Zwei Liebende, die endlich das verdiente Happy End erreicht haben und alle anderen an diesem Glück teilhaben lassen möchten. Oder vielleicht geht es bei einer Hochzeit doch eher um die ganzen kleinen persönlichen Welten, die rund um das Paar herum aufeinanderprallen?
Ophelia Ziegenberger
Der elfenbeinfarben gesiegelte Brief aus feinstem Büttenpapier wirkte schlicht und elegant. Nicht protzig. Die Kalligrafie, mit der er adressiert worden war, bar jeglicher überflüssig anmutenden Schnörkel, unterstrich diesen Eindruck noch. Zwei gepflegte Hände öffneten das Schreiben mit einem sehr scharfen Brieföffner. Das Schneiden der Papierfasern war das einzige Geräusch im Raum. Der Umschlag enthielt nur eine vergleichsweise kleine Karte. Es handelte sich um die Einladung zur Hochzeit, natürlich. Das hatte der Mann in schwarz bereits gewusst gehabt. Eine seiner Augenbrauen wanderte amüsiert in die Höhe, als sich seine Erwartung bestätigte und es nicht die Handschrift seines Angestellten war, die ihn mit warmen Worten voller Hochachtung einlud, sondern Ophelias. Er wendete die Karte in Gedanken versunken einige Male zwischen den Fingern, während er sich in den Stuhl zurück lehnte und seitlich aus dem hohen Fenster über die Stadt blickte. Flanellfuß war nichts an der Anwesenheit seines Arbeitgebers bei diesem Ereignis gelegen. Im Gegenteil. Der Braut hingegen... Die Ex-Wächterin hatte sich inmitten all der Skandale, die sie inzwischen umrankten, und entgegen der Überzeugungen ihres künftigen Gatten, wenn es um den Patrizier ging, diesen einen Flecken charmanter Naivität bewahrt. Was noch von Vorteil sein könnte. Er würde sie sicherlich nicht unnötig irritieren in ihrem Urvertrauen. Es war zur Abwechslung eigentlich ganz nett, wenn jemand ansonsten Intelligentes bedingungslos an ihn glaubte und nicht einmal seine Motive in Zweifel zog. Vermutlich würde das ganz anders aussehen, wenn sie von gewissen Gesprächen mit ihrem Angetrauten wüsste, in denen es um ihr Schicksal gegangen war. Wobei... selbst hier blieb ein gewisser Spielraum, dessen er sich nicht gänzlich sicher war. Reizvoll! Vielleicht wäre es amüsant, dieser Einladung tatsächlich zu folgen? Ein Mundwinkel zuckte, als der Regent seinen Sekretär zu sich rief.
Viele, viele Meilen entfernt, in einer Gegend voller zerklüfteter Felsen, schmaler Gebirgspfade, hoher dunkler Baumwipfel und eisiger Winde, in einem großen Anwesen mit vielen Bewohnern aber wenigen Lebewesen, öffnete sich eine Tür zu einem fensterlosen Raum. Ein teuer eingekleideter Schönling mit arroganter Mimik schritt hinein und schlug respektlos mit der flachen Hand mehrfach auf einen Sargdeckel, während er sich leicht hinab beugte, um durch das wurmstichige Holz zu spotten. "He du! Alter! Du hast Post. Oder zumindest wieder eine Nachricht von dem Informanten aus der Stadt. Deine kleine Verräterin und ihr Gockel haben den Termin festgelegt und das gesamte Gesocks der Stadtwache eingeladen, zusätzlich zu ihren Familien. Und dich nicht." Der blasse Jüngling lachte boshaft und klopfte mit einem bereits geöffneten Umschlag, dessen Kanten ausgerissen und schmutzig waren, auf die dünnen Bretter. Staub rieselte. Er spürte eine unterschwellige Elektrizität um das Behältnis knistern und warf die Nachricht mit einem letzten Lachen auf den Deckel und verließ den Raum wieder. Der Schatten vom Ankh schob die Bretter über sich knurrend etwas beiseite und angelte mit überlangen Krallen nach dem Papier darauf. Die spindeldürren Knochenfinger wirkten unheimlich in dem diffusen Streulicht, das unter der Tür zum Gang durchsickerte, wie sie sich tastend zurechtfanden. Als sie den Umschlag aufgabelten und in den Sarg zogen, kratzten sie wütende Furchen in das Sperrholz. Niemals würde er die neue Situation akzeptieren. Niemals!
Im sonnigen Salon gab es schon seit Tagen keinen ruhigen Moment mehr für ihn. Was er einerseits mit Bedauern, andererseits aber auch mit einer gesunden Portion Humor registrierte. Kurz beobachtete er seine Frau über den Rand der Zeitung hinweg dabei, wie sie offenbar in dem Chaos der Hochzeitsvorbereitungen für ihre Schwester irgendetwas suchte. Sie huschte gleich einer Frühlingsböe durch die Räume, ihre weiten Röcke hinterließen dabei kleine Luftströmungen, die den Duft der unzähligen Gestecke und Arrangements in ihrer Wohnung verteilten. Kurz dachte er darüber nach, ob es nicht doch sinnvoller wäre, etwas früher zur Arbeit in den Palast aufzubrechen. Und er dachte ebenfalls darüber nach, ob es nicht vielleicht eine gesunde Kalkulation solcher Umstände und folgenden Gedankengänge war, die es für den Verwaltungsapparat so lukrativ erscheinen ließen, verheiratete Männer fest einzustellen?
"Baldornius, hast du vielleicht die Gästeliste irgendwo hier gesehen? Ich bin mir sicher, dass ich sie..." Ihre geröteten Wangen ließen sie regelrecht strahlen. Er grinste. Und zog, sich vorbeugend in seinem Sessel, das große Blatt vom nächststehenden Beistelltischchen.
"Meinst du dieses?"
Sie klatschte begeistert in die Hände und eilte zu ihm. Ein kurzer Kuss auf seinen Scheitel belohnte seine Aufmerksamkeit.
"Den Göttern sei Dank! Du bist ein Schatz! Lass sehen! Haben wir jetzt alle? Großonkel Harrybert, Opa Rockebert, Großtante Amalgam, Großmutter Anna-Gramma, Onkel Alfred, Tante Tamara-Dora und Tante Liesbeth... meine Güte! Es ist lange her, dass wir uns zuletzt sahen..."
Er legte seine Zeitung zusammen und auf seinem Schoß ab, um dann mit dem linken Arm seine neben ihm stehende Frau um die Hüfte zu fassen und näher an sich heran zu ziehen. Er blickte grinsend zu ihr auf.
"Kann es sein, dass du aufgeregter bist, als du es bei unserer beider Hochzeit warst, Dschosefien?"
Sie sah mit einem kleinen, unsicheren Lachen zu ihm hinab.
"Sie ist meine kleine Schwester! Verschollen und quasi von den Toten wiedergekehrt! Und jetzt heiratet sie in so erlauchte Kreise ein und..." Sie küsste ihn schnell entschuldigend auf die Stirn, als sie seine gespielt betroffene Mine sah. "Das ging nicht gegen dich und deinen Rang, Liebling, das weißt du!"
Er grinste.
"Soso... wenn Sie das sagen, Frau Kasta. Dann muss ich es wohl glauben."
Sie stöhnte theatralisch und zerwuschelte ihm sein Haar. Woraufhin er mit Empörung losließ, um seine Frisur zu retten. "So wird man hier geschätzt! Eine Unverschämtheit! Soll ich das deiner Schwester erzählen? Dann wirst du herzloses Wesen ausgeladen, wart es nur ab!"
Seine Frau winkte lachend mit der Gästeliste ab und verließ den Raum, während sie bereits wieder in die nächsten Planungen abdriftete.
Er strich sich seufzend das Haar mit den Fingern glatt, wenn auch lächelnd. Er nahm das Chaos und ihre Aufregung gerne in Kauf. Tausendmal lieber als ihre Trauer das vergangene Jahr über. Es war ein Wechsel wie Tag und Nacht. Und so viel besser, als dieser verzweifelt leblose Zustand, durch den er sie über Monate hindurch begleitet hatte, als ihre Schwester noch als vermisst und später als tot gegolten hatte. Nein, dann lieber dies hier. Er sah ihr verliebt nach.
Und im Wachhaus am Pseudopolisplatz, in der Kantine, hing am Infobrett inmitten der Aushänge auf schmutzigen Zetteln und Merkern eine einzelne weiße Seite aus Papier, auf der die großzügige Einladung zur Hochzeit auch an jeden Wächter der Stadtwache ausgesprochen wurde. Rach Flanellfuß, der Inspektor seiner Lordschaft, und Ophelia Ziegenberger, die kürzlich in einem Sondereinsatz der Kollegen gerettete ehemalige Stellvertreterin von RUM, gaben sich das Ja-Wort. Und den Kollegen die Chance, sich während der Feierlichkeiten den Bauch vollzuschlagen mit erlesenen Speisen, Wein und - ja, das war ausdrücklich ergänzt worden - mit Bier!
06.04.2020 7: 57Rabbe Schraubenndrehr
"Hast dus gesehen?"
"Still halten!"
"Pfft!"
"Still halten!"
"Au!"
"Ich hab gesagt du sollst stillhalten... und was meinst du?"
Rabbe lag auf dem Sofa in Büro 103 und ließ ihre Beine schaukeln. Ihr Vorgesetzter und enger Freund, Cim Bürstenkinn, versuchte vergeblich ihr die Bisswunde abzutupfen. "So unruhig kenne ich dich gar nicht..." Er zögerte einen Moment und goss die Jodflasche dann über der Wunde aus.
"Autsch! Hast du mir gerade die ganze Flasche...?!"
Cim zuckte die Schultern. "Du wolltest nicht stillhalten, ich wollte dein Bein durch festhalten nicht noch mehr verletzen und es war eh nicht mehr viel drin... Jetzt halt endlich still, sonst nähe ich das Bein ans Sofa."
Rabbe bis die Zähne zusammen und fluchte etwas unverständliches, ehe sie sich aufrichtete und endlich still hielt. Der Vektor seufzte und repositionierte sich, um die Wunde vernünftig vernähen zu können. "Also, was jetzt?" Er hielt den Faden zwischen den Lippen ehe er in einfädelte.
Rabbe seufzte. "Sie heiraten echt. Da hängt ein Zettel in der Kantine..."
Cim schnaubte. "Na und? Die Trulla soll froh sein das sie überhaupt einen dummen gefunden hat. Überhaupt... so sind wir sie endlich los. Ich dachte das freut dich." Er nahm einen Schluck Whisky und nahm das Nähzeug wieder zur Hand.
"Ach... all der Kitsch..."
Cim lachte. "Höre ich da etwa Wehmut, Rabbe? Bist du neidisch weil du noch keinen Mann gefunden hast und jetzt nicht im Kitsch schwebest?"
Rabbe boxte ihm an den Arm. Er wich aus und grinste. "Wenn du im Straßenkampf auch so langsam bist, ist klar das du noch keinen Mann lange genug bewusstlos gehalten hast,-"
"Ahaha..." Sie verdrehte die Augen und ließ den Kopf zurück sinken. "Keine Ahnung. Die Ziegenberger und ich... Eigentlich hast du Recht. Ich bin froh das sie einfach weg ist. Ich bin eigentlich auch froh das sie ihr... ihr..." Sie machte ein angewiedertes Geräusch. "Ihre Traumhochzeit kriegt. Ich finde das alles nur so unreal und gekünstelt. Bah."
"Hm. Ich denke die meisten sehen es als Gratismahlzeit. Schätze Breguyar wird sich einen Drahtbügel in den Mund spannen um für die Fotos irgendwie grinsen zu können."
"Ha! Nein, er wird ganz bewusst grimmig schauen und jeden zusammen schnauzen der irgendetwas dagegen sagt." Sie lachten. Cim nähte die Wunde fertig und wusch sie mit Alkohol. Er hielt einen Moment inne und wurde ernster. "Manchmal denke ich, du bestehst bald nur noch aus Narben,-"
Rabbe machte ein abwehrendes Geräusch. "Das tun wir beide, mach dir nichts vor."
Cim schüttelte den Kopf. "Nicht auf die Art..."
Für einen Moment herrschte Schweigen, dann gähnte Rabbe übertrieben. "Ich brauche unbedingt einen Kaffee..." Sie krempelte ihr Hosenbein hoch. "Denkst du du gehst hin?"
Cim schien einen Moment nachzudenken. "Warmes essen, feine Gesellschaft und so viel Bier wie ich in meinen Stiefeln rausschmuggeln kann?" Er wirkte belustigt. "Ich denke, ich habe wichtigeres zu tun."
Rabbe schmunzelte. "Wer nicht..." Sie stand auf und gähnte erneut. "Willst du auch was?"
"Einen Früchtekorb, wenn es gibt."
Rabbe fuhr sich durch die Haare während sie zur Kantine ging. Irgendwie ging ihr die Sache nicht aus dem Kopf. Zwischen einer Ziegenberger und einem Flanellfuß... Wie konnte man da je erwarten das so eine Eheschließung ohne tragisch-blutigen Unfall ausginge? Wie konnte man nicht fest von einen Doppelmord, plötzlicher Entführung und Okkulten Phänomenen ausgehen?
Sie wartete geduldig bis der Kaffeedämon ihr das gewünschte Getränk präsentierte und ließ den Blick erneut über den Aushang schweifen. Es waren wirklich alle Wächter eingeladen, egal wie lange dabei...
Ob die wirklich alle nur das Beste für das Paar im Sinne haben? Hm. Sie trank ihren Kaffee und beschloß ins Büro zurück zu gehen. Hier in der Kantine schienen ohnehin alle nur über ein Thema sprechen zu können.
Freibier.
07.04.2020 19: 30Nyria Maior
Eigentlich steckte es schon im Namen
Wache, dass es doch immer wieder auf die langweiligste aller Wächterpflichten hinauslief: Das Bewachen von Objekten jeglicher Natur.
Zum Keineahnungsten-Mal in dieser Nacht ließ Nyria ihren Blick über die von nun aufgegebenen Kräuterbeeten durchzogene Fläche schweifen, die den Garten des Anwesens im Grüngansweg bildete. Gleichzeitig sog sie die Luft des morporkianischen Vorfrühlings prüfend durch ihre Nase. Keinerlei Besonderheiten.
Nyria lehnte sich auf den Stiel ihrer Dienstpike, riss ein Streichholz an der Hauswand an und entzündete ihre nächste Zigarette.
Sie hatte davon gehört, was hier vor ein paar Nächten passiert war, und hatte sich darüber gewundert, dass RUM nicht daran gedacht hatte, den Tatort auch von hinten bewachen zu lassen. Aber so wie sich die Indizien derzeit im speziell dazu eingerichteten Kommandozentrum in dritten Stock stapelten, konnte es bei der chronischen Unterbesetzung leider passieren, dass ein solches Detail durch das Netz schlüpfte. Bregs knirschte bestimmt in seinem Büro mit den Zähnen und dezimierte eine weitere Rumflasche.
Nyria blies eine Rauchwolke in die nächtliche Luft. Wen auch immer das widerliche alte Flederleder unten in der Gruft noch anlocken mochte - die betreffende Person musste erst einmal an ihr vorbei.
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Er hatte getan, was er konnte. Rogi Feinstich wusste, was sie tun musste, um die Kutschentüren zu versiegeln, sobald Racul von Ankh in dem Gefährt saß. Bregs war sicher in einem Schutzkreis verstaut. Nun blieb ihm nur noch übrig, die Daumen zu drücken, dass alles gut ging.
Die Bücherregale der Bibliothek der Unsichtbaren Universität ragten wie dunkle, hungrige Gebirgszüge vor Raistan auf. Es war riskant, was er im Begriff war, zu tun. Aber ob Racul von Ankh sich an die Bedingungen seiner Begnadigung halten würde, war keineswegs absehbar und Raistan war sich sicher, auf der Abschussliste des Uralten Vampirs sehr weit oben zu stehen. Er hatte Racul zwei Mal erfolgreich die Stirn geboten, ihn in seiner eigenen Gruft eingesperrt, und ihn anschließend mit aller bei Nyria abgeschauten Lässigkeit mit demonstrativer Nichtbeachtung gestraft. Das schrie nach dem Weltbild Raculs, der sich als mächtigstes Wesen der Scheibenwelt sah, geradezu nach Rache.
Aber wenn es trotz aller sorgfältig gesponnenen Pläne doch noch böse enden sollte - Die Genugtuung, ihn zu erwischen, wollte Raistan dem alten Flederlappen nicht gönnen, auch wenn nach all dem, was er heute getan hatte, schon wieder jeder Atemzug stechend schmerzte und er sich auf seinen Stab stützen musste, um nicht zu stolpern. Der Hauch eines hämischen Lächelns spielte um seine dünnen Lippen. Sollte Racul ihn doch suchen, bis der Alte verloren zwischen den Welten und Dimensionen zu Staub zerfiel.
Trotzig reckte der junge Zauberer sein Kinn vor und trat zwischen die schluchtartige Öffnung zwischen zwei Bücherregalen. Er musste nur noch diese eine Nacht durchhalten, dann war es hoffentlich geschafft.
Ketten rasselten in der Dunkelheit und Pergament knisterte drohend, als Raistan beharrlich einen Fuß vor den anderen setzte. An einer Stelle, die sich durch keinerlei Besonderheiten auszeichnete, trat er durch eine in den üblichen Farben nicht sichtbare Lücke zwischen zwei Regalen. Dann wandte er sich nach rechts, zählte er sieben-plus-eins Schritte und legte den Kopf in den Nacken. An der Decke über sich sah er den Eingangsbereich der Bibliothek. Der Bibliothekar saß auf seinem Schreibtisch und inspizierte mit den Füßen zurückgegebene Bücher, während er mit den Händen eine Banane schälte. So weit, so gut. Die erste Etappe war geschafft.
Raistan folgte dem Gang, in dem er sich nun befand, weitere sieben-plus-eins mal sieben-plus-eins Schritte. Dann vollführte er eine komplizierte Geste mit der linken Hand und die Welt faltete sich von innen nach außen. Was blieb, war undurchdringliche Schwärze.
Zumindest für einen kurzen Augenblick. Dann übernahm die oktarine Sicht. Jene winzigen magischen Sehzellen, die einen wahren Zauberer Dinge sehen ließen, die anderen Leuten verborgen blieben, zeigten Raistan seine Umgebung in Schattierungen von grünlichem Purpur. Die Weiten des B-Raumes erstreckten sich vor ihm. Pfade die sich nur denjenigen erschlossen, die die Natur dieses Kontinuums gründlich studiert hatten. Die Pfade, die durch die siebzehn Häuser einer durch Chaos erschaffenen Spezies kontrolliert wurden. Die Pfade, die auf dem Rücken von Unwahrscheinlichkeiten tanzten. Die Pfade die dem Symbol eines O-förmigen roten Drachen folgten. Wissen war Macht. Macht war Energie. Energie war Materie. Materie war Masse. Und Masse faltete die Dimensionen des Multiversums wie eine achatene Origami-Figur zu jenem Kontinuum, das als der B-Raum bekannt war.
Raistan griff entschlossen seinen Stab fester. Dies war der Ort, an den sich nur wenige Zauberer je vorwagten. Der Ort, dem er viele Jahre seiner Studien gewidmet hatte. Er kannte seine Stärken, seine Verwundbarkeiten wie die Taschen seiner Robe. Nur ein kleines oktarines Zupfen an der richtigen Stelle und wehe dem Vampir, der versuchte, den Achten Sohn eines Achten Sohnes auf seinem eigenen Territorium anzugreifen...
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Es war wirklich nicht einfach für sie, die Kennerin jedes üblen Trinklochs der Stadt, gewesen, eine ganz neue zwielichtige Spelunke zu finden. Andererseits, falls es Racul unbedingt auf sie abgesehen hatte, musste er schon jede miese Kneipe der Stadt durchkämmen und Nyria bezweifelte stark, dass das alte Flederleder für jemanden, die ihm einmal in den Knöchel gebissen hatte, so viel Geduld aufwenden würde. Da standen andere Mitglieder des Rettungstrupps wesentlich höher auf einer imaginären Abschussliste.
Raistan zum Beispiel. Der in der heutigen Nacht nicht auf der Scheibenwelt zu finden sein würde. So sehr sie auch zusammengehörten, es gab einfach Dinge in Raistans Leben, von denen Nyria lieber die Finger ließ. Und dazu gehörte das Wandeln auf Pfaden jenseits der Dimensionen von Zeit und Raum der Scheibenwelt. Raistan wusste genau, was er heute Nacht tat um seine Sicherheit zu gewährleisten. Genau wie sie wusste, was sie heute Nacht tat um das gleiche zu tun. Sie vertrauten einander, dass sie jeweils ihr größtes Talent dazu einsetzten, diese Nacht zu überleben.
Mit einem knappen Nicken nahm Nyria ein Schnapsglas von dem für solch einen Schuppen klassisch schmierig aussehenden Barmann in Empfang. Was die anderen Mitglieder des Rettungszirkels heute Nacht wohl trieben? Bregs Warnung war hoffentlich deutlich genug gewesen.
Und Bregs war derjenige, um den sie sich am meisten Sorgen machte. Er war derjenige, der Racul mittlerweile mit seinem Urteil konfrontiert haben musste. Hatten alle Vorsichtsmaßnahmen so funktioniert wie es geplant war? Hatten sein purer, kalter Hass und sein eiskalter Blick ihn durch diese Konfrontation getragen?
Nyria trank einen Schluck von ihrem Schnaps. Billiger, starker Fusel, der einem die Tränen in die Augen trieb. Genau das richtige Getränk für die Gesamtsituation.
Das, was an Bregs am meisten genagt hatte war die Tatsache, dass er selbst Leonata und einigen seiner besten Freunde nicht sagen konnte, was tatsächlich los war. Und so hatte Nyria sich gemeinsam mit Raistan in den letzten Wochen in der ungewohnten Position wiedergefunden, so ziemlich seine einzige Vertraute zu sein. Sie wusste um sein nahezu unlösbares Problem, gleichzeitig Racul mit allem dranzukriegen was ging, aber es trotzdem irgendwie zu schaffen, dass das alte Flederleder einer Todesstrafe entging um das Leben einer Wächterin zu retten, die bereits mehr als genug erleiden musste. Aber irgendwie hatte er es geschafft, dass Lord Vetinari die Strafe so gestaltet hatte, dass Ophelia Ziegenberger zumindest auf Probe leben durfte.
Und es hatte fürchterlich an ihm genagt, dass er Lea zu ihrer eigenen Sicherheit und der ihrer gemeinsamen Tochter nicht sagen konnte, was wirklich los war. Genau wie Raistan und sie selbst vertrauten sie sich blind, aber Lea wusste immer, was in der Wache gerade passierte. Bis auf dieses Mal.
Sie hatte akzeptiert, dass Bregs ihr nicht sagen konnte, was gerade passierte. Letztendlich war Leonata, auch wenn sie keinen aktiven Dienst tat, sondern
nur die Finanzen der Wache verwaltete, genauso eine Wächterin wie all diejenigen, die Tag für Tag Streife gingen. Ganz abgesehen von ihrer Ehe mit dem Kommandeur wusste sie, was der Dienst von ihr verlangte und sie war bereit zu tun, was getan werden musste.
Deshalb konnte Nyria nur zu gut verstehen, dass Bregs ihre Einladung zu einer Siegesfeier ausgeschlagen hatte. Wenn er den Abend Nummer Eins nach Racul feiern wollte, dann mit denjenigen, mit denen er selbst am dringendsten darüber reden wollte. Ganz gleich, was auch immer über ihn im Wachhaus geredet werden mochte - Bregs hasste es, allein auf Geheimnissen herumkauen zu müssen. Trotzdem hatte er, um Racul so richtig drankriegen zu können, so manchen Vertrauensvorschuss von seinen wahren Freunden einfordern müssen.
Und trotz aller Geheimniskrämerei hatten Romulus von Grauhaar und Inspäctor Kolumbini Bregs vertraut, als es darauf ankam. Diese drei Wächter waren trotz aller Rang- und Abteilungsunterschiede eine über viele Jahre im gemeinsamen Dienst gewachsene Einheit.
Fast wurde Nyria neidisch als sie den Rest ihres Schnapses austrank und dem Barmann im unverwechselbaren Code der Schatten bedeutetet, ihr dieses Mal den wirklich Guten Stoff zu servieren und wehe denjenigen die es wagten, sie übers Ohr zu hauen.
Wem konnte sie selbst tatsächlich innerhalb der Wache vertrauen so wie Bregs es mit seinen Freunden tat? Die erste Person die ihr in den Sinn kam, war und blieb trotz allem Jargon Schneidgut, auch wenn ihre Gesamtsituation mittlerweile recht paradox war. Offiziell war er ihr Vorgesetzter. Aber sie war diejenige, die er um Hilfe gebeten hatte, als er zuerst verschwunden und dann plötzlich zum Werwolf umgewandelt wieder aufgetaucht war. Und wenn sie jemandem zeigte, was es bedeutete, auf vier Pfoten und mit vollen olfaktorischen Konsequenzen in Ankh-Morpork unterwegs zu sein und sein oder ihr Revier zu behaupten, dann tat sie das auch gründlich. Außerdem war ihr Jargon auch vor seinem Verschwinden und plötzlichen Auftauchen als Werwolf schon irgendwie sympathisch gewesen. Auf einer gewissen Ebene hatten sie sich schon immer verstanden.
Dann war da Cim Bürstenkinn. Letztendlich der altgediente Wächter der ihr beigebracht hatte, was es bedeutete, ein SEALS zu sein. Irgendwie war es immer noch schade, dass sie Cim nie erzählen konnte, was für eine eigentlich perfekte Szenekenner-Operation sie für den Rettungstrupp durchgezogen hatte. Szenekenntnisse ausgenutzt um maximalen Operationserfolg zu erzielen. Auch was die Konsequenzen betraf.
Küchenpersonal und Wäscherei der UU suchten regelmäßig junge Frauen die bei gelegentlichen okkulten Phänomenen nicht sofort das Weite suchten. Und Nyria war sich sicher, dass Gerti kein Feigling war. Niemand, der die Farben der Unsichtbaren Akademiker im falschen Viertel trug, war ein Feigling. Die Verabredung zum nächsten Spiel auf der richtigen Fantribüne war schon ausgemacht.
Nyria leerte ihren Schnaps und bestellte ein Bier der Marke
Ich weiß, dass euer normales Zeug ungenießbar ist, aber ich weiß, ihr habt auch den Guten Stoff. "Auf SEALS." sagte sie in Gedanken zu sich selbst als der Humpen vor ihr abgestellt wurde. "Weil ich immer auf die beste Abteilung der Wache trinke. Wir sind diejenigen, die letztendlich die ganze Laufarbeit erledigen, wenn die hohen Tiere die komplizierten Pläne schmieden. Auch wenn wir nicht immer die Anerkennung bekommen, die uns eigentlich zusteht."
Es hatte so viel Spaß gemacht, einfach das inoffizielle Kommando über den Wütenden Mob zu übernehmen. Rach Flanellfuß hatte wesentlich weniger Dienstzeit als sie. Wilhelm Schneider war Rekrut. Und Esther Arrogant Flanellfuß hatte als Zivilistin sowieso innerhalb der Kommandostruktur nichts zu sagen gehabt.
Aber auch wenn sie auf den ersten Blick ein arrogantes Miststück war - Esther war eine der wenigen Personen in Ankh-Morpork die sie bisher je auf dem Fechtboden geschlagen hatte. Und sie hatte Nyria auf ihre Nachfrage hin im Sinne des gemeinsam zu erledigenden Dschobs ohne irgendwelche Hindernisse mit Schnüffelproben von diversen seltenen Assassinengiften ausgestattet.
Nyria widmete sich ausgiebig ihrem Bier und strich mit den Fingern über den Knauf ihres Degens. Auch wenn sie letztendlich unterlegen gewesen war - gegen Esther Flanellfuß hatte sie nach allen Regeln fair gefochten und nach einem harten Kampf verloren. Aber fair waren längst nicht mehr die Regeln nach denen Nyrialeviatha Thusnelda von Canis Maior Alpha damals zu kämpfen gelernt hatte.
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Eigentlich war alles wie immer. An den Tischen in der
Geflickten Trommel sie aß die übliche Mischung aus professionellen Tavernenschlägern und wagemutigen Touristen, das Stroh am Boden war kurz vor dem Verfaulen und an der Theke verspeiste der Bibliothekar genüsslich eine Portion Erdnüsse. Was diesen Abend von den übrigen unzähligen Malen unterschied, die Nyria und Raistan hier an ihrem Stammtisch verbrachten, war die in der Mitte gefaltete Karte aus edlem Büttenpapier, die zwischen ihnen auf dem Tisch lag.
"Du hast auch eine bekommen?" erkundigte sich Nyria bei ihrem besten Freund.
Dieser nickte nur.
"Und, gehst du hin?"
"Ich glaube, sie würden sich darüber freuen, wenn ich komme." antwortete Raistan diplomatisch.
Nyria grinste ihn an, wohl wissend, dass Feste und Feiern nicht gerade zu seiner Lieblingsbeschäftigung gehörten.
"Ach, komm schon. Das wird lustig. Und bei so einer piekfeinen Veranstaltung sind Essen und Getränke bestimmt allererste Klasse."
"Ich habe nicht gesagt, dass ich nicht hingehe." sagte der junge Zauberer. "Nach alldem was wir durchgestanden haben um diese Hochzeit überhaupt erst möglich zu machen, wäre es falsch, beim glücklichen Ende nicht dabei zu sein."
"Es kann immer noch einer von ihnen im entscheidenden Moment Nein sagen." bemerkte Nyria. "Aber das glaube ich nicht. Ende gut, alles gut und so. Was mich zu meinem eigentlichen Problem bringt." Sie sah an sich herunter und unterzog ihre schäbigen Kniehosen, das mehrfach geflickte Hemd und die abgewetzte Weste einer gründlichen Musterung.
"Wie schon gesagt, das wird eine wirklich piekfeine Veranstaltung. Bregs ist da fein raus, der schmeißt sich einfach in seine Galauniform. Aber das kann ich nicht, von wegen Inkognito als Szenekennerin und so. Und mein Kleiderschrank gibt nichts her, mit dem ich nicht unangenehm auffallen würde." Sie trank den Schnaps, der die andere Hälfte ihres Herrengedecks bildete, aus und stellte das Glas mit einem Knall auf dem Tisch ab.
"Also, was ziehe ich an?"
Raistan schwieg für einen Moment und zwischen seinen Augenbrauen erschien die steile Falte die ein untrügliches Kennzeichen dafür war, dass er nachdachte.
"Kannst du die Fragestellung irgendwie... eingrenzen?" erkundigte er sich schließlich. "Zum Beispiel durch etwas, was du von vornherein ausschließt?"
"Ein Kleid oder irgendwas anderes, was einen Rock und ein Korsett beinhaltet, kommt absolut nicht in Frage." antwortete Nyria wie aus der Armbrust geschossen. "Ich will nicht an Luftmangel ersticken, während ich über wallende Stoffmassen stolpere."
"Also kein Abendkleid. Was würde dann noch als gesellschaftlich akzeptable Alternative bleiben?"
"Ein Frack hätte auf jeden Fall Stil." Vor ihrem inneren Auge sah Nyria sich selbst eine mit Samt ausgelegte Treppe herabsteigen, gekleidet in einen maßgeschneiderten Frack, auf dem Kopf einen Zylinder und in der Hand einen eleganten Gehstock. Ja, eine solche Kombination würde eine Menge her machen. Die Werwölfin seufzte leise.
"Ich könnte mir einen leisten. Aber wann würde ich ihn je wieder anziehen? Das hier ist die letzte sich anbahnende Hochzeit von Leuten die mich möglicherweise einladen könnten und ich gehe weder in die Oper, noch auf Bälle."
Raistan zuckte mit den Schultern.
"Was willst du eigentlich anziehen?" erkundigte sich Nyria.
"Ein Zauberer ist immer richtig angezogen." Raistan zupfte am Ärmel seiner Sommerrobe aus schwarzem Leinen.
Nun war es an Nyria, mit den Schultern zu zucken. Selbst im schummerigen Licht der
Trommel konnte sie die abgewetzten Stellen an den Ärmelsäumen des Kleidungsstücks erkennen und sie wusste, dass die blau-graue Borte an manchen Stellen schon recht fadenscheinig war. Aber wenn er meinte - Zauberer gingen grundsätzlich davon aus, dass ein UU-Diplom und ein Stab mit einem Knauf am Ende reichten um in gesellschaftlichen Situationen mit so ziemlich allem durchzukommen. Und das Schlimme an der Sache war, dass es funktionierte. Niemand würde es wagen, einen Zauberer darauf hinzuweisen, dass er unpassend gekleidet war, ganz im Gegensatz zu einer völlig unmagischen Obergefreiten der Stadtwache. Es war einfach nicht gerecht. Wenn sie sich schon den Kopf darüber zerbrach, könnte er sich doch zumindest aus Solidarität etwas Mühe mit einem angemessenen Erscheinungsbild geben.
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Am Ende hatte sie ihn bei seiner Ehre gepackt. Ob er denn wirklich bei einer so wichtigen Angelegenheit den ehrenhaften Beruf des Zauberers in seinen abgetragenen Alltagsklamotten repräsentieren wollte? Zufrieden betrachtete Nyria die elegante Robe in verschiedenen Hellgrautönen, die an einem Kleiderbügel an Raistans Schrank hing und im Licht des Vollmondes leicht schimmerte. Wilhelm hatte wirklich ganze Arbeit geleistet.
Sie selbst hatte sich einen dreiteiligen Anzug in edlem Dunkelgrün geleistet. Und der Zylinder hatte doch einfach sein müssen. Einfach weil sie es konnte und sie schon immer einen haben wollte. Außerdem bot die hohe Kopfbedeckung einen praktischen Aufbewahrungsort für Nyrias neue Klappmesser, ohne verdächtige Beulen in der Festtagskleidung zu hinterlassen. So friedlich und harmonisch die Feier hoffentlich wurde - falls doch jemand etwas versuchen sollte, wollte die Obergefreite vorbereitet sein. Ein so hart errungenes glückliches Ende würde sie nicht kampflos aufgeben und sie ging davon aus, dass der Rest des ehemaligen Rettungstrupps es ähnlich sah. Was bedeutete, dass vermutlich eine Menge verborgener Waffen auf der Hochzeitsfeier unterwegs sein würden.
Nach einem letzten wölfischen Gähnen sprang Nyria auf das Fußende von Raistans Bett und rollte sich zu einer bequemen Schlafposition zusammen. Nur noch wenige Tage, dann war es so weit.
20.04.2020 19: 32Jargon Schneidgut
Bis vor einigen Monaten hatte Jargon noch nie Kleidung gekauft. Er besaß, abgesehen von seiner Wacheuniform, mittlerweile drei Hemden (weiß, gelblich, grau), zwei Hosen (braun), vier paar Unterwäsche (inklusive Unterhemd) und drei Paar Socken (braun). Außerdem eine neue Jacke, eine Mütze und ein paar Handschuhe. Ein paar Stiefel.
Er kannte jedes einzelne seiner Kleidungsstücke, die neuen etwas weniger gut als die älteren, aber auch die kannte er. Er wusste, wo die auffaseranfälligen Nähte waren. Er kannte die durchscheuergefährdeten Flächen. Die Länge jeder Knopfkordel war ihm unterbewusst bekannt.
Jargon kannte alle Tricks. Schweißfleckenbekämpfung, Körperflüssigkeitenauswaschung, Lochstopfung, Ersatzteilannaht, Farbaufpolierung, Flickenverstärkung, Partikelstärkung, Rissnaht und Stofftransplantation. Schonendes Waschen, sachte Trocknung, Auslüftung.
Und, schlimmstenfalls, Umrüstung zum Putzlappen.
In der Unbesonnenheitsstraße achtete man darauf, dass alles sauber und ordentlich ist. Dass alles, was man besitzt, ordentlich gepflegt wird. Mit der richtigen Pflege und Handhabe konnte man eine Hose ein ganzes Leben lang nutzen
[1].
Auf dieses Erbe aus seiner Erziehung war Jargon durchaus stolz. Er hielt sich daran. Auch wenn er mittlerweile eigentlich genug Geld verdiente, jeden Monat vier neue Sätze Kleidung zu kaufen. Oder einen, je nach Geschäft.
Es war für ihn undenkbar, jeden Tag neue Kleidung zu tragen. Oder ein Kleidungsstück nur für einen Tag.
Wurde in der Unbesonnenheitsstraße geheiratet, trugen Braut und Bräutigam die vor Jahrzenten absolut mottensicher verstaute Festkleidung ihrer Eltern. Oder die der Onkel und Tanten, falls vorhanden.
Jargon besaß keinen Anzug. Sein Vater hatte ihm keinen hinterlassen, und er hatte weder Onkel noch Tante.
Entsprechend gab es einen schockierten Moment der Realisation, vier Tage vor Ophelias und Rachs Hochzeit.
Natürlich würde er kommen! Er hatte auch schon ein Geschenk und sich etwas zu Essen für das Buffet überlegt(sicher, zu einem Buffet brachte man immer etwas mit, so hatte er es gelernt). Aber was sollte er anziehen? Die Uniform?
Sicher nicht. Er war zwar als Wächter und Kollege eingeladen worden, aber da Ophelia kein Wächter mehr und Rach nicht wirklich ein Zugehöriger der Stadtwache war, schien ihm das nicht angemessen. Generell unpassend. Beinahe taktlos? Immerhin hatte es beruflich größte Spannungen gegeben - die auch zu schlimmen Erlebnissen und ihrem Austritt aus der Wache führten. Nein, die Uniform scheidete aus. Also musste etwas neues her.
Glablassters Gebrauchte Gelegenheitskleidug, verkündete das Schild, das etwas windschief an einer Metallaufhängung befestigt war. Die Tür bestand zum Großteil aus Glas, mit einigen goldenen Beschlägen. Beim genaueren Hinsehen hätte man erkannt, dass es sich um ziemlich billige, dünne Goldfarbe handelte. Jargon sah nicht genau hin. Er drückte nervös seinen Zigarillo an einer Backsteinmauer aus und trat endlich aus der gegenüberliegenden Gasse. Er hatte siebzig Dollar bei sich. Er konnte kaum fassen, dass er vorhatte, so eine Menge Geld auszugeben. Er kam zu dem Schluss, dass es Verschwendung wäre, sich einen maßgeschneiderten, schönen neuen Anzug zu kaufen - auch wenn die Vorstellung reizvoll war! Aber da er privat quasi nie einen Anzug tragen würde, hielt er es für angemessen, einen ordentlich, gebrauchten Anzug zu kaufen. Dieser Laden schien ihm dafür passend. Also atmete er noch einmal tief durch und betrat das Geschäft.
Es roch nach einer Menge Stoff, Lavendelimitat und Holz. Die Beleuchtung war großzügig, die Fenster groß und sauber. Es gab viele Reihen von Regalen mit Bügeln. Viele freistehende Kleiderständer mit runden Aufhängungen. Die Menge an Kleidung überwältigte Jargon ziemlich. Sein Blick bewegte sich nahezu hektisch, als er versuchte so viele Eindrücke wie möglich aufzunehmen und letztlich kaum etwas wahrnahm. Er sah viele bunte, farbenfrohe Dinge, viele graue und weiße und braune. Gürtelschnallen, Kragen, Stofftücher. Seine Schritte trugen ihn zögerlich, langsam über den Fließenboden. Der ungewohnte, stickige Woll- und Pflanzenfasergeruch war äußerst anstrengend. Er versuchte, die Blicke der anderen Kunden zu meiden, die sich glücklicherweise sehr für die Kleidung und weniger für ihn interessierten. Schließlich erreichte er eine Art Theke, die angenehm gleichförmig und unaufdringlich war. Hinter ihr stand ein muskulöser, bärtiger Mann, der freundlich aufblickte. Er trug ein weißes, kurzärmeliges Oberteil, ohne Knöpfe oder ähnliches. Er sprach ihn an.
"Guten Tag! Du bist Herr Galablasster, schätze ich?"
Der Herr nickte freundlich. Seine Augen funkelten sympathisch, als er auf Jargon herabsah.
"Das hier ist mein Laden. Was führt dich hierher?"
"Äh. Ich möchte einen Anzug kaufen."
Diese Aussage bewegte Galablasster dazu, ihn ganz genau anzusehen.
"Wie teuer soll er denn werden?", fragte er dann, mit einem Tonfall, den Jargon schwer deuten konnte.
"Ähm. Ich weiß nicht." Er sah sich um. Es war niemand in unmittelbarer Nähe. Er senkte die Stimme trotzdem, als er sagte: "Ich habe siebzig Dollar. Reicht das?"
Der bärtige Mann hinter der Theke zog die Brauen hoch, blinzelte dann und nickte. Nach kurzem Zögern fragte er:
"Hat euer Lordschaft eine Vorstellung, welche Farbe der Anzug haben soll?"
Jargon legte den Kopf schief. "Äh. Ich- äh, Schwarz? ...gibt es andere Farben?"
"Aber sicherlich! Heutzutage trägt man Anzüge in allerlei möglichen Farben! Schwarz ist, wie man sagt, sowas von ahut!" Galablasster kam um den Tresen herum. Er trug eine Hose mit bläulicher, ausgeblichener Farbe und sehr flache Schuhe.
"Folgt mir, bitte."
Sie gingen in einen abgetrennten Bereich mit vielen Kleiderständern, an denen alle Arten und Farben von Anzügen hingen. Jargon starrte.
"Ahut?", fragte er dann.
"Eine Abkürzung. Ein alter Hut, kurz, ahut."
"Ah."
Galablasster sah ihn abwartend an. "Was möchte euer Lordschaft anprobieren?"
"Ich bin gar kein Lord", sagte Jargon, etwas kleinlaut. Er fühlte sich eingeschüchtert von der großen Auswahl, die ihm präsentiert wurde.
"Aber natürlich!" Galablasster lächelte freundlich.
"Es geht um eine Hochzeit", fügte Jargon hinzu, in der Hoffnung, es würde die Menge an Möglichkeiten etwas einschränken.
Die Augen des Verkäufers wurden groß, sein Mund formte sich zu einem kleinen Punkt. "Eine Hochzeit", hauchte er. "Dann braucht euer Lordschaft natürlich etwas
ganz besonderes."
"Ich bin kein Lord", wiederholte Jargon, etwas genervt, während Galablasster zu einem größeren Kleiderständer eilte und ihn auf Rollen in den Raum zog.
"Natürlich, verzeihung-", sagte er geistesabwesend und begutachtete erst Jargon, dann die Anzüge. "Ich fürchte, in deiner Größe kommen nur wenige Modelle in Frage", stellte er dann fest. "Nun, im Zweifelsfall kann man sicher auch abändern." Er griff nach einem Kleidungsstück und hielt es probeweise neben ihn, wie um die Größe abzuschätzen. "Ich denke, dieser würde passen."
Jargon betrachtete den schwarz-weiß-karierten Anzug skeptisch. Ihm gefielen die Manschettenknöpfe aus grünlichem Metall, aber irgendetwas daran wirkte... unangemessen.
"Zu einer Hochzeit?", fragte er, mehr verwirrt als abgeneigt.
"Natürlich. Kariert ist modisch!"
Jargon schüttelte den Kopf. "Äh, etwas anderes bitte."
Galablasster nickte und verfiel in geschäftiges Suchen, Anbieten, Argumentieren. Aber weder die orange-blau-Kombination, der braun-weiß-gestreifte Zweiteiler, das hellgrüne Jackett mit der violetten Hose noch der halb durchsichtige Dreiteiler aus Seide sagten Jargon zu. Er kam sich sehr albern vor und fragte sich, ob Leute in seiner Größe eine Tendenz dazu hatten, besonders stark auffallen zu wollen.
"Ich sehe, euer L- ähm, du bist ein weniger extravarganter Typ", stellte Galablasster schließlich fest und rollte den Kleiderständer zurück in seine Nische. "Versuchen wir etwas schlichteres." Der nächste Metallbügelhalter auf Rollen wirkte auf den ersten Blick sehr viel vielversprechender. Es hingen daran klassische Anzüge, in schwarz, weiß, blau, grau, braun. Es gab auch ein paar auffälligere, aber die interessierten Jargon gerade herzlich wenig.
"Bitte", bestätigte er erleichtert und griff nach dem ersten Bügel mit schwarzem Jackett den er sah. Das Jackett war etwa vier Nummern zu groß, und das war nach Augenmaß und großzügig geschätzt. "Oh- äh, einen kleineren, bitte."
"Sicherlich." Galablasster reichte ihm einen grauen. Der war ebenfalls zu groß. Der nächste ebenso. Und der folgende. Die Augen des Händlers verengten sich in Ungeduld, als sie den ganzen Bügelhalter durchgingen. Bis zum letzten Anzug, der dort hing.
"Ähm, entschuldigung-" Er rollte den Kleiderhalter zurück und griff nach dem nächsten. Diesmal waren die Anzüge etwas weniger dezent, aber noch in einem erträglichen Rahmen. Es gab grün, metallisch-blau, mit Glitzersteinen dezent besetztes grau, alle Arten von bunten Nadelstreifen. Sie waren alle zu groß. Nur beim letzten Anzug, an dem ein großer gelber Zettel hing, leuchteten Beider Augen auf.
"Aha! Der sollte passen!", rief Galablasster trumphierend aus.
Es war ein roter, geteilter Frack mit weißen Nadelstreifen und passender Hose. Auf dem Zettel stand
Für Zwerge.
Freudig kam von Jargon ein: "Vom schauen her... ja!" Dann sah er noch einmal genauer hin. "Sind das... Flicken?" Er zeigte auf eine brusthohe Stelle, mittig bis links. Offensichtlich war hier ein Loch mehr schlecht als recht geflickt worden. Galablasster sah ebenfalls hin, peinlich berührt. "Oh... das scheint einer meiner Angestellten beim Einsortieren übersehen zu haben. Ich werde ihn direkt entsorgen."
Jargon griff nach dem Bügel und hielt Galablasster somit ab. "Warte. Das stört mich nicht. Bevor ich gar keinen kriege, nehme ich den!"
Der Verkäufer sah ihn verwirrt an. "Äh- ich bin mir sicher, wir finden noch einen anderen, wenn wir weiter suchen-" Seine Stimme wurde leiser, als er sich umsah und feststellte, dass sie alle anderen anwesenden Anzüge bereits ausgeschlossen hatten.
"Ich probiere ihn jetzt an", bestimmte Jargon sanft. "Und wenn er passt, nehme ich ihn."
Und das tat er.
Galablasster weigerte sich, dafür mehr als dreißig Dollar anzunehmen
[2] und entschuldigte sich für seine beschränkte Auswahl.
Jargon nahm sich vor, den Laden öfter zu besuchen. Einmal im Halbjahr vielleicht.
Am Abend vor der Hochzeit trat Jargon schließlich vor den Spiegel - er hatte einen in der Nähe der Mobilien gefunden und mit nach Hause genommen
[3].
Das Loch im Frack war gestopft, geflickt, vernäht, gebügelt, partikelgestärkt. Wenn man nich ganz genau hinsah fiel es nicht auf. Da war er sich sicher.
Zu Frack und Hose trug er sein weißes Hemd und schwarze, glänzende Schuhe, die ihn nochmals zwanzig Dollar gekostet hatten. Er kam sich extrem albern vor, derartig gekleidet zu sein, und war froh dass es sich wenigstens um einen gutaussehenden Frack handelte. Auch wenn ihm derartige Kleidung natürlich nicht stand.
Auf dem Tisch standen alle Zutaten bereit für seinen Buffetbeitrag: zwei Stangen Lauch, Mehl, Eier, Salz, Käse - es würde einen tollen Lauchkuchen ergeben! Und, hübsch verpackt, sein Geschenk: Tee, von dem er wusste, dass Ophelia ihn mochte; und ein Stoß seines Lieblings-Schreibpapiers.
Trotzdem war er äußerst nervös. Er fummelte an seinem Kragen rum, versuchte, seine Nadelstreifen glattzustreichen und probierte aus, wie er sich am besten gerade hinstellte. Er bereute es, keinen Gehstock oder etwas ähnliches zu haben und dachte einen Moment lang darüber nach, sich einen Hut zu kaufen.
Sein Spiegelbild zwinkerte ihm zu. Nervös befeuchtete er seine Lippen und blinzelte.
"Na schön", murmelte er.
"Ich gehe ins Bett."
23.04.2020 22: 47Rach Flanellfuß
Jules erwachte abrupt als ihn etwas in die Seite boxte und er rollte sich zur Seite aus dem Bett. Hatte er verschlafen, war was passiert. Heute ist der große Tag ging ihm in Sekundenschnelle durch den Sinn, während er leichtfüßig auf den beiden Beinen landete. Auf der Decke vor ihm maunzte Lady und die Schwanzspitze der Zlobenisch Blau peitschte regelrecht hin und her. Licht schimmerte durch den Türspalt und Kaffeegeruch stieg ihm durch die Nase. Jules runzelte die Stirn als sein Blick zur Uhr ging. Es war noch nicht mal sechs Uhr morgens. Sein Wecker hätte erst in über einer Stunde geklingelt. Der Quirmianer streckte sich und ging nur mit seinem Nachthemd bekleidet runter in die Küche. Dicht gefolgt von grauen Samtpfoten. Wie er vermutet hatte, war Rach schon auf und machte sich ein kleines Frühstück.
"Zu aufgeregt, um heute zu schlafen", sagte er mit einem Grinsen und musste gleich darauf Gähnen.
"Erwischt", antwortete sein Freund und holte eine weitere Tasse für den frisch aufgebrühten Kaffee aus dem Schrank.
"Ernsthaft?", witzelte Jules und lachte herzhaft als sein Gegenüber mit den Augen rollte.
"Was ist mit
dir?", entgegnete der Bräutigam, während er ihnen beiden Kaffee einschenkte. "Du hast die Wohnung bald für dich..."
"Oh Esther hat schon Pläne für dein Zimmer, fürchte ich"
Jules hatte etwas wie Wehmut bei seinen Worten und bereute es sogleich, so unbedacht geantwortet zu haben. Ihm war nicht entgangen, dass sich schon ein paar Kartons in Rachs Zimmer stapelten.
"Sag bloß du vermisst mich jetzt schon", lachte Rach ihn über den Tresen hinweg an und er konnte nicht anders als miteinzustimmen.
"Tue mir einfach einen gefallen und lass noch ein paar von deinen Sachen hier...", entgegnete er immer noch lachend.
"Kein Problem, denn jede Kiste, die ich packe, muss ich gegen das Katzenvieh verteidigen..."
Der Quirmianer schaute nach Unten, wo sich Lady wie aufs Stichwort an seinen Beinen entlang schlängelte.
"Und bist du bereit?", fragte Jules schließlich, um vom Thema abzulenken.
"Nach allem was wir durch gemach habenwird das ein Kinderspiel", entgegnete Rach ohne Zögern. Immer wenn es um Ophelia ging war sich sein Freund so sicher gewesen und hatte letztlich alles aufs Spiel gesetzt, um den heutigen Tag zu ermöglichen.
"Ich mache mir nur Gedanken", sprach der Bräutigam mit einem gewissen Unbehagen"...die ganze Wache ist eingeladen..."
"Es kommt sicher nicht jeder...", entgegneter er schnell.
"Es gibt Bier Jules", kam die trockene Antwort, "
Die werden kommen. Glaub mir, wenn ich eines bisher in der Wache gelernt habe, dann das Freibier nie ausgeschlagen wird"
Jules konnte nicht anders als herzhaft zu lachen. Die Vorstellung war zu köstlich, wie die Wächter sich über den Weinkeller hermachen sollten. Ob sein Freund das bedacht haben könnte. Was für eine wunderbare Gelegenheit für eine Wette und ausgerechnet Rach konnte er dazu nicht animieren.
"Ich hoffe du hast für genug Vorrat gesorgt", sagte er schließlich und wischte sich die Lachtränen aus den Augen.
"Vielleicht hätten wir das ganze doch auf neutralen Boden legen sollen..."
Immer wenn er nervös war, sagte er zu sich - er sei aufgeregt. Dieses Mal wusste er nicht, ob er sich so selbst austricksen konnte, denn er wusste schon nicht mal mehr, wie oft er schon auf seine Uhr geschaut hatte. Rach atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Er hatte alles beisammen. Er hatte den Blumenstrauß und die Gestecke für den Anzug abgeholt. Das Samtkissen für die Ringe Alles fein säuberlich samt Vase für den Straus, in einer Holzkiste neben ihm verstaut. Um Ophelia musste er sich sicherlich auch keine Sorgen machen, dort lief sicherlich alles nach Plan, zumindest würde Mina sicherlich alles dafür tun...nur wo zum Henker lieb Jules. Sie hatten sich nach dem Frühstück getrennt und nun wartete vor dem Herrenausstatter Korckensockes schicke Klamotten in den Pellikolstufen und Jules war nicht in Sicht. Ausgerechnet so weit vom Zentrum der Stadt, hatte er den Anzug gefunden, doch immerhin war in derselben Straße auch der Florist.
Rach lenkte sich ab in dem er das Einstecktuch zurecht zupfte. Selten hatte er die Gelegenheit sich etwas Farbenfroher zu kleiden und mit dem bläulich schimmernden fast schon glänzenden Anzug, viel er sicherlich auf. Er hatte sich für einen Stehkragen mit traditionellem Gebinde entschieden. Das Jackett war nur Zierde, da es so geschnitten war, dass es nicht zugeknöpft werden konnte, dennoch hate es an beiden Seiten genug Zierknöpfe für mindestens drei Anzüge. Die silbrige Weste mit den fein gestickten Ornamenten in Blau und Gelb tönen rundeten das Bild ab.
Als endlich eine weiße Kutsche in Sicht kam, machte sein Herz einen Sprung und er ging schnell entgegen. Allerding saß unerwartete Weiße Jules selbst an den Zügeln...
"Ihre Kutsche ist bereit, der Herr", lachte ihn Jules an und hob zum Gruß seinen grauen Zylinder kurz an.
"Jules", sagte er gedehnt, "Ich hatte die Kutsche mit Kutscher bestellt, wo ist Herr Kerpen? Und du trägst einen Frack?"
Seine letzte Frage brachte seinen Trauzeugen wieder zum Lachen.
"Für dich nur das Beste mein Lieber!"
Rach klappte den Mund auf und wieder zu. Er wusste nicht was er noch dazu sagen sollte.
"Ich erklär's dir auf dem Weg, aber in Kurz Herr Kerpen hat der Schlag gegen den Kopf nicht bekommen und jetzt Steig auf oder willst du zu spät zu deiner eigenen Hochzeit kommen?"
Zivile Hochzeiten im Palast waren selten geworden und dementsprechend waren die Räumlichkeiten die im Palast dafür zur Verfügung gestellt worden eher klein. Er ließ seinen Blick über die Hochzeitsgesellschaft schweifen, während der Palastbeamte mit dem Prozedere begann, welches Jules nur am Rande verfolgte. Der Patrizier saß natürlich in erster Reihe und neben ihm aufgeregt Dschosefien Kasta mit ihrem Ehemann. Beide deutlich aufgeregt, doch ob es dabei um die Hochzeit an sich oder die Anwesenheit des Patriziers ging, konnte er beim besten Willen nicht sagen. An sich schien Ophelias Familie wie aus dem Häuschen, dagegen wirkte der Familienanteil seines Freundes regelrecht fehl am Platz und mit nur zwei Familien angehörigen auch deutlich kleiner. Doch das lag wohl an der Profession aller Flanellfuß, wer als Assassine in Rente ging, wie Rachs Vater, konnte sich glücklich schätzen. Sein Blick blieb bei Esther hängen und blinzelte überrascht. Sie wischte sich doch nicht etwa eine Träne von den Wangen? Er starrte Rachs Schwester regelrecht an, bis diese endlich seinen Blick erwiderte. Sofort ahmte der Quirmiander die Geste nach mit der sie sich die Träne fortwischte und ihr Blick sprang ertappt zu wehe ein Ton zu Rach. Jules biss sich auf die Unterlippe, um sich das Lachen zu verkneifen. Damit würde er sie den ganzen Abend aufziehen.
Ein Seitenhieb erwischte ihn und er sah zu Mina, die es fertig brachte mit einem Blick ihre Enttäuschung und Tadel zum Ausdruck zu bringen. Er neige kurz den Kopf entschuldigend und konzentrierte sich wieder auf das Brautpaar. Das nun vom Beamten dazu angeleitet wurde, das offizielle Dokument zu unterschreiben. Er hatte tatsächlich den Ringtausch der beiden verpasst, denn das dafür Vorgesehene Samtkissen war inzwischen leer. Nur kurz darauf wurden auch die Trauzeugen aufgefordert und er trat mit Mina ebenfalls nach vorne. Schnell und schwundvoll unterzeichnete er das Papier und legte den Federkiel zurück in die Halterung, als sich im selben Moment die Hand des Patriziers die Feder aufnahm. Überrascht trat der Quirmianer beiseite und die Gesichter aller anwesenden zeigte dieselbe Verwunderung. Nach allem was zwischen Rach und Patrizier vorgefallen war, hätte Jules mit allem gerechnet, aber nicht damit. Wenn Lord Vetinari, damit hoffte seinen Angestellten aus der Fassung zu bringen, hatte er zumindest keinen Erfolg. Denn der Bräutigam hatte nur noch Augen für Ophelia und die Hochzeitsgesellschafft, klatsche, heulte und jubelte, als die frisch Vermählten sich Küssten.
Die Welt war auf einmal eine andere. Alles wirkte anders, besser? Die schauklige Kutschenfahrt, der Fahrtwind in seinem Haar. Das Geräusch der flatternden Bänder, so banal und doch war der Moment so perfekt. Ophelia war an seine Seite geschiegt und Jules vor ihm brachte sie Sicher zu den kommenden Feierlichkeiten, doch er wünschte sich in dem Moment, dass der Augenblick nicht mehr Enden möge. Nur am Rande nahm er wahr wie die restlichen Begleiter ihnen hinterher klingelten, tröteten und mit den Ratschen kurbelnden. Er nahm die Hand seiner Angetrauten in die Seine und küsste ihren Handrückend. Er sah sie eine Weile nur still an. Ihre Kleiderwahl, hatte sie ehrlich überrascht, doch innerlich hate er die ganze Zeit über ihren Stolz gejubelt. Sie hatte tatsächlich ein Schulterfreies Kleid ohne Schleier getragen und zeigte so sichtbar ihre Narben. Natürlich waren ihm die Blicke der Gäste nicht entgangen und es würde bei den kommenden Feierlichkeiten mit noch mehr Gästen sicher noch intensiver werden, doch Sie hatte sich davon kein einziges Mal verunsichern gezeigt und er tat sein Bestes ebenso gelassen zu bleiben.
"Rach?", fragte Ophelia zögerlich und er drückte zur Antwort nur leicht ihre Hand, damit sie weitersprach. "Meinst du wir können die Kutschfahrt noch etwas...verlängern"
Er vertröstete sie ohne Worte und beugte sich vor zu Jules.
"Psst", machte der frisch Vermählte nur kurz auf sich aufmerksam und Jules neigte nur leicht den Kopf. "Meinst du, du könntest und noch etwas Zeit rausholen..."
Sein Trauzeuge zog sofort leicht an den Zügeln, um die Fahrt zu verlangsamen und bog an der nächsten Kreuzung ab was kurzzeitig zu einer Unterbrechung des Hupkonzerts führte.
Schnell lehnte er sich wieder zurück und die Braut schmiegte sich wieder in seine Armbeuge.
"Keine Ewigkeit, doch ein paar Minuten haben wir noch für uns."
Seine Frau lachte, ehrlich vor Freude.
Seine Frau, der Gedanke erheiterten ihn zunehmendes. Da konnten auch noch so viele Hürden, Verpflichtungen und Verträge verkomplizieren. Hier und jetzt hatte er sie ganz für sich.
15.06.2020 23: 30Mina von Nachtschatten
Im Grunde war es nichts anderes als eine Feier. Eine rein organisatorische Abfolge von Schritten, die zu einem Ergebnis führten, welches in diesem Fall Essen, Tanz und allgemeine Glückseligkeit beinhalten sollte. Das mochte etwas prosaisch klingen, gab dem Ganzen jedoch eine durchschaubare Struktur und ließ den Berg an Aufgaben beherrschbarer erscheinen. Und auch, wenn die zu diesem Zwecke angelegten Listen ziemlich lang, die jeweiligen Unterpunkte nicht immer ohne Aufwand und der allgemeine Anspruch viel höher gewesen war als bei anderen Feiern - es war nichts, was man mit guter Vorarbeit von vielen Seiten und etwas Delegieren vor Ort nicht schaffen konnte. Genauso wie bei allem anderen eigentlich, dem man sich bei der Arbeit als stellvertretende Abteilungsleitung Tag für Tag gegenübersah.
Mina zog die Nase kraus. Der Vergleich hatte sich aufgedrängt und fühlte sich gleichzeitig vollkommen falsch an. Denn schon allein der ganz konkrete Anlass gebot eine weitaus positivere Sicht auf die Dinge als es dem Aufspüren und Ergreifen krimineller Subjekte jemals innewohnen konnte.
Sie überflog zum wiederholten Male die Seiten mit Notizen auf dem Klemmbrett in ihrer Hand und nickte. Die zahlreichen gesetzten Häkchen waren in jedem Fall ein gutes Zeichen. Ein prüfender Blick über die Szenerie, die elegante florale Dekoration, die zahlreichen Tischchen und das im Hintergrund beinahe fertig ausstaffierte Buffet, bestätigten diesen Eindruck. Es war alles an seinem Platz. Und nach der hektischen Betriebsamkeit am Morgen, diesem unübersichtlichen Chaos an Kommen und Gehen und von Leuten, die Dinge von A nach B trugen und dann wieder verschwanden
[4], konnte man den jetzigen Zustand schon beinahe als entspannt bezeichnen. Wenn das so weiterging würde hier alles glatt laufen. Es musste. Denn weniger hatten Ophelia und Rach einfach nicht verdient.
Mina war in mehrfacher Hinsicht froh gewesen, einen Teil der organisatorischen Verantwortung für diesen Tag übernehmen zu dürfen. Auf der einen Seite vielleicht ein klein wenig paradox - denn eigentlich konnte sie Hochzeiten im Allgemeinen nicht sonderlich viel abgewinnen. Das war alles so... kitschig. Übermäßig romantisch. Und gerade in Ophelias Fall - nicht, dass das eine Kritik an der Freundin gewesen wäre - aber Mina war besonders heute dankbar, dass die emotionale-mentale Verbindung zu Ophelia bei Weitem nicht mehr die Intensität von...
früher aufwies. Die Trauung war schön gewesen und sie hatte sich für das Paar sehr gefreut, keine Frage - doch dieses ergriffene Seufzen hier und da in den Reihen der Familie, die verklärten Blicke, der etwas zu frenetische Jubel, die ganze irgendwie zu überspannte Aufregung... da hatte sie sich ein klein wenig fehl am Platze gefühlt. Auf der anderen Seite: Es war Ophelias Hochzeit. Selbstredend beteiligte sie sich daran gern. Außerdem bot sich so die Möglichkeit, die Dinge in der Vorbereitung sowie an besagtem Tag durchgehend im Blick behalten zu können... nur für den Fall der Fälle
[5]. Und zum dritten hatte sie so schlicht und ergreifend auch auf der Feier an sich etwas Sinnvolles zu tun. Denn der Gedanke, dort einfach nur tatenlos herumzusitzen... der behagte ihr nicht besonders. Zum einen kamen hier wieder die verklärten Blicke und Seufzer ins Spiel. Zum anderen reduzierte sich so die Gefahr, dass gewisse
Themen zur Sprache kamen - welche durchaus bestand, war man schutzlos der geballten Familie der Braut ausgeliefert, von denen gewiss das ein oder andere Mitglied begierig darauf war, bestimmte
Details in Erfahrung zu bringen. Nein, da war sie lieber beschäftigt. Auch wenn das zum Teil bereits interessante Dimensionen angenommen hatte - denn hätte ihr vor einem Jahr oder so jemand erzählt, sie würde sich einmal ernsthaft mit den Tücken der gehobenen Gastronomie außerhalb eines Einsatzes auseinandersetzen müssen...
"Das. Geht. Nicht."
Entweder der Mann konnte Gedanken lesen oder Schicksal hatte heute besonders viel Spaß.
Mina zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht - was zunehmend schwerer viel, je häufiger sie mit dieser Person zu tun hatte - und wandte sich um. Der Herr, welcher sie eben angesprochen hatte, trug eine der adretten Personaluniformen des
Pantofola d'Oro. Aber anderes als seine Kollegen, die soeben noch einmal das Besteck an den Tischen richteten und auf eventuelle Makel überprüften, wies ihn eine kleine goldene Quaste am Revers als etwas Besonders aus. Etwas Besseres. So musste es sein. Immerhin war sie golden. Und berechtigte damit wohl dazu eine Miene zur Schau zu tragen, welche von abgrundtiefer Verachtung für den Rest der Welt sprach.
"Das. Geht. Nicht", wiederholte er. Mit spitzen Fingern hielt er eine Platte mit einem Lauchkuchen eben so weit von sich entfernt, dass sie nicht herunterfiel. "
Der da verlangt, dass
das hier Teil der Speisenauswahl des heutigen Abends sein soll, die, wie ich betonen möchte, sehr sorgfältig zusammengestellt worden ist." Ein paar Schritte hinter ihm stand Jargon Schneidgut und schaute etwas betreten auf seine Schuhspitzen. "Das
Pantofola hat sich bereit erklärt, diesen Abend kulinarisch auszurichten und ich lehne es ab, hören Sie, ich lehne es ab,
so etwas als Missklang in der Sinfonie der Menüfolge zu dulden. Als Maître lastet immerhin die Verantwortung auf meinen Schultern." Ja, es sah ganz danach aus, als hätte er an dieser Bürde schwer zu tragen...
"Herr Gründlich", Mina wählte ihre nächsten Worte mit Bedacht, "ich bin mir sicher, alle hier wissen Ihre Mühe und Sorge zu schätzen. Aber ich bin mir ebenso sicher, Sie, als Meister ihres Metiers, finden einen Weg, den Beitrag meines Kollegen formvollendet einzubringen."
Ihr Gesprächspartner schnaubte.
"Nein."
Nun, wenn er das Spiel unbedingt spielen wollte...
"Doch."
"Niemals!"
"Ich erwarte eine Präsentation an prominenter Stelle, Herr Gründlich."
"Aber..."
"Kein aber."
Wenn man genau hinsah konnte man erste Anzeichen von roten Flecken auf den Wangen des Maître erkennen. Dass man ihm hier widersprach hatte er heute schon mehrfach hinnehmen müssen. Aber dass man ihm einfach so ins Wort fiel!
"Sie haben ja keine... Sie, Sie würden doch auch keine... zwergische Kriegstrommel mit einem Kammerorchester spielen lassen!", brachte er im Kampf um seine Beherrschung nur stockend hervor.
"Das wäre vielleicht eine interessante Abwechslung."
Die zusätzlichen Zentimeter durch die hohen Schuhabsätze waren durchaus hilfreich dabei, dem Maître auf Augenhöhe zu begegnen, was es wiederum einfacher machte, den mittlerweile brennenden Blick zu erwidern. Leider erfuhren sie nie, wer siegreich aus diesem Duell hervorgegangen wäre, da Gründlich in diesem Moment von einem seiner Mitarbeiter angesprochen wurde. Anstatt auf das vorgetragene Anliegen einzugehen drückte ihm sein Vorgesetzter jedoch nur unwirsch den Lauchkuchen in die Hand.
"Stell das zu den anderen Platten", presste er zwischen den Zähnen hervor. "Es wird später mit aufgetragen."
Dann wandte er sich schwungvoll ab und stolzierte ohne ein weiteres Wort von dannen, wahrscheinlich um irgendeine arme Seele zur Schnecke zu machen, weil eine Gabel noch ein Staubkorn aufwies.
"Danke." Jargon nickte erleichtert. "Es sollte eine nette Geste sein; ich war nicht davon ausgegangen, dass hier ein derart strenges Prozedere herrscht, was das Essen angeht und wollte nicht... naja, danke."
"Keine Ursache." Eine Idee kam ihr in den Sinn und ließ Minas Lächeln zu einem echten werden. "Gib mir Bescheid, wenn Gründlich versucht sich aus der Sache herauszuwinden. Dann zwingen wir ihn, dein Präsent zur Buffeteröffnung vor allen Anwesenden anzukündigen."
Jargons Blick schweifte sehnsüchtig in die Richtung, in welche sein Lauchkuchen gerade davongetragen wurde.
"Müssten sie nicht eigentlich bald hier sein?", meinte er dann.
Eine solch simple Frage - die doch ein entscheidendes Steinchen aus eben jener Mauer fallen zu lassen in der Lage war, die die eigenen Befürchtungen bisher schön unter Verschluss gehalten hatte. Es war nicht so, dass Mina dieser Gedanke nicht auch schon gekommen war, aber sie hatte diesen mit der Annahme zum Schweigen gebracht, einfach mit dem eigenen Zeitgefühl vollkommen falsch zu liegen.
'Nein, du wirst jetzt nicht anfangen, dir Sorgen zu machen... noch ist das vollkommen unangebracht.'"Theoretisch ja", antwortete sie und versuchte, die Anspannung aus ihrer Stimme zu halten. "Die Kutsche müsste eigentlich jeden Augenblick eintreffen."
"Es... wird doch nichts passiert sein, oder?"
Peng, noch ein Steinchen...
Mina atmete bewusst einmal tief durch.
"Ich möchte daran glauben, dass es von einem Start- zu einem Zielpunkt nur eine gewisse Anzahl an Katastrophen geben kann und wenn ich mir unseren Weg zu diesem Zielpunkt hier und heute anschaue, dann denke ich, dass das Soll bereits über die Maßen erfüllt wurde."
Jargon nickte.
"Sicher hast du recht." Er klang fast überzeugt.
"Entschuldigung?" Ein dürrer, reichlich nervöser Herr mit einem schon etwas in die Jahre gekommenen Bowler auf dem Kopf trat an sie heran. "Speckstein mein Name. Es gibt da ein kleines Problem mit den Ikonographen."
"Ja?"
Jargon empfahl sich, während Mina ein kleiner Kasten vor die Nase gehalten wurde.
"Ich habe... nun, das ist mir wirklich peinlich." Speckstein lachte kurz auf - es hatte etwas Panisches an sich. "Ich habe die, nun,
Motivation für unsere Kobolde in unserem Atelier vergessen. Also den Nachschub für den Nachmittag und Abend, um genau zu sein. Und ohne ihre
Motivation arbeiten sie nicht. Wenn mein Chef das erfährt bin ich geliefert und wenn Sie mir nicht helfen können, ich habe diese Anstellung doch erst seit einem halben Jahr und meine fünf Geschwister..."
Mina unterbrach den Redeschwall mit erhobenen Händen.
"Schon gut, schon gut! Über was für eine Motivation reden wir hier genau?"
Speckstein schaute rasch von rechts nach links, dann deutete er mit einer verstohlenen Geste die Tätigkeit des Trinkens an.
"Sie bekommen es auch nur genau bemessen", meinte er entschuldigend.
Irgendwie war es schön, auch einmal auf ein einfach zu lösendes Problem zu stoßen. Mina ließ kurz suchend den Blick über die bereits Anwesenden schweifen, bis sie einen bestimmten dunkelblonden Lockenkopf entdeckte, der gerade aus dem Haus in den Garten trat. Sie gab ihr ein Zeichen.
"In Ordnung Herr Speckstein, diese junge Dame, welche uns da gerade so enthusiastisch entgegenkommt, wird Sie jetzt zu demjenigen begleiten, der heute Abend unter anderem jene Flaschen verwaltet, deren Aufdruck man nur nüchtern aussprechen kann." Als Speckstein ein zweifelndes Gesicht zog fügte sie rasch hinzu: "Und natürlich gibt es da auch Bier."
Ein mehrstimmiges triumphierendes Johlen erklang aus der Kiste in der Hand des Mannes.
In diesem Moment traf die eben bezeichnete Dame ein.
"Was gibt's?"
Es war eine eher spontane Entscheidung gewesen, Bernadette Schurig als Helferin auf der Hochzeit unterzubringen. Zum einen war es nicht schlecht, noch ein paar Augen mehr vor Ort zu haben, auf die man sich verlassen konnte
[6]. Und zum anderen hatte Minas Hausangestellte unverhohlen gefragt, ob sie nicht mitkommen könnte. Immerhin hatte sie in der Zeit, als Ophelia noch in der Teekuchenstraße untergebracht gewesen war, durchaus ihren Teil zu deren Versorgung beigetragen. Da wäre es ja nur recht und billig, wenigstens etwas von der Feier mitzubekommen. Und nun hatte sie den Spaß ihres Lebens, sich als "Hochzeits - ander kafferâ unter den Gästen und Angestellten zu bewegen, überall mit anzupacken und dadurch in den Genuss jedweden Klatsches zu kommen, der auf der Veranstaltung kursierte.
"Bernadette, Herr Speckstein hier braucht Alkohol."
"Na dann sind Sie bei mir in den richtigen Händen", lachte die junge Frau und klopfte dem Assistenten jovial auf den Arm. "Gehen sie schonmal zum Haus, ich komme gleich nach." Dann wandte sie sich noch einmal Mina zu.
"Sollten sie nicht schon da sein, Mä'äm?", fragte sie.
Die Vampirin seufzte. "Nicht du auch noch!"
"Naja, so weit ist der Weg vom Patrizierpalast hierher ja nun auch wieder nicht. Es laufen in der heutigen Belegschaft übrigens ein paar Wetten, ob jemand so dreist war, eine traditionelle Brautentführung abzuziehen."
Allein die Vorstellung... nein, besser überhaupt nicht darüber nachdenken. Denn dann war von der Mauer bald gar nichts mehr übrig.
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand hier einen derart schlechten Geschmack hat", erwiderte Mina knapp. "Und sollte irgendetwas vorgefallen sein, dann würde Jules uns ganz sicher davon in Kenntnis setzen."
Bernadette wiegte nachdenklich den Kopf.
"Wenn man es so betrachtet... sicher hast du recht", sagte sie und dass sie dabei Jargons Wortwahl exakt wiederholte war bestimmt auch nur wieder so ein Zufall. "Ich kümmere mich dann mal um Herrn Speckstein. Ach ja, und Mä'äm, da will dich jemand sprechen, so ein Kerl im Anzug. Er hatte keine Einladung, daher wartet er vor der Tür."
Der Zustand des 'vor der Tür Wartens' mochte zugetroffen haben, als sich Bernadette in Richtung Garten aufgemacht hatte. Mittlerweile war daraus ein 'hält die Tür auf' geworden. Ob das nun schlicht der Einfachheit in der Situation, der Höflichkeit des Betreffenden oder einer konkreten Aufforderung geschuldet war, blieb dahingestellt. Auf jeden Fall fand Mina den unerwarteten Besucher genau so vor: Pflichtschuldig lächelnd nickte er den letzten eintreffenden Gästen zu, trommelte nervös mit den Fingern auf einer Mappe, welche er bei sich trug, und schien auch ansonsten lieber irgendwo anders zu sein. Doch seine Miene hellte sich merklich auf, als er Minas ansichtig wurde.
"Ah, sehr gut, ich hatte schon befürchtet, Sie heute nicht sprechen zu können, ich weiß, der Tag ist ungünstig und mein Erscheinen gegebenenfalls unangebracht, danke, dass Sie sich trotzdem die Zeit nehmen", sprudelte es aus ihm hervor, wohl in dem Bemühen, so viele Silben wie möglich in möglichst kurzer Zeit unterzubringen. Offenbar wollte er sein Anliegen, was auch immer es war, möglichst rasch hinter sich bringen.
Es handelte sich um einen - zumindest dem Anschein nach - noch vergleichsweise jungen Vampir, was im Kontext des Tages mehr als nur ein wenig Skepsis in Mina hervorrief. Zumal ihr das Gesicht vage bekannt vorkam... Nun pfriemelte er eine Visitenkarte aus der Jackentasche und überreichte sie. Mina überflog sie Zeilen - und geriet an einer bestimmten Stelle ins Stocken.
"Alistair Federschneider. Sie erinnern sich vielleicht?"
Der Name war vollkommen bedeutungslos angesichts der Behörde, für die ihr Gegenüber laut der Karte arbeitete.
"Ich war als bestellter Zeuge zugegen, am Tag der Übereignung."
Mina konnte nicht genau benennen, was das für ein Gefühl war, welches sich da in der Magengegend bildete: Irgendeine Mischung aus Befremden, Besorgnis, ungerechter Wut und gerechter Verärgerung, mit einem Schuss schlechten Gewissens und einer Prise Frustration vielleicht. Aber im Grunde war das nicht so wichtig - viel entscheidender würde sein, Alistair Federschneider schnellstmöglich von dieser Türschwelle zu entfernen, bevor Ophelia und Rach eintrafen. Die Verspätung der Kutsche der Frischvermählten entpuppte sich nun als wahrer Glücksumstand.
Mit einer gewissen Willensanstrengung löste Mina den Blick von der Visitenkarte. Jetzt nur die Nerven behalten!
"Sie haben vollkommen recht: Ihr Besuch heute ist vollkommen unangebracht", meinte sie kühl.
Ihr Gegenüber biss sich verlegen auf die Unterlippe.
"Ich weiß, und es tut mir leid, das können Sie mir glauben. Und es ist auch gar keine große Sache, wirklich nicht..."
"Können wir das dann vielleicht beschleunigen? Denn wenn ich ganz direkt sein darf: Ich möchte nicht, dass Ophelia Sie hier sieht."
"Das ist verständlich. Ja, absolut." Er zog ein eng beschriebenes Formblatt aus seiner Mappe, sowie einen Stift. "Ich bin eigentlich auch gar nicht richtig anwesend. Alles was ich brauche ist eine Unterschrift. Letzte Zeile, linke Seite." Federschneider lächelte schwach. "Der Hintergrund ist Folgender: Durch die Hochzeit überschneiden sich hier die Zuständigkeitsbereiche. Es ist einfach eine Bestätigung, dass Sie sich damit einverstanden zeigen. Also mit der Hochzeit. Es geht immerhin um, äh..."
"Eigentum?"
"Rein formal betrachtet..."
"Ich dachte, der Vorteil an Eigentum sei, man könne damit tun und lassen was man wolle, ohne jemanden um Erlaubnis fragen zu müssen", grollte die Vampirin, während sie den Schrieb las.
Unglücklicherweise prallte der Sarkasmus wirkungslos an seinem Ziel ab.
"Nun ja, nur rein theoretisch gesehen." Ihr Gegenüber überlegte. "Stellen Sie sich vor, Sie hätten ein Haus, von dem Ihnen nur das Untergeschoss gehört. Dieses könnten Sie ja auch nicht einfach so abreißen lassen ohne das Obergeschoss... aber das ist vielleicht kein guter Vergleich", schloss er rasch, als er ihren Blick spürte.
"Und das hier hätte nicht eher erledigt werden können?" Eher am Rande hatte Mina registriert, dass das Formular um zwei Tage vordatiert war...
"Äh, wiederum nur rein theoretisch." Das Thema war Alistair Federschneider sichtlich unangenehm und unter anderen Umständen hätte Mina vielleicht so etwas wie Mitleid mit ihm gehabt - aber heute war eindeutig nicht der Tag dafür. "Die Registraturbehörde... da arbeiten nur Vampire, verstehen Sie? Schon in normalen menschlichen Behörde dauern bestimmte Abläufe ewig und nun stellen Sie sich das mal mit Mitarbeitern vor, die eine ganze Menge Zeit haben. Man könnte mit ein paar einfachen Maßnahmen die Effizienz steigern, natürlich, aber das ist einfach nicht notwendig, weil wir nicht an Arbeit ersticken und weil das so ist macht es aus irgendeinem Grund nichts, wenn Formulare gemächlich von Tisch zu Tisch wandern - solange die finale Frist eingehalten wird." Er seufzte frustriert, dann verzog er mit einem Mal das Gesicht. "Und das alles habe ich jetzt laut gesagt, nicht wahr?"
"Nun ja, ich werde nicht freiwillig bei Ihnen vorbeikommen und die Sache ausplaudern." Mina reichte Federschneider das unterschriebene Papier zurück. "War es das?"
"Ja. Danke. Damit bin ich auch schon wieder weg." Er verstaute das Formular etwas umständlich, wandte sich schon halb zum Gehen und auch Mina war im Begriff wieder in das Flanellfuß-Anwesen zurückzukehren...
"Eine Sache noch."
Das war doch alles nicht wahr! Mina zählte im Geist bis drei, nichtsdestotrotz Willens dem Beamten gehörig die Leviten zu lesen, sollte sich nun doch noch irgendein Haken bei der Sache auftun.
"Was?"
Der Vampir holte tief Luft.
"Also... Bei der Übereignung, wie Sie dem alten Mack da die Stirn geboten haben - das war großartig. Das hatte dieser Despot mal so richtig verdient. War lange überfällig. Ja. Das wollte ich noch sagen. Aber behalten Sie auch das für sich, ja?"
Er nickte Mina noch einmal zu und eilte dann die Straße hinunter - an deren anderem Ende just in diesem Augenblick eine weiße Kutsche auftauchte. Keinen Augenblick zu früh! Gerade noch genug Zeit, um sich selbst zu sammeln, dann rasch Familie und Gästen Bescheid zu geben - und die vergangene Episode wenigstens für den Rest des Tages komplett aus der Erinnerung zu streichen.
01.07.2020 19: 08Astragalus Zimt
Im Hintergrund, als die Diskussion noch heiß lief darüber, ob man bewilligen musste das das eigene Eigentum etwas machen durfte oder nicht, zog ein kleiner schwer bepackter Wächter vorbei. Dieser klein gewachsene Rekrut hatte sich verspätet. Trotz bestem Willen, der Aufgabe gerecht zu werden, hatte er schlicht und einfach die Zeit falsch eingeschätzt, die man brauchte um vom Wachhaus zum Anwesen der Familie Flanellfuss zu kommen. Er versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten das er sicherlich richtig geschätzt hatte.. aber wer hätte gedacht das so ein beweglicher Taubenschlag so schwer war. Er hatte sich Räder vorgestellt unter dem Kasten, als die Igorina ihm seinen Auftrag erklärte. Leider lag er auch mit dieser Vermutung falsch. Stattdessen gab es ungemütliche Schultergurte. Er ächzte leise unter dem Gewicht. Mit dem Kasten auf dem Rücken kletterte er nun auch die Treppen des Anwesens hoch. Er konnte von Glück sprechen das dieses Gebäude nicht ganz so hoch war wie die restlichen Villen in der Gegend. Oben im Dachgeschoss angekommen setzte er den Taubenschlag ab. Vom inneren Drang ein bedrohliches Gurren. Die Tauben schienen sehr unzufrieden mit dem Transport und dem ständigen hin- und her-schaukeln. Astragalus Überlebensinstinkte hielten kurz inne und fragten ernsthaft wie lebensmüde man sein musste um diesen Schwarm genervter weißer fliegender Wesen freizulassen. Er sah zum Fenster durch das sie fliegen sollten und versuchte es zu öffnen. Knarrend ging es auf und er schob den Taubenschlag zurecht. "Bald, bald dürft ihr raus", tröstete er die gefangene Meute. Er steckte den Kopf hinaus um Ausschau zu halten was denn genau geschah. Wie viel Zeit hatte er überhaupt noch? Keine antwortete die Welt, die hochzeitlich geschmückte Kutsche fuhr gerade vor das Tor. Die Tür der Kutsche öffnete sich und elegant trat das Paar heraus. Das war worauf er warten sollte. Eilig wendete er sich wieder dem Kasten zu. Er entriegelte die Türen und eine weiße Federwolke streifte an ihm vorbei und gurrend aus dem Fenster hinaus. Alles gut, Mission erledigt.. Er konnte sich nun auf die Suche nach dem Buffet machen. Nur etwas störte ihn ein wenig. Das Gurren der Tauben klang immer noch so nah.
Tacitus IV, selbsterkorene hübscheste Taube des Wachhauses hatte war durch das Fenster geflogen und hatte sich direkt nach kurzem Aufflattern wieder auf das Dach gesetzt. Seine Gefährten machten es nicht anders und folgten seinem Beispiel. Sie fühlten sich unfähig weiterzufliegen nach dem ganzen Durchschütteln auf der Strecke. Erschwerend kam hinzu das sie alle einen leichten Rausch ihr eigen nannten. Der Rekrut hatte sie ganz schlicht mit in Wein getunktem Brot Handzahm gemacht und sie so in den Kasten gesteckt. Und betrunken flog man selbstverständlich nicht.
Astragalus, der nun bei genauerem hinsehen mehrere Blessuren und Kratzer trug, an allen Extremitäten, die nicht von der Uniform bedeckt waren, hatte natürlich nicht gleich zu Betäubungsmitteln gegriffen. Das war erst passiert nachdem er auf den verbissenen Widerstand der gefiederten Monster traf. Zu Boden gepiechst entdeckte er aus jenem Blinkwinkel dann auch die Weinflasche welche irgendein anderer verzweifelter Vorgänger dort vergessen hatte. Dieser mitgenommene Rekrut blickte nun aus dem Fenster und erkannte das Problem. Die Tauben streikten. "Husch husch", versuchte er sie zu vertreiben und sie dazu zu animieren über den Garten zu fliegen. "Husch". Rote Taubenaugen starrten ihn an und blinkten nur. "Husch", er klang verzweifelter und hatte das Gefühl das ihn die Tauben hämisch angrinsten. "Bitte?", versuchte er es anders. Es half alles nichts. Vorsichtig kletterte er hinaus um die Tauben selbst einzeln vom Dach zu schieben. Er schwitzte als er sich vorsichtig aus dem Fenster heraus beugte und auf den Ziegeln zu den Tauben rutschte. Endlich gaben sie nach und flogen los. Sie hatten sowieso beschlossen das es dort unten bei der Menschenmenge interessanter aussah. Dort gab es bestimmt etwas zu holen.
Mit waghalsigen Sturzflügen und einigen Loopings flogen sie dann auch tatsächlich über die Gäste und das Brautpaar hinweg, ganz wie gewünscht, während diese sich für die Fotos positionierten. Auf dem Dach blieb ein kleiner Rekrut zurück, der seine Entscheidungen bereute. Er hob den Kopf um kurz über die Dachrinne hinab zuschauen und lehnte sich sofort panisch zurück. Seine Höhenangst hatte sich zu Wort gemeldet mit der Anmerkung dass er ja wohl nicht ganz bei Sinnen war sich dort draußen auf das rutschige Dach zu begeben. Astragalus starrte hoch zum Himmel. Er war doch nur wegen dem Buffet gekommen. Freibier, Torte, was wollte man mehr? Stattdessen lag er hier, unbemerkt und fern von allem Essbarem. Sein Magen beschwerte sich laut.
28.07.2020 9: 41Rogi Feinstich
Rogi hatte lange überlegt, wie Sie zur Hochzeit kommen sollte, doch die Galauniform schien ihr nicht richtig und wenn Sie sich so umsah, ging es vielen so. Dennoch war die Art der Traditionellen Kleidung ungewohnt. Schließlich bevorzugte sie eher die traditionellen Hosen und Kutte und nicht das Dirndl. Das schwarze Medaillon mit Ayamis Asche
[7] verschwand in ihrem Dekolletee und auch wenn die Igorina sich immer wieder nach ihrem Schatten umsah, Ayami schien sich daran zu halten, nicht weiter Aufmerksamkeit erregen zu wollen. Das Medaillon abzulegen war schließlich weiterhin Tabu. Noch dazu war auch noch Havelock Vetinari unter den Gästen, so oder so musste die Igorina darauf vertrauen, dass Ayami Vetinari selber weiter unentdeckt bleiben wollte. Verlegen strich die Igorina über ihre bestickte Schürze, als schließlich Aufregung am Gartentor herrschte. Das Brautpaar war endlich angekommen. Doch wo war Zimt mit den Tauben?
Eigentlich war das ein recht einfacher Auftrag für den Rekruten gewesen und eine gute Entschuldigung, dass der Wächter Astragalus Zimt sich hätte den Wamst vollschlagen können. Natürlich hatte Sie gesehen, wie er die Einladung auf dem Schwarzen Brett angesehen hatte. Und es war unwahrscheinlich, dass er sich getraut hätte zu kommen, also hatte Sie ihm den Auftrag für die weißen Tauben gegeben, allerdings verspätete er sich, das Brautpaar war schon umringt von Gratulanten. Doch gerade als der Fotograph und Mina begann alle für das Gruppenfoto zusammenzutreiben, hörte sie die Flügelschläge und das aufgeregte Gurren und sah nach oben, noch bevor die restlichen Gäste wahrnahmen. Die allgemeinen 'Ohs' und 'Ahs' der Bewunderung wurde ausgerufen, während der Fotograph seine Bemühungen kurz aufgab, um sein Equipment vor eventuellen Schaden zu bewahren. Und wie durch ein wunder schien keine Tauben, die Gelegenheit genutzt zu haben, um sich Zielsicher auf einer Schulter zu erleichtern. Zumindest hatte bisher keiner entsetzt aufgeschrien. Soweit so gut, doch warum war der Rekrut dazu nach oben gegangen. Den Effekt hätte er genauso gut hier unten erzielt. Sie suchte die Fenster ab und sah schließlich den offenen Taubenkasten, doch keinen Rekruten. Dachte er etwa die Vögel würden freiwillig wieder in den Käfig kommen. Mit einem Seufzer betrat Sie das Haus. Sie würde man erstmal nicht unter den Gästen vermissen.
In der Küche roch es nach den letzten Vorbereitungen für das Büffet, doch sonst war das Haus ruhig. Schnell ging die Igorina nach oben. Ihre nähte kribbelten und instinktiv wusste sie, dass unter der Treppe noch ein Durchgang zum Keller war, genauso wie eines der Seiten-Panel an der Wand einen Weg auf das Dach versprach. Alte Schlösser in Überwald waren mit Geheimgängen durchzogen und Igors wussten immer sofort, wo diese waren. Ein Gefühl der Heimat mitten in Ankh-Morpork, lies ihr Herz vor Freude hüpfen und gutgelaunt schritt die Igorina weiter nach oben, wo sie den Käfig vermutete. In der Dachkammer angekommen, sah sie sich schnell um keine Anzeichen vom Rekruten.
"Astragalus? Wo fteckft Du?", sagte sie Laut und hatte nicht mit einem Schluchzen von draußen als Antwort gerechnet.
Stirnrunzelnd sah Rogi aus dem Fenster und entdeckte schließlich den kleinen Wächter wie er sich regelrecht gegen das Dach presste.
Ausbildungsleiterin in ihr seufzte. Bei der ein oder anderen Übung war zu erahnen gewesen, dass der Rekrut höhen Angst hatte, doch warum er dann ausgerechnet auf das Dach geklettert war konnte Sie sich nicht erklären. Sie stellte schnell den Käfig zu ihrer Seite auf den Boden, raffte ihren Rock zusammen und kletterte nun ebenfalls nach Draußen. Allein deswegen mochte sie Röcke nicht. Es war einfach unpraktisch. Und Igors verpassten keine Gelegenheit bei einem Gewitter auf das Dach zu steigen. Mit einem Dirndl so gut wie unmöglich.
"Gute Arbeit Astragalus, aber waf bitte machst du hier?"
"Die Tauben, wollten nicht so wie ich Mä'äm", antwortete der Rekrut noch immer mit geschlossenen Augen.
"Eine Person auf dem Dach beim Taubenflug gut und schön, doch noch jemand erfordert meine Aufmerksamkeit, wie mir scheint"
Der Mann war plötzlich auf dem Dach erschienen. Definitiv nicht über das Fenster und Rogi vermutete einen weiteren geheimen Durchgang in seiner Nähe. Rogi erkannte sofort Rachs Vater. Zimt hingegen achtete nicht auf den alten Assassinen.
"Du musst die Igorina aus der Wache sein", stellte Emmet Flanellfuß mit einem Lächeln fest.
"Rogi Feinstich, Herr", stellte Sie schnell klar.
"Ich hoffe etwaige Übergriffe auf meinen Sohn, sind heute Abend nicht geplant..."
Immer noch das freundliche Lächeln, doch das blitzen in den Augen strahle eine gewisse Gefahr aus, doch sie Sieht auch wo Rach seinen Charme herhat.
"Oh daf kommt ganz auf Rach an", lachte Rogi ehrlich amüsiert zurück, "Er hat glück, daf Ophelia ihn mag..."
"Das Glück beruhigt auf Gegenseitigkeit", kam nun Esthers Stimme hinter ihr zum Vorschein...
Assassinen und ihre Angewohnheiten, waren fast schlimmer als die von Vampiren, kam es der Igorina in den Sinn.
"Vater, du wirst unten vermisst, es werden nun die Fotos mit den Familienangehörigen gemacht..."
"Dann mache ich mich wohl besser wieder auf den Weg.", sagte der alte Assassine auf seine charmante Art, "Schatz, zeig ihnen doch bitte den Weg nach unten, ja?"
Mit diesen Worten wurde Rachs Vater regelrecht vom Dach verschluck und Rogi kam nur durch den Sinn das Es eine Doppelschwingende Falltür sein musste die mit dem Gehstock entriegelt wurde.
Bei dem Gedanken grinste Sie verschmitzt in sich hinein. Sie hatte ja gar nicht geahnt, wieviel Spaß so ein Assassinen Haushalt machen konnte. Die Igorina nickte der Assasinen zu und kletterte wieder durch das Fenster zurück in den Raum. Die Igorina reichte Zimt ihre Hand: "Nun komm fon...nur eine Drehung zur Feite und ich hab dich"
"Ich kann nicht, Mä'äm, unmöglich", sagte Zimt mit geschlossenen Augen.
Esther trat schließlich entschlossen vor den Rekruten und zog ein schwarzes Tuch aus ihrer Kleidung. Wie sie mit dem Kleid hier hochgekommen war, war sowieso das größere Rätsel.
"Darf ich?", fragte sie, doch Verband, ohne die Reaktion abzuwarten Zimt die Augen.
"Waf foll daf werden?"
"Eine Vertrauensübung unter Assassinen", antworte Rachs Schwester gewohnt schnippisch.
Ein kurzer Aufschrei kam von dem kleinen Wächter, als die Assassinen ihn kurzerhand zu sich Hochzog.
"Keine Angst ich halte dich, und dem Blick deiner Vorgesetzten nach zu Urteilen, tue ich gut daran, dass dir nichts passiert."
Rogi schnaubte nur, während Esther den Rekruten Schritt für Schritt weiter zum Fenster brachte.
"So langsam nach unten, Du hast es gleich geschafft"
Zimt ging langsam in die Knie, die nun deutlich zitternden. Rogi ergriff die von Zimt nach vorne Gestreckten Hände und der Rekrut ließ sich regelrecht in ihre Arme fallen, vor Erleichterung.
"Wir sehen uns unten", hörte Rogi Esther Stimme sich immer weiter entfernen, als wäre sie vom Dach gesprungen.
"Allef in Ordnung?", frage sie Zimt und entfernte die Augenbinde.
"Ja, Mä'äm, Danke Mä'äm"
"Ich bin nicht im Dienft und du ebenso nicht"
"Ja, Mä'äm", kam die Antwort und Rogi hätte es nicht gewundert, wenn Zimt salutiert hätte. Allerdings beließ sie es erstmal auf sich beruhen und führe den mitgenommenen Rekruten wieder zur Hochzeitsgesellschafft.
Sicher unten angekommen war der Fotograph dabei Bilder nur vom Brautpaar zu machen. Getränke wurden von den Angestellten gereicht, allerdings nur Champagner, etwas was Sie noch nie leiden konnte. Pferdepisse war ihr da wortwörtlich lieber.
"Rekrut Zimt, Oberfeldwebel Feinstich", erschien Rachs Vater wieder hinter Ihnen und Rogi hatte langsam das Gefühl in einer verkehrten Welt zu sein. Überraschend hinter jemanden Auftauchen war schließlich ganz klar ihr Fachgebiet.
"Ich wünsche einen Angenehmen Abend", sagte der alte Assassine mit einem leichten Kopfnicken und verschwand wieder unter die Menge.
Zimt neben ihr war regelrecht erstarrt und sie nahm ich kurzerhand beiseite etwas abseits vom allgemeinen Getümmel.
"Fo geschafft um die Tauben kümmern wir unf später zusammen, ja?"
Der Wächter nickte schnell.
"Ja, Mä'äm!"
"Nicht im Dienft, schon vergeffen?"
Zimt schüttelte immer noch aufgeregt den Kopf. So vergesslich war er nun auch wieder nicht, aber Sie war und bleibt seine Vorgesetzte, da konnte er einfach nicht aus sich raus. Am besten sagte erstmal nichts, dann war er auf der Sicheren Seite. Stattdessen sah er sich um. Das Buffet war noch nicht eröffnet, doch seine Lordschaft hatte es dennoch geschafft schon etwas zu Essen aufzutreiben, denn in dessen Mund verschwand eindeutig ein hartgekochtes Eigelb, vom Eiweiß keine Spur...
"Fiehft Du nicht mal Lord Vetinari ift im
Dienst", sagte die Igorina neben ihm.
"Ich bin nicht sicher ob man, das bei seiner Lordschaft so sagen kann..."
Zimts Füße oder viel mehr sein leerer Bauch führten ihn wie von selbst zum aufgebauten Büffet. Noch war alles abgedeckt aber vielleicht, so ein kleines Scheibchen Brot konnte man sich doch bestimmt schon nehmen.
"Waf soll daf werden?"
Lautes Magenknurren war die Antwort und die Igorina seufzte.
"Mach fnell", grinste die Igorina Ihn an, "Ich halte Wache....Und bring mir ein Bier mit..."
09.08.2020 0: 55Kanndra
Ophelia war wirklich eine strahlende Braut. Das Glück strömte aus jeder ihrer Poren und war ihrer ganzen Haltung anzusehen, nicht nur ihrem Lächeln. Vor allem ihren Augen. Und wer konnte es ihr verdenken? Bei allem, was sie durchmachen musste in letzter Zeit hatte sie ihr Glück wahrlich verdient. Das war jedenfalls Kanndras Meinung und sie war sicher, dass die restlichen Gäste, die sich im Flanellfußschen Garten eingefunden hatten ihr zugestimmt hätten. Nunja, zumindest die meisten der Umstehenden, die auf die Eröffnung des Buffets warteten. Oder auch nicht. Ein leicht zerzaust wirkender Rekrut bediente sich jedenfalls schon mal am Bier.
Sie grinste ihren Mann an, als sie an ihre eigene Hochzeit zurück denken musste, die in Gennua stattgefunden hatte und daher etwas.... anders gewesen war. Julian grinste zurück und Kanndra wusste, dass er ebenfalls daran dachte.
Nach dem traditionellen Schmücken der Braut hatte ihre Mutter in ihrer Doppelrolle als Priesterin dem Paar aus einem Teller Gumbo die Zukunft vorhergesagt, ehe Kanndra und Julian den Teller gemeinsam geleert hatten. Die Worte ihrer Mutter könnte die Wächterin noch heute wiederholen, wenn man sie danach fragen würde. Sie hatte sie tief in ihrem Herzen eingeschlossen. Dann wurden die rituellen Worte an die Ahnen gesprochen und anschließend eine ausgelassene Feier gefeiert. Diese würde heute vermutlich auch etwas gesitteter ablaufen angesichts der gesellschaftlichen Stellung des Brautpaars.
"Mama, mir is langweilig", maulte Benjamin,der, in seine beste Kleidung gesteckt, neben ihnen stand. Doch heute konnte Kanndra nichts so schnell die Laune verderben. "Keine Sorge, Schatz. Es wird nicht mehr lange dauern." Sie wuschelte ihrem schon viel zu großem Sohn durch die Haare, was dieser mit einem ungnädigem Schnauben und einem schnellen Ordnen der Frisur kommentierte.
Araghast hatte bereits einen feierlichen Gesichtsausdruck aufgesetzt, oder jedenfalls einen, den er dafür hielt. Wenn man ihn weniger gut kannte, konnte man ihn allerdings auch für grimmig halten. Nervös spielten seine Hände mit seinem Redemanuskript und er hatte sich bereits zum wiederholten Male geräuspert. Kanndra wusste, dass er sich gerade nach seiner Flasche Untervektor-Rum in seiner Schreibtisch-Schublade sehnte und zwinkerte ihm aufmunternd zu. Noch war er jedoch nicht an der Reihe, denn zunächst erhob Rach seine Stimme und dankte allen Gästen für ihr Erscheinen und die Glückwünsche, die sie bereits erreicht hätten. Ophelia schloss sich ihm an.
"Liebe Familie, liebe Freunde, liebe Wächter. Wie mein Mann", bei diesem Wort schenkte sie Rach ein strahlendes Lächeln, "bereits gesagt hat, danken wir euch allen sehr. Besonders den vielen Helfern, die dieses Fest zu einem Ereignis gemacht haben und machen werden, an das wir uns noch lange erinnern werden. Und natürlich denen, ohne deren... besonderen Einsatz das Alles hier gar nicht möglich gewesen wäre.." Kanndra bewunderte die geschickte Wortwahl, die nicht zu viel preisgab von der geheimen Rettungsaktion und doch diejenigen erreichte, die gemeint waren.
"Doch nun gilt es für mich, noch eine Pflicht zu erfüllen." Plötzlich ernst, blickte die frischgebackene Frau Flanellfuß über die versammelte Menge. "Eine sehr wichtige Pflicht, denn schließlich brennt uns allen die Frage unter den Nägeln - wer ist die Nächste?", bei ihren letzten Worten drehte Ophelia sich um und warf ihren Brautstrauß - Kornblumen und Kamille - über ihre Schulter.
Was nun passierte, konnte Kanndra später nicht beschreiben, ohne dass sich ein fettes Grinsen auf ihr Gesicht stahl. Während Esther mit entsetztem Blick einen Schritt zur Seite machte, als das Gebinde auf sie zuflog, reagierten Nyria und Jargon, vermutlich von ihren Instinkten getrieben, indem sie auf den Strauß zusprangen. Beide zogen jedoch den Kürzeren. Sie prallten zusammen und Jargon fegte der Szenekennerin ihren Zylinder vom Kopf, der beim Auftreffen auf den Boden merkwürdig klirrende Geräusche von sich gab. Etwas indigniert ordneten beide ihre farbenfrohen Anzüge, während sich Romulus von Grauhaar als der am nächsten Stehende in dem unfreiwilligen Fangduell als Sieger wiederfand. Da er aber mit den Blumen nicht wirklich etwas anfangen konnte, reagierte er blitzschnell, indem er sie einfach wieder von sich warf, genau Fynn Düstergut in die Arme. Der Gefreite schaute erst überrascht, warf dann einen Blick zu Mina, lief rot an und folgte Romulus' Beispiel. Kanndra hatte das Erröten des Gefreiten amüsiert registriert und auch seine Blickrichtung war ihr nicht entgangen.
Von Fynn landete der Strauß bei Senray, deren Gesichtsfarbe ebenfalls plötzlich ins Rote spielte. Trotzdem brachte sie es nicht über das Herz, das mittlerweile schon arg mitgenommene Gebinde wieder los zu werden, zumal sich die gesamte Aufmerksamkeit nun auf sie richtete. Dies war jedoch nur kurz der Fall, denn aus Richtung des Buffets waren nun aufgeregte Rufe zu vernehmen, untermalt von der lauten Stimme eines Mannes mit einer goldenen Quaste am Revers, der sich bei Mina beschwerte: "Ich. Kann.So. Nicht. Arbeiten!" Der Grund der Aufregung lag in den Flammen, die über dem Suppentopf zusammenschlugen. "Wissen Sie eigentlich wie
empfindlich Quirmianische Hochzeitssuppe auf zu hohe Temperatur reagiert?", kreischte Goldquaste, während seine Mitarbeiter hektisch versuchten, die Suppe zu retten und das Feuer zu löschen. Senray verfärbte sich noch dunkler.
Puh, da war er das Gemüse gerade noch rechtzeitig wieder los geworden. Nicht, dass er ernsthaft daran glauben würde, dass er der nächste Heiratskandidat wäre. Schließlich war er ja auch ein Mann. Aber das war gerade irgendwie peinlich, was man dem Gesichtsausdruck von Hauptgefreiter Rattenscharf oder wie sie hieß auch deutlich ansah. Betont lässig schlenderte Fynn zum Buffet. Der Rekrut hatte aufgehört, heimlich Bier abzuzapfen und starrte mit offenem Mund auf das Feuer und die hin und her eilenden Kellner.
"Na, auch schon durstig?"
"Wie? Äh, ja. Äh, nein. Das Bier..."
Der Ermittler schüttelte belustigt den Kopf. "Keine Sorge, ich verpfeif' dich nicht." Statt dessen griff er selbst zu einem Humpen. "Ganz schöner Zirkus hier, was?"
Der Rekrut blickte Fynn überrascht an. "Nun, ich habe noch keine Clowns gesehen oder so. Nur Tauben. Hast du mal eine Zigarette?"
"Tut mir leid, ich rauche nicht. Ich könnte dir höchstens Streichhölzer anbieten."
"Danke, Feuer gibt's ja genug." Die beiden lachten über Astragalus' Scherz, doch sie wurden von einer fordernden jungen Stimme unterbrochen: "Ich will auch ein Bier! Meine Mama hat es erlaubt!"
Zweifelnd betrachteten die beiden Wächter den höchstens zehn Jahre alten Burschen. "Wer ist denn deine Mama?"
"Sie ist ein hohes Tier bei der Wache und wird bestimmt böse, wenn ihr mir nicht ein Bier gebt."
Fynn nahm zu Recht das Gegenteil an und der Hinweis auf den hohen Dienstgrad beruhigte ihn nicht gerade. Zimt sah die Sache anscheinend anders, denn er griff gerade nach einem eingeschenkten Becher, als sich noch jemand zu der Gruppe gesellte.
"Wo bleibt eigentlich mein Bier, Rekrut?", fragte Rogi Feinstich. Geistesgegenwärtig machte Zimt einen Schlenker mit dem Arm und streckte ihr den Humpen entgegen. Sein Magen knurrte immer noch.
In einem unbeobachteten Moment war ihnen Benjamin entschlüpft. Zwar war er kein Kleinkind mehr und wusste den Gefahren des Alltags größtenteils aus dem Weg zu gehen, doch in letzter Zeit hatte er manchmal merkwürdige Ideen und hielt sich gelegentlich für erwachsener als er war. Mit schnellen Blicken vergewisserte sie sich, dass er sich weder in der Nähe des Feuers, des Patriziers, noch des Hochzeitspaares und des Kommandeurs aufhielt. Aber auch sonst konnte sie seinen Haarschopf nirgends entdecken, was ihr schon ein wenig Sorgen machte. "Ich schaue mich mal um, ob ich unseren Ausreißer entdecke", sagte sie zu ihrem Mann und begann, sich durch die Menge zu schieben.
Ein paar Minuten später beruhigte sich die Situation am Buffet langsam und der Kommandeur machte einen erneuten Ansatz, endlich seine Rede hinter sich zu bringen. Kanndra hatte ihren Sohn noch nicht gefunden, aber dafür etwas anderes.
25.08.2020 16: 33Rach Flanellfuß
Die Späherin hatte sich immer weiter weg vom Trubel bewegt in der Hoffnung Benjamin von weiter hinten besser in der Menge ausmachen zu können. Rachs Vater hatte sich ebenfalls etwas von der Menschenmenge gelöst und war sichtlich gerührt. Emmet Flanellfuß wischte sich mit der Hand die Tränen aus dem Augenwinkel, als er merkte, dass er nicht mehr allein war. Kanndra musste bei dem Anblick schmunzeln, dass der doch sonst so kühle Assassine nun Emotionen zeigte, machte ihn umso sympathischer. Bei der Zeremonie hatte er sich zumindest noch im Griff gehabt und auch die ein oder andere Begegnung während ihrer geheimen Treffen und Übungen auf dem Anwesen, hatte er keinerlei Emotionen gezeigt. Sie reichte ihm kommentarlos ein Taschentuch und Rachs Vater nahm es dankend an. Dabei lächelte er dasselbe charmante Lächeln, welches man schon den ganzen Tag bei Rach sehen konnte.
"Auch dir noch herzlichen Glückwunsch, Herr", sagte Kanndra schließlich und sah sich weiter nach Benjamin um. So langsam wuchs ihre Sorge. In der Nähe des Assassinen wurde ihr nur wieder umso mehr bewusst, wo sie sich eigentlich befanden.
"Danke Leutnant, richtig? Aber ich denke, du bist nicht hier, um mir emotionalen Beistand zu leisten."
"Ich suche meinen Sohn, das heißt aber nicht, dass ich jemanden in
Not ignoriere", antworte die Späherin nun ihrerseits mit einem Lächeln.
Der alte Assassine brach in ein herzliches Lachen aus und einige Gäste drehten sich irritiert um. Emmet Flanellfuß räusperte sich verlegen.
"Nun ich kenne einen guten Aussichtspunkt, wo wir das ganze Gelände überblicken können...vorausgesetzt du hast keine Höhenangst."
"Na dann los, umso früher wir ihn finden umso besser und wehe es ist ihm etwas passiert, weil er..."
, Kanndra stocke und wedelte mit ihrer Hand und deutet dabei allgemein auf das Gelände und schließlich zu dem alten Assassinen.
"Weil er etwa in eine Falle getappt ist?", beendete Emmet Flanellfuß ihren Satz und ihre Mimik musste sie verraten haben, denn er hob sofort beschwichtigend die Hand. "Keine Sorge, ich persönlich habe alles so weit entschärft, dass keine Lebensgefahr für die Gäste besteht. Es gibt die ein oder andere Falle, aber nichts, was jemanden ernsthaft schaden könnte."
Kanndra war nicht ganz überzeugt und trieb den Assassinen zur Eile an. Und bei dem Tempo sah man auch, dass der Assassine seinen Gehstock brauchte, denn er humpelte tatsächlich. Etwas, dass ihr bisher nicht aufgefallen war, doch Rachs Vater verzog keine Miene und führte sie durch das Haus auf das Dach.
Von hier hatte man wirklich, einen sehr guten Ausblick und es dauerte tatsächlich nicht lange und sie sah, wo sich ihr kleiner Ausreißer befand. Allerdings auch in welcher Gesellschaft.
"Hat er da etwa einen Humpen Bier in der Hand?", fragte die Späherin nun etwas säuerlich und kniff die Augen zusammen, um die Lage besser fokussieren zu können.
"Also ich würde mir eher Gedanken machen, dass seine Lordschafft dem Jungen gerade den Kopf getätschelt hat."
"Na warte...", setze Kanndra an und wollte zurückgehen, doch der Gehstock des Assassinen versperrte ihr den Weg.
"Es gibt eine Abkürzung, Leutnant"
Kanndra antwortete nicht und der alte Flanellfuß machte auf dem Absatz kehrt und entriegelte mit seinem Gehstock eine Art Falltür. Mit einem weiteren Stoß des Gestocks demonstrierte er den Mechanismus, doch sie sah nur kurz ein schwarzes Loch ins unbekannte und die Klappe rastete wieder ein.
"Ladys first", sagte Emmet auf klatschianisch und so langsam hatte ihr der Assassine zu viel Spaß an der Sache.
Ohne ein Wort trat sie auf die Falltür und auch wenn sie ahnte, was sie erwartete, so hatte sie nicht mit der Geschwindigkeit gerechnet, mit der die Röhre sie nach unten beförderte. Kurz spürte sie einen leichten Widerstand an ihren Füßen, doch auch hier war der Mechanismus tadellos und sie glitt regelrecht aus der Wand und fand sich im Eingangsbereich des Hauses wieder und taumelte nur leicht auf die gegenüberliegende Wand zu. Sie wandte sich zu den Stufen zu, als kurz darauf der Assassine hinter ihr erschien.
"Abkürzung in der Tat, aber wehe du erzählst meinem Sohn, dass sich hier eine
Rutsche im Haus versteckt!"
"Ich habe vor, dass diese weiterhin versteckt bleibt, Leutnant", entgegnete Rachs Vater nur und schritt an ihr vorbei, "Ich kann allerdings nicht für meine Kinder sprechen."
Kanndra hatte regelrecht Rach und seine Schwester vor Augen, wie sie als Kinder immer und immer wieder auf das Dach rannten.
"Leutnant?", brachte der Assassine sie aus ihren Gedanken.
Rachs Vater hatte schon beinahe das Haus durchquert und sie holte ihn erst wieder beim Hinterausgang des Hauses ein.
*** etwa 10 Minuten früher ***
Astragalus und Fyn sahen sich gleichzeitig an und schließlich zu ihrer Vorgesetzten, die den Bierhumpen in einem Zug leerte.
"Ich will auch eins", meldete sich der Junge wieder zu Wort und die Igorina vor ihnen nahm das Kind scheinbar erst jetzt wahr.
"Na fowaf", sagte der Oberfeldwebel nur und sah von ihrem Humpen zu dem Jungen und schließlich zu ihnen. "Na dann wollen wir mal fehen was fich da machen lässt"
Ohne ein weiteres Wort drehte die Ausbildungsleiterin sich zum Zapfhahn und begann nun selbst das Bier zu zapfen und kurz darauf nahm sie einen weiteren Humpen.
Fyn Düstergut glaubte nicht so recht, was sich hier gerade abspielte und sein Mannschaftskollege hatte wohl ähnliche Gedanken.
"Äh, du glaubst doch nicht, sie wird...", setzte er an, doch dann hatte sich ein Gedanke hervorgehoben.
"Hat der Oberfeldwebel Kinder?", fragte Zimt wirklich verdutzt und Fyn wurde davon bewahrt sich weiter Gedanken darüber zu machen, als sich noch jemand zu ihnen gesellte.
"Wie ich sehe werden schon Getränke verteilt?", sagte eine kühle Stimme hinter ihnen und Astralgamus stand sofort stramm und Fyn tat es ihm aus Reflex gleich.
Allerding wollte ihm nicht einfallen woher er das Gesicht kannte, schien auf jedenfalls wichtig zu sein.
"Willst du auch ein Bier?", fragte der Junge ungeniert, während Rogi dem Knirps einen Humpen in die Hände drückte.
Der hochgewachsene Mann drehte sich zur Seite und tätschelte dem Jungen kommentarlos den Kopf. Fyn klappte die Kinnlade runter, als ihm bewusst wurde, wer da vor ihnen stand. Das Profil war unverkennbar.
Auch Astragamus schien seinen Augen nicht zu trauen, doch die Krönung war die Igorina, die einen weiteren Humpen an Lord Vetinari reichte.
Neben ihm quiekte sein Kollege leicht entsetzt, als das Kind anfing das Bier in einem Zug zu leeren.
"Benjamin!", ertönte es hinter Fyn und er schreckte regelrecht hoch wie der Bursche vor ihm. "Woher hast du das?"
Astralgamus, Benjamin und er zeigten im selben Moment auf die Igorina und der Patrizier hob eine Augenbraue.
Die Ausbildungsleiterin grinste nur und schien ziemlich zufrieden mit der Situation.
Die aufgebrachte Mutter nahm ihrem Sohn den Humpen ab, bevor dieser einen weiteren Schluck trinken konnte.
"Aber...", protestierte der Junge nun doch etwas eingeschüchtert, "Das schmeckt wie Apfelsaft!"
Fyn atmete erleichtert aus als ihm klar wurde, dass die Igorina sich einen Spaß erlaubt hatte und setzte seinen Krug auf Ex an. Nüchtern war ihm das hier zu anstrengend.
25.09.2022 12: 10Wilhelm Schneider
Der ehemalige Gefängniswärter und Foltermeister der Braut, bestaussehendster Adelsspross unter den Jungvampiren und sadistischster Serienmörder, sah sich inmitten der Gästeschar genervt dieses Theater einer Ach-So-Glücklichen-Hochzeit an. Genauer gesagt: Ein Teil seiner Aufmerksamkeit weilte hier, und das vor allem inmitten der Gedanken Maganes. Denn sein Körper existierte seit Ophelias Befreiung ja nicht mehr in gleicher Weise. Ein Umstand, den er den närrisch herumhüpfenden und johlenden Wächtern verdankte, die sich gerade auf das eröffnete Büffet stürzten. Und selbst sein Geist existierte kaum noch, lose Gedanken, krampfhaft zusammengehalten mit bewusster Anstrengung, die ähnlich einem Nebel um den kleinen verbliebenen Kern aus Emotionen, Erinnerungen und Gewohnheiten zirkulierten, die sein Wesen definierten. Ein Umstand wiederum, den er der Hexe verdankte, die ihn an sich gebunden hatte und die ihn dort in ständiger Qual hielt. Verflucht sei sie!
Racul war lange vor ihr damit vertraut gewesen, ihn durch Schmerzen abzulenken, seinen Widerstand zu unterwandern, bis er immer wieder genug zu Kräften kam, um dieses Spiel von vorne zu beginnen. Sebastian von und zu Perez war viel gewohnt, was das anging. Erst recht, seitdem er sich selbst die Überzeugung antrainiert hatte, dass Schmerz etwas Gutes war. Etwas, das einem deutlich vor Augen führte, noch nicht zerstört und ohne Hoffnung auf Rache oder Sieg zu sein. Ein Mittelreich, das nur Aufschub für eigene Pläne bedeutete.
Doch sein Hexchen hatte ihn mit der Heftigkeit ihrer leicht bedauernden Grausamkeit überrascht. Er hatte nicht damit gerechnet gehabt, dass sie das bei der Aufteilung seiner Asche unter den verschworenen Wächtern erhaltene Häufchen seiner Essenz dazu nutzen würde, ein kleines Heiligensymbol zu töpfern. Es in die Feuerhölle eines Brennofens zu schieben. Ein Ritual, das seine Seele in ewigwährende Qual gestürzt hatte. Heiligkeit und Feuer zugleich, ausgerechnet! Sein Körper, oder vielmehr der winzig kleine, armselige Restanteil davon, lagerte nun in Form dieses hässlichen Souvenirklumpens auf dem Regal bei ihr daheim. Lichtlos brennend, unbemerkt von der Außenwelt, in eisiger Flamme und in glutvoller Hitze, die nur für ihn selber spürbar waren. Eine Beleidigung für die Augen obendrein. Bei den Ahnen, er hatte einst so gut ausgesehen! Vermutlich war das einzig Gute an dem aktuellen Zustand, dass niemand wusste, worum es sich bei dieser ästhetischen Entgleisung auf ihrem Regal wirklich handelte.
Zugleich war sein Geist gefesselt an das Leben des menschlichen Körpers der Hexe, die mit dem Einatmen des Hauchs seiner Asche während des Schreckensmoments seiner Ermordung versehentlich dafür gesorgt hatte, dass er der vermutlich erste Vampir in der Geschichte der Scheibe wurde, dem es niemals an einer Blutversorgung mangeln würde. Dieser Hauch seiner Existenz war in und durch ihre Lunge gewandert, war durch die Zellwände passiert und hatte sich über diesen Weg integriert. Sie waren auf körperlicher Ebene miteinander verschmolzen in jenen Sekunden seines Todeskampfes. Ein schmaler Grat, hauchdünn, feiner als ein Menschenhaar. Und doch hatte es zusammen mit dem Brechen seiner mentalen Fesseln an den Alten, mit ihrer absoluten Nähe und mit den zuvor gelegten Spuren in ihren Geist hinein dafür genügt gehabt, einen Sog zu schaffen, der über ihr bloßes Einatmen hinaus ging. Vielleicht hätte er in all den Nächten ihrer Gefangenschaft darauf verzichten sollen, sie immer wieder gedanklich heimzusuchen? Unfug! Es hatte Spaß gemacht. Und da war immerhin noch die Erholung gewesen, die die Stille dort für ihn bedeutet hatte, nachdem Ophelias Geist für ihn tabu gewesen war, die Zuflucht vor den Gedankenbefehlen seines "Meisters". Woher hätte er auch ahnen sollen, was daraus entstehen würde?
Er ertrank regelrecht in Blut, frischem, warmem, sauerstoffgesättigtem Lebenselixier. Wären nicht diese gedankenbetäubenden Schmerzen immerzu gewesen, so hätte er vielleicht mit seinem so gut erprobten Spott anerkennen können, dass er zum allerersten Mal in seiner gesamten Existenz nicht mehr durstig war! Etwas, das ihn stets angetrieben, wenn nicht sogar auf gewisse Weise beherrscht hatte. Die Situation wäre nicht günstig gewesen, aber doch eine gewissermaßen noch immer erheiternde Ausgangsposition, aus der heraus er sich einen neuen Schlachtplan überlegt hätte. Normalerweise. Und im Pläneschmieden war er immer herausragend gewesen. Vielleicht den Geist der Hexe mit Wahnvorstellungen in den Irrsinn treiben? Oder ihre magischen Kräfte ins Ungleichgewicht bringen, um neugierig zu beobachten, wie sie alles um sich zu zerstören begann? Die eigenen Gedanken neu zu bündeln lernen, um aus diesem fremden Körper hinauszugreifen, in die Gedanken ihrer Kinder? Sie gezielt Dinge vergessen lassen, erst kleine Alltagsdinge, dann fortschreitend wichtigere? Oh, er war immer schon kreativ gewesen, wenn es darum gegangen war, sich an der Verwirrung eines Anderen zu ergötzen. Ophelia, seine süße, widerspenstige Lieblingsgefangene, konnte ein Lied davon singen.
Doch... die aktuelle Situation war schlimmer.
Es war unmöglich, zu denken. Richtig zu denken! Jeder Ansatz dazu wurde in Schmerzen ertränkt. Worte zu formulieren fiel ihm schwer, wenn er die Hexe inmitten ihrer Gedanken mit seinem Unmut konfrontieren wollte! Ein unsäglicher Kraftaufwand, den er immer seltener in Kauf zu nehmen gewillt war. Wozu auch? Die anfänglichen Verwirrspielchen in ihrem Geist waren nett gewesen. Aber das war, bevor sie sich dazu herabließ, sich seiner Asche zu widmen, ihre lächerlichen Handschuhe auszog und mit dem Ton zu spielen begann. Bevor sie sich mit kindlicher Naivität zu einer Rache entschloss, die sie selber nicht in ihrer Konsequenz verstand. Dummes Geschöpf! So viel seiner Lebensqualität war verloren gegangen durch ihren Schachzug. Selbst die Sicht durch ihre Sinne war deutlich getrübt. Sein Geist war in dem ihren eingekapselt. Er war abhängig von dem, was ihre Augen sahen, ihre Ohren hörten. Und selbst davon kam nur ein Bruchteil bei ihm an, weil bestimmte Farben verloren gingen auf dem Weg und besonders hohe oder tiefe Töne verklangen. Er sah wie durch einen roten Fieberschleier.
Die langen Tische, die sich unter hübsch dekorierten Speisen bogen. Hin und her eilende Körper von gut gekleideten Personen, die immer wieder durch die Sicht schritten. Bekannte Gesichter.
Araghast Breguyar... dieser Heuchler von einem Kommandeur. Als wenn irgendjemand, der diese Posse im Grüngansweg miterlebt hatte, ihm abgenommen hätte, dass er nicht von dem gewusst hatte, was seine Untergebenen trieben.
Kanndra Mombasamba, die erstaunlich flinke Kämpferin im Labyrinth.
Nyria Major, die Hündin am Armzipfel des kleinen Magiers mit seinen dreckigen Tricks. Wobei man diesem wenigstens einen gewissen Nutzen zugestehen könnte.
Wäre Sebastian noch in seiner physischen Form auf dieser lächerlichen Party der Hoffenden gewesen, so hätte er wohl mit bösem Grinsen nach dem Zauberer Ausschau gehalten und diesem mit einem Glas Champagner zugeprostet. Den Tausendjährigen in seiner eigenen Gruft festzusetzen und mit Langeweile und Arroganz zu zermürben, war ein feiner Zug gewesen, von dem lebensmüden Kerlchen.
Die Hexe sprach mit ihrem Mann und leichte Genugtuung ging wie eine Frühlingsbrise lindernd durch seine Qual, als der kurz geflüsterte Austausch der beiden seine stille Präsenz zum Thema hatte. Richtig. Sollte sie ruhig Kopfschmerzen haben oder nervös sein oder was auch immer, um sich an ihre Taten erinnert zu fühlen! Er hatte trotzdem keine Lust, direkt mit ihr zu kommunizieren.
Sie wandte sich wieder ihrer Umgebung zu und beide schlossen sich den anderen Gästen an.
Sebastians Aufmerksamkeit bröckelte immer wieder. Es war schwer, sich selber zusammenzuhalten, ohne einen eigenen physischen Anker, anstelle des fremden Körpers. Er war sich in den lichteren Momenten ziemlich sicher, dass er es einzig und allein seiner eisernen Selbstdisziplin verdankte, noch immer mit einem eigenen Bewusstsein zu existieren. Ohne die Stunden gedanklicher Weitstrecken-Kommunikation, zu denen der Alte ihn gezwungen hatte, um die Geschäfte in Gennua oder Borogravien zu führen, hätte er wohl kaum genug Übung dafür sein Eigen nennen dürfen. Es war ein Existieren im freien Fall, ohne eine feste Hülle. Dennoch das eigene Wesen zu konzentrieren, sekundenschnell zu kalibrieren, es zu schützen gegen ein wildes "Außen" - eine Kunst, für die es keine Lehranstalt gab. Ohne die kleingeistigen Strafen des Alten mit all ihrer Agonie hätte er vermutlich niemals die Selbstkontrolle erlernt die dafür nötig war, trotz der Schmerzen zu denken. Selbstredend würde er sich nicht dazu versteigen, dem Alten dafür mit irgendetwas anderem danken zu wollen, als mit exakt dem selben persönlichkeitsstärkenden Erfahrungsspektrum.
Allerdings... er war noch nie so lange dazu gezwungen gewesen, diesen Zustand zu bewahren. Damals waren es Stunden gewesen, manchmal Tage, wenn auch mit kurzen Unterbrechungen. Diesmal waren es Wochen. Monate. Und nicht eine Minute davon durfte er sich gehen lassen. Wortwörtlich. Selbst inmitten des Pulsschlags aus Leben, in dem er zirkulierte, war die Anstrengung ermüdend. Mehr noch, als nur das.
Er hatte mit anfänglicher Faszination registriert, wie er immer häufiger ein bestimmtes Gefühl empfand. Eine seltsam müde Wut. Ein ruhiger Zorn. Das Bedürfnis, die Zügel in die Hand zu nehmen, um ein letztes Mal selber zu entscheiden.
Er hatte unter Raculs Knechtschaft immer gekämpft gehabt und niemals den Gedanken an Freiheit aufgegeben. Und das hatte er auch jetzt nicht. Nur... die Umstände und Möglichkeiten hatten sich geändert. Der Alte hatte es nicht vollständig geschafft gehabt, ihn zu binden. Da war noch Hoffnung gewesen in ihm. Auch wenn er selber sich damals in seinen kühnsten Alpträumen keine unverbrüchlichere Bindung hätte vorstellen können, als die in seine Seele gegossenen Lava-Ketten. Letztlich hatte er immer auf die Vernichtung des Alten gewettet gehabt und auf den eigenen Willen, diese zu überstehen, wie ein Phönix aus der Asche. Die Hexe jedoch hatte ihm selbst diesen Ausweg genommen. Sein Körper würde für immer in Heiligkeit brennen und sein Geist wäre dazu verdammt, dies zu empfinden, so lange jener an das Leben gebunden war. Und wenn sie starb? Dann würde sein Geist ohne einen Anker verweht. Wie Nebel im Sonnenaufgang. Er war kein Rachegeist, da war er sich ziemlich sicher, auch wenn er der Hexe am Anfang oft in Aussicht gestellt hatte, selbst ihren Kindern noch aufzulauern. Aber tief in sich ahnte er, dass sie ihm dafür zu wenig bedeuteten. Er war immer durch und durch Egoist gewesen und Folter war etwas, was er für sein eigenes Amüsement betrieb, weil sie sich so lebhaft anfühlte. Es ging ihm vor allem um die Emotionen seiner Opfer. Er hatte keinerlei ernsthaftes Interesse an ihnen als Personen. Warum also sollte er sich an einen Menschen klammern, womöglich noch an dessen bedeutungslose Nachkommen, ohne dass es ihm selber dabei besser ginge? Und kurzfristige emotionale Leuchtfeuer würden wohl kaum einen Ausgleich bedeuten, für diese Fluten aus brennendem Feuer in ihm.
Er könnte gehen.
Er müsste einfach nur aufhören, zu kämpfen.
Gegen die Schmerzen und gegen die Auflösung. Er müsste nur entscheiden, dass er die Tür zu diesem Pandämonium öffnete und sich selbst befreite. Indem er sich treiben ließe.
Wenn er nur nicht so stur wäre, nicht wahr? So sehr daran gewöhnt, zu kämpfen und jeden Schmerz durchzuhalten. Schmerz als etwas Gutes zu sehen.
Auf eine gewisse Weise hatte sein Hexchen bedauert, was sie ihm angetan hatte. Als er immer fahriger geworden war, seine Gedanken beim Formulieren im Nichts endeten oder seine Reaktionen zu lange dauerten, nicht schlagfertig genug waren, weil er quasi um Haltung rang. Da hatte er ihr gegenüber ungewollt durchblicken lassen, was ihre Entscheidung für ihn bedeutete. Sie hatte das Ausmaß seiner Schmerzen schlicht nicht erahnt und wohl nur gehofft gehabt, ihn damit zu schwächen, um sich ihren eigenen Widerstand gegen seinen Einfluss zu erleichtern. Sie war eben kein geborener Killer und auch kein Spieler, wenn es um das Leid anderer ging. Sie glaubte noch immer nicht gänzlich daran, dass das, was er hatte durchblicken lassen, die Wahrheit war. Oder vielmehr... sie wollte es nicht glauben. Sie schwankte zwischen der Vermutung, dass er ihr gezielt Schwäche vorgaukelte, um sie leichtsinnig zu machen, und der Befürchtung, dass sie selber eine Grausamkeit begangen hätte, die gegen ihre eigenen Moralvorstellungen als Hexe verstoßen könnten. Kein Leid zuzufügen, sondern es höchstens nehmen, nur helfen, blablabla. Gewiss, wenn es ihm blendend gegangen wäre, hätte er durchaus zu solch einer Strategie gegriffen.
In seinem alten Dasein.
Doch nun? Da käme ihm sein Stolz in die Quere. Er würde gewiss nicht rumjammern und sie sehen lassen, wie es wirklich um ihn stand, wenn er es verhindern könnte. Da würde er sich eher für die selbstgewählte Auflösung entscheiden und sie als Opfer ihrer ungewissen Zweifel und Ängste in seinem Gedenken zurücklassen!
Ein Gedanke, der ihm immer mehr gefiel.
Wie lange nach seinem Fortgang würde sie wohl noch schweißgebadet vor Angst in den Nächten wachwerden, weil sie ein Geräusch gehört oder einen Traum durchlitten hatte, die sie an ihn erinnerten?
Sein Blick, oder vielmehr ihr Blick, fiel auf ein Pärchen auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens, das ganz und gar auf dieser Hochzeit angekommen schien und nur wenig außerhalb von seiner eigenen Freude mitbekam. Wilhelm Schneider und Senray Rattenfänger. Der so durchschnittliche Vampir war ausnahmsweise hervorragend gekleidet. Die kleine Frau an seiner Seite trug eindeutig etwas, das er wohl extra für sie gefertigt hatte, in seiner Schneiderei. Sie gab einen ganz niedlichen Leckerbissen ab in dieser Aufmachung, auch wenn zur Vervollkommnung der Kragen des Kleides nicht so hoch geschlossen hätte sein dürfen. Dennoch! Selbst die eng anliegenden Ärmel bis zu ihren zierlichen Handgelenken vervollkommneten den Eindruck von eleganter Verpackung. Wie ein kostbares Geschenk, bestimmt dazu, ausgepackt zu werden. Dazu passend wäre ein hungriger Blick in den Augen ihres Jägers gewesen. Aber der Versager war kein Jäger, sondern nur ein verliebter Selbstmordkandidat und Trottel. Stattdessen strahlte er auf dieses Wesen an seiner Seite herab, lauschte ihr gebannt, während sie mit ihrem vermutlich rasendem Herzschlag lachend gestikulierte. Er schien sie auf die Tanzfläche locken zu wollen, das kleine Lamm allerdings zierte sich noch. Die Ohren der Hexe waren kümmerlich, doch er konnte beobachten, wie der Schneider etwas mit neckendem Zwinkern sagte und wie sie daraufhin schlagartig errötete und ihm mit gespielter Empörung und flacher Hand sanft an die Schulter schlug, kaum mehr als ein Streicheln. Der Vampir hielt sich ebenso theatralisch den Arm, wie schwer verletzt, und lachte. Der Blick der Hexe wurde wie magisch vom starken Flackern der Fackeln angezogen, die für den anbrechenden Abend im Garten entzündet worden waren.
Es war absolut windstill.
Ihr Blick huschte zu Mina von Nachtschatten, die am Rand der Tanzfläche stand und ihrem Namen gerecht wurde. Diese Rasenfläche, überspannt von einem großen Baldachin und umstanden von den Fackeln, wirkte regelrecht hell und leuchtend, im Vergleich zu dem blassen Schatten der Vampirin in der einsetzenden Dämmerung dahinter, die sich etwas verkrampft an einem Klemmbrett festzuhalten schien. Auch sie starrte auf die wütenden Flammen, ehe sie auf das sich neckende Pärchen schaute. Und von diesen deutlich besorgt zum Brautpaar, das gänzlich von ihren bereits leicht angetrunkenen Kollegen und Familien vereinnahmt wurde. Die beiden wirkten glücklich und arglos. Die Vampirin schien die Aufmerksamkeit der Hexe zu spüren und begegnete ihrem Blick. Von der Seite wisperte Hexchens Anhängsel: "Der Feuerdämon in ihr?" Magane seufzte leise und er spürte, wie sie der Kollegin von Nachtschatten ein aufmunterndes Lächeln zuwarf, welches diese erwiderte. Die Vampirin straffte die Schultern und blickte auf das Klemmbrett, ehe sie fort eilte. "Wenn es denn ein Dämon ist. Wir sind uns da noch nicht ganz sicher." Ihr Ehemann zog überrascht eine Braue empor. "Nach all den Meditationen und Erkenntnissen? Ich dachte..." Sein Wispern verstummte, als sie ihn mit stummer Bitte ansah und er nahm stattdessen ihre Hand, zu einem Handkuss an seine Lippen. Er lächelte mit einem zugegebenermaßen charmant-durchtriebenem Ausdruck in den Mundwinkeln und einem dunklen Funkeln der Augen. "Tut mir leid. Nicht heute. Ich weiß. Wollen wir auch tanzen?"
Als wenn sie den Gedanken geteilt hätten, wanderte der Blick der Hexe zu dem Brautpaar. Ophelia leuchtete regelrecht von innen heraus vor Glück, spürbar, während sie dicht neben Rach Flanellfuß stand und alle geduldig anlächelte, den Erzählungen und Anekdoten lauschte, als wenn sie niemals Schöneres erlebt hätte, als diesen Abend mit all den gewöhnlichen Sterblichen.
Sie hatte ihm gehört, ihm allein, ein ganzes Jahr lang! Hatte nur ihm zugehört, jedes Wort aus seinem Mund gefürchtet und ersehnt, weil es niemanden sonst gegeben hatte ihn ihrer endlosen Einsamkeit! Jedes Gefühl, jeder trotzige Blick, jeder Pulsschlag, jedes verlorene Haar auf ihrem Kopfkissen, jedes Frösteln und jeder zittrige Atemhauch, jeder ihrer Träume und ihrer Gedanken, jede Träne auf ihren Wangen, ihre dunkelsten Gedanken und Ängste, ebenso wie ihre verzweifelten und geheimsten Hoffnungen... alles an ihr... sie hatte ihm gehört!
Seine Emotionen ballten sich dichter zusammen, ein heftiges Ausschlagen, wie die Nadel eines Seismographen bei einem Erdbeben. Mein!
Ophelia blickte zu ihm. Ihr Lächeln verblasste.
Magane atmete tief durch und lächelte mit einem kleinen Kopfschütteln. Ihre Gedanken richteten sich gezielt nach innen und sie sprach lautlos mit ihm.
"Falsch. Sie hat dir niemals gehört." Mit einem ungewöhnlich deutlichen Anflug von Spott im Tonfall ihrer Gedankenstimme erdreistete sie sich sogar zu ergänzen: "Mal ganz abgesehen davon, was Racul von deiner Behauptung halten würde. Aber ihr lagt beide falsch. Einen Menschen seiner Freiheit zu berauben bedeutet längst noch nicht, ihn zu besitzen."
Ausreichend genug, hätte er gekontert. Doch wozu? Es lohnte nicht, mit ihr zu streiten. Es war nur anstrengend.
Hätte er einen eigenen Körper gehabt, wäre er in Versuchung gewesen, den Kopf gegen die Wand zu schlagen, bis der Schmerz weniger würde. So aber... er versuchte, sich wieder zu sammeln. Die Gedanken wie Vögel über die Schmerzwolken steigen und segeln zu lassen. Wenigstens kurz.
Ein Kind krabbelte hastig unter den Tischen entlang. Ein instinktiver Gedanke ließ ihn innerlich wie zum Sprung ansetzen, als wenn er der Fährte des kleinen Kaninchens folgen und an den Tischen entlangschlendern wollte, um die Beute am Ende im Genick gepackt in die Schatten zu ziehen. Er hatte so lange nicht mehr gejagt und die Kleinen waren so zart und herrlich hilflos. Doch der Gedanke verflog sofort wieder seltsam leblos. Er war nicht durstig.
Und dann waren da auch schon Erwachsene mit suchenden Blicken, die der Spur an seiner Statt folgten, unter ihnen ein schmales Bürschchen, das nach verbranntem Kohl roch, die Späherin mit der hübschen Haut, ein nichtssagender Wächter...
Rogi Feinstich schlenderte im Dirndl mit einem großen Bierkrug in den Händen hinterher, an ihrer Seite den hochgewachsenen Patrizier, als wenn dieser ihr heimlicher Leibwächter wäre. Seine Lordschaft lächelte blass wie ein Vampir und nippte ebenfalls an einem Bierkrug, die seltsame Verfolgungsjagd interessiert beobachtend.
Sebastian war irritiert. Er war einst bei Gelegenheiten zugegen gewesen, in denen der Herrscher der Zwillingsstadt an festlichen Ereignissen teilgenommen hatte. Doch niemals hatte er ihn so gesehen. Regelrecht... entspannt!
Seine springenden Gedanken schnappten zu der Igorina zurück.
Das war die lästige Wächterin, die er beinahe umgebracht hatte, als sie versucht hatte, zu Ophelia zu kommen. Er nahm ihr immer noch übel, dass sie sich mithilfe ihrer buckligen Verwandschaft in den säuberlich verborgenen Teil des Haushaltes eingeschlichen hatte. Und dass sie während ihres ständigen Kommens und Gehens unter Raculs Duldung dabei geholfen hatte, sein kleines Kammerspiel-Experiment zu vereiteln.
Er hatte genug von dem Trubel dort draußen. Alles nur Erinnerungen und Staub. Er konnte nichts davon mehr selber sehen, schmecken, spüren. Seine Sinne brannten und es würde keinen Ausweg hieraus geben.
Es sei denn, er entschiede sich dafür, der Welt dort draußen eine ihrer kostbarsten Seelen zu rauben und einen letzten, wahrlich frevelhaften Mord zu begehen. Das Glanzstück seiner Karriere. Er könnte sich den Hoffnungen der Hexe darauf, ihn milder zu stimmen oder eines Tages zu beherrschen, entziehen. Er könnte den Hass derjenigen, die um ihn wussten, ins Leere laufen lassen. Er könnte dieser Scheibe den talentiertesten Jungvampir von hier bis Überwald nehmen und damit ein wahres Licht verlöschen lassen. Auf dass dieses Vieh sich selbst überlassen bliebe. Bibbernd in der Furcht vor seiner unangekündigten Rückkehr. Oder stumpfsinnig dahinvegetierend in ihrer ignoranten Unwissenheit.
Er öffnete sich wieder der Sicht ihres Blickes und betrachtete das hektische Flackern der Fackeln rund um die Tanzfläche, auf der inzwischen der Schneider und seine kleine Kollegin tanzten. Sie hatten die Welt um sich vergessen und blickten nur noch einander an, ein einziger, ineinander versenkter Blick, trunken von anbetender Liebe.
Die Fackeln leckten mit großen Feuerzungen höher, leises Knistern in den Ansätzen.
Tja, dachte die Seele des gemarterten Vampirs im Hexengeist, auch du bist unfrei, mein Freund. Ob Dämon oder niedere Gottheit, nischengebundene Personifikation oder missverstandene Feuerseele. Sie fühlen sich so gut und richtig in ihrem Handeln, hm? Sie sind die Helden ihrer eigenen Geschichten. Und sie vergessen nur zu gerne, dass diese Geschichten nicht einfach dort enden, wo sie es gerne hätten. Zum Beispiel bei einer Hochzeit mit sternenklarer Nacht.
Er spürte wieder die stille Wut und das vertraute Gefühl der steigenden Vorfreude auf einen eigenen Entschluss.
Der Feuerdämon würde seinen eigenen Weg in die Freiheit finden müssen, wenn seine Geschichte nicht in einem glücklichen Ende der Kerkermeister versumpfen sollte.
Was ihn selber anging...
Sebastian blendete nach und nach alles aus, was ihm möglich war. Er glitt auf dem ewigen Meer aus Feuersglut und Eiseskälte dahin, wie im Segelflug eines Greifvogels. Niemand konnte ihn halten, wenn er sich dazu entschloss zu gehen, niemand! Er musste nur loslassen. Aufhören zu kämpfen. Den Schmerz willkommen heißen und gehen lassen. Hätte er noch seinen Körper gehabt, hätte er vermutlich trotz der fehlenden Notwendigkeit dazu tief durchgeatmet und seine Hände leicht ausgeschüttelt, um die Muskeln zu lockern. Er würde sich nicht länger gefangen halten lassen. Der Moment war richtig. Es war gut so. Die Welt würde ein Genie verlieren. Doch er würde Freiheit finden.
Er ließ los. Ließ seine Gedanken treiben. Je weiter die Gedanken sich in seinen Erinnerungen verloren und davontrieben, fort von seinem Wesenskern, je mehr dünnte sein Bewusstsein aus, wurde fadenscheiniger, durchsichtig, hauchdünn, war kaum noch da... der Schmerz verblasste mit ihm. Hätte er noch seinen Körper besessen, so hätte dieser mit dem typischen spöttischen Lächeln und geschlossenen Augen geruht, sein seidiges schwarzes Haar geöffnet und weit um ihn ausgebreitet... frei. Endlich kein Schmerz mehr. Niemand, der ihn kontrollieren wollte...
Würden sie an ihn denken? Ophelia... oder auch das Hexchen?
Und dann war die Seele von und zu Perez' fort. Ausgefasert wie ein Pullover, der sich aufgerebbelt hatte. Verflogen wie das Glitzern fallender Pollen im Sonnenschein.
25.09.2022 16: 35Ophelia Ziegenberger
Der ganze Tag flog nur so an ihr vorüber, wie eine rasend schnell vor ihr entlang gezogene Wäscheleine, an der einzelne Eindrücke aufgespannt hingen, anstelle von Kleidungsstücken. Der altehrwürdige Trauungssaal im Palast, der kaum zu einer Hochzeit hatte passen wollen. Jules Rücken auf dem Kutschbock vor ihnen, umspielt von den im Fahrtwind flatternden Bändern. Minas Ausdruck purer Erleichterung in der Mimik, als sie ihnen am Grundstückstor entgegen kam, sich regelrecht froh an dem Klemmbrett festklammernd. Die auffliegende Taubenschar gegen den tiefblauen Himmel. Der Moment, als Rach im engsten Kreise seiner gerührten Familie neben ihr stand, und sowohl sein Vater, als auch seine Schwester ihn zugleich jeweils bei der Hand hielten. Der Patrizier mit einem Bierkrug gelassen zwischen den Wächterkollegen stehend, bei ihm Kanndra und deren kleiner Sohn. Rogi im Dirndl, die unauffällig im Hintergrund herumschlich, um ein Auge auf den etwas verunsicherten Kollegen Zimt zu haben. Rachs Freund Jules, der immer wieder einen Scherz auf den Lippen hatte und ihre eigene Schwester zum Lachen brachte. Senray, die aufgeregt wie ein Kind mit dem Vampirkollegen an ihrer Seite eingetroffen war und im Grunde seit dieser stürmischen Begrüßung auf der Tanzfläche verschwunden war. Ihre Mutter und Tanten, die mit erhobenen Sektgläsern den verwirrt wirkenden Kollegen Schneidgut eingekesselt hatten und diesen in einer Art höflichem Tribunal zu dem Rezept seines Büffetmitbringsels ins Kreuzverhör nahmen. Magane, wie sie ihr beruhigend bedeutete, dass der starke Gefühlsimpuls aus nur zu vertrauter Quelle sie nicht belasten müsse. Dass sie alles im Griff habe und jener alte Schatten der Feierlichkeit nichts anhaben würde... allein dieser Blick rührte an ihrer tiefen Freundschaft zueinander, an dem gemeinsam Durchgestandenen.
Alles das brannte sich tief in sie ein und schnürte ihr immer wieder etwas die Kehle zu vor Rührung. Sie war im Übermaß gesegnet! Nicht nur damit, Rach als den bestmöglichen Ehemann und Partner erwählt haben zu dürfen, sondern auch damit, alle diese Kontakte und Szenerien in sich aufnehmen zu dürfen. Nichts hiervon war selbstverständlich. Und würde es auch nie wieder sein! Sie war fest entschlossen, diese Freiheit und dieses Glück an jedem einzelnen der noch anstehenden Tage ihres Lebens zu schätzen. Nie wieder einsam!
Als wenn Mina den Gedanken aufgefangen hätte, blickte diese keine fünf Meter neben ihr auf und lächelte sie an. Ophelia kontrollierte instinktiv sofort ihre mentale Barriere. In der nächsten Sekunde schon konnte sie das Lächeln mit einem erleichterten Aufatmen erwidern. Es war alles ok. Diese Art von Gedankenübertragung war keiner Unbedachtsamkeit geschuldet und sie war vergleichsweise harmlos. Vielleicht sogar wünschenswert. Denn diese Empathie war ein Beweis von Freundschaft. Und Freundschaft war das, was den Unterschied bedeutete zwischen Überleben... und wirklich leben.
27.12.2022 19: 14Magane
Magane hatte den ganzen Tag mit nahezu übertriebener Wachsamkeit verfolgt, ohne dabei wirklich viel von der Zeremonie und der Feier mitzubekommen. Sie achtete auf die Ränder, behielt die Kinder im Auge und irgendwie bezog sie in diese Gruppe auch Senray mit ein. Flackernde Flammen alarmierten sie inzwischen genauso wie heulende Sirenen, aber trotz des hohen emotionalen Potenzials blieben größere Feuer und andere Katastrophen aus. Die Hexe wagte es kaum zu glauben, sollte tatsächlich mal alles gut sein? Sie wirkten alle so glücklich und friedlich. Rach und Ophelia eröffneten den Tanz - perfekt, wie man es von einem Paar aus der gehobenen Gesellschaft erwartete. Wenn man nicht wusste, was die beiden hinter sich hatten, wäre ihnen heute davon auch kaum etwas anzumerken und das war nicht nur das Glück der Frischvermählten, das war mehr. Es war als wären die Schatten von ihnen abgefallen und vor ihrem inneren Licht zurückgewichen. Und dort sollten sie bleiben, die Schatten. Magane warf der Dämmerung einen drohenden Blick zu, stellvertretend für die metaphorischen Schatten sollte sie sich gefälligst vor ihr in Acht nehmen. Natürlich wusste sie auch, dass sie längst nicht über genügend Macht verfügte, um das Brautpaar vor allem Übel zu bewahren und natürlich war ihr auch klar, dass das nicht einmal ansatzweise ihre Aufgabe war, aber wenigstens heute sollte...
"Liebling, möchtest du vielleicht auch tanzen, oder befürchtest du dann nicht mehr kampfbereit zu sein?"
Den giftigen Blick, mit dem sie antwortete, hatte er nicht verdient. Sie atmete einmal tief durch und zauberte dann ein verliebtes Lächeln auf ihre Lippen, bevor sie flüsterte: "Tanzen schmälert die Kampfbereitschaft überhaupt nicht, immerhin ist man dann schon auf den Füßen, in Schwung und mitten im Geschehen."
"Hochzeiten sind echt nicht deine Stärke, entspann dich", David nahm ihre Hand und führte sie sanft, aber bestimmt zur Tanzfläche, "niemand wird hier heute Probleme machen."
Vermutlich hatte er recht, außerdem waren da genügend andere, die die Augen offen hielten. Magane wurde etwas lockerer und ließ zu, dass ihre Füße sich erinnerten. Tanzen hatte sie zwar nicht in einer Tanzschule gelernt, niemand hatte ihr eine klassische Mädchenerziehung angedeihen lassen, aber manchmal war Einzelunterricht viel effektiver. Ihre Füße erinnerten sich an den leicht unebenen Steinboden, auf dem man auf jeden Schritt besonders achten musste, während man sich drehte und zur Musik bewegte. Die Musik war damals nur ein Summen gewesen und die ganze Tanzerei war Teil des Trainings gewesen, aber das spielte keine Rolle, heute ging es nicht darum dem Partner die Taschen zu leeren. Würde sich auch nicht lohnen, sie wusste was in den Taschen ihres Mannes steckte, genauso wie sie wusste, wo seine Waffen verborgen waren. Er hatte sie überzeugen können ihre Waffen daheim zu lassen, aber seine gehörten zum Outfit. Andererseits war sie in den Straßen dieser Stadt erwachsen geworden, in ihren Händen konnte letztlich alles zur Waffe werden, wenn die Hände allein nicht reichten, also konnte er seine drei verborgenen Waffen gerne für sich behalten. Ihr Blick wanderte über die Tanzfläche, wenn jeder anwesende Assassine vorschriftsmäßig gekleidet war, war es wirklich nicht notwendig weitere Klingen mitzuschleppen.
"Hast du gerade die Kampfkraft der Hochzeitsgesellschaft abgeschätzt? Das zählt nicht als Entspannung", er lachte leise. Sie hatte ihm erzählt, was in diesem Keller geschehen war, und ihm war klar, warum sie sich nicht einfach fallen lassen konnte. Es würde vielleicht noch Jahre dauern bis die Erinnerungen weit genug verblasst waren, um wieder so miteinander tanzen zu können wie vor den Ereignissen im Grünganzweg. Das Trauma saß tief... wenigstens ließ sie inzwischen die meisten Berührungen zu und sie konnten ein einigermaßen normales Leben führen, wenn er sich nicht von hinten anschlich oder zu still war. Je menschlicher er wirkte umso weniger ging seine Frau in die Defensive, das funktionierte im Alltag ganz gut, auch wenn die Nächte noch immer ein gewisses Problem darstellten. Nur war dies hier keine alltägliche Situation, wie gern würde er jetzt einfach für ein paar Tage in die Heimat fahren. Die Wüstensonne würde ihr gut tun. Den Kindern das fremde Heimatland zeigen, vielleicht die Familie besuchen.
29.12.2022 20: 13Rach Flanellfuß
Die Musik verklang langsam und Ophelia schmiegte sich am Ende des Tanzes an ihn und er ließ den Blick kurz über die aufgebaute Tanzfläche schweifen. Es hatten sich mehr auf die Tanzfläche getraut als er erwartet hatte, allerdings gab es immer noch genügend die sich um das Buffet scharten oder an ihren Getränken festhielten. Die Musik fing wieder an und jemand klopfte ihm auf die Schulter. Sein Vater räusperte sich leicht verlegen hinter ihm, als Rach sich ihm zuwandte.
"Dürfte ich?", fragte Emmet zaghaft und deutete eine leichte Verbeugung an und streckte dem Brautpaar eine Hand entgegen.
Rach lächelte Ophelia zu und legte die Hand seiner Frau in die seines Vaters ab. Kurz beobachtete er wie Emmet, Ophelia über die Tanzfläche führte und war froh, dass sein Vater es nicht gleich übertrieb. Jules und Ester huschten an ihm vorbei und gesellten sich zu den tanzenden. Kurz wusste Rach nichts mit sich anzufangen und entschloss sich eine kleine Erfrischung für sich und Ophelia zu organisieren. Er kam allerdings nicht weit. Rogi stand plötzlich vor ihm und war sichtlich angeheitert.
"Föne Party", sagte sie nur und hickste kurz darauf.
Er nickte ihr freundlich zu und wollte gerade einen Bogen um die Igorina machen, doch sie tat ebenfalls ein Schritt zur Seite.
"Hallt halt ich muff dir waf fagen!", lallte Rogi und wurde kurz darauf ernster. "Ophelia ift viel zu gut für dich! Wenn ich jemals mitbekomme, daff du ihr in irgendeiner Form Kummer bereiteft....dann...dann..."
Die Igorina beugte sich bei dem Gestammel weiter nach vorne und er sah sich kurz verlegen um ob sich jemand um Rogi kümmern könnte, als er sich plötzlich in ihrem Schwitzkasten wieder fand. Ihr Griff war nicht zu fest, dennoch traute er sich kaum sich zu rühren.
"Rogi", sagte er langsam, "Es würde mir nie in den Sinn kommen..."
Die Igorina brummte leicht und er befürchtete schon, dass sie Handgreiflich werden würde, doch sie tätschelte ihm mit der freien Hand die Wange.
"Du weißt ich würde alles für Ophelia tun, oder? Gerade du solltest das wissen.", sprach er weiter.
An der Bewegung merkte er, dass sie nickte, und ihr Griff lockerte sich etwas.
"Brauchst du Hilfe Brüderchen", kam die Stimme von seiner Schwester auf ihn zu und neben ihr schien Jules sich über die Situation zu amüsieren.
"Rogi?" Bei der Stimme seiner Frau ließ die Igorina ihn sofort los und räusperte sich verlegen.
Er nutzte die Gelegenheit und gesellte sich schnell zu seiner Frau, ehe er seinen Kragen wieder richtete.
"Ich wollte euch noch Beglückwünschen!", sagte die Igorina schließlich und umarmte sowohl Ophelia als auch ihn überschwänglich, ehe sie davon stapfte.
"Alles in Ordnung zwischen euch?", fragte Ophelia leicht verunsichert.
"Ich glaube schon", antwortete er ehrlich und sah der Igorina kurz nachdenklich hinterher, bevor er sich wieder voll seiner Frau zuwandte. "Noch ein Tanz, Madame?"
01.01.2023 0: 52Wilhelm Schneider
Dieser Abend war vermutlich der beste Abend seiner bisherigen Existenz, vermutete Wilhelm. Und er musste der glücklichste Vampir der Scheibe sein. Ganz sicher. Es konnte gar nicht anders sein. Immerhin tanzte er mit dem hübschesten, niedlichsten, bezauberndsten und absolut betörendsten Wesen der Großen Wahoonie, durfte ihren Duft einatmen und ihr Lachen hören, ebenso wie den fröhlich flatternden Schlag ihres Vogelherzens. Senray sah umwerfend aus. Seine Kreation, die sie heute Nacht trug, war nur das I-Tüpfelchen, eine Abrundung ihres ganz eigenen Zaubers, mit dem sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit an sich gefesselt hatte, ohne Hoffnung auf Rettung. Dazu kam, dass sie einen Tanz nach dem anderen in seinen Händen verbrachte. Vergessen waren die Schmerzen und das stellenweise Taubheitsgefühl, die sich in seinen Fingerspitzen sonst abwechselten, wenn er zu nähen ansetzte. Stattdessen spürte er mit jedem Tasten ihren Körper unter dem Stoff, wenn sie sich in seinem vorsichtigen Halt drehte, sich von ihm in den Tanzschritten führen ließ oder sich mit perlend lautem Lachen in eben jene Handhaltung zurücklehnte. Sie war so lebendig, so unsagbar kostbar! Wilhelm bewunderte sie von ganzem Herzen in dieser vollkommenen Nacht. Vergessen waren all jene Frauen vor ihr, mit denen er auf Bällen und in teuren Etablissements getanzt hatte. Sie alle wirkten so viel älter und gesetzter, teilweise regelrecht wie Ausstellungsstücke hinter Glas, im Vergleich zu diesem ungeschliffenen Diamanten, der so quirlig seine Sinne mit sich riss. Zu Beginn war sie absolut schüchtern seinem Locken und Necken gefolgt, als er das Wunder vollbrachte und sie auf die Tanzfläche verführte. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte die Hochzeitsfeier im Garten der Flanellfuß' eben erst begonnen gehabt und die Tanzfläche unter dem großen Baldachin war relativ voll gewesen mit anderen Tanzwilligen. Sie hatten sich auf ein kleines Eckchen des Rasens konzentriert gehabt, am Rande der Stoffüberdachung. Inzwischen musste viel Zeit vergangen sein, wie der Vampir mit einem sorglosen Gedanken flüchtig registrierte, denn es war dunkel geworden am Himmel, die Kerzen und Fackeln brannten mit flackernder Romantik und warmem, goldigen Licht. Und sie hatten die Tanzfläche vollständig für sich. Das kleinere Streichquartett hatte die größere Musikgruppe vom Anfang abgelöst und spielte nur noch für sie. Irgendwo außerhalb der Tanzfläche, in der Nähe des Büffets und rund um die Stehtische im Kreise der warmen Sommerlaternen, waren noch andere Gäste anwesend. Er konnte ihre Herzen und ihre Stimmen wie ein sanftes Hintergrundmurmeln um sie herum wispern hören, doch selbst das leise Lachen ab und an unterstrich lediglich die absolut friedliche Stimmung und das amüsierte Funkeln in Senrays Augen. Er hatte irgendwann mit leisem Kichern in ihr Ohr darauf bestanden, dass sie sich die Schuhe ausziehen solle, wenn sie diese als Vorwand vorschob, nicht mehr tanzen zu können. Und sie hatte in sein Ohr kichernd gekontert, dass er mit so einer unverfrorenen Geste eigentlich anfangen müsse, wenn er das auf so einer eleganten Hochzeit von ihr verlangen würde. Was er sich nicht zweimal sagen ließ. Noch mitten in den nächsten Tanzschritten setzte er die teure Schuhspitze des einen Fußes an den Haken des anderen an und streifte sich Schuhe und Socken von den Füßen. Sodann schob er diese beim Tanzen vor sich her an den Rand der Tanzfläche und unter den nächsten Stuhl, darauf bedacht, seine Tanzpartnerin gekonnt weiter zu führen, während diese sich vor Lachen in seinen Armen bog. Eine absolute Win-Win-Situation aus seiner Sicht. Er grinste unweigerlich sofort wieder, als seine nackten Füße beim Tanzen über das Gras streichelten. Wann bekam man in einer so dreckigen Stadt schon mal die Gelegenheit zu solch einer Sinnlichkeit, zusätzlich zu allem Anderen, wenn man keinen Garten sein Eigen nannte? Er fühlte sich, als wenn er auf Wolken schweben würde. Ewig könnte er so weitertanzen mit ihr. Allerdings spürte er deutlich, dass sie es leider nicht könnte. Sie wurden langsamer, je weiter die Tanzfläche sich um sie herum leerte und die Nacht voran schritt. Ihre Augen schimmerten zu ihm hinauf und es fühlte sich schwindelerregend an, sich in ihnen zu verlieren. Er wusste nicht mehr, wie es war, nicht zu lächeln. Sein Gesicht hatte es bestimmt vergessen, wie man dafür die Muskeln bewegen musste. Sie lachte so leise, dass es ein warmes Schaudern durch ihn rinnen ließ.
"Wilhelm?"
"Hm?"
Er schunkelte sie fast nur noch auf der Stelle, eine Hand an der sanft glühenden Wärme ihrer Hüfte angeschmiegt, die andere mit den Fingern ihrer Hand verschränkt, fast nur noch unbeachtet an ihrer beider Seite herabhängend.
"Danke!"
Er schmunzelte.
"Das musst du zum Hausherrn sagen oder zu Esther. Im allergrößten Notfall geht vielleicht auch Rach. Ist immerhin deren traumhaftes Grundstück."
Senray rollte leicht mit den Augen und schnalzte mit der Zunge. "Unmöglicher Kerl", murmelte sie nichtsdestotrotz grinsend. "Das alles ist zwar ganz wunderbar. Aber du weißt, dass ich nicht davon rede."
Für eine kurze Sekunde rührte sich leichte Unruhe in ihm, als ihm die Alternativen in den Sinn kamen, für die sie ihm danken könnte. Er wollte jetzt nicht an die Dinge denken, die außerhalb dieser Tanzfläche nur darauf warteten, wieder ihre sorgenvollen Köpfe zu erheben, um ihn abwartend anzustarren. Nein, nein! Lieber weiter diesen endlosen perfekten Moment genießen.
"Nicht? Aber wofür könntest du mir sonst danken, kleines Vogelherz? Ah! Ich weiß! Das Kleid... gern geschehen. Immerhin mache ich mir damit ja fast selber eine Freude, solch einen besonders hübschen Anblick, den du damit bietest, nicht wahr?"
Die kleine DOG lachte wieder leise, ging jedoch nicht auf das Gesagte ein. Stattdessen lehnte sie ihre Wange an seinen Brustkorb an, schmiegte sich fast zaghaft an ihn. Dabei flüsterte sie leise: "Danke dafür, dass du mich bei dir sein lässt."
Er spürte ihren Puls so stark, ihr wisperndes Blut in diesem zierlichen Körper, dass es sich beinahe so anfühlte, als wenn ihr Leben in ihn selber hinüber abstrahlen und ihr Herzschlag ganz sacht auch in seinem Brustkorb pulsieren würde.
"Umgekehrt wird ein Schuh draus. Ich bin endlos dankbar dafür, dass du mich nicht fortjagst."
Seine Hände lösten sich aus den sicheren Positionen des Abends und streichelten sanft über ihre Seiten hinauf, dann zu ihren Schultern... ihrem Hals. Diesmal erschauderte sie. Sie holte zitternd Luft und ihre Wimpern flatterten mindestens ebenso schnell wie ihr hastiges Herz, als sie ihn ansah. Er spürte Hunger in sich. Eine Regung, die umso stärker wurde, je länger der innige Blick zwischen ihnen andauerte. Doch dieses Verlangen wurde umfassender, weniger spezifisch, während er in dieser Offenheit ihrer Sehnsucht zu versinken drohte. Ihr rasender Puls sagte mehr als tausend Worte, gepaart mit diesem Blick. Und ihre Lippen öffneten sich leicht, nur ein winziges Stückchen. Es gab nicht nur die eine Art, Hunger zu stillen. Und nicht nur einen Weg, um den Wunsch nach Nähe zu teilen.
Seine Gedanken lösten sich vom Blut.
Seine Hände lösten von dem Streicheln ihres Halses. Sie wanderten zärtlich in das hochgesteckte Haar, das sich längst gelöst hatte und sich in verspielten Strähnen an Schläfen und Nacken ringelte.
Ein sachtes Zittern und Beben breitete sich in ihrem Körper aus, so unterschwellig, das es im Schunkeln zu den Violinen fast unterging. Ihr Blick huschte für eine Sekunde zu seinen Lippen. Dann errötete sie derart schlagartig und intensiv, wie er es nicht mehr für möglich gehalten hätte. Schnell presste sie nach einem hilflosen kleinen Blick ihr Gesicht an sein Hemd und stöhnte peinlich berührt und leise brummelnd. Längst hatte er Jackett und Weste abgelegt gehabt, so dass diese feste Berührung zusammen mit einem Hauch ihrer Emotionen durch das Hemd spürbar war. Und er war zutiefst glücklich darüber, dass auch sie eindeutig glücklich war.
Er streichelte durch ihr Nackenhaar und lachte herzhaft. "So, so! Ich nehme das mal als eine sehr dreiste Forderung zur Kenntnis, junge Dame. Wie unverfroren!" Dann streichelte er mit dem Finger an ihre Wange hinab und hob zärtlich ihr Kinn an, bis sie seinem verliebten Blick begegnete. Ihre Augen funkelten nun fast trotzig, ihre Lippen grinsten provokant und ihre Wangen leuchteten rosig. Ein Abbild von purer Lebensfreude, die sich einzig auf seine Nähe bezog. Der Anblick machte ihn so glücklich, dass es ihm regelrecht im Herzen wehtat. Und doch konnte er nur lächeln und sie anstrahlen.
Sie blickten einander tief in die Augen, wortlos, alles um sich herum vergessend.
Das Streichquartett am Rande der Tanzfläche wechselte wissende Blicke und verbarg das Grinsen hinter professioneller Mimik, doch sie wechselten fast unmerklich zu einem Stück, das zuckrige Sehnsucht atmete, als wenn das Licht des Mondes die Szenerie in silberne Magie tauchen müsste.
Sie näherten sich einander zugleich an, winzige Bewegungen. Und doch so aussagekräftig, dass es war, als wenn ein Bann gebrochen worden wäre. Ihre Lippen berührten einander, zärtlich und vorsichtig erst, nur um dann dem Sehnen mit wachsender Leidenschaft nachzugeben. Sie schlossen ihre Augen, lehnten sich aneinander mit den ganzen Körpern. Wilhelms Hände wanderten wieder in ihr Haar, wie verwirrte Schlafwandler, zugleich spürte er ihre warmen Hände, die um seine Seiten fuhren und dann an seinem Rücken hinauf wanderten, um ihn blind zu erkunden und sich immer wieder an ihm festzuhalten.
Der Kuss raubte ihm schier den Verstand. Er wollte nur noch bei ihr sein und nie wieder aus diesem wundervollen Dasein erwachen. So nahe! Ihr Duft war jetzt mehr als nur ihr Duft, er war auch ihr Geschmack. Ihre Gefühle knisterten auf seiner Haut und über seine äußere Bewusstseinsebene, wie magische Nordlichter, gemischt mit Wunderkerzen. Betörend sanft und unbegreiflich intensiv. Es fühlte sich an wie Hitze und Glück, verschmolzen in einem funkensprühenden Feuerwerk, das über die geschlossenen Augenlider tanzte. Als sie leise lachend nach Atem zu ringen begann, öffnete er langsam wieder die Augen und löste sich nur widerwillig aus diesem Kuss.
Es war inzwischen dunkler geworden, da sämtliche Fackeln verlöscht waren, zugleich aber begann irgendwo am Horizont das sanfte Aufhellen. Zwei Kellner verteilten mit zurückhaltender Hektik neue Kerzen auf den Tischen, um wenigstens etwas Licht sicherzustellen. Auch einige der Laternen wurden neu bestückt und zumindest in ihrer Nähe entstand wieder ein behaglicher Lichtschein. Beinahe am Rande seiner Aufmerksamkeit registrierte er, dass die verbliebenen Gäste um sie herum offenbar endgültig in Aufbruchsstimmung waren und der Garten sich merklich leerte.
Wilhelms Blick richtete sich sofort wieder auf die junge Frau vor ihm. Das Lächeln würde gewiss nie wieder von seinem Gesicht weichen, da war er sich nahezu sicher, als er sie angrinste. Sie wirkte atemlos, strahlte ihn aber trotzdem an.
"Senray...", wisperte er bewegt.
Von der Seite erklang eine amüsierte Stimme.
"Eine kleine Erfrischung gefällig?"
Wilhelm blinzelte irritiert und blickte der Stimme entgegen. Über den Rasen schlenderten Braut und Bräutigam auf sie zu. Ophelia wirkte wie von einer unerschöpflichen, heiteren Gelassenheit beseelt. Rach hingegen war regelrecht aufgedreht und trug zudem ein kleines Tablett mit Getränken zu ihnen.
Wilhelm spürte, wie der bedeutungsvolle Moment damit unweigerlich ausklang. Er warf Senray einen fast entschuldigenden Blick zu, den diese mit einem belustigten Schulterzucken erwiderte. Doch sie hakte ihre Hand bei ihm unter und hängte sich dieserart an seine Armbeuge ein. Eine so eindeutige Geste der Verbundenheit, dass er sie noch einen Moment länger anstrahlen musste und dem Störenfried sofort alles verzeihen würde. Zumal... es war immerhin Rachs und Ophelias Party, nicht wahr? Und wenn er sich so umsah, war es durchaus möglich, dass die beiden nach einer besonders freundlichen Art und Weise gesucht hatten, auch die letzten Gäste vor dem Morgengrauen loszuwerden, ohne unhöflich zu werden? Vielleicht gingen sie schon ein Weilchen mit Getränken herum um alle verbliebenen Gäste dieserart anzusprechen, und er hatte es nur bisher nicht bemerkt? Es wäre zwar ungewöhnlich gewesen. Aber was an diesem Paar war schon gewöhnlich?
Ophelia ignorierte ihn weitestgehend, so wie bisher auch schon. Das war nur offensichtlich, wenn man es bereits wusste und wenn man es im Kontrast zu der Aufmerksamkeit beobachtete, die sie jeweils anderen Anwesenden schenkte. In diesem Fall Senray. Und sein kleines Vogelherz errötete zwar prompt wieder unter Ophelias bedeutungsvollem Schmunzeln, beruhigte sich jedoch auch spürbar auf gewisse Weise. Hach, da ging er hin, der Augenblick der Innigkeit. Aber vielleicht würden in der Zukunft neue solcher Gelegenheiten auf ihn warten?
Die beiden Frauen wahrten einen instinktiven Mindestabstand zueinander, begannen jedoch unverfänglich von dem Abend zu schwärmen, der gelungen Dekoration, der wundervollen Stimmung, den anderen Gästen in ihren prächtigen Aufmachungen, dem Wetter, wie man es sich nicht besser hätte wünschen können. Wilhelm nahm zwei Getränke vom Tablett und reichte eines seiner plaudernden Begleiterin weiter. Dann wandte er sich Rach zu. Trotz der Unterbrechung musste er schon wieder grinsen, immerhin hatte das Vogelherz sich bei ihm eingehangen! Der Gastgeber legte die Hände mit dem nun leeren Tablett hinter dem Rücken zusammen und betrachtete ihn mit einem ungewohnt amüsierten Ausdruck.
"Ich brauche gar nicht zu fragen, um zu sehen, dass du dich heute Abend wohlfühlst, Wilhelm."
Der Vampir grinste noch breiter. "Ja, ich glaube, der Versuch das leugnen zu wollen, würde scheitern. Vielen Dank nochmal für die Einladung." Er blickte kurz zu der Braut und die Emotionen in ihm, die eben noch von Senrays Nähe so aufgewühlt waren, legten sich auch in ihm etwas, als das breite Grinsen innerhalb von Sekunden zu einem Lächeln zurückhaltender Zuneigung wurde. Selbst wenn Ophelia sich ihm gegenüber niemals anders geben könnte, als mit steifer Distanz, würde dies nichts an seinem besorgten Verhalten ihr gegenüber ändern. Seine Gedanken waren zu tief in den ihren gewandert, um unberührt davon zu bleiben, und ihre Emotionen hatten sich in ihn geprägt wie ein Siegel, das nicht mehr zu lösen sein würde. Er räusperte sich etwas und blickte zu Rach zurück. "Genießt... ihr den Abend denn ebenso?"
Nun war es an Rach, mit verliebter Sanftmut zu seiner Braut zu schauen und zu nicken. "Es ist noch keine Leiche aufgetaucht und es wurde nichts gestohlen, so gesehen... Ja, wir sind froh und erleichtert. Und glücklich."
Wilhelm lachte leise, als er die Gemeinsamkeit in ihren Reaktionen erfasste, wenn es um ihre Begleitung ging. Eine Ähnlichkeit ausgerechnet mit Rach? Vielleicht sollte er sich gleich nach einem weiteren Glas Alkohol umsehen? Auf den Blick seines Gegenübers hin, nippte er schnell an dem vorhandenen. Dann wurde ihm überdeutlich bewusst, dass Senray und er nun wirklich im Zentrum der Aufmerksamkeit der Gastgeber standen. Und das ohne Schuhwerk.
Rach folgte seinem Blick und verzog die Mundwinkel spöttelnd.
Wilhelm begegnete seinem Blick und fand augenblicklich zu seiner alten Selbstsicherheit zurück.
"Das ist jetzt modern."
"Ah... ein Modetrend, der mir entging. Ich war wohl in letzter Zeit zu abgelenkt, um diese Entwicklungen im Blick zu behalten."
Wilhelm nippte wieder am Glas. "Scheint so. Aber das ist verzeihlich. Ich habe mir sagen lassen, so eine Hochzeit ist recht aufwändig in der Vorbereitung. Zumal bei einer so gelungenen Veranstaltung."
Rach atmete tief durch und lachte dann. "Das kann man so sagen, ja. Sag Bescheid, wenn du diesem Beispiel zu folgen gedenkst, Wilhelm. Es würde mich durchaus interessieren, wie du dich darin schlägst."
Wilhelm verschluckte sich bei dem dritten Nippen am Glas und hustete einen Moment, ehe er sich mit großen Augen wieder gefangen hatte. Er wiegelte leicht mit einer Hand ab. "Ah, das hat noch Zeit, das ist nicht so... ich meine..." Er blickte zu Senray und meinte erste Müdigkeitserscheinungen an ihr wahrzunehmen. Verlagerte sie das Gewicht nicht sehr häufig von einem Bein auf das andere und ging ihr Herzschlag nicht etwas zu langsam? Besorgt trat er wieder näher an sie heran. "Ist alles in Ordnung mit dir? Du wirkst erschöpft. Der Abend war ja wirklich schon lang."
Wenig später sah das Brautpaar ihren zwei ungleichen Gästen nach, als diese leise lachend und sich gegenseitig anhimmelnd langsam den Heimweg antraten. Inklusive ihrer Schuhe. Ophelia lehnte sich an Rach an und dieser legte liebevoll den Arm um ihre Schulter. Ihr Kopf ruhte auf der seinen.
"Sie haben es nicht einmal mitbekommen."
"Nein, das haben sie nicht." Rach streichelte seiner Frau sanft über den Arm. "Mach dir nicht zu viele Sorgen. Heute ist es gut gegangen. Und bei seinem unverschämten Glück, wird das auch noch eine ganze Weile so weitergehen."
Ophelia seufzte leise. "Ich habe mich wirklich erschrocken, als all die Fackeln so hoch aufflammten, dass sie beinahe den Baldachin des Pavillons in Brand gesteckt hätten und dann plötzlich verglüht waren, wie Lampenfäden ohne Öl."
"Nicht nur du."
Als die beiden ahnungslosen Gäste längst verschwunden waren und das Personal damit begann, in der rosa aufziehenden Morgendämmerung dezent um sie herum aufzuräumen, lösten sie sich bewusst von diesen Gedanken und wandten sich einander zu. Rach schmunzelte sie an.
"Oh", murmelte er mit verführerischer Stimme. "Die Musik ist fort. Wie bedauerlich! Was, wenn ich noch mit dir einen weiteren Tanz hätte beschreiten wollen?"
Ophelias Lächeln war nicht minder reizvoll, als sie flüsternd antwortete: "Ich erinnere mich an einen eleganten Eindringling, der selbst im Wachhaus die Möglichkeit fand, mit einer Gefangenen zu tanzen, obgleich es dort für gewöhnlich keine Musiker zum Aufspielen gibt."
Rachs Mundwinkel wanderten höher. "Du meinst die Prinzessin im Turm, die sich Hals über Kopf in den Tänzer verliebte?"
Ihre Augen funkelten vergnügt. "Man munkelt, jener Tänzer wäre begnadet gewesen, so talentiert, dass es unmöglich war, ihm nicht zu verfallen. Tja... wenn man so jemanden nur finden würde. Man müsste ihn wohl irgendwie anlocken. Aber ohne Musik..."
Rach brummte amüsiert und zog seine Braut an sich. Was diese sich gerne gefallen ließ. Und dann begannen sie langsam, jene Tanzschritte zu wiederholen, die sie einstmals zu den kratzenden Geräuschen einer gravierten Notenwalze in ein neues Leben geführt hatten, eines, in dem sie sich einander versprachen.
01.01.2023 0: 56
[1] Am Ende vielleicht nur als Türkeil. Aber Nutzen ist Nutzen.
[2] Was dafür sprach, dass er es als Geschäftsmann in dieser Stadt nicht weit bringen würde.
[3] Das würde garantiert keine Folgen nach sich ziehen. Sicherlich.
[4] Es hatte unter gewissen Personen eine gewisse Sorge bestanden, diesen Umstand könnten andere, wiederum gewisse und eher missgünstig gestimmte Personen mit unguten Absichten ausnutzen, sich heimlich auf der Hochzeit einzuschleichen. Aber ohne Einladung oder Auftragsbestätigung war niemand auch nur in die Nähe der Vordertür gelassen worden.
[5] Nein, wenn man die Umstände bedachte und alles, was es gebraucht hatte, damit dieser Tag stattfinden konnte, dann war das weit entfernt von jeder Paranoia. Dann war das nichts als angebrachte Vorsicht. Ganz sicher.
[6] Es erinnert sich gewiss noch jemand an die bereits erwähnte angebrachte Vorsicht.
[7] Nach zu lesen in der Single "Lose Enden".
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