Man hört Geschichten, Mythen, Sagen, wüsste ich nur wo, ich würde es wagen. Für einen Kuss von ihren Lippen würde ich alles geben, was ich hab'! Mein Hab und Gut und meine Seele... (Schandmaul - "Das Seemannsgrab")
Dafür vergebene Note: 14
IEs schüttete mal wieder wie aus Eimern und die Katze auf dem Dach des schiefen Häuschens miaute kläglich gegen das Prasseln der Tropfen auf den Dachschindeln an. Mehrere Male wagte sie sich einen Schritt vor, nur um dann wieder ängstlich zurück zu schrecken, da sie die Entfernung Dach - Boden wohl als zu weit ansah.
"Jetzt komm endlich da runter!", keifte eine Stimme, ungefähr einen Meter unter dem Dach. Sie kam von einer gänzlich in einen grauen, vor Nässe fast schwarzen, Umhang gehüllten Person auf einer Treppe, die zu einer Tür im Dachgiebel führte. "Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit! Es kann doch nicht angehen dass du ständig von Dach zu Dach hüpfst und nur weil es einmal regnet sofort den Schwanz einziehst!"
Das völlig durchnässte Tier miaute noch kläglicher, als sei der Sprung vom Dach ein Ding der Unmöglichkeit.
"Sampo!", die Stimme klang nun spitz und schrill, "Wenn du nicht bei drei hier unten bist, dann ..." In den wütenden Aufschrei, der nun folgte, mischte sich ein Seufzer und Rea Dubiata zog sich wütend die Kapuze ab. "Jetzt ist aber Schluss!" Der Lance-Korporal zog den Umhang ganz aus und feuerte ihn in das einzige halbwegs trockene Plätzchen an diesem Ort: den Durchgang der Tür. Wutschnaubend erklomm Rea das rutschige Holz des Geländers und hangelte sich am Dach hoch, so dass sie aufrecht stand und dem kleinen, weißen Kater in die Augen sehen konnte. "Was ist nur mit dir los?", fragte sie und gebat ihm mit einem Nicken, auf ihrer Schulter Platz zu nehmen.
Der Kater versuchte, auf sie zuzugehen, doch auf dem glitschigen Dach verlor er den Halt, stockte und schob sich dann mit den Vorderbeinen zurück zu seinem Ausgangspunkt.
Rea zog sich noch ein kleines Stück am Dach hoch. Jetzt erst konnte sie erkennen, warum Sampo sich so zierte. Seine rechte Hinterpfote hing, seltsam verdreht, in einem breiten Riss einer Schindel.
"Ach, Sampo, wie hast du
das denn wieder hinbekommen, du kleiner Meister der Dächer du?"
Der kleine Kater sah Rea grießgrämig an, wie er es so gerne tat, wenn ihre Stimme in den Tonfall einer gewöhnlichen katzenliebenden Oma verfiel. Das eng anliegende, nasse Fell ließ ihn nicht freundlicher wirken.
"Ist ja schon gut, ich helfe dir", sagte der Lance-Korporal und schwang sich unter großer Anstrengung und einem abschließenden lauten Ächzen auf das Dach hinauf. Vorsichtig krabbelte Rea auf dem schrägen Dach nach oben, um näher an Sampo heranzukommen. Geschickt hob sie den Kater mit der einen Hand an, während sie mit der anderen sein Hinterbein umfasste.
"Tut mir Leid, wenn das jetzt weh tut, mein Lieber, aber sonst kommst du da nie raus", murmelte sie entschuldigend und zog dann mit aller Kraft in einem rechten Winkel zum Dach am Bein während sie äußerst instabil auf den Schindeln kniete.
"Na bi ..." wollte Rea sagen, als sie merkte, dass sich das Bein löste, doch im gleichen Moment verlor sie den Halt. Schreiend rutschte sie abwärts und schräg auf die andere Seite des Hauses hin, welche zum Ankh zeigte. Und dann merkte sie auch schon, wie das Dach aufhörte und die Luft begann. Im allerletzten Moment konnte sie mit der Hand die Kante greifen, die feucht nur wenig, aber zumindest etwas Halt bot. Sie spürte, wie die Knochen des Arms knackten, als ihr restliches Gewicht gebremst wurde - beinahe wäre sie abgerutscht. Doch nun konnte ihre zweite Hand aushelfen, denn Sampo war schon lange davon geschliddert, jedoch auf die andere Seite. Letztendlich hing sie da, sich an die Schindel klammernd und um Hilfe rufend, als sie eine Bewegung im Augenwinkel sah. Über ihr stand ein Mann, im Schwarz der Assassinen gekleidet, hager und grauhaarig und mit eisblauen Augen.
"Was für eine pikante Situation", flüsterte der Mann und lächelte ein hässliches, böses Lächeln. "Es geht da über vier Meter hinunter und selbst, wenn du den Aufprall auf dem Ankh überlebst, wer würde dich dort unten schon finden? Wer würde dir helfen?"
"Nein!", schrie die junge Frau. Tränen schossen in ihre Augen, Angst, für die sie bisher keine Zeit gehabt hatte, suchte ein Ventil. Das Bild verschwamm, als sich Regen und Tränen vermischten. "Nein!"
"Aber Ma'am! Fräulein Dubiata, ich will Ihnen doch nur helfen!", rief eine andere, jüngere Stimme.
Rea zwinkerte und verdrängte so das Wasser aus den Augen. Die Sicht wurde klarer und sie erkannte, dass dort nicht Hector Cobalt stand, der Mann, den sie getötet hatte, sondern Frans Staffel, Bäckerlehrling in der Bäckerei am anderen Ende der Schlechten Brücke. "Geben Sie mir ihre Hand!"
Mit letzter Kraft schwang Rea ihre Hand nach oben und fühlte den festen Druck, den Frans' Hand auf sie ausübte. Keine zehn Sekunden später hatte der kräftige Junge die kleine Frau zurück auf das Dach gehievt und half ihr schließlich auch wieder hinunter auf die Treppe, die zu Reas Stube führte.
"Danke, Frans. Darf ich mich mit einem Tee und ein bisschen Schokolade revanchieren?", fragte Rea, deren Gesicht vor Anstrengung gerötet war, was ihre weiße Narbe auf der Wange deutlich hervorhob.
"Gern, Ma'am, aber Sie sollten nich' mir danken, sondern ihrem Kater! Der hat ja fast lauter miaut als Sie geschrien haben. Außerdem wollte er seine Krallen nicht aus meinem Bein nehmen, bis ich die Treppe hochgerannt war." Der Junge grinste.
"Ohne den blöden Kater wäre es gar nicht soweit gekommen. Der musste ja unbedingt aufs Dach klettern!", maulte Rea, während sie die Haustür aufschloss und Frans einließ, bevor sie selbst folgte. Sie stellte eine Teekanne auf den Ofen und kramte in einer Schublade, aus der sie eine kleine Schachtel holte. "Ich hoffe, sie schmecken", sagte sie und reichte Frans die Pralinen. In diesem Moment sprang Sampo auf die Kommode und trippelte auf Rea zu. Sein Hinterbein schien seltsamerweise wieder in Ordnung zu sein und er suchte wie selbstverständlich seinen Platz auf Reas Schulter.
IISie hatte Rea beobachtet und sie wusste, was sie getan hatte. Die Geister ließen sie nicht los, auch das wusste Helena. Sie hatte Rea nie die wahre Zauberei gelehrt und das hatte Gründe gehabt. Gründe, die sie für kurze Zeit für nichtig gehalten hatte und dieser Funke Vertrauens, den Helena gehabt hatte, den sie Rea geschenkt hatte, hatte ein unkontrolliertes Feuer entfacht.
Das Schwierigste an der Hexerei war, sie nicht einzusetzen. Sie hatte geglaubt, Rea könne sie nicht einsetzen, wenn sie nicht wusste wie - doch alles war anders gekommen. Rea war in einen Hexenkessel voll kalten Wassers gefallen als ihr Geist war aus ihrem Körper verstoßen worden war. Und so hatte Rea das Borgen erlernt, hohe, Kraft raubende Magie, die sie lange hatte aushalten müssen. Und so kam man auf den Geschmack, sie nahm einen in Besitz, diese Magie, schleichend näherte sie sich und verschlang einen dann, wenn man am schwächsten war. Alleine, ohne Hilfe, hätte Rea einen Assassinen wohl kaum töten können, doch, ohne es zu wissen, hatte sie gehext, ihre Magie gegen das Leben eines Menschen angewendet. Auch wenn er noch so den Tod verdient hatte, dieser Hector Cobalt, sein Sterben hätte nicht durch ihre Hand herbeigeführt werden dürfen.
Sie hatte geglaubt, Rea stünde immer fest mit beiden Beinen auf dem Boden. Dies war eine derbe Fehleinschätzung gewesen. Natürlich war es zunächst reiner Überlebenstrieb gewesen, der sie dazu gebracht hatte, diese übermenschlichen Leistungen zu vollbringen, doch dann war es nur noch Rache gewesen.
Helena hatte geglaubt, Rea hätte die Kraft, Magie zu kontrollieren, doch sie war auf das Mädchen hereingefallen. Noch stand Rea vor einem Scheideweg, noch konnte sie sich entscheiden, welchen Weg sie ging. Und wenn Helena nicht eingriff, fürchtete die alte Frau, würde Rea wohl bald von der Magie kontrolliert werden.
Und doch fragte sie sich, wie aussichtsreich diese Sache wohl war. Rea war ein Dickkopf, sie hatte sich vor gut zwei Jahren von ihrer Ziehmutter abgewandt aus Gründen, die Helena bis heute nicht ganz verstand. Natürlich hatte Rea ihr zeigen wollen, wie erwachsen sie war, und sie hatte versucht zu zeigen, dass sie sehr wohl alleine mit allem fertig wurde. Das stimmte nur insoweit, wie sie nicht mit Magie in Berührung kam - und Magie war eine schwere Bürde. An ihr haftete eine Verantwortung, die Rea nun übermannt hatte.
Helena sah aus dem Fenster. Es hatte aufgehört zu schneien und wenn Helena den Besen nahm, würde sie nicht lange unterwegs sein.
IIIEs pochte gegen die schiefe Tür des renovierungsbedürftigen Bauernhofs. Es war ein nervöses Pochen, das kein Zögern zuließ. Eine dürre Frau schlurfte mit hängenden Schultern durch die Stube auf die Tür zu. Viele Schwangerschaften hatten die Schönheit ihres Körpers verblassen lassen. Nur in ihren Augen war ein Funke geblieben, der auf die einst vor Jugend blühenden Kurven schließen ließ. Sieben Kinder hatten die Kurven mit der Milch aufgezehrt. Nun ging sie zur Tür, ihr jüngstes in den Armen, dessen Last ihren Oberkörper nach unten zog.
"Wer ist da?", fragte sie ängstlich. Kaum jemand verirrte sich zu dieser Jahreszeit, in der der Schnee meterhoch auf den Wegen lag, auf ihren abgelegenen Hof.
"Mach auf, Weib!", rief eine ärgerliche Stimme von draußen.
Die Bäuerin drehte sich um und sah ihrem ältesten, fünfzehnjährigen Sohn fest in die Augen, der aus der Schlafkammer getreten war, um zu sehen was los war. Er begriff sofort und nahm den Schürhaken vom Kamin. Schnell ging er die wenigen Schritte zur Tür und stellte sich daneben. Erst dann öffnete die Bäuerin dem Fremden.
"Wurde aber auch Zeit! Bei allen Göttern ist
das kalt draußen!", sagte dieser, den schneebedeckten Hut tief ins Gesicht gezogen. Er trat über die Schwelle und schloss die Tür wieder, um die Kälte draußen zu halten.
"Was kann ich für Sie tun, Herr?", fragte die Bäuerin, während der Säugling auf ihrem Arm langsam erwachte.
"Ich weiß, dass vor wenigen Tagen eine Frau bei dir war. Sie hat dir etwas gegeben, nicht wahr?", sagte der Mann und setzte sich ungefragt auf einen der vielen, verschieden aussehenden Stühle, die um einen alten, welligen Tisch herumstanden. Der Schein des Feuers tanzte im Raum zusammen mit der gespenstischen Stille, die sich über ihn gelegt hatte. Der Junge hielt noch immer den Schürhaken in der Hand, doch sein Griff war lockerer geworden. Schweiß rann seinen Rücken hinunter und die Haare seines Nackens stellten sich auf.
"Wir sind ehrliche Leute, Herr", sagte er und versuchte, seine Stimme fest und mutig klingen zu lassen.
"Das bezweifle ich nicht. Ihr werdet ihr sicher etwas gegeben haben für das, was sie euch gab."
Ein weiteres Kind trat aus der Schlafkammer, ein kleines, dunkelhaariges Mädchen mit den gleichen, hellen Augen wie ihre Mutter. Sie schien keine zehn Jahre zu zählen und auf einen Wink ihrer Mutter nahm sie den kleinen Säugling, der inzwischen begonnen hatte, sich über die Kälte zu beschweren, und brachte ihn fort.
"Was wollt ihr?", fragte die Bäuerin noch einmal. "Wir haben nichts mehr von dem, was wir bekommen haben. Mein Mann kauft gerade zwei neue Kühe davon."
"Wirklich gar nichts mehr? Wie schade ..." Der Mann nahm einen kleinen Beutel von seinem Gürtel und legte ihn auf den Tisch. "Das könnte dein Glückstag sein, meine Liebe. Sicherlich hast du nicht
alles weggegeben. Ich kenne euch Frauen doch. Sag mir, was hast du ihr dafür gegeben?"
Der Junge räusperte sich. "Unsern alten Moritz, den Esel. Und einen Mantel und ein paar -"
Er stockte als er den Blick seiner Mutter sah, doch dann fuhr er fort: "... und ein paar Kleider und Proviant."
"Sehr großzügig von euch. Sicherlich habt ihr sie auch einige Tage hier beherbergt, der Wirt plaudert viel, wisst ihr? Nun, ihr könnt euch dieses Säcklein voller Silbermünzen verdienen, wenn ihr mir gebt, was ihr von ihrem Schmuck noch habt, und mir sagt, wohin sie wollte."
"Nein." Die Frau sah den Mann mit festem Blick an. "Ich weiß von nichts. Der Schmuck ist fort und sie sagte nicht, wohin sie wollte."
Der Mann hob zum ersten Mal den Kopf weit genug, dass man seine Augen sehen konnte. Sie waren dunkel und ... schön. Ein charmantes, trauriges Lächeln glitt über seine Lippen wie ein Aal, der sich in einem Fischernetz wand. Aus seinen Augen sprach Schmerz und seine Lippen bebten, als er erneut sprach. "Ich kann sie nicht alleine im Winter durch die Gegend ziehen lassen, du weißt wie gefährlich das ist, lass mich ihr helfen, bitte. Sie weiß nicht, was sie tut. Das Silber hier ist sicher mehr wert als dein ganzer Hof."
Die Bäuerin zischte ihrem Sohn etwas zu, was kaum zu verstehen war, doch der Junge schien die Bedeutung zu verstehen.
"Aber Mutter, wir brauchen das Geld, das weißt du!"
"Ich sehe, da wird wohl jemand einen guten Geschäftsmann abgeben, was?", fragte der Mann und zwinkerte, als schien er gemerkt zu haben, dass er eine Art Verbündeten gefunden hatte.. Er nahm den Beutel und schlenderte einige Schritte auf den Jungen zu.
"Fassen Sie ihn nicht an!", rief die Bäuerin und versuchte ihm zuvor zu kommen. Doch der Mann war schneller, man sah kaum, dass er sich bewegte. Wie ein Tänzer wandte er sich, stand mit einem Mal hinter dem Jungen und hielt ein Messer an dessen Kehle. Sein Mantel war der Bewegung kaum nachgekommen und hing für einige Momente praktisch regungslos in der Luft.
"Einen Schritt, Teuerste und du musst ein Maul weniger stopfen", sagte er, plötzlich wieder grimmig.
"Sie können nicht ... er hat damit doch nichts zu tun. Er ist doch noch ein Kind!", stammelte die Frau. Tränen kullerten aus ihren Augen.
"Ein Kind? Glaube ich kaum, nicht wahr?", flüsterte der Mann in das Ohr des Jungen. "Ein Mann bist du, und nun tu, was ein Mann tun muss."
Der Junge zitterte. "Bitte, Mutter, gib dem Herrn, was er will ..."
"Komm schon, Weib", sprach der Mann weiter. "Wer ist dir wichtiger, ein daher gelaufenes Mädchen oder dein Sohn?"
"Natalia, hol den kleinen Kasten unter dem Bett, und zwar schnell", rief die Bäuerin in die Schlafkammer.
Wenige Sekunden später kam das Mädchen, das noch vor wenigen Minuten ihrer Mutter den Säugling abgenommen hatte, wieder ins Zimmer. Sie trug eine winzige Schachtel und gab sie ihrer Mutter. Ängstlich huschten ihre Augen von dieser zu dem Fremden und dann zu ihrem Bruder.
"Sie ist nach Ankh-Morpork gegangen. Und diesen Ring habe ich behalten." Sie warf die Schachtel dem Mann zu, der das Säckchen mit Silbermünzen fallen ließ und das Schächtelchen fing.
"Geht doch. Gesegnet sei dieses Haus, einen schönen Abend noch!"
Mit wehendem Mantel drehte sich der Fremde um, zog den Hut noch tiefer ins Gesicht und verließ den Hof.
IVSie kam zu spät, das wusste sie. Aber an sich war es egal. Sie war bis jetzt zu jeder Schicht mit Cim pünktlich erschienen und
er hatte immer auf sich warten lassen, sie mehrere Mal sogar alleine auf Streife geschickt. Das würde heute, bei dem strömenden Regen, sicher nicht anders sein. Und was lernte sie schon beim Oberfeldwebel? Sie gingen schweigend die Route ab und sprachen kaum ein Wort, bis sie etwas sahen, das ihrer Aufmerksamkeit bedurfte. Die kleinen Streitereien der Marktfrauen hätte Rea auch alleine lösen können, besser wahrscheinlich auch, denn was ließ sich ein altes, dickes, in Lumpen gehülltes Weib schon von einem angetrunkenen Glatzkopf sagen? Nichts. Rea fragte sich allerdings auch, was sie sich von
ihr sagen lassen würden, denn immerhin sah sie mehr aus wie ein Mädchen als eine Frau. Vielleicht hätten sie ihren Streit über das Wangenkneifen hinweg vergessen.
Die Streifen mit Michael Machwas waren da schon lustiger. Häufig tauschten sie beide Fachwissen über die Medizin aus. Rea berichtete über die Krankheitsbilder, die sie als Gerichtsmedizinerin gesehen hatte und hatte auch sonst nette Geschichten über merkwürdige Todesfälle parat
[1], während Michael von erstaunlichen Errettungen von schon aufgegeben Verletzten und Kranken berichtete.
Rea klopfte an die Tür des Abteilungsleiters und wartete darauf, auf die übliche unfreundliche Art fortgeschickt zu werden. Stattdessen erklang ein knurrendes "Herein". Der Lance-Korporal öffnete die Tür, trat ein und sah den Oberfeldwebel am Fenster stehen.
"Du kommst zu spät!", sagte er gegen die Glasscheibe die aufgrund des warmen Atems beschlug.
"Nun, ich..."
"Keine Entschuldigungen, Rea", unterbrach Cim den Vektor in Ausbildung. "Du hast pünktlich zum Dienst zu erscheinen, Punkt!"
"Aber du bist doch auch immer -", setzte Rea trotzig von Neuem an.
"
Ich bin der Abteilunsgsleiter! Ich habe viel um die Ohren, falls du das nicht siehst." Mit saurer Miene zeigte er auf seinen Schreibtisch, auf dem ein einsames Stück Papier, eine braune Papiertüte und eine umgeworfene Kaffeetasse standen.
Der Lance-Korporal dachte nach. Cim wusste ebenso gut wie sie selbst, dass sie niemals zu spät kam, wenn es nicht einen triftigen Grund dafür gab. Und er wusste auch, dass er sich zuerst einmal an seine eigene Nase fassen musste, bevor er sie mit seinem Gerede wirklich einschüchtern konnte. Auf ihrer gemeinsamen Reise nach Cori Celesti hatten sich zu offenbarende Situationen ergeben, als dass Rea den üblichen Respekt vor Vorgesetzten dem Oberfeldwebel gegenüber hätte aufrecht erhalten können. Sie ließ sich nicht einfach so von
diesem Mann sagen, sie solle nicht zu spät kommen - aber jedes Wort dagegen war ein Schritt in die falsche Richtung. Rea sah Cim plötzlich schuldbewusst an, was den Oberfeldwebel mehr als erstaunte. "Ja, stimmt, du bist der Abteilungsleiter. Augenscheinlich bist du schwer beschäftigt. Ich werd' dann mal ..."
"Was wirst du?", der Oberfeldwebel sah sie verdattert an. Kein Funken Sarkasmus, kein bisschen Hohn war vom Lance-Korporal ausgegangen.
"Auf Streife gehen", erwiderte sie, hob das Kinn einen halben Zentimeter höher und wandte sich zum Gehen.
"Hör mal, Hexe ..."
Der Lance-Korporal drehte sich wieder um.
Der Oberfeldwebel schlenderte zum Schreibtisch und stützte sich mit beiden Händen darauf. "Wenn du mir nicht weiter Paroli bietest, ist die Sache nur halb so witzig", er grinste und zog eine Schublade auf. "Wenn du kein Rückgrat entwickelst, wirst du es als Vektor nicht weit bringen. Und der erste Schritt für ein gesundes Rückgrat ist Verantwortung, hast du mich verstanden?"
Der Lance-Korporal nickte, fragte sich jedoch, worauf Cim hinaus wollte. Sie sah, wie der Omnier etwas Kleines aus einer Schreibtischschublade holte und es sich eine Weile betrachtete.
"Vor einer Weile habe ich diese noch getragen ... und vor mir Rib - der hat sie sich wohl um den Hals gebunden. Schade, dass niemand dran gezogen hat", er zuckte die Schultern und winkte Rea näher. "Verantwortung, das bedeutet, dass jeder Fehler deiner Untergebenen auf dich zurückfällt. Keine Ausrutscher wie mit Esus."
Rea errötete und die Narbe an ihrer Wange blieb wieder einmal anschuldigend weiß.
"Ich möchte, dass du gewisse Aufgaben in dieser Abteilung übernimmst. Was genau, das werde ich dir später erklären. Grundsätzlich das, wofür ich weder Zeit noch Lust habe."
Rea runzelte die Stirn und betrachtete die beiden abgewetzten, silbernen Kordeln in Cims Hand.
"Ich?", fragte sie zweifelnd.
"Nein, der Schneevater", Cim verdrehte die Augen. Er hielt das Lametta dem Vektor in Ausbildung hin. Rea griff zögerlich danach und starrte eine Weile stirnrunzelnd darauf.
Sie hätte nie im Leben damit gerechnet. Sie war doch gerade erst zu SEALS gekommen. Zweifelnd starrte sie auf die Verantwortung, die da schwer in ihrer Hand lag.
"Wenn du nichts dagegen hast, können wir jetzt los." Cims Stimme klang aus weiter Entfernung zu ihr. Sie nickte.
VEin kalter Wind fuhr durch den Wald, der die kleine Hütte umgab. Noch immer lag zentimeterhoher Schnee und machte das Fortkommen selbst auf den Wegen schwieriger. Trotzdem kämpfte sich Emil mit einem vollen Korb durch den Schnee und hielt auf die Hütte zu. Als er sie endlich erreicht hatte, klopfte er zaghaft an die Tür.
Keine Antwort.
Er klopfte noch einmal.
Alles blieb still.
Der kleine Junge ging zum Fenster, stemmte sich am Fensterbrett hoch und hauchte gegen die Scheibe, um den Frost zu vertreiben, der die Sicht versperrte. Niemand war in der Stube. Auch kein Feuer brannte, nicht einmal Glut leuchtete im Kamin. War die alte Frau vielleicht gestürzt und konnte nicht mehr aufstehen? Lag sie irgendwo und brauchte Hilfe? Eigentlich konnte Emil sich das schwer vorstellen. Muttchen war eine sehr robuste und vor allen Dingen selbstständige Frau. Sie würde selbst dann Hilfe ablehnen, wenn sie sich nur noch mit dem kleinen Finger festhaltend über einem tiefen Abgrund befand. Trotzdem ... Dieser Frau hatte er vieles zu verdanken, unter anderem sein Leben. Ohne sie hätte er den Tritt der wild gewordenen Kuh wohl nie überlebt, den seine Mutter hochschwanger mit ihm während des Melkens erlitten hatte. Das sollte es wert sein, angefaucht zu werden, dass er sich in fremde Häuser schlich,
nur weil er sich Sorgen machte.
Er stapfte zurück zur Tür und öffnete sie. Sie war unverschlossen. Der Anblick, der sich ihm bot, war anders als sonst. Als er vor wenigen Monaten das letzte Mal hier gewesen war, hatte das Feuer eine kleine, übersichtliche Unordnung erhellt, die größtenteils aus verschiedenen, getrockneten Kräutern, aber auch aus Kochutensilien bestanden hatte. Heute waren alle Ablagen frei, nicht ein Blättchen, geschweige denn ein Kochlöffel, lag herum. Es war kalt und düster.
Emil ging zum Kamin, die Asche war herausgefegt worden, der Kessel war blank geputzt.
Neben dem Kamin führte eine Treppe ins obere Stockwerk. Er schluckte und entschied sich dann, auch dort nach Muttchen zu suchen. Doch das Schlafzimmer war leer und die Laken auf dem Bett so makellos glatt, dass es wirkte, als hätte dort nie ein Mensch gelegen.
Doch es gab noch eine weitere, kleine, schiefe Tür, die wie ein Besenschrank wirkte. Das musste das Zimmer des Mädchens gewesen sein, das lange bei Muttchen gewohnt hatte. Er hatte nie erfahren, wie es hieß, denn Muttchen hatte es immer nur "Kind" und "Sei still" genannt. Und auch wenn es den Anschein gehabt hatte, dass Muttchen das Mädchen nicht gemocht hatte, war sie doch seit seinem Weggang ganz anders geworden. Mürrischer hatte sie auf Emil gewirkt, und verbittert. Noch unnahbarer und schweigsamer als vorher. Es war ein kleiner Skandal gewesen, als das blonde Mädchen mit einem der Jungen aus dem Dorf angebändelt hatte. Muttchen und die Eltern des Jungen hatten sich sofort dagegen ausgesprochen: Muttchen, weil sie fand dass es sich für das Kind nicht ziemte, und die Eltern des Jungen, weil sie sich eine größere Mitgift von einer anderen Familie erhofft hatten. Kurz darauf war das Mädchen fortgegangen. Niemand wusste wohin, nicht einmal Muttchen schien es zu wissen, denn sie wies alle Fragen diesbezüglich ab.
Emil öffnete die Zimmertür. Die gesamte Unordnung des Hauses hatte sich in diesem (oder auf diesen) Raum konzentriert. Das Laken war vom Bett gerissen, einige Glasphiolen lagen als Scherben am Boden. Ihr Inhalt hatte farbige Stellen im Boden hinterlassen. Bücher lagen aufgeschlagen, teilweise sogar zerrissen herum und die Vorhänge vor dem winzigen Fenster waren zur Hälfte heruntergerissen. Alles war von einer dicken Staubschicht bedeckt. Emil lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, er drehte sich um und rannte die Treppe hinunter, zur Tür hinaus und durch den verschneiten Vorgarten. Keuchend rannte er durch seine eigenen Spuren zurück ins Dorf. Muttchen war nicht mehr da.
Hätte er aber eine Sekunde inne gehalten, so hätte er Spuren entdeckt, die aus dem Haus hinaus ein kleines Stück in den Vorgarten führten und dann im Nichts verschwanden.
VIDas Pferd galoppierte in sauberem Dreitakt über den schmalen Weg. Bäume verdunkelten bei dieser mondlosen Nacht den schmalen Pfad. Immer wieder rieben die Sporen in seine Flanken und der ungeschickte Reiter hopste schmerzhaft im Sattel auf und ab.
Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, stand ein Mann mitten auf dem Weg und breitete die Arme aus, als ob er das Ross freundlich umarmen wollte. Dieses jedoch schien der Einladung nicht folgen zu wollen, denn auch Pferde sind nicht allzu dumm, außerdem hatten sie gelernt, dass es nur Unglück brachte, einen Menschen tot zu trampeln. Die harte Hand, die die Zügel plötzlich straff zog, bestätigte es in seinem Instinkt. Fest getrampelte Erde spritzte widerwillig davon, als das Pferd schlitternd zum Stehen kam. Empört schnaubte es über die Unterbrechung des fliegenden Galopps und über den Reiter, der unbeholfen in seinen Rücken fiel. Noch empörter blickte es den Kerl mit dem tiefgezogenen Schlapphut an, der keine Anstalten machte, aus dem Weg zu gehen. Stattdessen hob er den Kopf und sah dem Pferd in die Augen.
Pferde hatten über die Jahrhunderte eine gute Nachtsicht entwickelt und selbst in dieser mondlosen Nacht erkannte das Pferd die Augen des Fremden. Stumm starrten sie ihn an, während es hinter sich das Fluchen seines Reiters wahrnahm. Der hatte angefangen, ihm mit den Sporen in die Flanken zu bohren, doch der Mann mit dem Hut hatte schnell die volle Aufmerksamkeit des Pferdes erlangt. Als der Fremde kurz den Blick senkte und sein Kopf danach sofort wieder nach oben schnellte, begriff der junge Wallach: So hielt die Leitstute die Jährlinge auf Abstand. Er wusste zwar nicht, was er falsch gemacht hatte, aber es war unsinnig, mit der Leitstute zu streiten, die ihn zum Wasser führte. Mit einem Satz sprang das Pferd auf den Hinterbeinen herum und galoppierte durch das nah liegende Kohlfeld. Das Gewicht in seinem Rücken verschwand, doch es hielt erst an, als es einen sicheren Abstand zu dem Leitstutenmann erreicht hatte. Der kam zwar näher, bückte sich aber nur nach dem ehemaligen Reiter. Das Pferd hörte ein leises Zischen, dann ein Gurgeln. Der Leitstutenmann richtete sich auf und kam auf das Pferd zu. Instinktiv wich es zurück, bis der Mann stehenblieb, sich umdrehte und fortging.
"Nicht mit mir, Freundchen", dachte der Wallach und lief dem Mann nach, bis dieser sich wieder umdrehte und auf den Wallach zuging. Es war wie ein Tanz, der einige Minuten dauerte und in denen sich der Abstand zwischen den beiden immer mehr verringerte. Schließlich nahm der Fremde auf ihm Platz, kraulte kurz seine Mähne und flüsterte: "Von nun an sind wir Freunde, Drake."
VIIDie Frau saß im Wartezimmer der Händlergilde. Ihre Hände klammerten sich um eine Mappe, die auf ihren Knien lag. Ihr Kopf war gesenkt und durch ein Kopftuch verborgen. Ein dicker Mantel verhüllte ihre Figur. Schließlich wurde sie in eines der Büros gerufen.
"Nun...", der kleine, gedrungene Mann hinter dem Schreibtisch rückte seine Brille zurecht. "Womit kann ich ihnen helfen?"
Die Frau betrachtete das Namensschild auf dem Schreibtisch, während sie sich auf einen Stuhl setzte. "Guten Tag Herr Schleyer, meine Name ist Kathrin Schrader und ich möchte einen Laden hier in Ankh-Mopork eröffnen."
"Haben Sie die entsprechenden Unterlagen dabei?"
Kathrin reichte ihm die Mappe und lächelte ihn freundlich an, was den kleinen Beamten sichtlich beunruhigte. "Die Bewilligung der Bäckergilde, die Sie letztens von mir verlangt haben, liegt nun auch dabei."
Der Mann blätterte die Akte durch, ohne jedoch den Blick von der jungen Dame abzuwenden, die ihn unverwandt anlächelte. "Sie - Sie waren schon einmal hier?
Die Frau nickte. "Die Bäckergilde, die ich zuallererst aufgesucht hatte, wollte erst ein Schreiben der Händlergilde, wissen Sie?"
"Ja, ja", Schleyer lachte nervös. "Ist leider ein bisschen bürokratisch hier. Manchmal könnte ich mich selbst erschießen, wenn ich nicht wüsste, dass meine Lebens-Fair-Sicher-Ung dann nicht zahlt."
"Ich bin sicher, dass sie dafür nichts können", sagte Frau Schrader freundlich.
Erst jetzt fiel Schleyer ihre äußerst tiefe Stimme auf und er fragte sich, ob es in dem Zimmer auf einmal wärmer geworden war. Schwitzend versuchte er den Kragen seines Hemdes mit einem Finger weiter zu ziehen. "Ja, äh, nein - das wird alles von den Gildenobersten entschieden. Ich bin ja nur ein kleines Licht!"
"Ich bin mir sicher, sie werden noch eine steile Karriere hinlegen." Die Frau zwinkerte.
Ächzend nickte der Beamte und begann die Formulare zu stempeln. "Ich muss Ihnen dann leider 50 Dollar Pauschale für die Bearbeitung und die Lizenzausstellung berechnen."
Die Frau zog einen Geldbeutel aus ihrer Manteltasche und reichte ihn dem Mann.
"Die Gilde bekommt dann zwanzig Prozent ihrer Einnahmen", keuchte er weiter.
Kathrin Schrader nickte, nahm ihre bearbeitete Mappe entgegen und verließ das Zimmer, während Herr Schleyer noch tagelang an die sanft wiegenden Hüften unter dem Mantel dachte, denen er auf ihrem Weg aus dem Büro nachgesehen hatte, die sich unter dem dicken Mantel nur in einer Spur angedeutet hatten und so viel mehr Spielraum für seine Phantasie schafften..
VIIIDer Vektor in Ausbildung schritt müde die Sirupminentraße entlang. Neben ihr erhob sich die riesige Gestalt Yogi Schulterbreits, der von Cim den Auftrag erhalten hatte, ihr typische Situationen zu beschreiben, bei denen der Vektor aufmerksam werden musste. Gehorsam predigte der Riese buchstäblich auf Rea herab, die nur mit einem Ohr zuhörte. Der Gefreite erzählte ihr nichts Neues, nur musste sie diesmal alles aus einer anderen Perspektive betrachten - die Perspektive der Prävention.
"Vor allen Dingen musst du darauf aufpassen, dass alles möglichst normal ist, also für ankh-morporkische Umstände normal. Es sollten sich keine großen Menschenmengen bilden, die können schnell in Mobs ausarten."
"Du meinst Menschenmengen wie diese dort?" Rea nickte in die Richtung einer Menschentraube, die sich vor einem sich im Bau befindenden Haus befand.
"Ja, genau", erwiderte der Gefreite, "ich wollte nur sehen, ob du sie auch siehst!"
Eilig schritten die beiden Wächter hinüber zu der Menschenmasse und quetschten sich durch sie hindurch, um den Grund der Zusammenkunft zu erkennen. Rea hatte es einfach, denn sie brauchte nur mit wichtiger Miene hinter Yogi her zu gehen, der sich allein durch seine Größe genug Respekt verschaffte, um die Menge ohne großes Aufsehen zu teilen.
Schließlich standen sie in der ersten Reihe und sahen einen Rohbau, dessen Dach schon in diesem Stadium windschief war. Außerdem waren Handwerker dabei, die Steinwand mit lackierten Holzplatten zu verkleiden, die aussahen wie ...
"Pfefferkuchen?" Yogi runzelte die Stirn und sah Rea an um zu sehen, ob sie das gleiche dachte wie er.
"Nicht nur das, schau dir mal den Zaun an!"
Der Gefreite blickte hinunter. Ungefähr auf Höhe seiner Knie erstreckte sich ein Zaun aus Zuckerstangen. In eben diesem Moment erkämpften sich einige Männer einen Weg durch die Menge. Auf ihren Schultern trugen sie mannshohe Lutscher, oder zumindest etwas, das so aussah wie ein Lutscher. Erst als Rea genau hinsah, konnte sie erkennen, dass es nur bemaltes Holz war. Nichtsdestotrotz regte es ihren Appetit an. Es wirkte auf sie realer als echte Süßigkeiten, obwohl ganz ersichtlich war, dass sie nicht echt waren.
Jemand tippte ihr auf die Schulter. "Da, schau mal!", sagte Yogi und zeigte auf ein Schild rechts von ihnen.
Knabberhäuschen
Süße Spezialitäten aus Überwald
Inh. Kathrin Schrader"Das ist ja wie in dem Märchen", sagte Yogi. Eine gewisse Begeisterung sprach aus seinen Augen, als er weitersprach: "Du weißt schon, die Hexe, die zwei Kinder in ihr Pfefferkuchenhaus lockt. um sie zu fressen. Aber die Kinder sind klüger und können die Hexe in ihrem eigenen Ofen verbrennen!"
"Ach?", Rea zog ein wenig gereizt die Augenbrauen hoch. "Du meinst die zwei jugendlichen Raudis, die das Haus einer armen, alten Frau demolieren, sie bei lebendigem Leib verbrennen, ihr ganzes Hab und Gut stehlen und sie dann als Hexe beschimpfen? Ja, ein tolles Märchen ist das ... Seit Jahren erzählen die Leute diese Geschichten, dabei wären sie ohne die Hilfe einer Hexe wahrscheinlich nie auf die Welt gekommen."
Der Glanz wich aus Yogis Augen. "Ähm, also, wenn man es so betrachtet, hast du natürlich Recht, Rea", entgegnete er kleinlaut. "Ich denke, wir haben hier nicht viel zu tun, sie schauen ja nur ..."
Rea nickte. "Trotzdem glaube ich, wir sollten das unter Beobachtung halten. In einer Woche eröffnet der Laden und wer weiß, wie lange sich die Leute bei dem Anblick gedulden können."
IXReas Atem kondensierte in der kalten nächtlichen Luft, sie spürte, wie die winzigen Haare auf ihrem Nacken sich aufrichteten und ihre Anspannung langsam wuchs. Auf ihrer Schulter stand Amalarie und die Kraft, mit der diese sich an Reas Ohr festhielt, ließ erahnen, dass auch die Gnomin nervös war. Immer wieder lehnte sich Ama vor, um um die Ecke zu spähen, wo sich ein Lagerhaus befand. Laut Damien sollte sich dort heute Nacht ein Diebstahl ereignen. Eine perfekte Übung für die neuen SEALS.
Neben Rea stand, die Ruhe selbst, Chi. Auch er war flach an die Hauswand gegenüber dem Lagerhaus gepresst, doch ihm schien diese Art des Stehens viel einfacher zu fallen.
Ein leises Holpern war zu hören und Amalarie spähte noch einmal um die Ecke.
"Sie kommen", flüsterte sie ihrer Vorgesetzten zu.
Rea sah zu Cim und Anette, die in einem Hauseingang gegenüber standen. Noch gab der Abteilungsleiter kein Zeichen zum Einsatz und Rea lauschte gespannt, wie sich die Schlösser der Lagerhalle mit einem Knacken öffneten.
"Sie sind drin", flüsterte Amalarie und zündete ein Streichholz an um ein Signal an Cim zu schicken. Auch drüben leuchtete sofort etwas auf und Rea hatte gerade noch Zeit tief einzuatmen, als Chi auch schon an ihr vorbei um die Ecke preschte. Auch Rea setzte sich in Bewegung und kam gleichzeitig mit Anette an das geöffnete Tor.
Chi hatte die Lagerhalle schon betreten, doch die drei Einbrecher hatten noch nichts bemerkt. Der Vampir sah zu Rea und diese nickte dem Gefreiten zu. Vorsichtig schlichen sie um einige Kisten herum, um möglichst nah an die Gauner heran zu kommen.
Ohne Vorwarnung fiel die Tür zu. Der Donner hallte ohrenbetäubend in der riesigen Halle wider und stoppte den Herzschlag der meisten Anwesenden für den Bruchteil einer Sekunde. Geistesgegenwärtig lief Chi aus dem Versteck hervor und überrumpelte den ersten der drei. Auch Rea und Anette setzten sich in Bewegung. Chis Opfer hatte sich losgerissen und lief Anette praktisch in die Arme. Beide fielen zu Boden und Chi widmete sich dem zweiten Kerl.
"Hilf Anette", zischte Rea Amalarie zu, welche seufzend aber zumindest gehorsam von ihrer Schulter sprang. Jetzt konnte der Vektor einen Gang zulegen und den letzten der drei Männer verfolgen, der versuchte, sich aus dem Staub zu machen. Er war schwarz vermummt und hetzte quer durch die Halle zu einer schmalen, wackelig wirkenden Treppe. Rea folgte ihm, nur wenige Meter lagen zwischen den beiden. Die Treppe führte direkt in ein kleines Büro, in dem nichts weiter stand als ein Schreibtisch und ein Stuhl. Hektisch kletterte der Mann über die Möbel, um zu den beiden Fenstern zu gelangen. Laut fluchte er, als er sie verschlossen vorfand.
Mit dem Schwung, mit dem sie athletisch über den Schreibtisch gesprungen war, trat Rea dem Mann in die Kniekehlen. Tatsächlich sackte der Mann zusammen, doch auch der Vektor in Ausbildung fiel unsanft auf den Hintern und musste sich aufrappeln. Inzwischen hatte der Kerl reagiert und ein Messer gezogen.
"Scheiß Wächter", krächzte er und wollte sich auf Rea stürzen, die in letzter Sekunde zur Seite rollte und endlich wieder auf die Beine kam. Ohne nachzudenken trat er dem Mann, der versuchte, die vertikale Position wiederzuerringen, in die Magengrube. Der Mann krümmte sich vor Schmerzen und Rea griff an ihren Gürtel nach den Handschellen. Doch der Moment der Unachtsamkeit rächte sich sofort und irgendwas traf Rea am Kopf. Sie taumelte zurück und sah, wie der Mann das Fensterglas mit der Faust brach und hinauskletterte.
Nur eine Sekunde später war sie wieder hinter ihm her. Ihre Röcke blieben an einigen Scherben hängen, als sie auf das schmale Gerüst kletterte, das vor dem Fenster aufgebaut war. Der Mann hatte sich schon ein Stockwerk nach unten geschleppt und bewegte sich auf der wackeligen Konstruktion viel schneller als die ehemalige Gerichtsmedizinerin. Dann pfiff er auch noch und nur Sekunden später hallte Hufgetrappel durch die schmale Straße. Der Mann war inzwischen wieder auf festem Boden, während der Vektor in Ausbildung gerade die vorletzte Leiter in Angriff nahm.
Ein pechschwarzes Pferd kam um die Ecke galoppiert, als Rea endlich den Boden erreichte und dem Mann nachspurtete - doch der war schon dabei, sich aufs Pferd zu schwingen.
"Na warte", dachte die Hexe. Die Idee, die ihr kam war ... die letzte Chance, den Gauner aufzuhalten. Sie hatte sich geschworen, es nie wieder zu tun, aber es war doch für einen guten Zweck. Das Pferd würde dabei nicht zu Schaden kommen, sie würde einfach mit ihm zurück zum Eingang traben, ganz einfach.
Außer Atem sank sie auf die Knie, schloss die Augen und konzentrierte sich, das Pferdegetrappel wurde langsam leiser. Jetzt oder nie!
Plötzlich gab ihr jemand eine schallende Ohrfeige. Verdattert öffnete sie die Augen. Sie schloss sie wieder, dann öffnete sie sie ein zweites Mal. Mit vor Unglauben geöffneten Mund griff mit der Hand nach der brennenden Stelle in ihrem Gesicht.
"Hast du überhaupt nichts gelernt?" Die Stimme ihrer Mutter keifte von oben auf sie herab. "Wolltest du
den Mann auch umbringen? Was habe ich dir beigebracht, dummes Gör, was habe ich nur getan?"
Reas Lippen zitterten und die Worte kamen nur leise aus ihrem Mund. "Ich wollte nicht ... Er ist ein Dieb ..."
"Wer hat dich auf die Idee gebracht, Hexerei zu verwenden, um einen Täter zu fassen? Habe ich dir nicht immer erklärt, dass du sie nur im absoluten Notfall anwenden darfst?" Der Zeigefinger der alten Frau bohrte sich in Reas Brust. "Wie kannst du nur so dumm sein? Dumm wie ein Esel! Du hast doch gesehen, was es anrichten kann, oder nicht?"
Rea gab keine Antwort. Immer noch kniend starrte sie nur zu der dicken Frau hinauf, die sie einmal Mutter genannt hatte. Seit Rea gegangen war, war sie noch fetter geworden. Die langen roten Haare waren wie immer in einen Dutt gebunden, doch nachlässiger als früher. Strähnen hingen heraus und fielen ihr in das faltig gewordene Gesicht.
"Hast du mich nicht gehört? Antworte mir!" Der Blick der alten Frau glich einem Raubtier und Rea hatte Mühe, sich von ihm abzuwenden.
Sie atmete tief durch und stand dann auf. Sie überragte die Alte um wenige Zentimeter, doch sie wusste, dass diese größer wirken würde, wenn sie es nur darauf anlegte. "Geh, lass dich hier nie wieder blicken." Sie wies mit der Hand in die Richtung, in die der Dieb verschwunden war.
Helena Dubiata sah ihre Ziehtochter mit weit aufgerissenen Augen an. "Du wirst das noch bereuen", sagte sie.
"Ich treffe jetzt meine
eigenen Entscheidungen. Verschwinde." In ihrer Stimme lag eine Endgültigkeit, die Rea selbst schaudern ließ, doch sie besaß die Fassung, das zu verbergen.
Die alte Hexe wandte sich um, nahm einen Besen, der an einer Mauer lehnte und ging ohne ein weiteres Wort davon.
Rea sah ihr noch einige Minuten hinterher, dann ging auch sie. Vor der Lagerhalle lagen zwei gefesselte Männer, zwischen denen eine Gnomin wachsam hin und her lief. Chi lehnte an einer Mauer und sah Amalarie bei ihrem kleinen Siegestanz zu. Ein leises Stöhnen ließ Reas Blick nach unten gleiten. Anette Knödel saß gegen die Wand gelehnt neben dem Tor und hielt sich einen alten Lappen gegen den Kopf. Zu ihrer Linken hockte Cim, der in einer Tasche kramte. Der Lance-Korporal ging zu Anettes Rechten in die Hocke.
"Alles in Ordnung?", fragte Rea die Gefreite.
Diese nickte, stöhnte gleich wieder vor Schmerz auf und hielt sich nun auch mit der anderen Hand den Kopf.
Der Oberfeldwebel sah auf, nahm seine Zigarette aus dem Mund und blies Rea den Rauch ins Gesicht. "Wo warst du so lange?"
"Ich hab den dritten Kerl verfolgt, aber er konnte entkommen."
Cim zuckte die Schultern. "Hast du frisches Verbandszeug dabei?"
"Was ist passiert?"
"Platzwunde. Also, hast du welches?"
Die ehemalige Gerichtsmedizinerin griff in ihre Tasche und hielt dann inne. "Sobald du mit der Zigarette hier weg gehst, hab ich welches."
Der Oberfeldwebel sah sie genervt an, nahm einen letzten Zug und warf dann den sowieso schon kurzen Stummel hinter sich. "Anette zuliebe. Ganz schön übel, könnte 'ne Gehirnerschütterung sein."
Rea zog den alten Lappen von der Stirn der Gefreiten. "Ach was", sagte sie und betrachtete die Wunde. Sie hatte definitiv schon Schlimmeres gesehen. "Das brennt jetzt ein bisschen, Anette, aber wir wollen ja keinen Schmutz in der Wunde. Sobald wir im Wachhaus sind solltest du dann mit Michael sprechen."
XDer Lance-Korporal hatte gerade Anette zu dem ehemaligen Arzt, dem Gefreiten Machwas gebracht, als sie ihr Büro betrat und besetzt vorfand. Cim saß an ihrem Schreibtisch, die dreckigen Stiefel hochgelegt und die Arme hinterm Kopf verschränkt.
"Na, ich hoffe mal für dich, dass Gefreite Knödel keine bleibenden Schäden davon trägt."
Rea schloss die Tür und sah ihrem Abteilungsleiter fest in die Augen. "Es ist nur eine Platzwunde. Und das ist
mein Schreibtisch."
"Und wem verdankst du ihn?"
Ein kleiner Drache sah neugierig aus dem großen Kessel hervor, den Rea vorwiegend zum Teekochen verwendete. Leise knurrte er den Oberfeldwebel an und schlug seinen Schwanz so fest gegen das Metall, dass es gongte.
"Was soll das?", fragte Rea den Mann und fühlte sich sichtlich unwohl auf der anderen Seite des Schreibtischs.
"Was hatte ich dir noch vor einiger Zeit über ... Verantwortung erzählt?"
Rea legte die Stirn in Falten und faltete die Hände hinterm Rücken. "Anette ist in einen der Diebe hinein gerannt, wie hätte ich das verhindern sollen?"
"Es geht hier nicht um 'wie'! Du warst verantwortlich für den Einsatz, also bist du auch verantwortlich für dessen Folgen. SEALS sind ein Team! Du darfst nicht einfach irgendwem hinterher jagen, vor allen Dingen nicht, wenn du mit unerfahrenen Gefreiten unterwegs bist!"
Rea sah betroffen auf ihre Füße. Sie erinnerte sich an den Einsatz vor nicht allzu langer Zeit, in dem sie eine riesige Monsterpflanze gejagt hatten. Cim hatte seine Untergebenen dabei erheblichen Gefahren ausgesetzt.
Eine Minute herrschte Schweigen, dann fing der Oberfeldwebel wieder an: "Hatte ich dir die Bedeutung des VEKTORs nicht erklärt? Es geht nicht darum, Verbrecher zu fassen, sondern darum, die Folgen eines Verbrechens zu mildern oder zu verhindern. Hast du das noch nicht verstanden?"
Unwirsch knirschte Rea mit den Zähnen und sah dann wieder auf. "Es kommt nicht wieder vor, das verspreche ich."
Der Oberfeldwebel nahm die Füße vom Tisch und lehnte sich auf dem Stuhl nach vorne. "Ja ... Ich erinnere mich dunkel, dass du mich darum gebeten hast, die Ausbildung von Anette und Chi beaufsichtigen zu dürfen. Wenn das zuviel Verantwortung für dich ist, dann ..."
"Es ist nicht zuviel Verantwortung!", schnitt der Lance-Korporal ihm scharf ins Wort. "Verdammt, es war doch nur eine kleine Platzwunde!"
"Aus der schnell hätte mehr werden können." Cim schlug mit der Faust auf Reas Schreibtisch und der Drache fiepte erschrocken. Die Lippen zu einem schmalen Strich gezogen stand er auf und stützte sich mit den Armen auf den Tisch. "Noch so ein Patzer und ich kann so einiges wieder rückgängig machen. Außerdem hast du die nächsten drei Tage Nachtschicht."
"Wegen einer kleinen Wunde?", fragte Rea, mehr erstaunt als verärgert.
"Die ganze nächste Woche dann also." Mit langen Schritten marschierte er aus dem Büro und knallte die Tür hinter sich zu.
Geistesabwesend setzte sich Rea auf den Besucherstuhl und lehnte sich zurück. Der Drache kroch aus seinem Kessel und setzte sich erwartungsvoll vor ihren Füßen hin.
"Armer Drache", sagte Rea. "Dass du dir so einen Stuss anhören musst ..." Sie nahm den Drachen hoch auf ihre Knie und kraulte ihn im Nacken. "Ich weiß nicht, was genau ich falsch mache - bei SUSI war alles einfacher. Und seit dieser Sache mit Esus, und seit dieser Sache mit ... Ich verliere irgendwie die Kontrolle ... Mit Hexerei ist alles so viel einfacher."
Der Drache verdrehte vor Genuss die Augen. Es kam selten vor, dass Rea ihn streichelte, zumeist schickte sie ihn nur in irgendeine andere Ecke, in der er sie weniger störte.
"Aber ich habe mir geschworen, nie wieder Magie anzuwenden", sprach Rea weiter. "Darum geht es ja, beim Hexe-Sein: Magie nicht anzuwenden. Aber wenn es doch nicht anders geht!"
Abrupt, hörte sie auf, den Drachen zu kraulen. Das kleine Ding sah sie verwundert an und wusste sofort, dass die Zeit gekommen war, zurück in eines der vielen Nester zu kehren, die er sich im Büro gebaut hatte.
XIDer junge Mann saß in der Geflickten Trommel über einem Bier und beobachtete die Kundschaft. Sein Einbruch war schief gegangen und er musste nun über weitere Maßnahmen nachdenken. Kurz dachte er daran, es am nächsten Abend mit einem neuen Team noch einmal zu versuchen - aber wie ihn die heutige Nacht gelehrt hatte, konnte man den Kriminellen in Ankh-Morpork nicht vertrauen. Wie sonst hätte jemand von einem simplen Einbruch in einer riesigen Stadt wie dieser erfahren, wenn nicht jemand geplaudert hätte. Es hatte sich ja noch nicht einmal um einen Juwelendiebstahl gehandelt! Wohl aber hatte ihn die hiesige Stadtwache verfolgt, als hätte er die Bronzene Brücke gestohlen.
Und dann hatte die eine Wächterin auch noch sein Gesicht gesehen. Nur für einen Moment, aber in diesem Moment hatte sie ihn angesehen, als würde sie seine Züge nie wieder vergessen. Er hätte nicht sofort fliehen sollen, er hätte sich die Zeit nehmen sollen, sie unschädlich zu machen. Er hatte das Gefühl, dass diese Frau noch einige Male versuchen würde, seinen Plan zu durchkreuzen.
Helena Dubiata saß in der Geflickten Trommel über einem Bier. Um sie herum hatte sich in der sonst gefüllten Kneipe ein weiter Abstand um sie gebildet, was sie für vollkommen normal hielt.
Ihre Gedanken rankten sich gerade um Rea. Sie hatte in dieser Nacht bemerken müssen, dass das Mädchen tiefer drin steckte, als Helena es befürchtet hatte. Und sie hatte auch keine Chance, durch Gespräche noch weiter zu ihr durchzudringen. Rea hatte dicht gemacht. Das einst so offenherzige Kind hatte sich von ihrer Umgebung voll abgeschottet und würde sich von niemandem mehr etwas sagen lassen. Was nun zählte, waren Taten. Doch wie brachte man jemanden bei, dass er sich auf dem falschen Weg befand und dass auch noch möglichst, ohne diese Person zu verletzten. Denn das hatte Helena tatsächlich nie vorgehabt - sie liebte Rea wie ein eigenes Kind und hatte nie gewollt, dass ihr irgendetwas zustieß.
Aber Reas Dickkopf hatte sich schon früh in ihrer Kindheit gezeigt. Helena hatte es lange geschafft, diese antiautoritäre Ader ihrer Ziehtochter zu unterdrücken und gerade, als sie geglaubt hatte, sie hätte es ihr ausgetrieben, hatten sich die Ereignisse überschlagen. Das dumme Ding hatte doch nicht wirklich geglaubt, dass sie der bildhübsche Florian Silbermeise wirklich liebte? Helena hatte Rea nur vor dem Liebeskummer schützen wollen.
Und dann, vor einigen Monaten erst, da hatte sie versucht, sich mit dem Kind zu versöhnen, aber Rea hatte ihr mit einer der schrecklichsten Taten, die eine Hexe sich vorstellen konnte, gezeigt, dass sie sich nicht mehr darum kümmerte.
In einer Ecke der Geflickten Trommel saß eine bleiche Gestalt. Wer nicht wusste, dass sie dort saß, dem fiel sie nicht weiter auf. Aufmerksam beobachtete sie die Menschen in der Kneipe und schrieb sich immer wieder kurze Notizen in ein kleines Buch. Er beobachtete einen Fremden, der an einem anderen Tisch saß. Der war breitschultrig und muskulös und trug einen dünnen Schnurrbart, der bei vielen Frauen die Knie hätte erweichen lassen. Seine dunklen Augen mit dem akribischen Seitenscheitel ließen ihn seriös wirken und die eine Strähne, die ihm wie zufällig in die Stirn hing, schrie geradezu nach erfrischender Jugendlichkeit. Wenn er sein Bier an die schmalen Lippen setzte, sah dies mehr aus wie ein Theaterspiel als eine wirkliche Trinkbewegung und, ja, selbst Damien als Mann musste es zugeben: dieser Kerl hatte einfach Charme.
Eine weitere Person fiel in Damiens Auge. Es war eine dicke Frau mit roten - hennaroten - Haaren, die streng zu einem Dutt gebunden unter einem spitzen Hut hervorlugten. Ihre schwarze Kleidung war alt aber sauber und es hatte sich ein auffallend großer Kreis um sie gebildet. Frauen waren eine seltene Erscheinung in der Geflickten Trommel, aber bei dieser traute sich niemand, sie darauf aufmerksam zu machen. Die Aura um sie herum ließ jeden sofort wissen, dass er sich, wenn er sie in ihren Gedanken störte, wohl schneller als Frosch in einem Tümpel wiederfand, als er "Quak" sagen konnte.
Einem Schatten gleich verließ Damien die Kneipe. Er wollte wissen, wie die erste Bewährung der neuen SEALS ausgegangen war. Hoffentlich, dachte er, hatte diese Rea versagt. Er hatte sie seit ihrer ersten Begegnung schon gehasst. Damals hatte sie ihn zusammengeschlagen und auch wenn sie heute sagte, sie wäre von einer Pflanze besessen gewesen, glaubte der Szenekenner ihr das nicht. Jetzt hatte sie anscheinend auch noch Cim so eingelullt, dass er sie zu seiner Stellvertreterin gemacht hatte.
XIIDas Verhör war beendet und Cim Bürstenkinn war genauso schlau wie vorher. Die beiden Einbrecher, Marko Wanst und Sebastian Sonntagh waren kleine Fische, soviel hatte er zumindest herausgefunden, allerdings auch erst dann, als er sie
eingehender befragt hatte. Scoglio brachte die beiden Kerle gerade wieder zurück in ihre Zelle. Wer sie angeheuert hatte, hatten sie vergessen, den dritten in ihrem Bunde hatten sie nicht gekannt. Was sie mit den riesigen Mengen an Mehl, Kakao und Gewürzen anstellen sollten, hatte man ihnen nicht gesagt.
In der fein säuberlichen Handschrift des Lance-Korporals lag eine detaillierte Beschreibung des dritten Mannes vor ihm. Sie war eben noch einmal in das Büro gekommen und hatte ihren Bericht hereingebracht. Manchmal konnte sie einen erstaunen. Mit unverzogener Miene hatte sie gefragt, mit wem sie denn die Nachtschicht zu verrichten hätte. Hektisch hatte Cim den Schichtplan zu Rate gezogen. Eigentlich hätte er sie gerne alleine auf Streife geschickt, aber sein Gewissen, das sich sonst selten äußerte, hatte angemerkt, dass eine Einzelstreife in der Nacht für eine Frau wohl ein wenig zu gefährlich war. Ein paar Touren durch die Schatten konnten ihr jedoch nicht schaden.
Müde nach dem langen Nachteinsatz griff er nun nach seinem Flachmann und nahm einen kräftigen Schluck. Ja, für manche Gedanken gab es recht einfache Lösungen, dachte der Oberfeldwebel und kratzte sich an seinem kahlen Kopf. Trotz der leicht betäubenden Wirkung des Schnapses ging ihm der Lance-Korporal nicht aus dem Kopf.
Warum war sie zu SEALS gekommen? Bei ihrem Bewerbungsgespräch hatte sie einen ziemlich verzweifelten Eindruck gemacht und wenn man genauer darüber nachdachte, hatte sie sich, seit er sie das erste Mal gesehen hatte, sehr verändert. Die freundliche Obergefreite vom letzten Sommer trug nun, mit ein paar Streifen mehr auf den Schultern, ein eher sorgenvolles, man könnte sagen, verbittertes Gesicht. Wenn man ihr damals etwas befohlen hatte, hatte sie es sofort getan, jetzt zog sie trotzig die Lippen zusammen, wenn man ihr etwas sagte, und sah einen an, als hätte man ihr befohlen, die Stadt zu abzubrennen. Ob ihr der neue Rang zu Kopf gestiegen war? Cim glaubte es nicht, es gab wenige Frauen, die so rational dachten wie Rea. Das musste eine Folge des Leichenkellers gewesen sein. Die abgestandene Luft dort unten schien keinem der SUSIs gut zu tun.
Abwesend zündete er sich eine Zigarette an, als es erneut klopfte. Damien trat ein, eine Mappe unter den Arm geklemmt.
"Cim, die Personenbeschreibung, die du mir vorhin gegeben hast ...", der Szenekenner setzte sich ungefragt auf einen Stuhl. In seiner Hand hielt er eine Kopie des Blattes, das noch immer auf Cims Schreibtisch lag.
"Ja?", sagte der Feldwebel. "Was ist damit?"
"Ich habe den Mann vorhin in der Geflickten Trommel gesehen." Der Szenekenner lehnte sich lässig zurück und sah den Oberfeldwebel prüfend an.
"Und? Was hat er dort gemacht?"
"Er hat ein Bier getrunken. Sah nicht so aus, als ob er jemanden kennen würde."
"Hm, ein Fremder also, interessant." Prüfend sah Cim seine Zigarette an und zuckte dann die Schultern. "Dann werden wir wohl weiter nach ihm Ausschau halten, mehr ist da nicht drin."
Der Hauptgefreite nickte. "Ich werde mich umhören."
Cim nickte ebenfalls. "Tu das. Gibt es sonst noch was?"
Der Szenekenner zögerte einen Moment, bevor er sprach. "Was will diese Leichenschnibblerin hier? Was soll das, warum hast du
die angenommen?"
Cim grinste. Er freute sich immer über die offene Art, in der Damien mit ihm sprach, obwohl er sein Vorgesetzter war. "Nun," sagte er belustigt, "Ich denke nicht, dass sie lange bleiben wird. Ich habe keine Ahnung, was sie hier will. Aber wie du schon bemerkt hast, passt sie gar nicht hierher." Er zwinkerte und drückte den kümmerlichen Zigarettenstummel auf dem Tisch aus.
"Du magst sie nicht", stellte Damien fest und ein Lächeln huschte über seine dünnen Lippen.
Cim antwortete nicht, sondern spielte weiter mit dem Stummel zwischen seinen Finger. "Ich geb' ihr noch 'ne Woche. Um was wetten wir?"
XIIIKathrin Schrader sah sich in ihrem Knabberhäuschen um. Es war äußerlich fertig, nur noch die Einrichtung fehlte. Sie lag prima im Zeitplan und würde es wohl auch bleiben. Drei große Öfen standen ihr zur Verfügung, eine große Küche, die mehreren Angestellten Platz bieten würde, und ein großer Verkaufsraum. Schon jetzt blieben jeden Tag Leute stehen, vor allem Kinder, und besahen sich das Häuschen. Möglicherweise würde es zu einer Art Touristenattraktion werden. Und wenn die Leute erst einmal ihre Spezialitäten probiert hatten ... Sie konnte sich gar nicht ausmalen, was dann passieren würde. All das schien ihr noch viel zu unglaublich. Sie hatte es tatsächlich geschafft! Sie war in Ankh-Morpork und baute ihren eigenen Betrieb auf, selbstständig, allein. Ohne Belästigung, ohne Bernard. Sie würde ihn hoffentlich nie wieder sehen und wenn, dann konnte sie ihm hier zeigen, wer sie wirklich war. Sie war eine unabhängige, starke Frau, die keinen Mann mit übermäßigem Beschützerinstinkt brauchte, sie brauchte nur sich selbst, so konnte ihr niemand etwas anhaben. Sie wusste, dass sie Bernard zutiefst verletzt hatte, als sie sein Angebot abgelehnt hatte, und er hatte ihr danach das Leben zur Hölle gemacht. Nein, er hatte
versucht, ihr das Leben zur Hölle zu machen, aber sie hatte sich nicht unterkriegen lassen.
Doch dann hatte man sie in dem kleinen Dorf schlecht gemacht. Sie war als Hure verschrien worden. Plötzlich hatten Leute sie auf der Straße angespuckt, die sie schon seit Jahren kannten. Es war Bernards Werk gewesen, er hatte versucht, ihr Leben zu zerstören, und Dinge erzählt, die nie geschehen waren. Er hatte sogar versucht, den Leuten glauben zu machen, sie sei ein Werwolf. Krank vor unerwiderter Liebe hatte er sogar ihre Familie gegen sie aufgehetzt, bis Kathrin schließlich hatte nachgeben müssen. Sie hatte ihre Siebensachen gepackt - und das war nicht wenig gewesen. Ihre Kleider hatte sie verpfändet, ihre Rezepte auswendig gelernt und verbrannt, ihren Schmuck rasch bei einer Bauernfamilie gegen einen alten, störrischen Packesel und etwas Proviant eingetauscht. Man konnte keinen zerstörten Ruf wieder reparieren. Er war wie eine Vase, die in tausend Splitter zerbrach. Doch man konnte die Scherben zermahlen und in eine neue Vase einbauen, die stärker wurde. Man konnte neu anfangen. Man konnte immer wieder neu anfangen und jedes Mal wurde man ein bisschen stärker.
XIVDer Mann saß in einem kleinen, düsteren Hotelzimmer und legte gemütlich die Beine hoch. Es würde ihm schon etwas einfallen. Beim nächsten Mal würde er keine Fehler machen. Sorgenvoll betrachtete er die Ikonographie der wohl hübschesten Frau der Scheibenwelt und wieder einmal bewunderte er ihre Stärke. Alleine ein neues Leben in Ankh-Morpork aufzubauen war ein schwerer Schritt für sie gewesen und er fand dies noch viel anziehender als ihr Äußeres. Tief in ihrem Innern liebte sie ihn - er musste es ihr nur beweisen. "Es tut mir Leid, aber du bist leider nicht der richtige Mann für mich, wirklich Bernard, du bist ein sehr netter Kerl, aber ich glaube nicht, dass aus uns beiden was wird."
Ja, sie wollte ihre Spielchen spielen, doch so langsam wollte er dabei nicht mehr mitmachen. Es war nur normal dass sie sich zierte, endlich seine Frau zu werden, wie sie es vor Jahren versprochen hatte. Als sie als Kinder im Wald gespielt hatten und er sie beim Verstecken spielen in der alten, hohlen Eiche gefunden hatte - da hatte er das Funkeln in ihren Augen gesehen, das wie Sterne wirkte, hatte ihr Lachen als Musik empfunden und hatte bei ihrer Berührung gezittert wie im tiefsten Winter. Damals hatte er gewusst, dass sie beide einmal heiraten und Kinder haben würden, viele Kinder. Sie würden ihre schwarzen Locken haben und seine dunklen Augen.
Schließlich hatten sie sich verlobt. Sie war eine erfolgreiche Bäckerin geworden, so wie ihre Mutter, er Pferdezüchter, ein Beruf, den viele Menschen unterschätzten. Aber wenn sie erstmal Kinder hatten, dachte er, hätte sie ihren Beruf schon aufgegeben und er wäre der Herr im Haus gewesen.
"Aber ich glaube, nicht dass aus uns beiden was wird" Die Worte Kathrins hatten sich in sein Herz eingebrannt. Wie konnte sie ihn nur verschmähen? Wie konnte sie nur glauben, ohne ihn auskommen zu können? Er würde ihr beweisen, dass sie falsch lag, und dann würde er im rechten Augenblick zur Stelle sein.
XVSchon einige Stunden vor ihrem Schichtbeginn stand Rea in ihrem Büro. Der kleine Drache hatte das Inventar wieder einmal gnädigerweise ganz gelassen und Rea hatte sich für heute vorgenommen, die restlichen Kisten auszupacken, die sie aus der Gerichtsmedizin mitgenommen hatte. Sie hatte gar nicht gewusst, dass sich da so viel angesammelt hatte. Eine Kiste war voller Bücher, die an sich ihr gehörten. Sie hatte Zweifel gehegt, dass Jack oder Avalania sie benutzen oder Herr Made und Pismire sie brauchen würden. Jetzt hatte sie davon gehört, dass ihr ehemaliger Abteilungsleiter, MeckDwarf, auch die Kunst der Autopsie erlernte, jetzt, da Sillybos ihn als AL abgelöst hatte. Es kam Rea so vor, als hätte SUSI nur darauf gewartet, dass sie ging, um sich dann so drastisch zu ändern. Der alte Philosoph war Rea zwar nicht unsympathisch, aber sie glaubte nicht daran, dass er eine Abteilung wie SUSI handhaben konnte. Hier bei SEALS waren die meisten Leute vom gleichen Schlag und auch wenn sie ständig durch die halbe Stadt verteilt waren, waren sie doch ein Tiehm. SUSI war kein Tiehm, es gab nichts was sie zusammenschweißte, das hatte Rea oft genug bemerkt.
Sie stellte die Bücher auf ein Regal, dessen Holz an einigen Stellen so aufgequollen war, dass sich sanfte Hubbel darin abzeichneten. Nichtsdestotrotz stellte sie die dicken Wälzer auf das Regal. Da war "Die listige Flora", "Erst nach Jahren auf die Bahren" und andere Bücher, die ihr auch als VEKTOR behilflich sein würden, wie sie glaubte. Fast wie in Ehrfurcht nahm sie das letzte Buch aus dem Karton, es war eher eine Kladde und der Titel war in ihrer eigenen Handschrift geschrieben, so wie der Rest des begonnen Werkes. "Die Stimmen der Toten" stand darauf. Wann sie es fertigstellen würde, wusste sie nicht, es würde wohl noch etwas Zeit in Anspruch nehmen, doch irgendwann würde sie ihre Erfahrungen in diesem Buch festhalten.
Aus einer anderen Kiste holte sie zwei Tücher, die in Größe und Form alten Leichentüchern extrem ähnlich sahen - doch sie waren nicht weiß, sondern dunkelrot, und hatten Schlaufen an einer Seite. Mit einer Schnur und viel Mühe befestigte Rea die Tücher vor den beiden Fenstern und hatte von nun an Vorhänge.
Ihr Kessel bekam endlich einen Platz auf einem alten Cafeteria-Tisch, der auch gleich mit Päckchen, Döschen und Fläschchen bereichert wurde - gefüllt mit allem, was Rea nützlich erschien, um ihre Aufgabe als Ersthelferin besser erfüllen zu können. Einen Großteil davon trug sie sowieso immer in ihrer Tasche, anderes würde sie nur selten und wohl kaum auf der Straße brauchen. Trotzdem gehörten all die Sachen einfach dazu.
Sie war gerade dabei, ihr Werk zu bewundern - es sah nun einigermaßen freundlich in ihrem Büro aus - als es klopfte. Scoglio trat ein und salutierte förmlich, der Lance-Korporal erwiderte den Gruß.
"Wir gleich Schicht haben, Mä'äm", sagte der Troll und sah auf die kleine Frau hinab, welche plötzlich in hektische Betriebsamkeit ausbrach.
"Ah ja, stimmt, ich bin sofort fertig." Der Vektor in Ausbildung nahm seinen Umhang vom Garderobenständer, hängte sich seine Tasche um und grinste. "So, wo geht's heute lang?"
"Cim sagen, wir sollen die Schattenroute nehmen. Er sagen, dass das gute Lektion für neuen Vektor ist." Scoglio sah Rea prüfend an. Wahrscheinlich fragte er sich, ob sie nun Widerspruch einlegen würde. Die Schatten in der Nacht waren keine ungefährliche Route.
XVIBernard beobachtete das nächtliche Knabberhäuschen. Er musste schon zugeben, dass Kathrin ein gewisses Gespür für Werbung hatte. Es sah einfach ansprechend aus und vor allen Dingen essbar. Auch wenn er wusste, dass alles nur bemaltes Holz war, ein inneres Gefühl wollte ihn zum hineinbeißen überreden. Aber dazu war er nicht da. Er wollte sich sein Einsatzgebiet genauestens einprägen. Seine Pläne waren schon fertig, er durfte nur nichts dem Zufall überlassen. Hier, in der Sirupminenstraße, nahe an den Schatten, würde er leichtes Spiel haben. Den Tag über hatte er das düstere Viertel erkundet und bemerkt, dass Kathrin sich keine besser geeignete Lage für ihren Süßwarenhandel hatte aussuchen können. Die Schatten boten mehr Verstecke, als einem lieb war.
Nun lehnte er an einer Hausmauer und beobachtete. Noch immer war geschäftige Betriebsamkeit auf der Sirupminenstraße, kaum zu unterscheiden von der am Tag. Niemand beachtete ihn, denn jeder hatte seine eigenen Probleme, und Bernard genoss die wunderbare Anonymität der Großstadt in vollen Zügen. Er griff in seine Tasche und holte das kleine Schächtelchen heraus, das ihm die Bauersfrau gegeben hatte. Er hatte es seitdem viele Male geöffnet und auch diesmal sah er hinein und nahm den Ring heraus. Das einfache goldene Schmuckstück, dessen einzige Zierde ein winziger Diamant war, war das letzte Geschenk, das er Kathrin gemacht hatte. Kurz, bevor sie ihn verlassen hatte, hatte er ihn ihr an den Finger gesteckt. Er hielt das Schmuckstück hoch, damit er das fahle Mondlicht einfing, und betrachtete die Innenseite, in die er seine Initialen zusammen mit denen Kathrins hatte eingravieren lassen.
Dann, plötzlich, schrak er hoch. Von einer Brücke kommend sah er einen Troll, dessen Blick nicht starr war wie der der meisten Passanten, sondern aufmerksam umher huschte - dass konnte er schon von weitem erkennen. Das alleine wäre weniger problematisch gewesen, doch der Troll trug Helm und Harnisch. Das konnte nur eines heißen: das Monster aus Silizium war ein Wächter. Die Stadtwache hatte ihn schon einmal reingelegt, diesmal würde er besser auf der Hut sein. Hastig versteckte er sich in einem Hauseingang und presste sich dort so flach wie möglich an die Wand. Die Nacht verbarg ihn und er musste nur abwarten, bis der Wächter an ihm vorbei war.
Da kam er auch schon, Bernard konnte es an den schweren Schritten erkennen, die den Boden leicht erzittern ließen. Jemand redete mit dem Troll, eine Frau.
"Bin ja mal gespannt, ob dieses Knabberhäuschen so gut ist, wie es aussieht, was meinst du, Scoglio?"
"Ich das nicht mögen, aber es ist sehr hübsches Haus", erwiderte der Troll.
Die beiden blieben direkt vor dem Hauseingang stehen und betrachteten mit dem Rücken zu Bernard die Immobilie. Der lange Zopf der Wächterin fiel dem Überwälder sofort ins Auge. Natürlich! Das war die Frau, die ihn bei seinem Einbruch letzte Nacht verfolgt hatte. Die, die ihn gesehen hatte, die einzige, die wusste, wie er aussah. Ein Gedanke schlich sich in seinen Kopf. Er könnte sie ausschalten, denn sie hatte bestimmt jedem erzählt, wie er aussah. Allerdings, hier auf offener Straße... Er verwarf den Gedanken wieder. Vorerst.
Die beiden Wächter gingen weiter und Bernard atmete beruhigt aus. Noch einmal sah er den Ring an, den er noch immer fest in Händen hielt, als ihn ein Besenstiel in den Rücken stieß. Eine alte Frau stand in der Tür des Hauseingangs und keifte.
"Raus hier, du Vagabund! Verfilztes Pack! Hier wird nicht geschlafen!"
Bernard lächelte sie an und zog förmlich den Hut. "Verzeihung, Madam, ich glaube, ich habe mich in der Tür geirrt.
Die Frau stand wie vom Donner gerührt da, stammelte etwas und verzog sich zurück ins Haus. Bernard verließ den Hauseingang und beschloss, die Sirupminenstraße noch ein wenig zu durchwandern.
XVII Montag, 24.Januar
Knabberhäuschen wird morgen eröffnetNach über einer Woche ersehnten Wartens ist es morgen endlich soweit. Die stadtweite Attracktion, das Knabberhäuschen, dass sich bisher im Bau befand, soll eröffnet werden. Die Times schaut hinter die Kulissen dieser hervorragenden Geschäftsidee. Sie ist achtundzwanzig Jahre alt, stammt aus Überwald und hat dort das traditionelle Handwerk ihrer Familie erlernt - die Backkunst. Doch nein, nicht gewöhnliches Brot steht auf der Verkaufsliste dieses Ladens, sondern Kuchen in allen Variationen, Schokolade und Zuckergebäck. Doch nicht allein die fabelhaften, originalen überwäldischen Rezepte sollen Kunden anlocken, auch das Ambiente ist hier ein anderes. | Das Bauwerk, das unweigerlich an das Märchen von Hänsel und Gretel erinnert, wurde von der hübschen Geschäftsfrau Kathrin Schrader erdacht und wagemutig in die Tat umgesetzt. "Ich wollte mal etwas anderes versuchen, in meinem Laden soll man sich in erster Linie wohl fühlen, vor allem den Kindern soll es gefallen, denn eigentlich sind die Süßigkeiten ja für sie", sagt die charmante Überwalderin über ihre Geschäftsidee. Die Wache hingegen ist skeptisch: "Wir rechnen mit einem großen Besucherandrang und wir werden verstärkt präsent sein, um die Ordnung auf der Sirupminenstraße zu sichern", sagte der Abteilungsleiter der S.E.A.L.S., Tschim Büchsenkind. Schrader sieht dem gelassen entgegen: "Es ist genug für alle da", sagt sie. Wollen wir es hoffen. |
XVIIIDer Oberfeldwebel riss Rea die Zeitung zornig aus der Hand, die sie eben vorgelesen hatte. Am Berührungspunkt zwischen Nacht- und Tagschicht hatte der Omnier eine Besprechung einberufen und nun saß ein Großteil der Abteilung im Aufenthaltsraum und wiederum ein Großteil dieses Großteils versuchte sich möglichst heimlich über den verkorksten Namen zu amüsieren. Einzig Anette hatte es keine Reaktion entlockt, jedoch tippte sie nun Rea vertrauensvoll auf die Schulter. "Verzeihung, Mä'äm, wer bitte ist Tschim Büchsenkind?", fragte sie halblaut.
Steven und Will konnten sich ob der Miene ihres Abteilungsleiters nicht mehr halten und fingen lauthals an zu lachen, doch die Informantenkontakterin in Ausbildung verstand noch immer nicht und sah ihre Vorgesetzte ratlos an.
"Da hat sich der Redakteur wohl verhört, Anette, mit Tschim Büchsenkind ist Cim gemeint", sagte Rea, mit einem Seitenblick auf Cim, der inzwischen aufgegeben hatte böse zu gucken und nur noch hoffte, dass er bald mit seiner Ansprache beginnen konnte.
Endlich nickte die Informantenkontakterin verstehend und lächelte. "Ja, sowas kann passieren."
Steven und Will hatten sich mittlerweile wieder halbwegs unter Kontrolle und Cim begann die Aufgabe für den nächsten Tag zu verteilen.
"Wir werden Michael brauchen und Johan. Rea, das ist eine gute Situation zum Üben für dich. Steven und Will scheinen sich ja schon auf den Einsatz zu freuen und Scoglio nehmen wir mal für alle Fälle mit."
Rea seufzte. "Dann hab ich morgen also Tag- und Nachtschicht?", fragte sie, als die meisten SEALS den Raum schon wieder verlassen hatten oder sich mit ihren Nachbarn in Gespräche vertieften.
"Da du so freundlich fragst, darfst du natürlich beide Schichten machen, wenn du willst", erwiderte Cim und dachte an den Schichtplan, der immer chaotischer wurde. Amüsiert betrachtete er, wie sich Reas Gesicht sehr langsam verfinsterte und begann dann von neuem: "Aber wenn es dir nichts ausmachst, machen wir aus der Nachtschicht eine Bereitschaftsschicht."
Das schien der ehemaligen Gerichtsmedizinerin zu genügen.
XIX"Iona! Ich bin schon ganz lange sauber!", rief Evan aus dem Waschzuber, in dem er zusammen mit seiner Schwester Maidie saß.
"Gar nicht wahr!", rief Maidie und bespritzte ihren Bruder mit dem schaumigen Wasser. "Du bist noch ganz grün hinter den Ohren", kicherte sie.
Der Junge sprang auf und drückte seine Schwester kurz unter Wasser, die erschrocken und prustend wieder auftauchte. "Heeeee!", schrie sie.
Auch das Kindermädchen mischte sich nun ein. "Evan, hör auf deine Schwester zu ärgern!"
"Aber Iona, es war doch nur Spaß", sagte Evan und ließ sich seufzend wieder in den Zuber rutschen.
Das Kindermädchen zog die Stirn kraus und legte die Handtücher zurecht. "Ich denke, ihr seid jetzt sauber", sagte sie und hob Maidie aus der Wanne, um sie ins Handtuch zu wickeln. Evan stieg selbst über den hohen Rand.
"Sag mal, Iona, gehen wir morgen zu der Eröffnung von dem Knabberhäuschen?", fragte Evan, während er sich abtrocknete. Hoffnungsvoll sah er sein Kindermädchen an. Das aber schüttelte energisch den Kopf.
"Da werden morgen viel zu viele Leute sein. Da verlier ich euch noch und find euch nicht mehr wieder!"
"Aber Iona!", warf Maidie ein, "bitte lass uns dahin gehen!" Die 6-jährige sah ihr Kindermädchen mit großen Augen an. "Bitte! Alle gehen dahin! Die Larissa, der Markus ..."
"Ja, genau!", rief Evan dazwischen. "Bitte Iona, wir sind auch ganz brav!"
Das Kindermädchen sah von einem Kind zum anderen. Sie wusste, dass keines von ihnen Ruhe geben würde, bis sie nachgab. "Na gut," sagte sie. "Aber ihr müsst immer dicht bei mir bleiben!" Doch die Kinder hörten ihr schon nicht mehr zu.
XXDie Straße rund um das Knabberhäuschen war überfüllt mit Leuten. Johan Schaaf hatte seine Mühe, die Karren von der stark befahrenen Sirupminenstraße fernzuhalten und umzuleiten. Der Mangel an Verkehrsexperten bei SEALS machte sich langsam aber sicher bemerkbar. Zum Glück half Scoglio - ein Blick von ihm war so gut wie ein halbstündiger Vortrag Johans, der einfach nicht begreifen konnte, warum die Karrenfahrer in die schon von weitem sichtbar überfüllte Straße einfahren wollten. Nun gut, er konnte verstehen, dass man nicht unbedingt durch die Schatten fahren wollte, aber diese Gegend war ein Zuckerschlecken im Vergleich zu dem, was einen heute in der Sirupminenstraße erwartete.
Die Wächter, die beim Schutz der Bürger von Ankh-Morpork vor sich selbst heute das allerkürzeste Streichholz gezogen hatten, standen allerdings mitten im Gedränge. Es war schon nach zehn Minuten gescheitert, die Leute zum Formieren einer Schlange aufzufordern und nun galt es, schlimmeres zu verhindern. Während Michael und Cim dafür sorgten, dass nie mehr als zwanzig Personen in das Geschäft gingen und ihr größtes Problem einfach darin bestand, sich von dem Pöbel nicht beleidigen oder anspucken zu lassen
[2], streiften Rea, Will und Steven durch die Menge.
Die Kommex hatte es mittlerweile aufgegeben, zu versuchen, wartenden Leuten ihre omnischen Pamphlete anzudrehen. Sie hatte gehofft, auf gelangweilte Gesichter zu stoßen, die sich über eine Ablenkung freuen würden. Doch ganz offensichtlich waren die Wartenden in wichtigere Dinge vertieft. Meist ging es darum, einen Platz weiter nach vorne zu gelangen und die Leute, die sich gerade vorgedrängelt hatten, zu beschimpfen. Will hatte keine Ahnung, wie sie darauf reagieren sollte. Mischte sie sich ein, wurde sie nicht beachtet, und mischte sie sich nicht ein, konnte sie eigentlich auch verschwinden. Die Hauptgefreite beschloss, nur bei akuter Bedrohung einzugreifen und ansonsten zu versuchen, zumindest durch ihre Präsenz den Bürgern den Hauch eines schlechten Gewissens spüren zu lassen.
Plötzlich hörte sie Schreie. Als sie genauer hinhörte, erkannte sie, dass es eher ein Keifen war, trotzdem begann sie, sich durch die Menge zu schieben, immer auf den Lärm, bzw. den lauteren Lärm zu. Das Keifen hörte auf, doch Will war schon fast dort angelangt. Mühsam schob sie sich an den Menschen vorbei, an den Rand der Menge. Eine Frau lag einige Meter entfernt am Boden, sie schien in den Mittvierzigern zu sein. Aus Lippe und Nase floss Blut und in der rechten Hand hielt sie krampfhaft eine zerrissene Tüte, aus der sich bereits fremde Hände etwas nahmen - immerhin lag es ja auf dem Boden.
Neben der Frau kniete Rea Dubiata. Der Lance-Korporal hatte damit begonnen, die offenbar ohnmächtige Frau in die stabile Seitenlage zu bringen.
"Ah, Will", sagte Rea, als sie die Kommex erblickte. "Gut, dass du da bist, die Frau hier muss gestürzt sein, als sie ihr Eigentum verteidigt hat."
"Du meinst, sie haben sie auf offener Straße beklaut?", fragte Will fassungslos.
"Und so liegen gelassen." Der Lance-Korporal hielt der Frau ein Fläschchen unter die Nase und selbige stöhnte leise und begann dann, sich zu bewegen. "Ma'am?", fragte Rea leise. "Sie sind gestürzt, Ma'am und sind ohnmächtig geworden!"
Die Frau knurrte. Sie stand auf und stieß den Vektor in Ausbildung, der ihr beim Aufstehen geholfen hatte, mit überraschender Kraft von sich. "Fass mich nicht an!", schrie sie hysterisch und fasste gegen ihre blutende Nase. Sie ertastete das Blut, streckte die Hand ein paar Zentimeter weit von ihrem Gesicht weg und betrachtete die rote, mit Dreck vermischte Substanz. "Verdammtes Wächterpack hat meine Schokolade geklaut!", rief sie hysterisch und wies mit dem Zeigefinger auf Rea. Diese hob abwehrend die Hände. "Sie waren ohnmächtig, ich wollte doch nur helfen!"
"Diiiebin!", schrie die Frau und zog nun die Aufmerksamkeit der umstehenden Leute auf sich, die, erfreut über eine Abwechslung, eifrig damit begannen, Rea auch zu beschimpfen.
Will hatte Mitleid. Das war die Gerichtsmedizinerin noch nicht mal einen Monat in ihrem neuen Job und schon wurde sie auf offener Straße beschimpft. Von irgendwoher schien sogar jemand Eier hergezaubert zu haben, denn zwei oder drei flogen nun, halbherzig aber doch kraftvoll geworfen, knapp am Lance-Korporal vorbei. Diese ließ sich davon kaum beirren und diskutierte weiter mit der eben noch ohnmächtigen Frau, welche empört auf die zerstörte Tüte deutete, die vor wenigen Minuten wohl noch prall mit Süßigkeiten vollgestopft gewesen war.
Und während die beiden stritten, fiel Will etwas auf. Die versammelte Menge schien sich beruhigt zu haben. Zumindest ein Teil von ihr beobachtete interessiert, wie sich die Frauen stritten, und hatte vergessen, dass sie eigentlich die ersten in der Schlange sein wollten. Der Lance-Korporal schien diese Veränderung auch bemerkt zu haben, denn offensichtlich hatte sie vor, den Leuten eine größere Show zu bieten und zeigte auf Will: "Die war's!", schrie sie und Will begriff.
XXI"Oberfeldwebel?"
"Ja, Michael?"
"Etwas ist anders, kann das sein?"
"Ja, Michael, ich glaube, es ist ruhiger geworden."
"Naja, die Leute haben angefangen zu johlen und schimpfen nicht mehr."
"Und sie drängeln nicht mehr, Michael."
"Aber warum johlen sie?"
"Vielleicht haben sie begriffen, dass es so auch nicht schneller geht?"
"Das glauben Sie doch selbst nicht, Sir."
"Stimmt, Gefreiter."
"Vielleicht haben Rea, Will und Steven die Lage ja auch endlich unter Kontrolle bekommen?"
"..."
"Oberfeldwebel? Ich glaube da prügeln sich zwei ..."
"Was? Wo?"
"Dort, Sir!"
"Sind das ... kneif mich ... Autsch! Kneifen hab ich gesagt, Michael! Das sind Rea und Will!"
"Ja, Sir. Und sie suhlen sich im Schlamm! Soll ich dazwischen gehen?"
"Nein, nein ... Sie unterhalten die Leute, Michael ... glaube ich."
"Eine Ablenkung, Oberfeldwebel?"
"Vielleicht. Vielleicht haben sie sich auch nur gegenseitig verhext. Aber vielleicht versteht der Lance-Korporal auch endlich mal, dass man als SEAL keine Röcke trägt."
"Bitte, Sir?"
"Ich meine sie sollte Uniform tragen, nicht diese zwanzig Schichten Kleidung."
"Achso."
"Was hast
du denn gedacht?"
"Äh, ich hab nur 'Pflöcke' statt 'Röcke' verstanden, Sir."
XXIIRea stand unter der Dusche des Wachhauses. Eine Pfütze aus Schlamm und Dreck schwamm um ihre Füße und suchte ihren Weg in den Abfluss. Die Seife war inzwischen um die Hälfte kleiner geworden und sie entschied, dass sie sich nun wieder unter die Menschen trauen konnte. In der Gewissheit, dass niemand dort war, flitzte sie aus der Kabine und schnappte sich das Handtuch, das sie auf einen Hocker gelegt hatte, möglichst weit weg von der matschigen Kleidung.
Im gleichen Moment wurde die Tür aufgerissen und die Wächterin erstarrte vor Schreck.
"Keine Panik, ich bin's nur", sagte Will Passdochauf, die, immer noch voll Schlamm, die Dusche betrat.
Rea atmete beruhigt aus und wickelte sich ein wenig beschämt in ihr Handtuch. Es war für sie ungewohnt. Als Hexe hatte sie sich an mehrere Schichten Kleidung gewöhnt und selbst vor Frauen hielt sie Nacktheit für unangebracht. "Schon gut. Du hast noch mit Cim gesprochen? Isser sauer?"
"Sauer? Nicht ganz. Ich meine, immerhin hat es was gebracht", plauderte sie ungerührt und entledigte sich der inzwischen vom getrockneten Matsch steif gewordenen Kleidung. "Ich glaube, er ist überhaupt überrascht, dass
du auf diese Idee gekommen bist."
Rea lachte. "Ich auch. Und außerdem, ohne dich hätte es nicht funktioniert."
Eine halbe Stunde späterwar Rea, immer noch mit nassen Haaren, aber wieder vollständig angekleidet, in ihrem Büro. Einige Minuten hatte sie überlegt, den Drachen zur Haartrocknung zu verwenden, doch sie fürchtete, dass man sie danach nur noch schwer von Cim Bürstenkinn unterscheiden könnte. Sie hatte sich gerade mit einer Tasse Tee in den Händen hingesetzt, als eine ihr nur allzu gut bekannte Stimme durch den Raum schallte.
"ALLE SEALS IN MEIN BÜRO!"
Ein wenig Tee verbrühte Reas Finger, vor Schreck hatte sie ein wenig davon vergossen. Ungeachtet dessen stand sie wieder auf und verließ ihr Büro, um in das auf der anderen Seite des Eingangs zu gehen.
Cim hatte sich gerade wieder an seinen Schreibtisch gesetzt. Ihm gegenüber auf dem Besucherstuhl saß eine Frau. Die Kleidung wies sie als Kindermädchen aus. Langsam drehte sich die Frau um und sah Rea mit verheulten Augen an. Im gleichen Moment traf die Nachtschicht ein - Yogi und Chi traten ein und salutierten.
"Was ist passiert?", fragte Rea und nippte ruhig an ihrem Tee.
"Das ist Iona Rauch, Kindermädchen bei der Familie von Brönstett", sagte Cim und nickte der Frau zu. "Sie war heute bei der Eröffnung des Knabberhäuschens und dort ist etwas Schreckliches passiert, nicht wahr, Fräulein Rauch?" Rea bemerkte einen kühlen Seitenblick des Oberfeldwebels, der ihr irgendetwas sagen wollte.
Die Frau schniefte und tupfte sich mit dem Taschentuch die Wangen ab. "Ich war mit den Kindern der von Brönstetts dort, Maidie und Evan, sechs und sieben Jahre alt. Sie hatten versprochen, an meiner Hand zu bleiben, doch als diese Prügelei losging, haben sie sich losgerissen und sind seitdem fort ..." Sie schluchzte erneut und sackte noch mehr in sich zusammen.
Rea sah bestürzt zu Boden, die Blicke der restlichen SEALS bündelten sich auf ihre Person. Die Aktion mit Will hatte sich schnell herumgesprochen.
"Nun, Fräulein Rauch, ich habe ja schon alle wichtigen Informationen, es wäre gut, wenn sie uns Ikonographien der Kinder geben könnten."
Die Frau zog ihr Portemonnaie aus der Tasche und nahm zwei kleine Bilder heraus. "Sie sind schon ein paar Monate alt ..."
"Das wird genügen. Ich werde sofort alles in die Wege leiten."
Frau Rauch verließ niedergeschlagen das Büro. Yogi schloss die Tür hinter ihr. "Doppelte Kindesentführung ...", sagte er. Das Entsetzen stand dem großen Mann deutlich ins Gesicht geschrieben. "Was für eine Art Mensch tut sowas?"
Der Oberfeldwebel ging nicht darauf ein. "Die Kinder sind gegen vier Uhr verschwunden, das Mädchen trug ein rosa Kleid und einen dunkelblauen Mantel, der Junge eine schwarze Hose, ein blaues Hemd und ebenfalls einen dunkelblauen Mantel. Ich werde die Bilder vergrößern lassen und an die Wand im Aufenthaltsraum hängen, zusammen mit der Beschreibung. Rea, wir beide gehen an den Ort des Geschehens und suchen dort nach Hinweisen, Yogi und Chi werden auf ihrer normalen Streifenroute einfach die Augen offen halten und vielleicht kann Chi ja seine Kontakte nutzen."
"Ich glaube nicht, dass die etwas wissen, Söl", entgegnete Chi, fügte dann aber, bei einem viel sagenden Blick des Feldwebels hinzu: "Abel ich welde alles in meinel Möglichkeit stehende tun."
XXIIIEvan rieb sich den Kopf. Es war kühl, doch ihn fröstelte noch mehr, als er sich in seiner neuen Umgebung umsah. Es war ein besserer Keller, in dem er sich befand, nicht sein Kinderzimmer auf das er einen Augenblick lang gehofft hatte. Neben ihm lag Maidie, blass und reglos. Ängstlich rüttelte er an ihrer Schulter. Sie regte sich und blinzelte ihn an und er atmete erleichtert aus.
"Wo... wo sind wir?", fragte seine Schwester.
Evan nahm sich zum ersten Mal die Zeit, den Raum zu begutachten. Mit Raum hatte man eigentlich schon zuviel gesagt. Er hatte keine richtigen Wände, es war mehr ein geschaufelter Hohlraum in der Erde. Es war dunkel, nur eine schmale Ritze hoch oben an einer unerreichbar scheinenden Decke ließ etwas Licht hinein. Evan konnte auf der anderen Seite des Raumes eine Tür erkennen. Zähneklappernd stand er auf und versuchte die Tür zu öffnen - sie war verschlossen. Hoffnungslos drehte er sich um und ließ sich an der Tür herunterrutschen.
"Evan?", sagte Maidie. "Ich habe Angst. Ich will nach Hause."
Der Junge schluckte, stand wieder auf und ging zurück zu seiner Schwester. Zärtlich legte er einen Arm um sie. "Mama und Papa werden uns ganz sicher bald finden, keine Angst", sagte er. Doch es klang wenig überzeugend. Auch er hatte Angst, aber das durfte er vor seiner Schwester doch nicht zeigen! "Alles wir gut werden, Maidie."
"Und was, wenn nicht? Was, wenn uns niemand findet?", fragte das Mädchen und kuschelte sich noch enger an ihren Bruder.
"Du weißt doch, wenn es irgendwann keinen Ausweg mehr gibt, dann kommt eine gute Fee und hilft. Das ist immer so, in allen Geschichten, hab ich nicht Recht?"
Es klickte, als jemand einen Schlüssel im Schloss umdrehte. Die Tür öffnete sich knarrend. Eine Gestalt in einem Umhang trat ein. Sie kicherte ein hohes, helles Kichern, das klang wie das einer verrückten alten Frau. Maidies Fingernägel bohrten sich vor Angst in Evans Arm und auch der kleine Junge begann nun zu zittern. Doch die Person... das Wesen, das so unheimlich kicherte, schien sie nicht weiter zu beachten. Sie legte nur etwas ab und verließ in gebückter Haltung den Raum wieder. Eine Sekunde sagte keines der beiden Kinder etwas, dann sahen sie, wie sich das Bündel, dass die Person da gelassen hatte, regte. Sie hörten leisen Atem. Das Licht, dass aus dem Spalt an der Decke gekommen war, verlosch.
XXIVEs war ungefähr Mitternacht. Rea und Cim hatten die Umgebung des Knabberhäuschens schon mehrere Male erfolglos abgesucht und so langsam fand der Vektor in Ausbildung, dass es keinen Sinn mehr hatte, zu suchen. Müde und mit einem Gefühl der Verzweiflung im Bauch setzte sich Rea auf ein paar Treppenstufen gegenüber dem Süßigkeitengeschäft. Hier war sie erst gestern Nacht mit Scoglio entlang gelaufen, doch das kam ihr nun alles unwirklich vor. Zu dieser Zeit war noch alles in Ordnung gewesen. Jetzt waren zwei Kinder verschwunden und die frisch gebackene stellvertretende Abteilungsleiterin fühlte sich dafür verantwortlich.
"Wenn es eine Entführung ist, dann wird doch sicher jemand einen Erpresserbrief schreiben, oder nicht?", fragte sie ihren Vorgesetzten, der an die Hauswand gelehnt eine Zigarette rauchte. "Ich meine, ihre Eltern sind doch sicher reich, wenn sie schon ein 'von' im Namen haben..."
Cim antwortete nicht. Rea wusste mittlerweile aus Erfahrung, was für ein ungebremster Gerechtigkeitssinn in ihrem neuen Abteilungsleiter lauerte und dass er sich wahrscheinlich gerade ausmalte, was er mit dem Entführer anstellen würde. Sie seufzte und stützte den Kopf auf ihre linke Hand, deren dazugehörigen Arm sie wiederum auf einem Knie abstützte. Als Gerichtsmedizinerin war alles so einfach gewesen...
Der Regen schlich sich an, erst fielen nur einige Tropfen, die man getrost übersehen konnte. Dann fielen mehrere, doch noch immer in jener Stärke, in der man sich einredete, man hätte es sich nur eingebildet, wenn einen ein Tropfen traf. Dann fiel das Wasser in vielen, seidenen Fäden vom Himmel und wandelte sich schließlich in fette Tropfen, die sich in Pützen auf den schmutzigen Straßen zusammenschlossen, die Straße, in der Rea noch am Nachmittag einen Schaukampf ausgetragen hatte, um die Leute von der Warterei abzulenken.
Reas Blick schwenkte zum Oberfeldwebel, der immer noch im Regen stand und das Knabberhäuschen betrachtete. Der Regen perlte von seiner Glatze ab, das bisschen Mondlicht, das sich durch die Wolken kämpfen konnte, spiegelte sich darin und ließ die zahlreichen Tätowierungen auf seinem Schädel schimmern. Er drehte sich zu der stummen Beobachterin und warf die Zigarette fort. Seine Augen verfluchten jeden einzelnen Regentropfen, als er sich in dem Hauseingang unterstellte. Wortlos warteten sie den Regen ab und erst, als sie schon gehen wollten und der Mond sich wieder durch die Wolken gekämpft hatte, entdeckten sie den Ring der verstaubt und halb verborgen unter der Türmatte lag.
XXVAm nächsten Morgen wachte Rea in ihrem Büro auf. Sie hatte auf dem Boden geschlafen, mit dem Kopf auf dem schuppigen Drachenbauch, der sich ihr dargeboten hatte. Sie sah aus dem Fenster - es konnte nicht später als neun Uhr sein. Schlaftrunken warf sie das alte, gefärbte Leichentuch von sich, das sie von der Gardinenstange gerissen hatte, und stand auf, um sich im Aufenthaltsraum am Kaffeedämonen zu bedienen. Auf dem Weg dorthin kamen die Bilder des letzten Tages und der vergangenen Nacht zurück. Gefühle, die sie bislang unterdrückt hatte, kamen hoch und machten sich breit. Angst, Verzweiflung, Mitleid, Wut und vor allen Dingen Ungewissheit. Was war mit den Kindern geschehen? Das Kindermädchen hatte ein Weglaufen für unwahrscheinlich gehalten, da die Beiden sehr brave und zufriedene Kinder waren. Und Entführung? Mord? Hatten sie sich vielleicht verlaufen? Wie zum Hohn fiel Rea nun das alte Kinderlied ein:
Hänsel und Gretel, verliefen sich im Wald, es war so finster und auch so bitterkalt, sie kamen an ein Häuschen von Pfefferkuchen fein... Ja, es war finster und die letzten Tage waren wirklich eiskalt gewesen - und ein Pefferkuchenhaus stand nun auch in der Stadt. Rea schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben - sie musste einen klaren Kopf bewahren.
Mit müden Augen setzte sich Rea an den ramponierten Tisch im Aufenthaltsraum und rührte die Tasse Kaffee um, die der Dämon mehr wörtlich als metaphorisch ausgespuckt hatte. Kurz darauf trat Steven Träumer in den Raum, der Rechtsexperte mit der neuen, seltsamen Angewohnheit, eine Peitsche mit sich herumzuschleppen, was gar nicht zu ihm passte.
"Schon in die Zeitung gesehen, Frau Lance-Korporal", fragte Steven in einem überfreundlichen Ton.
[3]"Wieso, was steht drin?", fragte Rea zurück und blinzelte durch die schweren Augenlider.
"Das zumindest die Times schlauer ist als wir. Die hat schon einen Schuldigen. Oder besser eine Schuldige..."
XXVI Dienstag, 25. Januar
Zwei Kinder bei Geschäftseröffnung verschwundenDas Kindermädchen Frau Rauch wollte mit ihren beiden anvertrauten Kindern Maidie und Evan von Brönstett nur einen kleinen Ausflug machen, doch alles endete in einer Katastrophe. Während eines Tumults verließen die Kinder die Obhut ihres Kindermädchens und wurden seitdem nicht mehr gesehen. Es war ein Tag wie jeder andere auch für das Kindermädchen Iona Rauch: "Die Kinder hatten mich überredet, mit ihnen zur Eröffnung des Knabberhäuschens zu gehen. Eigentlich hielt ich es wegen der großen Menschenmenge für keine gute Idee, ich hatte kein gutes Gefühl dabei." Und ihre bösen Vorahnungen sollten sich bewahrheiten. | Gegen Nachmittag hatte sich eine so große Menge vor dem Knabberhäuschen gebildet, dass die Wache sie kaum noch zu kontrollieren vermochte. So wurde auf eine Ablenkung zurückgegriffen, um die versammelten Leute zu bändigen. Zwei Wächterinnen begannen sich zu prügeln und zogen damit allseits Aufmerksamkeit auf sich, da man sie für normale Zivilisten hielt. "Ich war einen Moment unachtsam und die Kinder liefen los um zu sehen was dort war. Im nächsten Moment waren sie verschwunden." Die Wache hat bereits die Ermittlungen aufgenommen, doch kann man diesen Fall wirklich einer Institution anvertrauen, die sich mit perfiden Tricks zu etablieren versucht? (Fortsetzung Seite 3) |
XXVII"Ich sage euch, es ist die Hexe aus dem Knabberhäuschen und sie will uns braten", sagte der kleine, dicke Junge beinahe stolz. "Erst mästet sie uns und dann kommen wir in den Ofen!"
"Von mästen habe ich noch nichts mitbekommen, Roscoe", sagte Evan und drückte seine Schwester an sich. "Keine Angst Maidie, du weißt ja, er erzählt nur Mist."
Maidie nickte stumm. Sie hatte es die Nacht über aufgegeben zu weinen und seitdem die Hexe - oder was auch immer es war - den kleinen, pummeligen Roscoe zu ihnen ins Erdloch gebracht hatte, hatte sie alle Hoffnung fahren lassen. Es war gut gewesen, dass Iona sie gezwungen hatte, ihre warmen Mäntel anzuziehen, denn es war eiskalt, und selbst als die Sonne wieder durch den kleinen Spalt an der Decke schien, erhellte sich Maidies Stimmung um kein bisschen.
Roscoe selbst schien alles recht gut wegzustecken. Im Gegensatz zu ihr und Evan trug er ziemlich schäbige aber praktische Kleidung. So hatte er aus einer der vielen Taschen seines Mantels bereits einige Streichhölzer gezaubert. Seine dunkle Haut brachte seine hellen, klaren Augen noch mehr zum Ausdruck, die einen ewig frechen Eindruck hinterließen. Alles in allem war er das, was Maidie sich unter einem echten Straßenjungen vorgestellt hatte; kühl, durchwachsen und furchtlos.
"Es ist sehr wohl eine Hexe! Ich stand ja nur vor diesem neuen Süßigkeitenladen, den eine Hexe eröffnet hat, und plötzlich war ich hier!" Roscoe sah sich in seinem Gefängnis um und schüttelte dann den Kopf. "Aber sie hat keinen Stil, warum haben wir keinen Käfig? Und warum sind wir nicht direkt in diesem Pfefferkuchenhaus? Ich meine, wenn wir dort wären, wäre es hier sicherlich lauter."
"Was bringt uns das, Roscoe", fragte Evan, der die ganze Zeit versucht hatte, die Realität auszublenden um nicht darüber nachdenken zu müssen, was seine Zukunft nun für ihn bereit hielt.
"Du weißt nie, wann dir irgendwas irgendwann einmal nutzen kann", er klopfte auf seine prall gefüllten Taschen und grinste. "Nu mach' dir mal nicht in die Hose, ich hab schon schlimmeres erlebt."
XXVIIIDer Mann wippte unruhig auf seinem Stuhl vor und zurück. Händeknetend schüttelte er immer wieder den Kopf.
"Wir waren am Tag vorher noch bei diesem neuen Süßigkeitenladen gewesen und hatten dort eingekauft, Sie wissen schon, in der Sirupminenstraße."
Rea nickte. "Und was haben Sie dann getan?"
"Wir sind nach Hause, abendessen und so, war ja schon spät. Und dann habe ich ihn ins Bett gebracht, wie jeden Abend. Noch eine Geschichte vorgelesen und dann bin ich gegangen." Der Mann fuhr sich durch sein sich lichtendes Haar. Tiefe Furchen in seinem blassen Gesicht erzählten von der Angst und der Sorge, die sein Mund nicht aussprechen wollte.
Der Lance-Korporal notierte sich einige Worte auf dem Notizblock und sah dann wieder zu dem Mann auf.
"Ich hörte einen Schrei, nur fünf Minuten später", sagte der Mann. "Ich stürzte sofort ins Zimmer, doch ich sah nur noch das geöffnete Fenster und die wehenden Vorhänge. Ich bin noch stundenlang durch die Stadt gelaufen und hab überall gesucht, wo ich glaubte, dass er sein könnte. Bei Freunden und so..."
Rea rang sich ein einigermaßen aufmunterndes Lächeln ab. "Haben Sie eine Ikonographie von Tom? Das würde uns sehr helfen?"
Der Mann schüttelte den Kopf.
"Na gut. Und Sie sind sich sicher, dass er nicht weggelaufen ist?"
Der Mann schüttelte nur wortlos den Kopf. Rea hatte nun über eine halbe Stunde mit ihm geredet doch sie hatte das Gefühl, nur das Falsche gesagt zu haben. Müde klappte sie die Akte zu. "Ich werde das meinen Kollegen weiterleiten und sie über alles in Kenntnis setzen, was wir herausfinden. Zurzeit häufen sich die Entführungsfälle."
Der Mann stand auf und die Falten in seinem Gesicht vertieften sich. "Danke", sagte er und wandte sich zum Gehen.
Der Lance-Korporal sah zu, wie der Mann das Büro verließ, dann zog sie aus ihrem Schreibtisch die Akte des kleinen Roscoe aus ihrer Schublade, der am gestrigen Abend verschwunden war. Die Vermisstenmeldung hatte sie vor wenigen Stunden aufgenommen und sie erinnerte sich noch gut an das verweinte Gesicht der Mutter, auch wenn ihr die Müdigkeit mittlerweile Streiche spielte.
Dann nahm Rea den kleinen Beutel, in den sie den Ring gesteckt hatte, den sie in der Nacht gefunden hatte, und betrachtete ihn genauer.
XXIXDamiens Schicht hatte eigentlich schon vor zwei Stunden begonnen, doch er hielt sich nur ungern an Zeiten. Er hielt sich sowieso nicht gerne in seinem Büro auf. Der ewige Optimismus, den Yogi Schulterbreit, mit dem Damien das Büro teilen musste, ausstrahlte, ging ihm ziemlich auf die Nerven. Seit Atera nicht mehr Abteilunsgleiterin war, hatte der Betrieb bei SEALS definitiv zugenommen. Nicht, dass es mehr Fälle gab, aber nun hatte er immer das Gefühl, jemand saß ihm im Nacken, wenn er etwas nicht direkt erledigte.
Er griff gerade zu seiner obligatorischen Tasse Kaffee, als jemand an seine Tür klopfte. "Herein, wenn's kein Chef ist!", rief er, seltsamerweise ziemlich gut gelaunt.
Rea Dubiata trat ein und Damien grinste. "Du bist also kein Chef, schön, dass wir das klargestellt haben, Frau Lance-Korporal", sagte er amüsiert, während er beobachtete, wie sich das unnatürlich blasse Gesicht des Vektors mit den dunklen Schatten unter den Augen minimal verzog. Er meinte, ein kleines Zucken ihres rechten Augenlids bemerkt zu haben, ein unmissverständliches Zeichen, dass sie nervös war.
"Ich glaube nicht, dass es Zeit für Scherze ist", sagte die stellvertretende Abteilungsleiterin dumpf. "Ich habe ein paar Akten für dich, bei denen ich denke, dass sie in deiner Hand am besten aufgehoben sind. Bis heute Abend zumindest, dann liegen sie hoffentlich mit ein paar neuen Ergebnissen auf meinem Schreibtisch."
"Schön, hab ich heute auch mal was zu tun. Um was geht es?"
"Es sind zwei weitere Kinder heute Nacht verschwunden. Kurz nachdem die zwei Geschwister verschwunden sind. Schließ dich bitte mit Cim kurz, sobald er wieder hier ist, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass das alles zusammenhängt, sieht ja ein Blinder. Alle waren bei diesem Süßigkeitenladen. Vielleicht solltest du da Streifen hinschicken, für den heutigen Tag ist das deine Aufgabe, da weiterzukommen..." Rea zuckte die Schultern.
Damien grummelte etwas über diese Ansprache. Er war lange genug bei SEALS, um zu wissen, was zu unternehmen war, und auch wenn er nur Hauptgefreiter war - er hatte mehr Erfahrung als dieser Lance-Korporal, der sich neuerdings einbildete, dass ohne ihn nichts lief. "Schon gut. Und jetzt hau bitte aus meinem Büro ab, ja?"
"Ich wollte hier sowieso keine Wurzeln schlagen", entgegnete die ehemalige Gerichtsmedizinerin und ging.
XXX"Natürlich habe ich den Ring schonmal gesehen", keifte die dicke Frau. Ihre fleischigen Finger grapschten nach dem Schmuckstück, das Rea in Händen hielt.
Der Vektor zog die Hand zurück. Sie war zu dem Hauseingang zurückgekehrt, der sie in der gestrigen Nacht vorm Regen geschützt hatte, und wollte nun ihr Fundstück dem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben. "Wenn er Ihnen gehört, was steht denn dann innen drin eingraviert?", fragte Rea und grinste, als sich die Miene der Frau verdunkelte.
"Was weiß ich denn, was da steht? Is' der von meiner Tochter, also gib das her!" Das Gesicht der Frau wurde puterrot.
"Dann", sagte Rea mit einem zuckersüßen Lächeln, "kann ihre Tochter zur Wache kommen und ihn sich abholen, sofern sie weiß, was eingraviert ist. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag." Der Lance-Korporal wandte sich zum Gehen und ignorierte die wüsten Beschimpfungen der dicken Frau.
Sie ging über die Straße und blieb am Knabberhäuschen stehen. Heute war der Betrieb normal. Leute gingen ein und aus, viele Leute, doch erheblich weniger als am gestrigen Tag. Rea blieb einen Moment stehen und betrachtete das Treiben. Es war bunt gemischt und die Kunden warfen ein perfektes Bild der Gesellschaft Ankh-Morporks. Zwerge, Zombies, Kinder und Erwachsene, sogar ein Troll, alle schien dieser Laden anzusprechen. Und schließlich, als Rea es nicht mehr aushalten konnte, betrat sie selbst den Laden.
Es war eng und stickig, da zu viele Menschen diesen Raum betreten hatten und zu wenig Fenster ihn lüfteten, doch jeder Geruch wurde überdeckt von dem süßlichen Geruch des Karamels und der flüssigen Schokolade und der Würze des Lebkuchens. Die Leute standen dicht gedrängt vor den Regalen, in denen Körbchen und Tütchen mit appetitlich verpackten Genussmitteln standen.
Rea kaufte einige davon. Hinter der Kasse stand die Chefin persönlich, eine hübsche, dunkelhaarige Frau in der Tracht Überwalds - eine weit ausgeschnittene Bluse und ein eng geschnürtes Mieder. Sie lächelte freundlich und ihre dunklen Augen strahlten, als ob das, was sie tat, das Schönste war, was sie sich nur vorstellen konnte. Hatte sie überhaupt keine Ahnung, was passiert war?
Der Lance-Korporal steckte die Süßigkeiten in die Tasche und zog ihre Marke heraus:
"Frau Schrader, könnte ich sie mal kurz sprechen?"
XXXI"Okay", Damien ging in seinem Büro auf und ab. "Scoglio und Amalarie, ihr bleibt in der Nähe des Geschäfts, den ganzen Tag. Ich komme mit und beobachte das ganze von weiter weg und mache Bilder von Leuten, die sich seltsam verhalten."
Damien scheuchte die beiden Wächter aus seinem Raum und legte fest, dass Yogi und Chi sich ab Abenddämmerung um die Observierung kümmern sollten. Dann zog er sich seinen Mantel an und sah aus seinem Fenster hinaus. Es ließ für seinen Geschmack viel zu viel Sonne rein. Er würde mit Yogi darüber reden müssen. Überhaupt würde er mit Yogi reden müssen und ihm nahelegen, dass ein anderes Büro viel mehr Platz für ihn bot. Jetzt aber war nicht die Zeit dazu, dieser blöde Lance-Korporal hatte es also nicht geschafft, die notwendigen Entscheidungen zu treffen, sie hatte
ihm das überlassen. Sie war in der Befehlsposition und was hatte sie bisher getan? Sie war Cim hinterher gedackelt und hatte ein paar Leute verhört.
Damien seufzte, mit Rea Dubiata war das Unheil zu SEALS gekommen. Zumindest hatte sie den Verstand gehabt, ihm den Fall anzuvertrauen, sonst wäre das ganze wohl den Ankh runter geschwommen. Kurz warf er nochmal einen Blick in die Akten.
Kindesentführung... dachte er. Bei diesem Thema hätte sie doch alle Hebel umlegen müssen. Kein Wunder, dass Cim ihr den Fall allein überlassen hatte, er wollte sie scheitern sehen - aber er konnte sie doch nicht bei so einem Thema scheitern lassen wollen! Es ging immerhin um Kinder! Der Szenekenner schüttelte den Kopf, er würde einfach nur diesen Fall lösen, wie immer. Und vielleicht hatte er dann endlich Chancen auf eine Beförderung - wenn er mit Rea gleichzog, dann hatte sie ihm auch ganz offiziell nichts mehr zu sagen.
XXXIIKathrin Schraders starrte die Wächterin fassungslos an. "Was reden Sie da?", fragte sie. "Kindesentführungen, direkt vor meiner Ladentür?"
Die blonde Frau nickte besorgt. Sie wirkte müde und abgespannt, ihre ganze Körperhaltung war nach vorne verschoben, denn sie ließ die Schultern hängen, als ob sie eine schwere Last auf den Schultern trug.
"Es war in der Times, in der Tageszeitung", sagte die Wächterin und griff nach einem der Kekse, die Kathrin ihr angeboten hatte. Gerade als sie hinein beißen wollte, hielt sie inne und sagte dann: "Gestern wurden die ersten Kinder entführt, während der Ladeneröffnung. Mittlerweile sind es vier."
"Ich lese die Times nicht, ich wusste nicht mal, dass es so etwas hier gibt, ich bin doch erst seit einigen Wochen in der Stadt!" Besorgt sah Kathrin auf den Tisch, als ob es dort eine Lösung für den Fall gäbe.
"Ich verstehe", entgegnete die Wächterin, während sie weiterhin den Keks musterte, als suche sie nach Beweisen.
"Kann ich ihnen noch irgendwie helfen?", fragte Kathrin mitfühlend. Sie spürte, wie der Fall die Wächterin mitnahm, auch wenn diese es wohl nie zugegeben hätte.
"Nein. Obwohl, doch... Wo waren sie gestern, so gegen Nachmittag?"
"Na hier; wo auch sonst?", fragte Kathrin, ein wenig erstaunt über die Frage.
"Gut, ich denke, wir werden vielleicht nochmal auf sie zurückkommen müssen. Reine Routine, versteht sich."
XXXIII"Hee du Felsen", brüllte Amalarie dort hinein, wo sie das Ohr des Trolls vermutete. "Da hinten tut sich was!" Aufgeregt gestikulierte die Gnomin in eine Richtung am anderen Ende der Straße.
"Das ziemlich große Frau sein, mit spitzen Hut." Scoglio zuckte die Schultern, woraufhin Amalarie beinahe heruntergefallen wäre. "Das ist Hexe. In den Spitzhornbergen es viele Hexen gab."
"Wir sind aber nicht in den Spitzhornbergen. Und die Frau kommt näher. Mann, hat die ne große Nase. Wie hässlich."
"Sie wirklich sehr groß für eine Frau sein. Und sehr groß für eine alte Frau obendrein..."
Widerwillig stimmte Amalarie dem Troll zu. Obwohl die Frau gebeugt und gestützt auf einen umgedrehten Besen ging, konnte man erkennen, dass sie sicherlich sechs Fuß groß war. Die Frau schritt die Sirupminenstraße entlang und an den Wächtern vorbei, die Bürger Ankh-Morporks beachteten sie kaum. Es gab seltsamere Lebewesen, die sich in diese Stadt verirrten, doch Amalarie und Scoglio sahen der Frau nach, bis ihr Hut nur noch ein Punkt in der Menge war.
Ein Schrei ließ sie herumfahren.
"Annika!! Annika, komm sofort wieder hierher, bitte, das ist nicht mehr lustig!" Eine Frau mittleren Alters lief mit besorgtem Gesichtsausdruck durch die Menge, schließlich erblickte sie die Wächter und rannte auf sie zu. "Haben sie meine Tochter gesehen? Sie ist ungefähr so groß und hat rote Haare und sie war eben noch hier und... jetzt ist sie weg, bei allen Göttern, meine kleine Annika ist weg!!"
Der Troll und die Gnomin sahen sich an, was eine gewisse Verrenkung Scoglios bedurfte, da Amalarie ja auf seiner Schulter stand.
"Wir sie suchen werden", sagte Scoglio und sah ernst zu der Frau hinunter. Ruhig holte er einen Block und einen überdimensionalen Bleistift aus der Tasche. "Bitte beschreiben Sie ihre Tochter."
XXXIVNun waren sie also zu fünft, dachte Evan und sah von einem Kind zum nächsten, bis er bei seiner Schwester anlangte, die sich den schmutzigen Mantel bibbernd enger um den Leib zog. Annika hatte die Hexentheorie Roscoes bestätigt. Sie hatte von einer großen Nase mit hässlichen Warzen gesprochen und geweint, bis Tom sie in die Arme genommen hatte. Dort hatte sie nur noch gewimmert und angefangen, zu einem gewissen Om zu beten, er möge sie alle retten.
Evan aber wusste, dass die Götter sich wenig um die Wünsche der Menschen scherten. Er rechnete eher mit einem Auftauchen des Schneevaters als mit dem eines Gottes. Zumindest hatte Roscoe aufgehört, seine grausamen Theorien von dem zu verbreiten, was ihnen seiner Meinung nach bevorstand. Er hatte sich einen mittelgroßen, flachen Stein genommen und begonnen, einen Fluchtweg zu graben, bislang mit mäßigem Erfolg. Die Erde war steinhart gefroren, selbst hier, zwei Meter unter der Oberfläche.
"Lass es sein, Roscoe, das bringt doch nichts", sagte Tom zum unendlichsten Mal.
"Wenigstens wird mir dabei warm", sagte Roscoe, dessen dunkles Gesicht mit der Zeit immer dunkler geworden war, da er sich nicht darum scherte, sich den Dreck aus dem Gesicht zu wischen.
"Om wird uns alle retten", sagte Annika leise aber nachdrücklich.
"Wer sich selbst hilft, dem helfen die Götter", entgegnete Roscoe und grub weiter.
Es wurde still, nur das leise Schnaufen Roscoes war zu hören.
XXXVDamien betrachtete die sich ständig verändernde Menge vor dem Knabberhäuschen. Der Hauseingang, den er sich ausgesucht hatte, bot perfekten Schutz vorm Gesehenwerden, obwohl er fast den ganzen Straßenabschnitt im Blick hatte. Der Dämon in dem Ikonographen, den sich Damien bei SUSI geliehen hatte, fluchte, als der Szenekenner zum zehnten Mal in den letzten drei Minuten den Auslöser betätigte. Die alte Hexe war wieder da. Er hatte sie vorher schon einmal gesehen, kurz darauf war ein Kind verschwunden. Schnell klickte er noch zwei Mal auf den Auslöser und stürzte sich dann ins Getümmel, um der Alten zu folgen. Das heißt, er wollte sich ins Getümmel stürzen, doch jemand hielt ihn fest. Sein Hemd schnitt ihm auf einmal in die Kehle und ein heiseres Krächzen war alles, was seine Stimmbänder hergaben, als er versuchte, einen erstaunten und verärgerten Ausruf zu erzeugen.
"Schon wieder einer von euch Pennern! Was soll das, geht doch unter eine der vielen Brücken in dieser Stadt und hört auf, mein Haus zu belagern!", keifte eine aufgebrachte Frauenstimme.
Damien wollte sich umdrehen und etwas erwidern, doch im selben Moment traf ihn ein Stiefel in den Allerwertesten. Der Griff an seinem Hemdkragen löste sich und er fiel vornüber in eine der vielen Pfützen, die sich auf den unebenen Straßen Ankh-Morporks gebildet hatte. Eine Sekunde lang blieb er liegen und lauschte dem Gezeter des Dämons in seinem Ikonographen, der sich über den plötzlichen Wassereinbruch beschwerte.
Dann spürte er erneut einen Griff im Nacken, jemand zog ihn hoch und sein Gesicht aus dem Wasser.
"Alles in Ordnung?", fragte eine ihm nur allzu gut bekannte Stimme.
Damien rappelte sich auf, betrachtete kurz seine schlammige Kleidung und sah dann zu Rea, die ihn kritisch musterte. Hektisch wischte er sich den Schlamm aus dem Gesicht, da er fühlen konnte, wie dieser lebte. Der Lance-Korporal reichte ihm wortlos ein sauberes Stofftaschentuch. Damien sah sich hastig um und suchte nach einem Spitzhut in der Menge, er war verschwunden.
"Verdammt, meine Verdächtige", sagte Damien und stampfte auf - wobei er natürlich direkt in die Pfütze trat und seine Hose sowie seine Vorgesetzte mit Schlamm bespritzte.
Rea lächelte. "Du hast also Bekanntschaft mit Frau Wams gemacht?"
"Wem?"
Der Lance-Korporal deutete auf den düsteren Hauseingang hinter sich. "Unangenehme Person."
Der Hauptgefreite nickte. "Ich dachte, du hättest Dienstschluss gemacht."
"Das wollte ich auch, aber..."
Damien nickte.
"Du hattest eine Verdächtige? Ich habe eben mit Scoglio und Amalarie geredet, eben wurde die kleine Annika Dortenstecker als vermisst gemeldet."
"Ich hab bemerkt, dass sie jemanden suchen. Und vorher ging diese Hexe hier vorbei und ich dachte sie wäre vielleicht..." Damien sah Rea an, die die Augen zusammengekniffen hatte, als ob sie nur darauf wartete, dass er etwas Falsches sagte. "Ich meine, sie sah sehr komisch aus... Groß und mit hässlicher, großer Warzennase, nicht war, Dämon?"
Der Dämon fluchte leise und hielt ein verwaschenes Bild hoch.
"Eine Hexe also?", fragte Rea. "Spitzhut, Besen, Warzennase, vielleicht noch ein paar magische Amulette und einen Kater auf der Schulter?"
"Kein Kater..." Damien kratzte sich am Kopf.
"Gut, in welche Richtung ist sie?"
XXXVIEs war erstaunlich, wie schnell Wörter Ankh-Morpork durchquerten. Das Wort "Hexe" war besonders schnell. Die Kinder waren von einer Hexe entführt worden. Und irgendwo, in einer der vielen Gesprächsrunden, die entstanden waren, verband jemand das eine mit dem anderen. "Eine Hexe? Naja, wir alle wissen ja, wo seit neustem ein Hexenhaus steht. Und wo sind die Kinder verschwunden? Natürlich, genau dort!"
Es war ein Wunder und ein Glück, dass sich Scoglio zu dieser Zeit im Dienst befand und gerade vor dem Knabberhäuschen stand, als der Mob darauf zu schritt. Es war nicht der erwartungsfrohe Mob vom Vortag, diesmal hatte irgendein Mistgabel- und Fackelverkäufer das Geschäft seines Lebens gemacht. Wie auf ein geheimes Zeichen hielten die Leute vor dem Zaun aus Zuckerstangen an und starrten zu Scoglio, auf dessen Schultern eine Gnomin nervös hin und her hüpfte. "Tu was!", schrie sie. "Tu was."
Jemand bahnte sich den Weg durch die Menge und kam auf Scoglio zu. Die Gestalt trug eine Vielzahl an Röcken die Scoglio mittlerweile sofort mit seiner neuen Kollegin Rea Dubiata verband. Er nahm Haltung an und wieder wackelte Amalarie unsicher hin und her, um das Gleichgewicht zu halten.
"Ich die Leute nicht reinlassen soll, Ma'am, oder?"
Rea schüttelte den Kopf und musterte dann den Mob.
"Tötet die Hexe!", rief einer der Leute in der Menge.
"Ja, Tötet sie!", rief ein Mann, der sich offensichtlich eine der größten Mistgabeln besorgt hatte, die es gab.
"Hier wird niemand getötet, wir nehmen die Frau mit, okay?", rief Rea gegen die Meute an, die inzwischen mehrere Rufe ausprobierte.
"Sie hat meinen kleinen Roscoe entführt!", rief eine Frau und deutete auf das Pfefferkuchenhaus, dessen Tür sich gerade öffnete und ein paar Kunden herausließ.
"Wir nehmen die Frau in Schutzhaft, verstanden?", rief Rea der Menge zu. "Und wenn jemand was dagegen hat, dann kann er das dem Troll hier sagen!"
Mit einem genervten Gesichtsausdruck wandte sich der VEKTOR um und ging in das Haus um Kathrin Schrader zu holen.
XXXVIIUnd dann waren sie zu siebt. Die Geschwister Alfons und Mardo hielten beide kleine Miniaturmistgabeln in der Hand, auf denen deutlich der Schriftzug "TMSIDR Schnapper" zu lesen war.
"Wir waren auf dem Weg zu der Hexe... die die Kinder entführt haben soll...", sagte Mardo und zog dann die Augenbrauen hoch. "Aber..."
"Tja, da waren die Ankh-Morporker Bürger wohl zu spät", sagte Roscoe. "Zumeist sind sie ja recht schnell, aber..."
"Sie glauben, es ist die Frau, der das Knabberhäuschen gehört", sagte Alfons.
"Wer sagt, dass sie es nicht ist?", fragte Evan. "Maidie und ich waren genau da bevor wir-"
"Ich auch!", sagte Annika, die das Beten noch nicht ganz aufgegeben hatte, aber zumindest zwischendurch sinnvolle Worte von sich gab.
Tom wickelte sich enger in seine Bettdecke, die die Hexe ihm gnädigerweise gelassen hatte. "Ich nicht, aber wir wohnen auch nur ein Steinwurf davon entfernt..."
Die Kinder sahen sich an. Sie dachten an das Knabberhäuschen, an den Pfefferkuchen und schließlich an ein Märchen, das sie alle kannten.
"Ich hab's euch doch gesagt", sagte Roscoe und begann wieder damit, zu graben.
XXXVIIIDie Frau saß in Reas Büro und starrte unentwegt aus dem Fenster. Von draußen schallten die Rufe des Mobs herein, der sich auf dem Pseudopolisplatz versammelt hatte und immer wieder stachen Schagwörter wie "Lynchen" und "Verbrennen" heraus. Kathrin saß reglos auf einem der beiden Besucherstühlen, die Hände im Schoß gefaltet und mit einem maskenartigen Gesichtsausdruck. Rea goss sich und ihrem Gegenüber eine Tasse Tee ein und sah ihr dann in die Augen. Im gleichen Augenblick öffnete sich die Tür und Damien Bleicht trat beinahe lautlos herein. Grußlos ging er zu Reas Schreibtisch und legte eine Mappe auf ihren Tisch.
Der Vektor verkniff sich einen Kommentar über das Anklopfen, an das sie sich bei SUSI so gewöhnt hatte, und öffnete sofort die Mappe. Ihre Augen glitten über das beschriebene Papier, dann nickte sie und gab Damien die Mappe zurück. "Wir reden gleich darüber und gehen die Sache an, verstanden?"
Damien nickte, oder man konnte es zumindest als Nicken verstehen, wenn man wollte, denn an sich zuckte nur ein kleiner Teil seiner Halsmuskulatur, während er wieder aus der Tür ging.
"Es sind gerade wieder zwei Kinder verschwunden, während wir Sie schon in Gewahrsam hatten. Ich denke, das ist ein prima Alibi." Rea nippte an ihrem Tee und sah dann zu Amalarie, die bei ihr auf dem Schreibtisch saß und eifrig mitschrieb.
"Also kann ich gehen?", fragte die Frau.
Rea schüttelte den Kopf. "Sie bleiben hier, bis sich die Lage da draußen beruhigt hat. Ich gedenke, Ihren Aufenthalt so angenehm und kurz wie möglich zu halten, aber es geht um Ihre Sicherheit."
"Aber Sie glauben mir doch, oder? Ich habe nichts damit zu tun!"
Rea nickte stumm, während sie durch Kathrin hindurch sah, und lauschte den Rufen des Mobs auf dem Pseudopolisplatz. Mittlerweile hatte man sich auf "Verbrennt die Hexe" geeinigt. Dann stand sie auf und verließ den Raum.
Vor der Tür wartete bereits Damien auf sie und sah sie ausdruckslos an. Er hielt noch immer die Mappe in den kalkweißen Händen.
Rea sah ihn eine Weile unentwegt an. "Ich denke, wir sollten ihr Haus durchsuchen," sagte sie schließlich.
"Wieso?", fragte Damien. "Ich dachte die Frau ist unschuldig."
"Ich denke nicht, dass sie weiß, was vor sich geht."
"Wo ist Cim?"
"Meinst du, ich kann das nicht ohne ihn entscheiden, Hauptgefreiter?"
Damien überlegt kurz. "Ja, meine ich. Außerdem muss er wissen, dass wir eine Frau in Schutzhaft haben. Und dein Büro ist zu gefährlich, es liegt direkt zum Pseudopolisplatz hin und es wird nicht lange dauern, bis die Leute wissen, wo sie ist."
"Guter Gedanke. Fädle du das ein. Bring sie in eine nette Zelle, oder sonstwohin, ich schreibe Cim eine Notiz über die aktuellen Vorfälle."
XXXIXRea, Damien, Yogi und Scoglio hatten die doppelte Zeit für den Weg in die Sirupminenstraße gebraucht, da auf dem Pseudopolisplatz kaum ein Durchkommen war. Nicht einmal für den Troll machten sie noch den Weg frei, so aufgebracht war die Menge. Sie wollten Kathrin Schrader verbrennen. Einige fanatische Bürger hatten bereits Holz (größtenteils alte Möbel, Obstkisten und ähnliches, was sich in der baumlosen Stadt an Brennbarem finden ließ) zu einem großen Haufen geschichtet.
Schließlich hatten sie das Knabberhäuschen erreicht. Einige der großen Pfefferkuchenplatten waren dem Vandalismus zum Opfer gefallen, der Zaun aus Zuckerstangen war zertrümmert und umgeworfen. Doch niemand schien die Tür geöffnet zu haben. Wahrscheinlich hielt man es auch in Ankh-Morpork für besser, das Haus einer Hexe nicht zu betreten. Oder die Leute hatten es vorgezogen, mit dem Mob zu marschieren und sich nicht mit Kleinigkeiten aufzuhalten.
Vorsichtig öffnete Rea die Tür, der Verkaufsraum war menschenleer. Die vier Wächter traten ein und Scoglio und Yogi trennten sich um den Keller zu untersuchen. Rea und Damien gingen am Tresen vorbei und betraten die Küche. Vier Öfen reihten sich an der Wand, groß genug um ein ganzes Schwein hinein zu schieben.
Rea ging zum Kessel, der in einem Kamin hing. Das Feuer darunter war erloschen und die Substanz darin hart geworden. Sie nahm eine hölzerne Kelle von der Wand und klopfte gegen das schimmernde, weiße Zeug im Kessel. Es war Zuckerguss. Erleichtert ging sie weiter zum Regal neben dem Kamin, dessen Bretter sich von der Last der vielen Gläser voll mit Zutaten bedrohlich nach unten bogen. Dann erschrak sie. Die ganze Zeit hatte sie im Hintergrund ein leises Rascheln und Quietschen gehört, verursacht durch Damien, der die Schubladen durchsucht hatte. Plötzlich war es abgebrochen. Rea drehte sich um, der Szenekenner stand stocksteif da und starrte auf etwas in einer der geöffneten Schubladen. Kein Muskel am Skelett des Bleichen schien sich zu bewegen, als Rea ihn ansprach und fragte, was er gefunden habe. Schließlich ging sie auf ihn zu. Sein Gesicht wirkte wächserner als sonst, wie aus Porzellan gegossen, und trotz seiner Starre strahlte er eine Unruhe aus, die Rea nicht geheuer war. Dann folgte sie seinem Blick und ihr stockte er Atem. Es war ein Kochbuch. Ein Kinderkochbuch. Doch es war nicht geschrieben worden, damit Kinder es benutzen sollten, nein, als Rea vorsichtig die erste Seite des Buches aufschlug wusste sie, dass man für jene Rezepte am besten fünf- bis achtjährige Menschen als Zutaten benötigte.
Ihr wurde übel, doch sie kämpfte dagegen an, als sich ihr Magen verkrampfte, und versuchte, das wenige Essen, das sie vor ein paar Stunden zu sich genommen hatten, loszuwerden. Damien schien es ähnlich zu gehen, in seinem blassen Teint trat eine deutlich grüne Färbung hervor.
"Schaut mal, was wir gefunden haben!", ließ sich die Stimme von Yogi Schulterbreit aus dem Verkaufsraum vernehmen.
Rea und Damien fuhren gleichzeitig zusammen und drehten sich um, gerade rechtzeitig um zu sehen, wie Yogi mit einem hohen, spitzen Hexenhut und einem schwarzen Umhang die Küche betrat.
"Haben wir im Keller gefunden, sonst ist da nichts", sagte er, trotz seiner ernsten Miene einen unerträglichen Optimismus ausstrahlend.
Rea nahm den Umhang und wickelte das Kochbuch darin ein. "Fingerabdrücke", murmelte sie. "Damien, du machst hier weiter, Yogi und ich gehen nach oben.
Der Szenekenner antwortete nicht, begann aber, die nächste Schublade zu durchsuchen, während Yogi hinter einer schmalen, viel zu niedrigen Tür in der Küche eine kleine Treppe erklomm. Rea folgte ihm.
Oben gab es praktisch nichts, außer einem Schrank, einem Bett und einem Stuhl. Im Schrank hingen nur ein paar Kleider, doch unterm Bett fanden sie eine kleine Schachtel. Ungefähr so groß wie ein Schuhkarton war sie mit einer Kordel verknotet. Yogi schnitt sie auf.
Es war eine typische Andenkenschachtel, so wie Rea sie auch besaß. Gefüllt mit Briefen, kleinen, besonders schönen Steinen und Ikonographien. Sie fühlte sich wie ein Eindringling, als sie die wenigen Bilder durchging. Bei einem hielt sie inne. Ihr stockte der Atem als sie das große Portrait betrachtete. Sie kannte den Mann. Noch vor ein paar Tagen war er vor ihr aus dem Lagerhaus geflohen. Und eine Frau aus Überwald kannte ihn.
XXXXCim war gerade von seiner Wohnung aus zum Wachhaus gelaufen, mit einem kleinen Umweg über die Sirpuminenstraße, dort hatte er die Frau entdeckt. Heimlich hatte sie Rea beobachtet, die gerade Damien aus dem Schlamm gezogen hatte. Offenbar hatten die beiden ebenso wie Scoglio und Amalarie das Haus observiert. Normalerweise interessierten sich die Bürger nicht viel für die Wache, doch die Frau hatte eine ganze Weile zugesehen, wie sich Rea und Damien darüber gestritten hatten, was nun zu tun war. Und dann, in einem kleinen Moment der Unachtsamkeit, war die Frau verschwunden. Auch Damien war plötzlich nicht mehr zu sehen, dafür füllte sich die Straße vor dem Geschäft plötzlich mit Menschen. Doch Cim achtete kaum auf sie, denn in der Ferne hatte er den Spitzhut der alten Frau entdeckt, der sich auf die Schlechte Brücke zu bewegte. Sofort hechtete er ihr hinterher, verlor sie dann jedoch wieder. Schließlich entschloss er sich, zum Wachhaus zurückzugehen, um dort hoffentlich neue Ergebnisse zu bekommen. Dort traf er sie wieder. Jetzt trug sie keinen Spitzhut mehr, und dass schien seinen Grund zu haben, denn vor dem Wachhaus hatte sich in der Mittagssonne eine große Menge an Bürgern versammelt, die nur eines forderten: Die Hexe zu verbrennen.
Unbeachtet folgte er der Frau und kam ihr diesmal nahe genug, um ihr Gesicht zu erkennen. Es war mit Sicherheit die Frau, die Damien neben dem gut aussehenden Mann in der Trommel aufgefallen war. Sie hatte lange, rote Haare mit einem dunkelgrauen Ansatz, die in einen strengen Dutt und ein Haarnetz gezwängt waren. Ihr Gesicht war ein wenig aufgedunsen und genauso rot wie ihre Haare, doch die Gesichtszüge selbst ließen eine ehemals zierliche Frau vermuten. Trotz der geringen Größe und des enormen Fettanteils, der sich vor allen Dingen auf Bauch und Brust beschränkte, wirkte sie erhaben und Cim hätte in manchen Augenblicken schwören können, dass sich ihre Körperlänge von Zeit zu Zeit änderte, je nachdem ob sie mit jemandem redete oder nur durch die Straße ging.
Das war ein weiteres Geheimnis dieser Frau. Sie bewegte sich durch die Straßen und die Menge teilte sich vor ihr, als sei sie ein Troll dessen Blick jeden warnte, dass er sich nicht bemühen würde irgendjemandem Platz zu machen, auch wenn die zertrampelten Unglücklichen, die es wagten zwischen seinen Zehen hängen blieben. Doch anders als bei dieser Art von Trollen schienen die Leute kaum zu bemerkten, dass sie dem in schäbigem Schwarz gekleideten Weib auswichen. Sie änderten die Richtung um wenige Grad, als ob sie dies bereits den ganzen Tag so geplant hätten und sahen die Hexe nicht einmal an.
Cim verfolgte die Frau weiterhin. Er hatte den nicht unbegründeten Verdacht, dass sie etwas mit den verschwundenen Kindern zu tun hatte. Nicht nur, weil sie eine Hexe war, sich die Entführung in der Nähe eines typischen Hexenhäuschen ereignet hatte und die Bürger Ankh-Morporks ihren Tod forderten
[4]. Sie hatte auch etwas... Seltsames an sich. Schließlich hatte er ein Extrablatt der Times in die Hände bekommen und war überzeugt, dass er sich an die richtige gehängt hatte. Wenn er ihr nur lange genug folgte, würde sie ihn schon zu den Kindern führen.
XXXXI Dienstag, 25. Januar
Neue Kindesentführungen, ist die Hexe daran schuld?Nachdem am gestrigen Abend bereits zwei Kinder verschwanden, wurde nun die Entführung von 4 weiteren Kindern im Alter von 5 bis 7 Jahren gemeldet. Wieder war der Tatort das neu eröffnete Knabberhäuschen. Und die Wache tappt im Dunkeln. "Sie flog am Fenster des Kinderzimmers meines kleinen Jungen vorbei und nahm ihn mit", berichtet ein verstörter Vater über die Entführung seines Sohnes Tom. "Das letzte, was ich von ihm hörte, waren Schreie." Die Wohnung des kleinen Tom H. lag ganze nah am Süßigkeitenladen von Kathrin Schrader und auch direkt vor ihrer Tür wurden Kinder entführt. "Es ist doch ganz einfach, diesen Fall zu lösen", erklärt der aufgebrachte Bürger Stanislav Finten (43). | "Die Kinder wurden von einer Hexe entführt und wer ist die Inhaberin des stadtbekannten Hexenhauses? Da kommt doch eins zum anderen!" Trotz dieses möglichen Zusammenhangs scheint die Wache bislang nur das Haus zu observieren, Festnahmen wurden noch keine gemacht. "Wir haben Anweisung, dieses Haus zu beobachten. Bislang besteht noch kein Verdacht, dass Kathrin Schrader etwas mit den Entführungen zu tun haben könnte!", erklärte Alamarie Mögetier der Times, Wächterin bei der Abteilung SEALS. Lex Engelhardt (59), einer der Wartenden vor dem vermeintliche Hexenhaus erklärte jedoch: "Wir werden nicht ruhen, bis diese Hexe hinter Schloss und Riegel, oder besser sogar, verbrannt ist. Sie ist eine Gefahr für uns alle und wenn die Wache nichts tut, dann tun eben wir etwas! |
XXXXII"Damien!", der Lance-Korporal kam die Treppe herunter gerannt. "Damien, schau dir diesen Kerl an, erkennst du ihn?"
Der Szenekenner nahm die Ikonographie entgegen, die Rea ihm entgegen hielt. Er brauchte nicht lange zu überlegen, um dieses Gesicht wiederzukennen. "Der war neulich in der Trommel, ja."
"Und Schrader scheint ihn zu kennen!"
"Und er hat bei dem Überfall mitgemacht, bei dem du so kläglich versagt hast, genau."
Zu Damiens Verwunderung nickte Rea heftig und sah ihn dann herausfordernd an. "Weißt du, was sie versucht haben zu stehlen?"
"Nicht dolles, nur Mehl, ein paar Gewürze, Ka... Kakao?" Der Groschen fiel und Damien sah sich in der Küche um. "Er hat versucht ihre Backzutaten zu stehen?"
"Naja, ich kann jetzt nicht sagen, dass es ihre waren..." Rea zuckte die Schultern und lehnte sich dann gegen einen Tisch.
"Aber was genau soll uns das sagen?", fragte Yogi, den Damien bislang nicht bemerkt hatte und der nun in der Tür zur Treppe stand. "Ein Kerl, den sie kennt, und der auch erst seit kurzem in der Stadt ist. ", er tippte sich kurz an die Stirn um zu zeigen, dass er schon so weit gedacht hatte, "versucht ihre Sachen zu stehlen. Die Backzutaten einer vermeintlichen Pfefferkuchenhexe." Er legte eine dramatische Pause ein - oder zumindest versuchte er es, denn es waren keine zwei Sekunden vergangen, bis sich ein Zischen aus dem Mund des Lance-Korporals vernehmen ließ. Es war nicht laut genug, um es zu verstehen, doch irgendwie schaffte es das Wort "Frosch" bis an die Ohren des Obergefreiten. Yogi schluckte hörbar. Es war das erste Mal, dass Rea mit so etwas gedroht hatte.
Damien bemerkte wie ein Auge Reas zu zucken begann. "Du musst zugeben, Rea, dass die Beweise gegen Schrader sprechen", sagte er und konnte förmlich fühlen, wie Yogis Anspannung abrupt sank und die des Lance-Korporals nach oben schnellte.
"Ich traue keinen Beweisen. Ich traue physischen Tatsachen, verstanden? Sie war in meiner Gewalt, als die letzten Kinder entführt wurden!" Blut schoss in Reas Gesicht. Ihr Augenlid zuckte wie verrückt und die Narbe auf ihrer Wange schien zu pulsieren, als sie ihre Hände zu Fäusten ballte. Doch Damien scherte sich nicht darum: "Sie könnte tatsächlich eine Hexe sein, weißt du?" Er verschränkte seine Arme vor der Brust. "Oder sie hatte einfach einen Komplizen, wäre nicht der erste Verbrecher, der nicht alleine arbeitet,
Frau Lance-Korporal." Die letzten Worte spuckte er aus, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen.
Damien beobachtete, wie langsam das Blut aus dem Gesicht Dubiatas wich. Natürlich hatte sie gar nicht darüber nachgedacht, dass zwei Leute an der Sache beteiligt sein könnten, oder noch mehr. Wahrscheinlich war der Typ auf dem Bild der Helfer. Belustigt, doch zu stolz um dies zu zeigen, betrachtete er, wie die blonde Wächterin innerlich strauchelte. Schweiß glänzte auf ihrer Stirn, als sie den Tisch wieder losließ. "Wir werden diesen Kerl jetzt überprüfen. Du hast gesagt, er sei in der Trommel gewesen, da gehen wir jetzt hin."
"Da fällt mir etwas ein..." Damien kramte durch das Archiv seines Gehirns und zog eine verstaubte Erinnerung hervor. "In der Trommel saß an dem Abend auch eine Hexe. Schwarz angezogen, Spitzhut und so."
Der Lance-Korporal nickte. "Ich erinnere mich, ich hab den Bericht gelesen."
XXXXIIIBernard bahnte sich einen Weg durch die aufgebrachte Menge. Einige Leute hatten schon einen Scheiterhaufen errichtet, mitten auf dem großen Platz. Jemand hatte eine Strohpuppe darauf gesetzt. Es war erstaunlich, wie schnell die Leute auf aktuelle Ereignisse reagierten und wie schnell sie die verschiedensten Sachen auftreiben konnten, von denen niemand gedacht hätte, sie wären auch nur im Umkreis von 400 Meilen vorhanden. So hatte eine Darstellung der Bewohner Überwalds als blutrünstige Vampire in einer Quirmer Tageszeitung dazu geführt, dass sich in vielen Dörfern die Leute versammelten, um die Quirmische Fahne zu verbrennen. Niemand wusste, wo diese Fahne herkam, sie war einfach da - und weil sie ähnliche Farben hatte, verbrannte man auch gleich die Flaggen des Spitzhornbergischen Alphorn Orchesters und der Klatschianischen Schlangenbeschwörergilde.
Doch hier ging es nicht um ein bisschen Stoff, hier ging es um ein Menschenleben. Und Bernard war überzeugt davon, dass er es retten könnte. Zielsicher ging er auf das Wachhaus zu, stieg die Stufen nach oben, packte den Türgriff und zog. Und drückte. Und zog wieder. Und drückte wieder. Das Wachhaus war verschlossen. Das Wachhaus konnte doch nicht verschlossen sein? Heftig klopfte er an die Tür. Hinter sich hörte er lautes Grölen, einige feuerten ihn an, doch man ließ ihn in Ruhe. Schließlich öffnete sich ein Fenster in der Tür. Ein etwas ängstlich wirkender Mann mit langen schwarzen Haaren sah hinaus.
"Was ist los?", fragte er. "Bist du einer von denen? Die lassen wir nämlich nicht rein!"
"Nein, ich bin ein Freund von Kathrin Schrader und denke, dass sie nun meinen Beistand braucht."
"Ähm, na gut..." Der Rekrut öffnete die Tür, ließ Bernard ein und verschloss sie gleich wieder. "Kommen Sie, sie ist in der Kantine."
Das Geräusch der sich öffnenden Tür hallte durch die ansonsten leere Kantine wie ein Donnerschlag. Sie hatte extra gebeten, alleine gelassen zu werden, um die Ereignisse der letzten Stunden zu verarbeiten. Kathrin drehte sich um. Für eine Sekunde blieb ihr Herz stehen, kochte die Wut in ihr auf. "Was willst
du hier?", sie sprang auf und schrie Bernard an. "Bist du mir den ganzen Weg aus Überwald gefolgt? Was soll das?"
"Gibt es ein Problem, Ma'am?", fragte der Wächter, der sich Kathrin schüchtern als Weon Creyente vorgestellt hatte.
"Kathrin, ich will dir doch nur helfen!", rief Bernard und hob abwehrend die Hände.
"Ich brauche deine Hilfe nicht, du Idiot, hau ab!" Kathrin bemerkte, wie schrill ihre Stimme klang, und wie gut er wahrscheinlich erkennen konnte, dass sie die letzte halbe Stunde mit Weinen verbracht hatte. Der omnianische Wächter packte Bernard und wollte ihn aus der Kantine ziehen, doch Bernard schüttelte seinen Arm mit Leichtigkeit ab. Plötzlich dämmerte es Kathrin und ihre Stimme zitterte, als sie leise weitersprach: "Ist das deine Rache? Ist das hier alles deine Rache weil ich dich verlassen habe?"
"Aber... Kathrin..." Bernard war blass geworden. "Wie kannst du sowas von mir denken? Ich weiß doch gar nicht, was hier los ist!"
Die Tür der Kantine schwang auf. Ein kleiner, alter Mann trat ein, auf seiner Schulter saß eine Gnomin, die Kathrin nur allzu gut kannte.
"Du!", sagte der alte Mann zu dem Rekruten. "Walum hast du den Kell hiel lein gelassen? Hättest du nicht jemanden lufen und flagen können?"
Weon murmelte etwas in seinen nichtvorhandenen Bart und packte Bernard wieder am Arm, der ihm mit einem Schritt nach vorne sofort wieder entfloh und auf Kathrin zukam. "Ich hab mit der Sache nichts am Hut, bitte glaube mir!", flehte er.
Kathrin sah zu dem alten Mann hinüber, dem die Gnomin gerade etwas ins Ohr flüsterte und ging ängstlich einen Schritt zurück, als Bernard ihr immer näher kam. Zu spät bemerkte sie den Stuhl und den Tisch hinter sich und fiel rücklings über die Möbel. Bernard sprang los, um ihr aufzuhelfen und riss dabei Weon mit, der sich wieder an seinem Arm festgehalten hatte.
[5] Auch der alte Mann war ungeachtet der Last auf seiner Schulter in Bewegung geraten und stürzte sich auf Bernard. Mit einer nicht zu erwarten gewesenen Stärke warf er den viel größeren und muskulöseren Bernard zu Boden, während Weon einige Meter weiter, halb stehend, halb liegend
[6] landete. Kathrin konnte die Bewegungen des Greises kaum nachvollziehen, nach wenigen Augenblicken lag Bernard auf dem Bauch, mit einem Stiefel im Kreuz und den Armen auf den Rücken gebunden.
"Ich kenne dich!", knurrte der kleine Alte. "Du walst bei dem Übelfall auf das Walenlagel dabei, abel du konntest fliehen. Blöde Idee, hielhel zu kommen, was?"
"Ha!", rief die Gnomin nun, um ein wenig der Dramatik beizusteuern. "Früher oder später kriegt SEALS jeden Täter", schrie sie und wedelte mit einem Brieföffner durch die Luft.
XXXXIVDrei SEALS betraten das kleine Zimmer in der heruntergekommenen Absteige. Scoglio war unten geblieben, das alte Gemäuer wies einige Risse auf, die der Wirt zur Erleichterung der Wächter nicht zu strapazieren gedachte. Das spärliche Licht, das durch das kleine Fenster schien, tauchte das Zimmer in ein tristes Grau - was kein Wunder war, denn obwohl Tapete und Laken wohl einmal weiß gewesen waren, hatte der Gilb sich über die Jahre an ihnen satt gefressen.
[7] Sie hatten sich bis hierher durchfragen müssen, zum Glück hatte sich Hibiskus an das "charmante Gesicht" erinnert, dessen Besitzer sich nach einem günstigen Zimmer erkundet hatte.
Es war nicht viel zu finden. In einer Satteltasche waren ein paar persönliche Sachen, wie sie jeder, der für eine paar Weile verreiste, bei sich trug. Laut dem Gastwirt stand in dem kleinen Kuhstall für den Eigenbedarf ein Pferd, mit welchem der Gast namens Baader angereist war. Er hatte, ganz im Gefallen des Wirtes, Vorkasse geleistet, für zwei Wochen, von denen erst eine um war. Ansonsten habe er sich ruhig verhalten und auswärts gegessen und sei in den letzten Tagen wenig hier gewesen.
"Immerhin schonmal ein Name", sagte Damien, während er den kleinen Schreibtisch untersuchte.
Yogi durchsuchte den Kleiderschrank. "Nichts besonderes hier drin. Harte Lederstiefel und ein langer Mantel, mit einem langen Schlitz, offensichtlich ein Reitmantel. Ihh, da ist ja Zeug dran..."
"Was ist dran?", fragte Rea interessiert und ließ von dem Bett ab, das sie gerade untersucht hatte, und blickte dem Vektor über die breiten Schultern, was bei der Größe des Raumes keine großartige Bewegung erforderte.
"Matsch." Yogi hob einen Stiefel hoch. Dunkelbraune Erde fiel von ihm herunter auf den Boden.
"Das ist kein Matsch", sagten Damien und Rea gleichzeitig, die sich mittlerweile mit Matsch auskannten. Die beiden sahen sich kurz an, dann sprach Rea weiter. "Das ist Mutterboden."
"Häh?", fragt Yogi.
"Blumenerde, besonders fruchtbare Erde halt..." Damien sah Yogi genervt an.
"Woher kriegt man mitten in der Stadt... Mutterboden?", fragte Yogi.
"Gute Frage", sagte Rea und setzte sich auf das Bett. Der hellbraune Matsch an ihren Schuhen hatte dem Gilb an den Laken alle Ehre gemacht.
"Naja, die Haufen, der Hide Park..." sagte Damien. "Da gibt es sicherlich welchen. Außerdem kann man ihn für Blumenkästen kaufen."
"Und das bringt uns weiter?", fragte Yogi und sah von Rea zu Damien und wieder zurück.
"Nein", murmelte Damien und machte sich wieder daran, die Schubladen des Schreibtischs zu durchsuchen, in denen sich lauter kleine Zettelchen befanden. Quittungen. "Hutmacher, Schneider, ein Besen- und ein Maskenladen", sagte er stirnrunzelnd. "Ich glaube, wir haben unseren Mann."
"Ja, aber wo ist er?", fragte Rea und stand nun gänzlich auf.
"Die Frage ist: Wo sind die Kinder", murmelte Yogi.
Rea nickte, sie hatte den grässlichen Gedanken, warum das alles geschah, erfolgreich verdrängt gehabt. Yogi bückte sich und hob ein wenig Dreck auf, der vorher aus dem Stiefel gefallen war. "Wir könnten ihn natürlich vorher vom Labor untersuchen lassen, aber für mich sieht das aus, als wären da Birkenpollen mit drin."
"Wozu brauchen wir dazu ein Labor?", fragte Rea, während sich eine kleine, energische Falte auf ihrer Stirn bildete. "Das sind Haselnusskätzchen, keine Birkenpollen. Frühblüher, blickdichter kleiner Busch... Den Früchten schreibt man eine aphrodisierende Wirkung zu..."
"Klingt nach der Pflanze, die man im Hide Park anpflanzen würde", sagte Damien. "Einen Versuch wäre es jedenfalls wert."
XXXXVDie graue Wolkendecke war inzwischen aufgerissen und ließ die leicht rötliche Spätnachmittagssonne hindurch, deren Licht sich in den vereinzelten Regentropfen brach. Es war ruhig hier, das Rauschen der Großstadt schien zu verstummen sobald man die riesige Grünanlage betrat. Doch es waren heute keine Spaziergänger zu sehen, der Park schien leer, bis auf eine streunende Katze, die den vier Wächtern sofort das Territorium überließ.
"Wir sollten uns aufteilen", murmelte Rea, und trat nervös von einem Bein aufs andere.
Damien nickte. "Scoglio und ich übernehmen den randwärtigen Teil, Yogi und du den mittwärtigen."
Rea nickte nur stumm, ohne anzumerken, dass es immer noch an ihr war, zu befehlen. Ihre Gedanken weilten ohnedies woanders. Sie war sich sicher, dass sie an der Sache sehr nah dran war, doch sie fürchtete, dass es tiefer verwurzelt war, als es bisher den Anschein hatte. Unwirsch und mit einem flauen Gefühl im Magen ging sie los und konnte förmlich fühlen, wie der riesige Yogi Schulterbreit sich hinter ihr in Bewegung setzte.
"Achtet auf frisch umgegrabene Erde!", rief Damien ihnen hinterher.
Rea drehte sich ruckartig um, Yogi war in seiner Bewegung erstarrt. Selbst Scoglio schielte schockiert zu seinem Szenekennerkollegen hinunter. Eine Weile lange herrschte Stille und der Troll war der erste, der die Sprache wiederfand.
"Ich daran nicht denken will", sagte er.
Eine halbe Stunde lang hatten Scoglio und Damien nun schon ihre Blicke durch den Park schweifen lassen. Sie hatten einige Spaziergänger getroffen, nach seltsamen Ereignissen befragt, doch niemand hatte etwas gesehen.
Damien ließ sich nichts anmerken, doch jeder Schritt, den er machte, jede Sekunde, die er mit Suchen verwendete, entzog ihm seinen Willen, weiterzumachen. Er hielt die ganze Sache schon lange für hoffnungslos und eigentlich konnte ihm ja egal sein, was mit irgendwelchen Kindern geschah, die er noch nie gesehen hatte.
Zwei Männer kamen ihnen entgegen, der eine alt, der andere jung und dem Aussehen nach der gerade erst erwachsen gewordene Sohn des älteren. Der Sohn trug eine Hacke und einen Spaten, der Alte hatte einen alten Leinensack in der Hand. Sie wirkten ein wenig aufgelöst und beunruhigt und gingen schweigend nebeneinander her, den Kopf gesenkt und so ihre wahre Körpergröße vertuschend.
"Halt, ihr da! Was wollt ihr mit dem Spaten", das scharfe Auge des bleichen Szenekenners blickte leicht zugekniffen von einem Kerl zum anderen.
Die Männer blieben wie in Trance stehen, als müssten sie sich zunächst daran gewöhnen, dass sie sich wieder in der Realität befanden. Der ältere Mann blinzelte Damien aus rotunterlaufenen Augen an. "Was begraben", murmelte er nur und wollte seinen Weg fortsetzen. Doch der Troll stellte sich vor ihn.
"Du uns erstmal zeigen, wo du was begraben hast, verstanden?"
"Hören Sie", rief der jüngere. "Wir haben hier unseren Hund begraben, einen kleinen Quirmschen Terrier, wenn Sie es wissen wollen. Unseren Rano."
"Dann zeigen sie ihn uns", sagte Damien und schob den alten Mann energisch in die Richtung, aus der dieser gekommen war.
XXXXVIRea und Yogi streiften durch den Park, keiner von ihnen sprach ein Wort. Leichter Nieselregen setzte ein, kaum stark genug, um gesehen zu werden. Trotzdem brannte er eiskalt auf der Haut, als ob er mit aller Macht auf sich aufmerksam machen wollte. Es war ein Frühlingsregen, er roch milchig und vermittelte das Gefühl eines Schneeglöckchens, das sich nach Tagen harter Arbeit endlich öffnete, und die Kälte, die er mit sich brachte, erinnerte einen nur noch mehr an die Luft, die sich in den letzten Wochen kaum merklich, Schritt für Schritt schleichend aufgewärmt hatte.
Dann sahen sie sie. Eine kleine Hütte, vor der einige Schubkarren standen. Offensichtlich wurden darin Gartenwerkzeuge und was auch immer man für die Pflege eines Parks brauchte aufbewahrt. An einem kleinen Haken hingen grobe Handschuhe, ein Komposthaufen ein paar Meter weiter roch nach Zersetzung. Doch viel wichtiger waren für die beiden Wächter die blühenden Sträucher, die um die Hütte standen.
"Haselnuss", sagte Yogi und ging zielstrebig auf die Tür der Hütte zu. Ein rostiges Schloss hielt den ebenfalls korrodierten Riegel an seinem Platz. Der große Wächter scherte sich nicht darum. Mehrmals hämmerte er gegen die Tür und schrie alle Insassen an, von ihr wegzubleiben. Dann nahm er Anlauf und warf sich gegen die Tür. Das alte Holz der Hütte erzitterte unter der Wucht, doch die Tür schien kämpferischer Natur zu sein. Wieder ran Yogi auf sie zu, warf sich mit aller Kraft dagegen, doch wieder trotzte die Tür neckisch dem mittlerweile in Rage geratenen Wächter.
Nach fünf weiteren Versuchen gab Yogi es endlich auf. Wütend schlug er noch einmal mit der Faust gegen das kecke Stück Holz.
Die Tür öffnete sich langsam und laut knarzend, als wollte sie Yogi verhöhnen, und gab den Blick in den kleinen, fensterlosen Schuppen preis. In einer Ecke lagen einige Säcke Blumenerde und Düngemittel, an der Wand hing Werkzeug und Gärtnerkleidung. Ansonsten war der Raum leer.
Bei einigen Bäumen, zwischen denen das Gras sein bestes tat, um die Haselnusssträucher zu verdecken blieben sie stehen. Der Mann deutete wortlos auf eine Stelle, bei der die Erde frisch umgegraben war. Es war ein kaum einen Meter langes Stück Erde, nur ein paar Hand breit. Doch Damien ließ sich nicht beirren. Knurrend wies er Scoglio an, dem Mann den Spaten abzunehmen und zu graben.
Der junge Mann legte beruhigend die Hand auf die Schulter seines Vaters, doch dessen Gesichtsausdruck wurde immer finsterer.
Der Spaten stieß auf etwas Weiches. Ein weißes Tuch kam zum Vorschein, jedenfalls war es mal weiß gewesen. Die feuchte Erde hatte bereits damit begonnen ihre Pflicht zu tun und das Leinen war bräunlich fleckig. Ein gut achtzig Zentimeter langes Bündel sah bald wieder Tageslicht.
Scoglio legte den Spaten beiseite und bückte sich, um das Bündel herauszuholen. Er zog und das Leinen riss, noch bevor er es aus dem Loch gehoben hatte. Ein steifer Hund mit grau-braunem Fell, matt und schmutzig, fiel heraus.
Der Vater schnaufte und sah Damien in die Augen. "Und jetzt?"
Der Wächter sah zu Boden. "Sie müssen verstehen, wir suchen nach Kindern..."
"Und das ist ein Hund! Mein Hund! Mein Rano, der fast 18 Jahre wie ein Bruder für mich war!", rief der Sohn empört und spuckte Damien vor die Füße.
Der Bleiche zog die Augenbrauen zusammen. "Wir müssen jedem Hinweis nachgehen. Komm, Scoglio, gibt dem Mann seinen Spaten zurück. Wir gehen."
XXXXVII"Da ist keiner, Yogi, wir müssen weiter." Rea stand in der nach feuchtem Holz stinkenden Hütte und beobachtete mit in die Hüfte gestemmten Armen den Obergefreiten, der gerade unter der Werkbank nachsah.
Er sah auf und schlug sich dabei den Kopf an. "Ja, du hast Recht, hier ist niemand." Sein Blick wanderte von Reas Augen zu ihren Schuhen und deutete dann, immer noch im Vierfüßlerstand, auf
den Boden. "Würdest du trotzdem mal nachsehen, was das für eine Falltür ist, auf der du stehst?"
Der Lance-Korporal sah nach unten und ging einen Schritt zurück, während Yogi unter der Werkbank hervorkam. Rea zog an der Öse - die Falltür war unverschlossen. Eine kleine Leiter führte ins Dunkel hinunter.
"Okay", Rea sah sich um und suchte nach einer Kerze oder irgendetwas, mit dem man Licht erzeugen konnte, doch es war nichts zu finden. Als sie sich wieder dem Loch im Boden zuwandte, war Yogi bereits dabei, hinabzusteigen.
"Kommst du?", fragte er, als sein Kopf bereits in der Dunkelheit verschwand.
Rea seufzte und stieg auch hinab. Es waren nur wenige Meter, bis sie wieder Boden unter den Füßen hatte. Ein leises Plätschern verriet ihr, dass sie in ein paar Millimetern Grundwasser stand. Sie befühlte die Wand - sie war aus Erde. Ihre Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit. Yogi stand gekrümmt, da der Raum bis auf die Röhre zur Falltür sehr klein war, das Ohr an eine hölzerne Tür gepresst. Neben ihm konnte Rea ein paar Fässer erkennen, die mindestens zwanzig Jahre keiner mehr berührt hatte.
"Was ist da?", fragte Rea den Vektor.
"Psst!", Yogi kniff konzentriert die Augen zusammen. "Da ist jemand."
"Die Kinder?" Reas Herz schlug plötzlich schneller, all die Aufregung und Angst, die sie bisher unterdrückt hatte, wurden wieder wach.
"Woher soll ich das denn wissen? Ich kann nur hören, dass jemand redet... Ich werde Werkzeug von oben holen."
Rea winkte ab und zog ihr Sezierbesteck heraus. "Mit ein paar Sägen wirst du hier nichts ausrichten können." Sie nahm ihr Skalpell heraus und kniete sich vor das Schloss. "Das alles wäre leichter, wenn ich ein wenig Licht hätte..." Sie schob das Skalpell zwischen Tür und Rahmen und begann mit Gewalt daran zu rütteln.
"Warum hast du mir nicht vorhin gesagt, dass du Schlösser öffnen kannst? Meine Schulter tut immer noch weh", maulte Yogi im Hintergrund.
"Ich kann keine Schlösser öffnen, ich schieb nur den Riegel hier zurück - sowas muss man können, wenn man sich gerne mal aus dem eigenen Haus aussperrt", murmelte Rea. Es knirschte und klickte und sie zog ein verbogenes Skalpell aus dem Türspalt. "Hartnäckiger kleiner Bursche..." Sie stand auf und öffnete die Tür.
Das erste, was sie bemerkte, war die unheimlich abgestandene Luft, die sich durch die Feuchtigkeit glibberig anfühlte. Erst dann bemerkte sie die sieben Augenpaare, die sie verängstigt ansahen. Hinter sich hörte sie Yogi schwer atmen. Wenige Sekunden lang war es ruhig, dann sah sie, wie ein kleiner Junge ein Mädchen sanft mit dem Ellenbogen anstupste. "Ich hab's dir doch gesagt", flüsterte er.
"Om sei dank!" rief ein anderes Mädchen, direkt neben der Tür und löste sich als erstes aus der Erstarrung. Es sprang auf und lief die wenigen Schritte auf Rea zu. "Hat dich der Gott geschickt?"
Hilflos sah Rea das Mädchen an und ging dann in die Hocke, um ihm in die Augen zu sehen. Sie schüttelte den Kopf. Wortlos strich sie dem Kind durch das dreckige Haar und drehte sich dann zu Yogi. Er kannte sich doch mit Kindern viel besser aus, warum sagte er nichts? Um Beistand bittend sah sie ihn an, bis er sich räusperte.
"Wir sind von der Stadtwache und wir bringen euch jetzt zu euren Eltern."
XXXXVIIIAuf dem Pseudopolisplatz war die Hölle los. Beinahe hätte Cim die Hexe wieder verloren, doch dann hatte er gesehen, wie sie eine Frau angesprochen hatte, um nach dem Grund für den Menschenauflauf zu fragen. Anstatt eine Antwort zu geben sah die Frau der Hexe nur schockiert in die Augen. Schließlich begann sie stotternd etwas zu rufen, wobei sie ihren Arm ausstreckte und auf die Hexe zeigte. "D-d-d-die Hexe!!" Sie schrie noch einmal spitz auf und fiel dann in Ohnmacht, in die Arme eines heran geeilten jungen Burschen.
Die Menge schloss sich um die Frau und Cim versuchte vergeblich, sie weiter im Blickfeld zu behalten. Er hörte lautes Geschrei und Gekeife, letzteres wahrscheinlich von der Hexe selbst. Als sich die Menge wieder ein wenig lichtete, sah er, was die Leute vorhatten. Ein alter Mann stand bereits mit einer brennenden Fackel auf dem Scheiterhaufen, seine Worte waren unmissverständlich, aber kaum hörbar, und einige bullige Knechte waren bereits dabei, sie in die Tat umzusetzen. Jeglichen Widerstand der keifenden, tretenden und spuckenden Hexe ignorierend schleppten sie sie auf den aufgetürmten Berg aus Holz zu.
"Halt! Nein!", der Oberfeldwebel kam endlich wieder in die Gänge und rannte den Leuten nach. "Wir brauchen sie noch, nur sie weiß, wo die Kinder sind!" Schließlich schloss er zu den Knechten auf, die dank der wilden Zuwehrsetzung der Hexe nur sehr langsam voran gekommen waren. "Stadtwache Ankh-Morpork, lassen Sie die Frau los!", rief er und schlug dem nächstbesten der Kerle ins Gesicht, um dem ganzen Nachdruck zu verleihen.
Jemand packte Cim am Kragen, und er spürte noch, wie etwas Schweres seinen Kopf traf - dann umgab ihn nur noch Schwärze.
XXXXIXAuf Scoglios Schultern hatten mit Leichtigkeit vier der sieben Kinder Platz gefunden. Mit jeweils einem auf jedem Arm war der Troll vollkommen ausgelastet und so trug Yogi das kleine Mädchen, das Rea angesprochen hatte, auf den Schultern.
Niemand sprach und auch wenn die wenigen Leute, denen sie begegneten, sie anstarrten und sich nach ihnen umdrehten, machte noch nicht einmal Damien Anstalten, irgendeinen Kommentar zu geben. Erst, als sie die schlechte Brücke überquerten, fiel ihnen die Rauchsäule auf, die über dem Pseudopolisplatz aufstieg. Auch die Leute, denen sie hier begegneten, waren unruhiger, sie schienen sich nicht entscheiden zu können, ob sie nun weglaufen oder nur angewidert weggehen sollten. Schließlich fasste Damien ein altes Mütterchen am Arm. "Was geht da vor", brummte er und sah die Alte scharf an.
"Sie verbrennen die Hexe", flüsterte die Frau ängstlich und sah zu den Kindern, die der Troll auf der Schulter trug.
"Welche Hexe?", fragte Damien, noch bleicher als sonst.
"Na die, die Kinder entführt hat! Sie sagen, sie hätte sie gebacken und gegessen!"
Damien ließ die Alte los, die eilig davon lief. Er sah zu Rea.
"Scoglio und Yogi bringen die Kinder ins Wachhaus", sagte diese. "Und du, Damien, kommst mit."
Gemeinsam rannten sie los. Reas Muskeln schmerzten und rebellierten gegen die Anstrengungen, doch angeheizt durch Damien, der scheinbar mit Leichtigkeit mit jeder Sekunde mehr Abstand nach vorne gewann, gab sie nicht auf. Quälende Sekunden strichen an ihr vorbei, ehe sie den Pseudopolisplatz erreichte, der vollkommen von einer johlenden Masse überflutet war.
Damien hatte sie längst aus den Augen verloren, als sie sich zum Scheiterhaufen durchquetschte. Sie rempelte, stieß mit den Ellenbogen, stieg schließlich über einen Mann, der am Boden lag und erreichte endlich das Holz, das erst vor kurzem entzündet worden war. Der Rauch war dicht und dunkelgrau und Rea konnte nur einen Schemen erkennen, der sich auf dem Scheiterhaufen, an einen Pfahl gebunden, wand. Sie zog ein Taschentuch aus der Tasche und hielt es sich vor den Mund, vergeblich hielt sie nach Damien Ausschau, doch der Rauch versperrte im Umkreis des Scheiterhaufens die Sicht.
Hustend kletterte sie die Scheite empor, das Feuer leckte an ihrer Kleidung, aber an dem festen Leinen fand es noch keinen Halt. Noch waren die Flammen klein, denn das feuchte Holz wollte noch nicht richtig brennen, scheinbar hatte man nur wenig Reisig gefunden um ein richtiges Feuer in Gang zu bringen. Doch im Gegensatz zu den kleinen Flammen war die Rauchentwicklung enorm. Mit wenigen Schritten war sie am Pfahl angelangt und riss trotz des beißenden Rauches die Augen auf. Dort war nicht Kathrin Schrader angebunden, wie sie geglaubt hatte, Rea starrte direkt in das Gesicht der mittlerweile bewusstlosen Helena Dubiata.
Aus ihrer Tasche zog sie das mitgenommene Skalpell und schnitt mit der noch immer scharfen Klinge die Seile durch, die die Frau am Pfahl hielten. Diese sackte haltlos nach vorne und Rea konnte sie gerade noch an einer der vielen Westen packen, bevor sie fiel. Dabei verlor Rea das Taschentuch, das sie sich vor Mund und Nase gehalten hatte, und atmete eine gehörige Portion Rauch ein. Kurz stiegen ihr die Bilder von Verbrennungsopfern und Opfern von Rauchvergiftungen vor die Augen und waberten im Rauch vor ihr, doch sie schaffte es, sich wieder zu fassen. Keuchend zerrte sie an dem schweren, leblosen Körper, bis sie wieder Kopfsteinpflaster unter den Füßen hatte. Nun half ihr aber die Schwerkraft nicht mehr und dem schweren, feuchten Rauch waren sie auch hier noch nicht entkommen.
Warum habe ich Scoglio zum Wachhaus geschickt, ich Närrin, fluchte sie innerlich, als sie ihre beleibte Mutter über den Boden zerrte.
Weil du jemand anderen erwartet hast antwortete eine Stimme in ihr und sie hatte Recht. Seit ihrer Begegnung vor einer Woche hatte Rea keinen Gedanken mehr an die Frau verschwendet. Es war, als wären nur ein paar Stunden seitdem vergangen. Die ganze Ironie der Situation wurde Rea erst bewusst, als sie mit tränenden Augen durch den Qualm stolperte und hoffte, bald wieder Sauerstoff atmen zu können. Ihre Mutter war an all dem Schuld. Sie hatte sie dabei aufgehalten, diesen... diesen, wie auch immer er hieß, zu fangen und nun waren seine Taten daran schuld, dass Helena wahrscheinlich bereits tot war.
Endlich spürte sie, wie die Luft weicher wurde. Ein Stechen in der Lunge verriet ihr, dass sie dem dichten Rauch entkommen war, während sie mit beiden Händen immer noch an den Westen Helenas zerrte, die sie - weil es nicht anders möglich war - über den Boden schleifte.
Eine Hand packte sie und sie riss wieder die wie Feuer brennenden Augen auf. Verschwommen erkannte sie eine Person vor sich, stieß sie aber fort. "Lass mich", fauchte sie und zerrte weiter, bis sie merkte, dass jemand die Beine des leblosen Körpers angehoben hatte.
"Du musst sie unter den Schultern packen!" schrie die vertraute Stimme Cims.
Endlich erkannte sie wieder ihre Umgebung, als sich ihre Augen entschieden, dass Sehen im Moment angebrachter war als Weinen. Um sie herum war Platz - Rea hatte mir einer Menschenmenge gerechnet, doch diese war verschwunden. In einem Radius von 5 Metern war Platz, erst dort begann der Mob wieder, der sich allerdings bereits enorm verschmälert hatte. Chi, Damien, Johan und Anette, der man eine sehr gefährlich anmutende Hellebarde in die Hand gedrückt hatte, die zusammen mit ihr noch viel furchteinflößender wirkte
[7a], hielten die Ankh Morporker mehr oder weniger auf Abstand.
"Kein Puls, keine Atmung", murmelte Rea und zog Helenas Augenlider hoch um zu sehen, ob noch irgendwelche Reflexe übrig waren.
"Du weißt ja, was dann zu tun ist", sagte Cim und hielt seine rußverschmierte Hand gegen eine Platzwunde an seinem Kopf. "Aber brich ihr nicht so viele Rippen wie der Puppe von neulich..."
Rea nickte nur und riss dann mit Gewalt die ersten paar Westen auf, die zweifellos von guter Qualität waren. Wieder kam ihr das alte, verbogene und mittlerweile auch verrußte Skalpell zu Nutze, die restlichen störenden Kleidungsschichten zu entfernen, bevor sie mit der Reanimation beginnen konnte. Zitternd suchte sie den Druckpunkt, schluckte und begann dann rhythmisch die Herzmassage durchzuführen während sie im Kopf zählte. Schließlich überstreckte sie den Nacken und blies Luft in den Mund. Doch es gab keine Reaktion, keinen Puls. Gerade wollte sie wieder mit der Wiederbelebung beginnen, als Helena ihre Augen, die in dem rußgeschwärzten Gesicht besonders weiß leuchteten, öffnete.
"Was denkst du dir eigentlich, mich in aller Öffentlichkeit halbnackt auszuziehen", murmelte die alte Frau, dann seufzte sie leise und schloss die Augen wieder.
XXXXXRea hinkte auf das Wachhaus zu, Scoglio hatte mal wieder seines Amtes gewaltet und Reas Mutter schon vor einiger Zeit in ihr Büro gebracht. Doch Rea hatte erst erklären müssen, was überhaupt geschehen war.
Jemand öffnete die Wachhaustür für sie, aber sie scherte sich nicht darum, wer es war.
"Ma'am!", quietschte es mit einem Mal von unten. "Ma'am, du musst zu den Zellen kommen, sofort!"
"W-Was?" Rea hatte sich gerade auf einen kurzen Kontakt mit Wasser gefreut, um sich den Ruß aus dem Gesicht zu waschen, als sie die Gnomin Amalarie erblickte, die salutierend vor ihren Füßen stand und sie mit panischer Miene ansah.
"Der Mann den wir heute festgenommen haben, der, der beim Lagerhaus vor uns geflohen ist... Er ist, er ist.."
"Was? Er ist was?", Rea schrie fast, so sehr pumpte sich das Adrenalin durch ihren Körper.
"Er ist in einer der Zellen! Unten", quietschte Amalarie.
Rea stockte der Atem, dann bot sie wortlos Amalarie ihre Hand an und hob sie auf ihre Schulter während sie schon losrannte, um zu den Zellen zu gelangen.
"Er ist hier aber er ist... er ist..."
"Er ist
was?" Doch Rea war schon an der Zelle angelangt. Der schöne Mann, den sie vor eine Woche gesehen hatte, lag zusammengesackt gegen eine Wand gelehnt und rührte sich nicht. Eine gelbliche Flüssigkeit tropfte aus seinem Mund.
Rea schloss die Zelle auf, in deren Tür der Schlüssel steckte und hastete zu dem Mann. Schon als sie vor ihm stand, erkannte sie, dass er tot war. Auch die routinemäßigen Proben, die mittlerweile in Reas Blut übergegangen waren, waren negativ. Vorsichtig öffnete sie den Mund des Mannes mit einer Pinzette, die sie schon aus der Tasche gezogen hatte.
Eine kleine, gelbliche Membran befand sich zwischen den Zähnen. Er hatte nicht einmal die Hälfte des Giftes schlucken können, so schnell hatte es gewirkt. In den Augen erkannte sie noch das Entsetzen, das ausdrückte, was es bedeutete mitzuerleben, wie man bei vollem Bewusstsein erstickte.
"Fugu", murmelte Rea. "Kugelfischgift. Bislang hatte ich niemanden, der das freiwillig genommen hat."
"Er muss den Rauch gerochen und geglaubt haben, wir verbrennen Kathrin."
"Mit der muss ich als nächstes sprechen..." Rea seufzte und drehte sich um.
"Was machen wir denn jetzt mit ihm?", fragte Amalarie ungeduldig.
"Ich kümmere mich später darum. Die Lebenden gehen im Moment vor."
XXXXXIRea wischte sich noch einmal mit dem Taschentuch über das Gesicht. Obwohl sie wusste, dass kein Ruß mehr in ihrem Gesicht war, fühlte sie sich weiterhin dreckig und es gab nichts, was sie sich mehr wünschte als ein warmes, weiches Bett.
"Nun", Rea sah Kathrin an, die in Damiens Büro gewartet hatte, da Reas mit Helena Dubiata belegt war. "Es ist vorbei, er hat sich der Justiz mit Selbstmord entzogen, die Kinder sind mittlerweile schon wieder bei ihren Eltern. Sie können gehen."
"Wie hat er das geschafft...und wen haben sie verbrannt? Was ist eigentlich passiert?" Kathrin wirkte seltsam nüchtern als sie das sagte. Nur der Drang, endlich die Wahrheit zu hören, sprach aus ihren Augen.
"Er hat sich irgendwie Zugang zu einem Gartenhaus geschafft und dort die Kinder versteckt. Ankh-Morpork hat sich schnell eine beliebige, einer Hexe ähnlich sehende Person als..." Rea schluckte, ließ sich aber weiter nichts anmerken, "als Sündenbock gesucht und auf den Scheiterhaufen geworfen. Und was passiert ist - ich weiß es nicht genau, aber Sie sind Opfer einer sehr gemeinen Ein-Mann-Verschwörung geworden. Mehr kann ich jetzt noch nicht sagen."
Kathrin nickte und stand dann auf. "Ich werde weggehen. Wieder neu anfangen..."
"Sie müssen nicht gehen, Sie sind unschuldig." Auch Rea war nun aufgestanden und sah Kathrin fragend an.
"Ein Ruf ist schnell zerstört, aber man kann immer wieder neu anfangen. Immer wieder."
XXXXXIIAls Rea ihr Büro betrat, lag Helena bereits wach auf der Krankenliege.
"Weißt du, ein paar Kissen wären nicht schlecht", sagte Helena und versuchte sich aufzusetzen und ließ es dann, als sie Reas Blick sah, wieder bleiben. "Und dieser Drache hat versucht, meine Schuhe zu fressen."
Rea sah zu dem kleinen, zitternden Haufen Schuppen, der sich in sein Körbchen verkrümelt hatte.
"Er ist neugierig, ja."
"Du weißt, es ist eigentlich nicht meine Art jemandem zu danken" Helena streckte die rußige Hand aus und erwartete offensichtlich, dass Rea sie ergriff, doch diese zögerte. "Trotzdem wäre ich ohne dich nicht mehr am Leben. Und ich glaube, das ist die Überwindung wert."
Rea dachte daran, dass Helena sie nur nicht davon hätte abhalten dürfen, Baader zu verhaften, als er sich noch auf Lebensmittel beschränken wollte. Doch dann ergriff sie die Hand. Jetzt war nicht die Zeit für Schuldzuweisungen.
"Danke", murmelte Helena und seufzte. "Du hast deine Sache gut gemacht."
Rea lachte leise. "Du hast doch kaum etwas davon mitbekommen, oder?"
"Du hattest Erfolg, oder nicht?" Helena drehte den Kopf zur Seite und sah Rea das erste Mal richtig in die Augen.
"Nicht auf ganzer Linie."
"Aber es ist vorbei", bohrte Helena nach.
"Nicht für alle. Es wird dauern, bis die Beteiligten vergessen." Rea zog einen Stuhl heran und setzte sich. Sie zwinkerte kurz, als der Schmerz von zu viel Anstrengung ihren Körper erneut durchflutete, als das Adrenalin sich langsam wieder in seine Bestandteile zerlegte.
"Immer noch die alte Perfektionistin, was?"
Rea antwortete nicht, sondern sah zu dem kleinen Drachen, der sich wieder vorwagte, nun dass sein Frauchen wieder dabei war.
"Ich habe einiges falsch gemacht, ich weiß, Rea. Ich weiß es. Und ich habe versucht es, wieder gut zu machen, aber..."
Rea lächelte. Sie sah die alte Frau vor sich an, sie wollte sie hassen, doch sie konnte nicht. Sie dachte an die letzten Tage zurück und sah dann aus dem Fenster, das den Blick auf den mittlerweile leeren Pseudopolisplatz freigab. Ein großer Aschehaufen dampfte und rauchte. Neue Regenfälle hatten ihn gelöscht." Schließlich sagte sie: "Du musst mich das schon alleine machen lassen."
Helena nickte, dann lächelte sie und plötzlich waren die Sorgenfalten in ihrem Gesicht kaum noch auszumachen. Die alte Frau schloss sie Augen und schlief wieder ein..
Rea blieb neben ihr sitzen und hielt weiterhin ihre Hand. In den letzten Stunden waren mehrere Tonne Stein von ihrem Herzen gefallen und sie hatte sich schon lange nicht mehr so unbeschwert gefühlt.
Vielleicht, dachte sie,
wird sich jetzt einiges für mich ändern. Fang einfach an und lauf
Wohin dein Weg dich führt
Zeig mir die Tränen die du weinst
Sei wie du bist, du darfst es sein
(Letzte Instanz - "Tanz")
[1] "Einmal waren Jack und ich total ratlos weil eine Leiche wohl ohne jeglichen äußeren Einfluss gestorben war. Wir hatten keine Ahnung, was ihn getötet haben könnte, bis wir letztendlich seinen Kopf ganz aufschnitten und bemerkten, dass ihm jemand einen Bleistift in die Nase geschoben hatte! Stell dir das mal vor!"
[2] die Tür war aus massivem Holz, ihre Schwerter aus massivem Stahl, das wirkt selbst bei einem gewaschenen Ankh-Morpork-Mob
[9][3] Er war vorsichtiger geworden, seitdem Rea ihn praktisch als Muttersöhnchen bezeichnet hatte
[4] Auch Cim wusste nur zu gut, dass der normale Ankh-Morporker manchmal etwas voreilig war.
[5] Eigentlich sollte es ja andersrum sein, aber Weon ist nunmal nicht wirklich stark.
[6] So etwas passiert, wenn ein Tisch im Weg ist.
[7] Der Gilb ist eine unbedeutende, nichtsfjordische Gottheit, die für die braune Verfärbung von altem Schnee und anderen weißen Stoffen verantwortlich gemacht wird. Sie entstand als der berühmte Scheibenweltenbummler Fnord Fnordson die Nichtsfjorde bereiste und einen Einheimischen fragte, was denn den Schnee so eklig braun machen würde. Der Einheimische verstand ihn jedoch nicht, schloss aber, dass der Reisende nach dem Namen für diese spezielle Art von Schnee fragte und antwortete wahrheitsgemäß mit "Gilb", was soviel wie "Schnee, der durch den Dreck an unseren Schuhen eklig, braun und matschig wird und so für das Iglubauen nicht geeignet ist", bedeutet. Fnordson schrieb ein Buch, dessen ganzes 19. Kapitel er dem Gilb widmete, den er für eine Gottheit hielt und aus ominösen Beobachtungen folgerte, dass der Gilb nachts weiche, weiße Substanzen annagen würde, wodurch sein Speichel diese in eine Farbvarianz von gelb bis grau einfärben würde. Nur wenige Leute lasen das Buch, darunter war jedoch die zu jener Zeit am meisten angesehene Hausmädchenausbilderin der ganzen Scheibenwelt, Wilma-Eline Urm. Diese beherzigte und lehrte die Empfehlung, weiße Wäsche mit Koriander zu Waschen
[10], durch den angeblich der Gilb vertrieben würde. Und so entstand, innerhalb weniger Tage, der kleine Gilb, eine 20 centimeter große, kartoffelförmige und -farbige Kreatur mit vor Geifer triefenden Maul und kleinen, 3 gliedrigen Händen und Füßen. Seine Augen haben keine Pupillen und sind weiß wie Schnee.
[7a] was daran lag, dass sie noch größer war als Anette selbst und es den Anschein hatte, die wüsste eigentlich nie, wo sich gerade welches Ende befand
[9] Es sei denn, jemand kommt auf die Idee und holt einen Rammbock
[10] im Originaltext steht jedoch, man solle ihn ausstreuen, aber das bezog sich ja auf Schnee
Zählt als Patch-Mission.
Für die Inhalte dieses Textes ist/sind alleine der/die Autor/en verantwortlich. Webmaster
und Co-Webmaster behalten sich das Recht vor, inhaltlich fragwürdige Texte ersatzlos von der Homepage zu entfernen.