Flucht vor der Leere

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von Gefreite Sallien Elonie Amenda von Seherr Dertief (SEALS)
Online seit 22. 05. 2006
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Ein Mädchen aus reichem Hause ist verschwunden, doch die Eltern scheinen etwas zu verheimlichen.

Dafür vergebene Note: 11

Anmerkung:
Diese Geschichte spielt vor einigen Monaten, als Atera Abteilungsleiterin von SEALS war.
Im Detail wird die Autorin etwas "explizit". Zartbesaitete Charaktere sollten also besser hier aufhören zu lesen.

gez. Cim Bürstenkinn, AL-SEALS



Anfangs war alles soweit in Ordnung. Doch irgendwann war sie plötzlich weg.


Es war eine der langweiligsten und nervenaufreibendsten Aufgaben, die ein Wächter jemals in seiner Karriere zu erfüllen hatte. Ignatius Bratenknecht stand noch am Anfang seiner Laufbahn und musste daher regelmäßig Tresendienst schieben. Den ganzen Nachmittag hatte er nun schon in der zugigen Eingangshalle des Wachehauses gesessen ohne das sich irgendwelche besonderen Ereignisse ergeben hätten. Er wollte sich gerade eine Tasse Kaffee zur Abendstunde gönnen, als die Eingangstür aufging, ein wenig Schneeregen in die Halle schneite und ein schmächtiger Herr in Anzug und Mantel hindurch schlüpfte und durch die Halle direkt auf Ignatius zuging. Ignatius grüßte so höflich es ihm möglich war: "Guten Tag, der Herr. Kann ich ihnen helfen?"
"Mit Gewissheit können sie das!", antwortete der späte Besuch, "Das Fräulein von Schnitters ist heute über Tags nicht von der Schule nach Hause zurückgekehrt. Ihre Eltern sind in großem Aufruhr und erbitten um dringenden Besuch im Hause von Schnitters."
Der Rekrut sah den Herren leicht perplex an. Eine solche Sprechweise war er wirklich nicht gewohnt. "Äh... ja also, da müssen sie jetzt eine Vermisstenanzeige machen, oder hab ich sie richtig verstanden?", er sah ihn zweifelnd an, "Sie sind äh..."
"Verzeihung: Gustav mein Name. Und vermisst wird die Tochter aus dem Hause von Schnitters, Olivera von Schnitters.", erläuterte Herr Gustav. "Ja, also Vermisstenanzeigen werden von SEALS bearbeitet.", erinnerte sich der Wächter zögernd, "Ich werde die Abteilungsleiterin sofort informieren, Herr ..äh Gustav." Damit und mit seinen Notizen eilte der junge Mann sogleich die Treppe hinauf.
Atera saß währenddessen in ihrem Büro und hing mit der vierten Tasse Kaffee in der vergangenen Stunde über dem Papierkram von drei zu bearbeitenden Fällen, als sie von draußen laute, schnell auf sie zukommende Schritte in ihrer ohnehin schon so instabilen Konzentrationsphase unterbrachen. Plötzlich kamen diese zum Stehen und ein lautes Klopfen an ihre Tür folgte den schweren Atemzügen.
"Herein.", murmelte der Zombie gelangweilt. Ein weiteres mal hämmerte es gegen die Tür der Abteilungsleiterin. "Herein, bevor du meine Tür zerschlägst!", antwortete sie diesmal deutlich lauter. Zögernd ging die Tür auf und Wächter Iggy trat ein.
Mit einem Salut berichtete er: "Ein gewisser Herr Gustav hat so eben eine Vermisstenanzeige gemacht, Mam."
"Sag ihm wir kümmern uns so bald wie möglich darum. Ich schick morgen früh einen Vektor vorbei.", verkündete der Stabsspieß recht gleichgültig.
"Es handelt sich um die Tochter von von Schnitters und die Eltern möchten, dass sofort jemand vorbeikommt.", erläuterte er.
Atera blickte von ihrem Papierkram auf: "Du hast doch gehört was ich gesagt hab!"
"Jawohl, Mam.", Ignatius salutierte nochmals und wollte zur Tür hinaus gehen, als Atera ihn plötzlich aufhielt.
"Wächter?"
"Ja, Mam?"
"Guck ob irgendein Vektor da ist. Wenn er will soll er sich jemand von Susi holen und dann schick die in meinem Namen zu diesen Schnitten da.". Leicht übermüdet widmete sich damit die Schäffin wieder ihren Fällen.
Mit einem weiteren "Jawohl, Mam." verschwand Wächter Ignatius Bratenknecht ebenso leichtfüßig aus dem Büro wie er eingetreten war und ließ die Schäffin mit ihrer Arbeit allein.

Ich hab das nie wirklich verstanden.


Es war eine recht finstere Gegend, in die es Vera hier verschlagen hatte. Ebenso finster und wohlriechend, wie der Raum, in dem sie nun schon seit Stunden reglos und ohne etwas zu Essen da saß. Nur der Mond schien sanft durch das Fenster und beleuchtete die raue Decke, in die sie eingewickelt war. Das Mondlicht war so ziemlich das einzige, das hier sanft oder ansatzweise schön war. Es war eine ziemlich schäbige Unterkunft, in der sie eine unabsehbare Zeit verbringen musste. Der Putz hing nur recht unvollständig an den nicht allzu geraden Wänden; Ratten und Kakerlaken leisteten ihr ein wenig Gesellschaft, während sie über ihr Stückchen Brot herfielen; und wenn wieder mal ein Dieb oder ein Assassine über das Dach über ihr zu seinem nächsten Auftrag eilte, bröselte es geradezu von der Decke. Zumindest kam keiner der Diebe oder Assassinen auf die Idee in diese Bruchbude einzubrechen. Ganz davon abgesehen, dass es in dieser Gegend von AnkhMorpork bei schier niemandem etwas zu stehlen gab oder jemand es verdient hätte, von einem Assassinen getötet zu werden, so hielt es wohl niemand für wahrscheinlich, dass sich entsprechende Personen ausgerechnet in dieser Bruchbude befinden könnten. Vera schätzte sich glücklich, dass es noch nicht richtig geregnet hatte, da sie nicht besonders viel Vertrauen zu dem Gemäuer aufgebaut hatte und fürchtete, dass das Dach nicht besonders viel Regen verkraften würde und auch das Fenster hatte sie nicht wirklich lieb gewinnen können, zumal sie gleich zu Beginn feststellen musste, dass besagtes Fenster kein Fensterglas oder ähnliches Material besaß. Dies ermöglichte ihr jedoch sich nähernde Personen schon von weitem auszumachen. Immer wieder gingen verschiedenste Wesen an ihrem Fenster vorbei. Trolle, Vampire, Wasserspeier, dann und wann ein Mensch oder Stimmen und Schritte von betrunkenen Gnomen, auch hatte sie das ein oder andere Mal den Helm eines Zwerges erkennen können. Es kam Vera beinahe wie eine Modenschau der finstersten und skurrilsten Geschöpfe der Scheibenwelt vor. Ein weiteres Mal lauschte sie regungslos den Stimmen und Schritten, die sich ihr näherten. Es waren mehrere Leute, die näher kamen, doch konnte Vera wegen der betrunkenen Gangart von mindesten einer der betreffenden Person nicht heraushören, wie viele sich tatsächlich näherten.
"Jetz Bernd! Reis dich mal zam!", drang eine raue Frauenstimme von draußen durchs Fenster, "Sind nur noch n paar Schritte!!"
"Verdmmt binisch dod!", antwortete eine deutlich leiernde Männerstimme, dann folgten ein Stolpern und das Scheppern von Müll.
"Bernd!", kreischte die Frau von eben.
"Lass nur, Laila", brummte nun eine weitere Stimme, "Die Lusche macht keinen Schritt mehr!"
Die Stimmen wichen Schritten, die nun deutlich schwerer und zügiger näher kamen. Plötzlich schwang die Tür in Veras Unterbringung auf und ein Berg von einem Mann blickte sie im fahlen Mondlicht direkt an, bevor er wie selbstverständlich an ihr vorbeiging und einen leblosen Körper deutlich unsanft neben ihr auf einem Strohhaufen ablegte, sich an den Tisch vor dem Fenster setzte und sie beobachtete. Eine zierlich wirkende Frau machte währenddessen die knarrende Tür zu und eilte zu der leblosen Gestalt im Stroh.
"Bernd! Hörst du mich, Bernd?", Sie ohrfeigte ihn leicht und bekam ein unwilliges Stöhnen als Antwort: "Du bist jetzt wieder Daheim hörst du?! Dreh dich rum und schlaf jetzt!" Damit wandte sie Bernds schwerfälligen Körper auf den Rücken und Stand auf.
"Und wage es nicht zu schnarchen!", damit gesellte sie sich zu dem anderen Mann an den Tisch, "Was starrst du so vor dich hin?"
Als dieser nicht reagierte winkte sie vor seinem Gesicht, "Huhuu! Laila an Alfred! Ich rede mit dir!" Besagter Alfred schenkte ihr einen kurzen Blick aus dem Augenwinkel und brummte schließlich:
"Sie ist immer noch da."
Laila blickte zu dem Mädchen, das regungslos neben dem Stroh saß und vor sich hinstarrte. Sie schien gut gepflegt zu sein für die Verhältnisse, die in AnkhMorpork herrschten, ihre schwarzen Haare fielen in leichten Wellen über die Schultern und ihre helle Haut schien im Mondlicht zu leuchten. Sie war so ganz anders als Laila, die mit ihrer dunklen Haut und den braunen Haaren in den Gassen Ankh-Morporks aufzugehen schien. Zumindest solange sie nicht ihre Dienstkleidung trug. Immerhin war Laila nicht umsonst so ein beliebtes Mitglied der Näherinnengilde.
"Sie wird wohl auch noch ne Weile bei uns bleiben", stellte sie gleichgültig fest. "Nektarios hat einen recht guten Geschmack, muss ich sagen", Alfred überlegte kurz, "ob es ihm was ausmacht, wenn ich ein wenig Spaß mit ihr habe?"
"Lass sie in Frieden!", herrschte Laila ihn an, "Wer weiß wozu sie Nektarios nutzen soll...", damit stand sie auf und ging zur Tür. "He! Wo willst du hin?!", schrie ihr Alfred nach. "Arbeiten! Irgendwer muss hier ja für Brot und Bier sorgen!", mit diesen Worten schlug die Tür zu und Laila war verschwunden.


Und dann ist sie da aufgetaucht.


Frau von Schnitters war eine sehr zierliche, kleine Frau von voluminösen Ausmaßen. Das bezog sich jedoch lediglich auf ihre Kleidung, die reich mit Stickereien und Perlen verziert und komplett in Schwarz gefärbt war, mit Ausnahme einer weißen Schleife um ihren Hals, die wiederum von einer mit einem schwarzen Stein geschmückten Brosche geziert war.
"Schwarz, wegen unserer Trauer um den Verlust Oliveras", wie sie den Wächtern erklärte. Olivera war die Tochter des Hauses von Schnitters.
"Sie wurde zuletzt vom Oberbutler Gustav gesehen, als dieser sie morgens um 7.00 Uhr zur Schule verabschiedete und sie kam nicht wie erwartet um 15.00 Uhr wieder daheim an, um um 15.30 Uhr ihrem Klavierunterricht nachzukommen. Uns, den Eltern, war dies jedoch erst aufgefallen, als der Klavierlehrer völlig wutentbraust in das Büro des Herrn von Schnitters kam, um sich über diese Unverschämtheit auszulassen."
"Weshalb meldet ihr euch erst zu so später Stunde, wenn ihr schon eher Bescheid gewusst habt?", unterbrach eine Wächterin ihre Erläuterung der Situation. Frau von Schnitters richtete eine perfekt unter den Hut geklemmte Strähne ihres blonden Haares, warf einen fast unbemerkten Blick zu ihrem Gatten, der ungerührt an seinem Schreibtisch saß und keinerlei Anstalten machte ihr in irgendeiner Art und Weise bei diesem Verhör beizustehen. Sie musterte die Wächter sehr eindringlich durch das Netz ihres Hutes, während sie mit ihrer Ausführung fortfuhr.
"Wir hofften wohl vergebens, dass sie im Laufe des Nachmittages zurückkehren würde. Gegen 19.00 Uhr schickte Gustav schließlich ein paar entbehrliche Helferjungen auf die Suche nach Olivera. Allerdings kamen diese allesamt ohne Erfolg zurück und nachdem auch der letzte ohne eine Spur zurück kam, schickten wir Gustav gleich zur Wache."
Die Gefreite OlgaMaria Inös sah sich in dem Arbeitszimmer des Herrn von Schnitters um, während sie den Erklärungen seiner Gattin folgte. Ein geräumiger Raum mit vielen Aktenschränken, einer großen Bücherwand und einem riesigen Fenster gegenüber der Tür, direkt hinter dem Schreibtisch. Ein wenig benebelt vielleicht von den Zigarren seines Eigentümers, allem Anschein jedoch gelüftet genug, um mehrere an den Wänden hängende Öllampen das Zimmer ausleuchten zu lassen. Gefreite Sallien von Seherr Dertief hingegen saß auf dem Kanapee vor dem Schreibtisch und beobachtete das Ehepaar von Schnitters; wie die Gemahlin neben dem Schreibtisch ihres Gemahls stand und von dem Verschwinden ihrer eigenen Tochter berichtete, wie eine Sekretärin von einer Diskussionssitzung zum Thema "Papierproduktion - Eiche oder Kiefer?"; und wie Herr von Schnitters hinter seinem Schreibtisch saß, eine klatschianische Zigarre nach der anderen rauchte, seinen Zylinder auf dem Schreibtisch platzierte und unentwegt anstarrte, während er mit seinem Spazierstock spielte.
Sallien beobachtete selten ein solch gegensätzliches Paar. Das Schweigen, das in der Zwischenzeit entstanden war hatte eine drückende Wirkung auf das Ehepaar. Plötzlich legte Herr von Schnitters seinen Spazierstock auf dem Schreibtisch ab.
"Haben sie noch Fragen?"
OlgaMaria wandte sich vom Bücherregal ab und blickte Herrn von Schnitters erstaunt an: "Na sicher! Kann man sich vielleicht ihr Zimmer und die Schule angucken?"
"Hat sie einen Abschiedsbrief oder etwas dergleichen hinterlassen? Oder hat sie irgendwann etwas Merkwürdiges von irgendwelchen Beobachtern auf dem Heim oder Schulweg erwähnt?", führte Sallien die Fragen weiter.
Herr von Schnitters war sichtlich irritiert: "W - was für Beobachter meinen sie?"
"Bei einer Vermisstenanzeige gehe ich in erster Linie von einer Entführung oder einem Ausriss aus. Es wäre hilfreich, wenn sie uns bei den Ermittlungen entgegen kommen könnten."
"Meine Tochter hätte gar keinen Grund auszubrechen!", empörte sich der Hausherr erbost und richtete sich in seiner ganzen, eindrucksvollen Größe auf.
"Haben sie in der Schule nachgefragt, ob sie zum Unterricht erschienen ist?", entgegnete Sallien unbeeindruckt und ließ den Mann in einem Perplex erstarren. "Sagen Sie nicht, Sie hätten noch nicht mal versucht jemanden zu finden, den Sie für das Verschwinden Ihrer Tochter verantwortlich halten?"
Herr von Schnitters war sichtlich in Verlegenheit gebracht, weshalb seine Gattin, die sich nichts anmerken ließ, für ihn antwortete: "Wir hielten dies anfangs für übertrieben, denn unsere Olivera würde niemals ihren Schulunterricht versäumen und die Lehrkräfte hätten uns andernfalls gewiss Bescheid gegeben. Statt uns Auskunft zu geben, wären die Lehrkräfte nur in Panik geraten und die gesamte Klasse hätte nur unnötig von dem Zwischenfall erfahren."
Es herrschte einen Augenblick lang eine unbequeme Stille in dem Arbeitszimmer des Herrn von Schnitters.
"Wir hätten gerne Herrn Gustav und alle, die nach ihrer Tochter gesucht hatten gesprochen, eben so wie das Personal, das regelmäßig mit ihr in Kontakt war und die Lehrkräfte und Freunde ihrer Tochter." "Und ihr Zimmer will besichtigt werden!"


Diese abwertenden Blicke! Ich ertrage sie nicht! Ich hasse sie! Ich wünschte, sie wäre nie aufgetaucht!


Auf einmal hatte das Ganze jede Menge Zeit. Die Helferjungen seien schließlich müde vom vielen Suchen und man könne das weder Lehrern noch Mitschülern antun, zu so später Stunde gestört zu werden. Die Zeugen könnten schließlich auch noch am folgenden Tage befragt werden und Oliveras Zimmer würde ja auch nicht über Nacht verschwinden und der gleichen mehr Ausreden fluteten zum Schluss über die Wächterinnen hernieder. Sallien ärgerte sich auf dem Rückweg sehr über die Herrschaften von Schnitters. Wenn du mich fragst solltest du den Fall schleunigst an jemand anders abgeben! Dieses Weibstück hat doch tatsächlich versucht, dich einzuschüchtern!, meldete sich plötzlich ihr Stolz zu Wort. "Dich fragt aber niemand!", antwortete sie diesem. Recht so! Immerhin gehts hier um ein unschuldiges Kind!, bestätigte sie ihr Verstand. Trotzdem hat Sall es nicht nötig sich mit solch einfältigen Personen abzugeben! "Ja, zum Schluss ende ich noch genauso wie ihr Mann, eben.", lachte die Wasserspeierin vor sich hin. Aber mit Sicherheit nicht! Dem Miststück zeigt du wo es langgeht!, widersprach ihr Stolz. Eben klang das aber noch ganz anders..., neckte der Verstand. Sei doch still!, trotzte der Stolz wiederum. "Aber diese Frau ist und bleibt mir doch suspekt...", murmelte Sallien.
"Mit wem redest du eigentlich immer?" Sallien schrak aus ihren Gedanken auf. Olga-Maria ging neben ihr her und sah sie verwundert an.
"Ähm - mit niemanden! Hab ich etwa laut gesprochen? Ich hab eigentlich nur über den Fall nachgedacht!" Diese Situation war der Wasserspeierin deutlich peinlich. Sie mochte es nicht auf Dinge angesprochen zu werden, die sie nicht mal sich selbst erklären konnte und mit denen sie sich noch nicht abgefunden hatte.
"Ich find den schon reichlich komisch!", gab die Tatortwächterin zu bemerken.
"Äh ja, das dachte ich mir auch grade... Irgendwas ist falsch an der Sache und ich glaub, dass die beiden Herrschaften genau wissen, was es ist."
"Ich bezweifle allerdings, dass sie es dir einfach so sagen werden." Sallien nickte zustimmen.
Plötzlich streckte sich Olga: "Ich wird mir jetzt jedenfalls meinen wohlverdienten Feierabend gönnen. Meine Schicht ist schon längst zu Ende!"
Damit verabschiedete sie sich, bog in die nächste Straße ein und ließ ihre Kollegin mit deren Gedanken alleine.


Immer wieder mischt sie sich ein! Sie hasst mich! Sie will mich loswerden! Und dann - - dann - - Das darf nicht wahr sein!


Ein pfeifendes Schnarchen begleitete die morgendlichen Unruhen in der Stadt. Alfred hatte sich nächtens irgendwann herausgeschlichen ohne ein Wort der Aufklärung, jedoch mit einem Fluch über Bernds Schnarchen auf den Lippen. Abgesehen von den Ratten hatte sich sonst die ganze Nacht nichts mehr gerührt - zumindest nicht in dieser Behausung. Das pfeifende Schnarchen wich einem plötzlichen Kichern: "Ahh... Laila? Womit habe ich das denn verdient?.."
"Laila ist noch nicht zurück", antwortete ihm Vera in der Hoffnung, dass er endlich ruhig wäre. Bernd jedoch grinste nur und seufzte im Halbschlaf: "Du Künstlerin! Au! Nicht zwicken!"
"Das ist eine Ratte, die dir vorhin in das Bett gekrochen ist", berichtigte sie Bernd ruhig und ohne hinzusehen, woraufhin dieser erschrocken hoch fuhr und sich auf das Tier setzte, das im vermeintlichen Todeskampf nun wirklich zubiß.
"Verdammtes Mistvieh!", brüllte er auf. Er zog die Ratte am Schwanz hervor und warf sie von sich. Quiekend verkroch sie sich in einem der zahlreichen Wandlöcher .
"Armes Ding..", kommentierte Vera.
Leicht humpelnd ging er ins Nebenzimmer und murmelte schlechtgelaunt: "Meine Blase drückt vielleicht..."


Mein Kopf ist so leer. Aber ich bin wütend. Worauf nur?


Die Sonne schien Hisallika auf den Rücken, als sie vom Hier - gibts - alles - Platz in das Herrenhaus, in dem sie diente, zurückkehrte. Sie hatte einige Besorgungen machen müssen und war froh, dass der Nieselregen in der Früh so bald vorüber war. Bei schönem Wetter empfand sie es als angenehm, aus dem hektischen Haushalt entfliehen zu können und den Lästereien der anderen Angestellten nicht zuhören zu müssen. Hisallika kam vor geraumer Zeit mit ihrem Mann Wasilliki aus Klatsch nach Ankh-Morpork und arbeitete seither als Dienstmädchen in diesem Haushalt, aber an die Neugier der AnkhMorporkianer hatte sie sich nie gewöhnen können.
"Habt ihr das gestern mitbekommen? Zwei Wächter waren abends noch zu Besuch und haben den Herren und die gnä Frau befragt!"
"Das waren Wächter? Sahen mir aber ziemlich skurril aus für Wächter..."
"Wächter sind doch meistens irgendwelche skurrilen Gestalten! Du kommt aber auch gar nicht mehr aus dem Haus was?"
"Du weißt doch - mein Fuß schmerzt doch immer so."
"Was wollten die Wächter denn?"
"Keine Ahnung, aber es ging wohl um das junge Fräulein!"
"Hat sie etwa was angestellt?!"
"Hast du nicht mitbekommen, dass sie verschwunden ist?"
"Bitte was! Wann?"
"Gestern!"
"Bei dem Geschrei des Herrn Klavierlehrers haben doch sämtliche Nachbarn mitbekommen, dass das Fräulein gestern nicht von der Schule zurückkam."
"Gestern hatte ich doch meinen freien Tag!"
"Ach so... aber wisst ihr was ich glaube?"
"Woher denn, sag einfach."
"Ich glaube dass der Herr und seine Gattin - -"
"Ruhe jetzt!", schrie plötzlich eine kräftige Männerstimme dazwischen, "Ihr sollt arbeiten und müsst nicht reden dabei!"
Der Küchenchef verscheuchte die ganzen Dienstmädchen aus seiner Küche und diese rannten kichernd und quasselnd in Grüppchen in verschiedene Richtungen, um ihrer Arbeit nachzugehen. Hisallika war beruhigt .endlich wieder in Ruhe arbeiten zu können und machte sich daran, das frische Gemüse vom Hier - gibts - alles - Platz für das Mittagessen zu waschen.
"Ob Frau Schnitters wieder suchen lässt nach Fräulein heute?", fragte Hisallika. "Gestern Wachter da sein. Jetzt die suchen weiter!", erklärte ihr Mann und warf dabei einen Blick zum Küchenjungen, der gerade fleißig Kartoffeln schälte. Am vorherigen Nachmittag war er noch vor der Zubereitung des Abendessens losgeschickt worden um nach dem Fräulein von Schnitters zu suchen und war erst als letzter von seiner Suche zurückgekehrt, so dass er weder bei der Zubereitung noch beim Abspülen behilflich sein konnte. Umso mehr Aufgaben bekam er am heutigen Tag seit dem frühen Morgen zugeteilt, so dass er damit kaum nachzukommen schaffte.


Diese Leere - - Ich ertrage sie nicht! Ich will hier weg!


Hildegard ging mit einem Tablett mit Teeservice etwas unsicher den Gang hinunter. Sie war neu in diesem Haus und wegen des gestrigen Vorfalls noch verunsicherter, als bisher ohnehin schon. Vorsichtig klopfte sie an die Arbeitszimmertür ihres Herren. Ein dumpfes "Herein!" war zu vernehmen und daraufhin öffnete sie behutsam die Tür, ohne dass etwas auf dem Tablett auch nur verrutschte, betrat das Zimmer und stand erst einen Moment still in der Tür.
"I - ich bringe ihnen den gewünschten Tee."
Friedrich von Schnitters gab mit einer Handbewegung zu verstehen, wo sie das Tablett abstellen sollte und wandte seinen Blick wieder einem abgenutzt wirkenden Schreiben zu, dass er in der Hand hielt. Währenddessen beobachtete Margott von Schnitters, wie das Dienstmädchen zum Schreibtisch eilte, dass Service auf diesem abstellte, den Tee behutsam in die Tassen eingoss und anschließend mit einem Knicks vor der Tür hinter eben dieser verschwand. Erst als die Tür ins Schloss fiel, bewegte sich Frau von Schnitters zum Arbeitstisch hin, setzte sich in den Stuhl ihres Mannes und schlürfte ein wenig am Tee. "Was gedenkst du nun zu tun?", unterbrach sie plötzlich ihr Schlürfen.
"Als erstes gedenke ich, meine Tochter zu finden, Liebes", erklärte ihr Ehemann, "Sonst hast du bald sowieso nichts von dem Geld."
"Ach Quatsch!", widersprach Margott, "Was niemand weiß, kümmert auch niemanden! Du hättest die Wache nicht einschalten dürfen, dann würde uns jetzt auch nichts drohen in die Quere zu kommen!"
"Beruhige dich! Es kommt uns schon nichts in die Quere und als letztes wohl unsere Tochter", versuchte Friedrich seine Gattin zur Vernunft zu bringen.
"Deine Tochter kann deine Frau nicht ausstehen, wenn ich dich daran erinnern dürfte!", erboste sich diese, "Sie würde wohl alles tun um mir in die Quere zu kommen! Oder was glaubst du weshalb sie verschwunden ist?"
"Keine Ahnung. Sag es mir."
"Um dich vor die Wahl zu stellen natürlich!", Die Frau stand inzwischen direkt vor ihrem Gatten und blickte zu ihm auf. "Sie will testen, wie viel du für deine Tochter auf dich nimmst und ob du sogar deine Frau für sie verlassen würdest!"
Ihre Stimme war kaum noch mehr als ein wütendes Wispern und ihre Augen stachen geradezu durch ihr Netz bei dem Gedanken Olivera könnte ihr Leben doch noch zur Hölle machen, gerade dann, als sie glaubte sie in der Falle sitzen zu haben.
"Keiner stellt hier irgendwen vor die Wahl! Der Wille von Ollis Mutter wird berücksichtigt und dazu muss Olli wieder nach Hause kommen und damit Punkt aus!", herrschte Friedrich von Schnitters, ging damit an seiner Gemahlin vorbei, nahm auf seinem Stuhl Platz und nahm einen Schluck von seinem Tee.
"Ist das alles, was du dazu zusagen hast?" Ein Nicken antwortete ihr.


Immer wieder die selben Fragen. Er kennt mich gar nicht mehr! Ich hasse das! Aber seit wann ist das schon so? Diese Leere!


Gerade als die SEALS - Schäffin dabei war, ihren Glücksfrosch Sir Henry zu füttern, klopfte es plötzlich an der Tür ihres Büros und nach einem "Herein!" der Schäffin betrat ein Wasserspeier das Büro und salutierte ordnungsgemäß.
"Sie haben nach mir rufen lassen, Mam?"
"Ahja!, Sallien komm rein.", begrüßte Atera die Gefreite. Diese schloss die Tür hinter sich und trat näher an der Schreibtisch ihrer Schäffin.
"Du hattest gestern Abend einen Einsatz wegen einer Vermisstenanzeige, hab ich recht?", begann die Schäffin und fuhr fort noch bevor sie eine Antwort bekommen konnte, "Ich hab deinen Bericht wegen Zeitmangels nur überflogen, aber obwohl er mir recht ausführlich scheint konnte ich keine Vernehmungen finden außer denen mit den Eltern der Vermissten und dem Butler - wie hieß er noch? Ach, egal. Wie kommt das?" Atera sah in das starre Gesicht der Gefreiten und wartete auf eine Erklärung.
"Olga-Maria Inös und ich hatten gestern Abend noch vor, das Zimmer der Vermissten zu untersuchen und das Personal zu befragen, jedoch wurden wir hinaus geschickt und auf den heutigen Tag vertröstet, als wir dieses Vorhaben äußerten, Mam."
Die Schäffin sah sie verwundert an: "Ich hoffe ihr werdet das dann auch nachholen."
"Jawohl, Mam", Sallien salutierte, um ihren Tatendrang zu demonstrieren.
"Ich werde dann wohl einen Szenekenner mit der Suche nach dem Mädchen beauftragen...", überlegte die Schäffin, legte Salliens Bericht zur Seite und widmete sich anderen Unterlagen, als sie bemerkte, dass die Gefreite immer noch salutierend dastand: "Was ist? Nun mach schon! Weggetreten!"
"Jawohl!"


Gestern hab ich ihn kennen gelernt. Er ist so ganz anders! Etwas unsicher vielleicht, aber er weiß was er will. Er will mich - nur mich. Das ist so schön.


Man konnte wirklich nicht behaupten, dass besonders viel passiert wäre, während Vera sich in ihrem Unterschlupf aufhielt - zumindest nicht innerhalb der vier Wände in denen sie sich aufhielt. Kurz nach dem Bernd verschwunden war tauchte Laila ziemlich erschöpft auf, kommentierte noch kurz, dass Vera nicht lange überleben könne, wenn ich mein Brot weiterhin an die Ratten verfüttern würde, legte sich noch während dem Reden auf das Stroh und war eingeschlafen kaum dass sie zu Ende geredet hatte. Alfred war gegen Mittag irgendwann wiedergekommen und gleich ins Nebenzimmer verschwunden, war jedoch nach einem kurzen Streit mit Bernd, den sie zwar hörte aber nicht deutlich genug verstand um den Inhalt festlegen zu können, wieder wütend aus dem Haus gegangen. Seitdem hörte man nur gelegentlich unverständliche Selbstgespräche von nebenan und der Kreaturenmasse vor dem Haus. Ansonsten passierte nichts.


Alle reden immer nur das selbe. Keiner von ihnen sagt mir die Wahrheit. Sie sind verkrampft oder übermäßig freundlich. Alles so künstlich und leer.


Damien betrat eine Taverne in dem Viertel der Stadt, in dem sich überwiegend Untote und sozial Benachteiligte Bürger Ankh-Morporks aufhielten. Er hatte den Auftrag sich nach einem blassen Mädchen mit pechschwarzen Haaren umzusehen, dass durch ihr gepflegtes Erscheinen in diesem Stadtteil auffallen sollte. Er hatte bisher schon so einige Tavernen und Treffpunkte von jungen Leuten abgesucht, die vorwiegend von deutlich besser betuchten Bürgern besucht wurden. Jedoch blieb seine Suche bisher ohne jeglichen Erfolg, bis jemand eine spöttische Bemerkung über die Beschreibung des Mädchens machten und meinte wenn er nach Vampiren suche, sei er im falschen Bereich Ankh-Morporks. Nun ja, wer für einen Vampir gehalten wird, fällt unter Vampiren am wenigsten auf, selbst wenn entsprechende Person aus gutem Hause kam. Der Hauptgefreite ging auf George den alten Wirt der Taverne zu - er war ein alter Bekannter Damiens mit gutem Gedächtnis, ihm entging keines der Wesen, die seine Bar betraten und was er einmal hörte, vergaß er sobald nicht mehr; was seine Brille anging wusste er selten, wo er sie hatte - und setzte sich dort zu ihm an die Bar.
"Ein Bier, der Herr?", fragte der alte Mann ohne von seinem Glas, dessen Schmutz gleichmäßig auf der Oberfläche verteilt werden musste, aufzublicken, "Oder lieber ein Schlücken Rattenblut aus eigener Züchtung?"
"Und was hätten sie gesagt, wenn sich nun eine Dame zu ihnen gesellt hätte?", antwortete Damien. "Dann müsste es schon eine Dame mit einem sehr groben Gang und tiefer Stimme sein.", erwiderte der Wirt, "Jedoch habt ihr mir noch nicht geantwortet."
"Ein paar Antworten würden mir auch reichen."
"Je nach Fragen kannst du sie haben.", antwortete der alte Mann bereitwillig, betrachtete das Glas mit einem prüfenden Blick und lächelte den Gast schließlich erwartungsvoll an.
"Ich suche ein Mädchen..."
"Die Näherinnengilde befindet sich in einem anderen Viertel."
"Ich mein ein bestimmtes Mädchen!"
"Achso, sag das doch!"
"Schwarze Haare, bleiche Haut, dürfte recht gepflegt aussehen. Sie ist aus gutem Hause.", wiederholte Damien erneut die ihm vorgegebene Beschreibung.
"Da suchst du hier trotzdem in der falschen Ecke, Junge. Ich glaub hier ist noch nie ein Mädchen aus gutem Hause hereingekommen, wenn es nicht von der Wache war", antwortete der Wirt.
"Gehört hast du von ihr auch nichts, oder?", hackte Damien nach.
"Nein!", antwortete George entschieden. Damien machte sich schon bereit enttäuscht umzukehren, da hörte er erneut die Stimme des Wirtes: "Wobei... warte! Einer der Gäste hat gestern im Suff von einer, wie er es nannte, geilen Braut erzählt. Blutjung soll sie gewesen sein, schneeweiß und rabenschwarzes Haar. Hat er zumindest vor sich hin gestammelt."
"Und wer hat das erzählt?", freute sich Damien über den Anhaltspunkt, nach dem er sich schon den ganzen Tag die Füße wund gelaufen hatte.
"Das war der Bernd", erinnerte sich George.
"Und wo find ich den?", stocherte Damien weiter.
"Ach, keine Ahnung, wo der sich sonst so umtreibt!", vernahmen Damiens enttäuschte Ohren den Wirt, "Aber du kannst ja Alfred den Hünen fragen", lächelte der alte Mann, "Da drüben sitzt er und nippt schon seit fast ner Stunde an seinem Bier. ...Ich glaube den beschäftigt was."
"Danke, George. Wird Zeit, dass ich ihn beschäftige."
"Keine Ursache, Junge."


Wut! - unbegründet, aber vorhanden. Seit wann das schon so ist weiß ich nicht. Sie sind alle gleich! Ich hasse das!


"D - das ist meine erste Anstellung in einem so vornehmen Haus wissen sie?", Hildegard klammerte sich förmlich an ihr Tablett, "Ich w - wusste nicht was ich von ihren Launen halten sollte, wissen sie? Das junge Fräulein hatte viele Launen.", sie überlegte, "M - manchmal wenn ich an die Zimmertür klopfte um ihr den Tee zu bringen, antwortete sie nicht u -und wenn ich einfach eintrat, saß sie nur unbeweglich auf ihrem Bett und funkelte mich so finster an. O - oder sie ging auf mich los und brüllte mich an wie unfähig ich doch sei.", sie blickte Sallien unsicher an, "A - einmal hat sie sich totgestellt. Das war das schlimmste! Nein... das schlimmste kam, als sie mich einmal gelobt hat.", das Zimmermädchen schauderte, "Diesen Blick werde ich nie vergessen."
"So schrecklich?", fragte die Wächterin.
Hildegard schüttelte beängstigt den Kopf: "So leer."
"Immer Extrawunsch sie hat! Und iss viel wenig!", regte sich Wassiliki auf, "Nix schmecken Prinzessin von Kürbis! Alles bringen Hildegard zurück! Nur Tee trinken! Nur Tee!", der Koch gestikulierte wild, "Wie sie leben, frag ich? Von Luft?"
"Eigentlich wollte ich wissen ob sie mir etwas von ihrem Verschwinden sagen können?", erklärte die Gefreite Sallien ihr Anliegen.
"Nein!", winkte der Koch ab, "Fräulein oft kein Essen wünschen. Für Tage nicht! Fräulein nix gewollt und ich nix gewusst, weil oft! Nur wissen, dass Nixnutz Küchenjunge viel zu lange hat gesucht und nix gebracht! Nicht Fräulein und nicht Abspül!"
Die Wächterin nickte nur verständnisvoll und wagte es nicht sich vom Fleck zu rühren bis der Koch seinen Monolog beendet hatte.
"Och, das Fräulein war oft im Garten! Ein bezauberndes Geschöpf, egal was die anderen Angestellten sagen! Meistens badete sie drüben im Teich, gleich neben dem Eingang der Vorratskammer", schwärmte der Gärtner des Hauses von seiner Herrin, "Ich hab die Hecke nur deswegen extra dicht gezüchtet!"
"Können sie mir etwas über ihr Verschwinden erzählen?", definierte der Vektor ihre Interessen bezüglich der Vermissten.
"Nicht direkt, leider. Ich war ja nicht dabei. Aber ich kann mir vorstellen, dass sie entführt wurde!", versicherte der Herr in der grünen Latzhose.
"Wie kommen sie darauf?"
"Nun abends wenn ich nach Feierabend hin und wieder noch mal in den Garten kam, sah ich wie genau dort, gegenüber vom Fenster des jungen Fräuleins, jemand saß und sie beobachtete. Als ich näher kam verschwand er hinter dem Gebüsch und lief auf der anderen Seite weg. Und hin und wieder stand am Morgen meine Leiter im Lagerhäuschen ganz anders als vorher."
"Um der Wahrheit zu entsprechen, fiel mir am besagten Morgen nichts besonders Auffälliges an dem jungen Fräulein auf", Gustav stolzierte während dem Reden durch die labyrinthartigen Flure des Hauses, "Sie gab sich viel Mühe ihren Eltern während des Frühstücks nicht ins Gesicht sehen zu müssen und antwortete nur unwillig auf die - zugegeben recht einfallslosen - Fragen ihres Vaters. Sie aß nicht viel und verließ das Haus schon sehr bald. Ich machte mir auch keine besonderen Sorgen, als ich bemerkte, dass sie noch nicht daheim war, obwohl sie es schon längst hätte sein können, weil dies auch nicht zum ersten Mal geschah. Sie führte hin und wieder gerne Gespräche außerhalb der verabredeten Zeiten mit ihrer Schulpsychologin. Lieber das, als daheim verkrampfte Gespräche mit ihrem Vater zu führen, erklärte sie mir immer, wenn es wieder dazu kam."
"Was ist mit der gnä Frau?", wunderte sich die Wächterin, "Sie schien mir sehr gesprächig, als ich sie traf."
Der Butler holte tief Luft: "Für das Fräulein Olivera existiert die gnä Frau nicht. Zumindest hat sie es geschafft die Gattin ihres Vaters aus ihrer Wahrnehmung und Erinnerung zu löschen. Was zu Folge hatte, dass sie sich ihre Wut auf ihren Vater nicht erklären konnte. Und weshalb sie oft mit psychischen Kurzschlüssen zu kämpfen hatte."
Er machte eine Pause, "Jedenfalls - um auf ihr Ursprüngliches Anliegen zurückzukommen - an besagtem Tage war ich sehr beschäftigt, weshalb das Kindermädchen dem Herrn Klavierlehrer die Türe öffnete und ihn vertrösten musste. Dieser war schon immer recht ungeduldig und wartete nur ungern auf seine Schüler. Olivera vermied es für gewöhnlich Konflikten zu begegnen und kam immer rechtzeitig zum Unterricht. Zudem ihr das Klavierspielen eine Abwechslung bot und deutlich besser tat, als die stundenlangen Aufenthalte im Garten. Den Rest des Geschehens wissen Sie ja bereits."


Aber seit kurzem ist da noch was anderes. Es ist so ganz anders als Wut und füllt die Leere in mir auf.


Olga-Maria machte gerade einige Zeichnungen von ein paar verwischten Fußabdrücken zwischen Bett und Fenster, als die Tür hinter ihr ein knarzend-knackendes Geräusch verursachte. Sie warf einen Blick über die Schulter: "Ah! Hallo Sally. Was Interessantes erfahren?"
Ihre Partnerin betrat das Zimmer: "Die Tür ist vielleicht zugerichtet... hätte beinah ich sein können.", sie stockte, "Ich wars aber nicht oder?"
"Nein, der Küchenjunge - wie hieß der doch gleich? Irgendwas auf N - egal. Er hat mir geholfen die Tür aufzubrechen, weil sie abgesperrt war. Dummerweise hatten die Eltern genau für dieses Zimmer keinen Schlüssel."
"Aso..."
"Du hast meine Frage nicht beantwortet."
Die Vektorin schreckte auf: "Äh ja genau. Wir haben ein Mädchen, das irgendwo zwischen Teufel und Engel schwankt, je nachdem wo sie sich befindet, ihre Stiefmutter - die Dame dessen Bekanntschaft wir machen durften - nicht wahrnimmt und ihren Vater grundlos hasst. Außerdem wird sie bespannt, besucht die Schulpsychologin, isst nichts, badet dafür umso öfter im Gartenteich und geht Konflikten aus dem Weg. Klingt doch fast nach einer typischen Tochter aus gutem Hause."
"Wieso fast?"
"Das mit den Konflikten passt nicht ganz rein - aber so was solls ja auch geben. Und was gibts bei dir?" Olga-Maria stand auf um das Zimmer zu überblicken.
"Einige Stofffetzen im Kleiderschrank, bei denen der Großteil des Kleides fehlt; ein wirres Tagebuch in der hintersten Ecke der Schreibtischschublade; Notenblätter mit gekrakelten Noten, sowohl in den Schubladen als auch im Mülleimer; die übrigen Schulhefte und mehr als nur einen Spanner. Guck dir mal die Fußspuren hier an."
Gefreite Sallien trat näher an ihre Kollegin von SUSI und betrachtete die Fußspuren am Fenster. Es waren keine Schuhabdrucke und sie beschränkten sich hauptsächlich auf den Raum zwischen Bett und Fenster. "Ein Einbrecher?", fragte die Vektorin.
"Wohl kaum. Am Fenster sind keinerlei Anzeichen auf ein gewaltsames Eindringen. Nur schmutzige Fingerabdrücke", widersprach die Tatortwächterin.
"Dann wirds wohl ein Verehrer gewesen sein. Oder das Fräulein selbst schlich sich nachts aus dem Fenster und später wieder rein. Immerhin ist direkt neben an das Schlafzimmer der Eltern", überlegte die Wasserspeierin.
"Müssten die das dann nicht in jedem Falle bemerken?", wand Olga-Maria ein. Sallien tapste vorsichtig zum Fenster, um keine Fußabdrucke zu verwischen und beugte sich hinaus.
"Nicht wenn sich, wie in diesem Falle, das Fester des Elternschlafzimmers auf der anderen Seite dieser Hausecke befindet.", erklärte Sallien, "Es geht leiser sich rauszuschleichen, als sich hier zu zweit aufzuhalten." Olga-Marias Wangen röteten sich leicht, als sie erkannte, was Sallien zu meinen schien.


Ich halts hier nicht mehr aus! Ich muss hier raus! Weg! Egal wohin! Nur weg!


Zwischenzeitig hatte sich Vera dazu bewegen lassen etwas Brot zu sich zu nehmen. Es wunderte sie wie unerwartet viel in diesem Teil AnkhMorporks los war. Drei Schlägereien hatte sie beobachtet, sieben Dienstähle, zwei davon unlizenziert und Betrunkene zu jeder Tageszeit. Und das waren nur die Dinge, die sie durch ihr Fenster gesehen hatte. Sie hatte lange überlegt, weshalb sie überhaupt hier war und viele Theorien aufgestellt, durchdacht und weggeschmissen. Sie kam zu dem Schluss zu warten. Auf jemand bestimmten zu warten. Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit er sie hier abgesetzt hatte. Das war am Nachmittag des Vortages. Ein hübscher Junge war er, sehr nett und einfühlend und was am wichtigsten war, er tat was sie ihm auftrug. Sicher brauchte sie Geduld, aber das würde sich lohnen. Laila atmete leise vor sich hin und schien von einer anderen Welt zu träumen. Von einer Welt aus der jeder, der sie kennt fliehen will und alle anderen sich dorthin sehnen. Ja, Vera brauchte jetzt nur noch abzuwarten. Es war ein leichtes herzukommen, doch wie sollte sie weiter gehen? Erst mal warten. Auf ihn.


Ja, bald ist es so weit! Dann verlasse ich diese Leere! Dann bin ich sie endlich los!


"Hier ist das Familiengrab des Hauses von Schnitters", erklärte der Gärtner. Er hatte sich bereit erklärt der Gefreiten Olga-Maria den Garten zu zeigen. Diese blickte über ein riesiges Areal von Wiesen und auf all die zwischen den ganzen blühenden Bäumen und Büschen stehenden Gräber.
"Ich dachte nicht, dass diese Familie so viele Verstorbene Angehörige hat."
"Ach was! Gar nicht!", winkte der Gärtner ab, "Das Familiengrab ist nur diese Ecke hier. Der Rest wird vermietet. Damit verdient der Herr von Schnitters seinen Unterhalt, wisst ihr."
"Er ist Totengräber?", wunderte sich die Gefreite.
"Er selber nennt es ein Bäschtattunksuntärnämen, was er da führt.", erklärte er, "Er vermietet zwei drei Quadratmeter, damit die Angehörigen ihre Toten da begraben und die Gräber irgendwie mit Blumen oder was bepflanzen können. Und den Rest vom Friedhof darf ich dann pflegen."
"Interessant..."
"Also hier ist das Grab von Madam Olivia von Schnitters und dort das Doppelgrab ihrer Eltern", der Gärtner führte sie zu den entsprechenden Gräbern, "Zu schade, dass ich nicht alt genug bin um ihnen auch noch gedient haben zu können. Die Madam war ein ebenso zauberhaftes Wesen, wie ihre Tochter es nun ist. Der Herr von Schnitter hatte mit ihr einen Glücksgriff, wenn sie mich fragen. Die jetzige Frau von Schnitters ist ein Wesen der Hölle! Schlechter Umgang für das Fräulein - sehr schlecht!"
Olga-Maria setzte sich in die Hocke und machte ein paar Skizzen von den Gräbern: "Wie kommen sie darauf?"
Der Mann sah sie verwundert an und sagte als wäre es eine Offensichtlichkeit: "Na diese Frau will das werte Fräulein um ihr Vermögen bringen! Deshalb hat sie es auch entführen lassen! Da bin ich mir sicher!"


Keiner wird mich vermissen! Niemand wird es merken. Nur er würde es merken, aber das ist egal. Er kommt einfach mit.


"Was wir über Olivera von Schnitters wissen?", die drei Mädchen blickten erstaunt über die Frage zu der Gefreiten Sallien hinunter, "Praktisch gar nichts!"
"Da können Sie fragen, wen Sie wollen!"
"Die meisten kennen nicht mal ihren Namen!"
"Aber jeder weiß von wem Sie sprechen, wenn die von der Totengräberin sprechen!"
Sallien blickte die Mädchen aufmerksam an.
"Ja genau! Eine unangenehme Person!"
"Und eine Streberin dazu!"
"Die hat total den Schuss weg!"
"Und dieser leere Blick immer!"
"Genau! Als hätte sie sich selber begraben.", das Mädchen machte einen Zombie nach und die anderen fingen an zu kichern.
"Gibt es hier niemanden, der sie näher kennt?", hackte die Vektorin nach.
"Nein. Es sei denn Sie finden jemanden der noch unscheinbarer ist als Sie."
"Und damit praktisch nicht existiert - oder zu mindest nicht als solche wahrgenommen wird."
"Das heißt Herr Dr. Buckel dürfte sie recht gut kennen."
"Und wenn nicht lernt er sie bald kennen! So alt wie der ist!" Erneut brach ein hysterisches Gekicher aus.
"Oli - Olive - AH! Genau! Das Fräulein Olivera von Schnitters!", erinnerte sich der bucklige alte Lehrer und kämmte mit seinen dünnen Fingern seinen Bart, "Ein hübsches Mädchen. Unscheinbar, aber hübsch. Und hervorragende Noten hat sie! Wenn man mal von Geschichte und Sport absieht.", er nickte und überlegte, "Was ist denn mit ihr passiert?"
"Nun ja. Das Fräulein wird seit gestern Nachmittag vermisst. Ich wollte fragen, ob sie denn in der Schule gewesen ist und ob sie etwas Ungewöhnliches an ihr bemerkten?", erklärte Sallien ihr Anliegen, während sie einem Lehrer auswich, der eben das Lehrerzimmer betreten wollte.
"Nein!"
"Nein?"
"Nein", Herr Dr. Buckel sah sie ernst an, "Ein kränkliches Mädchen das Fräulein. War oft nicht da und wenn sie da war glänzte sie mit ihren Leistungen - außer in besagten Fächern. Aber gestern hab ich sie nicht bemerkt."
Sallien nickte bedeutungsvoll: "Ist denn zufällig die Schulpsychologin zu sprechen?"
"Wieso? Haben sie Probleme mit ihren Mitschülern, Fräulein?"
"Guten Tag Frau Finkenstein."
"Was soll daran denn gut sein?!"
Die Vektorin war von dieser Reaktion etwas verdutzt, beschloss jedoch darüber hinweg zu sehen: "Ich hätte da ein paar Fragen an sie, bezüglich Olivera von Schnitters."
"Ach du jemine! Diese Nervensäge schon wieder!"
"Äh.. Bitte?"
Frau Finkenstein blickte Sallien über ihren Brillenrand hinweg an: "Das Mädchen ist der schlimmste Fall der mir seit langem untergekommen ist! Ein Genie - ohne Zweifel, aber ihr Benehmen!", die Dame seufzte erschöpft auf, "Wenn sie mal da ist, landet sie am Ende des Schultages bei mir! Meist wegen Streitereien mit ihrem Spiegelbild oder wegen Schlägereien mit anderen Schülerinnen. Anstrengendes Mädchen! Und dann lässt sie auch noch kaum mit sich reden!"
"Wissen sie, weshalb sie solche Probleme hat?", erkundigte sich die Wächterin.
"Woher denn!? Sie lässt ja nicht mit sich reden!"
"Haben sie denn nicht versucht zu ihr vorzudringen oder zumindest ihre Eltern kontaktiert?", wunderte sich die Wasserspeierin.
"Welche Eltern?", höhnte Frau Finkenstein, "Wenn die noch lebendig sind, fress ich n Besen! Ich schreib an Friedrich von Schnitters und herkommen tut ein Gustav mit der Entschuldigung der Herr habe zu tun. HA!"
"Dankeschön..."


Es wird Zeit. Ich muss endlich handeln.


Dieser Alfred war ja wohl ein Reinfall!, ärgerte sich Damien, Schlägt mir einfach die Fresse ein und verzieht sich. Der Szenekenner ging unauffällig um eine Ecke und blickte sich um, Naja, selber schuld, wenn ich so unvorsichtig bin. Zumindest ist er nicht gerade unbekannt in dieser Gegend. Wo steckt nur dieser Freak?

Und wenn sie es doch merken? Würden sie sich freuen? Oder würdest du um mich weinen, Vater? Nein, sicher nicht. Nicht um mich, sondern um dein Geld würdest du weinen. Hab ich Recht, Vater?


Laaangwaaailiiiig... Der Terrier saß nun schon seit ner ganzen Weile auf diesem Regal und wartete darauf, dass hier etwas passierte. Das Arbeitszimmer des Herren von Schnitters war sehr geräumig und ebenso stickig. Neflie hatte keine besonders gute Aussicht auf die Unterlagen, die der Herr gerade bearbeitete. Jedoch schienen diese ebenso uninteressant, wie die restlichen Unterlagen, die sich hier in den Regalen befanden. Der Gnom seufzte auf und lehnte sich an die Wand des Regals. Es klopfte kurz an der Türe und bevor Schnitters noch ein "Herein" hätte brummen können, trat seine Gattin auch schon ein: "Friedrich! Was machst du da?"
"Meine Arbeit, Schatz."
"Dass du ausgerechnet jetzt an so was überhaupt nur denken kannst!", empörte sie sich.
"Woran sollte ich deiner Meinung nach denn sonst denken?", der Herr blickte für sie von seinem Blatt auf.
"An diese Wächter zum Beispiel!", entsetzte sich die Hausherrin, "Überall schnüffeln die rum! Selbst das Familiengrab haben die untersucht! Und in der Schule haben die rumgeschnüffelt! Was wenn die auch noch deine Unterlagen durchsuchen!?" Neflie schielte mit einem unschuldigen Grinsen auf den Ordner neben sich, Tja, was wäre wenn...
"Du bist dir doch bewusst was sie dort finden könnten?" Hier wurde der Terrier aufmerksam.
"Wenn du das Testament meinst, mach dir keine Sorgen darum", beruhigte sie ihr Mann. "Und wieso bitte nicht?"
"Weil es am Familiengrab in Stein gemeißelt ist und sie es wahrscheinlich längst gefunden haben.", erklärte Friedrich, "Außerdem hab ich dir schon mehrfach gesagt, dass ich mich daran halten werde und selbst, wenn du sie umbringen solltest, wirst du keinen AM-Dollar von dem Erbe besitzen. Find dich damit ab."
"W - wie kannst du nur!", Margott stockte vor Wut, "Macht es dir gar nichts aus, dass alles was du erarbeitest diesem Balg gehört?"
"DIESES BALG IST IMMER NOCH MEINE TOCHTER!", schrie Friedrich seine Frau an, "Und wenn du weiterhin die Vorteile deines Standes in diesem Haus genießen willst, solltest du dich ein wenig zurückhalten!"
Neflie stieß einen leisen Pfiff aus. Während Margott vor Verzweiflung beinah zusammenbrach, wandte sich ihr Gemahl zum Fenster: "Sollte Olivera nicht zurückkommen, erbt ihre Tante Elke das Unternehmen und das Anwesen. Wenn wir Glück haben, darf ich weiterhin hier arbeiten. Gegen Lohn versteht sich. Das heißt wir müssen umziehen und wahrscheinlich wirst auch du arbeiten müssen."
Er betrachtete seine Gemahlin, wie sie sich wimmernd auf den Boden kniete und in Tränen ausbrach.
"Ist das so schlimm? Ist dir die Vorstellung in ein normales Leben zurückzukehren so zu wider? Hast du mich nur deswegen geheiratet und all den Ärger mit diesem Balg durchgemacht?" Nun brach Margott endgültig zusammen und blieb schluchzend auf dem Boden liegen, während ihr Gemahl das Zimmer verlies.
"Du bist wahrlich zu bemitleiden."
Neflie sah zu der Frau hinunter, die nun ganz allein da kauerte und etwas in sich hineinmurmelte. Er verstand es nicht genau, doch er glaubte zu hören
"Der Tod diesem Mädchen - wie ihre Augen schon tot sind! Oder mich soll der Teufel holen!"


Er wird mir sicher beistehen. Er wird mich niemals verraten. Er hat es mir versprochen!


"Guten Tag, Herr Gustav!", Sallien und Olga-Maria standen freundlich lächelnd in der Haustür. Der Butler sah sie skeptisch an und erkundigte sich schließlich höflich: "Hatte ihre Untersuchung Erfolg?" "Noch nicht ausreichend", die beiden Wächter traten ein und gingen den Flur entlang, "Hier gehts doch zur Küche lang, hab ich recht? Wir wollen nochmals ein paar Angestellte befragen. Wenn sie so freundlich wären mir die Angestellten zu zeigen, die letztens nach dem Fräulein gesucht haben."
"Aber sicher doch", der Butler eilte an die Spitze der Gruppe um diese anzuführen.
"Sag mal, Sally, was willst du von denen? Du hast sie doch schon befragt", Olga-Maria hetzte ein wenig hinter dem Tempo, das ihre Kollegin vorgab, hinterher.
"Ich hab mir das Tagebuch durchgelesen. Es ist relative wirr geschrieben, aber wenn ich mich nicht irre, muss einer der Angestellten hier wissen wo sie sich aufhält", erklärte die Vektorin.
"Wie kommen sie zu dieser Überzeugung, wenn ich fragen darf?", mischte sich Gustav in das Gespräch der Wächter.
"Sie schreibt, sie habe jemanden kennen gelernt, jedoch geht sie auf eine Mädchenschule und fällt dort auch nicht gerade positiv auf in ihrer Erscheinung. Außerdem ist sie der Überzeugung, dieser jemand würde ihr beistehen", erläuterte sie ihre Erkenntnisse, "Ich geh davon aus, dass sie recht häufigen Kontakt hatten und sich auch inzwischen relative nahe standen. Das heißt entweder ist es jemand von den Angestellten hier, oder jemand der sich hier des öfteren einschlich - wenn ich das richtig verstanden hab, war sie nicht besonders häufig auswärts."
Gustav nickte um zu signalisieren, dass er ihr soweit folgen konnte.
"Im ersteren Fall möchte ich die in Frage kommenden Angestellten befragen. Im letzteren Fall sehe ich kaum eine Chance ihn ausfindig zu machen.", sie überlegte kurz. "Wer käme denn da überhaupt in Frage?", fragte Olga-Maria in Gedanken.
"Das Fräulein hatte nur zu wenigen Angestellten Kontakt.", erklärte der Butler, "Außer mir kennt auch der Gärtner sie bereits seit ihrer frühen Kindheit, aber den würde ich ausschließen. Das neue Hausmädchen hat sich immer über ihre selten guten Launen beklagt und ansonsten fiele mir niemand ein mit dem sie Kontakt haben könnte."
"Der Koch hatte sich über ihre Essgewohnheiten beklagt.", warf Sallien ein. "Ihre Wünsche wurden ihm meist über das Hausmädchen ausgerichtet."
"Und der Teich? Der Gärtner sagte er befände sich neben der Vorratskammer und sie hätte oft dort gebadet.", überlegte sie weiter, "Könnte sie da nicht den Angestellten begegnet sein?"
"Mit Sicherheit", bestätigte der Butler
"Vorratskammer?", Herr Wassiliki sah die Wächterin entsetzt an, "Ich fast nie in Vorratskammer! Dort eng und klein! Immer schicken Nektarios. Nektarios faul und langsam, aber klein und gutes Auge hat. Immer bestes Gemüse aus Vorratskammer bringt!" Die beiden Wächterinnen sahen ihn verwirrt an.
"Nektarios ist Kuchenjunge. Dort", er zeigte auf einen schmächtigen jungen Mann, der auf der anderen Seite des Raums mit dem Schälen von Kartoffeln beschäftigt war.
"Danke der Herr", damit gingen die beiden Gefreiten zu dem Jungen, auf den gerade gedeutet wurde. "Guten Tag. Dürften wir ihnen ein paar Fragen stellen?"
Der Junge sah sie unsicher an: "I - ich hab nichts verbrochen, ehrlich!"
"Davon ist hier niemand ausgegangen", beruhigte ihn die Wasserspeierin, "Ihr habt gestern nach dem Fräulein Olivera gesucht, hab ich recht?".
Der Küchenjunge nickte.
"Der Butler, Gustav, sagte Ihr wärt als letzter des Suchtrupps zurückgekehrt. Wie soll ich sagen - lag Euch ein besonderes Anliegen daran, das Fräulein zu finden?"
"Nun ja, irgendwie -", er sah die Wächter unwillig an, "Um ehrlich zu sein, hab ich mich ein wenig in der Stadt verlaufen."
"Achso", Sallien nickte verständnisvoll, "Sie haben das Fräulein also gar nicht gekannt?"
"Ich habe sie mehrfach flüchtig gesehen, wenn sie im Teich badete, a - aber ich hab sofort wegegesehen! Ehrlich!"
"Sicher!", Sallien warf einen Blick zu ihrer Kollegin. Diese blickte ein wenig erstaunt zurück, dann verfärbten sich ihre Wangen rötlich und sie beugte sich mit einem Lächeln zu Nektarios vor: "Sag mal, so ganz unter uns, war sie hübsch?"
Der Küchengehilfe sah sie entsetzt an und wurde zugleich deutlich verlegen: "S - sehr sogar."
Olga-Maria grinste: "Und hättest du sie nicht gerne angesprochen?"
"Wä -", er stockte und lief rot an, "D - das war gar nicht nötig. Sie hat mich angesprochen."
"War sie nett?"
"Und wie! S - sie war so bezaubernd", er blickte ein wenig verträumt zu Boden.
"Habt ihr euch wiedergetroffen?"
Er nickte.
"Vielleicht in den letzten paar Tagen."
Er stutzte.
"Um gemeinsam zu fliehen."
Er starrte schockiert zu Boden.
"Oder zumindest um sie an einen Ort zu bringen, an dem sie sicher darauf warten würde, dass du nachkommst."
"N - nicht doch!"
Sallien holte das Tagebuch, das sie gefunden hatten, aus der Tasche: "Das hier hat Olivera geschrieben.", sie blätterte ein wenig demonstrativ darin, "Ich hab es nur überflogen, aber sie schreibt darin hauptsächlich von einer unerklärlichen Wut und einer künstlichen Leere ", sie sah zu ihm auf, "Aber auf den letzten paar Seiten schreibt sie von einem Er und einem Gefühl, das sie vorher anscheinend so nicht kannte. Es gibt nicht viele Ers, die in Frage kämen, daher wäre es einfacher, wenn du einfach kooperierst und uns sagst wo sie sich befindet."
"A - aber ich hab ihr doch versprochen nichts zu sagen!", er sah die beiden Wächterinnen völlig verzweifelt an, "Ehrlich! Ich kann es euch nicht sagen! Ich weiß es eigentlich selbst nicht so genau. Eine Bekannte von mir hat sie bei sich aufgenommen, nur weiß ich nicht wo sie wohnt, weil ich sie nie besucht habe."
Die beiden Wächterinnen seufzten genervt.
"Ja, braves kleines Täubchen. Ganz ruhig. Wir bringen dich jetzt zu deinen Besitzern", der Gärtner tätschelte die Taube beruhigend, während er die Küche betrat, "Ah! Die Fräulein Gefreiten sind noch da! Welch ein Glück", er kam fröhlich lächelnd auf die beiden zu und zeigte den gefundenen Vogel, "Das Täubchen hier kam mir grade zugefl -", als ihm plötzlich ein gellendes Geschrei entgegenkam.
"WAAH!! TU SIE WEG! TU DAS VIEH WEG!! BLEIB MIR FERN!!" Sallien kauerte nur noch am Boden und drängte sich gegen einen Küchenschrank, "TU SIE WEG, SAG ICH! HALT SIE MIR FERN!!"
"Aber, aber! Ist ja schon gut. Ich werde das Täubchen bei mir behalten. Beruhigen Sie sich nur, Fräulein Gefreite", er drückte die Taube an seine Brust und ließ sie unter seinem Latz verschwinden, "Hätte ja nicht gedacht, dass Sie so reinlich sind."
"Was wollen Sie denn mit der Taube?", fragte Olga-Maria, während sie ihrer hyperventilierenden Kollegin Luft zufächelte.
"Ah! Ja genau. Das Täubchen hatte diesen Zettel hier dabei", der Gärtner holte einen Papierfetzen aus der Hosentasche und reichte ihn der Tatortwächterin, während Sallien mit starrem Blick auf die versteckte Taube bereits wieder zusammenzuckte.

Habe sie gefunden. Treffen uns an der Blutarm-Taverne.
Gez. Hauptgefreiter Damien G. Bleicht



Jetzt ist es so weit. Morgen nach dem Frühstück bin ich diese künstliche Leere endlich los!


Laila knetete gerade den Teig für ein Laib Brot zusammen um ihn gleich in der Küche zu backen, während Vera sich immer noch kaum rührte und inzwischen ihren Gedanken nachhing. Sie dachte daran, wie sie ihn zum ersten Mal traf. Er war ihr nie vorher aufgefallen. Sie wollte sich eben im Gartenteich abkühlen, als es plötzlich im Gebüsch nebenan raschelte und eine Kartoffel herauskullerte. Wie in Trance schlich sie hin, hob die Kartoffel auf und schlüpfte durchs Gestrüpp. Und dann sah sie ihn. Hektisch hob er die Kartoffeln auf entschuldigte sich ununterbrochen für seine Störung. Er war ganz rot angelaufen und versuchte sie nicht direkt anzusehen. Er war schon am Gehen, als sie ihn nochmals aufgehalten hatte. Er hatte eine der Kartoffeln vergessen. Die, die sie in der Hand hielt. Wie reizend sie ihn doch gefunden hatte. Nie hatte sie jemand vergleichbaren erlebt. Er hatte auch nie jemand vergleichbares erlebt, allerdings hatte er auch noch nie etwas zu den Wächtern vergleichbares erlebt. Waren Tauben nicht eigentlich ein Hauptnahrungsmittel von Wasserspeiern? Nektarios schlich den Wächtern hinterher um sicher zu stellen, dass sie seiner Liebsten kein Haar krümmten. Zugegeben - er war nicht gerade ein Held, aber immerhin hatte er sein Versprechen gehalten. Und er war am überlegen, ob er diesen Leuten, die ja eigentlich nur ihre Pflicht taten nicht doch versuchen sollte gut zuzureden. Immerhin kannte er ihre Methoden nicht - oder zumindest nicht gut. "Also gut!", er fasste sich ein Herz und lief den Wächtern hinterher.
"Ä - Entschuldigung!", Sallien erkannte die unüberhörbare Sorge in seiner Stimme zuerst und blieb stehen und die anderen Wächter somit auch.
"Was ist?"
"I - ich wollte ihnen meine Hilfe anbieten, wenn sie diese vielleicht benötigen?" Er erntete drei unverständige und leicht beleidigte Blicke, "I - ich mein Olivera kann recht - na ja - eigenwillig sein. Und auf mich ist sie meist gut zu sprechen und - na ja - vielleicht hilft es ja, wenn sie sich nicht aufregt...?"
Er blickte etwas unsicher in die Runde. Ein Moment der Stille herrschte innerhalb der Gruppe.
"Okay. Du gehst zuerst rein und warnst sie vor."
Laila hob den Teig gerade in eine Schüssel, als es kurz an der Tür klopfte und diese daraufhin sofort aufging. Unerwarteter weise stand Nektarios in der Tür und wie auf einen Startschuss hin sprang Vera von ihrer Decke und fiel ihm um den Hals.
"Ich hab gewartet! Nur auf dich hab ich gewartet!"
"Äh ja, ich weiß. Ähm.", er sah zu Laila, "Ist noch jemand zu Hause?"
" Nein.", sie wirkte im Gegensatz zu Vera ziemlich überrumpelt, "Ich - geh dann rüber den Teig fertig machen."
"Ja. Danke."
Damit war sie auch schon im Nebenzimmer verschwunden.
"V - Vera, ich bin nicht allein da.", begann Nektarios.
"Wen hast du denn mitgebracht?", sie blickte ihn erwartungsvoll an. Er schluckte und wandte den Blick von ihr, als er auf die offene Tür deutete: "D - die Stadtwache."


Dann bin ich endlich frei!


Olga -Maria Inös biss gerade herzhaft in ihr Sandwich, als sich Sallien zu ihr gesellte und ihren Teller mit einem undefinierbaren Brei auf den Tisch stellte.
"Guten Appetit!"
"Danke.", schmatzte Olga-Maria. Sie saßen gerade in der Kantine des Wachehauses und genossen ihre Mittagspause. Nun ja, mehr oder minder. Sallien stocherte eigentlich nur in Gedanken versunken in ihrem Essen herum, während Olga-Maria ihres genüsslich verzehrte. Schließlich bemerkte sie den abwesenden Blick ihres Gegenübers.
"Was ist denn los?"
"Hä? Ach nichts weiter", winkte diese ab, "Mich lassen manche Fälle nur nicht besonders schnell los. Das ist alles."
"Sprichst du von Schnitters?"
Sie nickte: "Ich hab gerade den Bericht abgegeben." Es herrschte kurz Ruhe zwischen den beiden. "Mit dem Ergebnis, dass wir die Vermisste zwar gefunden haben, aber wegen ihrer Volljährigkeit - sie ist vor kurzem 18 geworden - nicht wieder nach Hause bringen konnten. Und das witzigste ist: Madam Margott von Schnitters wurde tot in dem Arbeitszimmer ihres Mannes gefunden - Selbstmord. Sie hatte sich aus Verzweiflung mit dem Brieföffner erstochen."
"Was genau beschäftigt dich daran?", erkundigte sich Olga-Maria.
"Dass eine Familie ohne klaren Grund einfach so zu Bruch gegangen ist."

Es klingelte an der Tür. Immer wieder klingelte es. Und immer noch weiter. Beinahe torkelnde Schritte kamen langsam den Flur herunter.
"Meine Güte. Warum musste ich den Angestellten auch frei geben? Wenns n Vertreter ist, begrab ich ihn gleich hinterm Haus."
Die Haustüre der Villa von Schnitters wurde von innen geöffnet und blieb für einen Moment halboffen stehen. Mit glänzenden Augen und einem angedeuteten Lächeln sagte Vera "Guten Tag, Vater."
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