Eine schwarze Mönchskutte, ein weißer Gürtel, darin ein Gebetbuch mit der omnianischen Schildkröte. Ein großer Rucksack, der auf eine weite Reise hindeutete. Das Gesicht des Mönches war braungebrannt, es schien, als ob er direkt aus Omnien oder einem anderen deutlich sonnigeren Land als Ankh-Morpork gekommen war. Allerdings schien der Mönch nicht sonderlich alt zu sein. Der Werwolf schätzte ihn maximal auf 30 Jahre, eher jünger, wobei er sich bei fremdländischen Leuten nie so sicher war. Ein Kranz aus schwarzen Haaren deutete auf eine typische Mönchstonsur hin, wie sie in den verschiedensten Mönchsorden vorkamen. Der junge Pater trug eine dicke Hornbrille auf der Nase und wirkte ein Bisschen hilflos.
Als der Omnianer vorbei gegangen war, wartete Romulus einige Sekunden, bevor er sich wieder seinem eigentlichen Ziel zuwandte, der Wohnung der Haushälterin. Dort angekommen, klopfte der stellvertretende Abteilungsleiter an die Haustür und wartete, bis das alte Fräulein Martha diese öffnete. Wie schon bei seinem ersten Besuch hier war die Haushälterin komplett in schwarz gekleidet, hatte ihre grauen Haare zu einem Konten auf ihrem Hinterkopf zusammengebunden, ihre Lesebrille saß ihr ziemlich tief auf der Nasenspitze und schien jeden Moment herunterfallen zu können. Sie stand auf einen Gehstock gestützt, und musterte den Werwolf mit einem missbilligenden Blick.
"Was gibt es denn noch, Herr Wächter?"
"Guten Tag Frau Reinschmaus..."
"F r ä u l e i n Reinschmaus!"
"Von mir aus auch Fräulein, ich hätte da noch ein paar Fragen, möchte die aber nicht zwischen Tür und Angel stellen, da ich nicht sagen kann, ob nicht jemand mithört, der das besser nicht sollte."
Die Alte zog die Stirn kraus, bat ihn aber herein.
"Stört es Sie, wenn ich meine Pfeife anzünde?" fragte der Ermittler ohne große Hoffnung, dass sie es ihm erlauben würde.
"Sehe ich so aus, als ob ich meine Wohnung verpesten lassen möchte? Setzen Sie sich und beeilen Sie sich mit ihren Fragen. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit! Sie stehen noch im Lenz des Lebens, Sie verstehen das gar nicht."
Romulus schluckte den bissigen Kommentar, der ihm auf der Zunge lag, hinunter und versuchte, sich auf den Grund seines hier seins zu konzentrieren.
"Sie als ehemalige Haushälterin von Pfarrer Orgelklang hätten doch bestimmt gewusst, wenn er irgendwo Feinde oder anderwertige Probleme hatte, oder?"
"Das haben Sie mich schon beim ersten Mal dass Sie hier waren gefragt, und meine Antwort darauf lautet immer noch: Nein, ich weiß nichts von Feinden oder Problemen. Abgesehen davon, dass er für einen Priester in recht ärmlichen Verhältnissen lebte, soweit ich das beurteilen kann. Der Pfarrer der anderen Gemeinde der Wahren und Einzigen Kirche lebt deutlich wohlhabender. Ein weiteres Zeichen dafür, dass Herr Pfarrer Orgelklang ein großzügiger und uneigennütziger Mensch war, dem sicher niemand etwas zu Leide getan hätte."
"Und dennoch hat ihn jemand ermordet."
"Vielleicht hat er einen Dieb in der Kirche überrascht."
"Sehr unwahrscheinlich. Die Gilde würde eine Quittung hinterlassen. Und falls es sich um einen unlizensierten Dieb gehandelt haben sollte, warum hat er sich keinen der wertvollen, golden verzierten Ritualgegenstände mitgenommen?"
"Vielleicht hat er es mit der Angst zu tun bekommen."
Romulus merkte, dass er so nicht weiter kam, und beschloss, die Katze aus dem Sack zu lassen und die mürrische alte Jungfer mit seiner Beobachtung von kurz zuvor zu konfrontieren.
"Ich sah eben einen offensichtlich omnianischen Mönch aus ihrem Haus kommen und eilig, die Straße entlang laufen. Können Sie mir sagen, wer das war, und was er hier wollte?"
Wenn Fräulein Martha aufgrund dieser Frage überrascht war, dann ließ sie sich nichts anmerken.
"Das war Pater Reliquius, ein Mönch aus dem fernen Omnien, der unseren Herrn Orgelklang aufsuchen wollte. Warum, hat er mir nicht gesagt. Ich habe ihn über die näheren Umstände informiert, und ihn zu Pfarrer Klingelbeutel geschickt, der ihn jetzt wohl aufnehmen muss, nach all dem was hier passiert ist."
"Und dieser Pfarrer Klingelbeutel, wo finde ich den?"
"Er und seine Gemeinde haben ihren Tempel in der Hochkantstraße, in der Nähe des Randwärtigen Tors. Ein Jammer, dass wir nun quer durch ganz Ankh-Morpork reisen müssen, um Om zu dienen."
Der Ermittler zückte sein Notizbuch und notierte sich seine neuen Erkenntnisse.
"Nun Fra... Fräulein Reinschmaus, ich werde gegebenenfalls noch mal vorbeischauen, sollten sich weitere Fragen ergeben. Falls Ihnen noch etwas einfällt..."
"Ich bin zwar eine alte Frau, aber wenn Sie mich für senil und vergesslich halten, dann täuschen sie sich."
"Das habe ich doch gar nicht behauptet. Ich meine nur, falls Sie zufällig auf etwas stoßen, was uns weiterhelfen kann, melden Sie sich bitte im Wachhaus bei mir, oder per S-Mail unter 'CK von Grauhaar bei Stadtwache AM'."
"Lassen Sie mich mit diesem neumodischen Kram in Ruhe!"
"Vielen Dank erstmal für Ihre Mithilfe."
"Ja, bitte, bitte. Und nun lassen Sie eine alte Frau in ihrer Trauer alleine."
Sie begleitete ihn zur Tür und als er das Haus verlassen hatte, wartete sie noch einige Minuten. Dann öffnete sie die Tür wieder und humpelte auf die Straße. Sie musste mit den anderen Gemeindemitgliedern sprechen.

Irgendetwas stimmt hier nicht, dachte sich Lance-Korporal Magane beim ersten Blick in die an den kleinen Tempel der Gemeinde von Pfarrer Orgelklang angrenzende Wohnung des Verstorbenen. Der Tempel war voll mit dem tollsten Schmuckbehang, Gemälden und wertvollen für den Omsdienst benötigten Gegenständen wie Rauchfässer, Kelche für reanullen Wein, Kerzenständer und vieles mehr, aber hier sah es aus, als ob das ärmste Mitglied der Bettlergilde besser leben würde. Entweder war der Tempel nur Fassade nach außen hin, oder der Pfarrer hatte wirklich jeden Dollar, der ihm in die Hände fiel, seiner Gemeinde gewidmet.
Maganes Erfahrungen mit Pfarrern waren allerdings nicht von der Natur, die auf allzu große Bescheidenheit hindeutete. Vielleicht war dies ja wirklich ein Ausnahmefall gewesen.
Sie ließ ihren Blick durch die Wohnung schleifen. Ein altes Bett das schon beim Ansehen zu knarren schien, ein kleiner Tisch mit einem wackligen Stuhl, zwei Schränke und ein Tischchen, auf dem sich Waschschüssel und Wasserkrug befanden, in einer Seitennische befand sich eine kleine Kochstelle, wahrscheinlich das "Reich" der Haushälterin. Was für ein Hundeleben, dachte sich die Ermittlerin und empfand ein wenig Mitleid mit dem toten Pfarrer. Der Arme scheint wirklich in Finanznot gesteckt zu haben. Niemand will freiwillig so leben.
Sorgfältig machte sich Magane daran, die kleine Wohnung zu durchsuchen.

Feldwebel Kanndra saß an ihrem Schreibtisch, in Akten und Papierstapeln blätternd und über die Zukunft der Abteilung nachdenkend.
Hmmm... die erfahrenste Püschologin wandert zu FROG ab, weil sie private Probleme mit einer Kollegin zu haben scheint. Wie sollen wir das so schnell kompensieren? Dazu kommt, dass im Moment die halbe Abteilung mit dem Mordfall dieses Pfarrers beschäftigt ist, und wir auf der Stelle treten. Wenn jetzt wenigstens diese Bewerbung, die hier noch im Eingangsfach liegt, bearbeitet werden könnte. Aber just in dem Augenblick, wo er sich bewirbt, musste der betreffende Wächter Urlaub beantragen und erst einmal für eine Weile verschwinden, so dass sich das Bewerbungsgespräch noch herauszögern würde. Naja, Romulus kann das ja übernehmen, sobald er seinen Kopf von dem Orgelklang-Fall frei hat.
Der Orgelklang-Fall. Da war wieder die Sache mit dem Pfarrer. Ihr Stellvertreter befasste sich ja gerade mit der alten Haushälterin. Lance-Korporal Magane durchsuchte die Wohnung des Pfarrers nach Hinweisen und nahm sich danach die wenigen Mitglieder der Gemeinde vor. Und Kolumbini hatte sie zu der zweiten Gemeinde geschickt, um dort näheres über die Glaubensgemeinschaft der Wahren und Einzigen Kirche des einen Gottes Om herauszufinden und vielleicht von dort aus Anhaltspunkte für die Gründe des Ablebens von Gregorius Orgelklang zu erhalten.
Ein Klopfen an der Bürotür unterbrach die Abteilungsleiterin in ihrem Gedankengang.
"Herein?" rief sie.
Die Tür öffnete sich zaghaft und eine etwas gehetzt wirkende Gefreite Feldacker betrat das Büro.
"Mäm, ich... melde mich wegen... dienstlicher Neuigkeiten!" hechelte sie und salutierte.
"Was gibt es denn?" fragte Kanndra mit beruhigender Stimme. "Und setz dich erstmal. Du bist ja völlig außer Atem."
Ilona tat, wie ihr geheißen und hielt dem Feldwebel einen schmutzigen, mit krakeliger Schrift vollgeschriebenen Zettel hin.
"Den hab ich beim heutigen Rundgang im toten Briefkasten Ecke Zimperlichgasse/Billige Straße gefunden. Lance-Korporal Pyronekdan meinte, ich solle ihn schnellstmöglich ins Wachhaus bringen, weil es wichtig sei für einen aktuellen Fall mit irgendeinem Pfarrer."
Kanndra riß ihr den Zettel noch während der letzten Worte aus der Hand und las den Inhalt des Zettels.
"Gregorius Orgelklang hadte grosse schulden bai Chrysopras."
Während die Abteilungsleiterin noch über einen Schreibkurs für Wache-Informanten nachdachte, klopfte es ein weiteres Mal an der Bürotür und ohne auf eine Antwort zu warten, betrat Magane das Abteilungsleiter-Büro.
"Mäm, ich habe Neuigkeiten. Siegfried Seelenvoll, ein Mitglied der Gemeinde von Pfarrer Orgelklang, ist am Morgen nach dem Gottesdienst noch in einem Laden nahe des Tempels einkaufen gegangen. Er sagte, er könne schwören, dass ein Troll mit einer großen Keule, bekleidet mit einem Anzug und einer Sonnenbrille in die Augentroststraße eingebogen ist, der kurz darauf mit grimmigem Gesicht und ziemlich eilig die Straße wieder verlassen hat."
"Da kommt ja eins zum anderen!" jubelte Kanndra. "Jetzt müssen wir nur noch diesen Troll ausfindig machen. Ilona, könntest du eben bei SUSI vorbeischauen, sie sollen einen Werwolf auf die Spur des Trolles schicken, um seinen Aufenthaltsort festzustellen. Maggie, du rufst die anderen Beteiligten, sobald sie von ihren Ermittlungen zurück sind, in mein Büro zur Besprechung. Es könnte sein, dass wir den Fall so gut wie gelöst haben."

"Hmmm..." machte Kolumbini und sog den Rauch seiner Pfeife ein. "Sie meinen also, dass Sie keinen Anlass sehen, weshalb irgendjemand Pfarrer Orgelklang ermordet haben sollte."
"Jaaa, da haben Sie ... recht, ja haben Sie."
Der Korporal ließ den Pfeifenrauch wieder aus seinem Mund entweichen. Paulus Astor Klingelbeutel nervte ihn gewaltig mit seiner ewigen Wiederholerei schon gesagter Dinge. Außerdem schien der Mann einem ziemlichen Selbstdarstellungszwang zu unterliegen. Er trug eine weite Priesteralbe, aus edelstem Drachenschuppen-Stoff. Natürlich handelte es sich dabei nicht wirklich um Drachenschuppen, der Stoff wurde nur aufgrund seiner Struktur so genannt. An seinen Finger prangten goldene, edelsteinbesetzte Ringe und um den Hals trug er eine reich verzierte omnianische Schildkröte.
Sein Gesicht wirkte eigentlich recht friedlich, aufgrund des offensichtlichen Alters schon reich mit Falten gespickt, und gekrönt von einem Kranz krausen, dunkelgrauen Haares, das eine stattliche Halbglatze umrahmte, wie die Kuppe eines hohen Berges aus dem umgebenden Wald hervorstach.
"Gestatten Sie mir eine Bemerkung, Herr Klingelbeutel." fuhr der Ermittler fort. "Ihr Kollege scheint im Gegensatz zu Ihnen in recht ärmlichen Verhältnissen gelebt zu haben."
Er klopfte gegen sein Glasauge.
"Nuuuun, wie Sie richtig erkannt haben... und das haben Sie richtig erkannt, wie Sie also erkannt haben, befindet sich der Sitz meiner Gemeinde in einem weeeesentlich wohlhabenderen Bezirk, als der von Pfarrer Orgelklangs Gemeinde ... ehemaliger Gemeinde, müsste man wohl mittlerweile sagen. Jaaaa, das müsste man."
"Nun gut, Herr Klingelbeutel, dann möchte ich Sie nicht weiter stören, und mache mich mal auf den Weg zurück ins Wachhaus."
"Tun Sie, was sie machen müssen, jaaaa, das tun wir alle, was wir müssen, genau, müssen," murmelte der Priester und nickte dem Wächter zu.
"Möge Oms Segen mit dir sein."
"Ja, danke, ebenso," erwiderte Kolumbini und verließ das Pfarrhauses.
Pfarrer Klingelbeutel atmete tief durch und beschloss, sich in das Gästezimmer zu begeben, wo der Abgesandter des Obersten Dieners darauf wartete, die Vorbereitungen der Ernennungsfeierlichkeiten für den Trischof von Ankh-Morpork treffen zu können. Auf einen goldverzierten Gehstock gestützt machte sich der Pfarrer auf den Weg zum Besucher der Gemeinde. Er wollte eben an die Tür des Gästezimmers klopfen, als er eine Stimme hinter sich hörte.
"Eine Frage hätte ich da noch, Herr Klingelbeutel."

In Kanndras Büro hatten sich alle am Fall Orgelklang beteiligten Abteilungsmitglieder versammelt. Feldwebel Mambosamba warf einen Blick in die Runde. Romulus, Magane, Ilona, Pyronekdan sowie Kathiopeja und Axtspalter, die von der Abteilungsleiterin für einen speziellen Auftrag hinzugerufen wurden. Nur Inspäctor Kolumbini fehlte noch, der gerade die Befragung des Pfarrers Klingelbeutel durchführte.
Kanndra begrüßte die Anwesenden und kam direkt zur Sache:
"Ich habe euch zusammengerufen, damit alle auf den neusten Stand der Dinge in Bezug auf den Fall Orgelklang gebracht werden. Wir haben mehrere Hinweise, was der Grund für den Mord an dem armen Pfarrer gewesen sein könnte. Als erstes bitte ich Pyronekdan, uns mitzuteilen, welche Nachricht eines Informanten er und Ilona in einem toten Briefkasten gefunden haben. Bitte schön, Pyro."
"Naja, viel zu sagen gibt es nicht," begann dieser. "Nur, dass wir Informationen über angebliche Schulden des Pfarrers bei Chrysopras bekommen haben. Und das könnte durchaus der Grund für den Mord sein, wie wir alle von den gängigen Praktiken von Chrysopras' Schlägertrupps wissen."
"Zu dieser Annahme passt auch," schaltete sich Magane ein, "dass mir ein Gemeindemitglied mitteilen konnte, dass ein Troll in Anzug und Sonnenbrille mit einer großen Keule in der Hand zur Tatzeit am Tatort gewesen ist und die Tatsache, dass der Pfarrer selbst in ziemlich ärmlichen Verhältnissen lebte und sein Tempel trotzdem recht ansehnlich geschmückt und ausgestattet war."
"Mir scheint also," meldete sich die Abteilungsleiterin wieder zu Wort, "der wahrscheinlichste Grund für die Ermordung von Gregorius Orgelklang ist seine Verschuldung, und der Täter ist dieser Troll. Und an dieser Stelle kommen Kathiopeja und Axtspalter ins Spiel. Dank der SUSI-Spezialisten konnten wir den Spuren des Trolls folgen, und fanden heraus, dass sein Name Chalcedon lautet, und er im Freudenpflaster, am Rande der Schatten lebt. Ihr zwei werdet nun diesen Chalcedon aufsuchen, und versuchen, näheres aus ihm herauszubekommen und im Notfall schnell über eine Eiltaube einen FROG-Einsatztrupp herbeirufen, der den Troll verhaften kann. Sollte es sich da wirklich um einen von Chrysopras' Schlägern handeln, werdet ihr da auch zu zweit wahrscheinlich Probleme bekommen. Ich habe das ganze bereits mit Hauptfeldwebel Breguyar durchgesprochen, die FROGs sind bereit für einen Einsatz."
Ein vernehmliches Räuspern unterbrach den Feldwebel.
"Entschuldigung, aber ich finde, wir überstürzen zu sehr. Da gibt es nämlich noch einen anderen Punkt, den wir beachten sollten."
"Und was wäre das, Romulus?"
Dieser nahm seine Pfeife aus dem Mund und blies eine Rauchwolke in die Luft.
"Als ich noch einmal zu Orgelklangs Haushälterin gegangen bin, um noch ein paar Fragen zu stellen, bin ich auf einen Mann gestoßen, offenbar ein ominianischer Mönch, der angeblich den Pfarrer gesucht hatte, ohne etwas von seinem Tod zu wissen. Frau Reinschmaus teilte mir mit, er sei in der Gemeinde von Pfarrer Klingebeutel am anderen Ende der Stadt untergekommen. Ehrlich gesagt glaube ich, mit diesem Pater stimmt irgendetwas nicht. Warum taucht er ausgerechnet jetzt in dieser Stadt auf, wo Orgelklang ermordet wurde? Ich bin mir ziemlich sicher, er hat etwas mit dem Tod des Pfarrers zu tun."
"Hmmm, klingt nach einer weiteren Möglichkeit. Vielleicht kann uns Kolumbini mehr dazu sagen, wenn er endlich zurück ist."
"Außerdem glaube ich, dass mit dieser alten Jungfer irgendwas nicht in Ordnung ist. Sie scheint uns irgendetwas zu verschweigen."
"Das Gefühl hatte ich auch bei den anderen Gemeindemitgliedern," ergänzte Magane. "Irgendetwas geht in dieser Gemeinde nicht mit rechten Dingen zu. Sie scheinen alle mehr darüber betrübt zu sein, dass sie jetzt zum Omsdienst quer durch die ganze Stadt gehen müssen, als darüber, dass ihr Pfarrer tot mit einem Kerzenständer im Schädel gefunden wurde."
Die Tür ging auf und herein trat der bereits erwartete Korporal Kolumbini.
"Tag zusammen," begrüßte er die Versammelten. Alle Blicke richteten sich erwartungsvoll auf den kleinen Ermittler. Der blickte kurz zu Kanndra, und als diese ihm aufmunternd zunickte, begann er, seine Ergebnisse zusammenzufassen.
"Pfarrer Klingelbeutel macht keinen Hehl daraus, dass seine Gemeinde verhältnismäßig reich ist. Er läuft in teuren Roben herum und wohnt im reichlich dekorierten Pfarrhaus seiner Gemeinde."
"Ganz im Gegensatz zu seinem Kollegen, wie es scheint," merkte Kathiopeja an.
"Richtig. Nun, er erklärt das Ganze damit, dass seine Gemeinde in einem viel betuchteren Viertel liegt, als die von Pfarrer Orgelklang. Ein durchaus einleuchtendes Argument."
"Und, konnte er uns irgendwelche Hinweise geben?"
"Nein, nicht direkt. Jedoch hatte er wohl Besuch. Ein Pater aus dem fernen Omnien, wie Klingelbeutel mir mitteilte, der allerdings momentan nicht gestört werden wollte, so die Aussage des Pfarrers."
Allgemeines Schweigen folgte. Schließlich unterbrach Romulus die Stille.
"Was hat dieser Mönch zu verbergen?"
"Gute Frage. Vielleicht spazierst du mal bei ihm vorbei, um ihn danach persönlich zu fragen," stichelte Inspäctor belustigt.
"Und genau das werde ich auch tun. Immerhin wurde er auch am Tatort gesehen."
"Von wem?"
"Von mir."

Romulus blickte sich im Gästezimmer der Gemeinde um. Es war zwar nicht groß, sah aber sehr sauber, ordentlich und hübsch aus. Mehrere Gemälde hingen an den Wänden, ein großer Spiegel stand gegenüber eines kleinen Himmelbetts, auf dem der Mönch sein Reisegepäck ausgebreitet zu haben schien. Mehrere Ausgaben des Buches Om, verschiedene religiöse Nachschlagewerke und auch das ein oder andere Buch aus dem Bereich der Trivialliteratur fielen dem stellvertretenden Abteilungsleiter ins Auge.
Scheint ja eine richtige Leseratte zu sein, der gute Pater, schoß es ihm durch den Kopf.
Eine mit hübschen Schnitzereien verzierte Kommode stand unter einem Glasmosaik-Fenster, daneben war ein kleiner Altar mit Kniebank für die ohne Zweifel streng gläubigen Besucher platziert. Auf der Kniebank kniete der omnianische Pater.
Es war für Romulus nicht so einfach gewesen, an Pfarrer Klingelbeutel vorbei zu kommen. Erst, als er diesen mit einer Verhaftung wegen Behinderung der Stadtwache in der Ausübung ihrer Pflicht konfrontiert hatte, war der alte Geistliche nachsichtig geworden, und hatte ihn zu seinem Besucher durchgelassen.
"Pater Reliquius?"
Der Mönch zuckte innerlich zusammen, stand dann aber auf, klopfte sich Staub von seiner Kutte und drehte sich zu Romulus um.
"Guten Tag, mein Name ist Chief-Korporal von Grauhaar, Ermittler in der Abteilung für Raub und Mord bei der Stadtwache. Ich nehme an, Sie können sich denken, weshalb ich Sie aufsuche."
"Der verstorbene Priester? Ist er ermordet worden?"
"Richtig, soviel steht fest. Ich möchte keinen Hehl daraus machen, dass ich den Umstand, dass ausgerechnet am gleichen Tag, an dem ein Mordfall geschehen ist, ein Fremder auftaucht, der am Tatort nach der ermordeten Person sucht, höchst seltsam finde. Für mich ist das eindeutig kein Zufall."
Der junge Mönch machte ein empörtes Gesicht.
"Natürlich ist es kein Zufall. Ich war vom Obersten Diener persönlich beauftragt, Pfarrer Orgelklang aufzusuchen, um ihm eine wichtige Botschaft zu überbringen. Er sollte für die Tatsache belohnt werden, dass seine Gemeinde in dieser Stadt die mit Abstand meisten Spenden für den Bau des Doms in Obulusien gesammelt hatte."
Der Werwolf wurde hellhörig.
"Haben Sie die Verhältnisse in der Gemeinde von Herrn Orgelklang gesehen? Ich kann mir nicht vorstellen dass diese Menschen, die unter eher ärmlichen Bedingungen leben, der Pfarrer selbst am allerärmlichsten, eine große Menge an Spenden aufbringen konnten."
"Ja, das hat mich auch stutzig gemacht. Ich habe vielmehr eine reiche Pfarrei wie diese hier erwartet und mich erwartete ein zwar recht ansehnlich ausgestatteter Tempel, aber eine sehr veramte Gemeinde."
"Was war das denn für eine Botschaft, die Sie zu überbringen hatten?"
"Darüber kann ich leider mit Ungläubigen nicht sprechen. Sie sind kein Omnianer, Sie tragen nicht das Symbol unserer Glaubensgemeinschaft, außerdem gehören Sie weder dieser Gemeinde hier noch der von Herrn Orgelklang an, also darf ich Ihnen auch keine Auskunft über meinen genauen Anwesenheitsgrund mitteilen."
"Aber laut den Gesetzen unserer Stadt haben Sie die Pflicht dazu."
"Laut den Gesetzen meines Glaubens sehe ich keine Veranlassung, dieser Pflicht nachzukommen. Verlassen Sie bitte mein Zimmer."
"Sagen Sie mir doch einfach, was Sie wissen. Ihnen muss doch auch daran gelegen sein, dass der Mordfall rasch aufgeklärt wird."
"Wahrscheinlich wird es etwas mit Orgelklangs Schulden zu tun gehabt haben, und jetzt verlassen Sie mein Zimmer!"
Der Chief-Korporal zuckte mit den Schultern und machte sich ohne ein weiteres Wort auf den Weg zurück ins Wachhaus.

"Ich kennen keinen Gregorius Orgelklang!"
Kathiopeja seufzte. Sie hatte zwar mit Widerstand von Seiten des Trolls gerechnet, aber dass er sich so vehement weigerte irgendwie zu kooperieren, das hatte sie sich nicht so ausgemalt. Zumal 'Ich kennen keinen Gregorius Orgelklang!' der einzige Satz war, der Chalcedon über die steinernen Lippen kam. Und das nun schon seit einer halben Stunde. Axtspalter beschränkte sich momentan mehr darauf, im Hintergrund zu bleiben, und bedrohlich auszusehen.
"Chalcedon, wir haben Beweise, dass du etwas mit dem Mord an Pfarrer Orgelklang zu tun hast," versuchte die Ermittlerin zu bluffen. "Wenn du jetzt nicht redest, dann verhaften wir dich."
"Ich kennen keinen Gregorius Orgelklang!"
Resignierend ließ Kathiopeja die Schultern hängen. Was ein Glück konnte Tussi sie in dieser Situation nicht sehen. Die hätte sich jetzt bestimmt ihren Spaß aus ihrer Hilflosigkeit gemacht und mit irgendwelchem püschologischen Gewäsch angefangen.
"Nun gut, du hast es nicht anders gewollt. Ich werde jetzt das Verhaftungskommando rufen."
"Ich kennen keinen Gregorius Orgelklang!"
Die Obergefreite wandte sich zu Axtspalter um, der den vorsorglich mitgebrachten Taubenkäfig in der einen Hand trug.
"Gefreiter Axtspalter, gibst du mir bitte die Diensttaube?"
"Du warten noch einen Moment draußen, Obergefreite? Ich Wörtchen reden werden mit Chalcedon unter vier Augen."
Kathiopeja zuckte mit den Schultern. Dies geschah haargenau zeitgleich mit dem oben beschriebenen Schulterzucken des Chief-Korporals, natürlich wusste keiner der beiden davon, aber ich möchte trotzdem den geneigten Leser darauf aufmerksam machen. Schließlich hat das alles etwas mit Narrativum zu tun und so.
Die Obergefreite jedenfalls verließ die ungemütliche Trollwohnung im Freudenpflaster, überzeugt davon, die Wohnung des Mörders von Pfarrer Orgelklang verlassen zu haben.

Romulus betrat eiligen Schrittes das Wachhaus, nickte dem tresendiensthabenden Rekruten kurz zu und lief die Treppen hinauf zum Büro der RUM-Abteilungsleiterin. Auf dem Weg zurück zum Pseudopolisplatz hatte er sich die Aussage des omnianischen Mönches mehrfach durch den Kopf gehen lassen. Irgendetwas war faul an dieser ganzen Sache. Hatte ihm der Pater nicht selbst gesagt, dass er von den Schulden wusste? Ist ihm also beim Ankunft im Pfarrhaus von Gregorius Orgelklang vielleicht aufgefallen, dass keine weiteren Spenden von dieser Gemeinde zu erwarten waren, da der Priester sie in den finanziellen Ruin getrieben hat? Könnte es eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Geistlichen gegeben haben, an deren Ende ein goldener Kerzenständer und der Tod des Pfarrers gestanden hat?
Romulus klopfte an Kanndras Bürotür und betrat, ohne auf eine Antwort zu warten, das Abteilungsleiter-Büro.
Feldwebel Mambosamba saß über der Akte des Falls grübelnd an ihrem Schreibtisch, und schreckte auf, als ihr Stellvertreter plötzlich vor ihr stand.
"Ich habe lange nachgedacht und bin überzeugt davon, dass der Troll unschuldig ist. Wir sollten dem Mönch mal auf den Zahn fühlen."
"Wie kommst du darauf?"
"Überleg mal. Chalcedon trug laut der Zeugenaussage von Herrn Seelenvoll eine Keule. Hätte er den Pfarrer wirklich wegen der Schulden bei Chrysopras töten sollen, hätte er es sicher nicht nötig gehabt, einen Kerzenständer aus dem Kircheninventar zu benutzen. Er hatte seine Waffe dabei. Eine andere zu suchen, wäre erstens reine Zeitverschwendung gewesen und zweitens kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass ein Troll einen eher dünnen Kerzenständer als Waffe verwenden würde, wenn er die Wahl hätte, eine Keule zu benutzen."
"Hmmm, deine Überlegung hat etwas für sich. Warum glaubst du also, dass der Mönch etwas mit der Sache zu tun hat?"
Romulus schilderte ihr seine Gedanken, die ihm auf dem Rückweg von der Hochkantstraße hatte.
Plötzlich hämmerte es an der Tür.
"Herein!"
Die Bürotür schwang auf und auf der Schwelle stand Fräulein Martha Reinschmaus, rot im Gesicht, und mit ihrem Gehstock fuchtelnd.
Normalerweise würde man an dieser Stelle einen Hinweis erwarten, dass sie aussah wie eine Rachegöttin, doch in diesem Fall hinkt der Vergleich, da Rachegöttinen im Allgemeinen nicht ganz so alt, runzlig und gebeugt aussehen. Dennoch schien das gute Fräulein Martha ziemlich außer sich zu sein.
"Verhaften sie sofort diesen Verbrecher!" rief sie.
Romulus und Kanndra sahen sich ratlos an.
"Welchen Verbrecher?" erkundigte sich die Abteilungsleiterin.
"Den Mörder von Pfarrer Orgelklang."
"Das versuchen wir ja, aber wir können noch gar nicht hundertprozentig sagen, wer den Pfarrer getötet hat," versuchte der Werwolf die Alte zu besänftigen.
"Aber ich!" triumphierte sie mit einem wutverzerrten Versuch, ein Lachen in ihr runzliges Gesicht zu bringen.
"Pater Reliquius war es."

In einem Film wäre genau das die Stelle, an der die Hintergrundmusik sich zuspitzen, die Kamera genau auf das Gesicht von Fräulein Martha zoomen, die Zuschauer den Atem anhalten würden, um dann das Logo des Fernsehsenders zu sehen, der genau in diesem Moment höchster Dramatik eine Werbepause einblendet, so dass der durch die Spannung entstandene Harndrang erst einmal auf der Toilette beseitigt werden kann. In einer geschriebenen Geschichte besteht diese Möglichkeit leider nicht, weshalb ich den Leser auch nicht weiter aufhalten möchte [3].
"Warum sollte es Pater Reliquius gewesen sein?"
"Weil er erkannt hat, dass Pfarrer Gregorius wahrscheinlich auf absehbare Zeit keine Abgaben mehr nach Obulusien senden kann. Denken Sie vielleicht, ich hätte nichts von den Schulden unserer Gemeinde gewusst, die Pfarrer Orgelklang auf sich genommen hat?"
"Aber wenn Sie das so genau wussten, warum haben Sie dann nichts gesagt?"
"Ich wollte dem Andenken des toten Pfarrers nicht schaden. Sie jungen Rüpel verstehen ja nichts davon, wie es ist, alle zu verlieren die man hatte, da möchte man ihnen wenigstens im Tod ihre Ruhe lassen vor Spekulationen und Mutmaßungen."
Romulus merkte, wie ihm Zornesröte ins Gesicht zu steigen begann.
"Und warum, um alles in der Welt, haben Sie jetzt plötzlich ihr Schweigegelübde gebrochen?" fuhr er die Alte an, die hilfesuchend zu Kanndra blickte.
Diese trat vor ihren Schreibtisch und packte den Werwolf am Arm.
"Nun lass Frau... Fräulein Reinschmaus doch zu Ende berichten, Romulus," versuchte sie, ihren Stellvertreter zu beruhigen.
"Ganz richtig," pflichtete die Haushälterin bei. "Gut, dass hier wenigstens irgendjemand vernünftig ist. Warum ich es Ihnen jetzt erst sage? Weil ich vorher nie geglaubt hätte, dass er es getan hat. Doch dann erhielt ich diesen Brief heute per Eilpost."
Sie öffnete ihre dunkelviolette Handtasche und förderte einen Zettel zutage, den sie der Abteilungsleiterin in die Hand drückte.
"Liebe Gemeindemitglieder der ehemaligen Gemeinde unseres leider viel zu früh von uns gegangenen Bruders Gregorius Orgelklang," las sie laut vor. "Sicher wird es Sie freuen, zu hören, dass Ihre Gemeinde in dieser für sie wirklich schweren Zeit nicht alleine gelassen wird. So lade ich sie alle ein, sich am kommenden Omstag um neun Uhr abends gemeinsam mit meiner Gemeinde in unserem Tempel in der Hochkantstraße zu versammeln, um ein freudiges Ereignis zu feiern. Pater Reliquius, der vom Obersten Diener Oms Obulus II. persönlich nach Ankh-Morpork gesandt wurde, wird mich an diesem Tage in einem feierlichen Omsdienst zum Trischof von Ankh-Morpork ernennen. Und wenn es dann heißt 'Habemus Trischofem' möchte ich zu euch allen als den Gemeindemitgliedern der trischöflichen Gemeinde Ankh-Morporks blicken können, damit wir die Trauer, die uns noch umgibt, ein wenig leichter ertragen können. Möge der Segen Oms mit euch sein. Gezeichnet, Pfarrer Paulus Astor Klingelbeutel."
"Interessant," ließ sich Romulus vernehmen. "Aber warum soll dieser Brief irgendetwas dazu aussagen, dass Pater Reliquius etwas mit dem Mord an Pfarrer Orgelklang zu tun hat?"
"Verstehen Sie denn nicht? Pater Reliquius kam nach Ankh-Morpork um Gregorius Orgelklang zum Trischof von Ankh-Morpork zu ernennen."
"Und jetzt ist Orgelklang tot, und Klingelbeutel erhält den Titel. Na und? Was hat das damit zu tun?"
"Reliquius hat herausgefunden, dass Orgelklang hoch verschuldet war und für lange Zeit keine Spenden mehr nach Obulusien würde schicken können. Das machte ihn aber als Trischof in den Augen des Paters untragbar, denn als Trischof wird immer der finanzkräftigste Priester ausgewählt, damit der Dombau in Obulusien rascher finanziert werden kann."
"Und sie meinen, deshalb hat er den Pfarrer umgebracht?" warf Kanndra ein. "Das scheint mir kein besonders stichhaltiges Tatmotiv zu sein. Er hätte doch einfach den anderen Pfarrer zum Trischof ernennen müssen."
"Das ging aber nicht. Wenn der Oberste Diener und seine Banalen einmal einen zukünftigen Trischof benannt haben, kann nur dann ein anderer an dessen Stelle rücken, wenn der eigentliche Kandidat nicht mehr am Leben ist. So ist es in den heiligen Schriften der Wahren und Einzigen Kirche des Einen Gottes Om festgeha..."
"Jetzt wird mir einiges klar!" unterbrach Romulus. "Deswegen wollte Pater Reliquius mir auch um keinen Preis den Grund seiner Reise nach Ankh-Morpork nennen."

Wenige Minuten später waren Abteilungsleiterin und ihr Stellvertreter auf dem Weg zur Hochkantstraße. Reliquius musste festgenommen werden, wegen dringendem Tatverdacht. Nicht, dass er wieder nach Omnien zurückreiste, bevor seine Schuld bewiesen werden konnte. Noch auf dem Pseudopolisplatz kamen den beiden Kathiopeja und Axtspalter entgegen. Die Gefreite trottete mit hängenden Schultern schlecht gelaunt hinter dem diamantfunkelnd grinsenden Troll her.
"Na, habt ihr was aus Chalcedon herausbekommen?" erkundigte sich die Abteilungsleiterin.
"Er unschuldig sein! Er zugegeben haben, dass er am Tatort gewesen sein, um Pfarrer Angst zu machen, dass er seine Schulden schnell bezahlen müssen und so. Er aber auch gesagt haben, dass da ein Mann gewesen sein, der den Pfarrer erschlagen haben mit Kerzenständer."
"Ein Augenzeuge der Tat? Das erleichtert uns vieles. Konnte er denn irgendwelche Angaben zum Aussehen des Täters machen?"
"Er religiös ausgesehen haben, Chalcedon meinen. Schwarzes Gewand angehabt haben. Und Schildkröte um den Hals. Und er haben in der Mitte nicht mehr alle Haare gehabt."
Romulus musste sofort an die Tonsur des omnianischen Paters denken. Es passte alles zusammen. Jetzt musste man nur noch den Zeugen und den Täter gegenüberstellen. Ein Fall wie aus dem Lehrbuch für Ermittler.
"Kannst du Chalcedon holen gehen, und mit ihm zum Tempel in der Hochkantstraße kommen? Es ist wichtig, wir brauchen ihn, um den Mörder zu identifizieren."
"Ich fliegen werden, Herr Chief-Korporal."
Romulus musste unweigerlich grinsen, als in seinen Gedanken ein fliegender Troll über den Dächern Ankh-Morporks kreiste.
"Gut. Mach, dass du wegkommst!"
"Jawohl!" rief Axtspalter und salutierte.

Kurze Zeit später standen die vier Wächter zusammen mit Chalcedon vor dem Pfarrhaus neben dem Tempel in der Hochkantstraße. Romulus hämmerte die Faust gegen die Eingangstür.
"Aufmachen, Stadtwache von Ankh-Morpork!"
Die Tür öffnete sich und sehr zur Verwunderung der Wächter war es Pater Reliquius, der sie hineinbat, nicht ohne im Angesicht der beiden Trolle die Stirn zu runzeln. Die kleine Gruppe folgte dem Pater ins Innere des Pfarrhauses, wo zwei Schneider damit beschäftigt waren, die Maße des neu zu ernennenden Trischofs zu nehmen, um seinem zukünftigen Titel gemäße Gewänder herstellen zu können.
"Pater Reliquius, ich verhaften Sie hiermit wegen schwerem Tatverdacht, der Mörder von Pfarrer Orgelkla..."
"Er es gewesen sein!" wurde Romulus von der Stimme Chalcedons unterbrochen.
"Jaja, das wissen wir doch bereits. Wir mü..." Romulus' blick folgte dem ausgestreckten Zeigefinger des Trolls. Dieser deutete nicht auf den omnianischen Pater, sondern auf niemand geringeren als den Beinahe-Trischof, der da auf seinem Stuhl stand, Maßbänder um sich geschlungen und in fröhlicher Erwartung der Ernennungszeremonie eine alte omianische Kirchenmelodie summte, der sich gerade zu den Neuankömmlingen umgewandt hatte.
"Er der Mörder von Pfarrer Orgelklang sein."

"Wie kann ein nach außen hin so frommer und religiöser Mensch nur so eine Tat begehen?" fragte Pater Reliquius Fräulein Martha Reinschmaus am Abend des darauffolgenden Tages.
"Nun, da gibt es mehrere Gründe. Erstens Machtgier. Zweitens Scheinheiligkeit. Und drittens unglückliche Zustände."
"Die ersten beiden Punkte verstehe ich ja noch, aber warum unglückliche Zustände? Klingebeutel war doch wohlhabend und hatte eine verhältnismäßig große Gemeinde. Das nenne ich jetzt nicht gerade unglückliche Zustände."
"Ich glaube, Paulus Astor Klingelbeutel hat gesehen, dass trotz seines Geldes, trotz all seinem Prunk, seine Anhänger nicht so gläubig waren, wie sie es gerne taten. Und das bewegte den Wahren und Einzigen Gott Om, die gerechte Hand seines Obersten Dieners zu leiten, und Pfarrer Orgelklang zum Trischof zu machen. Als Klingelbeutel das mitbekommen hatte, brach für ihn eine Welt zusammen und er sah nur noch den Ausweg, zu töten."
"Fräulein Martha, Sie hätten zur Stadtwache gehen sollen, und dort als Püschologin Verbrechen aufklären. Für eine gewöhnliche Haushälterin sind Sie doch viel zu klug."
Die Alte wurde etwas verlegen, was ein ungewohntes Gefühl für sie war.
"Nun, ich bin immer Haushälterin gewesen, und war immer zufrieden damit. Wer weiß, was nun auf uns zukommen wird, wo wir keinen Pfarrer mehr in Ankh-Morpork haben."
"Ich bin sicher, es wird bald Ersatz gefunden werden. Und ich wüsste auch schon einen Geistlichen, der sich in Ihrer Gemeinde sicher sehr wohl fühlen würde."
"So, wen denn?"
"Mich."
[1]  Eine misslungene Meuterei und ein ebenfalls misslungener Enterversuch einer nicht besonders erfolgreichen Piraten-Truppe, die der ununterbrochen betende Pater gar nicht mitbekommen hatte, nicht mitgezählt

[2]  Und das waren wenige Millimeter, ungefähr so viele, wie der Stoff seiner Kutte dick war, da er das Buch in sein Zwingulum, den traditionellen Gürtel der Mönche, gesteckt hatte.

[3]  Will sagen: Falls jemand auf's Klo muss, ist es nun zu spät, die Geschichte geht weiter

Zählt als Patch-Mission.



Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.

Feedback:

Die Stadtwache von Ankh-Morpork ist eine nicht-kommerzielle Fan-Aktivität. Technische Realisierung: Stadtwache.net 1999-2024 Impressum | Nutzungsbedingugnen | Datenschutzerklärung