Dea de tabulato oder Die Göttin vom Dachboden

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vollendet am 07.08.2008

Eine übernatürliche Bedrohung der Stadt, die üblichen monströsen Vorfälle und das Ende der Welt steht wieder einmal unmittelbar bevor - nicht unbedingt eine unbekannte Ausgangssituation für die Wache. Doch diesmal wurde auch noch gleich zu Anfang ein Wächter getötet. Und wer - um aller Götter Willen - ist das Orthogra-Vieh?

Pismire

Vorspiel 1: Im Gebirge

Unheil verkündend fauchte der Wind durch das zerklüftete Gestein. Donner grollte, und jäh zuckende Blitze erhellten hin und wieder den höchsten Berg der Scheibenwelt. Der Regen war in dieser Höhe in Schnee übergegangen und seit Einbruch der Dunkelheit fiel die Temperatur ständig.

In einer Höhle im Gebirge in der Nähe von Würdentracht kauerten sich vier zerlumpte Gestalten um ein schwach brennendes Feuer.
"Sie hätten dich anhören sollen, wirklich, das hätten sie", jammerte eine alte und zerlumpte Frau, die sich in einen grauen Umhang gehüllt hatte. "Das war nicht gerecht, war's nicht", lamentierte sie weiter. "Das wär doch nur'n Klacks für die gewesen. Nur'n Klacks. Und du hast es doch echt drauf gehabt. Echt drauf und so."
Ihr Gejammer ähnelte den Wind: allgegenwärtig, nie erlahmend und enervierend. Ihre Worte richteten sich allgemein an alle, die es hören wollten, im Speziellen jedoch an die jüngere Frau, die ihr am Feuer gegenüber saß. Sie hatte ebenfalls Kleidung an, deren Verfallsdatum längst überschritten war. Anders als die alte Frau jedoch, die sich greinend hin und her wiegte, saß sie in eine Aura kalter Verachtung gehüllt vollkommen aufrecht da. Die Worte ihres Gegenübers schienen sie nicht zu erreichen.
Rechts neben ihr saß ein junger Mann, dessen Muskeln beeindruckend im Licht des Feuers glänzten. Dass seine einzige Kleidung aus einem Fellschurz zu bestehen schien, störte den Gesamteindruck nicht weiter. Allerdings hätte man in dieser Umgebung als Kopfbedeckung einen Helm mit Hörnern und nicht eine aus gelben Ölzeug bestehende Mütze erwartet. Er saß gebeugt am Feuer und beschäftigte sich - auch das erschien in dieser Gegend eher ungewöhnlich - mit der Reparatur eines Fischernetzes.
Von der vierten Figur, die ihm gegenüber saß, war in dem flackernden Licht nicht einmal zu erkennen, ob es sich überhaupt um ein menschliches Wesen handelte. Sein unförmiger Schatten huschte über die zerklüfteten Wände der Höhle und hin und wieder stieß es ein dumpfes Grummeln aus.
Nur hin und wieder wurde das unablässige Lamento der alten Frau durch den Donner unterbrochen. Fetzen wie: "Hätte die doch gar nichts gekostet" oder "wo sie doch auch so eine Art Göttin ist" oder "aber mir gönnt das Schicksal das ja nicht, diese alte Schlampe" hallten durch die Höhle wie eine Art von ewiger Hintergrundmusik. Nach einer guten Stunde veränderte sich der Tonfall und die alte Frau beklagte den erneuten Ausfall des Abendessens. Auf diese Wendung hin rührte sich die jüngere Frau. Sie erhob sich mit steifen Gliedern, wandte sich an den drohenden Schatten zu ihrer Linken und machte ein kurze, fordernde Bewegung mit der rechten Hand. Ein haariger Arm mit einer fünfklauigen Pfote an ihrem Ende erschien aus dem Schatten und händigte ihr einen Beutel aus. Die Frau nickte freundlich und dankend und nahm ihn entgegen. Aus seinem Inneren förderte sie einen Weinschlauch und ein Brot zu Tage. "Hier, Gra'ma, trink was und iss etwas."
"Dann hältst du wenigstens den Mund", dachte sie nur, sagte es aber nicht.
Nachdem die alte Frau gesättigt war, begann das Lamentieren von Neuem. Diesmal bezog es sich aber auf die Zukunft, nicht aus das, was war oder was hätte sein können.
"Was woll'n wir denn jetzt anfangen, so allein hier draußen?", fing sie an. "Ich mein', jetzt, wo der Winter kommt und so. Und wir doch kein Haus haben. Hier in Würdentracht nich' und auch sonst nicht." Sie schniefte ein wenig und verzog weinerlich das Gesicht. "Und das auf meine alten Tage, wo ich doch auch nicht mehr jünger werde, und so", jammerte sie weiter.
Die zweite Frau verzog das Gesicht. "Mutter, ich bitte dich, lass doch das Gewimmer. Das schickt sich nicht für die Mutter einer Göttin!"
"Eine schöne Göttin hab ich da als Tochter", fuhr die alte Frau mit einem Mal auf, gerade so, als hätte sie nur auf einen Anlass gewartet, ihren Ärger zu entladen. "Mutter, du musst dir keine Sorge machen. Wir gehen nach Würdentracht. Ich weiss, dass ein starker Glaube hinter mir steht. Ich kann mich da nicht irren," äffte sie die Redeweise ihrer Tochter nach. "Und wir alle - ich, dein Bruder und er - ", wobei sie auf den lauernden Schatten deutete, "haben dir vertraut und uns auf diese beschwerliche Reise eingelassen. Sind mit dir nach Würdentracht. Und was dann? Eine simple Aufgabe sollst du erfüllen. Und du!? Du musst ja alles versauen. Mit diesem Scheisssatz, von wegen, dass hier ja auch sonst keiner seine Göttlichkeit vorturnen müsse, und so. Ich mein: Was hat denn Fräulein "Ich-bin-mir-zu-gut-für-die-Welt" geritten, als sie diesen Satz gesagt hat, hä!? Du solltest doch nur diese zwei Steine in Staub verwandeln, die dieses Krokodil in der Hand hatte. Zwei lumpige Steine. Dürfte für'ne anständige Göttin doch nicht die Aufgabe sein, mein' ich. Aber nein, Fräulein "Zickmich" muss ja wieder die Bessere-von-uns spielen: "Oh nein, das kannst du doch nicht von mir verlangen!?" Was für'n Scheisssatz gegenüber einem Gott." Sie brach ab, weil ihre Tochter mit vor Wut flammendem Gesicht aufgesprungen war.
"Was verstehst DU von diesen Dingen? Das war eine Falle!" Und als ihre Mutter verächtlich schnaubte, fuhr sie fort: "Das, was für dich nur "zwei Steine" sind, das waren die Tafeln mit den Regeln für das richtige Schreiben. Wie soll ich, Regula Scribens, die Göttin des regelgerechten Schreibens, weiterhin Göttin sein, wenn ich die Tafeln mit den Regeln des Schreibens geradewegs in den Orkus geschmettert habe?" Nach einer Pause fuhr sie fort: "Das war alles ein abgekartetes Spiel. Aber ich werde beweisen, dass ich göttliche Macht habe. Und dann werde ich zurück kommen..."

Vorspiel 2: In der Stadt

"Aber Laurenzia-Schätzchen, ich habe es dir doch schon hundertmal gesagt: Es gibt keine "Mein-kleiner-Bruder-soll-sich-in-Luft-auflösen-Gute-Fee", egal, wie viele Süßigkeiten du noch unter sein Kopfkissen legst, damit sie ihn mitnimmt. Er hat doch dein Schulheft nicht mit Absicht in das Abwaschwasser geworfen. Er ist doch noch so klein. Und jetzt hör endlich auf zu schmollen und vertrag dich wieder mit ihm." Die junge Frau beugte sich über das Bett ihrer Tochter, doch diese hatte ihr den Rücken zugewandt und sich fest in ihre Decke gewickelt, so, dass sie wie in einem Kokon jenseits dieser Welt lag. Über ihren Kopf hatte sie ganz fest das Kissen gezogen, damit sie ihre Mutter nicht hören konnte. Innerlich aber kochte sie vor Wut über ihren dummen, kleinen Bruder, der die ganze Aufmerksamkeit der Eltern magisch zu absorbieren schien. Mit der ganzen Kraft ihres Herzens wünschte sie sich, dass ihre Mutter endlich das Licht löschen und gehen möge.
Frau Grobhelm seufzte resigniert, da sie den Starrsinn ihrer achtjährigen Tochter kannte. Mit einer zärtlichen Geste tätschelte sie den ihr abgewandten Rücken, dann verlies sie den Raum.

"Und, hat sie sich wieder beruhigt?" Mit diesen Worten empfing Fred Grobhelm seine Frau, als diese ins Wohnzimmer kam.
"Ach, Fred, du kennst sie doch. Sie hat sich schon wieder in eine neue, fixe Idee verrannt. Jetzt glaubt sie an eine Fee, die - wenn man sie nur lang genug mit Süßigkeiten ködert - unartige kleine Brüder in ihr Schloss in den Spitzhornbergen holt und sie dort zu artigen, kleinen Buben macht." Meritia Grobhelm seufzte wieder. Ihr Mann trat zu ihr und zog sie tröstend in seine Arme.
"Ach, Tia, das wird schon wieder. Du kennst doch unsere Tochter. Das ist doch nicht die erste absurde Idee, an die sie glaubt. Erinnere dich doch daran, dass sie letztes Jahr felsenfest geglaubt hat, das Kröten in Kellern wachsen, nur weil wir ein oder zwei - oder vielleicht auch ein paar mehr - von ihnen im Keller hatten. Und dann die Vorstellung, wenn man die Augen schließt, dann kann man fliegen. Sie ist extra heimlich aufs Dach geklettert, um uns davon zu überzeugen." Er lachte leise.
Auch seine Frau lächelte, wenn auch weniger überzeugt. "Vielleicht hast du Recht, Fred. Von dieser Göttin des regelgerechten Schreibens, die angeblich schlechte und ungläubige Lehrer tötet, mit der sie uns im letzten Monat in den Ohren lag, haben wir ja auch nichts mehr gehört." Nach einer Weile fuhr sie fort: "Ich frage mich nur manchmal, wie eine so kleine Person so unheimlich fest und stur an etwas glauben kann. Vielleicht ist ja der Geist meiner Urgroßmutter in sie gefahren. Wenn ja, dann haben wir noch viel Freude vor uns."
Beide schwiegen, in Gedanken an die alte Marta "Prügelt-den guten-Glauben-an-Om-in-die -ungläubigen-Dorfnachbarn-hinein" versunken, deren Glaubenseifer selbst in ihrem Heimatort in Omnien legendär gewesen war. So legendär jedenfalls, dass der zuständige Unterdekan die nächsten drei Monate Om auf Knien dankte, als die Famile eines Tages beschloss, nach Ankh-Morpork zu ziehen.

des Vorspiels dritter Teil

Eine Woche später beherrschte ein abendlicher Nebel, der alle Geräusche dämmte und die Welt in ein weißes, wollenes Vlies zu hüllen schien, die größte Stadt der Scheibenwelt.
Petulia Bocksbeute, die die Rekrutenausbildung bei der Wache abgeschlossen hatte und sich immer noch nicht darüber im Klaren war, welcher Abteilung sie nun beitreten sollte, hatte die Schreibfeder sinken lassen und schaute versonnen aus dem Fenster ihres kleinen Zimmers unter dem Dach, als es leise an ihrer Tür klopfte. Sie hatte gerade den letzten Tag für ihr Tagebuch bilanziert und hatte eigentlich mit den (wenigen) Ereignissen des heutigen Tages fortfahren wollen.
Als sie öffnete, blickte sie in das feiste Gesicht ihrer Vermieterin, Madame Geschwätzig, in deren gut gehender Näherinnenstube Petulia seit ihrem Einzug in die Stadt wohnte, hinter der sich ein kleiner, grauhaariger und seltsam schüchtern wirkender Mann herum drückte, der - soweit sie das über Madame Geschwätzigs Schulter sehen konnte - verlegen eine Mütze mit den Händen knetete.
Ein wenig verwundert schaute sie die Frau an, als diese meinte: "Kindchen, ich weiß ja, dass du nicht beim Schreiben gestört werden willst, aber der Mann hier," mit einer weit ausholenden Handbewegung bugsierte sie den Widerstrebenden um ihren ausladenden Körper herum zur Türschwelle, "meinte, es sei ein dringender Fall. Und nein, Petulia, er hat dich nicht mit einer meiner anderen Mieterinnen verwechselt. Er möchte mit jemandem von der Wache sprechen, und er meint, es sei sowohl gefährlich, als auch dringend und absolut diskret zu verhandeln." Und um zu erklären, warum er überhaupt hier war, fügte sie hinzu: "Er ist ein Halbcousin dritten Grades mütterlicherseits von der Halbschwester meiner Großtante väterlicherseits. Also niemand, mit dem ich jemals in geschäftlichen Verbindungen gestanden habe. Ach ja, er heißt Pester Lozzi." Sie schob ihn über die Schwelle an Petulia vorbei und drehte sich zum Gehen. Über die Schulter gewandt fügte sie noch mit einem Augenzwinkern hinzu: "Am besten bringe ich euch beiden noch eine Kanne Tee - reden macht meist durstig, und für Scherry ist es noch ein wenig früh."
Petulia nickte und wies den verlegen im Raum stehenden Besucher auf einen zweiten Stuhl, der in der Ecke neben ihrem Tisch stand hin. Dann setzte sie sich selbst und blickte fragend zu ihrem Gegenüber.
Dieser räusperte sich umständlich und begann leise: "Äh, meine Muhme hat mich ja schon vorgestellt. Ich bin in der Tat Herr Pester Lozzi. Ich weiß, dass Sie für die Wache arbeiten und ich habe den Verdacht, dass sich in meiner Umgebung grässliche Dinge abspielen. Aber ich will nicht offiziell mit der Wache in Kontakt treten", winkte er ab, als Petulia zu einem Einwand den Mund öffnete. "Sehen Sie, ich muss größten Wert auf meinen guten Ruf legen, Fräulein. Ich bin nämlich Privatlehrer für antike und ältere Sprachen. Und auch ein angesehenes Mitglied in der Gilde der Lehrer. Ich bin dort Schriftführer. Zweiter stellvertretender Aushilfsschriftführer für den Seelenkuchendienstag in Schaltjahren, um genau zu sein. Und jemand, der mit der Erziehung der Jugend aus den besseren Kreisen betraut ist, tut gut daran, sich einen ab-so-lut untadeligen Ruf zu bewahren."
Er verstummte und gab Petulia somit die Gelegenheit, ihrerseits zu versichern, dass sie sich sein Anliegen erst einmal unter der Wahrung allergrößter Diskretion anhören werde. "Ich kann Ihnen allerdings nur zusichern, dass ich nichts leichtfertig unternehmen werde, das Ihnen schaden kann." Sie fuhr fort: "Diskretion kann nämlich nicht heißen, den Mantel des Schweigens über ein Verbrechen zu decken; sie darf nur dazu dienen, die Unschuldigen zu schützen."
In der nun entstandenen Stille war das Erscheinen von Madame Geschwätzig, die den Tee brachte, eine willkommene Unterbrechung. Nachdem beide mit dem heißen Getränk versorgt waren, griff Herr Lozzi sein Anliegen wieder auf.
"Es ist so, Fräulein Bocksbeutel, ich will gleich zur Sache kommen. Seit einer Woche mache ich mir große Sorgen um die Gilde, denn drei Mitglieder sind mittlerweile tot: Herbert Schlämmkreide, Profetia Turnbeutel und Paul Zahlrübe. Alle drei verdienstvolle, ältere Mitglieder."
"Wie alt?", fragte die Wächterin. "Und: Woran sind die gestorben?"
"Das eben ist das Eigenartige daran: Alle drei starben eines anscheinend natürlichen Todes. Und bei allen Dreien wurde nichts unternommen, weil keiner von ihnen jünger als 80 Jahre alt war. Aber Frau Turnbeutel war putzmunter. Die war zwar schon 92 Jahre alt, aber immerhin Juniormitglied in einem Volkstanzkreis der pensionierten Lehrerinnen. Und auch Herr Zahlrübe hatte nur eine Erkältung, als sie ihn tot im Bett fanden. Und bei Herrn Schlämmkreide, den ich vorletzte Woche noch besucht habe, war kein Anzeichen von Schwäche oder so zu sehen. Er hat immer noch jeden Morgen seine Turnübungen am offenen Fenster gemacht."
"Aber es muss doch noch mehr Gemeinsamkeiten gegeben haben, als die Tatsache, dass es sich hier am alte, ehemalige Lehrer gehandelt hat", meinte Petulia nachdenklich. "Gab es Überschneidungen in ihren Lebensläufen, wohnten sie in derselben Gegend, hatten sie gemeinsame Bekannte?"
"Natürlich andere Lehrer", entgegnete Herr Lozzi. "Sonst habe ich nichts gefunden. Außer vielleicht", er stutzte einen Moment nachdenklich, "alle drei hatten viel über ihren Beruf nachgedacht. Und allen Dreien war gemeinsam, dass sie sich manchmal ketzerisch über unseren Beruf äußerten. Mochten nicht immer den Sinn von Regeln einsehen. Frau Turnbeutel meinte mal zu mir, dass man Kindern gegenüber nur solche Regeln durchsetzen solle, die man auch begründen könne. Und zwar nicht nur mit dem törichten und albernen Satz, dass etwas so sei, weil es so sei. Aber ich meine, wenn jeder tot umfällt, der an den Regeln zweifelt, Fräulein Bocksbeutel ..."
"... dann wären Sie und ich vermutlich auch schon nicht mehr am Leben", lauteten munter Petulias letzte Worte.



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"Und über die Todesursache - beziehungsweise darüber, dass es keine äußeren und inneren Anzeichen für ein Fremdverschulden gibt - da bist du dir ganz sicher?", fragte der Kommandeur der Wache den vor ihm sitzenden Gerichtsmediziner.
Oberleutnant Pismire nickte: "Ja, so seltsam es scheint und so sehr alle Umstände dagegen sprechen: Aber sowohl Jack als auch ich - und bei einem solchen Fall hielten wir die Obduktion zu zweit für absolut notwendig - haben keine Anzeichen für äußerliche oder innerliche Verletzungen gefunden. Das Labor hat erst seine üblichen und dann auch noch seine unüblichen Testreihen erfolglos abgeschlossen. Im Tatort selber war nichts zu finden. Ihre Vermieterin wurde gründlich befragt - ebenfalls ohne Ergebnis. Auch die anderen jungen Frauen, die in dem Haus wohnen, konnten uns nicht weiterhelfen." Er rieb sich mit einer müden Geste den lagen und knochigen Nasenrücken. Dann blickte er zu dem Vampir, der grimmig auf den Bericht starrte.
"Es scheint also, als sei die Gefreite Bocksbeutel einfach so", er wedelte vage mit der Hand in der Luft herum, "mitten im Gespräch tot vom Stuhl gefallen. Und mit ihr auch ihr Gesprächspartner, Herr Pester Lozzi, Privatlehrer für antike Sprachen und stellvertretender Schriftführer (Aushilfsschriftführer für den Seelenkuchendienstag in Schaltjahren, wie man dort betonte) der Gilde der Lehrer - ebenfalls ohne jegliche Anzeichen von äußerer Gewalteinwirkung. In einem Raum, der von innen verschlossen war."
"Magie?", fragte der Kommandeur.
"Laut unseren Experten: negativ. Auch - bisher - keine Anzeichen für seltsame Kulte, Rituale oder sonstigen Unfug", lautete das Resumee.
"Göttliches Einwirken?"
"Tja, meinst du allen Ernstes, Kommandeur, dass es einen Gott gibt, der dafür verantwortlich sein kann?"
"Pismire, wer weiß schon, was es alles für Götter gibt."
Nach einer kleinen, dem Thema angemessen kurzen und ungläubigen Pause kamen die beiden wieder zum Tagesgeschäft zurück.
"Wie dem auch sei, Oberleutnant, hiermit beauftrage ich dich mit dem Fall. Immerhin können wir es nicht einfach so hinnehmen, dass so mir-nichts-dir-nichts tote Wächterinnen gefunden werden. Ich will eine gründliche Untersuchung. Such dir ein Team aus allen Abteilungen zusammen."
"Hast du da an bestimmte Leute gedacht?", fragte der Schamane seinen Kommandeur.
"Tja, du weißt selbst, dass wir - wie immer - knapp mit Leuten sind, und das auch noch andere Fälle unsere ganze Aufmerksamkeit erfordern. Um diese Uhrzeit würde ich das folgende Verfahren vorschlagen: Schau dich einfach in der Kantine um. Wer dort um diese Uhrzeit herumlungert, hat das ja wohl freiwillig getan."
Pismire nickte grinsend, salutierte knapp und machte sich auf den Weg zu den 'Freiwilligen' und Mitgliedern des neu gegründeten Ermittlungsteams.

Zehn Minuten stand er vor den acht Wächtern seines Teams: den Gefreiten Mina von Nachtschatten und Mimosa, beide verdeckte Ermittlerinnen bei RUM, Obergefreitem Septimus Ebel, einem weiteren verdeckten Ermittler, den Gefreiten Onyx (Verkehrsexperte) und Bjorn Bjornson (Rechtsexperte), sowie den Szene-Kennern Hauptgefreiter Damian G. Bleicht und Lance-Korporal Scoglio von SEALS und Korporal Hatscha al Nasa, die mit ihren umfangreichen Kenntnissen von DOG für diesen Teil der Ermittlungen vorgesehen war.
Mit kurzen Worten fasste er den Fall zusammen: "Wie sich vermutlich bereits herumgesprochen hat, wurde eine Kollegin von uns, Gefreite Petulia Bocksbeutel, die eben erst ihre Ausbildung bei GRUND erfolgreich druchlaufen hatte, vor vier Tagen tot aufgefunden. Zusammen mit ihr fand sich eine weitere Leiche: Herr Pester Lozzi, ein Lehrer. Beiden gemeinsam ist, dass es keine Anzeichen für ein Fremdverschulden gibt. Beide hatten sich zum Zeitpunkt des Todes in einem bewohnten Haus befunden, in einem Zimmer, dass von innen verschlossen war und dessen Schlüssel steckte. Die Befragung der Hausbewohnerinnen, einer gewissen Madame Geschwätzig - Leiterin einer Nähstube - und den anderen Damen hat nichts Ungewöhnliches ergeben, ihnen ist nichts Befremdliches aufgefallen. Der zweite Tote ist ein entfernter Verwandter der Madame, der dringend mit einem Mitglied der Wache vertraulich reden wollte - mehr wusste sie auch nicht. Beide haben so leise gesprochen, dass sie auch beim Hereinbringen einer Kanne Tee nicht mitbekommen hat, worum es ging. Als sie nach vier Stunden kein Lebenszeichen aus dem Raum mehr hörte, wurde sie misstrauisch. Sie verschaffte sich Zutritt zum Zimmer, indem sie den im Schloss steckenden Schlüssel herausstieß und ihren eigenen Nachschlüssel benutzte, fand die beiden Leichen und rief sofort die Wachen. Den Rest kennen wir."
Er sah in die aufmerksamen Gesichter seiner Zuhörer. "Die Tatsache, dass beide scheinbar auf der Stelle tot waren, spricht deutlich gegen einen Zufall. Der Kommandeur hat mir die Ermittlungen übertragen und mich mit der Bildung eines Ermittlungsteams" - er deutete in die Runde - "beauftragt. Als Erstes brauchen wir mehr Informationen über: Lozzi und die Gilde der Lehrer und seine Aufgaben dort, das Haus in der Zinnstraße, in der die Gefreite Bocksbeutel gewohnt hat sowie über die Besitzerin dieser Pension, Madame Geschwätzig und über ihre Damen. Und wir müssen heraus bekommen, was Lozzi für ein Anliegen hatte. Noch Fragen?" Er blickte sich in der Runde um.

14.10.2007 13: 56

Mina von Nachtschatten

Köpfe wurden geschüttelt, hier und da erklang ein leises Räuspern aber ansonsten sagte keiner etwas.
Niemand war besonders begeistert gewesen, als der Oberleutnant wenige Minuten zuvor plötzlich in der Kantine gestanden, nacheinander auf die anwesenden Wächter gedeutet und "Mitkommen!" gebrummt hatte, aber die anfängliche Skepsis und bis zu einem gewissen Grad auch Resignation[1] war schnell Erschrecken und dann einem betroffenen Schweigen gewichen. Es war immer etwas anderes, wenn ein Kollege ums Leben gekommen war, auch wenn man diesen, oder in dem Fall diese, kaum gekannt hatte. Zumal man hier von einem nicht natürlichen Tod ausgehen musste.
Pismire musterte die Reihe der Wächter, doch da immer noch niemand Anstalten machte, von sich aus irgendetwas zu tun, hob er erneut die Stimme: "Wir teilen uns also in zwei Gruppen auf, vier von euch werden sich zur Gilde der Lehrer begeben um dort alles in Erfahrung zu bringen, was zur Lösung dieser Angelegenheit beitragen könnte. Befragt jeden, der etwas mit Lozzi zu tun gehabt haben könnte, und sei es der Hausmeister oder die Putzfrau. Sollte sich irgendjemand auch nur eine winzige Spur verdächtig verhalten, ist mir das umgehend mitzuteilen. Den Gildenvorsitzenden werde ich mir derweil persönlich vornehmen. Freiwillige?"
Der Gefreite Bjorn Bjornson salutierte zögerlich.
"Sir", meinte er dann, "Ich möchte mich und den Gefreiten Onyx für die zweite Gruppe melden und das Haus in der Zinnstraße aufsuchen." Genau zwei Gründe hatten den Zwerg zu dieser Entscheidung bewegt: Zum einen wollte er die sich bietende Gelegenheit nutzen, um mit seinem besten Freund bei der Wache zusammen zu arbeiten und zum anderen erfüllte ihn der Gedanke, sich in ein Gebäude voller Lehrer zu begeben, mit einem diffusen Unbehagen.
Der Oberleutnant seufzte.
"Danach habe ich zwar nicht gefragt, aber na gut. Gibt es dann vielleicht noch zwei Freiwillige für diese Gruppe?"
Sechs Hände schossen in die Höhe, die Aversion gegen Pädagogen war ein offensichtlich weit verbreitetes Phänomen.
Pismire schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Warum nur drängte sich ihm gerade der Vergleich auf, dass es hier wie in der Schule zuging? Kein Wunder, dass sich niemand freiwillig in die Nähe von Lehrern begeben wollte.
"Eure Eigeninitiative ist wirklich bemerkenswert!" Er warf strafende Blicke in die Runde. "Schön, dann lege ich Folgendes fest: Korporal al Nasa wird als höchstrangige Wächterin für die Gruppe in der Zinnstraße die Verantwortung übernehmen und dabei von Lance-Korporal Scoglio unterstützt werden. Und der Rest von euch steht unter meiner Leitung, während wir in der Gilde der Lehrer ermitteln werden." Vier Wächter zuckten unter dem Wort zusammen und setzten schicksalsergebene Mienen auf, während die Blicke ihrer Kollegen eher mitleidig ausfielen.
Welche aber wohl nicht mehr bemerkt worden waren, da sich die zweite Gruppe nach Abschluss der Aufteilung schleunigst auf den Weg gemacht hatte und schon in die nächste Gasse einbog. Wer wusste schon, ob es sich der Oberleutnant sonst nicht noch einmal anders überlegen würde?

15.10.2007 19: 44

Septimus Ebel

Während Pismire mit dem Gildenleiter Theo Retisch in dessen Büro verschwunden war, sahen sich Sepimus, Mina und Damien in dem Gebäude um. Da es Vormittag war und die Schüler sich in den Klassenräumen aufhielten, konnten sie dabei ungestört vorgehen. Ohne sich wirklich abzusprechen, teilte die Gruppe sich auf. Jeder ging seinen eigenen Weg, musste mit seinen eigenen Erinnerungen fertig werden, die durch dieses Umfeld ausgelöst wurden.
Letzte Bank, hinten links, gleich neben dem Fenster, das die Sicht auf einen verlassenen Pausenhof freigab. Er hatte sich immer bemüht, möglichst unauffällig durch den Unterricht zu schweben. Dem Lehrer möglichst nie direkt in die Augen sehen, gleichzeitig so zu tun, als wäre man interessiert, das war eine wichtige Regel. Die fünfte Klasse zweimal gemacht, dann unter Hängen und Würgen jedes Jahr eine Stufe hoch gekrochen. "Der Junge ist nicht dumm", hatte seine Lehrerin Fräulein Allerhand seine Eltern getröstet, "intelligent ist er schon, es fehlt ihm nur ein bisschen an Motivation." Dass diese Sache mit der Motivation mit der Initiative der Lehrer zusammenhängen könnte, darauf kam nie einer von ihnen. Das hätte bedeutet, die bisherige Praxis anzuzweifeln. Ein Sakrileg in der Schulwelt. Wenn man damit anfing, dann müsste man sich als nächsten dafür rechtfertigen, dass zwei mal zwei vier waren. Mathe war die absolute Härte, hatte er nie verstanden, hatte ihm Tränen in den Augen und Nächte der Verzweiflung beschert. Die, die Spaß daran hatten, waren dem Gnom grundsätzlich suspekt. Mathe war, als würde jemand mit ihm Achatisch sprechen. Die ganze Tafel voll mit Hieroglyphen, das Gesicht von Herrn Malzahl feuerrot, wenn man ihre Bedeutung nicht wusste. Einundzwanzig Fragen und nicht eine richtig. Herr Malzahl sagte Sachen zu ihm, die er nie vergessen würde. In seinen Augen war er ein Unwürdiger, tauge nicht einmal zum Straßen-Fegen. Die Lehrer sagten, dass es zu Ende gehen würde, wenn man tat, was sie wollten. Diese machthungrigen Sadisten, Alkoholiker und Psychopathen wären im wirklichen Leben allesamt in der Geschlossenen gelandet. Sie sagten auch, dass die Zukunft für die Fleißigen offen stehe. Kein Schüler hatte eine Ahnung, was das bedeuten sollte. Die Zukunft machte ihnen keine Sorgen. Jeden einzelnen Tag zu und vor allem dem Spott seiner Mitschüler zu überstehen, das war für Septimus wichtig. Es funktionierte nicht immer. Und so wurde seine Mutter oft zu Fräulein Allerhand gerufen, die schimpfte: "Ihr Sohn hat schon wieder alles kurz und klein geschlagen, Frau Ebel! Und das nur, weil sein Mitschüler Kai Neahnung darauf bestand, dass Fotosynthese ein Verfahren zur Käseproduktion ist!"

17.10.2007 14: 15

Onyx

Als Onyx Gruppe sich auf den Weg machte, war er sehr froh, da er Lehrer nicht ausstehen konnte. Auch in den Gesichtern der Anderen spiegelte sich Erleichterung wieder. Auf dem Weg zu dem Haus redete Onyx noch ein bisschen mit Bjorn. Als sie angekommen waren, sagte Korporal al Nasa: "Onyx, Bjorn. Ich und Scoglio werden jetzt in dieses Haus gehen. Ihr beide werdet es bewachen. Bjorn, du gehst an den Hinterausgang, Onyx, du bleibst hier!"

20.10.2007 18: 53

Pismire

Theo Retisch entpuppte sich als kleines, graues, trockenes Männchen, das darüber hinaus die unangenehme Eigenschaft hatte, ständig mit dem Fingernagel über ein Stück Kreide, das er stets bei sich trug, zu streichen und so ein derartig abscheuliches Geräusch zu erzeugen, dass sich dem Oberleutnant die Nackenhaare sträubten, und das darüber hinaus schier gar nichts zu wissen vorgab. In Gedanken machte er sich eine Notiz, dass jegliche weiteren Gespräche mit dieser Person von einem rangniedrigeren Wächter geführt werden würden. "Und überhaupt", dachte er bei sich, "was treibt sich Korporal Nasa in dieser Pension herum und kriegt bei dieser Madame Geschwätzig wahrscheinlich Tee oder Besseres angeboten, und ich plage mich hier mit einer Schar paralysiert wirkender Wächter mit akuten Anfällen von Didaskylophobie [2] herum, und muss mir darüber hinaus die Ausflüchte von diesem grauen, trüben Männchen anhören."
Laut aber sagte er: "Dir ist sicher bekannt, Herr Retisch, dass ein Mitglied deiner Gilde, Herr Lozzi, unter extrem verdächtigen Umständen in einem Haus mit mehr als fragwürdigem Ruf und zusammen mit einem weiblichen, ebenfalls toten Wächter aufgefunden wurde. Dir sollte auch klar sein, dass kein Wächter, der den Namen verdient, Ruhe geben wird, bevor der Fall nicht zufriedenstellend geklärt ist. Ich würde dir also dringend empfehlen, deine Haltung ein wenig", er hüstelte, "kooperativer zu gestalten. Also noch einmal von Vorne: welche ungewöhnlichen Vorkommnisse in deiner Gilde haben dazu geführt, dass dein Zweiter stellvertretender Aushilfsschriftführer für den Seelenkuchendienstag in Schaltjahren eine Wächterin, die er vorher noch nie gesehen hat, privat aufsuchte und dabei ums Leben kam?"
Retisch starrte den Schamanen wütend an, der seinen Blick eindringlich und ohne zu Blinzeln erwiderte. Dann legte Retisch das Stück Kreide, das sich Pismire umgehend schnappte und zufrieden in den neben dem Schreibtisch stehenden Papierkorb pfefferte, aus der Hand und räusperte sich.
"Nun, Oberleutnant, ich glaube, Lozzi hatte sich da in etwas verrannt. Er schien in der letzten Woche vor seinem Tod ausgesprochen beunruhigt zu sein. Sprach kaum, wollte nicht einmal mehr seine Sammlung alt-morporkianischer Rinnsteininschriften neu sortieren - eine Tätigkeit, die ihm doch sonst so große Freude gemacht hat. Alles begann - so scheint es mir nun - mit dem Tod des alten Herbert Schlämmkreide angefangen. Als dann auch noch Profetia Turnbeutel und Paul Zahlrübe in der selben Woche starben - und zwar jeweils am darauf folgenden Tag - da wurde Lozzi immer verschlossener. Hat sich stundenlang im Archiv eingeschlossen. Mein Hausmeister, Herr von Schruppenstein, hat ihn dabei ertappt, wie er die Namen in die Pulte im Versammlungsraum mit einem Federmesser eingeritzt hat." Retisch schnaubte voller Verachtung. "Dafür musste er natürlich einen Nachmittag nachsitzen. Und zwar pro Name je einen Nachmittag im Karzer." Er wies wage in Richtung der Keller und schüttelte entsetzt den Kopf. "Ich meine: Ein verantwortungsvolles Mitglied der Gilde, ein Schriftführer, und führt sich auf, wie der letzte Schulrabauke. Da hätte er ja auch gleich mit Papierkügelchen schießen können! Oder die Kreide nass machen! Oder Kaugummi unter das Pult kleben!" Bevor Retisch sich in den Abgründen schülerlichen Fehlverhaltens verlieren konnte, brachte Pismire ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
"In WAS hat er sich denn nun verrannt?", wollte er wissen.
Der Anführer der Gilde zuckte mit den Schultern. "Das wollte er auch nach dem Nachsitzen nicht sagen. Wir haben ihm deswegen noch einmal eine Woche Karzer aufgebrummt. Außerdem musste er einhundert mal den Satz schreiben: "Ich darf die Tische im Gildengebäude nicht mit dem Federmesser beschädigen!" Oh, den hätten wir schon weich bekommen."
Innerlich schüttelte Pismire den Kopf. Dann fragte er: "Hat Lozzi hier in der Gilde auch ein Zimmer gehabt?"
"Nein", lautete die Antwort, "er wohnte in einem Zimmer im Mondteichweg. Das Haus gehörte seinen Eltern. Er hat alles vermietet - bis auf ein Zimmer unter dem Dach, wo er lebte."
"Das heißt, er hätte gar nicht arbeiten müssen?", fragte Pismire.
"Ja, Oberleutnant, von Hause aus war er nicht unvermögend, aber er hatte geradezu den Drang, die alten Sprachen an die begeisterte Jugend weiter zu geben."

Als er das Büro des Gildenleiters verlassen hatte, stellte Pismire fest, dass seine Ermittlungsgruppe sich offensichtlich in alle Winde zerstreut hatte. In Gedanken zählte er die vier Wächter ab, dann brüllte er: "GEFREITE MIMOSA, GEFREITE VON NACHTSCHATTEN, SOFORT IN DIE EINGANGSHALLE!"
Er hatte vor, die beiden Ermittlerinnen in den Mondteichweg zu schicken, um sich unauffällig über Pester Lozzi zu erkundigen. Er selber würde Korporal al Nasa im Zinnweg ablösen, da er den Eindruck hatte, dass jemand, der über die Gilden der Stadt mehr im Bilde war, hier in diesem Gebäude erfolgreicher sein konnte.

21.10.2007 17: 02

Mina von Nachtschatten

Krachend ging eine Schale zu Boden und die darin befindlichen unzähligen grünen, weißen und blauen Kreidestückchen kullerten in alle möglichen Richtungen davon. Die durchdringende Stimme des Oberleutnants hatte wohl jeden im Gebäude aus seiner jeweiligen Beschäftigung aufschrecken und herumfahren lassen, ungünstig war nur, dass es in solch einer plötzlichen Bewegung leicht geschehen konnte, dass man unfreiwillig etwas mitriss. Hastig sammelte Mina die am Boden liegende Kreide wieder zusammen, wobei sie notgedrungen auf jene Exemplare verzichten musste, die ihren Weg unter den Schrank des Klassenzimmers gefunden hatten. Warum hatte man diese Schale auch am äußersten Rand des Tisches platziert? Das provozierte solche Zwischenfälle ja geradeheraus!
Nachdem das Malheur notdürftig beseitigt war, beeilte sich Mina aus dem Raum und die Treppe hinunter zu kommen. Oberleutnant Pismires Stimme hatte nicht unbedingt von guter Laune gesprochen und es war wohl ratsam, es nicht auf einen Versuch ankommen zu lassen.
Die Stufen schienen kein Ende nehmen zu wollen, denn natürlich hatte sich das Klassenzimmer, in dem der verstorbene Pester Lozzi für gewöhnlich unterrichtet hatte, im obersten Stockwerk des Gildengebäudes befunden. Ein reichlich griesgrämig dreinblickender Lehrer, unschwer zu identifizieren an Brille und schwer beladener Ledertasche, hatte ihr auf eine entsprechende Frage hin das Zimmer genannt und die Vampirin hatte sich nur einmal umsehen wollen, als auch schon das Brüllen Pismires durch das Gebäude getönt war.
Im ersten Stock traf sie mit ihrer Kollegin Mimosa zusammen, welche erschrockenen Blickes aus einem angrenzenden Gang geschlittert kam, gefolgt von Nachhall einer zeternden Stimme: "AUF DEN GÄNGEN WIRD NICHT GERANNT!"
Gemeinsam polterten sie die letzten Stufen hinunter und kamen schließlich mehr schlecht als recht vor einem ungeduldig mit dem Fuß wippenden Oberleutnant zum Stehen.
"Darf man fragen, was ihr solange gemacht habt?" Er ließ ihnen allerdings keine Zeit um eine angemessene Antwort zu formulieren sondern fuhr gleich fort: "Ihr werdet euch in den Mondteichweg begeben, Lozzi hatte dort ein Haus, schaut euch in seinem Zimmer um und befragt die Nachbarn sowie sämtliche Mieter. Ich will alles über diesen Mann wissen!"
Mit einem Kopfnicken bedeutete er den beiden Wächterinnen zu gehen und die ließen sich das auch nicht zweimal sagen, heilfroh aus dem Gildenhaus heraus zu kommen.
Auf der Straße atmete Mimosa erst einmal tief durch.
"Nie wieder Lehrer!", murmelte sie, "Die verlangen immer zuerst, dass man Lesen und Schreiben kann, sonst ist man nichts! Selbst jetzt wollte mir so eine Alte ein paar Sätze an der Tafel diktieren, dass ich zur Wache gehöre war ihr egal!" Die junge Ermittlerin schüttelte sich. "Warst du eigentlich mal auf einer Schule?", fragte sie dann unvermittelt.
Mina schüttelte den Kopf. "Unser Igor hat mir das Nötigste beigebracht und außerdem hatten wir eine ganz passable Bibliothek. Allerdings hatte ich einen Privatlehrer, der einige Jahre lang krampfhaft versuchte mir das Klavierspielen beizubringen." Die Vampirin verzog das Gesicht. "Es war die Hölle. Zumal man beim Privatunterricht immer das einzige Opfer ist. Da erscheint einem so eine Schulklasse um vieles lukrativer."
"Da kann ich nichts dazu sagen", brummte Mimosa.

Es war ein gutes Stück Weg von der Lehrergilde bis in den Mondteichweg, aber schließlich standen die beiden Wächterinnen am Anfang der nicht gerade übersichtlichen Straße.
"Gut, welche Nummer hat das Haus von Lozzi?"
Mimosa überlegte kurz, zuckte dann aber etwas hilflos mit den Schultern. "Davon hat der Oberleutnant nichts gesagt."
Seufzend ließen sie den Blick über eine schwer zu schätzende Zahl von Eingängen und Fassaden gleiten, die sich zu beiden Seiten einer endlos scheinenden Straße dahinzogen.
"Na das kann ja heiter werden!"

21.10.2007 19: 36

Mimosa

Ratlos standen die beiden Gefreiten am Beginn der Straße. Mimosa warf einen hoffnungsvollen Blick auf die erstbeste Hauswand, aber statt des erhofften Namensschildes erblickte sie lediglich ein Fresko unterschiedlichster Farb- und Dreckschichten, garniert mit ein paar geschmackvollen Klecksern Taubendreck. "Ähm", verkündigte sie, was eine sehr treffende Zusammenfassung ihrer bisherigen Bemühungen war.
Mina schenkte ihr einen resignierten Blick. "Du rechts, ich links?" schlug sie vor. Mimosa zuckte nichtssagend mit den Schultern. Blieb Ihnen etwas anderes übrig? Weit und breit war kein Passant zu sehen.
Missmutig trottete sie zu dem zuvor bereits beäugtem Haus, stellte sicher, dass Streicher seine vorwitzige Schnauze nicht aus ihrer Kapuze herausstreckte, und hämmerte kräftig gegen die Haustür. Nichts.
Sie zählte innerlich bis zehn.
Nada.
Hinter sich hörte sie Mina sprechen.
Erneut trommelte sie auf die unschuldigen Bohlen ein, und -halleluja!- sie wurde mit dem Geräusch schlurfender Schritte belohnt. Enervierend langsam öffnete sich die Tür. Mimosa erwartete beinahe ein stilechtes Krächzen, das aber nicht erklang. Dafür ertönte ein trockenes Husten, und eine lange Nase schob sich durch die etwa fünfundzwanzig Zentimeter weit geöffnete Haustür, gefolgt von einem blassen, faltigen Gesicht mit trüben Augen.
"Jaaaaah?" fragte der Hausherr misstrauisch.
"Stadtwache, Gefreite Mimosa", sagte sie zackig und zeigte ihre Dienstmarke. Der Mann griff doch tatsächlich danach!
"Ahahahaha. Ahja."
Misstrauisch untersuchte der ältere Herr das geprägte Stück Metall, und Mimosa begann sich schon ernsthaft zu fragen ob sie sie noch in diesem Jahrhundert zurück bekäme (da sich das Jahrhundert eh dem Ende zuneigte, war diese Frage durchaus berechtigt).
Schließlich war der Mann von der Echtheit überzeugt, streckte seine Hand aus und ließ sie fallen. Mimosa konnte sie gerade noch aus der Luft fangen.
"Und womit kann ich dienen, junges Fräulein?"
Mimosa grummelte inwendig,aber bleib trotzdem bemüht höflich.
"Kennen Sie Herrn Pester Lozzi und seine genaue Adresse?"
Der ältere Herr beugte sich neugierig vor und streckte seinen Kopf zur Tür raus.
"Nein! Also wirklich. In [i]unserer[/i] Nachbarschaft! Was genau hat er verbrochen?" Seine Augen funkelten erregt.
Mimosa warf einen raschen Blick über die Schulter. Mina war in ein augenscheinlich sehr erregtes Gespräch mit einer Anwohnerin vertieft und schien ihre eigenen Probleme zu haben. Ab und an schallten Worte wie "nichtsnutzige Blagen", "unnütze Rabauken" und "staatliche Erziehungsheime" über die Straße, natürlich gefolgt von dem obligatorischen "Warum unternimmt die Stadtwache denn nichts dagegen?".
Wie viele Informationen waren von dem Fall bereits öffentlich freigegeben worden? Mimosa beschloss sicherheitshalber nichts zu sagen. War der Mord schon offiziell bekanntgegeben worden? Sie war sich nicht sicher.
"Wir benötigen im Moment lediglich eine Zeugenaussage", meinte sie, was sicher nicht verkehrt sein konnte. Schließlich hatte sie nicht gesagt, von wem sie eine brauchte.
Der Mann schob enttäuscht die Unterlippe vor.
"Kein Verbrechen?" vergewisserte er sich noch einmal.
"Ich fürchte nein, Sir!" erwiderte Mimosa fest. In ihrer Kapuze hörte sie ein leises Kichern. Schleicher amüsierte sich wie immer köstlich über ihre Versuche der Zeugenbefragung. Konnte sie nicht mal einen netten, auskunftswilligen Herrn respektive Dame, Junge, Mädchen, Zwerg, Troll oder meinetwegen auch einen Hund erwischen, der tatsächlich sachdienliche Hinweise gab?
Der Mann trat vor die Haustür, warf der brustgepanzerten dunkelgewandeten schwerttragenden Gefreiten einen Blick zu, der deutlich machte, was er von einem solchen Äußeren bei einem "jungen Fräulein" hielt, und schaute unsicher die Straße hinunter.
"Ich glaube, er wohnt-da!" Er deutete vage auf die eine Straßenseite.
"Nein, da- ich bin mir fast sicher!" Die andere Seite. Sein Zeigefinger streichte über ungefähr 15 Häuser.
"Wissen Sie, ich komme nicht mehr so viel heraus", erklärte er.
Auf der anderen Straßenseite war Mina mittlerweile bis an den Zaun zurückgewichen, dicht gefolgt von der resoluten Anwohnerin. Mittlerweile schien sich der Schwerpunkt des doch recht einseitigen Gespräches auf unlizensiertes Betteln und allgemeines Vagebundieren verlegt zu haben.
Der alte Mann lamentierte mittlerweile über seine schmerzenden Gelenke und die viel zu grelle (frühherbstliche) Sonne, die doch sonst nicht so schmerzhaft in den Augen gewesen wäre. Mimosa hörte ihm abwesend zu, ihre Aufmerksamkeit war zur Hälfte auf die andere Straßenseite gerichtet- es konnte doch nicht ernsthaft jemand etwas gegen Pisse-Paul und seine Arbeiter haben? Allein der Gedanke, dass diese Männer auch nur eine Nacht nicht ihren Job erledigen könnten, ließ sie aus tiefstem Herzen schaudern!
Schließlich griff sie vorsichtig nach dem Arm des Mannes und schob ihn sanft in Richtung Tür. Er blickte sie milde überrascht an.
"Ach, sie sind immer noch da?" Schon in der Haustür, drehte er sich um.
"Die Stadtwache sollte wirklich..."
"Wiedersehen!" presste Mimosa hervor und flüchtete auf die Straße. Hinter ihr murmelte der Mann etwas über "heutige junge Menschen".
Mina hatte es ebenfalls geschafft sich loszueisen.
"Es muss doch eine einfachere Methode geben", stöhnte sie.


22.10.2007 21: 27

Septimus Ebel

Ein sehr schüchternes "Hallo?" verlor sich in der hohen Eingangshalle der Lehrergilde. Septimus war das Gebäude mehrere Male abgegangen, ohne einen seiner Kollegen wieder zu finden. Hatten sie ihn vergessen? Waren sie einfach ohne ihn gegangen? Er fühlte sich zurück gelassen, einsam und unwichtig. Was eigentlich der Normalzustand war, ihn jetzt allerdings unheimlich ärgerte. Jemand hätte ihm Bescheid sagen sollen! Vermutlich wollte ihn niemand beim Lösen der großen Fälle dabei haben. Man ließ ihn lieber in irgendwelchen Gängen herumwatscheln, dort, wo er nicht stören konnte. Sein Zorn, der Zorn eines Opfers, machte sich wieder einmal selbstständig und wiegelte sich hoch. "Ist hier irgendjemand!?", schrie er schließlich.
Plötzlich hörte er Schritte. Schnelle, hastige Schritte, die laut klickten.
Aus der Dunkelheit eines Ganges kam die Ursache des Geräusches hervor. Eine Frau mit grauem Haar, in einer Frisur zusammengesteckt, die nicht die kleinste Strähne entweichen ließ. Augen, grau wie ein Gewittertag, blickten missmutig durch dickes Brillenglas. Ihre Körperhaltung war gerade, die Frau hätte auf ihrem Haarturm perfekt zwei oder drei Bücher balancieren können. Ihre schmalen Lippen schienen sich im vergangenen Jahrhundert das letzte Mal um ein Lächeln bemüht zu haben.
"Du musst Herr Erbguth sein", begrüsste sie ihn abschätzend.
Septimus war einen Moment extrem irritiert und setzte zu einem "Warum" an, kam allerdings nicht zu Wort.
"Du solltest wissen, dass innerhalb des Gebäudes das Schreien verboten ist. Da heute dein erster Tag ist, verzeihe ich den Verstoß. An deiner Pünktlichkeit solltest du allerdings arbeiten, Herr Erbguth. Die Schüler warten schon eine viertel Stunde. Ein Lehrer sollte immer ein gutes Beispiel sein. Wir können uns keine Fehler leisten, Herr Erbguth. Wenn du mir jetzt folgen würdest?" Es war nicht wirklich eine Frage, die Frau marschierte los, ohne auf ihn zu warten.
Der Gnom blieb verblüfft an Ort und Stelle, Böses ahnend. Schüler warteten? Auf ihn? Langsam begann er zu verstehen ... irgendwer musste Pester Lozzi schließlich ersetzen. Er war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort! Hastig blickte er sich zum Ausgang um. Nur ein paar Meter. Dann kam ein neuer Gedanke. Innerhalb der Gilde könnte er viel effizienter ermitteln. Angst und Neugier packten sich jeweils einen seiner Arme und zogen kräftig daran, in unterschiedliche Richtungen.
Die graue Frau hatte schließlich bemerkt, dass ihr niemand folgte. Sie blieb stehen, blickte zurück und seufzte. "Irgendwie hatte ich etwas ... Größeres erwartet", sagte sie enttäuscht.
Augenblicklich gesellte sich an die Seite der Neugier kräftiger Trotz, der das Tauziehen für sich entschied.
"Weisheit und Körpergröße gehen nicht Hand in Hand." Septimus bemühte sich um einen kalten belehrenden Ton. Dann beschloss er, noch einen drauf zu setzen. "Und mein Name ist Doktor Erbguth."

24.10.2007 12: 05

Mina von Nachtschatten

Die Frau schnaubte kaum hörbar, wandte sich dann ruckartig um und begann erneut den Gang hinab zu schreiten - diesmal mit Septimus direkt hinter sich. Ihr Weg führte sie durch weite Treppenschluchten und düstere Korridore, vorbei an unzähligen Türen, hinter denen der Gnom wohl das unglückliche Seufzen von Schülern hätte vernehmen können, wäre er nicht damit beschäftigt gewesen der Frau zu folgen, die so entschlossen ausschritt, als läge ihr gesamtes Bestreben nur in dieser Tätigkeit: Die Erzeugung unheilvoller Schritte auf dem Boden, die jedem Kind die Haare zu Berge stehen lassen würden, auf dass es jedwede Fluchtpläne aus dem Klassenzimmer sofort vergaß. Schritte, die nur die Aufgabe hatten, Präsenz zu demonstrieren. Dazu kam, dass sie das Gesicht in einer Weise verzogen hatte, als seien ihr die vorbeiziehenden Türen zutiefst zuwider, ein nötiges Übel in einem an Übeln nicht armen Gebäude. Doch irgendwann schien sie einen Eingang gefunden zu haben, der ihrer Beachtung würdig schien und es verdiente, mit einer entschlossenen Geste geöffnet zu werden. Die Tür schlug an die dahinter befindliche Wand und ihre autoritäre Stimme hallte im Zimmer wieder:
"Kinder, dies ist Doktor Erbguth, er wird euch ab heute an Stelle von Herrn Lozzi unterrichten. Ich erwarte, dass ihr euch benehmt, ja auch von dir, Fräulein Laurenzia Grobhelm, dass mir keine Klagen zu Ohren kommen." Sie deutete anklagend auf ein kleines blondhaariges Mädchen in der zweiten Reihe. "Keine wilden Geschichten über Feen und Götter!"
Damit, und ohne Septimus eines weiteren Blickes zu würdigen, rauschte sie aus dem Klassenzimmer.
Die erste Herausforderung, die der Gnom zu meistern hatte, war den Lehrertisch zu erklimmen um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Von dort blickte er in etwa zwanzig gelangweilte, abwartend bis resigniert dreinschauende Kindergesichter. Auf einmal fühlte sich der verdeckte Ermittler doch etwas unwohl, erinnerte ihn die Szenerie doch an die Zeit, als er selbst einmal an, oder besser auf, solch einem Tisch gesessen und versucht hatte, dem Geschwafel der Lehrer zu folgen ... Unwillkürlich wurden seine Gedanken dadurch auf ein anderes Problem gelenkt: Was hatte Pester Lozzi eigentlich unterrichtet? In was für einer Klasse befand er sich hier? Es würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, als eine erste Kontaktaufnahme mit der sichtlich unmotivierten Jugend vor ihm.
"Also, wie weit seid ihr im Lehrstoff?", rief er in den Raum, versucht seiner Stimme annähernd die Wirkung zu verleihen, die er noch von den Lehrern aus seiner eigenen Schulzeit in Erinnerung hatte.
"Alt-Morporkianisch für Anfänger, Kapitel 5", erklang eine gedehnte Stimme von ganz hinten im Raum. Ihr Besitzer schien kurz davor einzuschlafen.
Septimus überlegte einen Moment angestrengt. Das war nicht gerade ein Thema, für das er überzeugend den Lehrer mimen konnte - zumal er nicht einmal über das entsprechende Buch verfügte. Aber irgendwie musste er die Stunde herumbringen ohne sich zu verraten und vielleicht konnte er im Gespräch mit den Schülern auch etwas über Lozzi erfahren. Wenn das nicht funktionieren sollte, setzte Septimus seine Hoffnungen auf die Pause. Den Aufenthalt im Lehrerzimmer.
Aber bis dahin ... Die Idee traf ihn aus heiterem Himmel. Und dabei war es so einfach: Wer sagte denn, dass er unbedingt Alt-Morporkianisch unterrichten musste?
"Nein, heute machen wir etwas anderes", wandte er sich an die Klasse und bedachte jeden einzelnen Schüler mit einem triumphierenden Blick. "Habt ihr schon einmal etwas von "Umwältschudz" gehört?"


25.10.2007 19: 11

Hatscha al Nasa

Hatscha betrat zusammen mit dem Troll das Gebäude in der Zinnstraße. Sie war ein wenig verwundert darüber, dass der Oberleutnant sie nicht in der Gilde ermitteln ließ, immerhin war sie das einzige DOG-Mitglied im Thiem. Aber gut, Befehl war Befehl, also machte sie sich an die Arbeit, die Bewohnerinnen des Hauses zu befragen, um herauszubekommen, was genau vorgefallen war. Vielleicht konnte sie hier ihr Wissen über die Lehrergilde gebrauchen, auch wenn dieses nicht sonderlich breit gefächert war, da sie noch nicht in der Gilde ermitteln musste. So konnte sie sich nur mehr schlecht als recht an die Daten aus den Archivakten erinnern.
Kaum hatten die beiden Wächter einen Schritt in die kleine Eingangshalle gemacht, wurden sie schon von einer etwas in die Jahre gekommenen Frau empfangen. Noch bevor sie ihre Dienstmarken zücken und sich vorstellen konnten, begann die Fremde zu sprechen.
"Ah, Sie müssen von der Wache sein, ich habe schon auf die Ermittler gewartet. Ich bin Madame Geschwätzig. Haben Sie denn schon etwas herausgefunden über die Todesursache der beiden Opfer? Die arme Petulia, sie war so ein liebes Mädchen!"
Hatscha nutzte die Pause, die Madame Geschwätzig einlegte, um theatralisch zu seufzen, und stellte sie vor. "Wir sind Korporal al Nasa und Lance-Korporal Scoglio von der Stadtwache. Die Todesursache ist uns selbst noch ein Rätsel, da sich keine inneren oder äußeren Schädigungen feststellen ließen, alles aber gegen einen natürlichen Tod spricht. Wir würden Ihnen und den Bewohnerinnen dieses Hauses gerne ein paar Fragen stellen, Zeugenaussagen, Sie wissen schon. Außerdem würden wir uns gerne die Wohnung von Petulia ansehen, wenn das möglich wäre?"
"Aber natürlich! Bei meinen Mädchen dürfen Sie aber natürlich nicht stören, wenn sie gerade Besuch haben."
Hatscha nickte. "Kein Problem, ich habe öfter... Kontakt zu Näherinnen." Natürlich lief sie im Boucherie Rouge hin und wieder den Damen im Erdgeschoss über den Weg. Mit einigen verstand sie sich auch ganz gut, sie kümmerten sich ab und zu sogar um ihren Sohn, wenn sie die Zeit dazu hatten.
Sie wurde von ihrem Kollegen zur Seite gezogen.
"Dann wir gehen von Tür zu Tür und stellen Fragen?", wollte Scoglio leise[3] wissen.
"Ja, du als Szenekenner solltest ja kein Problem haben, den Leuten Informationen zu entlocken. Deswegen übernimmst du am Besten die Näherinnen und ich befrage Frau Geschwätzig", flüsterte sie zurück.
"In Ordnung. Ich sie also fragen, ob sie gehört haben das Gespräch und ob sie kennen die Toten?"
"Klingt nach einem guten Anfang." Die Gildenexpertin lächelte ihn an und wendete sich dann wieder an Madame Geschwätzig. "Wo können wir uns ungestört unterhalten?"
"Kommen Sie mit in mein Büro." Sie ging voraus und Hatscha folgte ihr. Als sie einen Blick zurückwarf, sah sie, wie der Troll sehr vorsichtig an die erste Tür klopfte. Langsam fragte sie sich, warum sie die beiden anderen als Wachen aufgestellt hatte. Was sollten sie bewachen? Ob jemand illegal das Haus betrat oder verließ? Woran sollten sie das festmachen? Das hier war eine Pension wie das Boucherie. Sie schüttelte den Kopf über ihren eigenen Befehl und betrat dann das Büro.

27.10.2007 20: 50

Onyx

Onyx und Bjorn standen unruhig vor dem Eingang des Hauses. Plötzlich rief Korporal al Nasa:"kommt rein!"


28.10.2007 17: 56

Bjorn Bjornson

Bjorn schien das alles ein wenig seltsam. Keine inneren und äußeren Verletzungen. Das klang verdächtig nach Magie. War vielleicht ein Zauberer für den Doppelmord verantwortlich? Na, hoffentlich nicht. Zauberer können manchmal nämlich sehr ungemütlich werden. Und außerdem, seit wann interessieren sich Zauberer für Lehrer.
Fangen wir nochmal am anderen Ende an. Lehrer, wer hat was gegen Lehrer? Klar, Schüler. Also sollte sich das Hauptaugenmerk in diesem Fall auf die Schüler richten. Also werden die Kollegen, die im Moment in der Lehrergilde sind, vermutlich mehr Erfolg haben als wir.
Und dann merkte Bjorn, dass die Frau vor ihm etwas gesagt hatte. "Bitte?"
"Na, willst du mich jetzt was fragen oder nicht?"
"Na gut, dann legen wir mal los. Ist Ihnen in letzter Zeit in diesem Gebäude etwas seltsames aufgefallen?"
"Naja, abgesehen von diesem Lehrer , von dem du grade gesprochen hast, nee."
"Woran erinnern Sie sich denn noch?", fragte Bjorn weiter, zweifelte und formulierte die Frage anders. "Ich meine, haben Sie ihn gesehen?" Und als die Näherin nickte, fügte er hinzu: "Und was hat er gemacht?"
"Na ja, er hat sich ängstlich umgesehen und etwas von wegen Göttern gemurmelt, und von irgend ner ermordeten Schlemmerkreide, oder so ähnlich."
"Schlemmerkreide? Lehrer, die Kreide essen?"
"Keine Ahnung. Mehr hab ich nicht gehört..."

29.10.2007 11: 06

Mimosa

Septimus war in seinem Element. Nach einem generellen Überblick über wiederverwertbare Materialien, Umweltverschmutzung und wie man sie vermeiden kann und wie wichtig Bäume für die Atemluft war, führte er die vollkommen verdutzten Kinder gerade in die raffinierteren Aspekte der Photosynthese ein- sollte heißen, er stand auf seinem Schreibtisch und deklamierte voller Inbrunst seine Botschaft, so voller Leidenschaft, dass jeder klassische Schausteller, wäre er anwesend gewesen, sofort beschämt den Beruf gewechselt hätte.
Leider war Septimus' Begeisterung an diesem Publikum völlig verfehlt. Er bemerkte zwar, dass die Kinder unruhig wurden, schob das aber auf ihre wachsende Empörtheit gegenüber dem umweltzerstörerischen kapitalistischem System. Aufkeimendes Gekicher ignorierte er einfach, doch das dritte Räuspern, dass hinter ihm erklang, war zu laut, als dass er es auch noch hätte überhören können.
Hinter ihm stand die Schreckschraube Frau und schaute ihn an.
"Es ist immer wieder interessant, jemanden zu treffen, dem sein Beruf so viel Freude bereitet!"
Sie zog die Augenbrauen hoch.

30.10.2007 17: 16

Septimus Ebel

Septimus gab einen erstickenden Laut von sich. Das Klassenzimmer war schlagartig verstummt, es rührte sich kaum etwas. Aus der Ferne hörte er, wie sein Mund sagte: "Äh ... Wir ... Wir haben den Biologie Unterricht vorgezogen. Ich ... habe noch keinen Stundenplan erhalten, Frau ... Äh."
"Frau Mel Odi", ergänzte sie den Satz trocken. "Immer noch. Ich unterrichte Musik und zufällig auch Alt-Ankh-Morporkianisch." Mit einem Blick, der imstande gewesen wäre Nägel in eine Steinplatte zu schlagen, reichte ihm die Graue (wie er sie insgeheim nannte) zwei Zettel. "Hier ist der Stundenplan. Außerdem dein Passwort für den Dämon im Lehrerzimmer."
Septimus wollte sagen, dass die Farbe einem Esel besser gestanden hätte, dass sie mit etwas mehr Bunt in ihrer ganzen Art ihn in einen kommunikationsfähigen Kollegen verwandeln konnte, anstatt in einen verängstigten Eisblock. Er war sprachlos, das ärgerte ihn maßlos. Als sie sich räusperte, erwartete Septimus eine Motte aus ihrem Mund herausfliegen zu sehen. Aber nichts, nichts einmal ein wenig Staub.
Sie beugte sich näher zu ihm. "Außerdem wartet draußen noch ein Herr Erbguth auf dich. Er sagt, er hätte einige Fragen und es sei dringend. Ich übernehme solange den Unterricht. Planmäßig." Das letzte Wort betonte sie schon fast drohend.
Verdammt! Der Gedanke war ihm flüchtig gekommen, aber die Fotosynthese hatte ihn überdeckt. Was war mit dem richtigen Herr Erbguth?


"Läuft das Geschäft gut?", fragte Hatscha, um das Gespräch mit Frau Geschwätzig in den Gang zu bringen. Sie wusste noch nicht, dass Frau Geschwätzig sehr gut in der Lage war ihre Gespräche selbst in Gang zu halten. Permanent. Auch, wenn sie allein war. Dialog und Monolog waren für diese Frau Synonyme.
"Ich darf voller Stolz sagen, dass ich zu den Markführenden in der Branche gehöre. Ich stehe für Qualität. Ich suche gerade sogar nach neuem Personal, um der Nachfrage gerecht zu werden." Bei diesem Satz musterte die Pensionsinhaberin Hatscha mit einem Blick, der dieser gar nicht gefiel. "Und was ist mit der Sicherheit in deinem ... Gewerbe, Frau Geschwätzig?", fragte der Korporal kühl, aber immer noch freundlich.
"Was? Hier drinnen?" Die Frau plusterte sich ein wenig auf. "Bisher gab es hier deshalb keine Schwierigkeiten. Es ist selten, dass ein ... Kunde ... sich nicht beherrschen kann. Für diese Fälle habe ich Calcit eingestellt, er sorgt allein mit seiner Anwesenheit für Ruhe und Ordnung in diesem Haus. Das hat alles mit Fräulein Bockbeutel angefangen!", jammerte sie jetzt.
"Nun", begann Hatscha. Doch ein Niesen unterbrach sie, was Frau geschätzig sofort als Chance sah, weiter zu reden.
"Sowas verschreckt die Kundschaft. Außerdem ist es nicht schön, nein, nicht schön. Sowas ist doch immer eine Tragödie, ja, eine Tragödie. Da hätte man nichts machen können. Im Nachhinein über Sicherheit nachzudenken, was macht das für einen Sinn? Es ist doch - "
"Nun!", machte Hatscha lauter. "Wo befand sich Herr Calcit während der Tatzeit?"
"Calcit? Er? Nein, der hat nichts damit zu tun. Er war auf seinem Posten, an der Eingangstür. Wie immer."
"Als ich eintrat, hat niemand die Tür bewacht", bemerkte Hatscha.
"Es ist nicht die richtige Tageszeit", erwiderte die Frau. "Er arbeitet immer von sechs bis sechs."
"Ein langer Arbeitstag."
"Er will es nicht anders. Wir arbeiten hier alle hart." Wieder ein Blick von ihr, der Hatscha nicht gefiel. Ein sehr vorwurfsvoller Blick. Vielleicht sollte ich das Gespräch in eine andere Richtung drehen, dachte die Wächterin.
Frau Geschätzig war überraschenderweise zu soviel Empathie fähig, Hatschas Unwohlsein zu bemerken. "Oh Götter, es tut mir Leid, ich wünschte, ich könnte helfen. Wir schulden der Wache doch alle sehr viel, Frau Nasa", sagte sie diplomatisch. "Vor allem schulden wir Fräulein Bocksbeutel, dass ihre Geschichte aufgeklärt wird. Was soll ich noch sagen? Fräulein Bocksbeutel zahlte ihre Miete pünktlich, fast immer. Sie war ruhig, hat meistens geschrieben. Sie hielt ihr Zimmer sauber und war immer höflich. Ja, sie hatte ihren ganz eigenen Stil. Wenn sie eine Meinung hatte, dann hatte sie die auch. Aber es war ja meistens die richtige, ne? Sie war schon anständig. Nun, manchmal wirkte sie ein wenig gequält. Aber das hat ja jeder mal. Und da war diese komische Angewohnheit, sie sang oft Kinderlieder. Aber das sind alles Banalitäten. Das bringt dich sicher nicht weiter. Ich würde mir wünschen, dass es anders wäre."
"Niemand tritt einfach nur so aus dieser Welt", murmelte Hatscha nachdenklich. Plötzlich fiel ihr etwas ein.



30.10.2007 20: 34

Pismire

Während Oberleutnant Pismire sich auf dem Weg zur Zinnstraße befand, drehten sich die Gedanken in seinem Kopf. Dieser Lozzi schien den Verdacht gehabt zu haben, dass es beim Ableben der letzten - recht betagten - Pensionäre der Lehrergilde nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Aber warum hatte er dann die Gefreite Bocksbeutel aufgesucht? Woher kannte er sie? Es musste eine Verbindung zwischen den beiden geben. Und zwar mehr als das, was Madame Geschwätzig bisher zu Protokoll gegeben hatte:
"Nun, Lozzi war ein entfernter Verwandter von mir. Kurz nachdem Fräulein Bocksbeutel bei mir eingezogen war, haben wir uns zufällig beim Geburtstag der Großcousine dritten Grades mütterlicherseits des Onkels des Schwippschwagers meiner Nichte zur linken Hand von Urgroßvater Schwätziger, der außerdem noch der Ziehcousin von Lozzis Urgroßmutter gewesen war, getroffen. Ich habe beiläufig erwähnt, dass nun bei mir eine junge Frau ein Zimmer hat, die bei der Wache arbeitet. In meinem Metier ist sowas unter Umständen von Vorteil."
Aber: Stimmte das? War das wirklich das einzige Verbindungsglied zwischen Lozzi und Bocksbeutel?
Er grübelte weiter: beide waren Lehrer gewesen; Bocksbeutel vor ihrer Zeit bei der Wache, Lozzi offensichtlich sein Leben lang.

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Eine Ohrfeige brachte sie in die Wirklichkeit zurück.
"Und das ist jetzt unser Tempel - oder was?" Gran'ma Tick schnaubte verächtlich. "Das iss'n verdammter Dachboden, meine Liebe. Das isses. Du bist also doch keine richtige Göttin - oder?"
Sie lauerte auf ein einziges Anzeichen von Schwäche bei ihrer Tochter. Doch diese kannte ihre Mutter und nahm sich zusammen.
"Das ist der Beginn eines Tempels, Mutter. Ich kann die Anwesenheit von Glauben spüren. Ich weiß, dass wir hier richtig sind. Das ist mein - äh - unser Ort." Sie begann ihn in Gedanke weiter auszuschmücken: Hier, auf der Linken würde ihre Statue stehen. Daneben das Orthogra-Vieh. Ihr Sohn. Und Neffe/Bruder - wer konnte da schon sicher sein? Und warum auch. Im Hintergrund würde die Statue von Gran'ma Tick stehen. SEHR im Hintergrund. Und: Bis dahin musste es Gran'ma Tick nur noch als Erinnerung geben.

Ihre Gedanken kehrten in ihre Wirklichkeit zurück und ertrugen den endlosen Monolog von Klagen, den ihre Mutter veranstaltetet. Sie musste eine Aufgabe für ihre Mutter finden. In der Zwischenzeit würde sie weiter versuchen, ihre einzige und wahre Gläubige endlich zu finden.


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Der alte Schamane erreichte die Zinnstraße und auch das Haus, in der die Toten gefunden worden waren. Auf der Vorderseite stand ein Troll, den er mit Mühe und Not als ein Mitglied seiner Ermittlergruppe identifizieren konnte. Um unnötige Fragen zu vermeiden ging er zum Hintereingang. Dort fand der den Gefreiten Bjorn Bjornson im Gespräch mit einer Näherin vor.
Er hörte die Sätze:
"Schlemmerkreide? Lehrer, die Kreide essen?"
"Keine Ahnung. Mehr hab ich nicht gehört..."

und griff ein, bevor sein Mitarbeiter noch weiter fragen konnte.

"Gefreiter Bjornson!?" Der Zwerg salutierte pflichtschuldig. "Ist Korporal Nasa da drin?"
Das Nicken wies dem Oberleutnant den Weg.
Zehn Sekunden später öffnete er die Tür zu Madame Geschwätzigs Büro, dann sah er den beiden Damen ins Gesicht.
"Korporal Nasa - ich muss mit dir und dem Gefreiten Bjornson sprechen." Und an Madame Geschätzigs Adresse fuhr er fort: "Ich muss auch mit Ihnen dringend sprechen - allerdings sollte das ohne Ablenkungen geschehen. Sie verstehen?"
Madame Geschwätzig erhob sich - erstaunlicherweise ohne Fragen - und Pismire hatte nun die Chance, Korporal al Nasa zu erklären, warum sie bei der Lehrergilde besser geeignet sei als eine Gruppe von Wächter, die vor lauter Didaskylophobie nicht mehr ein noch aus wisse.

"Ich habe mit Müh und Not die Wächterinnen von RUM dort losgeeist bekommen: Die beiden anderen sind noch in der Gilde. Ich bin mir sicher, dass du" - er deutete auf Korporal al Nasa - "viel besser in der Lehrergilde ermitteln kannst als ich. Und vor allem: die beiden Wächter da besser herausholen kann."

Nachdem die beiden Wächter die Übergabemodalitäten geregelt hatten, fragte Pismire noch einmal nach: "Korporal: Was sind eigentlich die Aufgaben der Gilde der Lehrer?"
"Sie bilden Lehrer dort aus. Und das an," sie räusperte sich, "widerspenstigen Schülern."
"Moment", fragte der Schamane nach. "Was heißt das?"
"Sie suchen die Widerspenstigen. Die Schwierigen, die Bösen. Handverlesen kommen sie in die Stunden. Die Schlimmsten der Bösen. Nur die härtesten. Den echten Abschaum. Nur echt böse Kinder."

30.10.2007 22: 36

Mina von Nachtschatten

Eben diese Kinder waren es auch, welche Septimus unterdessen ihrem Schicksal in Gestalt von Frau Odi überlassen musste. Hätte er geahnt, dass es sich dabei um die creme de la creme der Widerspenstigen handelte, wäre ihm dieser Umstand wohl gerecht vorgekommen - die Graue beim Grauen der Lehrerschaft. Aber ein Problem ganz anderer Art brachte ihn um die Möglichkeit, einen Gedanken in dieser Richtung zu verfolgen: Es stand vor ihm in Gestalt eines recht jungen, blond gelockten Mannes mit einer scheinbar viel zu kleinen Brille auf der Nase, der den Gnom erst eine ganze Weile unsicher gemustert hatte, bevor er sich dazu durchringen konnte, etwas zu sagen:
"Äh, ja, mein Name ist Alfons Erbguth und ich habe vor kurzer Zeit diesen Zettel bekommen", er kramte umständlich ein sehr ramponiertes Blatt Papier aus der Tasche seiner Jacke, "der besagt, dass ich hier und heute und überhaupt einen gewissen Herrn Lozzi vertreten soll." Er ließ den Satz im Raum stehen, wie ein Schauspieler der seinen Text vergessen hat und sich von seinem Gegenüber das rettende Stichwort erhofft.
Septimus legte den Kopf schief und sah in das Gesicht des Mannes, das eigentlich nur aus Verwirrung und Verlegenheit bestand. Und so jemand wollte Kinder etwas beibringen? Wollte unterrichten?? Ein Lehrer sein??? Wenn es in den Klassenzimmern auch nur annähernd so zuging wie noch zu seiner Schulzeit, würde der wirkliche Herr Erbguth diesen Posten sehr bald mit zerrütteten Nerven und einer panischen Angst vor Kindern fluchtartig verlassen. Augenscheinlich hatte der Gnom es hier mit einem noch sehr unerfahrenen Vertreter der lehrenden Zunft zu tun, wahrscheinlich war er noch nie der rauen Wirklichkeit des Unterrichts ausgesetzt gewesen. Arglos, eingeschüchtert, ahnungslos. Und sicher leicht davon zu überzeugen, das Feld zu räumen.
"Und was kann ich da tun?", antwortete Septimus daher gespielt gereizt. "Ich habe nicht viel Zeit, mein Unterricht wartet."
"Also, Frau Odi sprach davon, dass schon ein Herr Erbguth anwesend sei ..."
"Na und? Ist es verboten, Erbguth zu heißen?"
"Nein, nein, natürlich nicht, ich dachte nur, vielleicht eine Verwechslung, denn eigentlich sollte ja ich ..." Alfons Erbguths Stimme war kaum mehr als ein heißeres Flüstern.
"Dann liegt der Fehler ja wohl nicht bei mir", stellte Septimus mit eisiger Stimme fest.
Der junge Lehrer sah verzweifelt auf das Stück Papier in seiner Hand. "Aber ich bin doch Herr Erbguth und hier steht eindeutig ..."
Schritte wurden laut und jemand erschien am fernen Ende des Ganges. Ein dem kleinen Wächter nicht unbekannter Jemand: Hauptgefreiter Damien G. Bleicht näherte sich mit dem ratlosen Gesicht einer Person die sich hoffnungslos verlaufen hat oder nicht genau weiß, was sie hier eigentlich soll.
"Ah, ein Wächter!", rief Septimus offensichtlich hocherfreut, bevor sein Kollege die Möglichkeit bekam ihn von sich aus anzusprechen, "Dieser Herr hier besteht darauf, ich zu sein."
Damien klappte den Mund auf um eine Frage zu stellen, schloss ihn aber ebenso schnell wieder als er von Septimus mit durchdringenden Blicken geradezu aufgespießt wurde. Stattdessen wuchs das Fragezeichen auf seinem Gesicht.
"Aha", war alles, was er schließlich hervorbrachte.
"Ja, mach ihm doch bitte klar, dass ich der Lehrer Erbguth bin, der hier unterrichtet."
"Bist du das?", kam prompt die Gegenfrage.
"JA, DAS BIN ICH!"
Man konnte regelrecht sehen, wie es in diesem Moment hinter der Stirn des Hauptgefreiten klick machte. Er wandte sich mit gestrenger Miene an Alfons Erbguth, der die Szene mit wachsender Verwirrung[4] beobachtet hatte.
"Du behauptest also, jemand anderes zu sein? Das ist äußerst verdächtig."
"Ja, äh, nein, es war wohl, äh, mein Fehler, Entschuldigung, ich wollte keinen Ärger machen. Ich, also, werde dann wohl besser wieder gehen. Es tut mir leid, deinen Unterricht gestört zu haben, Herr, äh, Erbguth." Er stopfte das zerknitterte Schreiben zurück in seine Tasche und eilte auf die Treppe am Ende des Ganges zu. Das letzte, was die beiden Wächter noch von ihm hörten, war ein beinahe weinerlicher Ausruf, vielfach verstärkt durch das Echo im Treppenhaus:
"Die können doch nicht mit jedem machen, was sie wollen, nur weil sie sich "Gilde" nennen dürfen! Die brauchen mich gar nicht noch einmal fragen, ob ich jemanden vertreten kann!"

31.10.2007 15: 02

Damien G. Bleicht

Damien blickte dem Lehrer nach, während in seinem Kopf etwas ganz anderes vorging. Der Gnom hatte ihn kalt erwischt als er ihn, den Szenekenner, vor einem Zivilisten als Wächter bezeichnet hatte.
Der Gnom grinste ihn an. "Das war knapp, was?"
Damien löste den Blick von der Treppe, und wandte sich dem Obergefreiten zu. "Hör mal... Septimus, nicht wahr? Wir kennen uns nicht besonders gut, deswegen will ich dir das jetzt freundlich klarmachen..."
"Hm?", der Gnom blickte ihn verwirrt an. Aus irgendeinem Grund schien der seltsame Bleiche verärgert zu sein. Und überhaupt... Wieso trug der Kerl eigentlich keine Uniform?
"Ich nehme an, du bist mit der Spezialisierung des Szenekenners vertraut?"
"Ähm...?"
Damiens Augen verengten sich zu Schlitzen. Er war wirklich nicht in der Stimmung dafür. "Gut, Schluss mit den Nettigkeiten und reden wir Klartext. Wie du siehst bin ich in zivil. Das hat Gründe, verstehst du? Ebenso wie Lance-Korporal Scoglio aus gutem Grund nur mit dieser grauen Hose bekleidet ist und nicht gepanzert wie ein Kriegselefant herumläuft. Das ist so, damit wir eben nicht sofort für jeden als Wächter erkennbar sind. Und nur ich bestimme, wem ich mich als Mitglied der Wache zu erkennen gebe und wem nicht. Du wirst deshalb verstehen, dass ich von eine Anrede wie 'Ah, ein Wächter' wenig begeistert bin."
Septimus schluckte. "Ähm, ich wollte nicht..."
Damiens Miene blieb unverändert. "Ich nehme an du hast verstanden?"
Septimus nickte.
"Gut. Wenn du mich entschuldigst..." Und er ging den Flur entlang und verschwand dieselbe Treppe hinunter, welche auch der echte Herr Erbguth genommen hatte.
Septimus blickte ihm verständnislos hinterher. Was für ein komischer Kerl ...

Theo Retisch saß an seinem Schreibtisch und arbeitete gerade lustlos ein paar Akten durch, als seine Sekretärin Frau Tingel den Raum betrat.
"Entschuldige bitte, Herr Retisch..."
Er hob den Kopf. Die dünne Frau blickte ihn besorgt über ihre halbmondförmigen Brillengläser hinweg an. "Ja, Frau Tingel. Was gibt es denn?"
Der Gesichtsausdruck der Sekretärin spiegelte blankes Entsetzen wider.
"Ich... ich habe eine Fehler gemacht, Herr Retisch. ich habe völlig vergessen.."
Verdammt, wenn er eins gerade nicht gebrauchen konnte, war es einer der für Frau Tingel typischen nervösen Ausbrüche. Normalerweise versuchte er dieses Problem ins Lot zu bringen indem er sie mit Samthandschuhen anfasste, doch wegen der Sache mit den Wächtern war er noch viel zu gereizt. "Vergessen? Was soll das heißen? Komm bitte auf den Punkt, Frau Tingel", sagte er daher eher forsch.
"Du... du erinnerst dich doch an die... spezielle Klasse für... besondere Schüler? Die, die erst vor ein paar Wochen eingeführt worden ist?"
Retisch horchte auf. "Ah, du meinst die Klasse für besonders harte Fälle? Die für spätpubertäre Straßenjungen, sowie in ganz schweren Fällen, auch junge Männer mit kleinkriminellem Hintergrund? Die Resozialisierungsklasse?"
"Ja...", sagte Frau Tingel mit Grabesstimme. Sie schien im Boden versinken zu wollen.
"Und was genau ist schlimmes passiert Frau Tingel?"
"Ich... sollte dich doch an deine Termine erinnern ... Nun ich bin den Terminplan vorhin noch einmal durchgegangen ...", sie wurde blass. "Und einer davon war, dass ein besonders schwerer Fall, ein junger Mann Anfang zwanzig, heute hierher überwiesen werden sollte, von der Wache..."
Nun erbleichte auch Herr Retisch. "Du... du meinst."
"Ich muss die Zeile übersprungen haben", platzte es aus ihr heraus. "Und die Uhrzeit stimmt auch nicht, nach dem Plan müsste es noch über eine Stunde hin sein. Doch Pförtner Wilkins meinte, die Gruppe Wächter die vorhin da war, hätte auch einen jungen Mann, der keine Uniform trug, dabeigehabt. Er sah ziemlich abgerissen aus meinte er, schwarze abgewetzte Kleidung, schulterlanges schwarzes Haar, Kinnbart und weißer im Gesicht als unsere Kreide..."
Retisch schloss die Augen. Das war nicht gut. Ganz und gar nicht gut. Die Wache wollte also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Tauchten hier auf und steckten ihren Nase in Gildenangelegenheiten. Und ganz nebenbei lieferten sie noch einen Straftäter bei ihm ab. Aber nicht dass dieser grässliche Oberleutnant etwas gesagt hätte, oh nein. Er ratterte schön seine Fragen runter und verzog sich wieder, während der
Kerl nun irgendwo auf Gildengelände umherstreunte. Was hätte er auch anderes von der Wache erwarten sollen?
"Alarmieren sie Rolf und vier weitere Sicherheitsmänner", sagte er mit belegter Stimme. "Ich will dass der der Kerl so schnell wie möglich gefasst wird."
"Ja-Jawohl Herr Retisch", sagte Frau Tingel und floh aus dem Büro.

05.11.2007 13: 33

Septimus Ebel

Im Nachhinein, dachte Septimus verärgert. Immer erst im Nachhinein! Warum fiel ihm immer erst Minuten später ein, was er alles Tolles hätte antworten können?! Hätte er riechen können, welche Spezialisierung dieser Kerl hatte? Er war froh, dass er ihn überhaupt als ein Mitglied der Wache erkannt hatte. Und dass ihm etwas eingefallen war, um Herrn Erbguth loszuwerden, damit er weiter ermitteln konnte. Die Deckung zu verlieren war ne schlimme Sache, ja. Er konnte den Ärger seines Kollegen verstehen, aber ein wenig mehr Verständnis wäre ja wohl angebracht gewesen. Ja, er hatte ihm so einiges zu sagen, im Nachhinein. Später wollte er sich ihn noch einmal vorknüpfen. Jawohl! Allerdings ... wenn er ehrlich war, es würde nie dazu kommen. So schluckte er seine verspäteten Antworten hinunter, dorthin, wo auch schon der restliche Batzen Stress sein unverdautes Dasein fristete.
Eine Glocke läutete. Im nächsten Moment brach ein schreiender Schwall Schüler aus den Räumen hinaus in den Flur, wie ein wilder Fluss, der gerade von seinem Damm befreit worden war. Der Gnom presste sich an die Wand, um nicht zerquetscht zu werden und kniff die Augen fest zu. Drei Atemzüge, dann war alles vorbei. Einen Moment lang wusste er nicht, ob es sein Blut oder das Echo der Meute war, das noch in seinen Ohren rauschte.
"Nein! Nicht schon wieder!" Es war Frau Odis Stimme, sie kam aus dem Klassenraum und hörte sich sowohl verärgert (was normal war) als auch verzweifelt an (was nicht normal war). "Komm da raus, junges Fräulein, oder du bekommst so viele Strafarbeiten, dass sie dir aus der Nase wieder heraus kommen. Ich werde deine Eltern benachrichtigen! Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden! So geht das einfach nicht!"
Vorsichtig lugte Septimus in den Klassenraum. Die Graue schien Selbstgespräche zu führen, denn außer ihr war niemand zu sehen. Aber der Gnom wusste so einiges über Selbstgespräche, er hatte in dem Bereich mehr als genug Erfahrung und wusste, dass nicht immer alles war, wie es schien. Also beschloss er näher zu kommen. Er sammelte kurz das bisschen Mut, was ihm zur Verfügung stand, und fragte: "Was ist das Problem, Frau Odi?"
Die Frau seufzte theatralisch. "Sie hat sich wieder einmal eingeschlossen! Im Schrank mit den Unterrichts-Materialien! Ich kenne das, sie wird stundenlang nicht daraus kommen!"
"Ich will nur eine Entschuldigung!", kam eine trotzige Mädchenstimme aus dem Schrank.
"Du kannst dich nicht jedes Mail einsperren, wenn dich ein Lehrer korrigiert, Laurenzia!", rief Frau Odi empört.
"Ich kann noch viel mehr!", rief das Mädchen und es hörte sich an wie ein ernstzunehmende Drohung. "Und es war keine Korrektur, sondern eine Beleidigung! Eine sehr unfreundliche Beleidigung!"
"Ist schon gut", sagte Septimus leise zu der Lehrerin. "Ich versuche mal mit ihr zu reden."
"Na dann, viel Glück!", sagte Frau Odi in ihrer schnippischen Art und stöckelte davon.

05.11.2007 20: 12

Mimosa

Die beiden doch sehr spezialisierungsfremd eingesetzten Gefreit(inn)en widmeten sich weiterhin mehr oder weniger lustvoll dem Klinkenputzen. Mimosa hatte mittlerweile aufgehört zu zählen. Die Straße zog sich staubig, endlos und - für Ankh-Morpork absolut unüblich - passantenfrei hin. Trafen sie doch mal jemanden, konnte der ihnen auch keine Auskunft geben. Pester Lozzi schien ein wirklich sehr zurückhaltender Mann gewesen zu sein- oder seine Schüler hatten dafür gesorgt, dass er nach jedem Arbeitstag schnurstracks in seine Wohnung geflüchtet war und bibbernd in einer Ecke hockte.
Mina und Mimosa schleppten mittlerweile mindestens 5 Bäume in Papierform mit sich, nachdem die Anwohner dazu übergegangen waren ihre Beschwerden mehr oder weniger gekonnt auf Papier zu bannen. Schleicher war hocherfreut, er hatte sich in Mimosas Umhängetasche ein Nest gebaut.
Mina starrte auf die weiß-Om-wie-vielte Tür, als ihr endlich die Bedeutung des dreckigen kleinen Schildes neben dem Türklopfer aufging.
"Mimosa!"
Mimosa rannte sofort über die Straße.
"Was?"
"Ich hab ihn!"

Endlich! Es sah so aus, als hätten die Götter noch noch ein Einsehen. Mina hatte zwar ein paarmal Klopfen und nach ein paar Minuten Wartezeit kräftig gegen die Tür hämmern müssen, doch schließlich hatte ihnen eine nette alte Dame geöffnet, sie ohne Widerworte zuzulassen resolut in ihre Wohnung geführt und ihnen dort Tee, Kekse und sogar Kuchen serviert. Gut, der Tee war labberig und der Kuchen staubte fast so sehr wie Kreide, aber nach ihrer Haustür-Odyssee waren die beiden glücklich, sich zumindest mal hinsetzen zu können- und sei es auch in rosaroten Plüschsesseln in einer von Nippeshündchen und -kätzchen überladenen Wohnung.
Schleicher saß auf Mimosas Schoß und knabberte an einem Keks. Die alte Dame hatte sich kurzsichtig über ihn gebeugt und wollte das "süße Hündchen" streicheln, wovon Mimosa sie gerade noch hatte abhalten können.
Nun saß sie ihnen glücklich gegenüber, hielt eine hauchzarte Porzellantasse in der Hand und schien überglücklich über den Besuch zu sein- so glücklich, dass sie die beiden verdeckten Ermittlerinnen gar nicht zu Wort kommen ließ.
Mina und Mimosa sahen sich an. Volltreffer! Wie es schien, hatte Pester Lozzi ein- bis zweimal die Woche bei Frau Wohnlich vorbeigeschaut, um sich mit ihr zu unterhalten. Sie hatte noch nicht von seinem plötzlichem Ableben erfahren (und die beiden hüteten sich, ihr davon zu erzählen), sondern schwatzte froh über die neuen Gesichter munter vor sich hin und versorgte die beiden RUM-Mitarbeiterinnen mit sämtlichen Klatsch und Tratsch über Pester Lozzi, alle Mieter und sämtliche angrenzende Nachbarn. Die beiden konnten ihr Glück kaum fassen.
Nach der unglaublichen Enthüllung, dass sich der Bauch des (unverheirateten!!!) Fräulein Metten (2. Stock, die erste Tür auf der linken Seite, und dau-ernd Männerbesuch! Aber zumindest immer derselbe-denke ich... man weiß das ja nie so genau, die jungen Leute sehen sich ja so ähnlich- und meine Augen) verdächtig rundet, beugte sich sich verschwörerisch vor und ihre Wangen färbten sich leicht rosa.
"Und Herr Lozzi, ja, irgendwas ist da auch seltsam. Manchmal kommt er erst so spät wieder, und er bringt immer so große Tüten in seine Wohnung, auch jetzt ist er schon so lange weg..."

06.11.2007 22: 00

Pismire

Nachdem Korporal Nasa sich auf den Weg zur Gilde der Lehrer gemacht hatte, wandte sich der Oberleutnant dem Gefreiten Bjornson zu.
"Du hast gerade das mit Schlämmerkreide mitbekommen."
Der Zwerg nickte.
"Es handelt sich hierbei nicht um exotische Essgewohnheiten, sondern um den Namen eines ehemaligen Mitgliedes der Lehrer: Herbert Schlämmkreide. Dann wären da noch Profetia Turnbeutel und Paul Zahlrübe. Herr Retisch von der Lehrergilde hatte den Eindruck, dass deren Tod in der letzten Zeit Lozzi sehr bewegt hat. Mehr als normal. Daher habe ich mir die Adressen geben lassen und möchte dich und deinen Freund bitten, sich dort ein wenig umzuhören - am besten als Streifenteam von SEALS, da erzählen die Leute gerne so Sachen, was sich die Wache mal ansehen sollte."
"Woraus sollen wir besonders achten?", fragte der Zwerg pflichteifrig.
"Wenn ich das nur wüsste, Gefreiter." Pismire kratzte sich am Kinn. "Retisch war sicher, dass sie am Alter gestorben sind. Sie waren alle drei alt. Lozzi war anderer Ansicht. Versucht herauszubekommen, ob sie Freunde oder Verwandte hatten, die sie gut genug kannten, um das beurteilen zu können."
Der Zwerg nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte und machte sich auf den Weg.

Als er gegangen war, ließ sich Madame Geschwätzig wieder blicken.
"Nun, Leutnant", fragte sie spitz, "Hast du meine gute Stube lange genug in Beschlag genommen?"
Mit heuchlerischer Galanterie erhob sich Pismire zerknirscht, gab den gekränkten und versicherte der "schönen, reizenden und zu Recht erzürnten Madame", dass es keine böse Absicht gewesen sei, die ihn gezwungen habe, sie warten zu lassen, sondern dass er ...
Mit einem Lachen haute die ältere und korpulente Frau ihm so auf die Schulter, dass ihm die Luft wegblieb. "Leutnant, den Scharmör musst du aber noch gewaltig üben. Das Süssholzraspeln lass mal die Geübten veranstalten. Also: ihr wollt rauskriegen, wer Pester und meine kleine Petulia auf dem Gewissen habt, gell?"
"Oberleutnant", nuschelte der Schamane ein wenig maulig. "Aber nenn mich Pismire. Und ja: Wir wollen wissen, wie unsere Kollegin gestorben ist. Und woher sie Lozzi kannte wäre dabei kein schlechter Anfang."
"Tja, den hab ich ihr vermittelt. Er ist ein Verwandter von mir. Ein Halbcousin dritten Grades mütterlicherseits von der Halbschwester meiner Großtante väterlicherseits. Zumindest soweit ich das weiß." Sie seufzte und fuhr dann fort.
"Er war zwar Lehrer, aber der einzige aus seinem Kreis der Familie, der keine Probleme wegen meiner Pension gemacht hat. Seine Mutter hätte mich ja nicht mal mit dem Ar...", sie hustete und korrigierte sich, "Gesäß angeschaut, weil ich so einem verworfenen Gewerbe nachgehe, aber Pester war da anders. Er meinte, dass man das machen solle, was man am besten kann. Nun, und ich ..." Sie brach ab und ließ den Satz unvollendet. "Wie dem auch sei; wir haben uns recht regelmäßig gesehen. Und als er vor einiger Zeit anfing, diese fixe Idee zu haben, da hab ich ihm gesagt ..."
Mit einer energischen Handbewegung unterbrach Pismire sie: "Einen Augenblick, Madame Geschwätzig, was meist du mit 'fixer Idee'?"
"Na, die, dass es eine Art Vendetta gegen Lehrer gäbe, die unkonventionell sind. Die das Wohl der Kinder über die Regeln stellen. Deswegen hat er seine ehemaligen Kollegen Schlämmkreide, Rübezahl und Turnbeutel so geschätzt. Wo immer sie konnten, haben sie Regeln verletzt zum Wohle der Kinder. Und Pester war misstrauisch, dass es bei ihrem Tode nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Und da habe ich gesagt: "Pester, da wohnt doch eine Wächterin in meiner Pension. Frag die doch mal!" Und als er dann kam, hab ich ihn hochgeführt, und eine Stunde später waren beide tot." Geräuschvoll brach sie in Geschluchze aus. Pismire versuchte zwar, sie zu beruhigen, hatte damit aber keinen Erfolg.

Er ließ sie weinen und als sie sich wieder beruhigt hatte fragte er: "Gibt es sonst noch irgendeine Verbindung, die du mit der Lehrergilde kennst?"
Sie runzelte die Stirn und dachte nach. "Nein, Oberleutnant, die Tatsache, dass die Tochter von den Grobhelms im Nachbarhaus in eine Experimentalklasse geht, hat wohl kaum hiermit was zu tun - oder?"

07.11.2007 18: 31

Mina von Nachtschatten

"Das kommt ganz darauf an", der Oberleutnant wiegte nachdenklich den Kopf, "Gibt es irgendetwas Ungewöhnliches über diese Familie zu berichten?"
"Das kann man so sagen, ja!" Madame Geschwätzig seufzte theatralisch. Anscheinend hatte ihr der Ausbruch eben gut getan, eifrig begann sie zu erzählen: "Nicht, das mit den Eltern etwas nicht in Ordnung wäre, nein, Meritia und Fred Grobhelm sind ganz reizende Leute und auch ihr kleiner Sohn ist so ein liebes Kind. Aber die Tochter, die Tochter, ich sage dir Oberleutnant, mit dem Mädchen stimmt etwas nicht! Ständig bringt sie ihre Eltern zur Verzweiflung, wie oft hat sich die arme Meritia schon bei mir ausgeweint, das arme Ding weiß manchmal nicht mehr was sie noch machen soll."
"Und inwiefern hat das etwas mit Lozzi oder der Gilde zu tun?" Die Frage des Schamanen verhallte ungehört.
"Ständig denkt sich die kleine Laurenzia irgendwelche wilden Geschichten aus, setzt sich Flausen in den Kopf und lässt sie sich nicht mehr ausreden", plauderte die Madame ungerührt weiter, "Wenn es nach ihr ginge hätten wir schon längst einen ganzen Haufen neuer Götter für alles und jedes. Wie sich ein Kind derartig an so etwas festbeißen kann, das halte ich für nicht normal." Langsam färbten sich ihre Wangen rot und ihr Tonfall sprach nun eindeutig von Ärger. "Sie ist kaum zu bändigen, trotzig wenn man ihr keinen Glauben schenkt und unhöflich, ja, neulich habe ich sie vor dem Haus getroffen und da hat sie doch allen Ernstes zu mir gesagt ..."
"Natürlich Madame, verzeih bitte, wenn ich dich unterbreche" Pismire war bemüht seiner Stimme einen besonders milden aber dennoch bestimmten Klang zu verleihen, "Aber ich glaube nicht, dass das mit unserer Sache hier zu tun hat."
Madame Geschwätzig schnaubte pikiert, offensichtlich gefiel es ihr ganz und gar nicht, unterbrochen zu werden.
"Na du musst es ja wissen! Ist es vielleicht nicht interessant, das die kleine Grobhelm in die Klasse des guten Pester ging? Eine Klasse mit, nun, nennen wir es einmal, schwierigen Schülern?"
"Natürlich, ich danke für die Information", meinte der Oberleutnant rasch, bemüht, die Dame nicht noch mehr zu verärgern. Obwohl er noch nicht wirklich einen Zusammenhang zwischen den Todesfällen und einem störrischen Mädchen erkennen konnte, machte er sich eine gedankliche Notiz unter dem Stichwort "Grobhelm", man konnte ja nie wissen zu was solch ein Fakt noch einmal gut sein konnte. "Vielleicht kann uns das weiterhelfen", fügte er noch hinzu, um auch die letzten Falten des Ärgers auf der Stirn seiner Gesprächspartnerin zu glätten. Diese lachte nun hell auf.
"Merk dir, Oberleutnant: Lass eine Dame immer ausreden, bevor du urteilst!", rief sie triumphierend.

"... und deswegen ist sie vor kurzer Zeit ausgezogen, ich meine, es geht mich ja eigentlich nichts an, aber wenn man mich fragt, da steckt noch mehr dahinter, aber ich halte mich da ja zurück, will schließlich auch nicht, dass die Nachbarn sich um meine Belange kümmern."
Es schien eine halbe Ewigkeit vergangen zu sein, bis Frau Wohnlich das erste Mal schwieg. Und diese plötzliche Stille ließ Mimosa und Mina aus einer Art Lethargie aufschrecken, in die sie sich vor dem Geschwätz der alten Dame geflüchtet hatten. Über Lozzi hatte sie nicht allzu viel zu erzählen gehabt, dafür aber lang und breit über ihre Nachbarin Frau Hättegern schwadroniert, die ja immer so freundlich zu ihr war, doch aus deren Wohnung man ansonsten eigentlich nur Streit und Geschrei hören konnte. Doch heute sei sie zum Glück außer Haus, überhaupt sei heute niemand da, außer ihr, sie wäre so oft allein und dabei liebte sie Gesellschaft doch so.
Zwischenfragen, um auf den Lehrer zurückzukommen, hatten sich als Ding der Unmöglichkeit entpuppt und daher war den beiden Wächterinnen nichts anderes übrig geblieben, als das Ende des Monologes der alten Dame abzuwarten. Das nun wunderbarer Weise erreicht zu sein schien.
"Gut, wir danken dir sehr, dass du uns das alles so ausführlich erzählt hast", begann Mimosa, stellte ihre Teetasse vorsichtig ab und erhob sich, "aber wir müssen jetzt leider wieder gehen." Das allgegenwärtige Rosa im Raum fing an eine zermürbende Wirkung auf sie zu haben. Daher hätte sie fast gequält aufgestöhnt, als sie die Stimme ihrer Kollegin vernahm:
"Und es gibt wirklich nichts weiter über Herrn Lozzi zu berichten? Wohnen vielleicht noch Freunde oder Verwandte in der Nähe, die man befragen könnte? Kann man sich vielleicht sein Zimmer einmal ansehen?" Die Vampirin schien nicht bereit, die Sache schon auf sich beruhen zu lassen.
Frau Wohnlich schüttelte den Kopf. "Ich habe keinen Schlüssel, es gibt zwar einen Ersatzschlüssel, aber wo der ist weiß ich nicht, wartet doch einfach, bis Herr Lozzi wieder da ist. Das er Verwandte hier hätte, hmmm, nicht das ich wüsste. Und auch mit den anderen Mietern im Haus hat er kaum Kontakt. Besuch empfängt er nie und seit seine Eltern vor einigen Jahren verstorben sind und ihm dieses Haus hinterlassen haben, geht er fast nur noch auf die Straße um seinem Beruf nachzugehen. Ein stiller Mensch, sehr zurückhaltend aber immer ein guter und pflichtbewusster Vermieter. Und er ist Lehrer mit Leib und Seele, ich bewundere ihn für seine Geduld, ja, mit den Kindern ist es heutzutage nicht mehr so einfach, habe ich nicht Recht? Das sind andere Zeiten, ganz andere Zeiten ... einmal, das ist noch gar nicht so lange her, da hat er mir sein Manuskript gezeigt, er hat so viele Ideen, wie man den Unterricht verändern könnte ..."
"Manuskript?" Mimosa ließ sich ruckartig wieder in einen Sessel fallen, was von Schleicher mit einem empörten Quieken quittiert wurde und schenkte der Dame erneut ihre gesamte Aufmerksamkeit.
"Ja, er hatte ein Buch geschrieben", Frau Wohnlich schien ganz begeistert über dieses neue Thema zu sein, "Der Titel ... ist mir leider entfallen, aber es war sehr dick und handelte von", sie runzelte angestrengt die Stirn, "neuer Pädakogikk wenn mich meine Erinnerung nicht trügt. Herr Lozzi traute sich nicht so recht, es veröffentlichen zu lassen, aber ich habe ihm zugeraten. Solche Mühe darf schließlich nicht umsonst sein." Dann hielt sie plötzlich inne, die voll beladene Kuchengabel auf halbem Weg zum Mund. "Warum wollt ihr eigentlich so viel über Herrn Lozzi wissen?", fragte sie dann langsam und heftete ihren Blick fest auf ihre beiden Gäste, "Es ist doch nichts passiert, oder?" Ihre Stimme verriet Besorgnis.
"Wir fragen aus rein ... beruflichem Interesse", meinte Mina schnell und Mimosa nickte zustimmend.
Frau Wohnlichs Augen wurden groß wie Suppenteller. "Oh ... dann wollt ihr also auch Lehrerinnen werden? Wie wunderbar!"
Wenn nicht schon irgendetwas zuvor, so war dies nun das eindeutige Stichwort zum Aufbruch. Um der akuten Gefahr eines neuerlichen, begeisterten Wortschwalls zu entgehen, erhoben sich die RUM Ermittlerinnen, gerade so schnell, dass es nicht unhöflich erschien, verabschiedeten sich hastig und wagten erst wieder stehen zu bleiben, nachdem die Haustür hinter ihnen endgültig ins Schloss gefallen war.
"Und was machen wir jetzt?" Mimosa sah sich unschlüssig um. "Wir gehen doch nicht wieder zur Lehrergilde, oder?"
Der Gedanke behagte keiner der beiden sonderlich, jede Alternative wäre dem vorzuziehen.
"Es wird uns nicht viel anderes übrig bleiben." Mina überlegte kurz. "Es sei denn, wir sehen uns einmal nach diesem Buch um."

08.11.2007 12: 40

Bjorn Bjornson

Bjorn ärgerte sich. Wieso hatte er nur vergessen, den Oberleutnant nach den Adressen zu fragen. Der hatte es leider verpasst sie ihnen zu nennen, und die Höflichkeit gegenüber einem Vorgesetzten gebot es ihm, nicht umzukehren. Also gingen er und Onyx zur Lehrergilde, um dort nach den Adressen zu fragen.
Als sie das Gebäude betraten, sprach Onyx den ersten, der in der Nähe war, an.
"Hey, du uns sagen, wer der Chef vons Ganze hier ist!"
Kaum hatte der Angesprochene sich umgedreht, erkannte Bjorn ihn als Damien, Damien erkannte die beiden als Wächter, und Onyx gewann gar keine neue Erkenntnis. "Du wohl bald mit der Sprache rausrücken wirst?"
"Aber Onyx", flüsterte Bjorn ihm zu. "Das ist doch Damien."
"Ach", sagte der Troll laut. "Du sein Da..."
"Sei ruhig", unterbrach ihn Bjorn leise, aber eindringlich.
"Könnten Sie uns weiterhelfen, Herr ...?"
"Ähm, ähm, Bleicht."
"Wer ist denn der Vorsitzende dieser Gilde und wo finden wir ihn?"
"Der Vorsitzende ist Theo Retisch."
"Oh, auch gut, und an wen können wir uns wenden?", hakte Bjorn nach.
"Wie?"
"Na ja, wenn der Vorsitz nur theoretisch besetzt ist...?"
"Nein, nein, der Vorsitzende heißt Theo | Retisch", erläuterte Damien.
"Ach so, und wo ist sein Büro?"
"Im zweiten Stock." Damien deutete auf eine Treppe in der Nähe. "Gar nicht zu verfehlen."
"Gut, vielen Dank", sagte Bjorn, ging los, hielt aber noch mal an. "Wir haben rausgefunden, dass Herr Lozzi etwas von wegen Göttern gemurmelt hat, kurz vor seinem Tode. Vielleicht kannst du das noch irgendwie Septimus mitteilen", sagte er leise.
"Ok, mach ich."
Und Bjorn ging die Treppe hinauf, Onyx hinterher.

Vor dem Büro angekommen klopfte Bjorn und es ertönte ein "Herein".
"Was kann ich für Sie tun, die Herren Wächter?", sagte Herr Retisch, als er die Hereinkommenden als Polizisten identifizieren konnte.
"Wir hätten gerne die Adressen von den Herren Schlemmkreide und Zahlrübe, sowie der Frau Turnbeutels."
"Aber die habe ich doch schon eurem Oberleutnant gegeben", sagte der Vorsitzende.
So, und jetzt beginnt ein wenig Risiko, dachte Bjorn. Er berief sich jetzt auf ein allgemeines Handycap von Lehrern. "Wir konnten Ihre Schrift leider nicht decodieren."
"Oh, ja dann. Dann gebe ich Sie Ihnen zum Mitschreiben."
"Ach, wissen Sie zufällig noch, wo wir den Fachobmann für Religion finden können?", fragte Bjorn eine halbe Minute später.
"Herrn Emu? Der dürfte grade im Lehrerzimmer sein. Ach ja, Herr Emu, noch vor kurzem im Gefängnis, wegen kleinerer Gaunereien. Jetzt haben wir sein Gehalt um 50% erhöht, unter der Bedingung, dass er sich weiterbildet, auf dass wir die Gehaltserhöhung vor Vetinari begründen können. Dann hat er sich so sehr weitergebildet, dass wir sein Gehalt noch einmal um 200% erhöhen mussten, um seine Fortschritte rechtfertigen zu können. Mittlerweile ist er Fachobmann in Ankh-Morporkianisch, Überwaldisch und Religion, obwohl er letzteres gar nicht unterrichtet."
Herr Emu, dachte Bjorn. Irgendwoher kenne ich den Namen...

Herr Matthias Emu, wegen Einbruchs hinter Gittern gewesen, aber mindestens noch bis Ende nächsten Monats. Bjorn hatte vor kurzem diesen Fall mit ein paar anderen aufgeklärt.
"Sollten Sie nicht eigentlich noch im Gefängnis sitzen?"
"Ich wurde wegen guter Führung entlassen. Ich habe mich geändert. Mir ist Om im Schlaf erschienen und er hat mich bekehrt."
"Ah, das führt uns direkt zu unserem Thema. Kennen Sie ein paar Götter, die sich mit Lehrern befassen?"
"Na ja, da fällt mir zuerst Gigalith ein, der Trollen Weisheit schenkt, indem er sie mit einem Stein auf den Kopf schlägt. Sozusagen der Trolllehrer. Und natürlich Patina, die ephebianische Göttin der Weisheit, mit ihrem Pinguin. Das ist zwar alles Irrglaube, denn es gibt ja bekanntlich nur Om, aber wissen Sie was? Wenn Sie wollen, werde ich weiter für Sie recherchieren."
"Tun Sie das, das wäre sehr nett von Ihnen."

13.11.2007 20: 35

Septimus Ebel


Pädagogik war nicht gerade eine von Septimus' Stärken. Trotzdem machte er den unbeholfenen Versuch mit einer Zehnjährigen, die sich im Schrank eingeschlossen hatte, ein Gespräch zu führen. 'Kontakte knüpfen' stand ziemlich weit oben auf der Liste des Leitfadens für verdeckte Ermittler, soweit er sich daran erinnerte. Man konnte nie wissen, was bei einem Gespräch, nun ... zur Sprache kam und welche Möglichkeiten sich vielleicht daraus ergaben.
"Ähm", begann er, "Hallo, Laurenzia!".
Verdammt, seine Stimme klang nicht kräftig genug. Ein Räuspern. "Hier ist Doktor Erbguth."
"Ach, tatsächlich?", kam eine ironische Stimme aus dem Schrank.
"Hör zu, wir kennen uns noch nicht so lange. Aber vielleicht willst du mir trotzdem erzählen, was dich dazu veranlasst hat, dich selbst in einen Schrank zu sperren und stundenlang in der Dunkelheit zu sitzen mit nichts als Büchern."
Von drinnen kam nichts. Laurenzia weigerte sich mit ihm zu reden. Dagegen hatte der Gnom vormals nichts, er konnte durchaus so lange reden, bis ihm eine Grenze gesetzt wurde. Die meisten Leute setzten diese Grenze bereits ziemlich früh. Es gab auch Leute, die aus Höflichkeit ein wenig länger zuhörten. Besonders bei einigen Kollegen war ihm schon vor langer Zeit aufgefallen, dass sie zwar versuchten, ihm zuzuhören, jedoch nur des Anstands wegen und mit einer stillen Diskretion. Nur wenige Menschen, die in der Lage waren, sich frei zu entscheiden, hatten länger als eine halbe Stunde durchgehalten. Hier hatte er es mit Trotz zu tun, den konnte man in der Regel recht schnell zum Reden bewegen.
"Ich habe eine Freundin", plauderte Septimus unbeirrt weiter. "Die würde sich das Hinterteil wegfreuen, wenn sie sich mit Büchern eingeschlossen finden würde. Ohne Licht zum Lesen, hätte dieser Gedanke allerdings wieder etwas Tragische. Mir würde das nicht gefallen. Es muss was ziemlich Schlimmes sein, was dich da rein gebracht hat, da bin ich mir sicher."
Damit hatte er sie bestätigt, das lockte sie ein wenig hervor. "Allerdings!", platze sie heraus.
"Was ist denn passiert? Frau Odi hat dich beleidigt? Was hat sie denn gesagt?"
"Sie hat nichts gesagt", fauchte Laurenzia, als würde sie mit jemandem besonders Dummen sprechen. "Sie hat etwas getan."
"Was denn?"
"Wir sollten einen Satz auf Alt-Ankh-Morporkianisch übersetzen", sprudelte es zornig aus ihr heraus. Meine Übersetzung war richtig! Ich schwör's! Aber die Krähe nimmt nach mir noch den Ulrich drann! Ulrich Hirnschrott", ereiferte sie sich. "Der Name sagt doch schon alles. Seine Übersetzung war vollkommen falsch! Und sie sagt doch echt, dass das richtig ist! Aber meine Übersetzung war richtig! Die hat das nur gesagt, weil Ulrichs kleine Schwester vorgestern gestorben ist! Das ist so ungerecht, das ist beleidigend!" Die Kleine hatte sich offenbar warm geredet. "Sie hat meine Arbeit damit schlecht gemacht, obwohl sie richtig war. Sie hat gelogen, nur um Ulrich nicht noch trauriger zu machen. Von uns wird immer verlangt, dass wir uns an die Regeln halten, ganz streng an die Regeln. Aber dann sollen sich auch die Lehrer an die Regeln halten, verdammt nochmal! Die kommt als nächstes auf meine Liste. Ich schwör's!"
"Deine Liste?"
Plötzlich wurde es still auf der anderen Seite. Septimus zog seinen Notizblock hervor.
"Ähm", machte Laurenzia zögernd, als hätte sie sich bei etwas erwischt. "Meine ...", sie suchte nach einem Wort. "Gebetsliste! Ja, genau. Heute Abend werde ich Frau Odi in mein Gebet einschließen." Sie kicherte spitzbübisch. "Und ich werde sehr kräftig beten."

14.11.2007 20: 47

Mimosa

Mimosa hob den Zeigefinger und deutete nach oben, wo sie Lozzi's Wohnung vermutete.
"Wir müssen erst mal herausfinden, wer den Schlüssel hat", meinte Mina.
Mimosa grinste.
"Das ist Einbruch", wandte ihre Kollegin halbherzig ein.
"Er wird nicht wiederkommen, es gibt keine Verwandten, anscheinend auch kein Testament, zumindest ist noch kein Anwalt aufgetaucht, also geht das Gebäude an die Stadt und wir sind die Vertreter der Stadt. Wir brechen also sozusagen in unser eigenes Haus ein, und das ist erlaubt. Außerdem müssen wir hier wichtige Ermittlungen anstellen und das Gemeinwohl geht schließlich vor."
"Wenn du meinst..."
Mina war nicht komplett überzeugt. Außerdem fand sie es leicht beunruhigend, wie begeistert Mimosa von der Vorstellung, das Schloß zu knacken, war. Doch ihre Mitwächterin war schon halb die wacklige Holztreppe hochgekraxelt und somit außer Hörweite- sie hatte sogar Schleicher unten vergessen.
Mina hob die Ratte auf und meinte halblaut: " Nicht gerade eine ihrer besten Ideen."
Schleicher rümpfte die Nase.
Mina warf dem Nager einen skeptischen Blick zu, dann lief sie ihrer Kollegin hinterher.

Mimosa erprobte bereits ihr Können am Türschloß, als Mina das Ende der Treppe erreicht hatte. Gerade drückte sie einen kleinen Metallstift ins Schloß und hieb mit der Handkante der anderen Hand fest gegen das Schloß. Etwas klickte und die Tür schwang auf. Mimosa warf Mina einen triumphierenden Blick zu.
"Ich weiß nicht so recht, ob ich davon begeistert sein soll..." entgegenete diese.
Mimosa zuckte mit den Achseln.
"Ich hab 'ne Menge nutzlose Talente."
"Ich sehe es", murmelte Mina und setzte Schleicher auf dem Boden ab.

Die beiden Wächterinnen betraten den Raum- und hielten erstaunt inne.
"Auch das noch", stöhnte Mimosa entsetzt, "das ist ja die reinste Bibliothek!"
Wo es in anderen Räumen Wände und Stützbalken die Decke an Ort und Stelle hielten, gab es auch hier Holzprodukte- allerdings in zwischen Buchdeckeln gepresster Form. Bücher über Bücher türmten sich an den Wänden hoch, stapelten sich im Flur, formten Gebirge auf dem Fußboden, der - mit einen alten flauschigen Teppich belegt war, von dem allerdings kaum noch was zu erkennen war.
Mimosa rang ernsthaft um ihre Fassung.
"Und in diesem Chaos sollen wir ein einziges bestimmtes Buch finden? Da sitzen wir bis zum Seelenkuchenentendienstag dran!"
Mina teilte Mimosa's Bibliophobie nicht und nahm ein paar der Stapel genauer in Augenschein.
"Ich denke, die sind alle geordnet. Siehst du: hier steht Geschichte von Tsort, da Früh-Klatschianische Dichtung, das hier ist alles über die Magischen Kriege und ihre Auswirkungen auf die Moderne. Wir müssen also nur nach Pädagogik suchen- oder am besten gleich auf seinem Schreibtisch; wenn er das Buch selbst verfasst hat, wird er ja wohl regelmäßig daran gearbeitet haben."
Mimosa warf nur einen flüchtigen Blick auf die Bücherunmegen, die sie schier zu erdrücken schienen. Sie hatte zwar mittlerweile lesen gelernt, aber das hier war wirklich zuviel verlangt. Man sollte es ja schließlich nicht übertreiben, oder? Und außerdem...
"Wie willst du denn hier einen Schreibtisch finden? Ich bin mir ja nicht mal mehr ganz sicher, hinter welchem Stapel die Tür war!"

15.11.2007 22: 37

Mina von Nachtschatten

"Über Türen mache ich mir gerade keine Gedanken." Mina hatte sich vorsichtig an einigen weiteren Büchertürmen vorbeigeschoben, die schon durch den dadurch erzeugten leichten Lufthauch bedrohlich zu schwanken begonnen hatten. Ihre Stimme klang nun eher dumpf aus dem hinteren Teil des Raumes zu ihrer Kollegin hervor. "Eher darüber, dass ich jetzt hier vor einem Regal stehe, dass nur Bücher über Pädagogik enthält. Und die stehen auch noch in, Moment", es herrschte kurzes Schweigen, "drei Reihen hintereinander."
"Und gibt es dort hinten auch einen Schreibtisch?", Mimosa lugte misstrauisch um einen der Stapel aus gebundenem Papier.
Anstatt einer Antwort erklang ein lautes Knallen, gefolgt von einem unterdrückten Fluch, offenbar auf überwaldisch, denn Mimosa verstand kein Wort und an einer Übersetzung war ihr momentan auch nicht sonderlich gelegen.
"Alles in Ordnung?", fragte sie stattdessen.
"Ja. Nein. Ich meine, wir sollten hier wirklich nichts anfassen. Die Regalkonstruktionen sind ... nicht sonderlich stabil."
"Wie schlimm ist es?" Die Mimosa sah sich im Geiste schon von Regalen umringt, die wie Dominosteine eines nach dem anderen in sich zusammenstürzten. Begraben unter Büchern - die Ermittlerin konnte sich wirklich angenehmeres vorstellen.
"Zwei Regalböden. Sagen wir es so, ich werde eine Weile zu tun tun haben, schau du dich doch noch einmal nach dem Schreibtisch um."
Mimosa wandte sich seufzend dem Rest des Raumes zu - einem scheinbar undurchdringlichen Dickicht von Gedrucktem und Gebundenem. Auf der anderen Seite war sie allerdings froh, sich nicht mit dem lesen unzähliger Buchtitel abmühen zu müssen.
Es erschien ihr sinnvoll, an einer Seite des Zimmers anzufangen und sich langsam bis zur gegenüberliegenden voran zu arbeiten, doch der einzige Haken an dieser Vorgehensweise war, dass es manchmal schlicht kein geradeaus gab, ebenso wenig wie ein links, rechts, vor oder zurück. Tatsächlich konnte man die hier herrschenden, labyrinthartigen Verhältnisse wohl durchaus mit denen der Kanalisation Ankh-Morporks vergleichen, mit dem Unterschied, dass die Wände hier nicht aus Stein bestanden und es nicht annähernd so stank.
Mimosa schob Papier von einer Seite auf die andere, hob hier und da recht lustlos und manchmal mit einem leichten Schaudern ein besonders dickes Buch vom Boden auf um es einem der Türme hinzuzufügen, wandte sich mal hierhin, mal dahin und versuchte schließlich einem ungemein hohen Bücherberg auszuweichen. Dabei blieb sie allerdings mit einem Fuß an irgendetwas am Boden hängen, stolperte vorwärts und stieß mit dem Knie gegen etwas hartes, das nicht die Absicht hatte, nachzugeben. Papier geriet ins Rutschen und legte schließlich eine hölzerne Ecke frei.
"Ich ... glaube, ich habe den Schreibtisch gefunden", presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
"Und?" Die Stimme ihrer Kollegin klang erwartungsvoll, anscheinend hatte sie selbst noch keinen sonderlich spannenden Fund gemacht.
Stirnrunzelnd wandte sich Mimosa den Objekten direkt vor ihr zu, von denen sie einfach ausging, dass sie sich auf der Tischplatte befanden - zu sehen war diese auf jeden Fall noch nicht.
Auch hier lagen viele beschriebene Blätter, größtenteils mit einer winzigen, krakeligen Handschrift bedeckt, die zu Entziffern noch über Mimosas Lesefähigkeiten ging. Des weiteren gab es ...
"Nichts besonderes. Eine Menge Schreibkram, aber ansonsten scheint das der einzige Ort in diesem Zimmer zu sein, an dem es keine Bücher gibt."
Kaum waren die Worte ausgesprochen, zog ein besonders großes Papierbündel ihre Aufmerksamkeit auf sich. Halb verborgen unter all dem anderen Dingen sah man von ihm nur, dass die einzelnen Seiten ordentlich durch ein Band zusammengehalten wurden. Also doch ein Buch, beinahe zumindest. Ohne Einband. Mimosa zog es hervor und versuchte die Überschrift zu entziffern. Es handelte sich um die gleiche Handschrift, die sich auch auf all den anderen Papieren fand, nur das sie hier etwas größer und ordentlicher war.
"Neue Päda-gogik. Alter-native Me-tho-den für den Schul-all-tag", las sie laut vor, "Von ..." Der folgende Satz wies in etwa den gleichen Grad der Begeisterung auf, wie der Aufschrei eines Zwerges, der einen großen Klumpen Gold fand. "Ich habe es!", rief sie triumphierend, "Lozzis handschriftliche Aufzeichnung seines Buches!"
Mina kämpfte sich aus der hinteren Ecke des Zimmers hervor, verharrte jedoch plötzlich auf halbem Weg zu ihrer Kollegin.
"Unten im Treppenhaus", flüsterte sie erschrocken, "Es kommt jemand."
Eilig stopfte Mimosa das Manuskript in ihre Umhängetasche und hastete in die Richtung, in der sie die Tür vermutete. Doch die Freude über die kurz darauf folgende Entdeckung, dass sie richtig geraten hatte, wich einem jähen Entsetzen, dass sie abrupt innehalten und herumfahren ließ.
"Wo ist Schleicher?", fragte sie panisch.

16.11.2007 0: 47

Septimus Ebel

"Ähm ... das ist ... gut ... schätze ich." Septimus war ein wenig irritiert durch das fiese Lachen des Mädchens in Kombination mit dem vergleichbar nüchternen Gedanken eines Gebets. Bei dieser einen Sache wollte er dann doch noch nachhaken: "Von was für einer Liste redest du denn da genau?"
Laurenzia ging nicht auf seine Frage sein. "Betest du, Herr Erbuth?"
Das raubte ihm die Sprache. Es war eine Frage, die ihm schon lange nicht mehr gestellt worden war und dazu noch eine von der Art, über die man gründlich nachdenken sollte, bevor man sie beantwortet ... Er wollte schließlich nicht ein so junges Wesen von seiner Religion abbringen.
Als Kind hatte Septimus oft gebetet, bevor er zu Bett ging. Seine Eltern waren zwar nie besonders aktiv gewesen in der Freien Fliederkirche, hatten aber immer darauf geachtet, ihrem Sohn deren Traditionen mitzugeben, um ihn selbst über seine Religiosität entscheiden zu lassen. Ihre Mitglieder waren verschlossen, arbeitsam und erfindungsreich, und ihr striktes Insistieren auf den Schutz aller Fliedersorten, machte sie in der Gegend, in der Schmetterlinge als Delikatesse galten, zu etwas Besonderem. Seitdem er rausgefunden hatte, dass seine Eltern selbst nicht an einen Dialog mit irgendeiner Gottheit glaubten, hatte er das Beten gehasst. Es fühlte sich an, als wäre er gezwungen etwas unglaublich Privates von sich freizugeben, als würden ihm seine Hoffnungen und Gedanken einfach entrissen. Manchmal hatte er soviel Angst davor, dass er die ganze Nacht wach blieb und das Beten vor sich herschob. Noch ein paar Jahre später entwickelte er regelrechte Verachtung für die Auffassungen der Freien Fliederkirche, sie gingen ihm nicht weit genug. Sie schlossen zu viel aus ihrem Segen aus, das ebenfalls Schutz bedurfte. Und sie verließen sich auf eine höhere Gewalt, deren Hilfe - wenn sie schon nicht ausgeschlossen werden konnte - seltener zum Erfolg führte als aktiver Umwäldschutz. Das war die Zeit, in der er die Stunden vorm Zubettgehen vorwiegend genutzt hatte, um die Ungerechtigkeiten, Absurditäten und Abscheulichkeiten zu zählen, die ihm an diesem Tag begegnet waren. Was sich der Gnom wünschte, schien jedem Gott gleichgültig zu sein.
"Nein", antwortete er ernst.
"Warum nicht?", fragte Laurenzia.
Sollte er wirklich zu den Göttern beten, damit sie Ankh-Morpork gesunde Bäume, Frosch-Biotope und eine reine Luft gaben? Damit sie die dem Schwachsinn nahekommende Neigung der zur Selbstzerstörung heilten? War so etwas schon mal vorgekommen? Nein. Die Götter halfen denen, die sich selbst geholfen haben, mehr nicht.
"Nun, ich kann nicht ausschließen, dass es einen Effekt haben würde, aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich", erklärte Septimus.
"Ja, aber bei Turnbeutel hat's geklappt und bei Zahlrübe auch!"
"Was meinst du damit?"
Laurenzia hustete ungewöhnlich laut: "Äh-hä-hää-huirgh."
"Ich glaube nicht, dass ein Gott dir hilft, wenn du deinen Turnbeutel vergessen hast oder sonstwas - "
"Aber!"
"- Und wenn, dann wird es kein zweites Mal passieren!"
"Aber!"
"Nun, vielleicht hat einer der Götter das Turnbeutel-finden ins Angebot aufgenommen, um das Image aufzubessern, aber ich bezweifle - "
"Aber ich habe es selbst mitbekommen!", rief das Mädchen lauter.
O.k., ich weiß, das hier irgendwas passiert ist, dachte sich er sich, aber sie will mit nicht sagen, was das ist. "Wenn du mir nicht genau sagst, WAS du mitbekommen hast, muss ich davon ausgehen, dass es frei erfunden ist!", antwortete der Gnom jetzt auch wütend. Dieser Satz machte die kleine Fanatikerin erst richtig sauer.
"Du bist ein Lügner!", rief sie.
"Das ist wohl etwas hart ausgedrückt", beschwerte sich der Obergefreite. "Würdest du mir gerechterweise - denn mit der Gerechtigkeit scheinst du es ja ernst zu nehmen - sagen, WARUM du mich einen Lügner nennst?!"
"Weil es geklappt hat! Es hat geklappt bei mir! Bei Schlemmkreide hat's es zwar was länger gedauert - aber es hat geklappt! WEIL ich gebetet hab! Also lügst du!"
Er verstand nicht besonders viel von der Argumentation des Mädchens. "Drück dich doch mal verständlich aus! Was lernst du denn in dieser Schule?! Erzähl mir GANZ GENAU, Schritt für Schritt, WAS du getan hast, mit WEM oder WAS du es getan hast, damit WAS passiert ist!"
Einen Moment lang war Septimus selbst überrascht über das, was er gerade von sich gegeben hatte. Im darauffolgenden Moment öffnete sich die Tür des Klassenzimmers und Damien lugte herein.

18.11.2007 14: 43

Pismire

Nachdem er sich von der Madame keine weiteren Neuigkeiten versprach, bat Pismire sie, ihm den Schlüssel zu Petulia Bocksbeutels Zimmer auszuhändigen. Zwar verstehe sie nicht, was er damit wolle, weil seine Kollegen den Raum schon nach allen Regeln der Kunst untersucht hätten - eine Fähigkeit, die sie Pismire allzu offensichtlich in keinster Weise zuzutrauen schien - aber wenn er denn darauf bestehe... Nachdem sie noch ein wenig heruml amentiert hatte, überließ Madame Geschwätzig ihm den Schlüssel.

Gewiß, die Spurensicherer von SUSI hatten sich den Raum gründlich vorgenommen, dennoch erhoffte der alte Mann sich wenigstens irgend eine Art von Inspiration - oder wenigstens Ruhe, denn nach dem Geleiere von Retisch und dem Geschwätz der gleichnamigen Madame brummte ihm ein wenig der Schädel. Langsam stieg er die Treppen hoch, öffnete die Tür und schloß sie sorgfältig wieder nach seinem Eintreten. Er sah den Stuhl, auf dem Lozzi gesessen hatte, dann das Bett, auf dem Petulia Bocksbeutel gestorben war und ließ sich ächzend im Schneidersitz auf der dritten Sitzgelegenheit, dem Teppich, nieder.

Der Raum hatte einen kargen Charme. Bett, Stuhl, Tisch, Fenster, eine große Truhe für die beweglichen Habe der Bewohnerin, eine Komode, auf der eine Waschschüssel, und eine Wasserkanne standen, dahinter hing ein kleiner Spiegel. An einem Haken hinter der Tür hing ein Umhang.
Der Blick über die umliegenden Dächer war wenig bemerkenswert. Ah ja, das da vorne musste das Haus von dieser Familie Grobhelm sein, deren Tochter in eine von Lozzi geleitete Klasse ging, derselbe Lozzi, der mitten in einem Gespräch mit der Bocksbeutel - zusammen mit dieser - tot umgefallen war.

Als Wächter neigte er dazu, den Tod eines Wächters auf den Umstand zurück zu führen, dass er ein Wächter gewesen war. Auch die ersten Ermittlungen der Wache im Fall des Todes von Petulia Bocksbeutel waren von diesem Umstand ausgegangen. Dann waren die Lehrer ins Visier der Ermittlungen geraten - zum einen, weil Lozzi ein Lehrer war, dann wegen der Todesfälle unter den ehemaligen Lehrern. Pismire neigte mittlerweile zu der Ansicht, dass Petulia eher zufällig getötet worden war. Der Umstand, dass sie selber vor ihrem Eintritt in die Wache lange Jahre als Wanderlehrerin tätig gewesen war, hatte lediglich dazu geführt, dass Lozzi sich ihr leichter anvertraut hätte. Pismires Erfahrungen mit Lehrern waren nicht groß - abgesehen davon lag seine eigenen Schul- und Lehrzeit schon eine Ewigkeit zurück und hatte sich nicht einmal auf der Scheibenwelt abgespielt. Von den Lehrern aus, die er in der Gilde und im Rahmen seines Wächterlebens mitbekommen hatte, schien es ihm unwahrscheinlich, dass Lozzi ohne jegliche Aufzeichnungen - die Spezies schien dazu zu tendieren, alles mögliche und unmögliche in irgendeiner Form schriftlich festzuhalten - auf ein ihn beunruhigendes Ergebnis reagiert hatte. Er tippte auf ein Tagebuch. Lozzi schien ihm der richtige Mann, für ein ausführliches Tagebuch zu sei. Er hoffte im Stillen, dass Nachtschatten und Mimosa mittlerweile Lozzis Wohnung gefunden hatten.
Dann galt es noch, die Familie Grobhelm zu befragen. Nicht, dass er sich viel davon versprach; die Tatsache, dass deren Tochter in Lozzis Klasse ging, schien unter Umständen dafür verantwortlich zu sein, dass sich Lozzi seiner entfernten Verwandten und ihrer - seiner Sache dienlichen - Untermieterin erinnert hatte. Das würde eine kurze Sache werden. Danach würde er in die Wache zurückkehren und beginnen, seine Unterlagen zu ordnen und die Ergebnisse der anderen Wächter abzuwarten. Er würde Tauben brauchen um diese - außer natürlich Hauptgefreiten Bleicht - zurückzurufen; auch das erforderte eine Rückkehr zur Wache.

Mit einem Ächzen erhob er sich; die Grobhelms wohnten nebenan.
Als Pismire eben die Hand erhob, um an der Tür zu klopfen, wurde sie von innen her bereits aufgerissen. Eine Junge Frau, offensichtlich in Panik rannte ihn fast um. Pismire fing sie gerade noch auf und verhinderte so einen Sturz. Als ihr Blick auf seinen Umhang mit seinen Abzeichen fiel, atmete sie tief durch.
"Den Göttern sei Dank. Du bist von der Wache. Ich wollte gerade zu euch. Mein Sohn ist verschwunden. Ich hatte heute nach dem Frühstück in sein Zimmer zum Spielen geschickt. Als ich vor einer Viertelstunde nachsah, war er nicht da. Auch im ganzen Haus ist er nicht. Und die Tür war von Innen verschlossen. Bitte - du mußt ihn finden!", sprudelte sie heraus.

20.11.2007 19: 46

Bjorn Bjornson

Bjorn und Onyx wollten grade die Gilde der Lehrer verlassen. Sie hatten erst noch versucht, Septimus selber zu finden, was sich aber als erfolglos herausstellte.
Bjorn öffnete gerade die Tür, als eine Stimme hinter ihnen rief: "Wartn Sie, Wachtmeista!"
"Bjorn drehte sich um und sah einen Jungen, der etwa einen Kopf größer war als der Zwerg. "Was ist los?"
"Herr Emu ist etwas eingefallen, das er Ihnen sagen möchte."
"Herrn Emu", korrigierte Bjorn.
"Ähm, klar, Verzeihung."
"Wo finden wir ihn denn?"
"Er unterrichtet grade in unsrer Klasse. Ich bringe sie hin", sagte der Junge und eilte voraus.
Bjorn drehte sich zu Onyx um. "Du suchst die Häuser von Turnbeutel, Schlämmerkreide und dem dritten da auf, während ich mich um das hier kümmere, gut?"
"Mach ich", antwortete Onyx und stapfte los.
Bjorn eilte los, um den Schüler, der bereits die große Treppe, die nach oben reichte, erreicht hatte. Dieser stieg die Stufen hinauf und Bjorn folgte ihm. Über mehrere Gänge kamen sie zu einer Tür, die der Junge nach einem Klopfen, das drinnen wahrscheinlich niemand vernommen hatte, öffnete.
Bjorn trat nach ihm ein.
"Oh, ein Schutzmann. Würden Sie eben warten? Sie können drinnen bleiben." Er wandte sich wieder der Klasse zu: "So, ihr bekommt zuerst die Aufgabenzettel wieder und dann besprechen wir die Arbeit."
Anscheinend hatte er die Zettel, die er nun begann auszuteilen, mit Initialen versehen.
"Wer ist denn JH? Johannes Buss?"
Die Hälfte der Klasse lachte.
Nachdem er die Zettel ausgeteilt hatte, begann er damit die Schüler, die gemogelt hatten, zu 'offenbaren'.
"Schülerin Lammel hat ihren Spickzettel hinten im Heft liegen lassen."
Diesmal lachte die ganze Klasse.
"Und das beste kommt ja noch. Sie hat ihn nicht einmal benutzt."
Jetzt laschte selbst das Mädchen, das vermutlich Lammel mit Nachnamen hieß.
Danach wurde die Arbeit besprochen. Es ging um zwei Texte, die interpretiert werden sollten. Der erste war von Bertold Beugt, der andere von Franz Kafta.
"So", sagte Herr Emu schließlich und sah auf die Uhr. "Mist", sagte er ebenso nüchtern. "Die, die Beugt gemacht haben, kriegen jetzt ihre Arbeit zurück. Die, die Kafta gemacht haben...auch."
Erneut lachte nur die halbe Klasse.
Er teilte die Hefte aus, ließ die Schüler Fragen stellen, entließ sie in die große Pause und wandte sich dann endlich Bjorn zu.
"So, was wollte ich von Ihnen?", fragte er.
"Sie wollten mir etwas Wichtiges mitteilen."
"Ach ja. Als ich grade den Unterricht beginnen wollte, erinnerte ich mich an die Schülerin Grobhelm. Sie hatte mir mal von einer Göttin erzählt, die für die richtige Rechtschreibung sorge. Sie nannte sie Regula."
"Grobhelm", sagte Bjorn mehr zu sich selbst. "Wo hatte ich den Namen noch gehört?"
"Ich weiß es nicht. Sie war in der Klasse von Herrn Lozzi", half Herr Emu auf die Sprünge. "Auf jeden Fall war sie so begeistert von der Göttin. Sie hätte ihr so sehr geholfen. Und ich habe gesehen, wie sich Frau Turnbeutel in ihrer Gegenwart über ihre Unfähigkeit, Länder den Kontinenten zuordnen zu können, beschwert hat. Das war am Tag vor ihrem Tod..."

28.11.2007 22: 03

Hatscha al Nasa

Entnervt verließ Hatscha das Büro von Theo Retisch. Sie war natürlich sofort, nachdem sie von Pismire in die Gilde geschickt worden war, dorthin gegangen und hatte zuerst ihr Glück mit dem Leiter versucht. Doch dieser erwies sich als nicht sonderlich kooperativ. Er fühlte sich durch ihre Anwesenheit äußerst gestört, was er sie auch in jeder kurz gehaltenen, spitzen Antwort spüren ließ. Die Wächterin musste sich hart zurücknehmen, um noch weiter auf diplomatische Art und Weise mit ihrem schrecklichen Gegenüber zu diskutieren und Informationen zu erfragen. Am Liebsten hätte sie ihm ihren Dolch an die Kehle gesetzt und die Antworten erzwungen. Doch das konnte sie als Gildenexpertin nicht machen, nicht, wenn sie weiterhin diesen Posten innehaben wollte. Also hatte sie verkrampft ein Taschentuch in ihren Händen gehalten und es es immer stärker zusammengequetscht, bis es gänzlich in ihrer Handfläche verschwunden war, während sie sich steif um einen halbwegs höflichen Ton gegenüber Retisch bemühte. Er war, wie jeder Lehrer, ein zäher Verhandlungspartner gewesen. Sie kam sich vor, als hätte sie um einen Punkt in der letzten Arbeit feilschen müssen, damit sie noch eine bessere Note bekam. Sie war vollkommen fertig jetzt, das Gespräch hatte sie ihrer Kräfte beraubt.
Angespannt und innerlich kochend ging sie den Gang, auf dem das Büro des Leiters lag, hinunter zur Treppe, um endlich in Erfahrung zu bringen, wo sich ihre armen Kollegen, die hier - teilweise verdeckt - ermittelten, befanden, damit sie ihnen aus eventuellen unangenehmen helfen konnte. Zumindest war das ihre Aufgabe, die sie vom Oberleutnant aufgetragen bekommen hat. Sie wusste zwar immer noch nicht so recht, wie sie die armen, in Gilden doch gänzlich unerfahrenen Tropfe aus ihrem Elend [5] herausholen sollte, aber da würde sich hoffentlich etwas ergeben, wenn sie sie erst einmal gefunden hatte. Und notfalls musste sie eben improvisieren.
Wo fand sie am besten jemanden, der ihr Hinweise auf den Aufenthaltsort ihrer Kollegen - welche suchte sie überhaupt?? - geben konnte?, grübelte sie vor sich hin, als sie sich auf den Weg zum Lehrerzimmer machte. So ein Versammlungsraum war meistens ein guter Start für Ermittlungen. Kurz dachte sie darüber nach, ob sie sich vielleicht unkenntlich machen sollte, entschloss sich aber dagegen. Dass die Wache anwesend war, war sowieso in der Gilde bekannt, also, warum sollte sie dadurch, dass nirgends ein erkennbarer Wächter unterwegs war, den Verdacht auf eventuell verdeckt Ermittelnde lenken?
Schließlich war sie im Aufenthaltsraum der Lehrer angekommen, wo sie scheinbar in eine kleine Diskussionsrunde geplatzt war, denn alle Anwesenden verstummten, als sie ihrer gewahr wurden.

04.12.2007 20: 02

Septimus Ebel

Die Dielen des Treppenhauses quietschten laut unter den herannahenden Schritten. Mimosa suchte den Raum hektisch mit ihren Augen ab, konnte die Ratte aber nirgends entdecken.
"Schleicher!" Es war eher ein geschrieenes Flüstern als ein deutliches Rufen. Keine Antwort. "Schleicher, verdammt! Wo bist du?"
"Hier!", rief da die vertraute Stimme. Sie kam aus einem kleinen Nebenraum, den keine der beiden Wächterinnen bis dahin entdeckt hatte. Von ihrem Standpunkt aus konnte Mimosa durch die schmale Tür hindurch nur einen Schrank und einen Teil von Lozzis Bett erkennen. Allerdings keinen Schleicher. "Ich hab hier was!"
"Scht!", machte Mimosa beschwörend. Man konnte hören, dass die Person nun auf dem oberen Treppenabsatz angekommen war. Mimosas Herz pochte schneller. Wenn jemand herausfand, dass sie hier unerlaubt eingedrungen waren, konnte das Ärger geben.
"Willst du gar nicht wissen was es ist? Sieht sehr brauchbar aus, meines Erachtens nach", quatschte Schleicher weiter.
"Tscht!", machte jetzt Mina. Danach hielt sie gespannt den Atem an und lauschte. Die Schritte wurden noch lauter und bewegten sich direkt auf ihre Tür zu.
"Da will man mal helfen", grummelte die Ratte beleidigt, "Und dann wird einem die Schnauze verboten."
Ein energisches "SCHT!" ertönte von Mina und Mimosa gleichzeitig. Die Schritte stoppten jäh, genau vor Lozzis Tür. Auf der anderen Seite lauschte ebenfalls jemand.


Der verdeckte Ermittler erkannte Damien nach einem kurzen Moment. Schnell bemerkte er, dass der Raum für den Szenekenner leer erscheinen musste. Um ihn daran zu hindern, seine Deckung auffliegen zu lassen, stellte er sich rasch so hin, dass Laurenzia ihn nicht durch den Schlitz im Schrank sehen konnte und machte eine abwehrende Geste. Es sah etwa so aus als würde er sich mit der flachen Hand auf der Bauchlinie in zwei Stücke teilen wollen. Dabei setzte er eine abwehrende Miene auf, die sein Gesicht noch zerknautschter wirken ließ, als es ohnehin schon war. Glücklicherweise deutete der Hauptgefreite das Gehabe des Gnoms richtig und sagte nichts. Jedoch bedeutete er Septimus stumm, dass er ihm etwas mitzuteilen hatte.
Widerwillig und zornig darüber, in einer so hitzigen Diskussion gestört zu werden, marschierte er zu Damien hinüber. Mit diesem Typen hatte er ohnehin noch ein Hühnchen zu rupfen. Bei der konkreten Vorstellung tat ihm das Tier jedoch leid und er entschied sich für eine andere Ausdrucksweise. Mit diesem Typen hatte er ... noch Einiges zu klären. Von Jüngeren zurechtgewiesen zu werden ging Septimus gehörig gegen den Strich.
Damien konnte die Feindseligkeit des Gnoms kaum entgehen, daher hielt er sich kurz und flüsterte: "Bjornson und Onyx haben herausgefunden, dass Lozzi vor seinem Tod viel über Götter geredet hat. Ich weiß zwar nicht, wie uns das weiter bringen soll, aber ich sollte es dir ausrichten."
Septimus nickte einfach nur. "Sonst noch was?"
Damien dachte kurz nach, schüttelte aber dann den Kopf.
"Na dann: Ich ermittle gerade. Bitte nicht weiter stören." Ohne ein weiteres Wort schob der Gnom die Klassenzimmertür wieder zu.
Laurenzia hatte geschwiegen, seitdem sich die Tür geöffnet hatte. Septimus war sich allerdings sicher, dass sie ihn so gut es ging beobachtete. Obwohl sie nicht erfreut über das war, was er gesagt hatte, schien sie es doch zu mögen, dass jemand mit ihr über das Thema sprach. Dem Gnom war allerdings noch nicht klar, wohin dieses Streitgespräch führen sollte und warum Laurenzias Anschuldigungen so vehement und unerläutert blieben. Es musste etwas geben, dass sie geheim hielt. Auf der anderen Seite, merkte er, dass sie gerne darüber reden würde. Wie konnte er sie hervor locken? Lozzi hatte über Götter geredet - im Grunde genommen nichts Ungewöhnliches. Laurenzia redete mit fanatischer Überzeugung über über das Beten - für ein Mädchen ihres Alters durchaus etwas Ungewöhnliches. Aber von einem Zusammenhang konnte keine Rede sein. Zumindest noch nicht. Er beschloss, sie ein wenig schmoren zu lassen. Das gab ihm auch die Zeit, sich wieder zur beruhigen und klare Gedanken zu fassen.
Um mit seiner Wut fertig zu werden, rief er ein entspannendes Bild vor seinem inneren Auge hervor - so wie er es in seiner Anti-Agressions-Ausbildung gelernt hatte. Er stellte sich vor der Boden des Klassenzimmers wäre grüner Rasen über den er mit nackten Füßen daherschritt. Langsam näherte er sich der langen Fensterreihe auf der anderen Seite des Zimmers. Dabei kitzelten ihn die Grashalme zwischen den Zehen und der Boden federte leicht unter seinen Schritten. Er kletterte auf einen Tisch und sah aus dem Fenster. Von hier aus hatte man einen Blick auf den dunstigen Horizont einer Stadt, die in Meeren von Kohlendioxid ertrank. Er blickte hinab in die Enge des schmutzigen Gäßchens, in dem noch einige Pflanzen in gekachelten Blumenkästen auf den Fenstersimsen überlebt hatten. Mit seinem Blick streichelte er einen kümmerlichen Fuchsienstrauch, dem die Luftverschmutzung arg zugesetzt hatte. Er war dazu verdammt, das botanische Gespenst in diesem pflanzlichen Gruselkabinett des Viertels zu spielen.
"Herr Erbguth?", fragte Laurenzia zögerlich und riss ihn damit aus seinen Gedanken.

05.12.2007 13: 40

Hatscha al Nasa

Es war ein seltsames Bild, das sich Hatscha bot. Sämtliche anwesenden Lehrer, die einen Kreis um etwas, das sich am Boden befand und das die Wächterin nicht erkennen konnte, gebildet und sich zu ihr umgedreht. Sie trat näher.
"Halt!", sagte einer der Lehrer. "Der Zutritt ist nur Mitgliedern aus dem Kollegium gestattet. Wer sind Sie?"
"Ich bin Koporal al Nasa von der Stadtwache und bin Gildenexpertin. Ich denke, ich habe die Erlaubnis, diesen Raum zu betreten, zu untersuchen und Ihnen allen Fragen zu stellen." Sie machte noch einen Schritt auf den Kreis zu und konnte jetzt erkennen, dass ein weiterer Lehrer [6] am Boden lag. Reglos. Sie blieb stehen, betrachtete den Körper und blickte dann in die Runde. "Wer ist das? Lebt er noch?"
"Herr Humpel ist eben erst einfach so zusammengebrochen. Wir haben ihm nichts getan", verteidigte sich einer aus dem Lehrerkollegium.
"Und Sie haben ihn nicht auf Lebenszeichen überprüft? Ich dachte, Sie sind Lehrer! So etwas sollte man als solcher beherrschen!" Entrüstet kniete sich die Wächterin nieder und tastete nach dem Puls des reglos daliegenden Lehrers. Wie sie es sich dachte, war keiner zu finden. Auch am feuchten Finger, den sie ihm unter die Nase hielt, konnte sie keine Atemaktivität mehr feststellen. Sie zog einen Notizblock hervor und notierte sich das. Dann wandte sie sich wieder an die Lehrer, die ihr in der Zwischenzeit verlegen zugesehen hatten.
"So, Sie erzählen mir jetzt bitte ruhig, was sich bis zu seinem Tod zugetragen - Hatschie! - hat." Sie zog ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich, während sie den Lehrern zuhörte. Ein gewisser Herr Bäckermüller hatte sich bereiterklärt, stellvertretend für die anderen zu sprechen. Bestimmt ein Deutschlehrer, dachte Hatscha bei sich, wagte es aber nicht, das auszusprechen. Deutschlehrer redeten immer gern und viel.
"Es kam, wie in letzter Zeit öfter einmal, dazu, dass eine heftige Diskussion um die Rechtschreibung ausbrach. Auch Emil", er deutete auf den Leichnam, "hatte sich diesmal daran beteiligt. Als Mathelehrer hält er es natürlich nicht so streng mit den Regeln. Aber diesmal hat er es gewagt, zu sagen, es gibt keine richtige Schreibweise der Wörter, das habe sich nur irgendeiner ausgedacht."
Interessiert unterbrach Hatscha den Wortführer. "Hat er gesagt, wer sich das ausgedacht habe?"
Bäckermüller schüttelte den Kopf. "Nein, denn bevor irgendeiner fragen konnte, lag er hier."
Die Wächterin nickte nachdenklich und schrieb diese Zeugenaussage auf ihren Notizblock. "Vielen Dank Herr Bäckermüller. Sie haben der Wache bei ihren Ermittlungen sehr geholfen, denke ich. Gibt es sonst noch etwas, wovon Sie denken, dass es uns weiterhelfen könnte?" Mit der letzten Frage wandte sie sich wieder an alle Anwesenden. Doch niemand wollte das Wort ergreifen. Die Gildenexpertin seufzte innerlich. Das war immer so, wenn sie, egal ob in einer Gilde oder ob in der Stadt selbst, ermittelte. Keiner wollte freiwillig eine Zeugenaussage machen. Das war Ankh-Morpork.
Sie verließ mit einem kurzen Wort des Abschieds das Lehrerzimmer und machte sich dann auf den Weg nach unten. Langsam wurde es doch Zeit, dass sich alle Ermittelnden trafen und die Ergebnisse zusammentrugen und verglichen, oder etwa nicht?

05.12.2007 20: 53

Mina von Nachtschatten

Sekunden verstrichen, zogen sich zu Minuten und hätte es irgendwo eine Standuhr gegeben, wäre deren Ticken geradezu unnatürlich laut zu vernehmen gewesen. Nichts und niemand rührte sich, weder die beiden Wächterinnen in Lozzis Wohnung, noch der Lauscher vor der Tür im Treppenhaus. Doch er schein auch zu zögern, seine momentane Position aufzugeben und einen Versuch zu wagen, einzutreten. Vielleicht würde er ja einfach wieder gehen...
"Hallo?", erklang da eine durch das Holz der Tür gedämpfte Stimme. Mimosa zuckte leicht zusammen und versuchte, noch leiser zu atmen. Optimal wäre es natürlich gewesen, die Luft ganz anzuhalten, aber diesen Zustand hätte man nach einer gewissen Zeitspanne unmöglich geräuschlos beenden können.
"Herr Lozzi? Bist du wieder da?", fuhr die Stimme fort und nun klopfte jemand vorsichtig an die Tür. Dann herrschte wieder Stille.
Mimosa ließ ihren Blick hastig durch den Raum schweifen, vielleicht gab es ja irgendwo ein Fenster, durch das man die Wohnung verlassen könnte. Natürlich nur nachdem man das Bergsteigen erlernt und das Büchergebirge überwunden hätte. Glücklicherweise wurden solche Überlegungen hinfällig, als erneut das Geräusch von Schritten ertönte. Treppab und sich entfernend. Gleichzeitig wurde ein dumpfes Poltern, gefolgt von rhythmischen Schleifgeräuschen aus dem kleinen Nebenzimmer laut und kurz darauf erschien ein Rattenschwanz zwischen zwei Bücherhaufen. Schleicher hatte die Zähne in einen nicht allzu großen Gegenstand[7] geschlagen und zerrte wie wild daran herum, bemüht das Objekt über den Boden zu bewegen. Und natürlich, wie sollte es in dieser Wohnung auch anders sein, handelte es sich dabei um ein Buch.
"Jetzt ist schon deine Ratte zu den Bücherliebhabern übergewechselt, pass nur auf, noch etwas länger hier drin und selbst du kannst dem nicht mehr entgehen."
Mina hob das Buch samt Schleicher vom Boden hoch und gab die Ratte an ihre Kollegin weiter, welche ein gemurmeltes "Wohl kaum!" als Antwort gab und Schleicher in ihrer Kapuze verschwinden ließ. Wenn das alles vorbei war, würde sie sich mit ihm noch einmal dringend unterhalten müssen!
"Das ist Lozzis Tagebuch", unterbrach Minas Stimme ihre Gedanken, "Oder Tagebücher, wie man es nimmt: Würde man die ganzen losen Zettel, die sich darin befinden, bündeln, ergäbe das gut und gern einen Band 2."
Sie blätterte noch einen Moment wahllos hin und her, bis Mimosa es ihr aus der Hand nahm und das Buch zu dem vorhin gefundenen Manuskript in ihre Umhängetasche steckte.
"Das kannst du dir auch nachher noch anschauen, wir sollten jetzt besser gehen."
"Meinst du nicht, dass ..."
"Nein, egal, ich habe keine Lust, doch noch hier von irgendjemandem entdeckt zu werden!", kam die knappe Antwort.
Doch dies war nur ein Aspekt, der Mimosa Sorgen bereitete. Der andere bezog sich darauf, dass Schleicher in Gegenwart einer anderen Person gesprochen hatte und die Gedanken der verdeckten Ermittlerin rotierten um die Frage, wie sie das erklären sollte ohne ihr Geheimnis zu verraten. Eigentlich bleib nur zu hoffen, dass die Logik "Ratten können nicht sprechen" jede noch so an den Haaren herbeigezogene Erläuterung plausibel erscheinen lassen würde.
Sie hatten es fast bis ganz nach unten geschafft, nur noch eine Treppe trennte sie von der erlösenden Freiheit, als plötzlich eine Stufe der Ansicht zu sein schien, es sei eine Zumutung, dass Gewicht von zwei Personen zu tragen. Ein protestierendes Knirschen erklang, daraufhin ein langgezogenen Knarzen, welches die passende Grundlage für das Quietschen von rostigen Scharnieren bot, als eine Tür direkt neben den beiden Wächterinnen aufgerissen wurde.
"Ah, ich wusste doch, dass ich etwas gehört hatte!" Eine alte Frau in einer senfgelben Strickjacke trat auf den Gang und rückte ihre Brille zurecht. "Ich bin zwar alt und kurzsichtig, aber meine Ohren sind noch sehr gut! Mein Name ist Frau Kochgut, ich backe gerade Pflaumenkuchen und wollte Herrn Lozzi fragen, ob er vielleicht ein Stück haben möchte, deswegen war ich überhaupt nach oben gekommen. Er ist ab und zu so nett meiner Enkelin bei ihren Hausaufgaben zu helfen und da wollte ich mich einmal erkenntlich zeigen ... aber er ist wohl doch nicht da?"
"Nein, tut uns leid." Erinnerungen an rosa Plüschsesseln tauchten vor Mimosas innerem Auge auf, solch eine Einrichtung würde zu dieser Dame ebenso gut wie zu Frau Wohnlich passen. Eine Vermutung, die sie allerdings um nichts auf der Welt überprüfen wollte.
"Soso. Und was macht ihr dann hier?" Die Stimme Frau Kochguts bekam etwas inquisitorisches - genauso wie ihr ausgestreckter Zeigefinger.
"Wir ... wollten ihn besuchen", begann Mina langsam.
"Genau, einfach so", bestätigte Mimosa hastig.
"Einfach so?" Die Augen der alten Dame verengten sich zu Schlitzen.
"Ja, ein ... Familienbesuch. Ich bin seine Großnichte. 5. Grades. Und das hier ist meine..."
"Schwester! Wir sind nur auf der Durchreise und wollten sehen, wie es unserem Verwandten hier geht."
"Schwestern? Ja, beide sind sie so blass, oh je, geht es euch gut? Wollt ihr vielleicht eine Tasse Tee und ein Stück..."
"Nein, danke!"
"Wir müssen gleich wieder weiter, einen schönen Tag noch!"
Ohne auf eine Antwort Frau Kochguts zu warten, polterten Mimosa und Mina die verbleibende Treppe hinunter, zur Haustür hinaus und erst nach gut hundert Metern wagten sie, ihren Schritt wieder zu verlangsamen.
Vielleicht wäre es eine gute Idee, nun wieder zu den anderen Wächtern zurückzukehren oder wenigstens dem Oberleutnant Bericht zu erstatten. Und der würde höchstwahrscheinlich noch in der Lehrergilde anzutreffen sein.
Auf dem Weg zurück durch den Mondteichweg wandte sich Mina an ihre Kollegin:
"Sag mal, Mimosa, was war das eigentlich vorhin? Wenn ich es nicht besser wüsste ... wer hat da eigentlich noch geredet?"

06.12.2007 17: 55

Pismire

"Du bist Frau Grobhelm, nicht wahr?", fragte Pismire die aufgeregte Frau, die mühsam versuchte, die Fassung wieder zu bekommen.
Sein Gegenüber nickte.
"Und dein Sohn ist so einfach aus dem verschlossenen Haus verschwunden?"
Wieder ein Nicken.
"Du hast noch ein Kind - eine Tochter. Stimmt das?"
Das Nicken wurde zögerlicher, ein wenig misstrauischer, wie dem alten Mann schien.
"Laurenzia Grobhelm, acht Jahre alt; sie wird in einer Experimentalklasse bei der Lehrergilde unterrichtet?"
"Ja, aber was hat das mit unserem Jonny zu tun?", fragte Frau Grobhelm zurück.
"Vielleicht alles. Ich muss dich bitten, mich unverzüglich zur Wache zu begleiten."
"Wieso? Was soll das alles bedeuten? Und was ist, wenn der Junge in der Zwischenzeit zurückkommt?", sträubte sich Frau Grobhelm energisch.
"Dann sag mir: Wo finden wir den Vater von dem Jungen?", wollte Pismire wissen.
"Mein Mann ist zu dieser Zeit auf der Arbeit. Er arbeitet in dem Gemüseladen am anderen Ende der Straße."
"Na bitte", kommentierte der Oberleutnant beruhigend. Auf dem Weg zur Wache werden wir deinen Mann kurz benachrichtigen. Er kann dann hier auf euren Sohn warten. Obwohl ..." Er brach ab. Den Satz " ... ich nicht glaube, dass er in absehbarer Zeit zurück kommen wird", konnte er angesichts des aufgewühlten Zustandes der Mutter noch so gerade vermeiden. Also fuhr er fort: " ... ich gut nachvollziehen kann, wie dich das mitbringt, möchte ich dich doch bitten, die Ruhe zu bewahren und mich nun zu begleiten."

Eine halbe Stunde später saß Pismire mit ihr im Wachegebäude. Grobhlem war benachrichtigt, sein Chef beschwichtigt und er selbst als Wache in der Zinnstraße zurück gelassen worden. Außerdem hatte Pismire versucht, sämtliche Ermittler der Gruppe mir Hilfe von Tauben oder den bekannten toten Briefkästen zu informieren und hoffte nun, dass das Zusammenrufen nicht all zuviel Zeit benötigen würde. Darüber hinaus hatte er die Wächtergruppe in der Lehrergilde darum gebeten, die kleine Laurenzia Grobhlem mit in die Wache zu bringen, unter dem Vorwand, dass sie dort ihre Mutter treffen sollte.

Für das Gespräch mit Frau Grobhelm hatte er sich in ein ruhiges Besprechungszimmer zurück gezogen. Er hatte sie und sich mit einer Tasse Tee versorgt und ersuchte nun, Licht in diesen Teil der Angelegenheit zu bringen. Er war mittlerweile sicher, dass Laurenzia ein Teil der Lösung ihres Falls war.
"Ich habe übrigens meine Leute gebeten, deine Tochter hierher zu bringen. Ich kann mir vorstellen, dass du dich gerne davon überzeugen willst, dass sie in Sicherheit ist."
"Ach du meine Güte", schreckte Frau Grobhelm hoch. "Laurenzia. Die hatte ich ja beinahe ... " Erschrocken hielt sie sich die Hand vor den Mund, fast so als wolle sie weitere Worte verhindern.
"Ih will nicht unhöflich sein, Frau Grobhelm", sagte Pismire freundlich, "aber findest du deine Reaktion nicht eigenartig?"
Er fuhr fort: "Dein dreijähriger Sohn verschwindet aus deinem Haus unter mehr als merkwürdigen Umständen und du denkst in keiner Sekunde daran, dass du eine Tochter hast, die auch unter merkwürdigen Umständen verschwinden könnte? Du verschwendest nicht einen Gedanken an ihre Sicherheit? Kannst du mir das erklären?" Er schaute sie fragend über den Tisch hinweg an.
Frau Grobhelm starrte ihn misstrauisch an. "Was willst du damit sagen, Oberleutnant", schnappte sie zurück. "Dass Laurenzia was damit zu tun hat? Dass sie hinter all dem steckt? Ist es das, was du meinst?"
Mit betont ruhiger Stimme antwortete der Schamane ihr: "Ich hatte - noch - gar nichts angedeutet. Ich hätte nur erwartet, dass du dir über ihre Sicherheit Sorgen machst. Und ich frage mich, warum du dir so sicher bist, dass ihr nichts passiert ist. Denn den Eindruck machst du!"
Er hatte sich vorgebeugt und musterte sie eindringlich. "Willst du mir nicht endlich sagen, was hinter all dem steckt? Denn glaub mir - nur wenn du mir die Wahrheit erzählst, dann haben wir üb erhaupt eine Chance, das Rätsel zu lösen."
Frau Grobhelm vergrub ihr Gesicht in den Händen, während sie sichtlich nachdachte.
Nach einer kleinen Weile hob sie das Gesicht, blickte Pismire direkt in die Augen und sagte: "Also gut. Aber das, was ich dir sage, ist - vielleicht - nichts als dummes Zeug. Ich habe nur den schrecklichen Verdacht, dass meine kleine Tochter von einer bösen Macht besessen ist. Ich habe auch schon versucht, sie einem Exorzisten vorzustellen, aber Laurenzia ist - war - überzeugte Omnianerin, für die all das Ketzerei darstellt, und entsprechend hat sie sich geweigert und gesträubt. Ich wollte sie dann doch nicht zwingen, aber ich mache mir große Sorgen. Immer dann, wenn sie sich über jemanden beschwert hat in der letzten Zeit, ist dieser Person etwas schreckliches zugestoßen. Drei Lehrer - pensionierte, harmlose alte Lehrer, die ihr Nachhilfe gegeben haben oder die noch ehrenamtlich in der Gilde tätig waren. An allen dreien hatte Laurenzia etwas auszusetzen. Meist das, dass sie ihr nicht geglaubt haben - und kurze Zeit später waren alle drei tot. Und dann ihr Lehrer, Herr Lozzi. Er wurde tot im Nachbarhaus gefunden. Ich glaube nicht, dass das ein Zufall war. Und Jonny - so lieb sie ihren kleinen Bruder früher auch gehabt hat - macht grad eine schwierige Phase durch. Er ärgert sie andauernd. Meist sind es Kleinigkeiten, Nichtigkeiten. Aber gestern, hat er ihr Hausaufgabenheft versehentlich in den Abwasch geworfen und da hat sie ihn auf einmal so streng angesehen und gesagt: "Jonny Grobhelm, zwing mich nicht, dir eine Lektion in Benehmen zu erteilen." Und heute morgen ist er verschwunden." Erschöpft brach sie ab und beruhigte sich mit einem Schluck aus der Teetasse, die Pismire ihr hingeschoben hatte.
"Danke, Oberleutnant. Sie hat von einer Göttin gesprochen. Regula Scribens, der Göttin des regelgerechten Schreibens, die ihr große Macht verleihen würde, wenn sie nur fest an sie glaube. Mein Mann und ich haben das für ein kindliches Spiel gehalten, vor allem, weil niemand, den wir gefragt haben, jemals von einer derartigen Göttin gehört hat.
In diesem Augenblick ging die Tür auf: Der erste Teil der Ermittlergruppe war zurück.

15.12.2007 14: 54

Septimus Ebel

"Ja, Laurenzia?"
Septimus ging wieder zurück zum Schrank. Das erste Mal versuchte er das Mädchen durch den Türschlitz erkennen zu können. Er sah große blaue Augen mit einer mädchenhaften Arglosigkeit darin.
"Ist es dir lästig, dass ich hier bin?", fragte sie traurig und es klang so als wüsste sie die Antwort schon.
"Lästig ist nicht der richtige Ausdruck", antwortete er.
"Ich bin allen immer lästig. Als du da drüben gestanden hast, habe ich nachgedacht. Ich will nicht nach Hause zurück, Herr Erbguth."
"Dein Problem."
"Kann ich nicht hier bleiben?"
"Nein."
"Zwei oder drei Tage."
"Nein."
"Warum?"
"Die Verpflichtungen dieser Einrichtung haben ihre Grenzen."
"Kannst du nicht mal normal reden?!"
"Es tut mir leid", sagte er kalt. "Warum sollte ich noch mit dir reden, wenn du mich beleidigst?"
"Ich bin einsam."
"Ich auch. Laurenzia, bitte. Übertreib nicht! Ich kann dir nicht helfen, wenn du nicht ehrlich mit mir redest."
Ihre Stimme flatterte als suchte sie Halt, gleichzeitig hatte sie einen trotzigen Klang als würde sie Zuneigung erzwingen wollen. "Ich bringe mich um."
"Das wäre schade. Ich verhindere aber keine Selbstmorde. Ich untersuche sie nur von Zeit zu Zeit."
"Dann bringe ich jemand anderes um!", schrie sie plötzlich.
Diesmal blieb er ruhig. "Und wie willst du das anstellen?"
"Beten."
Nicht schon wieder, dachte der verdeckte Ermittler. Sie war wie besessen davon. War das der Grund für ihre Einsamkeit? War sie einsam, weil sie durch ihr Insistieren unausstehlich wurde? Dieses Mädchen hatte auf jeden Fall bereits die Erfahrung gemacht, dass sie andere beeinflussen konnte, aber das machte sie nicht gerade geselliger. Dabei wollten ihre Unruhe und ihre Neugier so gerne durch jemanden befriedigt werden, der zuhören konnte. Alle sprachen nur schlecht von ihr, niemand nahm sie ernst. Irgendwie kam ihm das erschreckend bekannt vor. Eine Weile lang schwieg er. Dann wechselte er die Taktik.
"Du hast also jemanden gefunden, der dir zuhört?"
"Ganz genau! Sie hört alles!"
"Wer?"
"Regula, die Göttin des regelgerechten Schreibens."
"Und sie hilft dir jemanden umzubringen?"
"Sie gehorcht mir."
Er versuchte nicht ironisch zu klingen, als er sagte: "Wow. Das ist praktisch."
Hast du schon mal jemanden umgebracht? Es lag ihm auf den Lippen. Aber sie hätte ihm ohnehin nicht geantwortet. Also fragte er stattdessen: "Und hat sie dir auch geholfen nicht mehr einsam zu sein?"
Nachdenkliches Schweigen. Dann ein sehr leises "Nnnnrgh".
Pock! Pick ! Pock!
Das Geräusch kam vom Fenster.
Pock! Pick ! Pock!
Genervt, weil er wieder an einer so wichtigen Stelle gestört wurde, suchte Septimus nach der Geräuschquelle. Es war eine Taube, die auf dem Fensterbrett balancierte und ungeduldig mit ihrem Schnabel an die Scheibe klopfte. Zwischen ihren Krallen war ein kleines Stück zusammengerolltes Papier zu sehen.

15.12.2007 20: 28

Mina von Nachtschatten

"Schlämmkreide? Nie gehört den Namen!"
"Jaa, 's könnte sein, dass ich den kenne. Was is die Auskunft dir denn wert?"
"Also bitte, Herr Wächter, ich mische mich doch nicht in die Angelegenheiten meiner Nachbarn ein!"
"Profetia...die Arme...ich kann das noch gar nicht glauben...gerade war sie noch da...und jetzt ist sie tot, TOT, verstehst du?!"
Es waren ausschließlich solche und ähnlich aussagekräftige Antworten gewesen, die sich Onyx in den letzten Stunden hatte anhören dürfen.
Es war zwar einfach gewesen, die Adresse der verstorbenen Lehrer Herbert Schlämmkreide, Profetia Turnbeutel und Paul Zahlrübe aufzusuchen, doch scheinbar
unmöglich, etwas von den jeweiligen Nachbarn oder auch zufälligen Passanten über sie in Erfahrung zu bringen. Nicht einmal dann, wenn man zwei Meter groß war und über 800 Kilogramm wog. Normalerweise brachte einem dieser Umstand den nötigen Respekt ein - oder verschüchterte die Leute derart, dass sie kaum ein Wort herausbrachten. Da half es auch nichts, wenn man sich als Wächter ausweisen konnte.
Glücklicherweise hatten die drei Opfer nicht allzu weit voneinander entfernt gewohnt, was dem Troll auf der einen Seite unnötige Wege erspart, allerdings auch ein weiteres Problem mit sich gebracht hatte: Es war gewiss keines der schlechtesten Viertel von Ankh-Morpork, in dem er unterwegs war, aber aus irgendeinem Grund schienen die Haustüren hier kleiner und schmaler als im Rest der Stadt. Sehr hübsch anzusehen, weiß gestrichen und mit Schnitzereien verziert, das waren sie durchaus, aber für einen Troll seiner Größe unpassierbar, zumindest ohne dabei die halbe Wand mit herauszureißen. Somit war Onyx der Möglichkeit von vornherein beraubt gewesen, einen Blick in die Häuser selbst werfen zu können und musste sich auf die spärlichen mündliche Aussagen der Anwohnerschaft verlassen. Wäre Bjorn doch nur mitgekommen! Der hätte hier keine derartigen, durch schiere Körpergröße verursachten Probleme gehabt und vielleicht hätte man dann auch etwas Wissenswertes in Erfahrung bringen können. Aber so...
Onyx stand unschlüssig am Straßenrand, gerade war wieder eine Tür vor seiner Nase zugefallen, nachdem die dort wohnhafte Frau ihm ausführlich erklärt hatte, das und warum sie von Lehrern generell nicht viel hielt. Doch Herr Turnbeutel, ja, der wäre ganz anständig gewesen, ein sehr ruhiger Nachbar. Von Beruf auch Lehrer, tatsächlich? Das hätte sie gar nicht gewusst. Ob ihr in letzter Zeit etwas Ungewöhnliches aufgefallen wäre? Nein, überhaupt nichts.
Konnte er mit leeren Händen zu seinen Kollegen zurückkehren? Ohne den geringsten Beitrag zu ihren Ermittlungen? Andererseits bleiben ihm bei genauer Betrachtung auch keine Alternativen. Doch vielleicht sollte er wenigstens noch an der nächsten Tür klopfen?
Gerade als er sich dafür entschieden hatte, noch diesen einen letzten Versuch zu starten, spürte er ein leichtes Piken auf dem Kopf, ein Kratzen, unterschwellig zwar, aber auf Dauer dennoch enervierend. Doch als Onyx mit seiner riesigen Hand nach der Ursache dafür tastete, erklang ein empörtes Gurren und im nächsten Moment flatterte eine Taube ins Sichtfeld des Trolls. Das arme Tier musste schon eine geraume Zeit energisch auf seinem Kopf herumgehackt haben um seine Aufmerksamkeit zu erregen, sah es doch irgendwie recht erschöpft aus und ließ sich nun auf den nächsten Fenstersims fallen. Doch das war nicht der Punkt, der die Aufmerksamkeit des Trolls auf sich zog: Am Bein der Taube war eine Nachrichtenkapsel befestigt. Und sie trug einen der Eisenringe, die sie als Eigentum der Stadtwache auszeichnete.

21.12.2007 16: 57

Mimosa

Mimosa wurde noch eine Spur blasser. Sie hörte Schleicher in ihrer Tasche grummeln und würde später wirklich ein ernsthaftes Wort mit ihm wechseln müssen. Wie konnte er nur! Er war doch sonst derjenige, der darauf achtete! War irgendetwas komisches in den Keksen gewesen? Vielleicht Mandeln?
"Schwachsinn. Ratten können doch nicht sprechen!" sagte sie betont abfällig und hoffte, damit ein wenig Zeit zu gewinnen. Doch sie wusste, dass sie ihre Kollegin damit kaum überzeugen konnte. Sie verga? immer wieder, dass Mina zwar nicht sehr viel älter aussah als sie, aber grob geschätzt mindestens 100 Jahre mehr auf dem Buckel hatte.
Und tatsächlich, Mina schaute sie misstrauisch von der Seite an, als sie beide zurück zur Lehrergilde liefen.
"Weißt du, es gibt da dieses Gerücht; über die Ratten von der UU..."
"Tatsächlich?"
In Mimosas Tasche, in der sowohl Schleicher als auch die wertvollen Dokumente waren, hustete etwas. Mimosa fuhr beruhigend mit der Hand über den Stoff [7a].
Mina bohrte weiter.
"Es heißt, dass die Ratten, die den magisch verseuchten Müll der UU gefressen haben, sprechen können."
"Ach ja? Nun, ich habe Schleicher schon seit er ein Baby war. Er pfeift höchstens mal-"
Mimosa blickte besorgt auf ihre Umhängetasche, aus der immer beunruhigendere Geräusche drangen.
Auch Mina schaute zu der Tasche.
"Sag mal, ist alles in Ordnung?"
Mimosa zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß nicht... ich glaube, Schleicher sind die Kekse nicht bekommen."
In diesem Moment beschloss Schleicher, allen rattenanatomischen Gegebenheiten zum Trotz, sich zu übergeben - mitten auf die handgeschriebenen Aufzeichnungen.

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Pismire drehte sich um, als die beiden verdeckten Ermittlerinnen etwas zögernd den Besprechungsraum betraten. Nachdem die beiden die Lehrergilde erreicht hatten, war ihre erste Maßnahme Schadensbegrenzung mithilfe des reichlich vorhandenen Vorrats an Löschpapier. Streng genommen hatte Mina allein versuchen müssen die Informationen zu retten, indem sie von den betroffenen Seiten alles noch Lesbare schnell abgeschrieben hatte. Mimosa war zwischenzeitlich damit beschäftigt gewesen, ihrer schwer mitgenommen aussehenden Ratte Kamillensud einzuflößen. Hatscha hatte ihnen kurz darauf gesagt, dass Pismire eine Besprechung im Wachegebäude angeordnet hatte, und so standen die beiden jetzt vor dem Oberleutnant- Mina mit einem großen Stapel Papier im Arm und einem leicht säuerlichen Gesichtsausdruck, und Mimosa mit Schleicher, der noch zerrupfter als sonst aussah und schlaff in ihren Armen lag.
"Wir haben Lozzi's Wohnung gefunden, Sir. Er wohnte praktisch in einer Bibliothek, und hat sich wohl auch selber als Schriftsteller versucht. Hier ist ein von ihm verfasstes Buch, das angeblich die Pähdagokik revolutionieren sollte, und sein Tagebuch... bücher."
Pismire nahm die Stapel entgegen und verzog das Gesicht.
"Was riecht denn hier so?"
"Wir hatten auf dem Weg hierher einen kleinen... Unfall, Sir", sagte Mimosa nervös.
"Sososo..."
Glücklicherweise fragte er nicht weiter nach, sondern vertiefte sich in die Aufzeichnungen. Wenigstens hatte die ganze Sache ein Gutes, dachte Mimosa. Mina hat nicht mehr nach Schleichers Sprachtalent gefragt.

21.12.2007 18: 47

Septimus Ebel

Gerade als der Oberleutnant einen neugierigen Blick in das Tagebuch werfen wollte, klopfte es an der Tür. Bjorn Bjornson kam nach einem kräftigen "Herein" in das Zimmer.
"Habe die Taube erhalten und melde mich zur Stelle, Sör", sagte der Zwerg salutierend. "Außerdem ist soeben eine Nachricht eingetroffen, Sör."
Pismire nahm das Papier entgegen, doch bevor er es lesen konnte, berichtete der Gefreite: "Sie stammt vom Obergefreiten Septimus Ebel, Sör. Er informiert uns über seine derzeitige ... mhh ... Rolle als Lehrer. Und er bittet um Onyx Hilfe, damit er Laurenzia herbringen kann. Mit deiner Erlaubnis, Sör, würde er uns bitten, Onyx erneut zur Gilde zu schicken und zwar in Raum ... 207."
Pismire seufzte. Es würde wohl noch etwas dauern, bis sich alle Mitglieder auf einem Fleck versammelt hatten. "Fein", sagte er. Anschließend zog er Papier und Stift aus einer Schublade hervor und schrieb eine Nachricht für Onyx. Er informierte den Troll sicherheitshalber über die Deckung des Verdeckten Ermittlers und schickte ihn an den angegebenen Ort. "Hier", sagte er und reichte dem Zwerg den Zettel. "Schicke das per Luftpost an Onyx und komm dann hierhin zurück."
Der Gefreit nickte, salutierte erneut und verschwand.
Jetzt versuchte der Schamane die literarischen Hieroglyphen Pester Lozzis zu entziffern. Sein Gesicht nahm dabei die ernte Miene eines Diamantenprüfers an und seine Augenbrauen sträubten sich angesichts der Herausforderung. Hatscha erhob sich und ging schweigend [9] im Büro herum. Pismire las die Zeilen leise vor, als versuche er sie auswendig zu lernen. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und legte das Buch auf den Tisch. Während er sprach klang seine Stimme kühl, als hätte er den ganzen Tag nichts anderes als eisgekühltes Wasser zu sich genommen.

21.12.2007 20: 22

Hatscha al Nasa

Septimus wartete, dass endlich Onyx zur Verstärkung kam. Ihm war bewusst, dass er Laurenzia niemals aus dem Schrank herauslocken konnte. Aber er brauchte sie ja unbedingt als Zeugin. Wenn also Laurenzia nicht freiwillig zur Wache mitkam, dann musste eben der ganze Schrank zum Pseudopolis-Platz. Und das konnte nun einmal nur ein Troll bewältigen.
Der Gnom wanderte immer wieder ungeduldig vor dem Schrank auf und ab, versuchte, noch ein paar Dinge aus dem Mädchen herauszubekommen, und das Warten nicht zu auffällig werden zu lassen. Doch viel war von ihr nicht mehr zu erfahren. Seit er sie auf die Einsamkeit angesprochen hatte, war sie wieder sehr zurückweisend geworden. Also hoffte er, dass die Verhörmethoden seiner Kollegen mehr Früchte tragen würden.
Endlich klopfte es an der Tür. Sofort rief Septimus erleichtert "Herein!" und Onyx öffnete die Tür.
"Hallo, ich sein Wächter und ich hier wegen Ermittlungen und ich müssen dich, Herr Lehrer, als Zeugen mitnehmen. Befehl von oben. Es also gut wäre, wenn du mitkommen." Der Troll sah den Gnom an und zwinkerte ihm zu - oder tat das, was er für ein Zwinkern hielt.
Der als Lehrer getarnte Ermittler war froh, dass sein Kamerad ihn nicht verraten hatte. Schnell flüsterte er ihm zu, dass er doch bitte den Schrank mitnehmen müsse, weil sich darin sehr wichtige Beweise befänden.
"Ich den Schrank da mitnehmen sollen. Er mir aussehen, als er voller Informationen sein."
"Natürlich, Herr Wächter, aber seien Sie vorsichtig, da ist etwas sehr zerbrechliches drin. Nicht, dass es uns kaputt geht."
"Ähm, Herr Erbguth?", meldete sich die Stimme von Laurenzia plötzlich ängstlich aus dem Inneren des Möbels.
"Der Schrank können reden?", fragte Onyx verunsichert. Septimus ignorierte ihn.
"Ja?", antwortete er stattdessen.
"Diesen Schrank hier?"
"Ein anderer befindet sich nicht in diesem Raum."
"Oh." Die Wächter konnten hören, wie Laurenzia von innen die Türen fester zuzog und es sich auf dem Boden bequem machte. "Aber ich werde nichts sagen! Und rauskommen werde ich erst recht nicht!", rief sie trotzig aus dem Inneren.
Der Gnom hätte wetten können, dass sie sogar die Arme vor der Brust verschränkt und die Augenbrauen zusammen gezogen hatte. Er nickte dem Kollegen zu, dass dieser den Schrank nun nehmen könne.
Onyx schulterte das Möbelstück und verließ dann mit dem kleinen verdeckten Ermittler den Raum. Sie wurden ein wenig seltsam angeschaut, als sie mit dem großen Schrank beladen, der immer wieder grummelnde Geräusche von sich gab, durch die Stadt liefen. Aber welcher Ankh-Morpork-Bewohner konnte sich schon über so etwas wirklich wundern?


"Das hier ist seltsam. Sieh dir das mal an, Hatscha", meinte Pismire, als er fast alle Tagebücher durchgelesen hatte.
Die Gildenexpertin sah dem Schamanen über die Schulter und betrachtete das Exemplar, dass er gerade in der Hand hielt.
"Hier ist nur die erste Seite beschrieben und mit einem Datum gekennzeichnet, das weit früher lag, als viele andere Einträge aus den übrigen Büchern. Das verwundert mich."
"Vielleicht hat er das Buch einfach plötzlich nicht mehr wieder gefunden und stattdessen ein neues angefangen. Und später fand er es nicht passend, dieses hier fortzuführen." Sie sah den Vorgesetzten an.
"Ja, das klingt plausibel." Pismire nickte.
"Geben denn die anderen Bücher inhaltlich über irgendetwas Aufschluss?", fragte Mina, die hoffte, dass ihre lange Suche doch zu etwas zunütze gewesen war.
"Nun, das kann man so sagen...", begann der Oberleutnant, wurde dann aber von Onyx und Septimus unterbrochen, die mit einem nörgelnden Schrank das Büro betraten. Erstaunt beobachtete er, wie Onyx vorsichtig das Möbelstück in einer Ecke abstellte und dann auch salutierte. "Und... warum in aller Welt habt ihr einen Schrank mitgebracht?", fragte er schließlich skeptisch.
"Sie wollte einfach nicht herauskommen."
"Und sie doch sicher sein wichtiger Zeuge", fügte Onyx hinzu.
Pismire seufzte. "Also gut..."

05.01.2008 17: 53

Mina von Nachtschatten

Er trat an den Schrank heran und klopfte gegen das Holz.
"Laurenzia Grobhelm?"
Stille.
"Wir würden dich gern einige Dinge fragen."
Hartnäckiges Schweigen.
"Du kannst derweil auch erst einmal im Schrank bleiben", fügte Pismire hinzu.
Keine Antwort.
Der Schamane runzelte die Stirn. Natürlich würde es keine allzu große Herausforderung darstellen, den Schrank einfach zu öffnen[10], doch solch eine Vorgehensweise würde gegen den Trotz des Mädchens auch nicht viel ausrichten können. Er wandte sich an die umstehenden Wächter.
"Kann jemand von euch gut mit Kindern umgehen? Dann hat er jetzt die einzigartige Möglichkeit, sein Können unter Beweis zu stellen."
Pismire winkte Septimus zu sich in den hinteren Teil des Raumes, während auf der anderen Seite mehrere, vollkommen erfolglose Versuche gestartet wurden, das Mädchen im Schrank zum Sprechen zu bringen.
"Und, hast du etwas herausgefunden?", fragte der Oberleutnant den Gnom.
Septimus erzählte im Flüsterton alles, was er aus seinem Gespräch mit Laurenzia erfahren hatte. Pismire unterbrach ihn nicht, nickte nur ab und zu oder ließ ein nachdenkliches "Hmmm" hören.
"Und diese Göttin, sagt sie, ist die Einzige die ihr zuhört?!", meinte er, nachdem der Obergefreite seinen Bericht beendet hatte.
"Ja, und sie scheint wie besessen davon zu sein. Laurenzia ist anscheinend sonst recht einsam und wenn ihr hier niemand Beachtung schenkt, sucht sie sich ihre Aufmerksamkeit eben woanders. Obwohl das für ein kleines Mädchen schon ungewöhnlich ist, vor allem in diesem Ausmaß."
"In der Tat. Regula... Regula... ich habe noch nie von einer derartigen Göttin gehört...", Pismire ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und auf den noch immer geschlossenen Schranktüren verharren. Sie mussten das Mädchen dazu bringen, ihnen noch mehr zu erzählen.
"Versuch du es noch einmal mit ihr, Obergefreiter, immerhin hast du es schonmal geschafft, Laurenzia in ein Gespräch zu verwickeln."
Septimus nickte und postierte sich erneut vor jenem Möbelstück, vor dem er heute schon soviel Zeit verbracht hatte.
"Laurenzia, ich bin es, Herr Erbguth", begann er.
Für einen kurzen Moment herrschte noch Stille, dann erklang ein verächtlich klingendes "Ha!" aus dem Innern des Schrankes.
"Möchtest du nicht mit mir sprechen?"
"Nein!", es klang trotzig, "Ihr habt mich einfach weggeschleppt, das wird euch noch..." Sie verstummte.
"Was wird es?", hakte Septimus nach. "Bitte Laurenzia, vielleicht kann ich dir helfen..."
"Ihr habt ja ÜBERHAUPT KEINE AHNUNG!!!", erklang ein wütender Schrei und alle Anwesenden konnten sich lebhaft vorstellen, wie das Mädchen nun mit hochrotem Kopf und geballten Fäusten im Schrank stand. "Ich sage GAR NICHTS MEHR! Und die anderen sollen RAUSGEHEN!!!"

09.01.2008 11: 22

Hatscha al Nasa

Eine Weile zuvor kam der Lance-Korporal Scoglio aus einem der Zimmer der Näherinnen in der Zinnstraße heraus und sah noch, wie der Oberleutnant das Gebäude verließ. Er wollte ihm noch hinterher rufen, aber dafür war er wohl zu langsam gewesen. Noch bevor er seine Gedanken geordnet und einen Ton herausgebracht hatte, war die Tür hinter dem Vorgesetzten schon zugefallen. Kopfkratzend sah er ihm nach. In solchen Augenblicken wünschte sich der Troll kältere Temperaturen. Es würde ihm manches seiner Arbeit einfacher machen. Apropos Arbeit. Mit seiner Aufgabe war er mittlerweile durch. Er hatte alle Damen des Hauses befragt, allerdings nicht sonderlich viele und brauchbare Informationen zusammentragen können. Von manchen wurde er auch einfach mit einem für ihn unverständlichen Kreischen begrüßt und einfach mit Kissen beworfen. Trotz seiner Verwirrung über die seltsamen Gebräuche dieser Damen hat er seine Pflicht erfüllt und sich vorgestellt.
"Verzeihung, ich sein Lance-Korporal Scoglio von der Stadtwache. Ich hier alle befragen soll, ob sie kennen Petulia Bocksbeutel und ob sie wissen genaueres über ihren Tod."
Jede der Näherinnen hatte sich sofort die Decke über den Körper gezogen und ihm dann halbherzig geantwortet. Ja, kennen taten sie alle die kleine unscheinbare Frau. Aber über ihr Ableben wusste eigentlich keine wirklich etwas.
Scoglio nickte und verließ dann das jeweilige Zimmer, dass in seiner Meinung jedesmal schrecklich eingerichtet war. Er überlegte sich, ob er die Damen noch auf ihre schlechten Manieren hinweisen sollte, überlegte es sich angesichts der bereits wieder verschlossenen Türen jedoch anders. Die Kissen machten ihm nichts aus, aber das Kreischen war einfach fürchterlich.
Kopfschüttelnd kehrte er aus seinen Erinnerungen zurück und blickte auf den leeren Flur des Gebäudes in Richtung Tür. Nach einer weiteren Bedenkpause entschloss er sich schließlich, das Haus zu verlassen. Bestimmt war es seine Pflicht, zum Wachhaus zurückzukehren, sobald er seinen Auftrag erledigt hatte. Also machte er sich auf den Weg, auch wenn er nicht sonderlich erfolgreich gewesen war.

Auf halbem Weg zum Pseudopolis-Platz flatterte ihm eine Taube entgegen. Sofort erkannte er die Hülse an ihrem Bein und als sie sich auf seiner Schulter niederließ, war er sich sicher, dass sie eine Wache-Taube sein musste. Ungeschickt löste er die Nachricht von der Klaue des Vogels, der immer wieder nach seinen steinernen Händen hackte, obwohl er beruhigend auf sie einredete - oder eher grollte. Er war eben ein Troll. Schließlich entfalteten seine groben Hände den kleinen Zettel und mühsam entzifferte er den Text. Er hatte recht gehabt, man erwartete ihn im Wachhaus. Zufrieden nickte er und setzte dann seinen Weg durch die Stadt fort, nachdem er der geflügelten Botin noch Gelegenheit gegeben hat, ihren Darm auf seiner Schulter zu entleeren. Manche Dinge konnte man den Viechern leider nie abgewöhnen.

09.01.2008 20: 29

Pismire

Als Mina und Mimosa so in Pismires Gespräch mit Frau Grobhelm platzten, war der Oberleutnant zuerst ein wenig ungehalten; angesichts des Zustandes der Frau war er aber auf jeden Fall geneigt gewesen, sie bei der kommenden Besprechung aus dem Wag haben zu wollen - eine Entscheidung, zu der er sich, als der Schrank mit ihrer Tochter sein Büro erreichte, nur im Nachhinein beglückwünschen konnte.

Er hatte die säuerlich riechenden Tagebücher in Empfang genommen und die Gefreite von Nachtschatten gebeten, Frau Grobhelm in die Kantine zu bringen, dort dafür zu sorgen, dass sie ausreichend mit Tee ruhig gestellt würde und anschließend zur Besprechung - von der er hoffte, dass sie unmittelbar bevor stünde - zurück zu kehren. Seinen Abteilungsleiter hatte er zeitgleich per Rohrpostdämon gebeten, sich der Dame anzunehmen und sie gleichzeitig im Auge zu behalten, so dass er im Geiste ein Problem abhaken konnte.

Als dann nach einer ganzen Weile die Septimus und Onyx mit dem Schrank sein Büro betraten und ihm klar wurde, was da - im wahrsten Sinne des Wortes - auf ihn zukam, war er letztendlich recht froh, dass das Mädchen im Schrank nur mit Septimus reden wollte. Auf ein Zeichen schnappten sich die versammelten Wächter die feuchten Aufzeichnungen und verließen den Raum. Lediglich Onyx, der völlig lautlos an seinem Platz verharren konnte, blieb bei dem Obergefreiten. Er war sich ziemlich sicher, dass ein kleines Mädchen gegen einen intelligenten Troll keine Chance haben würde.

In dem Zimmer, in das sich die restliche Wächtergruppe zurückgezogen hatte, berichtete er kurz den Anwesenden von dem Verschwinden von Laurenzias Bruder und von dem, was Frau Grobhelm ihm anvertraut hatte.
"Es gibt da einen bemerkenswerten Zusammenhang zwischen den Schriften von Lozzi und diesem Geschehen hier", berichtete er. "Lozzi hatte sich daran gemacht, eine neue Form der Erziehung zu planen. Im Mittelpunkt stand dabei die Überlegung, dass widerspenstige Kinder nicht wirklich widerspenstig sind, sondern dass sie nur eine andere Form der Begründung für das Handeln oder eine andere Autorität brauchen." Er schaute in die verunsicherten Gesichter seiner Ermittlergruppe und entschied sich für ein praktische Beispiel aus dem Text.
"Zur Verdeutlichung lese ich am besten einmal aus einem seiner Notizbücher vor - denn um das handelt es sich. Sie sehen zwar aus wie Tagebücher, aber er hat immer ein bestimmtes Thema, das er pro Buch verfolgt. Hier zum Beispiel" - und er hielt einen Band hoch, der wenig unter Schleicher gelitten hatte - geht es ausschließlich um das Thema des alt-ankhischen. Hier" - er wies auf ein weiteres Buch - "behandelt er das alt-morporkianische. Und hier" - er zeigte auf den Band, in dem nur eine weit zurück liegende Eintragung zu finden gewesen war - "beschäftigt er sich mit Kryptographie. Und deswegen, Gefreite Mimosa", sagte er mit erhobener Stimme, um die ein wenig dösig wirkende Wächterin zu erneuter Aufmerksamkeit zu zwingen, "solltest du den Band zu Lady Rattenklein bringen und ihr ausrichten, dass sie auf unlesbare Tinte hin suchen soll. Und wenn du wieder da bist", fuhr er fort, "dann finden wir in diesem Band alles zum Thema Erziehung und Götter."

Als Mimosa wieder im Raum war, hatte Pismire bereits angefangen, Lozzis Programm "Das schwierige Kind und seine Erziehung - eine Studie zur Bedeutung von Göttern im erzieherischen Kontext" zu referieren.
"Wie gesagt", erläuterte der Schamane, "am besten ist es, Lozzi selbst zu hören. Zu unserem Thema schreibt er:
Das schwierige Kind lernet am besten dadurch, dass es Vertrauen in die Welt fasset und ein gehörig Mass an Angst bekommt. Dabei kann eine erfundene Gottheit mehr Nutzen stiften, als tausend beständige Regeln.
Nehmen wir ein Beispiel:
Saget man einem Kind: Wasch dir die Ohren!
Und es freget: Warum?
Und man saget: Damit dir keine Ohrenbäumlein wachsen!,
und es siehet einen Klassengenossen, der sich auch wiederum nicht die Ohren wäschet und dennoch kein Ohrenbäumlein bekommet, so denket sich das verstockte Kind: Das Ohrenbäumlein ist Gewiss von der Mutter oder sonst einem erfunden worden, damit ich sollt gehorsam sein! Doch in Wirklichkeit gibt es das nicht!
Wie viel wirksamer wäre es aber, wenn man sagen könnte: Weil dich sonst ein ganz bestimmter Gott schröcklich strafigen wird!
Denn bei den Göttern weiß man nicht, ob sie einen in der Zeit oder nach einer Weile oder nach dem Tode oder im nächsten Leben strafigen. Und so bleibet das Kind in Angst und lernet, brav zu sein."

Pismire schloss das Buch und schaute in die Runde.
"Ich vermute, hier finden wir eine Antwort auf einige unsere Fragen. Aber worauf ich mir überhaupt keinen Reim machen kann ist die Frage, wie dieser erfundenen Glauben, den Lozzi da propagiert, dazu führen kann, dass ein kleiner Junge verschwunden ist." Er blickte ernst in die Runde und wartete auf Antworten.

09.01.2008 23: 14

Mina von Nachtschatten

Nachdenkliches Schweigen umhüllte die Wächtergruppe, zuerst aufgrund purer Ratlosigkeit, dann aber auch schlicht aus der Peinlichkeit der Situation heraus, da so gar niemandem etwas wirklich Sinnvolles einfallen wollte.
"Vielleicht hat das eine mit dem anderen ja auch überhaupt nicht zu tun", wagte Bjorn nach einer Weile einzuwerfen.
Der Schamane wiegte gedankenvoll den Kopf und meinte dann: "Möglich ... aber wir sollten diese Option auch nicht als zu abwegig betrachten um ihr nachzugehen."
"Und wenn seine Schwester selbst den Kleinen ...", begann Mimosa.
"Eher nicht", unterbrach Hatscha sie, "Schließlich war sie doch offensichtlich die ganze Zeit über unter Aufsicht, erst in der Lehrergilde und dann", sie wandte den Blick zur Tür, "in einem Schrank."
Pismire hatte sich unterdessen wieder in die Lektüre von Lozzis Aufzeichnungen vertieft.
"Vielleicht findet der Obergefreite Ebel noch etwas heraus...", murmelte er geistesabwesend, "Vielleicht irgendein kleines Detail, dass wir bis jetzt übersehen haben ... irgendetwas, dass eine Verbindung zwischen den einzelnen Sachverhalten schafft..."


Damien wanderte ziellos durch das Gebäude der Lehrergilde. Nachdem er mit Septimus gesprochen hatte, blieb ihm nun praktisch nichts anderes zu tun und seit er den Gnom dann einige Zeit später in Begleitung eines Trolls, der einen Schrank trug, durch die Tür auf die Straße hinaus hatte verschwinden sehen, hatten sich seine leisen Befürchtungen beständig verstärkt, nach denen er nun wohl der letzte Wächter im Gebäude sein musste. Die einzige Abwechslung boten eigentlich nur die regelmäßig stattfindenden, wenigen Minuten, an deren Anfang und Ende ein schepperndes Gong ertönte und sich ein Strom von Schülern auf die Gänge ergoss, ihre Lehrer wohl oder übel mitreißend, welche allerdings nur misstrauische oder verwunderte Blicke für den Szenekenner übrig hatten. Schließlich kehrte wieder Ruhe ein, wenn die Schüler mit Müh und Not wieder in die Unterrichtsräume zurückgescheucht worden waren - ihm boten sich also kaum Möglichkeiten, irgendetwas in Erfahrung zu bringen. Der Hauptgefreite spielte ernsthaft mit dem Gedanken, einfach zum Wachhaus zurückzukehren, als eilige Schritte auf dem Gang ihn aufhorchen ließen. Eine dünne, nervös wirkende Frau eilte ihm entgegen, leise vor sich hinmurmelnd und die Augen hinter den halbmondförmigen Brillengläsern auf einen Stapel beschriebener Seiten in ihrer Hand geheftet, in welchem sie hektisch etwas zu suchen schien. Kurz bevor sich ihre Wege kreuzten hob die Frau den Blick und erstarrte mitten in der Bewegung. Ihre Augen weiteten sich in einer Mischung aus Erkennen und Entsetzten.
"Oh ... du bist doch nicht etwa ... dann habe ich schon wieder ..." Sie ließ den Papierstapel fallen und die Blätter verteilten sich in großem Radius auf dem Boden zu ihren Füßen. "Der Resozialisierungsfall, den die Wache heute... Wie konnte ich das nur schon wieder vergessen!" Ihre Stimme war zu einem hysterischen Quieken geworden. "Ich sollte doch die Sicherheitsmänner ... oh, nein ..." Ihr Blick irrte beinahe panisch im Gang hin und her und sie schien kurz davor, vor lauter Nervosität in Ohnmacht zu fallen. Und auch in Damiens Kopf arbeitete es angestrengt, allerdings war er viel zu überrascht um sich Gedanken über den nervlichen Zustand dieser Frau zu machen. Vielmehr beschäftigte ihn ein ganz bestimmtes Wort und dessen mögliche Bedeutungen für die aktuelle Situation: Resozialisierungsfall?

03.02.2008 20: 13

Pismire

"Nun, meiner Ansicht nach hat dieser Lozzi ein pädagogisches Experiment gestartet, dass gründlich in die Hose gegangen ist." Und als er die ungläubigen und verwirrten Gesichter der Mitglieder seiner Ermittlergruppe vor sich sah, versuchte er, seinen - wenn auch noch ein wenig wagen - Gedankengang zu erläutern.
"Mal abgesehen vom den schrecklichen Stil, der allerdings unter Pädagogen" - und er wies auf einen Stapel Zeitschriften, die er auf dem Tisch liegen hatte - typisch zu sein scheint, ist sein Vorgehen klar: Kinder sollen mit der Furcht vor wirklichen oder vermeintlichen Göttern so in Angst und Schrecken versetzt werden, dass sie wieder erziehbar sind."
"Aber was haben diese komischen Ohrenbäume mit unseren Fall zu tun?", fragte Hatscha verwirrt.
Zögerlich kamen die Worte über Minnas Lippen: "Die sind - ein Beispiel. Ganz klar. Ein blödes, aber ein Beispiel. Ich meine: niemand glaubt doch ernsthaft daran, dass aus ungewaschenen Ohren Bäumchen wachsen - oder? Aber Kinder waschen sich nicht gerne die Ohren und mögen die Ohrenwäsche gar nicht. Also was ist einfacher, als das Kind so zu erschrecken, dass es die Prozedur über sich ergehen lässt. Und daher die Ohrenbäume in dem Text - als besonders absurdes Gegenbeispiel, vor dem Lozzi dann sein eigenes Vorgehen im besten Licht erscheinen lassen kann. Und das lautet: Erschreck das Kind mit einem Gott. Also nicht: "Wenn du dir nicht die Ohren wäscht, dann wächst da ein Ohrenbäumchen" - den Blödsinn glaubt eben nicht einmal ein Kind, sondern: "Wasch dir die Ohren, sonst frisst dich Offler. Und glaub mir: er findet dich überall, weil er ungewaschene Ohren riechen kann!". Das ist die Grundidee hinter Lozzis Pädagogik.
"Ja, das sehe ich auch so. Allerdings bin ich mir - wie auch meine Eltern vor mir - sicher, dass ungewaschene Ohren der beste Nährboden für kleine Kirschbäume sind." Pismire blickte mit einem schlecht zu deutenden Blick in die Runde und fuhr fort: "Gänzlich unklar ist mir aber noch, woher diese Göttin Regula Scribens kommt. Nach den Aussagen der Okkultismusexperten der Wache existiert die nämlich nicht - und da sind sich alle sicher, was angesichts des Pantheons der Scheibenwelt an sich schon eine großartige Leistung ist."
"Hat die Göttin vielleicht was mit der Familie zu tun?", fragte Mimosa.
"Wohl nicht wirklich. Die Grobhelms sind gläubige Omnianer", erläuterte der Schamane. "Und die kleine Laurenzia ist - wie mir ihre Mutter erzählt hat - sogar besonders fest im Glauben. Die Eltern vermuteten schon, sie könne eine Reinkarnation ihrer eigenen Großmutter, die den schönen Spitznamen "Prügelt-den guten-Glauben-an-Om-in-die-ungläubigen-Dorfnachbarn-hinein" hatte, sein - und das, wo der Glaube an Reinkarnation für Omnianer eigentlich tabu ist.
"Aber ist die Kleine wirklich Omnianerin - oder einfach nur fest in irgendeinem Glauben. Ich meine: Könnte jemand der von Natur aus besonders - wie soll ich sagen - gläubig an sich ist nicht die ideale Versuchsperson für jemanden wie Lozzi sein?", fragte Mimosa aufgeregt.
Pismire stutzte kurz. "Gute Frage - ich glaube, ich hab das automatisch geschlossen - also ist es kein wirklich bestätigtes Wissen. Wir sollten die Mutter noch einmal danach befragen."
"A pro pos Mutter. wir haben bisher:

aber haben wir wirklich einen Zusammenhang zwischen diesen Dingen?", zählte Hatscha skeptisch auf.
"Petulia Bocksbeutel und Pester Lozzi starben in einem Haus, das neben dem Haus steht, in dem das kleine Mädchen wohnt, dass an eine eigenartige Göttin glaubt, die zu ihr spricht und mit der das kleine Mädchen auch hin und wieder droht. Und ihr kleiner Bruder hat gestern ihr Hausaufgabenheft - versehentlich oder mit Absicht - ins Abwaschwasser geworfen. Und die Lehrer, die tot sind, hatten alle ein eher laxes Verhältnis zur Orthographie - oder hat sogar ihre Berechtigung, wie dieser Hummel"
"Humpel", warf Hatscha ein.
"Danke, Humpel also, geleugnet", beendete Pismire seinen Gedankengang.
"Vielleicht sollten wir noch einmal das Gespräch mit der Mutter suchen", meinte Mimosa und sah den Oberleutnant durchdringend an. "Ich weiß, sie ist vermutlich in einer furchtbaren Verfassung, weil ihr Sohn verschwunden ist, aber vielleicht, ich meine", sie brach ab.
"Du meinst, dass eine - oder zwei Frauen - vielleicht etwas mehr herausfinden können, als ein alter Mann?"
"Ohne dir zu nahe traten zu wollen, Oberleutnant, ja, das war mein Gedankengang."
"Im Anschluss an dieses Gespräch ist das sicher eine Option. Mittlerweile würde ich auch gerne wissen, ob Septimus und Onyx irgendetwas aus dem Schrank herausbekommen haben." Er schmunzelte ein wenig.
"Und dann ist da noch etwas. Ich bin mir sicher, dass in der Lehrergilde irgendetwas faul ist.
Und zwar oberfaul. Ich möchte, dass du, Hatscha, dich außerhalb der Gilde mal ein wenig über die Lehrergilde umhörst. - Wo und bei wem auch immer."

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"Und wer bist du nun wirklich?", fragte Jonny und wurde langsam ungehalten. Er saß in einer Art Höhle, konnte sich aber nicht erklären, wie er dorthin gekommen war. Er wusste nur noch, dass er gerade noch zu Hause gewesen war und dann war auf einmal in der Wand im Kinderzimmer ein Licht erschienen und aus einem Riss, der immer größer wurde, war eine Frau in einem langen, schwarzgrauen Umhang gekommen und hatte ihm gesagt, dass sei von Laurenzia käme und er mitkommen solle. Und neugierig war er ihr gefolgt. Und jetzt saß er seit Stunden in dieser blöden Höhle und langweilte sich mit dieser blöden Frau.
"Ich bin eine Göttin", sagte die Gestalt vor ihm - wahrscheinlich schon zum hundertsten Mal.
"Es gibt aber nur Om!" Dei bekannte Antwort schallte ihr entgegen. Glaubensfestigkeit war offensichtlich einer der Erziehungsgrundsätze in seiner Familie.
"Es gibt viele Götter und Göttinnen", fuhr die Gestalt auf. "Wage ja nicht, an mir zu zweifeln."
"Ich hab Hunger. Und ich will zu meiner Mama und ich will schlafen", maulte der Dreijährige unbeeindruckt.
"Du bist sogar zu blöd, einen Dreijährigen zu bändigen! Und sowas will eine Göttin sein!" Die nörgelnde Stimme von Gran'Ma Tick hallte durch den Raum. Regula Scribens starrte dumpf brütend auf den kleinen Jungen. Ihre Gläubige hatte sie gebeten, ihrem kleinen Bruder Manieren beizubringen. Nur leider erwies der Kleine sich als wenig beeindruckt und nicht lernfähig. Dass jetzt auch noch ihre Mutter sich einmischte, machte sie wütend.
"Ich zeig euch beiden gleich, dass ich göttliche Macht habe. Ich kontrolliere das Orthogra-Vieh", brüllte sie in ihrem Zorn. Gebieterisch hob sie ihre Hände über den Kopf und machte eine befehlenden Geste. Aus dem Schatten der Höhlenwand hinter ihr löste sich ein Schatten. Klauen, geifernde Zähne und ein tiefes Knurren war alles, was Jonny wahrnahm, bevor er begann, wie mörderisch und ohne Unterbrechung zu schreien.

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Während Pismire noch die Aufgaben der Gruppe skizzierte, wurde stürmisch die Tür aufgerissen und Oberfeldwebel Sillybos stürzte in den Raum.
"Du glaubst nicht, was grad in der Kantine passiert ist", brach es atemlos aus ihm heraus. "Diese Frau ist verschwunden."
"Wieso das?", wollte Pismire wissen.
"Wir sitzen da und ich beruhige sie und hab ein Auge auf sie - wie vereinbart. Da erscheint ein Licht an der Wand, ein Riss tut sich auf, wir hören ein mörderisches Schreien, die Frau ruft: "Das ist mein Junge", stürzt auf den Spalt zu, verschindet in der Wand und in dem Augenblick ist alles Licht wieder weg, die Wand ist zu und die Frau ist verschwunden. Wenn ich das nicht mit eigenen Augen gesehen hätte - ich hätte es nicht geglaubt." Er ließ sich auf einen freien Stuhl fallen. "Was ist da passiert?", fragte er fassungslos.
Pismire zuckte die Schultern. "Ich weiß es nicht. Aber dass dieser Firlefanz jetzt auch auf das Wachegebäude übergreift geht eindeutig zu weit.
Mimosa, Minna - ihr schnappt euch Herrn Grobhelm. Nutzt die weibliche oder sonsteine Seite - Irgendetwas stimmt mit dieser Familie und dem Haus nicht. Hatscha: Bring mir Material über diese Lehrergilde. Bjorn: schau nach, was Ebel mit dem Schrank macht. Und wenn es das kleine Mädchen interessiert: jetzt ist auch Mutti futsch."
"Und was machst du?", fragte Sillybos ob solch angeordneter Betriebsamkeit.
"Ich kehre zu meinem eigentlichen Metier zurück und schaue mir Herrn Humpel an. Immerhin bin ich auch Gerichtsmediziner.

04.02.2008 22: 21

Hatscha al Nasa

Informationen über die Lehrergilde von außerhalb sammeln. Das sagt sich so einfach! Der Oberleutnant hat doch keine Ahnung. Wo sollte sie denn da anfangen? Vor sich hingrummelnd wanderte Hatscha wie schon so oft vom Hauptwachhaus zur Dienststelle zur Observierung von Gildenangelegenheiten. Vielleicht stand ja in der Akte über die Gilde etwas aufschlussreiches drin. Sie bezweifelte es ja. Die Lehrer waren nicht unbedingt häufige Kunden ihrer Abteilung, dadurch ließ auch die Aktualität der Akte zu wünschen übrig. Aber unter Umständen hatte einer ihrer Kollegen etwas Wissenswertes dazu zu sagen.
Nach einer Weile kam die Wächterin in der Springstraße an und zerrte die Mappe mit den Gildeninformationen aus dem großen Schrank im Flur des ersten Stocks des Boucherie Rouge und nahm sie mit in ihr Büro. Dort setzte sie sich an ihren Arbeitsplatz, blies den Staub vom Papier und fing an, den Inhalt zu überfliegen, während sie sich gelegentlich Notizen auf einen weiteren Zettel machte, den sie zuvor aus ihrer Schreibtischschublade genommen hatte. Viel neues ergab die Akte allerdings nicht - sie hatte es auch nicht erwartet. Seufzend stand sie schließlich vom Tisch auf und trug die Mappe zurück in den Schrank vor dem Büro. Dann klopfte sie an der Tür des Drüber und Drunters an, in der Hoffnung, dass ihr Abteilungsleiter vielleicht ein paar Informationen hatte. Lange war Humph ja noch nicht bei der Abteilung und eigentlich war er auch Moloss, hatte also reichlich wenig mit Gilden an sich zu tun. Aber eventuell hatte er ja in letzter Zeit einen Bericht der Gildenexperten oder verdeckten Ermittler gelesen, in denen neues über die Lehrergilde zu finden war. Schließlich wurde sie vom Hauptmann hereingebeten. Sie öffnete die Tür und zog sie hinter sich wieder zu.
Nach kurzer Zeit verließ die Gildenexpertin das Büro mit hängenden Schultern. Nein, keinerlei Anzeichen auf irgendwelche Ermittlungen die Lehrer betreffend. Wäre auch zu schön gewesen, wenn sie Glück gehabt hätte.
Sie begann zu überlegen, was ihr jetzt noch als Alternativen blieben. Observationen und Befragungen rund um das Gildengelände. Sie ärgerte sich, dass sie keine Kontaktpersonen bei den Lehrern hatte. Aber Breda würde ihr auch nicht weiter helfen können, die war auf Assassinen spezialisiert. Cocci und Schizzel waren beide noch in Ausbildung und ebenfalls nur mit einer Gilde beauftragt. Dobermänner für diverse Gilden waren rar. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als sich in der Umgebung des Gebäudes umzuhören und sich einen Informanten für die Zukunft zu suchen. Vielleicht hatte sie ja diesmal Glück, zumindest mit einem der beiden Pläne.

06.02.2008 0: 29

Mina von Nachtschatten

Ich sitze hier und schweige einen Schrank an. Oder besser, ich lasse mich von ihm anschweigen. Was für eine wächterliche Glanzleistung!
Septimus Ebel warf dem Möbelstück einen ärgerlichen Blick zu. Seit ihrem Wutausbruch hatte Laurenzia trotz mehrerer Kommunikationsversuche seinerseits kein Wort mehr gesagt. Es würde also darauf hinauslaufen, die Angelegenheit im wahrsten Sinne des Wortes auszusitzen. Es kam nur darauf an, wer mehr Durchhaltevermögen zeigen würde...
Die Tür öffnete sich und Bjorn Bjornson betrat den Raum. Leise ging er auf den verdeckten Ermittler zu um ihn im Flüsterton von den neuesten Ereignissen in Kenntnis zu setzten.
"Was, die Mutter auch?", fragte dieser alarmiert. "Wie das denn?"
"Woher soll ich das wissen?", erwiderte der Zwerg, "Es ist noch keine fünf Minuten her, dass es uns mitgeteilt wurde."
"Hmmm..."
Der Gnom wandte seinen Blick wieder dem Schrank zu. Es wäre vielleicht nicht die schlechteste Idee, Laurenzia davon zu erzählen was vor sich ging. Natürlich nur bis zu einem gewissen Grad. Aber wie brachte man einem achtjährigen Mädchen so etwas bei?
"Laurenzia? Ich habe gerade etwas erfahren, dass dich bestimmt, äh, interessiert. Also, ich will dich jetzt nicht erschrecken, aber jetzt ist nicht nur dein Bruder verschwunden sondern ..." Er unterbrach sich. Hilfe, dass konnte sie ja auch noch nicht wissen! Septimus wartete auf eine Reaktion Laurenzias doch der Umstand, dass kein Geräusch aus dem Schrank ertönte, ermutigte ihn weiterzusprechen:
"Laurenzia, auch deine Mutter ist weg. Willst du mir nicht doch sagen, was du noch weißt?"
Einen Moment noch herrschte Stille, doch dann drang eine verwunderte Stimme aus dem Innern des Möbelstücks.
"Meine Mutter? Aber ... aber ich habe ihr doch nur befohlen ... sie sollte doch nur meinen Bruder ... bis jetzt hat sie mir immer gehorcht!"
Es war schon erstaunlich genug, dass das Mädchen wieder gesprochen hatte. Weitaus bemerkenswerter fand Septimus allerdings den Zweifel, der gerade zum ersten Mal deutlich aus ihrer Stimme gesprochen hatte.


"MamaMamaMama! MAMA! MAAMMAA!!!"
Jonny Grobhelm brüllte, die Hände auf die Augen gepresst um nicht sehen zu müssen, was sich da vor ihm befand, getreu der Logik kleiner Kinder: Seh ich dich nicht, siehst du mich auch nicht!
Zwei gelbe Augen waren auf den Jungen geheftet, stachen hervor aus einem Haufen verfilzten Pelzes, welcher den gesamten Körper des Wesens auszumachen schien. Pelz, gespickt mit Klauen und Zähnen. Pelz, von dem noch immer ein unheilverkündendes Grollen ausging, während das Orthogra-Vieh sich langsam näherte. Regula betrachtete die Szene ohne jedwedes Mitgefühl. Sie wusste, dass das Untier sich auf einen Wink von ihr sofort wieder zurückziehen würde, aber der Bengel hatte eine Lektion verdient.
"Wirst du mir jetzt gehorchen?", fragte sie schneidend.
Doch Jonny schien sie überhaupt nicht zu hören, noch immer schreiend und weinend hatte er sich so weit wie möglich an die Wand geschoben. Regula Scribens seufzte ungeduldig und hob die Hand, um dem Orthogra-Vieh Einhalt zu gebieten.
Etwas passierte. Im Nachhinein konnte sie nicht einmal genau sagen, was es gewesen war, aber es fühlte sich an, als ... als kippte etwas. Und sie stand an dem Ende, welches sich nach unten neigte. Gleich darauf tat sich ein hell leuchtender Riss in der Wand auf, durch welchen eine Frau gestolpert kam und auf den Jungen zustürzte. Das Ortrhogra-Vieh schnaubte verwirrt, gab einen grunzenden Laut von sich und riss geblendet die mit Krallen bewehrten Tatzen nach oben um sich vor dem grellen Licht zu schützen. Dieses flammte noch einmal hell aus dem Spalt auf, durchflutete den ganzen Raum, bevor es so plötzlich wie es erschienen war, verschwand und alles so zurückließ, wie es vorher gewesen war. Nur saß nun diese Frau auf den Boden, Jonny an sich gedrückt.
Es war wohl das erste Mal, dass Regula nicht wusste, was geschehen war und das selbst ihre Mutter in deren Nörgelei hatte verstummen lassen. Sie war sich nur sicher, dass sie die eben statt gefundenen Ereignisse in keiner Weise hatte kontrollieren können... Schnell verwarf sie den Gedanken: Sie war eine Göttin, die Möglichkeit, dass sie ihr eigenes Spiel nicht mehr lenken konnte war geradezu lächerlich! Aber warum hatte sie sich dann für einen Moment - nur für den Bruchteil einer Sekunde - so schwach gefühlt? Regula verdrängte auch diese Überlegung erfolgreich und wollte sich gerade mir Ehrfurcht gebietender Stimme an die beiden Menschen am Boden wenden, als ein gefährliches Knurren sie innehalten ließ: Das Orthogra-Vieh hatte sich wieder aufgerichtet und fixierte nun sie selbst - aus starren, wütenden Augen.

09.02.2008 21: 20

Pismire

In der Tat war Pismire zuerst bei Avalania vorbeigegangen, um sich über den Stand der Obduktion von Herrn Humpel zu informieren. Er traf die Zwergin im Obduktionssaal an, allerdings zeugte der ordentliche Zustand der Tische davon, dass seine Kollegin bereits fertig war. Sie wusch sich gerade die Hände.
"Ah, Oberleutnant, du willst sicher das Ergebnis, nicht wahr?"
Dieser nickte gespannt und sah sie erwartungsvoll an.
"Nichts. Ich habe nichts gefunden." Man konnte der Zwergin den Missmut über das Ergebnis deutlich anmerken. Sie fuhr fort: "Keine Wunden, Risse, Quetschungen, Abschürfungen, Brandspuren, inneren Verletzungen. Auch keine Erkrankungen wie Geschwüre, Wucherungen, Verklebungen oder anderes, die das erklären. Nichts. Er ist tot und das wars auch schon. Ich habe Proben von allen wichtigen - und unwichtigen Organen - an das Labor gegeben, aber ich bin mir ab-so-lut sicher, dass die auch nichts finden werden. Herr Humpel starb eines ebenso überraschenden wir unerwarteten und natürlichen Todes. Sein Herz hörte in einem Moment auf zu schlagen - ohne einen erkennbaren äußeren Anlaß. Schuss. Aus. Ende." Wütend stapfte die kleine Frau zum Schreibtisch, wies auf den obligaten Papierstapel und grummelte. "Und das da kann ich jetzt noch ausfüllen. Und alles umsonst."
"Keine Obduktion ist umsonst oder überflüssig", bemerkte Pismire sanft. "Auch dass es kein Ergebnis gibt, kann ein Ergebnis sein. "Würdest du sagen, dass wenn ein Gott beschließt, ein sterbliches Leben zu beenden, das Ergebnis so ähnlich wie Herr Humpel aussehen könnte?"
"Wer weiß schon, was die Götter beschließen," entgegnete Avalania vorsichtig. "Aber das Ergebnis eines göttlichen Beschlusses - nun, es könnte wie alles andere aussehen. Also auch so. Warum fragst du? Ermittelt ihr gegen einen Gott?"
Pismire zuckte mit den Schultern. "Ich fühle mich langsam gezwungen, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen, Gefreite."
Er wandte sich zum Gehen. "Ach, Avalania, sollte jemand nach mir fragen - ich bin im Tempel der Geringen Götter und versuche, ob die Theologie meine Fragen beantworten kann. Ich schätze aber, dass ich in zwei, drei Stunden wieder da bin."

Eine halbe Stunde später sah Pismire sich Unteraushilfsbruder Wendelius Finkenmus gegenüber, einen fortgeschrittenen Studenten der heiligen Schriften über die Geringeneren Götter, der sich als einziges Mitglied des Priesterseminars im Stande gesehen hatte, mit dem Oberleutnant dessen brennende theologische Fragen zu erläutern. Das schien auch damit in Zusammenhang zu stehen, dass es mit zu den Aufgaben des Unteraushilfsbruders gehörte, als Zulieferer für Paul Königs Männer vom Goldenen Strom zu fungieren - mit andren Worten: Er leerte gerade die Nachttöpfe aus und war für jede Unterbrechung dankbar.
Finkenmus war ein dürrer, hoch aufgeschossener, junger Mann mit einem ungesunden, pickeligen Teint, einer kieksigen Stimme, die verriet, dass er noch sehr jung war, riesigen, roten und rissigen Händen, die permanent an seiner grauen Kutte zupften und einem kleinen Rudel von Barthaaren an seinem vorstehenden Kinn, das von dort aus in alle Richtungen der Welt lugte. Der Rest seines Gesichtes erinnerte an einen wahnsinnig friedfertigen Geier. Auf Grund der Tatsache, dass er so weit unten in der priesterlichen Hierarchie stand, dass er nicht einmal einer Unterbrechung seiner Rede gewürdigt wurde, versuchte er am Anfang des Gespräches möglichst alle Informationen in den ersten zwei Sekunden zu äußern.

"Nun, die Frage, wie ein Gott entsteht, ist nicht einfach zu beantworten. In den Schriften des Gelehrten Boah, der sich der Frage vor über tausend Jahren widmete, finden wir die Ansicht, dass dort, wo Glaube existiert, sich auch ein Gott bildet - unter der Voraussetzung, dass er ein geeignetes Trägermedium findet. Das wiederum kann daran liegen, dass neben dem Magischen auch das Göttliche in der Welt vorhanden ist. Allerdings handelt es sich um zwei Naturkräfte, die nichts miteinander zu tun haben, auch wenn ihre Auswirkungen sich häufig ähneln."
"Weswegen ein - in begrenztem Umfang - magisches Wesen wie ich zwar Magie spüren und lokalisieren kann, aber nicht unbedingt deswegen in der Lage sein muss, das Göttliche zu sehen!?"
"Oh, das schließt einander oft auch aus. Schau dir nur die Brüder Ridcully an. Der eine ist der Hohepriester des Blinden Io und der andere ist Erzkanzler der Unsichtbaren Universität. Ganz eindeutig sind hier die beiden Fähigkeiten an zwei Personen unterschiedlicher Art gebunden."
"Nun gut - Magie hier, Göttliches da. Aber welche Rolle hat in diesem Spiel der Gläubige?"
"Es ist so, dass Götter nur dort existieren, wo ein Glaube an sie vorhanden ist. Und je stärker der Glaube - so heißt es - desto mächtiger der Gott oder die Göttin. Genau das ist ja das, was die geringeren Götter nicht haben - echte Gläubige."
"Aber es gibt diesen Tempel."
"Ja, aber das ist eher so etwas wie eine städtische Versicherungsanstalt. "Sollte es diese Götter wirklich geben, dann kann uns ihr göttlicher Zorn nicht treffen, weil wir ihnen ja diesen prächtigen Tempel gebaut haben." So ungefähr werden die Gründer dieses Tempels gedacht haben. Es ist sozusagen das Sammelbecken für Glaubensreste." Die Stimme von Unteraushilfsbruder Wendelius Finkenmus bekam einen deutlich spöttischen Unterton, in den sich allerdings auch eine gehörige Portion Selbstmitleid mischte.
"Wenn ich mir also diesen Tempel wie eine Art von Abwassersammelbecken für den Ausfluss des Göttlichen vorstellen kann" - Pismire schaute seinen Gesprächspartner an und wertete sein Nicken als Zustimmung - "was passiert eigentlich dann, wenn auf einmal ein große Menge Glaubens hinzu kommt. Läuft es dann über? Und: mit welchem Ergebnis?"
"Wo soll denn diese Menge Glauben auf einmal herkommen? Jeder normale Mensch hat eine bestimmte Menge an Glauben an sich. Und da es eine ebenso berechenbare Menge an Gläubigen gibt, kann eine große Menge nicht so einfach entstehen!"
"Aber was, wenn ein bereits entstehender Glaube enttäuscht wurde? Wenn ein Gott nicht das gemacht hat, was seine Gläubige wollte." Pismire war sich selbst noch nicht im Klaren, in wie weit ihm dieses Gespräch bei seinem Fall weiterhelfen würde.
"Wenn jemand sogar von einem Gott enttäuscht werden kann, dann muss das ein starker Glaube gewesen sein", meinte Finkenmus, der als Professioneller hin und wieder über die Inbrunst der Amateure - also der ungebildeten Gläubigen - nur gelehrt die Nase rümpfen konnte, "der sich dann vermutlich nach einer Zeit des Suchens einen neuen Anker für seinen Glauben suchen wird."
"Und wo könnte er diesen Anker finden?", fragte sich Pismire laut.
"In einer anderen Gottheit", meinte Finkenmus.
"Und wenn ihr - also der Person - die ihr bekannten Götter nicht zusagen, könnte sie sich dann einen erfinden?"
"Ja, das schon", gab Finkenmus zu. "Aber es muss nicht nur ein ungewöhnlich starker Glaube sein, er muss auch etwas finden, an das es sich zu glauben lohnt. Sonst wird der Glaube ja wieder enttäuscht. Und dadurch wird er schwächer."
"Hier kommen deine Geringeren Götter ins Spiel. Könnte sich einer diesen Glauben zu Nutze machen?"
Finkenmus stutzte. "Ein Gott mit einem wahrhaft Gläubigen - das kann der Beginn einer richtigen Religion sein. Und würde den betreffenden Gott automatisch aus der Gruppe der Geringeren Götter hinausheben. Es wäre nicht länger ein namenloser Gott. Und wer weiß - es könnte sich daraus eine neue Religion gründen, was wiederum den Gott stärken würde - und so weitern. Im Prinzip ist das die ganze Geschichte über so gegangen. Kleine Götter finden mehr Gläubige - der Glaube expandiert - ein lokaler Gott wird ein mächtiger Gott - und so weiter. Offler war auch einmal nur eine lokale Erscheinung."
"Kann man Götter eigentlich nachweisen - mit so etwas wie einem Thaumometer?", fragte Pismire gespannt. "Aber wo denkst du hin, Oberleutnant, lachte der Unteraushilfsbruder. "Nein, Götter wollen nicht gemessen werden - sie offenbaren sich. Immerhin haben sie einen gewissen Stil."

10.02.2008 15: 31

Mina von Nachtschatten

Wie schnell sich die Lage doch ändern konnte: War eben noch von einem "Frau-zu-Frau-Gespräch" die Rede gewesen, so würden sich Mina und Mimosa nun wohl einem baldigen "Frau-zu-Herr Grobhelm-Gespräch" gegenübersehen. Doch bis dahin war noch ein gutes Stück Weg durch die Straßen von Ankh-Morpork zurückzulegen, genug Zeit also, die jede der beiden Wächterinnen nutzte, sich ihre eigenen Gedanken zu dem aktuellen Fall zu machen. Doch anscheinend nicht nur darüber.
"Mimosa, was hältst du von Bauchrednerei?", fragte Mina unvermittelt.
"Was?" Die Angesprochene warf ihrer Kollegin einen überraschten Blick zu. "Wie kommst du denn jetzt darauf?"
"Allgemein geht man natürlich davon aus, dass es sich dabei um einen Puppenspielertrick handelt", fuhr diese unbeirrt fort, "aber man kann ja nie wissen, hab ich Recht?"
"Ehrlich gesagt verstehe ich nicht ganz, worauf du hinaus willst", erwiderte Mimosa. Allerdings durchzitterte eine leichter Anflug von Unsicherheit ihre Stimme: Ihr schwante nichts Gutes. Unbewusst ließ sie ihre Hand zu der Stelle ihrer Tasche wandern, an welcher sich Schleicher als kleiner Hügel unter dem Stoff abzeichnete.
Mina ging nicht auf ihren Einwand ein.
"Aber du musst zugeben, dass es schon etwas seltsam ist, was sich in Lozzis Wohnung abgespielt hat - drei Stimmen bei nur zwei anwesenden Personen? Was hältst du denn von der Sache?"
"Ich, äh ..." Mimosa überlegte fieberhaft, wie sie ihre Kollegin möglichst unauffällig von diesem Thema abbringen könnte. Aber ihr Gehirn schien sich ausgerechnet in diesem Moment zu weigern, hilfreiche und vor allem überzeugende Argumente zu liefern. "Ich bin mir nicht ganz sicher?!", meinte sie daher versuchsweise.
Doch die Vampirin ließ nicht locker. "Und Tatsache ist doch, dass ...", begann sie erneut.
"... wir da sind!", vollendete Mimosa Minas Satz mit einem erleichterten Seufzer, als sie endlich die letzte Straßenecke hinter sich gelassen und nunmehr das Haus der Grobhelms in der Zinnstraße erreicht hatten. Auf ein Klopfen hin, wurde die Tür derart heftig aufgerissen, dass ihre Angeln protestierend quietschten. Ein überaus nervös wirkender Mann stand im Türrahmen und ließ die beiden RUM Ermittlerinnen gar nicht erst zu Wort kommen.
"Stadtwache? Gut, habt ihr meinen Jungen gefunden?"
"Also ... nicht direkt. Aber dürfen wir vielleicht erst einmal hereinkommen - Herr Grobhelm, richtig?"
"Ja, der bin ich. Ja, hereinkommen, natürlich, bitte schön."
Er führte sie durch einen nicht allzu großen Flur ins Wohnzimmer. Oder vielmehr musste man annehmen, dass es sich bei dem Raum um das Wohnzimmer handelte: Es präsentierte sich in einem Chaos von offenen Schränken und deren achtlos zur Seite geworfenen Inhalten.
Herr Grobhelm räusperte sich verlegen.
"Entschuldigt das Durcheinander, aber wir haben wirklich überall nach unserem Jonny gesucht - offensichtlich erst meine Frau und dann noch einmal ich. Und es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er sich in einem Schrank versteckt halten würde... Aber leider, na ja, diesmal eben nicht. Wenn ich daran denke, was ihm alles zugestoßen ..." Er brach ab und knetete nervös seine Hände. "Es ist ihm doch nichts passiert, oder?"
"Soweit sind wir mit unseren Ermittlungen noch nicht, aber wir sind optimistisch, dass es ihrem Sohn gut geht. Den Umständen entsprechend.", versuchte Mina den Vater zu beruhigen. Und bereute gleich darauf ihren letzten Satz, denn natürlich kam es so zu einer weiteren unvermeidlichen Frage:
"Welche Umstände?", erkundigte sich Herr Grobhelm sofort.
Die Vampirin warf ihrer Kollegin einen fragenden Blick zu, welcher eine recht eindeutige Botschaft vermittelte: Ihm jetzt etwas von leuchtenden Rissen im Wachhaus und dem Verschwinden seiner Frau, die den Sohn angeblich dort gesehen hat, zu erzählen ist vielleicht nicht die beste Idee, oder?
Mimosa nickte kaum merklich.
"An denen arbeiten wir auch noch", warf sie rasch ein.
Fred Grobhelm schien sich damit zufrieden zu geben - zumindest für den Moment - und fuhr sich mit einer fahrigen Geste über sein Gesicht: Er war ungewöhnlich blass um die Nase und die Augen blickten hektisch hin und her, fast so als könnten sie sich nicht damit abfinden nur ein begrenztes Blickfeld zur Verfügung zu haben. Denn es konnte ja durchaus sein, dass sich eine Lösung genau außerhalb dieses Bereichs auftat.
"Wenigstens weiß ich, wo sich meine Frau und Laurenzia aufhalten. In der Wache kann ihnen ja nichts passieren..."
Falls er diesen Satz als Frage gemeint und eine Antwort erwartet hatte, so wurde er enttäuscht; die beiden Wächterinnen hatten sich mittlerweile je einen Platz auf zwei Stühlen freigeschaufelt und blickten im Zimmer umher. Auf den ersten Blick war nichts Auffälliges zu entdecken - abgesehen von der Unordnung. Im hinteren Bereich führte eine Treppe ins oberer Stockwerk.
"Also Herr Grobhelm, können sie uns noch irgendwie weiterhelfen?", eröffnete Mimosa nun ihrerseits die Befragung. "Ihre Frau hat uns zwar schon viel erzählt, war aber doch sehr aufgelöst und da kann es schon einmal vorkommen, dass wichtige Details vergessen werden."
Der Mann zuckte etwas hilflos mit den Schultern.
"Ich bin ja auch erst vor Kurzem benachrichtigt worden ... meine arme Tia, sie hat wirklich nicht das belastbarste Nervenkostüm." Er seufzte. Und fuhr dann wie vom Blitz getroffen zusammen, als ein lautes Knarzen erklang.
"Verzeihung", murmelte Mimosa verlegen, "ich habe nur den Stuhl etwas verrückt und ..."
"Schon gut, schon gut, die alten Möbel, jaja", Fred Grobhelm lachte nervös, "Ich glaube, nicht nur meine Frau ist mit den Nerven am Ende. Erst vorhin habe ich geglaubt, etwas auf unserem Dachboden gehört zu haben. Ich habe dann nachgeschaut, es hätte ja sein können, dass sich unser Sohn dort versteckt hat. Allerdings muss sich die Luke nach oben irgendwie verklemmt haben, zugesperrt sein oder was auch immer, ich habe sie auf jeden Fall kein Stück bewegen können. Da kann niemand sein, erst recht kein 3-jähriges Kind. Aber es ist seltsam, kaum war ich unten, habe ich mir schon wieder eingebildet etwas zu hören. Ich glaube, ich verliere noch den Verstand."

01.03.2008 16: 20

Septimus Ebel

Septimus nutzte Laurenzias neue Gesprächsbereitschaft: "Du meinst Regula steckt dahinter?"
"Wer denn sonst?", sagte die Kleine wieder in einem Tonfall, den einige Menschen bei geistig minderbemittelten Gesprächspartnern anschlagen.
Der verdeckte Ermittler versuchte in ihren Kategorien zu denken. "Ich weiß nicht. Vielleicht ein anderer Gott?"
"Ein anderer?" Einen kurzen Moment lang klang Zweifel in ihrer Stimme mit. Einen sehr kurzen Moment lang. "So ein Quatsch! Kein anderer ist so stark wie sie!"
"Auch Om nicht?"
"Der erst recht nicht! Der hat nie was gemacht, als ich ihn um was gebeten habe. Aber Regula hat mir immer geholfen! Sie ist viel mächtiger. Und ich hab Mama auch immer gewarnt. Ich wette, sie ist bestraft worden."
"Bestraft?" Der Gnom spitzte die Ohren. "Wofür?"
"Na dafür, dass sie gesagt hat Regula wär eine Lüge und dass es sie gar nicht geben würde. Und ich hab gesagt: Doch! Und sie hat gesagt: Nein! Und deswegen geh ich auch nicht mehr nach Hause. In das Scheißhaus geh ich nie mehr. Ich wohn jetzt bei dir", sagte sie bestimmt.
Septimus rollte mit den Augen. Er hatte sich da eine große Puppe eingehandelt - aber keine aus Porzellan. Diese hier war lebendig - und wie eine Bombe auf zwei Beinen. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass Pismire beschließen könnte, ihm die Kleine tatsächlich anzuhängen, falls sie aus dem Schrank herauskommen würde. Ihm wurde ein wenig schwindelig, als hätte er sich zu oft um die eigene Achse gedreht. Es erstaunte ihn sehr, dass die Puppe, die er am Schießstand gewonnen hatte, nun hier saß und entschlossen war, nicht mehr von seiner Seite zu weichen. Nun ja, ihre halbe Familie war verschwunden. Aber warum hatte sie sich in den Kopf gesetzt gerade ihn als neuen Begleiter auszuwählen? Panisch suchte er nach einem guten Gegenargument für ihren Einzug. Erstaunlich spät fiel ihm eines ein: "Das geht nicht."
"Warum nicht?"
"Überleg doch mal Laurenzia, ich bin ein Gnom. Du würdest niemals in meinen Baum...äh...in mein Haus rein passen."
Sie sagte nur: "Oh."
Erleichtert atmete er aus. Nun, da das geklärt war, lenkte er das Thema wieder auf eine ernstere Angelegenheit: "Ist deine Mutter denn wirklich so schlimm, dass es dir egal ist, wenn sie spurlos verschwindet?"
"N...nein", antwortete sie traurig. "Das war ja auch gar nicht geplant."
"Willst du uns...ähm...mir denn helfen sie wieder zu finden?"
Ein verlegenes Scharren ertönte aus dem Möbelstück. "Ja...schon."
"Gut", lobte Septimus sie. "Das finde ich sehr lieb von dir."
Sie antwortete nicht. Aber er wusste, dass die Bestätigung ihr gut tat. "Weißt du eigentlich, wo Regula wohnt?"
"Mhhhh", machte sie nachdenklich. "Ja, das hat Lozzi mir mal erzählt. Er hat gesagt, dass man auf keinen Fall ohne zu fragen auf Dachböden gehen darf, um da herumzustöbern, weil Regula da manchmal schläft und sauer wird, wenn man sie stört. Dann stellt sie einem drei Fragen zum Buchstabieren und sowas. Ganz schön knifflige Fragen. Und wenn das, was man sagt, dann noch falsch ist, dann wird sie stinksauer. Und wenn sie so richtig sauer wird, dann steckt sie einen in ihre Höhle. In die Höhle, wo auch ihr Engel wohnt."
"Ihr Engel?"

07.04.2008 10: 07

Pismire

In der Lehrergilde saß Oberlehrer und Gildenführer Theo Retisch nachdenklich an seinem Schreibtisch. Wenn die Wache hinter die Sache mit Lozzi kam, dann - so fürchtete er - konnte er den Laden hier dicht machen. Warum hatte er auch nur auf den Spinner gehört. "Totsicheres pädagogisches Konzept", so hatte der alte Schwätzer seine Methode angepriesen. "Man muss diesen kleinen Teufeln nur ordentlich einheizen, dann ist das weitere Vorgehen kein Problem!" Mit schalem Ekel dachte das Gildenoberhaupt an die stundenlangen Diskussionen zurück, die sie beide in diesem Büro geführt hatten. Lozzi war besessen von der Idee gewesen, dass er das pädagogische Konzept für das neue Millennium gefunden hatte - du meine Seele, was für ein Schei - benkleister. Nicht einmal in seinen Gedanken schaffte der Mann es, ordentlich zu fluchten.
Angst vor den Göttern - du meine Güte. Was für ein Unfug!, dachte Retisch. - Aber du hast nur zu gerne daran geglaubt - vor allem, wenn du an die reichlich fließenden Gelder von Besserungsvereinen gedacht hast. Du hast sogar versucht, an Kohle vom Patrizier zu kommen, höhnte eine zweite Stimme in seinem Kopf.
Aber wer konnte auch ahnen, dass das so nach hinten losgehen könnte!? - Jeder Idiot! - Die Stimme war nicht zu beruhigen.
Und dann noch dieser Verdacht, bei dem letzten Resozialisierungsfall könne nicht alles mit rechten Dingen zugehen. Was war, wenn das ein Spitzel von der Wache war - angeblich konnten die mittlerweile ihre Wächter schon so tarnen, dass man sie nicht mehr am Streifengang und den hinter den Ohren steckenden Zigarrettenstummeln erkennen konnte. Und Rolf, der für die Sicherheit des Gebäudes zuständig war und den Auftrag bekommen hatte, ihn zu suchen, als er zwischenzeitig mal nicht aufzufinden gewesen war, weil Frau Tingel wieder einmal die Termine durcheinander gebracht hatte, hatte hoch und heilig geschworen, dass er den jungen Mann mit dem Gnomenwächter hatte tuscheln sehen. Er beschloss, unverzüglich zu handeln.
"Frau Tingel", brüllte er laut. "Dieser junge Mann, den die Wache zu uns geschickt hat, bringen sie den unverzüglich zu mir."

07.04.2008 20: 26

Mina von Nachtschatten

Bjorn saß auf einem Hocker vor einer Tür und starrte vor sich hin. "Schau nach, was Ebel mit dem Schrank macht.", das war seine Anweisung gewesen. Und dieser war er auch schon nachgekommen - mehrfach sogar, nachdem er die Nachricht vom Verschwinden der Frau Grobhelm an Septimus weitergeleitet hatte. Er war danach nicht im Raum geblieben, da das Mädchen, hätte es seine Anwesenheit irgendwie bemerkt, wohl erneut jede Kommunikation verweigert hätte. Das hätte leicht durch einen unbedachten Kommentar seinerseits geschehen können, auch wenn dieser nur gut gemeint gewesen wäre. Der Zwerg seufzte. Unglaublich eigentlich, dass ein kleines, trotziges Mädchen in einem recht großen, massiven Schrank ganze drei Wächter beschäftigen konnte. Auch wenn es einer der Schlüssel zu der ganzen Angelegenheit zu sein schien. Doch dieses Kind ließ sich anscheinend jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen, denn als Bjorn das letzte Mal nach dem rechten gesehen hatte, war das Gespräch zwischen Gnom und Möbelstückinsassin anscheinend immer noch beim Thema "verschwundene Mutter" und natürlich der allgemeinen Götterproblematik. Das konnte also noch eine Weile dauern, zumal nicht abzusehen war, ob die Kleine ihren Schrank überhaupt am heutigen Tag noch verlassen würde.
Der Zwerg versuchte es sich auf dem Hocker etwas bequemer zu machen - bei dieser schlichten Holzkonstruktion eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit - und begann Däumchen zu drehen. Er war sich nicht ganz sicher, was jetzt eigentlich genau von ihm erwartet wurde. Sollte er hier ausharren, bis die anderen zurückkamen? Oder sich schlicht in Geduld fassen, bis die ungewöhnliche Befragung im Nebenzimmer zu einem Ergebnis kam, um dann eventuell den Rest der Ermittlungsgruppe zu verständigen?
Einfach aus dem Umstand heraus, nichts besseres zu tun zu haben, drückte der Gefreite - wie er es auch schon vor nicht einmal fünf Minuten getan hatte - die Klinke hinter ihm erneut hinunter, machte sich aber nicht die Mühe erst aufzustehen, die Stimmen drangen auch so recht gut verständlich durch den Türspalt zu ihm. Es klang ganz nach ... Bjorn horchte auf. Hatte da gerade jemand etwas von "helfen" gesagt und eine Zustimmung bekommen? Tatsächlich! Der Obergefreite hatte die kleine Göre wohl tatsächlich zur Kooperation bewegen können. Das waren ja endlich mal gute Nachrichten - und diese sollten wohl besser sofort weitergeleitet werden. Bjorn erhob sich, trat leise halb in die Tür und versuchte durch Herumgefuchtel mit den Händen, Onyx' Aufmerksamkeit zu erregen. Der Troll stand noch immer reglos wie eine Statue in einer Ecke des Raums, drehte jedoch schließlich langsam den Kopf in seine Richtung. Der Gefreite versuchte ihm nun gestikulierend verständlich zu machen, dass er nur einmal kurz vor der Tür verschwinden würde, um etwas zu erledigen, danach aber sicher gleich wiederkäme. Einen verbalen Versuch wagte er nicht und da der Troll nickte, konnte Bjorn hoffen, verstanden worden zu sein.
So machte er sich auf, Oberleutnant Pismire aufzusuchen, vielleicht war der schon wieder im Haus. Und wenn nicht, so würde wohl erneut eine Taube zu Einsatz kommen. Wenigstens hatte der Zwerg nun wieder eine konkrete Aufgabe vor sich.
Auf seinem Weg durch das Wachegebäude schweiften seine Gedanken zu dem seltsamen Vorfall in der Kantine. Bjorn zweifelte zwar nicht an den Worten des Oberfeldwebel Sillybos, konnte sich aber auch nicht vorstellen, dass überhaupt keine Spuren zurückgeblieben sein sollten. Gut, es war aller Wahrscheinlichkeit nach göttliche Kraft im Spiel, aber trotzdem, ein Spalt in der Wand blieb immer noch ein Spalt, eine nicht unerhebliche Unterbrechung im Mauerwerk ... Vielleicht war es auch einfach nur die Neugier, die den Zwerg den Entschluss fassen lies am Ort des Geschehens einmal vorbeizuschauen, sollte er doch noch den Taubenschlag aufsuchen müssen. Wer wusste schon, ob sich nicht vielleicht doch noch irgendetwas Interessantes finden lies?

10.04.2008 19: 27

Septimus Ebel

Ein Grollen ertönte im Raum. Es war ein dunkles gurgelndes Grollen und es endete in einem fordernden Ächzen.
Irritiert starrte Septimus auf die Schranktüren. Mit einem fragenden Blick zu Onyx vergewisserte er sich, dass das Geräusch keine Einbildung war. Ein verschmitztes Lächeln huschte über sein Gesicht. Laurenzia bekam offensichtlich Hunger. Das ändert die Verhandlungsumstände sehr, dachte er hoffnungsvoll. Raschelnde Geräusche kamen jetzt aus dem Schrankinneren. Dann ein unterdrücktes: "Mist."
Jetzt hat sie gemerkt, dass sie ihr Pausenbrot schon aufgegessen hat, stellte er zufrieden fest. Erneut grollte der Schrank in einer Lautstärke, die einem ausgewachsenen Braunbären großen Respekt eingeflößt hätte.
"Laurenzia?", erinnerte er sie. "Du wolltest mir gerade etwas von Regulas Engel erzählen."
Stille, begleitet von einem leisen organischen Blubbern. Dann: "Ich habe Hunger."
"Ach", machte der Verdeckte Ermittler nur und schaffte es in diese Silbe die Idee eines gleichgültigen Schulterzuckens zu packen.
"Ich will was zu essen", forderte das Mädchen.
"Und ich will wissen, warum deine Mutter verschwunden ist", erwiderte Septimus hart.
Doch anstatt sich in die Enge treiben zu lassen, führte sie ihn selbst aufs Glatteis: "Warum interessiert dich das überhaupt? Was hast du denn mit meiner Mama zu tun? Und mit Regula? Und überhaupt. Du bist doch nur ein Lehrer. Das geht dich alles gar nichts an!"
"Bloß ein Lehrer?", wiederholte Septimus in ungläubigen Tonfall. "Jetzt sei nicht so undankbar. Ich hab mich schließlich für dich eingesetzt. Bin nicht von deiner Seite gewichen, seit....seit wieviel Stunden? Und du nennst mich bloß einen Lehrer. Ich bin Doktor Erbguth, ja?"
"Ich weiß wer du bist, klar?", antwortete sie patzig. "Und ich hab Hunger."
"Dann geh nach Hause und lass dir was zu essen machen!", antwortete er genauso patzig.
"In das Scheißhaus geh ich nicht zurück!", schrie sie.
"Du wiederholst dich", sagte er kühl.
"Mir egal! Ich will was essen!"
Er machte eine kurze Pause, um sie wissen zu lassen, dass er über einen Kompromiss nachdachte. Zu diesem arbeitete er sich nun langsam vor. Es ging zu wie auf einem Basar. Er begann mit einem Angebot, auf das sie nicht eingehen konnte.
"Wie wäre es, wenn du nun aus dem Schrank kommst, wir gehen zusammen nach Hause, quatschen in der Zeit über diesen oder jenen Gott - oder Göttin - und dann wartet zu Hause sicher ein sehr leckeres - "
"Nein! Nein! Nein!"
Wieder ließ er einen Moment vergehen und schlug anschließend etwas Entgegenkommenderes vor: "Und was hältst du davon, wenn du erstmal da raus kommst, dann reden wir über Regula und dann bekommst du was zu futtern?"
"Du denkst echt, ich bin blöd, oder?", sagte sie vorwurfsvoll. "Ich will bei dir bleiben. Du willst mich ja nur loswerden."
Man konnte nichts dagegen machen. Schließlich raffte er sich zu einem letzten Vorschlag auf. "Na schön", sagte er. "Wir machen es so: Du kommst aus dem Ding raus, ich überrede die Wächter, dass du vorläufig - vorläufig - hier bleiben darfst, dann gehen wir zusammen etwas essen. Und jetzt sei ja einverstanden."
"Mhhh", machte der Schrank. "Okay."
An diesem Punkt begann Septimus` vierte Erziehung. Die erste fand in seinem Elternhaus statt - je älter er wurde, desto größer wurden die Enttäuschungen. Die zweite Erziehung übernahm Herr Gänseblümchen in seiner Anti-Aggressions-Ausbildung - es war eine wichtige Zeit für ihn gewesen, dort hatte er lernen müssen mit seinem Übermaß an Emotionalität und Zorn umzugehen. Schließlich die Ausbildung in der Wache - sie hielt ständig an, immer wieder gab es etwas, aus dem er lernen konnte, wenn er wollte. Jetzt stand eine Achtjährige vor ihm, bereit ihm den Glauben an eine Göttin einzuprügeln.
Zum ersten Mal sah er sie wirklich. Septimus wusste nicht, was er erwartet hatte, aber es war sicherlich nicht das, was er zu sehen bekam. Nicht nur, dass ihr Kleid schmutzig war und fünf Nummern zu groß. Eine großzügig verteilte Mischung aus Organgensaft, Fettflecken und Malkastenfarbe machte das ehemals weiße Kleidchen kunterbunt. Fransig standen Strähnen, die sich aus den Zöpfen gelöst hatten, von ihrem Kopf ab. Sie hatte Sommersprossen und sehr große blaue Augen.

12.04.2008 19: 25

Hatscha al Nasa

Warum war sie eigentlich bisher noch nicht auf die Idee gekommen, die Eltern der Schüler zu befragen? Die Kinder erzählten doch sicherlich immer wieder etwas aus der Schule und vielleicht kam den Eltern dann etwas davon sehr merkwürdig vor. Die Zöglinge aus Laurenzias Klasse schienen einen guten Anhaltspunkt zu geben. Aber wo bekam sie eine Klassenliste her, ohne noch einmal die Gilde zu betreten?
All das überlegte Hatscha, als sie vom Boucherie Rouge zurück Richtung Lehrergilde ging. Waren nicht Mimosa und Mina damit betreut, von Herrn Grobhelm noch weitere Informationen zu besorgen? Klar, der Vater könnte doch auch wissen, wer sonst noch so in Laurenzias Klasse saß...
Sie lächelte und schrieb schnell eine Nachricht an die beiden verdeckten Ermittlerinnen von RUM, die sie dann in die kleine Rolle der Taube steckte, die sie sich bei ihrem Aufbruch vom Pseudopolis-Platz mitgenommen hatte. Es konnte nie schaden, einen der Vögel dabei zu haben. Jetzt war sie froh darum. Sie schickte das Tier los und ging dann weiter zur Gilde, um ihren eigentlichen Plan in die Tat umzusetzen.
Direkt gegenüber vom Eingang entdeckte sie ein kleines Cafe, in das sie sich setzte. Sie bestellte sich einen Kapputschino und da die Bedienung nicht viel zu tun zu haben schien, begann die Wächterin, sie zu befragen.
"Da gegenüber, das ist doch die Lehrergilde", fragte sie unschuldig.
"Hm, ja. Eine sehr merkwürdige Einrichtung", erwiderte die Bedienung. Sie war blond und groß, größer als Hatscha. Auf dem Namensschild an ihrer Brust stand, dass sie "Emilia Gusta" hieß.
"Inwiefern denn merkwürdig?"
"Naja, man sollte meinen, es gibt in Ankh-Morpork genügend Schulen, an denen die Kinder ausgebildet werden. Wozu dann also noch die Gilde?"
'Aha', dachte die Gildenexpertin sich. 'Eine von dieser Sorte.'
"Aber irgendwo müssen ja auch die Lehrer ausgebildet werden. Das verstehen Sie doch sicherlich", sagte sie dann laut.
"Hm, ja, das klingt einleuchtend", gestand die Angestellte. "Aber warum interessieren Sie sich denn so für die Anstalt?"
"Wie Sie an meiner Uniform vielleicht schon gemerkt haben, bin ich eine Wächterin." Sie lächelte und erntete ein Nicken. "Und uns ist zu Ohren gekommen, dass es in der Gilde seltsame Vorgänge gab in letzter Zeit. Haben Sie vielleicht etwas derartiges von hier aus festgestellt? Sie sehen ja schließlich täglich, wenn da drinnen etwas ungewöhnliches passiert."
"Nur das, was auch nach außen dringt. Aber manchmal kommen ja auch die Lehrer auf einen Kaffee oder Tee hierher."
"Und sie unterhalten sich doch bestimmt auch ab und zu, nicht wahr?", ergänzte die Korporal.
"Ja. In letzter Zeit geht es bevorzugt um eine seltsame Erziehungsstrategie..." Sie erntete einen fragenden Blick. "Naja, sie reden von seltsamen Anweisungen von ihrem Vorsitzenden, die ein Kollege..." Sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn gerade kam ein Gildenmitglied zur Tür herein. "Tut mir Leid, ich muss mich um meine Gäste kümmern. Bin gleich wieder bei Ihnen."
"Aber natürlich. Vielen Dank." Hatscha lächelte. Es schien, als hätte Emilia tatsächlich ein paar interessante Informationen für sie.

13.04.2008 12: 19

Mina von Nachtschatten

Damien fühlte sich hin- und her gerissen: Auf der einen Seite war er ganz froh, dem muffigen Klassenzimmer entronnen zu sein, in welches er nach seinem Zusammentreffen mit der hysterischen Frau auf dem Gang "komplimentiert" worden war: Ein kleiner wütender Mann war dort vor einer Gruppe aus Halbwüchsigen und jungen Männern von wenig vertrauenerweckendem Aussehen[11] auf und ab gelaufen, hatte dabei wie verrückt mit einem Rohrstock gefuchtelt und immer wieder betont, was für hoffnungslose Fälle sie doch alle miteinander seien und dass er den Versuch einer Wiedereingliederung in die Gesellschaft bei ihnen ohnehin für verschwendete Zeit hielt, aber wenn das Gildenoberhaupt meinte... Zumindest im letzten Punkt musste der Hauptgefreite ihm Recht geben: Bei solchen Methoden und einem derartigen Lehrer war ein Erfolg dieser Resozialisierungsklasse nicht sehr wahrscheinlich.
Auf der anderen Seite war auch seine momentane Situation nicht gerade erstrebenswert: Man hatte ihn nach nicht einmal einer Stunde aus der Klasse geholt und zum Büro des Oberlehrers geführt. Und da saß er nun, erneut einem kleinen Männchen gegenüber, welches ihn feindselig musterte. Ein Schild auf dem Schreibtisch wies es als "T. Retisch" aus.
"Name?", schnappte der Oberlehrer.
Damien betrachtete ihn kurz und antwortete dann: "Grau. Walter Grau." Unter den gegeben Umständen schien ihm ein Deckname angebracht.
"Und was machst du hier?" Der Ton seines Gegenübers war lauernd.
"Ich war in dieser komischen Klasse und ..."
"Ja, das weiß ich! Warum?"
"Na ja, ich hab eben den ganzen Tag nur auf der Straße rumgelungert", meinte Damien und lümmelte sich in einer Haltung in den Stuhl, von der er ausging, dass sie ihn sehr resozialisierungsbedürftig aussehen ließ. Es war wohl besser, diese Tarnung vorerst aufrecht zu erhalten, bis er herausgefunden hatte, was dieser Retisch von ihm wollte. "Habe so das ein oder andere mitgehen lassen und so", fuhr er fort, "Das mit der Wache war dann natürlich Pech, die haben mich erwischt, als ich gerade ..."
"Ha! Die Wache!" Der Oberlehrer schlug triumphierend die Faust auf den Tisch. "Mit denen verstehst du dich gut, was? Besonders mit diesem einem, mit dem du ein Schwätzchen gehalten hast."
Damien überlegte kurz.
"Ja", bestätigte er dann, "Über meine Auflagen hat er mich belehrt; dass ich nicht in den Knast komme, wenn ich mich hier benehme und so."
Theo Retisch verzog wütend das Gesicht. Das Gespräch schien sich nicht in die von ihm gewünschte Richtung zu entwickeln. Er beugte sich über seinen Schreibtisch nach vorn, bis seine Nase nur noch Zentimeter von der des Szenekenners entfernt war.
"Das glaube ich dir aber nicht", knurrte er, "Gib es doch zu!"
"Ich weiß wirklich nicht, wovon du redest."
"Du gehörst zu denen, du spionierst hier herum, du willst uns anschwärzen! Aber das werde ich nicht dulden!", platzte Retisch in einem plötzlichen Verlust von Selbstbeherrschung heraus.
Ach, daher wehte der Wind. Der Oberlehrer war ihm irgendwie auf die Schliche gekommen oder hatte zumindest eine Ahnung, wer Damien war. Jetzt hieß es, sich so unwissend wie möglich zu geben.
Der Hauptgefreite zuckte gleichgültig mit den Schultern: "Keine Ahnung, was du von mir willst, Lehrer."
"Es heißt Oberlehrer Retisch!", ereiferte sich dieser, "Ich lass dich jetzt hier rauswerfen, hast du verstanden. Rolf! Rolf!"
"Ich glaube nicht, dass du das darfst", meinte Damien betont lässig, "Von wegen den Regeln uns so: Ich habe ein Recht auf Resozialisierung."
Theo Retisch erhob sich. "Nein, hast du nicht, sage ich!" Sein Gesicht war hochrot angelaufen. "Und was in den Regeln steht ist mir egal, ich bin das Gildenoberhaupt und kann die Regeln verändern oder brechen wie ich will! Und wenn ich festlegen würde, dass eins plus eins gleich neun ist, wäre dies hier Gesetz! Rolf!!!"

20.04.2008 15: 29

Septimus Ebel

Nach einem kurzen Moment des Staunens konnte Septimus den Blick abwenden. Er hatte voreilig versprochen die Wache davon zu überzeugen, sie bleiben zu lassen. Das hieß, er musste mit Pismire reden. Aber wo steckte der? Septimus bemühte sich nicht zu Onyx herüber zu schauen. Der Troll stand so reglos da, dass Laurenzia ihn noch nicht bemerkte hatte und das sollte auch so bleiben. Sie würde sich sicher verraten fühlen, weil sie davon ausgegangen war, dass sonst niemand hören konnte, was sie sagte. Dieser Vertrauensbruch konnte alles ruinieren. Das Mädchen konnte - jähzornig wie es war - in einem erneuten Tobsuchtsanfall den Rückzug in den Schrank antreten. Und die Verhandlungen würden dadurch sicher nicht leichter werden. Daher lotste der Gnom Laurenzia so schnell wie möglich aus dem Zimmer.
Dabei überlegte er, wie er mit Pismire in Kontakt treten konnte. Die erste Stelle, an der er suchen wollte, war das Büro des Oberleutnants.
"Du bleibst hier", ordnete er mit einer Handgeste an und wies Laurenzia einen Platz ein paar Schritte von der Bürotür entfernt zu.
"Warum denn?", wollte sie wissen.
"Weil ich das sage", antwortete er trotzig. Warum musste sie über alles diskutieren?
"Aber ich will bei dir bleiben."
"Ja, deshalb sollst du ja hier warten. Schließlich muss ich die Wache ja erst einmal dazu bringen, dich hier bleiben zu lassen. Die müssen schon Bescheid wissen."
Das leuchtete ihr ein, auch wenn es ihr nicht recht war, dass der Gnom sich einige Meter von ihr entfernte.
Bereits nach den richtigen Worten suchend, klopfte der verdeckte Ermittler an die Tür.
Nichts.
Er klopfte erneut.
Nichts.
Verdammt!
Was sollte er jetzt machen? Eine Botschaft schreiben?
Laurenzia beobachtete ihn misstrauisch.
Septimus zog Stift und Notizblock aus einer Kuttentasche. Er bat den Missionsleiter kurz sich mit ihm in Verbindung zu setzen und fügte in Klammern das Wort 'Kantine' hinzu. Ein krakeliger Schriftzug zierte als Unterschrift den kleinen Zettel, welchen er an der Bürotür befestigte.
Er führte Laurenzia in die Kantine und erklärte ihr, dass der Boss im Moment nicht da wäre und dass sie so lange hier warten mussten, bis er ihr erlaubte wirklich hier zu bleiben.
Versorgt mit vier belegten Brötchen und einem grünen Wackelpudding setzen die beiden sich an einen der Tische. Septimus fürchtete hier von jemand mit seinem richtigen Namen angesprochen zu werden. Er durfte seine Deckung nicht verlieren. Das Kind ging schließlich davon aus, dass er Lehrer war. Nun, normalerweise war die Wahrscheinlichkeit, dass er von einem Kollegen angesprochen wurde, sehr sehr gering. Die meisten ignorierten ihn. Aber man konnte ja nie wissen. Er versuchte die einzelnen Wächter in der Kantine zu identifizieren. Zu seiner Beruhigung waren nicht viele zu sehen. Plötzlich erkannte er Bjorn Bjornson.
"Kleinen Moment", entschuldigte er sich bei Laurenzia, die ohnehin damit beschäftigt war, das erste Brötchen vollständig in ihren kleinen Mund zu bekommen. "Ich werde mich mal umhören, wo Pismi....ähm wo der Chef geblieben ist. Du wartest hier."
Er kletterte vom Stuhl und eilte zu dem Zwerg. Sie tuschelten einen kurzen Dialog. Schnell kam Septimus wieder zurück. Inzwischen war das Mädchen auf die Idee gekommen zu kauen. Er war froh, dadurch einen Augenblick vor ihren Fragen verschont zu bleiben. Da ihre Augen jedoch einen fragenden Blick in ihn hinein zu bohren drohten, erklärte er kurz: "Ähm...kann noch eine Weile dauern."
Sie nickte und schluckte den Bissen herunter.
Septimus beschloss die Zeit zu nutzen, um noch mehr Informationen aus dem Kind heraus zu bekommen. Er fragte und fragte. Aber es gab keine Antworten. Für die Kleine schienen die Antworten auf so viele Fragen auch Zeit bis morgen, bis übermorgen zu haben. Sie war so mit ihrer Nahrungsaufnahme beschäftigt, dass sie nicht merkte, wie der Zwerg unauffällig die übrigen Kantinengäste informierte. Fast alle verließen den Raum nach und nach.

20.04.2008 18: 14

Pismire

In den Armen seiner Mutter beruhigte sich der kleine Jonny nicht wirklich, aber er hörte nach einer Weile auf, wie am Spieß zu schreien. "Ist ja gut, meine Kleiner, alles ist gut, Mutti ist hier." Mit diesem mütterlichen Mantra und dem beruhigenden Schaukeln bewirkte Frau Grobhelm, dass er ein wenig ruhiger wurde. Und je mehr sich ihr Sohn beruhigte, desto mehr Gelegenheit hatte die Frau, ihre Umgebung zu registrieren. Als sie instinktiv dem Schreien ihres Kindes gefolgt war, hatte sie keine Sekunde auf den Gedanken: "Wohin gehe ich da?" verschwendet; je mehr das schrille Schreien in leises Wimmern überging, desto genauer konnte sie registrieren, was um sie herum vor sich ging. Sie schien in einer Art von Höhle zu sein, ein Feuer brannte, ein scheinbar teilnahmsloser Mann in Matrosenkleidung strierte apathisch in die Flammen. Rechts neben ihm saß eine Alte Frau. Auch sie wirkte wie betäubt und starrte ebenfalls in das Feuer. Die einzige Person, die lebendig wirkte, war eine Frau von ungefähr 30, vielleicht 35 Jahren, die einem dunkelgrauen, schlichten Kleid mit einem Ledergürtel und einem dunklen Umhang gegenüber der alten Frau am Feuer stand. Ihre Haare waren zu einem strengen Knoten gebunden und an ihrem Gürtel hing etwas in einer langen Scheide. War es ein Schwert? Frau Grobhelm vermied es, sich allzu deutlich umzuschauen, sie wollte die Aufmerksamkeit dieser Person nicht auf sich lenken. Nein, das an ihrer Seite war definitiv kein Schwert, nicht einmal ein Dolch. Interessanterweise war es eine gigantische, rote Schreibfeder - mindestens einen Meter lang, was erklärte, wie Frau Grobhelm an ein Schwert hatte denken können. "Von was einem Vogel sie wohl stammt?", fragte sich Meritia Grobhelm, die in ihrer Kindheit in Omnien leidenschaftlich gerne Vögel beobachtet hatte. Gleichzeitig fragte sie sich, wie sie in der Lage, in der sie sich offenbar befand, an ihre ornithologische Leidenschaft der Kindheit erinnern konnte. Sie drängte die Gedanken beiseite und musterte wieder verstohlen die Frau, von der sie vermutete, dass sie für den Schlamassel verantwortlich war. "Das Gesicht - das kommt mir irgendwie bekannt vor", fuhr es ihr durch den Kopf. "Ich glaube, ich habe diese Frau schon einmal gesehen!" Sie schaute die anderen Personen in ihrem Gesichtskreis an, doch die alte Frau und dieser Seemann waren ihr vollkommen unbekannt - schienen aber eine gewisse Ähnlichkeit mit der aufrecht stehenden Frau zu haben. "Warum sie mich so anstarrt?", fragte Frau Grobhelm sich.
Hinter ihr hörte sie ein Grollen, das ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Auch Jonny wimmerte unruhiger. Und schlagartig wurde ihr klar, dass diese Frau nicht sie anstarrte, sie starrte auf etwas, das sich hinter ihr befinden musste, Uns so wie sich das anhörte, war es weder menschlich noch irgendjemandem freundlich gesinnt.
Nur zu gerne hätte sie gewusst, was da hinter ihr war. Umzudrehen wagte sie sich nicht - nicht aufzufallen schien ihr immer noch die beste Strategie zu sein. Andererseits hatte man nicht umsonst einen Sohn wie Jonny, der es schaffte, von einem Laufgitter aus ein ganzes Zimmer zu verwüsten und hinterher mit Unschuldsmiene dazusitzen. Als sie das einmal gegenüber ihrer Nachbarin erwähnt hatte, wie schade es doch sei, im Hinterkopf keine Augen zu haben, hatte diese ihr den Rat gegeben, wie Näherinnen es schaffte, auch dann ihr Zimmer im Blick zu halten, wenn sie ihren
Gästen scheinbar den Rücken zuwendeten: Viele der Damen hatten im Ärmel - oder in einem Stoffstreifen am Armgelenk, wenn das Kleid keine Ärmel hatte - einen kleinen Spiegel auf einer Schiene so eingenäht, das sie ihn unauffällig in Richtung Handfläche schieben konnten, um das zu sehen, was sich in ihrem Rücken befand. Als Frau aus einem wärmeren Klima und Omnianerin wäre es Frau Grobhelm nicht einmal im Sommer in den Sinn gekommen, ein Kleid ohne Ärmel zu tragen - genauso gut hätte sie ja gleich unbekleidet auf die Straße gehen können - und so hatte sie sich einen solchen Spiegel von der hilfsbereiten Madame Geschwätzig besorgt und ihre Kleider entsprechend mit einer Vorrichtung für den Spiegel ausgestattet. Also schob sie den Spiegel unauffällig heraus. Was sie hinter sich erblickte, ließ ihr den Atem stocken und sie gleichzeitig bedauern, dass ihr die Sache mit dem Spiegel überhaupt eingefallen war.
Das Wesen hinter ihr bestand aus Zähnen, Klauen, Pelz und starrte mit riesigen, gelben Augen auf die Frau vor ihr. Es konnte sich in der Höhle nicht zur vollen Größe entfalten - aufgerichtet mochte es über drei Meter groß sein. Jetzt knurrte es wieder. Der Laut ließ Frau Grobhelm den Atem anhalten. Mit einem lang anhaltenden Fauchen streckte es die Schultern und breitete zwei riesige, blutrote Schwingen aus. "Du meine Güte", dachte die verängstigte Frau, "Fliegen kann es auch noch!" Zumindest erklärte das die Herkunft der Schreibfeder im Gürtel.

"Giiiiiiib mirrrrrrrrrrrr Fleiiiiiiiiischhhhhhhhhh, giiiiiiiib mirrrrrrrrrrrr deeeeeeeeen Junnnnnnnnnngennnnnnnnnnnnn!"
"Für ein Wesen dieser Größe klingt es ein wenig quengelich", dachte sich Frau Grobhelm verblüfft und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Frau vor ihr zu.

"Giiiiiiib mirrrrrrrrrrrr Fleiiiiiiiiischhhhhhhhhh, giiiiiiiib mirrrrrrrrrrrr deeeeeeeeen Junnnnnnnnnngennnnnnnnnnnnn!"
Und da dämmerte ihr, was das Wesen verlangte. Mit dem Mut, den ihr der Augenblick eingab sprang sie auf, riss ihren Sohn mit sich in ihren Armen vom Boden hoch. Mit einer einzigen Bewegung brachte sie ihn vor der Wand und hinter sich in Sicherheit. Sie baute sich schützend vor ihm auf und fauchte die Frau an: "Ich töte dich, wenn du ihn anrührst - ich breche dir deinen dürren Hals!"
"Ahahahahah-hahah!" Das schrille Keckern der alten Frau schrillte durch die Höhle. "Du hast dich mit einer richtigen MUTTER angelegt, di vertrocknete alte Jungfer. Ich hab ihr gleich gesagt: Regula, das geht in die Hose. Aber mein besserwisserisches Fräulein Tochter hört ja nicht auf seine MUTTER."
Irritiert registrierte Frau Grobhelm in diesem viererlei:


24.04.2008 12: 25

Mina von Nachtschatten

Regula war wütend. Nicht nur, dass diese Frau hier aufgetaucht war, was eigentlich gar nicht hätte passieren dürfen, sonder vielmehr der Umstand, dass ihre einzige Gläubige sich am heutigen Tag als außerordentlich unzuverlässig erwies, lies den Zorn in ihr aufsteigen. Der ansonsten so stetige Strom aus Glaubenskraft war nicht so stark wie üblich. Natürlich bestand immer noch eine gewisse Grundkonzentration, erzeugt durch den bloßen, unterbewussten Glauben an sich. Aber Regula hatte sich an die ständigen kleinen Kraftschübe durch direkt an sie gerichtetes Wunschdenken gewöhnt, zusammen mit dem allabendlichen Gebet des Mädchens war das die pure Energie. Und nun hielt diese Göre es kaum noch für nötig, aktiv an sie zu denken. Dieses undankbare kleine Ding! Hatte sie ihr nicht jeden Wunsch erfüllt? Regula ließ ihren Blick auf der Frau, welche sich mit dem Jungen an die Höhlenwand presste und dem nicht weit entfernt lauernden Orthogra-Vieh ruhen, welches im Grunde nur noch auf die Erlaubnis wartete, sich auf einen von beiden zu stürzen. Wenn diese Menschen wüssten, wo sie sich eigentlich befanden! Normalerweise war es nicht weiter schwer, einen Ort gleichzeitig auch einen anderen sein zu lassen, wie eben in diesem Fall dieser Dachboden im selben Augenblick eine Höhle war und umgekehrt. Solche kleinen Tricks gehörten zum Standardrepertoire einer jeden anständigen Gottheit. Doch auch wenn es leicht war sie anzuwenden, hieß das nicht, dass es nicht konstant Kraft kostete, die beiden Ebenen sich dauerhaft überlagern zu lassen. Vernachlässigte man dies, konnte es zu Sprüngen und Rissen in der Überlagerung kommen, was dazu führte, dass die Aussenwelt Zugang bekam. Sei es durch das Durchdringen von Geräuschen oder eben das höchst ärgerliche Erscheinen unerwünschter Personen. Regula hatte gespürt, wie das Feld einige Male durchlässig geworden war, momentan aber nicht die Konzentration und Kraft sich auch noch darum zu kümmern - im Augenblick gab es wahrhaft Wichtigeres zu tun. Zum einen musste sie entscheiden, was mit den beiden Menschen geschehen sollte. Dass es sich dabei den Bruder und jetzt augenscheinlich auch noch die Mutter ihrer Gläubigen handelte machte die Sache etwas kompliziert. Denn so ungern sie es zugab: Sie war auf das Mädchen angewiesen. Eigentlich ein paradoxer Zustand und der Nachteil eine Gottheit zu sein: Man war komplett von denen abhängig, die einem durch ihren Glauben die Kraft gaben, in der gewünschten Form zu existieren, während man ihnen auf der anderen Seite das Gefühl gab, über schier unbegrenzte Macht zu verfügen. Regula mochte gar nicht darüber nachdenken, was geschehen würde, wenn ihre einzige Gläubige ihr neues Verhalten über längere Zeit beibehalten würde. Daher musste es ihr, sobald der erste Punkt erledigt war, irgendwie gelingen, die Aufmerksamkeit des Mädchens erneut auf sich zu ziehen. Vorzugsweise in ungeteilter Form. Nun aber richtete sie sich zu ihrer ganzen Größe auf und wies gebieterisch mit dem Finger auf die menschliche Frau und ihren zitternden Sohn.

24.04.2008 18: 46

Septimus Ebel

Immer wieder versuchte der Obergefreite mehr über diese Göttin herauszukriegen. Er fragte lieb, er fragte raffiniert, er behauptete bereits alles zu wissen. Es brachte gar nichts. Laurenzia schwieg, kaute und schaffte es dabei ein Gesicht zu machen, als sei sie geradewegs vom Himmel gefallen. Derlei Vermutungen lehnte der sachliche Gnom selbstverständlich ab. Das einzige, was sie zwischen ein paar Bissen von sich gab, war, dass sie den "Scheißwächtern" nichts erzählen würde. Woher hatte sie bloß diese negative Einstellung gegenüber der Wache? Etwa von ihrer Familie? Septimus fand, dass man mit Wächtern als Normalbürger eigentlich ganz gut auskommen konnte. Trotzdem empfanden viele Bürger sie nicht als "Freund und Helfer", sondern als herumlungernde Nichtsnutze, die Steuergelder verrauchten. Dabei konnte die Wache wirklich helfen. Aber das wollte das Mädchen nicht einsehen.
Als sie den letzten Löffel Wackelpudding gelehrt hatte, lehnte sie sich zurück, streichelte die leichte Wölbung ihres Bauches und lächelte zufrieden. Sich zu bedanken kam ihr offenbar nicht in den Sinn. Neugierig sah sie sich im Raum um und entdeckte sogleich viele Dinge über die sie Septimus ausfragte. Dieser glaubte mittlerweile fast, dass sie ihn verhörte und nicht anders herum. Sie stellte viele Warum-, Weshalb und Wieso-Fragen, allerdings hatte keine davon mit Regula zu tun. Anfangs ging er noch auf ihre Fragerei ein, aber allmählich wurde er ungeduldig.
"So", verkündete er. "Jetzt habe ich dir genug Fragen beantwortet. Jetzt will ich ein paar Antworten. Oder muss ich dich daran erinnern, dass wir deine Mutter finden müssen?"
Die Kleine sah ihn tatsächlich so an, als hätte sie ihre Mutter vollkommen vergessen. Einen kurzen Moment huschte ein Schatten über ihr Gesicht als hätte sie ein schlechtes Gewissen. Dann sah sie ihn wieder herausfordernd an: "Na dann frag schon."
Gespannt lehnte sich der Gnom nach vorne und gab seinen Worten Bedeutung, indem er sie besonders langsam aussprach: "Wozu brauchst du Regula?"
Laurenzia zögerte.
"Na?", drängte er. "Sag schon."
"Na ja", erklärte sie, "sie erledigt Sachen für mich. Sie macht Hässliches schön und Schönes hässlich, wenn ich es mir wünsche. Sie kann glückliche Leute traurig machen und sie kann traurige Leute glücklich machen. Sie macht das, was ich ihr sage."
"Und was musst du dafür tun?"
"Na, beten natürlich. Und .... und ihr vertrauen."
"Das verstehe ich nicht ganz", gab Septimus vor, "Ich kann doch auch beten und trotzdem nicht an sie glauben. Kann man irgendwo nachlesen, was genau man machen muss, damit Regula einem hilft? So wie es für Ohm auch ein Buch gibt? Eine Art Betriebsanleitung?"
"Das braucht man überhaupt nicht!" Laurenzia machte eine abwertende Handgeste und einen angeekelten Gesichtsausdruck. "Die Sache ist ganz einfach. Jeder Halbidiot kann das kapieren. Glaube ist dafür da, dass man was macht und nicht dafür, um darüber zu lesen, was man tun könnte. Sowas ist höchstens für Kleinkinder." Sie ging davon aus, über dieses infantile Stadium längst hinweg zu sein. "Man muss sich nur an die Regeln halten beim Schreiben. Und auch an die Regeln, dass man Schüler ist. Und die Lehrer müssen sich an die Regeln für Lehrer halten. Und zwar an die richtigen!"
"Und was bedeutet das?"
"Na eben, dass es die richtigen Regeln sind. Und nicht immer wieder andere. Und auch genau die Regeln und nicht nur halb."
Septimus seufzte. Wie sollte er dieses Kind überhaupt verstehen? Es hatte seine ganz eigene Auffassung von Göttern Göttin und von Religion. Vielleicht konnte er versuchen in eine andere Richtung zu fragen: "Gehst du eigentlich in den Tempel?"
"Was?" Sie sah ihn verwirrt an.
"Na in einen Tempel", erklärte er, "Jeder richtige Gott hat einen. Und die kleinen Götter wohnen im Tempel der Geringen Götter. Das ist sowas wie ihr Haus. Da geht man hin, um was über die Götter und ihre Regeln zu lernen und um zu beten und um Opfer zu bringen, damit die Götter sehen, dass man an sie glaubt. Wenn man das nicht tut, sind sie böse auf einen."
"Ich weiß, was ein Tempel ist", sie verschränkte die Arme vor der Brust als sei sie beleidigt worden. "Aber da geh ich nicht hin."
"Warum nicht?"
"Weil ich schon alles weiß."
"Natürlich", sagte er resigniert.
"Ich weiß, dass Regula gar keine kleine Göttin ist. Sie ist groß und sie ist mächtig. Und sie wohnt gar nicht in einem Tempel. Das wäre ja auch total doof. Ich darf ja nicht alleine raus in die Stadt, wenn sie da wohnen würde, könnte ich gar nicht zu ihr beten kommen. Ich muss gar nicht soweit gehen, um zu ihr zu beten. Ich kann das zuhause machen. Sie wohnt nämlich bei uns."

03.05.2008 19: 22

Pismire

Das Orthogra-Vieh drohte, ihrer Kontrolle zu entgleiten. Regula konnte das ganz deutlich spüren. Sie würde es nicht mehr lange unter Kontrolle halten können, das spürte sie ganz deutlich. Und dann? Ihr schauderte vor den Gedanken, was ES - ihr Kind / ihr Bruder - machen könnte, wenn es - oder er? - einmal ihrer Kontrolle entglitten war. Sie schnaubte wütend. Das alles war nur durch MÜTTER entstanden. Es schüttelte sie vor Wut, wenn sie an ihre eigene dachte. Da saß sie nichtsnutzig neben dem Feuer und kollaborierte mit der nächstbesten Frauensperson, sobald diese nur das Zauberwort "Mutter" geblökt hatte. Und das in einer Phase, wo sie ihre ganze Kraft brauchte, um das Vieh zu kontrollieren. Da musste ihre eigenen Mutter ihr in den Rücken fallen. Typisch. Wie immer. Damals, als ihr Vater ihr an die Wäsche wollte, da hatte ihre Mutter such einfach nur der Konvention genügt und die Augen geschlossen.
In diesen Augenblick fuhr ihr durch den Kopf, dass das, was sie immer nur das "Vieh" nannte, ja eigentlich ihr Sohn war. Und ihr Bruder. Das machte die Beziehung zum Seemann Tick komplizierter.
Moment - sie musste nachdenken.
Streng logisch nachdenken.
Das allein konnte helfen.
Es musste Regeln geben - sonst gab es gar nichts.

Wenn das Orthogra-Vieh ihr Kind war, dann war der Erzeuger - Seemann Tick - ihr Mann. Und wenn der der Vater des Orthogra-Viehs war, dann war das Teil ihr Bruder. Denn Seemann Tick war der ihr Vater. Also war das Orthogra-Vieh ihr Bruder. Und was - sollte sie der Hüter ihres Bruders sein?
Und wenn das so war - wer war dann die Frau von Seemann Tick? Nur eine weitere angeheiratete Verwandte. Vielleicht eine Schwägerin oder Cousine. Sowas in der Art. Und was war sie dann? Bedeutungslos.


Das Orthogra-Vieh spürte, dass niemand sich wirklich mehr auf es konzentrierte und begann - symbolisch gesprochen - seinen Horizont zu erweitern. Mit dem Schrei: "ICH FREI"; brach es durch die Decke des Grobhelmschen Hauses und begann, alles in seiner Reichweite in seinen gefräßigen Schlund zu stopfen - zum Glück handelte es sich in erster Linie um das Dach des betroffenen Hauses.

"Es ist mir entwischt. Ich habe versagt", war Regulas erster Gedanke. Was sie noch nicht wussste war, wie gefährlich ihr KindBruder werden konnte. Denn dessen Programm war einfacher: "Vernichte die Welt!"

17.05.2008 22: 28

Mina von Nachtschatten

Es war nicht leicht, eine Befragung durchzuführen, wenn es sich bei dem zu Befragenden um ein einziges Nervenbündel handelte und man ihm gleichzeitig auch nicht alles offen legen wollte, was sich während der Ermittlungen schon ergeben hatte - denn das hätte seinen Zustand wohl nicht gerade verbessert.
Daher traten Mimosa und Mina hinsichtlich der Informationsbeschaffung im Haus der Grobhelms auch eher auf der Stelle, als wirklich etwas Neues in Erfahrung zu bringen. Die beiden Wächterinnen hatten sich mit Erlaubnis von Fred Grobhelm selbst noch einmal umgesehen, flüchtig nur, da sie selbst nicht so genau wussten nach was sie eigentlich suchten. Der Junge war ja offensichtlich nicht hier...
Mit einer gewissen Ernüchterung war man schließlich wieder ins Wohnzimmer zurückgekehrt, um...
Tock! Tock! Tock!
Ein Geräusch aus Richtung eines der Fenster im Wohnzimmer zog die Aufmerksamkeit der Ermittlerinnen auf sich und ließ Herrn Grobhelm abermals erschrocken aufspringen, wobei er mit dem Ellenbogen eine kleine Vase von ihrem Platz stieß, welche auf dem Boden in unzählige Bruchstücke zersprang.
Auf dem Fensterbrett, halb verborgen hinter einer Gardine, hockte eine Taube und pickte beharrlich gegen das Fensterglas.
"Oh, wie dumm von mir!", der Mann lachte unsicher, "Eine Taube, haha. Na ja, ich habe euch das ja schon erklärt, das mit den Nerven und so weiter." Er begann die Scherben vom Boden aufzulesen und trug sie aus dem Zimmer, wohl um die traurigen Überreste der Vase dem Abfall zu übergeben.
"Vielleicht ist das eine von unseren", murmelte Mimosa und trat an die Scheibe. Als sie die Nachrichtenkapsel am Fuß des Tieres gewahrte, keimte ein Hoffnungsfunke in ihr auf: Hatte der Rest der Ermittlungsgruppe vielleicht Erfolg gehabt?
Sie öffnete das Fenster um die Taube herein zu holen, löste die Kapsel und reichte sie ihrer Kollegin - mit dem Lesen war das immer noch so eine Sache, es ging schneller, wenn sie diese Aufgabe anderen überließ. Den Vogel behielt sie unterdessen bei sich, so konnten sie gegebenenfalls gleich eine Antwort zurückschicken.
Mina überflog die kurze Nachricht und meinte dann nachdenklich: "Die ist von Hatscha. Wir sollen uns nach den Klassenkameraden von Laurenzia erkundigen."
"Wozu?"
"Das steht nicht hier."
Nun ja, wenigstens hatten sie nun einen Anhaltspunkt für ihre Fragerei. Welche Mimosa auch umgehend fortsetzte, als Laurenzias Vater erneut das Zimmer betrat.
"Herr Grobhelm, wie sieht es eigentlich mit Laurenzias Klasse aus? Wer sind ihre Mitschüler?"
Fred Grobhelm runzelte überrascht die Stirn, er schien den Sinn dieser Frage nicht ganz zu verstehen, schließlich ging es hier um seine Familie. Nichtsdestotrotz gab er eine Antwort.
"Soweit ich weiß, hat sich das immer wieder verändert, ich meine, es sind neue Schüler dazugekommen oder andere in Parallelklassen versetzt worden. Laurenzia hat auch nicht allzu oft von ihnen erzählt, richtige Freunde hatte sie nicht." Er kratzt sich am Kopf. "Sie hat hier und da einen Namen erwähnt, aber darüber kann ihnen wohl meine Frau mehr erzählen. Ich kann mir meistens nur die Vornamen merken, allerdings sind mir eine 'Augustina' und eine 'Margarete' im Gedächtnis geblieben."
Das leise Kratzen von einem Stift auf Papier zeigte, dass Mina wortlos die Schreiberei übernommen hatte, worüber Mimosa ebenfalls nicht ganz undankbar war: Auch diese Tätigkeit ging schneller, wenn andere sie an ihrer Stelle übernahmen. Obwohl Schleicher ja immer wieder darauf hinwies, dass sie die Übung eigentlich nötig hatte, um besser zu werden...
"Es ist sowieso komisch, selbst als Eltern bekommen wir nicht viel über die Klasse zu hören, es gibt keine Elternversammlungen oder etwas in dieser Richtung", fuhr Fred Grobhelm fort, sah sich dann kurz um, als befürchtete er beobachtet zu werden, und sprach mit wesentlich leiserer Stimme: "Wir haben einmal angefragt, ob man das nicht ändern könnte, wurden aber recht barsch abgewiesen. Ich weiß nicht, warum die Lehrergilde sich so verhält..."
In diesem Moment ließ ein wahrhaft monströses Krachen von irgendwo über ihnen den Raum erbeben, Wächterinnen herumfahren, eine Taube erschrocken durch den Raum flattern ... und Herrn Grobhelm beinahe in Ohnmacht fallen.
"Was ... was war das?", stotterte er und ließ sich auf einen Sessel fallen.
Mina war schon auf dem Weg nach draußen, während Mimosa mit Müh und Not die Taube einfing, bevor sie ihrer Kollegin folgte.
Im ersten Moment war nichts zu entdecken, erst als ein Knirschen und Bersten von oben, sowie das Aufschlagen diverser Dachziegel auf der Straße die Aufmerksamkeit in Richtung der Dächer lenkte, war die Ursache des Lärms nicht mehr zu übersehen: Auf dem Dach des Hauses der Familie Grobhelm hockte ein ... Etwas. Ein in der Tat ungeheuerliches Etwas. Auf den ersten Blick, war es nicht mehr als ein Berg zottigen Fells mit Zähnen, welcher anscheinend enormen Appetit auf die umliegenden Dächer hatte. Und waren das rote Flügel? Das Untier stieß ein markerschütterndes Brüllen aus und donnerte mit den Pranken auf das ramponierte Dach des Hauses in der Zinnstraße, welches dadurch noch um einiges mehr in sich zusammenfiel.
"Was bei allen Götter...!", hauchte Mimosa, schwieg jedoch sofort wieder. Unter den gegebenen Umständen war ein derartiger Satz vielleicht unangebracht; die ganzen Göttergeschichten, welche die Ermittlungen bisher begleitet hatten, ließen die Möglichkeit, dass das Vieh auf dem Dach zu eben dieser Liga gehörte, gar nicht so absurd erscheinen.
Ein Schmerz in der Hand riss Mimosa aus ihren Gedanken. Sie hielt immer noch die Taube und musste wohl etwas zu fest zugedrückt haben, während sie wie erstarrt das Geschehen auf dem Dach beobachtet hatte. Die Taube ... die Nachricht an Hatscha konnte wohl warten.
"Wir sollten das Wachhaus verständigen", brachte hastig sie hervor.
Mina riss eine Seite aus ihrem Notizbuch, welches sie immer noch aufgeschlagen in der Hand hielt, kritzelte schnell ein paar Zeilen und nur wenige Augenblicke später war die Taube auf dem Weg zum Pseudopolisplatz. Blieb nur noch zu hoffen, dass das Monster da oben keine Lust auf Taubenjagd bekommen würde.

18.05.2008 12: 44

Mimosa

Mina und Mimosa starrten das... Etwas an, dass auf dem Dach des Hauses hockte und die beiden Wächterinnen aus kleinen Augen tückisch anfunkelte. Es riss einen weiteren Balken aus dem Dachstuhl, führte ihn zu seinem Maul und biss ihn langsam und demonstrativ in zwei Teile. Holz splitterte, und Mimosa und Mina wurden von einem Sprühregen aus Geifer und Sägespänen überschüttet. Hinter ihnen stürzte Herr Grobhelm aus dem Haus, warf einen Blick nach oben
"Gaarhgllkh"
fasste sich an die Brust und sank auf die Straße. Mina kniete nieder und versuchte ihm aufzuhelfen, während Mimosa weiterhin das Monster ihm Auge behielt. Nicht dass es etwas ändern würde, wenn sie wegschaute. Dem Monster waren die beiden Blechbüchsen da unten mit ihren metallenen Zahnstochern piepegal, doch sie boten ein nettes Schauspiel und eventuell sogar einen Nachtisch, wenn es sich endlich die Störenfriede hier oben gekümmert hatte. Es warf einen flüchtigen Blick zur Seite. Die Menschen pressten sich gegen die Wand des Dachstuhls und bibberten angemessen, nur sie schien unschlüssig zu sein.
Das Orthogra-Vieh musterte seine MutterSchwester mit neuerwachter Aufmerksamkeit. Sie hatte es eingekerkert, eingekerkert in seinem eigenen Geist, und jetzt, da es endlich frei war, wollte sie ihm noch nicht mal den gebührenden Respekt entgegenbringen?
Irgendwo gaaaaanz tief hinten in seiner Kehle bildete sich ein Grollen.

Mimosa schaute erschrocken hoch. Sie hatte gerade ihrer Kollegin helfen wollen, als es plötzlich auch noch anfing zu donnern! Gleich darauf bemerkte sie ihren Irrtum. Das ganze Monster schien zu vibrieren- und der Dachstuhl auch. Weitere Ziegel fielen herunter und sie sprang hastig zur Seite. Mina schüttelte indessen leicht den unter Schock stehenden Hausbesitzer.
"Das Dach... das Dach... gerade erst repariert" brabbelte er vor sich hin, offensichtlich nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen- oder so sehr ein Bürger Ankh-Morporks, dass der Gedanke an die Reparaturrechnung sehr viel erschreckender war als das Monster.
"Kommen wir irgendwie da hoch?" fragte Mina. Mimosa starrte sie entsetzt an.
"DA hoch? Und weiter? Sollen wir es hiermit kitzeln?"
Sie fuchtelte mit ihrem Dienstschwert in der Luft. Herr Grobhelm gestikulierte vage in Richtung Hinterflur.
Mittlerweile hatte sich die unvermeidliche Zuschauerschar eingefunden. Ein älterer Herr betrachtete fachkundig das immer noch grollende Monster.
"Ich vermute, es wird noch etwa fünf Minuten brauchen, bis es das Dach verspeist hat".
Herr Grobhelm ächzte laut.
Ein anderer mischte sich ein.
"Nein, MINDESTENS zwölf. Das sind Ziegel aus Rotschlamm mit lila Faulschlamm vermischt, die sind schwer verdaulich..."
Während um sie herum eine verbitterte Diskussion um den Nährgehalt von verschiedenen Lehmsorten ausbrach und die ersten Wetten abgeschlossen wurden, schleppten die beiden Wächterinnen den immer noch vor sich hin brabbelnden Herr Grobhelm in die relative Sicherheit des nächsten Hauseinganges. Die Menschenmenge versperrte mittlerweile die Straße, die obligatorischen Straßenverkäufer trudelten ein und sicher konnte man in ein paar Minuten T-Shirts mit aufikonograpohierten Monstern kaufen.
"So kommt die Verstärkung niemals durch!" Mina schüttelte den Kopf. Sie war zwar auch nicht allzu versessen darauf, sich diesem Ding nur mit ihrem Wacheschwert entgegenzustellen, doch ihr Pflichtbewusstsein überwog. Und jetzt schafften sie es nicht mal mehr zum Hauseingang.
Mimosa nahm ihren Helm ab und drückte ihn Mina in die Hand.
"Ich glaub, ich hab' ne Idee..."
Sie kletterte auf einen Wagen, der frische Brezeln mit Salzmuster in Form von Monsterzähnen anbot. Schleicher kletterte auf ihre Schulter und schüttelte den Kopf. Nicht einmal er konnte sich vorstellen, dass die Bürger darauf hineinfielen, doch Mimosa kannte ihre Spezies sicher besser als er. Also soufflierte er ihr, was sie sagen wollte:
"Sehr geehrte Bürger, danke für ihr starkes Interesse an den Maßnahmen zur baulichen Verbesserung der Dächer der morporkischen Altstadt. Der dort oben zu sehende Abbruchdämon reißt diesen alten, vergammelten, gesundheitsgefährdenden Dachstuhl ab, der ansonsten beim nächsten Sturm heruntergekracht wäre und vorbeigehende Passanten erschlagen hätte. Aus ihrer zahlreichen Anwesenheit schließe ich, dass sie sehr an dieser Maßnahme interessiert sind, sie begrüßen und somit sicher auch unterstützen. Wenn sie bitte jegliche finanzielle Unterstützung für das neue Dach in diesen Helm geben würde, den meine Kollegin dort in der Hand hält..."
Im Nu war die Straße wie leergefegt. Mimosa holte sich ihren Helm zurück.
"Wollen wir?"
Die beiden Wächterinnen stürmten die Treppe zum Dachstuhl hinauf.

In der Zwischenzeit war das Orthogra-Vieh nicht untätig gewesen. Das Zwischenspiel mit der Menschenmenge war ganz amüsant gewesen (und hatte ihm versichert, dass er in Zukunft nicht zu hungern brauchte), doch jetzt widmete er seine volle Aufmerksamkeit wieder seiner Schöpferin vor seiner Nase.
Regula hob die Hand und schlug ihm fest auf die Schnauze.
"Wie kannst du es wagen! Du musst mir gehorchen!"
Keine Angst zeigen, nur keine Angst zeigen...
In Wirklichkeit schwitzte sie ganz erbärmlich. Das Monster war verdutzt einen Schritt zurückgewichen, doch als es spürte, dass Regula sich mit aller Kraft konzentrierte um ihre mentale Kontrolle über das Vieh zurückzubekommen, brüllte es wütend auf und schoß mit weitgeöffnetem Maul auf Regula zu.

18.05.2008 16: 36

Septimus Ebel

Tock. Tock. Tock. Hatscha al Nasas Fuß tippte ungeduldig auf dem Holzboden des Cafés. Kurz nachdem Emilia Gusta sich dem neuen Kunden, der anhand seiner Kleidung eindeutig als Lehrer identifizierbar war, gewidmet hatte, erklang das Gedröhn der Schulglocken. Daraufhin verließen immer mehr Lehrer das Gebäude und hetzten in das Café, um sich in der Fünf-Minuten-Pause einen Becher brühend heißen Kaffee die Kehle hinunterzuschütten. Viele konnten nur so sichergehen, die folgende Unterrichtseinheit zu überstehen. In dem entstandenen Getümmel konnte die Dog-Wächterin Emilia kaum noch erkennen. An eine weitere Befragung war wohl eher nicht zu denken. Jedenfalls nicht, wenn diese einigermaßen unauffällig ablaufen sollte.
Da der Eingang momentan ohnehin durch eine Hand voll Lehrer, die nicht scheuten, ihre Ellbogen zu benutzen, verstopft war, beschloss Hatscha sich zurückzulehnen und an ihrem Kappitschino zu schlürfen. Eigentlich, dachte sie, muss ich ja nur zuhören.
Also lauschte sie den Schlange-steh-Gesprächen der Kundschaft. Empörtes Geplärr drängte von den Eingangstüren. Offenbar handelte es sich um eine Kunstlehrerin, die sich lauthals beschwerte, weil Herrn Buchstabs Ellenbogen ihr eine blutende Nase beschert hatte. Herr Buchstab verteidigte sich, in dem er stärker nach vorne drängte. Er lag Kopf an Kopf mit einem hochgewachsenen Mann, der eine Trillerpfeife trug.
Hier und dort gelang es Hatscha, neben den Streitereien an der Tür einige Gesprächsfetzen aufzuschnappen.
"Ich habe ja gleich gesagt, dass das neue Programm nicht funktioniert", tuschelte eine Frau mit einem strengen blonden Dutt auf dem Kopf, ihre großen Ohrringe klirrten bei jeder Kopfbewegung wie kleine Triangeln.
"Nun ja, so kann man das nicht sagen, bei einigen der Schüler hat das Konzept ganz gut geklappt", antwortete ihr ein Kollege in einem braunen Etwas gekleidet, das wohl in seinen besseren Zeiten ein Anzug gewesen war.
"Und was ist der Preis dafür?", zischte die Frau ihn an. "Vier Tote!"
"Glaubst du wirklich, dass diese beiden Sachen in Verbindung stehen, Gertrud?" Der Mann sah sie mit einem missmutigen Zweifeln an.
Eingeschnappt verschränkte die Frau die Arme vor der Brust. "Dem Retisch trau ich alles zu."
Am Eingang hatte der Sportlehrer inzwischen aufgeholt, in dem er sich zwischen der Kunstlehrerin und Herrn Buchstab hindurchgedrückt hatte. Es hatte es sogar geschafft sowohl den Bluttropfen als auch den Schlägen der Lehrerin auf Herrn Buchstab auszuweichen.
Getrud und der Liebhaber für antike Anzüge waren rückten eine Reihe nach vorne, dem ersehnten Kaffee entgegen. Nun standen zwei andere Kunden in Hörweite. Der eine hatte einen erheblichen Leibesumfang, der andere war dürr und wirkte zerbrechlich. Nebeneinander stehend sahen sie aus wie die Ziffer zehn.
Der Glatzköpfige sah sich immer wieder verstört um und glitt sich nervös mit der Hand über den schwitzenden Schädel. "Bist du verrückt?", fragte er den Dünnen. "Wenn die Odi das hört, sind wir unseren Tschob los! Sei bloß still!"
"Und ich sage dir", erwiderte der andere mit einem erhobenem Zeigefinger, der wie ein Taktstock wirkte, "Er hat es sich in die eigene Tasche gesteckt! Und die Odi hängt mit dem unter einer Decke! Und ja: Ich meine das auch wörtlich!"
Der Glatzkopf versuchte den drohenden Zeigefinger wie eine lästige Fliege zu verscheuchen. "Behalts für dich!"
In diesem Moment trafen die suchenden Augen des Dickens auf Hatschas neugierigen Blick. Sie wandte sich schnell ab, um ihm nicht das Gefühl zu geben, beobachtet zu werden. Sie sah aus dem Fenster. Dabei nahm sie eine Person wahr, die ihr bekannt vorkam.
Es war Damien.
Er stand am Eingang des Gildengebäudes. Eigentlich stand er nicht. Seine Füße berührten den Boden nicht.
Eine große Hand, die zu einem sehr muskulösen Arm gehörte, hielt sie davon ab. Sie hatte den Wächter gepackt und am Kragen in die Luft gezogen.

20.05.2008 22: 12

Mina von Nachtschatten

Erneut den Weg durch das Haus zu finden, war nicht das Problem gewesen. Ebenso wenig hatte die Treppe zum Dachboden ein nennenswertes Hindernis geboten. Was sich allerdings von der Luke zu eben diesem nicht sagen ließ: Das störrische Ding bewegte sich keinen Zentimeter, weder durch drücken noch durch ziehen, egal ob sich zwei oder vier Hände dagegen stemmten; und das die Bemühungen begleitende leise Geschimpfe und Gefluche schien ohnehin optional. Das widersprach doch jeder Vernunft, wie konnte eine einfache Holzluke eine derartige Stabilität aufweisen? Wahrscheinlich blockierten Teile des eingestürzten Daches den Aufgang, anders war das nicht zu erklären... Selbst der Versuch, eines der Dienstschwerter als Hebel zweckzuentfremden hatte Mimosa und Mina nicht im Geringsten vorangebracht.
"Jetzt könnte man einen von diesen Alchemikexperten gebrauchen!" Mimosa schlug frustriert mit der flachen Hand gegen das widerspenstige Holz über ihrem Kopf. "Ein kurzer Knall und die Sache wäre erledigt!"
"Vielleicht ist es doch ganz gut so", meinte Mina nachdenklich, "Ich meine, was tun wir hier eigentlich?"
"Wir versuchen hier hinein zu kommen?", Mimosa warf der Vampirin einen verständnislosen Blick zu.
"Eben. Und dann? Sollen wir das Vieh mit vorgehaltener Dienstmarke verhaften, um uns dann von ihm säuberlich in zwei Hälften zerreißen zu lassen?"
"Du hast mich doch zuerst gefragt, ob wir nicht irgendwie auf's Dach kommen!"
"Ich meine ja nur, dass eine optimale Lösung anders aussehen könnte."
"Und wie..."
Ein Schrei unterbrach ihren Disput über das für und wieder noch nicht ganz ausgereifter Pläne. Genau genommen bestand er aus mehreren Schreien von unterschiedlicher Klangqualität und Tonhöhe: Zum einen war da ganz eindeutig das wütende Brüllen des Untieres, allerdings unterlegt von einem weitaus höheren Laut - seltsam gläsern, eine Mischung aus Ärger und Verzweiflung - der in Ermangelung eines anderen Ausdrucks als Schrei bezeichnet werden musste. Eindeutig hingegen war das dritte Geräusch: Ein lautes Plärren, Ausdruck purer Panik. Vielleicht von einem Kind? Etwas passierte da oben, das war nicht zu leugnen: In der Luft lag eine unangenehme Spannung, kurz vor der Entladung und definitiv nichts Gutes verheißend.
"Das Ding hat anscheinend keinen Appetit mehr auf bloße Dachbalken! Wir müssen etwas tun!", rief Mimosa.
Mina setzte eine kummervolle Miene auf.
"Eine vielleicht heroische, ganz sicher aber furchtbar dämliche Tat, na wunderbar! Wir müssen komplett den Verstand verloren haben."
Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der sich Wächter umgehend genau in die entgegengesetzte Richtung zu einem derartig Ärger verheißenden Geschrei begeben hätten. Doch das war eine eher veraltete Einstellung, die sich mit der modernen Auffassung von Pflichtgefühl innerhalb der Stadtwache nicht mehr vereinbaren ließ. Daher stemmten sich zwei Wächterinnen nun erneut gegen die Luke zum Dachboden - welche überraschenderweise nun vollkommen problemlos nach oben und auf schwang. Die Theorie von Dachschutt hatte sich somit wohl in Luft aufgelöst, doch es blieb keine Zeit, über die wirklichen Gründe für das Klemmen der Holzluke zu grübeln. Denn der Anblick, der sich den beiden Ermittlerinnen bot als sie nun vorsichtig auf den Dachboden schielten, war alles andere als dazu angetan, zuversichtlich zu stimmen.

22.05.2008 17: 04

Pismire

Wenn Pismire geahnt hätte, zu welchen spektakulären Flugmanövern dieses Exemplar der Gattung Columba livia (vulgo: Haus- oder Nachrichtentaube, auch Dachratte genannt) im Notfall - und um den hatte es sich in der Zinnstraße wirklich gehandelt - fähig war (und sie hatte sie auch alle durchführen müssen), hätte er sie ob ihrer Eigenheit, ihren Darm stets auf die Schulter der Person, die sie anfliegen sollte, zu entleeren weniger heftig verflucht, als er es dann tat, als das Vieh mit ihrer Nachricht ihn erreichte.
    Notfall in der Zinnstraße. Tentakeliges und zahniges Monster von über 5 m Höhe versucht, alles Erreichbare aufzufressen. Es agiert vom Dachboden der Grobhelms aus. Vermutlich ein außer Kontrolle geratener Dämon. HILFE.
    Mina und Mimosa.

Kurz überflog Pismire die verfügbaren Mitarbeiter seiner Ermittlergruppe: Septimus und Onyx waren immer noch mit diesem Schrank beschäftigt. Hatscha hatte er zur Lehrergilde abkommandiert, wo auch Damien hockte, den er als 'schwierigen Schüler' hatte einschleusen lassen, da ihm die gesamte Gilde suspekt erschien - aus gutem Grund, wie er mittlerweile dachte; eine Benachrichtigung konnte ihn nur in Schwierigkeiten bringen - dass Damien bereits in solchen steckte, konnte der Oberleutnant nicht ahnen. Scolglio und Bjorn Bjornson waren greifbar. Sie mussten sich beide auf dem Weg zwischen der Zinnstraße und der Wache befinden. Er griff sich das Taubenvieh und hoffte nur, dass es bei all seinen weiteren Erledigungen so treffsicher sein mochte wie bisher.
    Mimosa und Mina in Gefahr. Dämon (vermutlich) in der Zinnstraße (Haus der Grobhelms) aktiv. Wir treffen uns hinter dem Haus von Madame Geschwätzig. Mein Eintreffen unbedingt abwarten. OLT Pismire

Während er das kritzelte, schnauzte er: "Aaps".
Ein unwahrscheinlich hässlicher Kopf kam aus einem Rohr in der Wand. "Wass'n los, Fusselkopp!?", raunzte der Rohrpostdämon.
"Du hast mitbekommen, was hier los ist?", fragte der Oberleutnant angespannt.
"Klaro, Flusenbart. Du hast grad 'nen Fall versiebt, Alter."
Innerlich zählte Oberleutnant Pismire bis 'zehn', um dem ungehobelten Dämon nicht einen beliebigen Fluch auf den dürren, faltigen Hals zu jagen.
"Obergefreiter Ebel und Gefreiter Onyx befinde sich im Gebäude. Du findest sie und informierst sie unauffällig und auf der Stelle darüber, dass ein Notfall eingetreten ist. Wir brauchen sie in der Zinngasse - hinter dem Haus von Madame Geschwätzig. Und sag Hegelkant Bescheid, dass er auf den Schrank und seinen Inhalt Acht haben muss - falls das notwendig sein sollte. Und glotz nicht so. Ich weiß, dass du weißt, über welchen Schrank wir hier reden." Und nach einer Pause fügte er hinzu: "Und den Inhalt und seine Bedeutung kennst du auch!"
Und ohne die Antwort des Rohrpostdämons abzuwarten machte Pismire sich auf den Weg in die Zinnstraße.

Ziemlich außer Atem kam er hinter dem Haus von Madame Geschwätzig an.
Sein Blick überflog das Nachbargebäude, dem das Dach fehlte. Das, was da munter die Dachsparren weggefressen hatte, hockte nun auf dem Gebäude und schien nach etwas zu graben. Pismire betete - was er sonst nie tat - zu den ihm bekannten (er kannte auch genau deswegen keine) Göttern, dass das Wesen nicht fündig werden mochte beim Stochern. Und das die RUM-Ermittlerinnen nicht in Heldenhaftigkeit verfallen sollten, war sein nächstes Stoßgebet. Und genau in diesem Augenblick hörte auch er das Schreien aus dem Inneren des Hauses. Und zum ersten Mal in diesem Fall hatte der Oberleutnant das Gefühl, mehr als nur die Kontrolle zu verlieren.

27.05.2008 22: 15

Mimosa

Das Ortogra-Vieh schaute auf seine MutterSchwester. So winzig! Wie hatte dieses... Mini...irgendwas ihn jemals beherrschen können?
Regula streckte die Hand aus und warf sich in eine hoffentlich achtungsgebietende Pose.
"Mit meiner göttlichen Macht befehle ich dir-"
Weiter kam sie nicht. Das Ortogra-Vieh öffnete die Schnauze, fuhr eine lange Zunge aus, wickelte sie um die stocksteife Göttin und verschluckte sie in einem Stück.
In diesem Moment gab die vorher dank göttlicher Macht gehaltene Falltür nach, und Mina und Mimosa betraten die Szene. Sie sahen gerade noch, wie Regulas Beine im geöffneten Maul verschwanden. Das Monster rülpste genüßlich und spuckte einen Stiefel gegen die Wand. Dann wandte es sich den beiden RUM-Wächterinnen zu.
Mina und Mimosa sahen sich an, nackte Panik in den Augen.
"Keine gute Idee," stöhnte Mina.
"Was willst du eigentlich, du bist doch schon tot!" Mimosa verlor die Nerven. Mina hielt es nicht für nötig sie darauf hinzuweisen, dass Vampire zwar aus Asche, eine Feuersbrunst und sogar eines wütenden, mit Holzpflöcken versehenen Mobs wiederauferstehen konnten, aber nur selten- noch nie- aus den Mägen von mythologischen Ungeheuern.
Das Monster schob seine gewaltige Körpermasse zu den beiden Leckerbissen, als plötzlich- ein Regenschirm auf seiner Schnauze landete!
Die beiden Wächterinnen sahen fassungslos zu, wie eine alte Frau vor dem Vieh stand, keifte und mit ihrem Schirm auf die Schnauze des Monsters eindrosch!
"Wie kannst du es wagen, meine Tochter zu fressen! Spuck sie sofort wieder aus! Wer soll denn jetzt deiner Meinung nach für unseren Lebensunterhalt aufkommen, häh? Etwa ich? Das kannst du vergessen, du undankbares Vieh! Und wenn du glaubst, dass ich dich auch noch füttere und deine Haufen wegmache, dann hast du dich geirrt! Immer bleibt alles an mir hängen, dabei bin ich doch bloß eine arme alte Frau..."

29.05.2008 11: 45

Mina von Nachtschatten

So langsam aber sicher war nicht nur Septimus' Geduld, sondern auch sein Repertoire an 'kindgerechten Diskussionsmöglichkeiten' erschöpft. Er hatte noch das eine oder andere gefragt, allerdings war auch Laurenzias Kooperationsbereitschaft während der letzten Minuten merklich gesunken. Kinder beschäftigten sich so lange mit einer Sache, bis es nichts Neues mehr daran zu entdecken gab - und ihre Unterhaltung zu 'Götter und Religion' schien für dieses Mädchen nun endgültig ein alter Hut zu sein.
"Es ist eben so", war ihre letzte Bemerkung zu diesem Thema gewesen und auch wenn sich der Obergefreite den Mund noch so fusselig redete: Es war nichts mehr aus Laurenzia herauszubekommen.
"Und was ist mit deiner Mutter?", fragte er schließlich erneut, der Verzweiflung nahe.
Laurenzia zuckte mit den Schultern.
"Ich glaube gar nicht mehr, dass sie wirklich weg ist. Wahrscheinlich sagst du das nur, damit ich dir Sachen erzähle, die dich eigentlich gar nichts angehen. Ich will jetzt nach Hause!" Sie verschränkte die Arme und schob die Unterlippe vor. Akuter Trotz. Na wunderbar!
Septimus sah sich hilfesuchend im Raum um, auf der Suche nach irgendeinem Anhaltspunkt, einer Eingebung, irgendetwas...
Tatsächlich kam ihm auch etwas zu Hilfe - in Form eines kleinen, hässlichen Kopfes, der aus einer runden Öffnung in der Wand schielte.
"He, Kurzer!", rief der Rohrpostdämon quer durch die leere Kantine, "Ich hab da 'ne Mitteilung! Und ich soll dich unauffällig darüber informieren. Es is also besser du bewegst dich das Stück hier rüber zu mir. Ein bisschen flott, wenn's geht!" Aaps grinste.
Septimus spielte kurz mit dem Gedanken, dem Rohrpostdämon einen Pfefferstreuer entgegen zu schleudern, entschied sich aber dagegen, grummelte etwas Unverständliches und setzte sich unter den neugierigen Blicken Laurenzias in Bewegung. Der Pfeffer konnte schließlich nichts für derartige Unverschämtheiten und war schließlich auch nur Teil einer armen Pflanze gewesen.
"Ich höre", brummte er, als er die Rohröffnung erreicht hatte.
"In der Zinnstraße is irgendwas gewaltig schief gegangen und ihr steckt bis zum Hals in der ..."
"Aaps! Komm zur Sache!", unterbrach ihn der Obergefreite gereizt.
"Wie auch immer, ich soll dir ausrichten, dass du deinen Hintern dort hin zu bewegen hast und den Großen, der hier irgendwo rumsteht, sollste auch mitbringen; hinters Haus von Madame Geschwätzig. Und auf die Göre da", er nickte mit dem Kopf in Richtung Laurenzia, "wird jemand aufpassen kommen, klar? Am besten ihr steckt sie wieder in den Schrank. Und schließt ab." Der Rohrpostdämon kicherte hämisch.
"Noch was?", raunzte Septimus. Er war nicht in der Stimmung, sich noch sehr viel länger die Respektlosigkeiten des Dämons anzuhören.
"Nö. Viel Spaß dann noch!" Keckernd verschwand dieser in der Röhre.
In Septimus Kopf überschlugen sich die Gedanken, als zu Laurenzia zurückkehrte. Er würde das Mädchen überzeugen müssen, im Wachhaus zu bleiben während er ging - und bei ihrer negativen Einstellung der Wache gegenüber würde das gewiss nicht einfach werden.
"Äh ... hör zu Laurenzia", begann er, wurde aber sofort unterbrochen.
"Was ist los?" Das Mädchen stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte, Neugier funkelte in ihren Augen.
"Das erklär ich dir später. Ich ... also, ich muss jetzt einmal kurz weg, werde aber sicherlich nicht lange..."
"Warum? Und was hat dir das komische Ding aus der Wand da erzählt?"
"Es wird solange jemand auf dich aufpassen", fuhr Septimus entnervt fort, "Er muss gleich..."
"Ich will aber nicht hier bleiben!" Sie setzte eine herausfordernde Miene auf. "Du kannst mich nicht dazu zwingen! Ich will mitkommen!"
Septimus wollte zu einer Erwiderung ansetzen, als er das Geräusch der sich öffnenden Tür vernahm. Hegelkant hatte die Kantine betreten und kam zielstrebig auf sie zu. Gut, dann war er wohl der Aufpasser - der Arme war zu bedauern.
"Keine Diskussion jetzt, Laurenzia! Du bleibst hier und wenn du brav bist, darfst du auch bald nach Hause."
Zugegeben, ein banales Versprechen, welches bei diesem Kind bestimmt nicht die erwünschte Wirkung haben würde, aber sei es drum. Septimus warf keinen Blick mehr zurück, als er aus der Kantine eilte, Onyx Bescheid gab und sich mit ihm auf den Weg zum Treffpunkt machte.
Er konnte nur hoffen, dass Laurenzia keinen Weg finden würde, ihnen zu folgen.


29.05.2008 13: 42

Hatscha al Nasa

Verdammt!, dachte Hatscha sich, als sie Damien sah. Sie hoffte, dass seine Tarnung nicht vollkommen aufgedeckt wurde. Sie schaute sich in dem Cafe um und erblickte die Bedienung, die immer noch schwer mit den Bestellungen beschäftigt war. Na gut, ihre Informationen mussten warten, Damien schien derzeit ärger in der Klemme zu stecken.
Sie legte ein paar Münzen auf den Tisch, um ihren Kaffee zu bezahlen und verließ dann eilig das Lokal, in der Hoffnung, dass die Lehrer keinen Verdacht schöpfen könnten, dass da ihr Kollege aus der Gilde geworfen wurde.
Wie in Ankh-Morpork üblich, hatte sich bereits eine kleine Menge Schaulustiger vor dem Gildeneingang versammelt, wo sich Hatscha unauffällig darunter mischen konnte. So konnte sie ohne weiteres Aufsehen auch näher an Damien heran kommen. Sie sah, dass der Dicke irgendwas zu seinem Opfer sagte, aber leider konnte sie aufgrund des aufgeregten Gemurmels in ihrer näheren Umgebung kein Wort verstehen. Schließlich schleuderte der Rausschmeißer der Gilde den verdeckt ermittelnden Wächter unsanft aufs Pflaster, woraufhin sich die Menge enttäuscht auflöste. Auch Hatscha musste sich wohl oder übel zurückziehen, warf aber immer wieder Blicke zurück zu Damien, der noch auf dem Boden lag. Sie hoffte, er würde sie erkennen und so schlau sein, ihr zu folgen. In einer halbwegs ruhigen Gasse, geschützt vor den Blicken der Leute, insbesondere der Lehrer, wartete sie dann auf ihn.
Wenig später hinkte der SEALS auch schon um die Ecke, lehnte sich an eine Hauswand und rieb sich das Hinterteil. "Du siehst nicht gut aus. Was ist passiert?"
Mit schmerzverzerrtem Gesicht erzählte er seiner Kollegin, was in der Gilde vorgefallen war. Sein Plan, als ungehorsamer Schüler aus dem Rektor ein paar Informationen herauszuquetschen, hat nicht so gut funktioniert, wie er gehofft hatte. Schnell tauschten die beiden die Erkenntnisse aus, die sie in den letzten Minuten gemacht hatten. Hatscha erzählte von den Gesprächen der Lehrer, die sie belauscht hatte, Damien von den mageren Andeutungen von Retisch. Schließlich kamen sie überein, dass sie sich unbedingt mit den anderen beraten mussten. Nur wo würden die stecken? Mina und Mimosa bei Herrn Grobhelm, dahin wurden sie ja geschickt. Aber vielleicht suchten sie auch nach den Klassenkameraden von dem Mädchen. Ob Pis noch in der Gerichtsmedizin war, bezweifelten die beiden auch. So viel Zeit würde das nicht in Anspruch nehmen. Höchstens Septimus und Onyx würden sie noch im Wachhaus antreffen können. Und Septimus durften sie nicht verraten...
"Wohin also?", fragte Hatscha ratlos.

02.06.2008 15: 07

Septimus Ebel

Die Erde bebte. Das war nie ein gutes Zeichen. Vielleicht merkte der Troll es nicht so früh wie er, weil Septimus mehr Bodenkontakt hatte. Vielleicht beschäftigte sich der Kopf seines großen Begleiters auch einfach mit anderen Dingen. Die schon früh spürbaren Vibrationen trieben den Gnom zu größerer Eile an, doch Onyx trieb viel zu langsam dahin. Zu gerne hätte er ihn abgehängt und wäre allein losgezogen. Allerdings war das in Anbetracht eines ziemlich großen anstehenden Unheils keine gute Idee. Jemand wie Onyx konnte durchaus hilfreich sein. Auch wenn seine Gesellschaft Septimus Geduld auf eine harte Probe stellte, als hätte diese unter den quälenden Fragen Laurenzias nicht bereits genug gelitten.
Ein kehliges Grollen dröhnte durch die Gassen. Mit was hatten sie es da bloß zu tun? Kleine Steine tanzten auf dem Boden. Blumentöpfe hüpften von Fenstersimsen und wurden zu gefährlichen Geschossen. Septimus wich ihnen geschickt aus, ohne sein Tempo zu verlangsamen. Onyx ignorierte sie. Eine Straßenecke noch. Gleich würde das Geheimnis gelüftet sein.
Merkwürdig verloren, menschenleer lag die Zinnstraße vor ihnen. Für einen Moment blieb der Gnom stehen und starrte.
Es saß auf dem Dach eines Hauses. Besser gesagt auf dem, was von dem Dach übrig geblieben war. Fell, Klauen, Stacheln - es hatte alles, was ein Ungeheuer, das seinen Namen mit Recht trug, auszeichnete.
Faszinierend, dachte der Gnom begeistert von der biologischen Vielfalt, die sich in einer einzigen Kreatur ballte. War dies die Göttin, welche Laurenzia so hingebungsvoll anbetete? Bei so vielen Argumenten kam selbst er in die Versuchung stärker auf die Korrektheit seiner Grammatik zu achten. Große gelbe Augen starrten gierig auf ... ja, auf was eigentlich? Sein Blick folgte dem des Wesens.
Eine etwas bucklige alte Frau stand vor dem Tier und fuchtelte wild mit dem Zeigefinger. Obwohl ihre Stimme von dem dunklen Knurren übertönt wurde, sah man deutlich, dass sie schimpfte und meckerte. Eine große doppelt gespaltene Zunge leckte über dornige Lippen. Aber es zögerte.
Jetzt erst erblickte der Gnom zwei kleine Köpfe, die wie Pilze aus dem Dachboden schossen.
Mina! Mimosa!
Er rannte.
Er rannte ohne zu denken.
Irgendetwas musste er tun.
Er musste den beiden helfen!
Wie genau er das anstellen sollte ... nun ... irgendetwas ergab sich immer.
Die Haustür stand offen. Keine Spur von Pismire. Septimus stürmte herein.
Er kam bis zum Treppenhaus. Herabgestürzte Balken, umgekippte Schränke, zersplittertes Glas blockierte den Zugang. Im nächsten Stockwerk konnte er Minas und Mimosas Beine erkennen, sie zappelten aufgeregt. Beide Frauen steckten mit dem Oberkörper in der Dachluke, ohne vor oder zurück zu können.
Jemand schrie. Kreischte.
Plötzlich war Onyx da.
Der Gnom sah ihn hilfesuchend an. Zwar könnte der Troll das Geröll wegräumen, aber es würde zu lange dauern. Jede Sekunde zählte. Es musste einfach einen Weg geben. Septimus sah sich das Chaos genauer an. Da!
Er hasste es, getragen zu werden, aber jetzt war keine Zeit für Stolz.
"Heb mich hoch!", schrie er dem Troll zu und deutet auf einen Stützpfeiler des Treppenhauses.
Langsam bückte Onyx sich. Langsam hob er ihn hoch. Von hier aus konnte der Gnom den Balken entlang rennen. Ein Sprung. Eine Wendung. Noch ein Sprung.
Geschafft.
Kaum war er bei den beiden angekommen, flog ihm auch schon ein Stiefel um die Ohren. Gedämpft konnte er ein vorwurfsvolles "Was fällt dir ein! Du undankbares...!" hören. Ohne lange nachzudenken erklomm er den schuhlosen Fuß, kletterte das Bein hinauf und quetschte sich in eine - im Nachhinein nicht unangenehme - Position zwischen die beiden Wächterinnen. Das erste Mal in seinem Leben war er der weiblichen Physis für einen gewissen anatomischen Spalt dankbar, der ihm die Möglichkeit ließ, sich nach oben zu pressen, während er "Verzeiht! Verzeiht!" brabbelte.
Oben angekommen wurde er von zwei teils verwirrten, teils vorwurfsvoll schockierten Blicken durchbohrt. Irgendwann, das wusste der Gnom, würde er dafür büßen müssen. Aber dies war eine außergewöhnliche Situation und sie erforderte außergewöhnliche ... auf jeden Fall würde er dafür büßen müssen. Doch nicht jetzt. Jetzt kam der Teil der Geschichte, in dem er sich todesmutig vor die drei Frauen stellen und das Biest zähmen würde. Es würde ihm aus der Hand fressen. Oder seine Hand fressen. Jetzt sollte es sich entscheiden.
Mit einem letzten "Verzeiht!" sprang er auf die Holzdielen und stellte sich vor die immer noch schimpfende Alte. Diese bemerkte den Gnom, der mit erhobenen Händen "Stopp" schrie nicht einmal. Unbeirrt fuhr sie fort: ".... jahrelang geschuftet. Und wofür? Damit du hier alles kurz und klein schlägst? Sind das die reifen Entscheidungen, die du triffst? Schämen solltest du dich! Schämen! Du bist eine Schande! Eine Schande für die ganze Familie! Jetzt siehst du selbst, warum wir dich weg sperren mussten!"
Der Schwanz des Ungeheuers begann wütend hin und her zu peitschen. Er brachte Schornsteine wie Dominosteine zum fallen. Die Alte schien einen wunden Punkt erreicht zu haben. Das Wesen schien mit sich zu ringen. Es verlagerte sein Gewicht von links nach rechts und wieder zurück, sein Schwanz peitschte immer wilder wie der einer Katze kurz bevor sie sich auf die Beute stürzt. Bedrohlich langsam näherte sich der riesige Schädel dem Gesicht der Frau. Es verlieh seinem Zorn durch ein ohrenbetäubendes Brüllen Ausdruck. Der feurige, nach Verwesung stinkende Atem nahm Septimus fast das Bewusstsein.
Erst jetzt geriet das Selbstbewusstsein der Alten ins Wanken.
"Äh...ich...ich meinte...sie ... sie hat dich jahrelang eingesperrt. ICH war immer dagegen! Jawohl! Frei lassen wollte ich dich! Aber SIE..."
Das Brüllen wurde noch lauter.
Die Alte stockte und sah sich nach einem Ausweg aus dieser mehr als verzwickten Lage um.
Unglücklicherweise fiel ihr Blick auf Septimus.
Flink packte sie den halb betäubten Gnom und streckte ihn dem Othogra-Vieh entgegen. "Du hast Hunger? Da! Nimm das! Ich opfere ihn dir!"
Zwei Blicke trafen sich. Zwischen ihnen gab es nur eins: Faszination.
Noch nie hatte es so etwas gesehen. Es sah aus wie ein kleiner Mensch. Wie eine Puppe. Es hatte nie mit Puppen spielen dürfen. Neugierig legte es den Kopf schief und griff sich das kleine Ding. Es schrie nicht. Es ekelte sich nicht vor ihm, sah ihn einfach nur an.
Eine eindringliche innere Stimme sagte dem Orthogra-Vieh, was es zu tun hatte. Es war die Stimme der Geschichte, die sich selbst in die Wirklichkeit katapultierte. Sie sagte: So muss es sein. Und plötzlich wusste es das erste Mal in seinem Dasein ganz genau, was es tun musste. Es warf dem kleinen Ding in seiner Pranke noch einen liebevollen Blick zu. Dann machte es sich auf zum höchsten Gebäude der Stadt.

17.06.2008 21: 13

Mina von Nachtschatten

Pismire hatte entsetzt zugesehen, wie das Monstrum im Dachstuhl gewühlt hatte. Mit nicht minderem Entsetzen hatte er auch auf die Schreie von dort oben reagiert. Und mit absoluter Fassungslosigkeit musste er nun beobachten, wie sich das Vieh schwerfällig umdrehte und sich seinen Weg über die umliegenden Dächer zu bahnen begann. Gut für die Zinnstraße - schlecht für Ankh-Morpork. Das seltsame Wesen zog sich mit Hilfe einer Pranke von Dachfirst zu Dachfirst, die Flügel hatte es weit ausgebreitet, wohl um die Balance zu halten.
Warum fliegt es nicht?, schoss es dem Oberleutnant durch den Kopf. Und noch etwas anderes war merkwürdig: Die zweite Pranke hielt das Untier erhoben, als würde es etwas behutsam tragen, aber das war auf die Entfernung nicht genau auszumachen.
In diesem Moment kamen Bjorn und Scoglio um die Ecke, abwechselnd entgeisterte Blicke nach oben und dann wieder zu ihrem Vorgesetzten werfend. Dieser hatte sich nun ebenfalls in Bewegung gesetzt, um zum einen das sich entfernende Vieh nicht aus den Augen zu verlieren und zum anderen das ganze Haus der Grobhelms einsehen zu können. Aus welchem in diesem Moment drei Gestalten traten. Pismire erkannte Mimosa, Mina und Onyx, doch die kurze Welle der Erleichterung, Angesichts der Tatsache, dass ihnen nichts passiert zu sein schien, wich schnell einem ungleich größeren Ärger. Mit wenigen Schritten war er bei der kleinen Gruppe.
"Könnt ihr mir erklären, was ihr euch dabei gedacht habt?", wetterte der Oberleutnant und baute sich mit strengem Blick vor den beiden Wächterinnen auf.
"Also wir..."
"Es waren Kinder ... ein Kind in Gefahr, Sir!"
"Was für ein Kind?"
Die beiden RUM-Ermittlerinnen schilderten eilig, was auf dem Dachboden vor sich gegangen war.
"Jetzt hocken da oben noch so eine keifende Alte und ein seltsamer Kerl, mit einer gelben Mütze. Frau Grobhelm und ihr Sohn sind in der Küche und wollen sich nicht vom Fleck rühren", beendete Mimosa den Bericht.
"Und das Vieh hat diese Frau verschlungen?"
"Ja."
"Sich den Obergefreiten Ebel geschnappt? Ist mit ihm auf und davon?"
"Äh...ja?"
"Und warum, bei allen geringen Göttern, braucht ihr dann so lange, um das Haus zu verlassen und diese Informationen weiterzuleiten?"
"Aufgrund von ... mangelnder Absprache beim, äh, Betreten des Dachbodens und daraus resultierender temporärer Bewegungsunfähigkeit, Sir", murmelte Mina zerknirscht.
"Ich haben Loch in Decke vergrößert bis sie nicht mehr steckten fest", grollte Onyx zufrieden.
Pismire schloss die Augen und atmete tief durch, beschloss dann aber, die Standpauke auf später zu verschieben. Jetzt gab es weitaus Wichtigeres zu tun.
Der Oberleutnant dachte kurz nach und gab dann seine Anweisungen:
"Scoglio und Onyx, ihr werdet diese seltsamen Gestalten vom Dachboden in Gewahrsam nehmen und zusammen mit der Familie Grobhelm zum Wachhaus eskortieren; sorgt dafür, dass letztere gut untergebracht sind. Sollte dies alles aus irgendwelchen Gründen nicht möglich sein, bewacht ihr weiterhin das Haus: Niemand wird hinein- oder hinausgehen bis ich wieder da bin, klar? Ansonsten kommt ihr uns dann nach." Er runzelte die Stirn und warf einen Blick in Richtung des arg ramponierten Dachs des Hauses in der Zinnstraße. "Ihr werdet dabei wahrscheinlich einfach nur der Spur der Verwüstung folgen müssen", murmelte er. Dann wandte er sich dem Rest der Ermittlungsgruppe zu: "Gefreiter Bjornson, schick eine Nachricht zu Hatscha in die Lehrergilde, sie soll sich, wenn möglich, den Hauptgefreiten Bleicht schnappen und zu uns aufschließen. Ein metergroßes Untier über den Dächern der Stadt werden sie nicht übersehen können."
Der Zwerg begann sogleich eine Nachricht zu kritzeln, welche er am Bein der Taube befestigte, welche schon Scoglio und ihm Mitteilung vom Notfall in der Zinnstraße überbracht hatte.
Der Oberleutnant nickte zufrieden, als das Tier in den Himmel stieg. Dann hob er erneut die Stimme.
"Und jetzt werden wir unserem haarigen Freund folgen. Vielleicht können wir das Schlimmste noch verhindern."

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Erzkanzler Mustrum Ridcully zog nachdenklich an seiner Pfeife und paffte einige Rauchringe in die Luft.
"Für was hältst du das da oben, Stibbons?", fragte er und wies mit einem Kopfnicken in Richtung des Kunstturmes der Unsichtbaren Universität.
Ponder zuckte mit den Schultern und sprang dann einen Schritt zur Seite, als neben ihm ein Ziegelstein auf den Boden schlug.
"Ich weiß es nicht, Erzkanzler", meinte er. " Vielleicht eine noch unentdeckte Affenart..."
"Ugh!"
"Verzeihung!"
Beinahe das gesamte Kollegium der Universität hatte sich auf dem Hof derselben versammelt und starrte dem Ding nach, welches Stück für Stück den Kunstturm erklomm und nun schon beinahe seine Spitze erreicht hatte. Die dabei gelegentlich herabregnenden Steine sprachen nicht nur von einem unglaublichen Mangel an Feingefühl von Seiten des Monstrums für altehrwürdige Gemäuer, sondern erzeugten auch interessante Bewegungsmuster in der Menge der Zauberer, welche den steinernen Geschossen ein ums andere Mal auswichen[12].
Ridcully runzelte die Stirn.
"Ist es thaumaturgischen Ursprungs?"
"Könnte sein, Erzkanzler, aber das werden wir auf die schnelle und auf so große Distanz nicht feststellen können, es sei denn wir..."
"Ist es wahrscheinlich, dass es thaumaturgischen Ursprungs ist?"
Ein erneuter Schauer von Mörtel und Steinsplittern ging auf die anwesenden Zauberer nieder, welche sich die Hüte noch tiefer in die Stirn zogen.
"Äh...vielleicht...aber ich habe so etwas noch nie gesehen", erwiderte Ponder, während er aus dem Busch, in welchem er Deckung gesucht hatte, auftauchte.
"Es gehört also höchstwahrscheinlich nicht zur Fakultät?", schloss der Erzkanzler daraus und warf seinen umstehenden Kollegen einen triumphierenden Blick zu.
"So...könnte man es ausdrücken, durchaus, ja."
"Nun dann: Wie können wir es herunterholen?"
"Herunterholen, Erzkanzler?"
Die Menge war sich ausnahmsweise einmal über ihre Fluchtrichtung einig und wich zurück.
"Natürlich! Ich gestatte es nicht, dass unbekannte und institutsfremde Monstrositäten einfach so auf der Universität herumklettern!", donnerte Ridcully und wies mit inquisitorisch ausgestrecktem Zeigefinger in Richtung des Orthogra-Viehs, "Als Leiter dieser Einrichtung muss ich für Ordnung sorgen und wo kämen wir den hin, wenn ich solch ein Verhalten einfach durchgehen ließe?! Also: Freiwillige für diese Aufgabe?"
Es wurde bemerkenswert still und jeder der Zauberer schien plötzlich sehr konzentriert etwas anderes zu betrachten. Es ist bemerkenswert, wie viel Aufmerksamkeit zwischen Pflastersteinen hervorsprießende Grashalme erhalten können.
Der Erzkanzler holte tief Luft, doch bevor er den Anwesenden etwas entgegen brüllen konnte, was gewiss das Wort "Feiglinge" beinhaltet hätte, kam ein Student über den Hof gestolpert.
"Erzkanzler? Am Tor steht eine Gruppe Wächter und verlangt dringend Einlass."
Mustrum Ridcullys Gesichtszüge entspannten sich.
"Na also: Freiwillige."

19.06.2008 17: 34

Hatscha al Nasa

Fragend blickten sich Hatscha und Damien in den Straßen um, um irgendeinen Hinweis zu finden, der ihnen sagen würde, was sie nun tun sollten.
Der ließ auch nicht lange auf sich warten. Die Erde, besser gesagt die Pflastersteine der Straße, in der sie standen, begannen zu beben, ein zartes, beständiges Vibrieren ging durch die Fußsohlen der beiden Wächter. "WAS bitte ist das?", fragte Hatscha schockiert.
"Ich weiß es nicht", erwiderte der SEALS-Wächter und beobachtete eine Mülltonne, die von dem Zittern getragen durch die Gasse wanderte. Dann hob sich sein Blick, als er ein lautes Krachen hörte. "Aber könnte es vielleicht daran liegen?" Am Ende war seine Stimme immer panischer geworden und er deutete in den Ankh-Morporker Himmel. Die DOG schaute in die Richtung, in die sein Finger wies und erstarrte. Nicht weit von ihnen entfernt wanderte ein großes... ETWAS über die Dächer der Stadt.
"Verdammt, was ist DAS?"
"Ich weiß es nicht. Aber es sollte bestimmt nicht hier sein!"
Die beiden Wächter sahen sich gegenseitig an. Sie standen gerade in einem inneren Konflikt. Einerseits beherrscht vom blanken Überlebenswillen wollten sie einfach nur weit weg von diesem Ungetüm und es fiel ihnen schwer, die Gewalt über ihre fluchtbereiten Beine zu behalten, denn andererseits waren sie Wächter und somit dazu verpflichtet, sich in solchen Situationen der Gefahr zu stellen.
"Na los, wir müssen dort hin!", versuchte Damien eine Entscheidung zu treffen.
"Aber es gibt bestimmt genug andere Wächter, die schon auf dem Weg dorthin sind. Außerdem haben wir doch eigentlich einen ganz anderen Fall..."
"Wenn wir alle so denken würden, dann würden in der Stadt keine Verbrechen mehr verfolgt. Und je mehr Wächter sich dort einfinden, desto höher ist doch unsere Wahrscheinlichkeit, dass wir das... Ding unter Kontrolle bekommen", erwiderte der SEALS. Er wusste, wovon er sprach, denn sowas bekamen die Streifenwächter immer wieder eingetrichtert.
"Also gut. Aber wohin will das Monster eigentlich?", gab seine Kollegin schließlich klein bei.
Achselzuckend sahen sie sich an und folgten der Linie der Zerstörung, bis an ihrem Ende schließlich das höchste Gebäude der Stadt auftauchte. Sie nickten und rannten los.

Pflichtbewusst flatterte die Wachetaube über die Stadt. Sie war auf der Suche nach den Wächtern Damien G. Bleicht und Hatscha al Nasa. Sie hatte eigentlich keine Ahnung, woher sie genau wusste, wo sich die beiden Menschen befanden, geschweige denn, wer die beiden waren, sie wusste es einfach. Also flog sie auf geradem Weg direkt zu der kleinen Gasse in der Nähe der Lehrergilde. Dann plötzlich sagte ihr ein unbestimmtes Gefühl, dass sie doch die Flugrichtung ein wenig korrigieren sollte. Scheinbar hatten sich die beiden Zielpersonen vom Fleck bewegt. Wenn Tauben fluchen könnten, dann würde sie das jetzt tun, dachte sie sich. Denn immer wieder beschlich sie dieses leise Gefühl, immer wieder und immer öfter und immer schneller. Schließlich war sie ganz verwirrt und kreiste einfach über der Stadt. Sie hatte gerade keine Ahnung, wie sie die beiden Wächter erreichen sollte. Sie war schon ganz schwindelig und ließ sich daher auf einem Dachfirst nieder, um erstmal kurz zur Ruhe zu kommen. Dort taumelte sie ein paar Meter über die Ziegel des Gebäudes. Sie war ganz durcheinander. Irgendetwas stimmte nicht. Ihr Ziel bewegte sich ganz ungewohnt und schnell und seltsam vom Fleck. Sie fühlte sich wie damals, als sie versehentlich aus der Pfütze vor der geflickten Trommel einen Schluck gekostet hatte.
Sie konnte ja nicht wissen, dass sich die beiden Wächter gerade in das Einzugsgebiet der thaumaturgischen Strahlung bei der Unsichtbaren Universität begaben und das die "Signale", die die besonderen Brieftauben Ankh-Morporks interpretieren konnten, um nicht nur an ihren Heimatort zurückzufinden, sondern auch fremde Personen ausfindig machen konnten, beeinflusste. Erst, wenn die Personen gänzlich in der Universität waren, wurde das Signal aus immer noch ungeklärten Gründen wieder klar.
Plötzlich wusste die Taube wieder, wohin sie fliegen musste, und steuerte auf den bedenklich wackelnden Kunstturm zu.

21.06.2008 11: 45

Pismire

Noch wussten die Wächter im Eingangsbereich der Unsichtbaren Universität gar nicht, dass sie gerade zur Gruppe der Freiwilligen geworden waren.

Pismire hatte auf dem Weg hierher fieberhaft überlegt, wie er sich freien und vor allem unkontrollierten Zugang zur Universität verschaffen sollte, denn dass die Zauberer eifersüchtig auf ihre Autorität waren, war nicht neu. Von daher verwunderte der erste Empfang ihn nicht wirklich. "Wartet hier", hatte es geheißen; "den Erzkanzler fragen", "im Interesse der Beziehungen zwischen der Wache und der Universität" und weitere beruhigende Floskeln mehr waren gesagt worden. In seinem Kopf formulierte er bereits die Worte, die dem Erzkanzler das enge Geflecht zwischen Pflicht, gewollter Vergesslichkeit und Wissen, dass die Wache zu jeder Institution in Ankh-Morpork aufbauen konnte, verdeutlichen sollten. Und er hoffte, dass er weder allzu deutlich und dreist, noch allzu kryptisch und kriecherisch werden musste. Er verfluchte das verdammte Scheusal, dass es sich gerade den Kunstturm ausgesucht hatte, um seinen widernatürlichen Eskapaden frönen zu können. Und er betete zu den Gottheiten, von denen er hoffen konnte, dass sie auch der Wache gewogen waren, dass Septimus Ebel nichts passierte. All das kreiste in ihm, als der Brüller der Universität ihm verkündete, der Erzkanzler schätze das freiwillige 'Angaschemang' der Wächter, die als Freiwillige sich anschickten, das Monstrum freiwillig vom Kunstturm der Unsichtbaren Universität zu vertreiben. Er hätte mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass ihm - bildlich gesprochen - einer der Brüller die Tür noch vor dem Klopfen öffnete würde.
"Und die Universität besteht diesmal nicht auf ihrer eigenen Jurisdiktion?", fragte er sich rückversichernd nach. "Wir haben wirklich freie Hand?"
Auf das pflichteifrige Nicken konnte er nicht anders, als über die Schulter zu den zurück bleibenden Universitätsangestellten zu sagen: "Schickt bitte unsere Kollegen unverzüglich zu uns, wenn sie eintreffen!" So lautete denn sein würdevoll geäußerter Auftrag an die Brüller
Gut. Das hieß aber auch, dass die Wächter allein standen. "Und ich wette, die verdammichten spitzhütigen Mistkerle drücken sich im Speisesaal die Nasen an den Fensterscheiben platt", brummelte Pismire sich in seinen Bart.
"Gut", sagte er laut, als die Brüller gegangen waren, drehte sich um und blickte in die Gesichter seiner Ermittlergruppe. "Das Ding, mit dem wir es hier zu tun haben, ist keine Gottheit ..."
"Ne, es hat ja auch erst gerade eine gefressen", ließ sich Mimosas gemurmelter Kommentar vernehmen - leider lauter, als geplant.
"Aber es hat Septimus. Und dessen Rettung muss unser oberstes Gebot sein." Pismire verzichtete bewusst [13] auf ein Spekulieren darüber, ob das Orthogra-Vieh ein Dämon sein mochte oder nicht.

Hätte Pismire gewusst, was sich weit über Ankh-Morpork abspielte - er hätte sich weniger Gedanken um den Gnomen gemacht.
"Und du wolltest immer schon mit so jemandem wie mir spielen?", fragte Septimus.
"Gahaaa", war die Antwort. "Immmmmerrrrrrrrrrrrrrr schonnnnnnnnnnnnn. Aberrrrrrrrrrr iiiiiich nicht Pupppen. Pupppen für Mätttttttttttttchen. Iiiiich nicht Mättchen. Iiiich kriggen Baaaaaaaaaallllllllllll. Iiiiiiiiiiiist langweiiiiiiiilig."
"Und du hast dir das gefallen lassen?"
"Ohhhhhhhhhhhhhh, da kommmmmmmmmmen aandere. Wir gehen höher!"
Septimus Gespräch wurde wieder aufgeschoben - und das nur, weil offensichtlich auch Damien G. Bleicht und Hatscha al Nasa zu der Wächtergruppe gestoßen waren wie er missgelaunt vermerkte. Und das verdammte Teil kletterte wieder höher. Mittlerweile jedoch kam es Septimus gar nicht mehr so verdammenswert vor. Er fragte bereits seit einiger Zeit, was wohl aus ihm hätte werden können, wenn es nicht unter solch verdrehten Umständen aufgewachsen wäre.

"Er - oder es - immer mehr nach oben geht," ließ sich Onyx vernehmen und wandte sein Gesicht auffordernd Mina zu.
"Das ist trotzdem kein Grund, nach Unterstützung in der Luft zu verlangen", versuchte der Oberleutnant, das vermutete Thema zu beenden. "Hat irgendjemand eine Idee, wie wir da rankommen könnten?"

"Nun, könnten wir nicht einfach Septimus Ebel vertrauen?", fragte eine Stimme hinter der Oberleutnant. Er fuhr herum und blickte in das Gesicht der noch fehlenden Wächter, Hatscha, Scoglio - den sie auf dem Weg zu Wache 'einfach so' aufgegabelt hatten - und Damian. Alle drei wunderten sich immer noch darüber, dass die Unsichtbare Universität sie einfach nur durchgewunken hatte.
"Vielleicht ja - vielleicht nein. Ich befürchte", antwortete der Oberleutnant, "dass das Ganze zu sehr den narrativen Gesetzmäßigkeiten gehorcht. Und das Monster auf dem höchsten Turm der Stadt mit einer kleinen, hilflosen Kreatur - wir wissen alle, was das heißt - oder?"
Alle nickten betroffen - es war klar, was nun kommen musste.

23.06.2008 23: 35

Pismire

Ohne dass sie ahnte, was mit ihr passierte, verharrte Regula Scribens in der Dunkelheit. In einem Augenblick hatte sich etwas wie ein seidig-warmer Mantel um sie gewickelt - allerdings war das Gespinst eng wie ein Korsett und irgendwie nicht nur warm, sondern feucht-warm gewesen. Aber es hatte sie schützend umfangen. Für einen winzigen Moment gab sie sich dem Gefühl hin, weich umfangen und in Sicherheit zu sein. Dann stürzte sie kopfüber einen langen, warmen Tunnel hinunter, während sich der Mantel wieder abwickelte und sie in eine angenehm rotierende Bewegung versetzte - wie eine Pirouette. Das Leben - ein Tanz. Alles ging so schnell, dass sie keine Zeit hatte, sich zu erschrecken. Dann landete sie auf einem dicken Polster, das ihren Sturz abmilderte. Hier zu liegen - so weich, so warm, so entspannt. In ihrer Nähe musste Wasser sein - sie hörte ein beständiges Plätschern und Rauschen. Und es war still hier.
Eine Augenblick lang erschien ihr das, wie das Paradies.


"Dementia Grobhelm alias Regula Scribens?"
Unwillig kehrte die selbsternannte Göttin des regelgerechten Schreibens in die ihr abgrundtief verhasste Realität zurück. Sie öffnete die Augen. Um sie herum war alles Dunkel. Nur das Plätschern und Rauschen des Wassers blieb ihr treu. In der Dunkelheit neben ihr nahm sie schemenhaft eine Gestalt wahr. Mühsam richtete sie sich von ihrem weichen Polster auf. Dass sie sich damit gleichzeitig von ihrem Körper erhob, merkte sie erst als sie die Bewegung vollzogen hatte.

Mir Gleichmut betrachtete Tod den vor ihm liegenden Körper. Als anthropomorphe Personifikation war er nicht ernsthaft an die physische Wirklichkeit gebunden, denn da wo er war, war immer gleichzeitig die Realität und das, was der die
Wirklichkeit nannte. In dieser kam er einer Aufgabe als Seelenernter nach.
In der Realität befand er sich knietief in der Magensäure eines Ungeheuers, die sich daran machte, den Körper der Person, die sich vormals als "Regula Scribens" bezeichnet hatte, zu verdauen. Die Gesamtsituation kannte er natürlich. Als gründlicher Arbeiter - ein Ruf auf den er stolz war - machte Tod gerne auch am dann die Runde, wenn seine direkte Anwesenheit nicht zwingend erforderlich war. Daher kannte er die Problematik des Magens - genauer gesagt: von Mägen - ziemlich gut. Wenn es darum ging, im Blättermagen einer Kuh eine Ameise zu finden, dann war er die anerkannte Autorität. Und unschlagbar. Und das es sich hier um ein größtenteils fleichfressendes Wesen mit nur einem Magen handelte, erleichterte die Sache enorm.
"Dementia Grobhelm alias Regula Scribens?" Erneut klang seine Frage durch den Raum.

Jetzt, wo sie sich aufgerichtet hatte, schien sie auch besser sehen zu können. Die Gestalt im Kapuzenmantel stand überdeutlich vor ihr. Die Sense erklärte den Rest.
"Was willst du denn hier? Es gibt keinen Anlass für dich, hier zu sein", schnauzte sie ihn an. "Du hast nichts, aber auch gar nichts hier verloren. Das ist eine interne Angelegenheit!"
"In der Tat", lautete die Antwort, "'Intern' ist das richtige Wort. Wenn du mir nun bitte folgen würdest." Ein präziser Schwung einer goldenen Sichel beendete das Ernten - Tod schätzte es, für alle Gelegenheiten passend gewappnet zu sein.
"Das du das wagst!", grollte die ehemalige Göttin. "Du kannst keinen GOTT töten! WIR unterliegen deiner Jurisdikion nicht. DU hast keine Macht über UNS! GÖTTER KÖNNEN NICHT STERBEN!", donnerte sie.
"Nein, das können sie nicht. Nicht im herkömmlichen Sinne. Und ich fälle auch keine Urteile. Ich habe nur eine Aufgabe: zu beenden. Und zurück zu deiner Person: Bist Du eine Göttin?"
"Ich protestiere. Was du tust ist gegen alle REGELN!"
"Was soll das werden, Weib? Stimme gegen STIMME? Etwas in der Art? Willst du mich aufhalten? Oder überlisten? Und was soll das mit den Regeln?
"Die REGELN sind wichtig. Sie müssen unter allen Umständen eingehalten werden. Es gibt nichts außer ihnen!"
Verblüfft schaute Tod sie an. "Wer hat dir den Unsinn denn beigebracht, mein Kind?!" Seine Stimme wurde so fürsorglich, wie ein Stimme in Käpitälchen überhaupt fürsorglich sein konnte.
"Meine Mutter. Ich wette, so wie du aussiehst, dass dir deine Mutter auch immer zugesetzt hat. "Du könntest wenigstens den Teller leeressen!" - sowas in der Art." Und leise fügte sie hinzu:"Jedenfalls war meine so - und ich dachte immer, sie wär Gran'Ma."
"Ich bedauer zutiefst, dich da enttäuschen zu müssen, aber mit einer gestörten Mutter-Tochter- oder Mutter-Sohn-Beziehung kann ich nicht dienen." Und über eine komplizierte Vater-Tochter- oder Großvater-Enkelin-Beziehung an dieser Stelle zu philosophieren erschien Tod unangemessen.
"Und was die Regeln angeht: Ich bin der Tod. Ich bin Anfang und Ende. Und ich bin Teil des Lebens. Und Leben ist Veränderung. Und da sagst du mir, dass ich mich an Regeln halten soll?" Einer aussagenlogischen Betrachtung hätte das zwar nicht Stand gehalten, aber für den Augenblick sollte es genügen.
"Oh", entfuhr es der ehemaligen Göttin, die mittlerweile auf ihren toten Körper blicken konnte. "So ist das also? Nun gut. Aber: Was geschieht mit mit?"
Das hängt ganz von dir ab."
Und zum ersten Mal in ihrem Leben- wenn sie noch am Leben gewesen wäre - hätte Dementia Grobhelm das Gefühle einer Wahl gehabt.
"Was ist mit ihm?" Sie bemühte sich, so 'klein' wie möglich zu sprechen.
"Ich kann nicht in die Zukunft sehen. Aber ich erkenne die narrative Kausalität. Es wird die bald folgen."
Ein beruhigtes Aufseufzen war die Reaktion. "Dann schick es zu mir."
Ein Nicken versicherte ihr, dass es so sein würde. Mit einem Seufzer gab sie sich dem Tod hin.
"Es wir wollen. Wir werden vereinigt sein. Ich und meine Gedanken. Ich und mein Geschöpf. In Frieden." Die blauen Umrisse einer Frauengestalt verblichen vor der Magenwand. Stille umfing das Innere des Orthogra-Viehs.

30.06.2008 21: 56

Pismire

"Modo, mein Sohn, wenn du die Stühle aufgebaut hast dann solltest du schon einmal den Grill anwerfen - ich möchte nicht zu lange mit dem Essen warten müssen." Erzkanzler Mustrum Ridcully wedelte gebieterisch mit der Hand auf dem Rasen vor dem Kunstturm herum, wo der Zwerg Modo, das diensteifrige Faktotum der UU, bereits eine Reihe von bequemen Liegestühlen sowie eine improvisierte Bar und einen riesigen Grill in ausreichender Entfernung vom Kunstturm aufgebaut hatte.
"Und Modo, vergiss nicht, auch für ausreichend Wein zu sorgen. Beim letzten Bar-bei-Kuh wurde doch zu viel Rindfleisch und zu wenig Getränk besorgt."
Der Leiter der Fakultät für vage und unbestimmte Studien erhob gebieterische seine Stimme und ließ sich auch nicht von Ponder Stibbons gemurmeltem: "Es heißt Barbeque!" unterbrechen.
Der Zwerg nickte diensteifrig - unter anderem deswegen, weil er bereits alles besorgt und unauffällig in Reichweite gestellt hatte und so nun im Handumdrehen für das Gewünschte sorgen konnte. So hatte er sich seinen Ruf erarbeitet - wobei die Wünsche von Zauberern in den allermeisten Fällen mehr als einfach vorherzusehen waren.

Mustrum Ridcully plazierte sein nicht unerhebliches Gewicht in einem ebenso fragilen aussehenden wie stabilen Gebilde aus geflochtenem Rohr, das so ausgerichtet war, dass er dem Spektakel auf dem Kunstturm ohne Anstrengung folgen konnte. Seit er die Wache als freiwillig zuständig definiert und ein ausreichend starkes Schutzfeld über diesem Teil des Rasens beschworen hatte, war er zum eigentlich wichtigen Punkt für diese Tageszeit gekommen: zur Beginn der Nahrungsaufnahmen. Sollte es dabei auch noch ein bemerkenswertes Spektakel geben - um so besser.
"Warum holst du dir diese Trophäe eigentlich nicht?" Diese rationale Frage erstaunte Ridcully, der derartiges von seine Quästor nicht gewohnt war. Seine Antwort war knapp und unpräzise: "Kein Interesse. Religiöse Dinge sind nicht so mein Interesse. Und außerdem ist es ein Fall für die Wache."
"Ach, und das alles kümmert dich auf einmal?" Der Lehrer für Runen stapfte grölend über das Feld.
"Nun, es ist ein Faktor, der nicht unberücksichtigt bleiben sollte", schnappte Ridcully zurück.
"Oh, die Herren von der Universität machen es sich bequem. Ich vermute, dass das karge Picknick hier irgendeine potentiell ausfallende Mahlzeit ersetzen muss?!" Pismire konnte seinen Ärger kaum im Zaume halten und gönnte sich den Spott einfach als Ventil.
"Ach! Der" - er linste kurz nach Pismires Umhang - "Herr Oberleutnant." Mustrum Ridcully musterte den Schamanen kühl und unbeeindruckt, "Du meine Güte - ich sehe dort oben nichts, was den Einsatz echter Zauberer benötigen würde. Das da ist bestenfalls eine Ordnungswidrigkeit im Rahmen der Theologie."
"Du möchtest mich jetzt damit trösten, dass eine Art theologisches Falschparken gerade einen meiner Männer als Geisel auf einen 220m hohen Turm auf dem Gelände der Unsichtbaren Universität schleppt!?! Und die gesamte Creme de la Creme der Zaubererschaft der Scheibenwelt ist damit beschäftigt, sich beim Zuschauen Hachsenbrötchen in den Mund zu schieben?"
Ridcully musterte die Gestalt, die sich weiter in Richtung der Spitze des Kunstturms emporarbeitete. "Ich seh' da keinen deiner Männer, das ist ein Gnom. Damit sollte ich vermutlich eher mit dem Biest Mitleid haben, das ihn da hochschleppt", lautete sein Kommentar. "Und wenn du dich etwas mehr um deinen Männer und Frauen kümmern möchtest - bitte sehr. Das Gelände der UU steht - in begrenztem Rahmen - zu deiner Verfügung."
Noch bevor Pismire explodieren konnte, ragte hinter ihm die Gestalt von Scoglio auf.
"Du uns machen lassen, Sör!", grummelte er. Verblüfft schaute der alte Mann zu dem Troll hoch. "Du uns Vertrauen. Onyx hat einen Plan", ergänzte der Lance-Korporal.

Während Pismire seinen Wortwechsel mit Mustrum Ridcully zur Erbauung der Universitätsmitglieder absolviert hatte, hatte Onyx kurz den Turm, das Monster und Septimus sowie den leicht bewölkten Himmel einer gründlichen Musterung unterzogen. Dann hatte er sich in der Sprache der Trolle mit Scoglio verständigt, was wiederum diesen zu seinem derzeitigen Einsatzleiter geführt hatte.
Da er selber zur Zeit keine Ahnung hatte, wie er Septimus helfen konnte, nickte er nur kurz zustimmend.

Während nun Onyx so auffällig wie möglich sich dem Turm näherte, versuchte Scoglio, sich an der Schattenseite des Turmes möglichst unauffällig zu bewegen. Beiden kam zu pass, dass das Orthogra-Vieh, dass sich Septimus gerade als sein neues Spielzeug vorstellte, von dieser Idee ganz gefangen war und sich nur auf das Erreichen der Spitze, wo es sich niederlassen wollte, konzentrierte.

Septimus, der dem Gegrummel des Orthogra-Viehs zum Teil mit Unglauben, zum Teil mit Entsetzten gefolgt war, beschloss der Einfachheit halber auf das Puppenspiel einzugehen. Gleichzeitig gewahrte er, dass von unten die beiden Trolle sich dem Turm näherten.
"Na klar, da oben machen wir es uns erst einmal so richtig gemütlich", erwiderte er mit aufgesetzter Fröhlichkeit. "Wahrscheinlich sind wir in allerkürzester Zeit die besten Freunde."
"IiiiiiiiiiIich diirrrrrrrrrrr sinnnngännnnn Liiiiiiederrrrrrr vorrrrrrrr", schnurrte das Wesen und schwang sich weiter nach oben. "Uuuuuuuund dirrrrrrrr machääännnn Klllllllaittttttchen mit Knöööööööpfen. Duuuuuuuu wirrrrrrst hüüüüüüüübsch!"
Septimus stockte der Atem und seine ganze Wut über diesen verdammten Tag brach aus ihm heraus. "Hör mal, das ist, ich meine, WAS IST DAS FÜR EINE DÄMLICH SCHEISSIDEE!", brüllte er. "Du kannst dir das voll abschminken!"
"Aaaaaaaaaaah, Schminnnnnnnncken!", schnurrte das Biest. "Guuuuuuuuuttt."
Doch während Septimus noch Luft für die Fortsetzung seiner Schimpfkanonade holte, bildete sich eine Lücke in den Wolken und ein Sonnenstrahl verirrte sich auf die Fassade des Kunstturms, wo Onyx sich den beiden näherte. Die Halbedelsteinoberfläche des Gefreiten gleißte und glitzerte und dem Orthogra-Vieh stockte unwillkürlich der Atem.
"Aaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhh, Funkelfunkel", stöhnte es sehnsüchtig. "Iiiiiiiich willllllll es haaaaaaben!"
"Wie ein Kind im Bonbonladen, dass sich nicht entscheiden kann", fuhr es Pismire durch den Kopf als er beobachtet, was sich annähernd 150 m über ihren Köpfen abspielte. Und wirklich sah man das Vieh schwanken, unsicher, ob es mit seiner neuen Puppe nach oben oder zum dem Funkelfunkel da unten wollte. Dank dieser Unsicherheit konnte Scoglio sich den beiden auf knapp dreißig Meter nähern.

Wie immer der Plan der beiden Trolle gewesen wäre - die nun dem Kunstturm zusteuernde Taube war für das Orthogra-Vieh zuviel der Reizüberflutung. Mit dem Aufschreib: "HUUUUUUUUUUUUNNNNNNNNNGÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄRRRRRRRRR!" schnappte es ungelenk nach dem Tier, verlor dabei den Halt und stürzte in die Tiefe, wobei Septimus aus seiner Hand glitt. Noch bevor dieser allerdings in Panik geraten konnte, fing die Hand von Scoglio ihn auf. 10 Sekunden später schlug das Orthogra-Vieh auf dem Rasen vor dem Turm auf.
Wer allerdings einen Haufen Matsche erwartet hatte, wurde enttäuscht. Im Auftreffen auf dem Rasen ging eine Metamorphose mit dem Wesen vor sich und an Stelle des Orthogra-Viehs, einer amorphen Masse aus Zähnen, Klauen und - wahrscheinlich auch noch gut verborgenen - Tentakeln lag etwas aus rot-weiß-kariertem Stoff auf dem Rasen: ein ungelenk genähtes, höchstens fünfzehn Zentimeter großes Häschen, das von einem Kind gearbeitet zu sein schien.
"Du siehst also, Quästor", sagte Mustrum Ridcully später, als die Wächter von ihm in Richtung Wache, wo noch der zweite Teil des Falls auf sie wartete, hinauskomplimentiert worden waren, "das wäre mit Sicherheit keinen lohnende Trophäe für meine Sammlung geworden. Ein Zauberer sieht eben das, was wirklich da ist!"

14.07.2008 22: 16

Pismire

Die Rückkehr der Wächter zum Wachegebäude verlief im großen und Ganzen zügig und schweigend. Die beiden Trolle hatten den OLT davon in Kenntnis gesetzt, dass die beiden Gestalten von Dachboden, die sie dort angetroffen hatten, sich in - wie Onyx es nannte - "sicherer Verwahrnis" befanden, und dass die Grobhelms mit ihrem Sohn ebenfalls ins Wachegebäude gelangt waren, wo sie ihre Tochter in Empfang nehmen konnten.

"Was ist jetzt eigentllich mit der Lehrergilde? Hast du da was rausbekommen, was mit unserem Fall zu tun hat?"; fragte Hatscha Damian.
Der bleiche Mann an ihrere Seite zuckte die Schultern. "Ich bin mir zwar sicher, dass die irgendwelchen Dreck am Stecken haben - aber nachweisen läßt sich noch nichts. Und mit unserem Fall scheint das wiederum nichts zu tun zu haben. Dieser Lozzi war ein ziemlicher Einzelgänger - und seine Methoden selbst unter den Lehrern, die gerne für strengere Regeln plädieren, mehr als umstritten. Was mich ein wenig misstrauisch macht ist die Begründung für das Fehlen des eigentlichen Oberhauptes der Lehrergilde, Rektor Auweh. Er soll angeblich ein sogenanntes Sabbatikal - oder wie auch immer das heißen mag - machen und irgendwo im mittwärtigen Bereich als wanderender Lehrer unterwegs sein. Das auch - so wird gemunkelt - um durch die Arbeit an der Basis wieder neue Ideen für die konzeptionelle Arbeit in der Gilde zu bekommen - hab ich im Lehrerzimmer aufgeschnappt, als alle dachten, ich wäre getürmt. Ich bin froh, da raus zu sein - meiner Ansicht nach ist die Gilde ein klarer Fall für D.O.G ; ihr solltet euch da mal gründlich umsehen!", schloss er.
Hatscha zuckte mit den Achseln. "Wozu? Wenn das alles mit unserem Fall nichts zu tun hat, dann sehe ich keinen Handlungsbedarf. Und von der Gilde habe ich eh' die Nase voll", fügte sie bestimmt nach einer kleinen Pause hinzu.

Unter diesem Gespräch hatte die Gruppe das Wachegebäude erreicht. Im Eingangsbereich versammelte Pismire die Gruppe der Wächter um sich und verkündete, dass sich alle nach dieser Aktion am Kunstturm erst einmal eine Pause verdient hätten. Anschließend wollte er sich mit den beiden Personen, die - im offiziellen Sprachgebrauch hieß das so - der Wache vorläufig bei ihren Ermittlungen behilflich sowie der Familie Grobhelm unterhalten. Wer wolle, könne gerne daran teilnehmen und ganz besonders schätze er dabei die Anwesenheit eines freiwilligen Protokollanten - oder, da sei er leidenschaftslos - einer freiwilligen Protokollantin.

Pismire war gerade in den Stuhl in seinem winzigen Büro im 2. Stock gesunken, als Sillybos aufgeregt eintraf.
"Äh, gut dass du da bist, Pismire. Es gibt da ein Problem mit den beiden Verdächtigen", kam es ein wenig atemlos, was Pismire verriet, dass Sillybos wirklich aufgeregt war.
Er wies auf den Stuhl vor ihm. "Setz dich erst einmal. Und dann: was ist das Problem?" Ein misstrauischer Blick unter buschigen, gerunzelten Augenbrauen traf sein Gegenüber.
"Nun, es ist Folgendes", begann Sillybos. "Wir haben die beiden Zeugen oder Verdächtigen von Scoglio und Onyx in Empfang genommen und mehr oder weniger auffällig-unauffällig überwacht erst mal im großen Raum von SuSi untergebracht. Die Frau wollte Tee und was zu Essen, der Mann war überhaupt nicht ansprechbar, sondern stierte nur vor sich auf den Boden. Ich selber bin in der Nähe geblieben und Hegelkant war - vorgeblich für den Fall, dass sie noch etwas wollten - im Raum anwesend. Die Frau hat sich sichtlich über den Tee gefreut und sogar über den Eintopf aus der Kantine. Sie hat zwei Portionen verdrückt!", vermerkte der Philosoph mit einer Mischung aus Abscheu und Erfurcht.
"Nun, das allein ist vielleicht erstaunlich aber nicht wirklich ein Problem - oder?"
"Nein, nein." Der OFW schüttelte den Kopf. "Der Mann hat auch nach einer halben Stunde immer noch auf nichts reagiert - auch nicht, als die Frau ihm die Reste einer dritten Portion Eintopf direkt unter die Nase geschoben hat. Er hat einfach nur eine Stunde da regungslos verharrt und geschwiegen. Er hat nicht mal gezuckt oder so. Und dann hat es PLOPP gemacht und er war verschwunden und auf dem Stuhl lag das." Mit einer fließenden Bewegung zog Sillybos etwas aus einer Tasche und plazierte es schwungvoll mitten auf dem Tisch.
Pismire starrte auf das gelbe Etwas vor ihm. "Du meinst also Folgendes: einer unserer verdächtigen Zeugen - um sie mal so zu nennen - löst sich mitten im Wachhaus ohne von dem Eintopf aus der Kantine gegessen zu haben - wobei der Eintopf vermutlich nichts mit dem Verschwinden zu tun haben dürfte - einfach so in Luft auf und zurück bleibt eine Gummiente?"
"Mit einer Matrosenmütze in Blau!", bestätigte Sillybos.

22.07.2008 11: 01

Pismire

Das Besprechungszimmer von SuSi füllte sich langsam mit den Mitgliedern der Ermittlergruppe, die die Pause unterschiedlich genutzt hatten, während die alte Frau von Hegelkant noch kurz nach draußen gebracht worden war.
Zu Pismires Freude hatten sich gleich drei potentielle ProtokollantInnen eingefunden: die Gefreiten von Nachtschatten und Bjornson hatten ebenso Papier und Schreibgerät mitgebracht, wie Korporal al Nasa. Damit niemand sich benachteiligt fühlen sollte, regte er an, dass sie sich abwechseln sollten.
Dann berichtete er von dem Verschwinden des Mannes vom Dachboden und dem Auftauchen der Gummiente.
"Aber haben wir es dann überhaupt mit einem Fall zu tun?", fragte Mimosa kühn und sah in die Runde. "Diese komische Göttin", zählte sie auf, "ist futsch. Das Monster, das sie gefressen hat, ist auch futsch. Ein möglicher Zeuge oder Verdächtiger ist ebenfalls futsch. Und wir können ja wohl kaum ein achtjähriges Mädchen einlochen mit der Begründung, sie habe zu einer - äh - futschen Gottheit gebetet - oder? Und der durchgeknallte Lehrer, der ihr die Flausen in den Kopf gesetzt hat, ist noch viel länger futsch."
"Aber ich würde schon gerne wissen, wie das alles zusammen hängt", entgegnete Mina. "Das alle futsch sind, heißt ja nicht, dass es nicht auch für alles eine logische Erklärung gibt."
"Genau!", beendete der OLT das Gespräch. "Zu diesem Zweck würde ich mich zuerst einmal allein mit der alten Frau vom Dachboden der Familie Grobhelm unterhalten. Vor allem, weil ich bisher nur eine vage Ahnung habe, wie die handelnden Personen miteinander verquickt sind", ergänzte er nachdenklich.
"Du meinst, dass das Auftauchen dieser selbsternannten Gottheit auf dem Dachboden der Grobhelms kein Zufall war?", fragte Gefreiter Bjornson.
Pismire nickte.
"Sie sich dort raufgeschlichen bei Nacht vor einiger Zeit", grummelte Scoglio.
"Wie bitte?"
"Die Damen mir erzählen, dass vor acht oder neun Wochen mächtiger Krach bei Grobhelms sein. Viel mehr als bei ihnen, wenn betrunkene Matrosen mit Taschen voller Geld und Geschenken aus eg-so-ti-schen Ländern suchen die Freudigen des Festlandes und nicht genug Näherinnen da sein - wie sie sagen. Dann Herr Grobhelm eine Nacht müssen schlafen in der Gasse zwischen den Häusern und am nächsten Tag er heimkehren mit eingezogenem Schwanz wie geprügelter Hund. Aber Madam sagen, das sein Mettaf-fer. In Wirklichkeit Schwanz gar nicht war eingezogen, weil man hören ... "
"Äh, jaja, Lance-Korporal.", unterbrach Pismire die Erzählung. "So genau wollen wir das gar nicht wissen, was bei Herrn Grobhelm eingezogen oder nicht war. Vielmehr interessiert mich, was auf dem Dachboden eingezogen war."
"Eine der Damen sagen, dass mindestens zwei Frauen sich auf Dachboden versteckt haben, und davon nur Herr Grobhelm was wissen, und seine Tochter vielleicht, und sie schon denken, er Bigamist und halten zweite Familie auf Dachboden - man so viel hören in letzter Zeit über Sittenverwilderung. "
"Deswegen hat der so rumgedruckst!", entfuhr es Mimosa. "Der hatte Dreck am Stecken und die Hose voll!"
"Gut möglich", stimmte der Schamane ihr zu. "Aber du sagtest, Lance-Korporal", richtete er sich an den Troll, "dass Laurenzia vermutlich von den Frauen auf dem Dachboden wusste?"
"Eine der Damen sagen, dass sie die Kleine aus dem Dachbodenfenster hat schauen sehen. Sie sagen "verstohlen". Ich mir das merken, falls wichtig."
"Aber wann das war, weißt du nicht?"
"Doch, es sein nur wenige Tage, nach dem großen Streit bei Grobhelms. Daher die Damen denken, dass die Frauen vielleicht nicht die ganze Zeit dort sein - wegen dem Mädchen oder so."
Hatscha kalkulierte kurz und meinte dann: "Da ging Laurenzia seit fast zwei Wochen in die Experimentalklasse bei Lozzi - das fanden wir in seinen Tagebüchern festgehalten."
"Pismire nickte nachdenklich. "Hmm, so langsam verstehe ich die Zusammenhänge."
"Ich nicht! Was ich nicht verstehe, das sind die Motive für die einzelnen Toten - das passt doch alles hinten und vorne nicht zusammen!", entfuhr es Bjorn Bjornson wütend. Er zählte sie an den Fingern, her: "Zuerst drei alte, pensionierte Lehrer: Herbert Schlämmkreide, Profetia Turnbeutel und Paul Zahlrübe. Dann - während sie zusammen in einem Zimmer sind - die Wächterin Petulia Bocksbeute und der Lehrer Pester Lozzi. Dann noch dieser andere, Herr Humpel!"
"Die drei waren zwar pensioniert - sie haben aber immer noch Unterricht gegeben - Nachhilfe. Schlämmkreide in Geographie, Turnbeutel in Turnen und Zahlrübe in Mathematik. Und in zwei von dreien könnte Laurenzia Probleme wegen ihres Glaubens gehabt haben. Sie ist - oder war - strenggläubige Omnianerin. Und Omnianer halten nicht viel von der traditionellen Geographie - viele akzeptieren nur ihren absurden Glauben an eine angebliche Kugelgestalt der Scheibenwelt. Und Turnen ist - außerhalb der Verbeugungen vor Om - auch nicht gerne gesehen - gerade nicht für Mädchen. Und Mathematik - ein weiterer Punkt, den es zu eruieren gilt. Lozzi wurde zum Schweigen gebracht - bevor er die Wache in Gestalt der Gefreiten Bocksbeutel einschalten konnte. An die er sich gewandt hat, weil er sie flüchtig kannte und - vermutlich - weil sie früher ebenfalls Lehrerin gewesen war."
"Und der Lehrer Humpel?", hakte der Zwerg nach.
"Konnte als Mathelehrer vielleicht zwei und zwei zusammenzählen!?", prustete Septimus Ebel los.
Pismire räusperte sich streng. "Das werden wir auch noch heraus bekommen. Wie dem auch sei - ich möchte zuerst mi dieser alten Frau vom Dachboden reden. Und als Überraschungsmoment werde ich dann die Familie Grobhelm ins Zimmer kommen lassen. Ich habe das mit Hegelkant so abgesprochen; er holt sie aus der Kantine hierher. Ich erhoffe mir, dass die Überraschung das eine oder andere zu Tage fördert."
"Mit Verlaub, Sör, aber ich glaube, das taktische Überrraschungssmoment kannst du dir - ich meine, ääh ..." Mina brach ab, bevor das Ende des Satzes sie in Schwierigkeiten bringen konnte.

Und in der Tat: Auf dem Flur vor dem Raum hörte es sich wie ein mittelprächtiger Tumult an. Zwei keifende Frauenstimmen, eine beschwichtigenden Männerstimme, die Aufschreie "Sag das noch einmal, du alte Schlampe!" und "Nenn mich noch einmal so, du dürre Hexe!" und das Klatschen von Ohrfeigen zeugten davon, dass sich die bis dato unbekannten Hausbewohner nunmehr kennen lernten. Die Wächter stürzen zur Tür und sahen, wie Frau Grobhelm und die Unbekannte sich einander die Haare raufte und wüst beschimpften, während Laurenzia und ihr Bruder begeistert das Spektakel genossen. Herr Grobhelm rieb sich die geröteten Wangen - offensichtlich war sein Versuch der Schlichtung von beiden Streitparteien abgelehnt worden.
Auf ein Zeichen Pismires hin zog Scoglio die beiden Kampfhennen auseinander.
"Meine Damen, bitte beruhigen Sie sich!" Der Oberleutnant brauchte ein ganze Weile, bis sich die Gemüter beruhigt hatte. "Ich denke, wir haben da drin", er wies auf den Besprechungsraum, "ausreichend Gelegenheit, die - äh - Unstimmigkeiten zu beseitigen und eventuell offenen Fragen zu klären. Lance-Korporal!" Er wies den Troll an, die beiden Frauen möglichst weit von einader entfernt auf zwei Stühle zu setzen und plazierte die beiden Trolle als Puffer dazwischen.

24.07.2008 11: 31

Pismire

Nach und nach kamen die Wächter alle wieder in den Raum, und Herr Grobhelm mit seinen beiden Kindern setzte sich möglichst unauffällig in eine Ecke mit den beiden je auf einem Knie.
"Sör", raunte Hatscha Pismire leise zu. "Hältst du das mit den Kindern wirklich für eine gute Idee? Ich meine, wenn sie bei dem Verhör oder der Besprechung dabei sind?"
Pismire zuckte mit den Schultern. "Ich habe in beide einige Fragen. Und keine Lust, dass die Kleine wieder in einem Schrank verschwindet, aus dem man sie nicht rausbekommt. Ich möchte keinen aus der Gruppe mit ihnen rausschicken und ich weiß auch nicht, wie die Eltern reagieren, wenn wir ihnen die Kinder schon wieder wegnehmen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als es darauf ankommen zu lassen."

Nachdem er sich umständlich niedergelassen und geräuspert hatte, begann Pismire seine kleine, improvisierte "Ansprache ans Volk", wie er sie in Gedanken nannte.
"Darf ich mich kurz vorstellen: Ich bin Oberleutnant Pismire - sollten Sie mit dem Rangsystem der Wache nicht wirklich vertraut sein, übersetzten Sie sich das einfach mit: verdammt hohes Tier. Und somit der Chef im Raum. Und nun ein Wort an Sie beide, meine Damen. Was immer Sie für persönliche Animositäten gegeneinander hegen - sollten Sie sich nicht im Stande sehen, ein geeignetes Benehmen an den Tag zu legen, während Sie meine Fragen wahrheitsgemäß beantworten, werde ich mich leider gezwungen sehen, die Störerin des Raumes zu verweisen und ihr in einer Arrestzelle im Keller die Gelegenheit geben, über adäquate Umgangsformen nachzudenken." Und als Frau Grobhelm verächtlich schnaubte: "Und mit welcher Begründung, wenn ich bitten darf!?", entgegnete er: "Madame, seien Sie versichert, dass ich durchaus in der Lage bin, eine Begründung zu finden, die auch der genauen Betrachtung selbst durch den Patrizier, Lord Vetinati, standhalten wird. Soviel also dazu. Und was Sie, mein Herr", er richtete nun das Wort an Herrn Grobhelm, "angeht, so gilt für sie dasselbe." Und nach einer kurzen Pause ergänzte er: "Und du, junge Dame, hast der Wache nun lange genug auf der Nase herumgetanzt und meine Geduld ist am Ende. Solltest du mit deinen Zickerein weiter mache, dann darf sich dein kleiner Bruder eine Bestrafung ausdenken." Befriedigt reagierte er den Schrecken des einen und die Freude des anderen Kindes. "Und wenn du nicht artig bist, Jonny Grobhelm, dann darf Laurenzia sich etwas für dich ausdenken!", stellte er das Gleichgewicht des Schreckens wieder her. Dann holte er mit einer fließenden Bewegung zwei Vierteldollar aus seinem Umhang. "Solltet ihr allerdings wirklich artig gewesen sein, so bekommt jeder von euch den hier und der nette, schwarze Herr da draußen, der euch hergebracht hat, zeigt euch den nächsten Bonbonladen und dort", damit hingen die beiden Kinder atemlos an seinen Lippen, "dürft ihr ihn ganz alleine ausgeben."
In der Hoffnung, damit allen Eventualitäten vorgebeugt zu habe, beendete der Oberleutnant seinen kurzen Vortrag.

Die nun folgende Befragung der Anwesenden verlief in der Anfangsphase ohne größere Störungen. Die Wächter erfuhren, dass die Frau vom Dachboden Knofiliata Tick hieß und aus demselben Dorf in Omnien wie Fred Grobhelm stammte. Dessen Eltern waren nach Ankh-Morpork gezogen, als er zwei Jahre alt war. Die Großeltern von Frau Tia Grobhelm (geb. Notbad) stammten ebenfalls aus Omnien - allerdings aus jeweils anderen Dörfern - und sie selber war ebenso wie bereits schon ihre Eltern in Ankh-Morpork geboren. Da das Dorf aus dem die Familien Grobhelm und Tick stammten, auf einer winzigen, felsigen Halbinsel im Meer lag, waren dort - mehr oder weniger - alle miteinander verwandt, weswegen das Eruieren des Verwandtschaftsgrades von Knofiliata und Fred nach zehn Minuten im allgemeinen Einvernehmen ergebnislos abgebrochen wurde. Fred und Tia hatten sich in der Postkutsche auf dem Weg nach Omnien kennen gelernt, wohin der junge Mann im Alter von 21 Jahren von seinen Eltern geschickt worden war, um im Haus seiner Großeltern seine Verwandte Dementia Tick zu heiraten - denn zum einen entsprach die Wahl der Braut aus dem Kreise der Verwandten den Gepflogenheiten seines Dorfes und zum anderen die Wahl des Ortes der Hochzeitsfeierlichkeiten den allgemeinen Sitten in diesem Teil Omniens. Tia hingegen wurde auf Anraten ihrer Großmutter in deren Heimatdorf in Omnien geschickt, um eine allein stehende und wohlhabende erkrankte Cousine zu pflegen, wobei sie hoffte, dass sich so eine reiche Erbschaft für ihre Enkelin ergeben würde. Die Planungen beider sich bis dato völlig unbekannten Familien erhielten jedoch einen jähen Dämpfer, als eine stürmischen Brautwerbung (23 Stunden) eine kurze Verlobungsphase (1 Stunde) und dann eine - erst einmal vor Om - geschlossene und während eines Pferdewechsels rechtsgültig vollzogene Ehe einleitete, die von den beiden Beteiligten als absolut bindend betrachtet wurde und dazu führte, dass Fred Grobhelm einen Tag später seinen Großeltern seine Frau Tia vorstellte und vorschlug, die geplante Hochzeitsfeier doch einfach als nachträgliche Hochzeitsfeier stattfinden zu lassen. Waren seine Großeltern schon erbost, so war das nichts gegen das Wüten der Verschmähten, die in den zwei Tagen vor dem Fest durch Einsperren daran gehindert werden musste, ihren Zorn auf die beiden zu entladen, was Fred seiner jungen Frau allerdings verschwieg, um nicht noch mehr Unruhe in die ganze Situation zu bringen. Denn seiner Darstellung nach war die Sache mit der Hochzeit nur so eine vage Planung am Horizont gewesen, nichts verbindliches, nichts verpflichtendes und von ihm aus auch nichts gewolltes; Worte, die seine Angebetete ihm in der Postkutsche (wider besseres Wissens) nur zu gerne geglaubt hatte. Zur Hochzeit hatte man dann die junge Dementia, die behauptete, sich wieder gefangen zu haben, auch zum Fest geholt, wo sie - anfänglich stets am Arm ihrer Mutter - lächelnd erschienen und auch der Braut vorgestellt worden war. In dieser Situation waren nun Tia Grobhelm, Knofiliata Tick, die Mutter der verschmähten jungen Frau, und Dementia Tick einander zum ersten Mal begegnet.
Die Schilderung des Geschehens auf der Feier geriet nicht mehr ganz so manierlich, da die Sichtweisen naturgemäß differierten. Am einfachsten war dabei die Erzählung Fred Grobhelms: irgendwann im für den Bräutigam auf einer Dorfhochzeit in Omnien obligaten Vollrausch sei er in das Gekeife dreier Frauenspersonen geraten, von denen die eine sich als seine Frau, die andere als seine Ex-Verlobte und die dritte sich als seine Ex-Beinahe-Schwiegemutter (oder so) entpuppte, während das Dorf in hämischer Einigkeit die Auseinandersetzung nicht nur verfolgte, sondern durch stichelnde Bemerkungen gegen alle Beteiligten noch anheizte.
Für Frau Grobhelm war da ein billiges Fl...- äh - Frauenzimmer, das versucht, sich ihren Mann unter den Nagel zu reißen, weil sie sonst als alte Jungfer enden wird und für Frau Tick war es die herzergreifende Geschichte, wie ein Mann aus den Fängen der falschen Frau in die Arm der vom Schicksal bestimmten Geliebten zurück findet. Auf jeden Fall waren die Grobhelms noch in derselben Nacht abgereist und Fred hatte den Kontakt zu seiner Familie in Omnien erst einmal abgebrochen. Vier Wochen später schmissen seine Eltern ihn aus dem Haus, als er gerade in Ankh-Morpork angekommen war, weil der Brief seines Großvaters mit der ausführlichen Schilderung der Schande, die er über die Familie gebracht habe, die Stadt schneller erreicht hatte. Auch die Rückkehr seiner Eltern nach Omnien hatte an dieser Haltung nichts geändert. Tias Eltern hatten zuerst versucht, ihrer Tochter die Sache mit der Ehe auszureden, bissen dabei aber auf Granit und ließen es einfach auf sich beruhen.
"Und wann hat sich ihre - sagen wir mal - Cousine wieder bei ihnen gemeldet?", fragte der Oberleutnant ziemlich überraschend und direkt nun Fred Grobhelm. Dieser wurde unter dem strengen Blick seiner Frau knallrot und nuschelte etwas, was wie: "Vovieahn" "Wie bitte!?", fragte sie spitz.
"Vor vier Jahren kam ein Brief. Er war an meine Arbeitsstelle gerichtet. Danach haben wir uns hin- und wieder geschrieben. Es ist immerhin meine Familie", seufzte der Mann resigniert. "Nur kurze Briefe zu den wichtigen Feiertagen. Bruthas Erkenntnis, Ossorys Geburtstag, Fruni Einsegnung, Cenas Auferstehung, Wallspors Bekehrung, Abbys... "
"Mehr als dreißig mal im Jahr?", fauchte seine Frau.
Der Mann wand sich auf seinem Stuhl. "Ich wollte doch nicht unhöflich sein. Und ich dachte, dass sich dann meine Eltern vielleicht wieder beruhigen - immerhin sind sie auch Jonnys und Lauras Großeltern."
Ein deutliches Räuspern Pismires galt als Warnung. "Das tut jetzt erst einmal nichts zur Sache. Wer kam auf die Idee mit Ankh-Morpork?"
"Das ging von Dementia aus. Sie wollte unbedingt auch aus dem Dorf raus. Mal was anderes als die Nachbar sehen. Und Ankh-Morpork hatte sie schon als Kind fasziniert. Ich hab ihr ein bisschen von der Stadt geschrieben, wie wir leben und so. Sie hat sich so für alles interessiert - wie ich lebe, was ich mache, wo ich arbeite, wie wir wohnen und so. Und über dich", Grobhelm wandte sich seiner Frau zu, "hat sie nie ein schlechtes Wort geäußert. Sich immer nach dir und den Kindern erkundigt und so." Seine Frau schnaubte verächtlich.
"Und dann?", fragte Pismire nach.
"Woher sollte ich denn wissen, dass die eines Tages mir nichts, dir nichts mit ihrer Mutter im Schlepptau vor der Tür steht und bei uns einziehen will, weil wir ja so viel Platz haben!? So völlig ohne Vorwarnung. Tia ist ausgerastet!"
"Bin ich nicht!"
"Bist du wohl", kam es von Frau Tick. "Du hast rumgebrüllt, dass deine eigenen Kinder aus dem Bett gefallen sind!"
"Lass meine Kinder aus dem Spiel und halt dich da raus, du ...!"
"Aber Tia!"
"Klappe, mein Lieber, mit dir rede ich später!"

Nicht nur Hatscha war aufgefallen, dass in dieser Version zwei Personen beziehungsweise Wesen fehlten.
"Wie sie durch Stadttor haben bekommen großes ...", grummelte Scoglio nicht gerade leise, bis ihn eine schnelle Geste des Olt zum Verstummen brachte. Ein unauffälliges Schütteln des Kopfes deutet an, dass eine Unterbrechung zum derzeitigen Zeitpunkt nicht gewünscht war.
"Tia hat darauf bestanden, dass unser Haus zu klein ist und sie nicht bei uns bleiben können - nicht einmal für eine Nacht,", fuhr Grobhelm leise fort. "Also habe ich sie - provisorisch, versteht sich - bei Nachbarn untergebracht und mir den Kopf über eine Lösung zerbrochen. Und da bin ich auf die Idee mit dem Dachboden gekommen. Wir brauchen ihn nicht, da er zu staubig zum Wäscheaufhängen ist und Tia die Vorräte lieber in der Speisekammer lagert. Später vielleicht einmal wollte ich ihn ausbauen - vielleicht für die Kinder oder so." Er brach ab.
"Und da hast du deine Verwandte erst einmal dort untergebracht?", erkundigte sich Pismire.
"Ja, als Tia am nächsten Tag nicht da war, habe ich sie unauffällig nach oben gebracht. Ich habe ihnen eingeschärft, keinen Lärm zu machen. Und außerdem hat der Boden eine Außenluke, in die man durch eine provisorische Leite an der hinteren Außenwand einsteigen kann. Tia ist oft tagsüber unterwegs - sie hilft ihren Eltern im Laden aus oder ihrer Großmutter, die schon ein wenig klapprig ist. Und es war ja auch nur als Provisorium gedacht - jedenfalls von mir aus. Wer hätte schon gedacht ..."
Aber da unterbrach ihn der Oberleutnant. "Dazu später. Ich würde mich jetzt gerne mit ein, zwei Fragen an Laurenzia und Jonny richten. Kommt doch einmal her ihr beiden. Ihr erinnert euch noch an unseren kleinen Handel - oder?
Die beiden nickten, rutschten von den Knien ihres Vaters, wo sie dem bisherigen Schauspiel mit großen Augen gefolgt waren und kamen vor den Tisch hinter dem Pismire saß.
"Gut. Wenn ihr meine Fragen wahrheitsgemäß beantwortet habt, dann dürft ihr gehen - mit eurer Belohnung." Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er an Laurenzia gerichtet fort: "Wann hast du gemerkt, dass da jemand auf dem Dachboden gewohnt hat?"
"Pfft. Am nächsten Morgen natürlich. Ich kann ziemlich gut hören, musst du wissen - wenn ich will! Und ich hab mitgekommen, dass Papi was damit zu tun hatte. Also bin ich hinterher ihm her geschlichen um herauszubekommen, was da los ist. Ich bin manchmal ein wenig zu neugierig, musst du wissen."
"Meine Güte, wer hätte das gedacht", entfuhr es dem alten Mann.
"Und dann hat Papi mir erzählt, dass das Verwandte von ihm aus seinem Dorf in Omnien sind, wir aber Mami nichts davon sagen, dass sie jetzt auf dem Dachboden wohnen, weil Mami sich sonst wieder aufregt, und das hatte ich ja schon am Abend vorher mitgekommen. Und wenn er erst einmal länger mir Mami hätte sprechen können, dann würde sie sich nicht mehr aufregen - jedenfalls nicht mehr so sehr. Und außerdem sei das doch ein lustiges Spiel, wie Verstecken. Und das fand ich auch."
Jonny hatte man bei dem lustigen Spiel außen vor gelassen.
Er hatte zwar mitbekommen, dass Laurenzia sich manchmal versteckte, aber wo - das konnte er nicht herausbekommen. Deswegen habe er manchmal - wie er zugeben musste - eine Mordswut auf seine blöde Schwester gehabt und ihr Streiche gespielt. Aber nicht zu oft - man habe ja nicht wissen können, ob ihre komische Göttin, die auf ihre Bitten hin furchtbare Strafen verhängen könnte, ein Hirngespinst sei oder nicht.
"Wie heißt denn diese Göttin und woher kennst sie denn?", fragte Pismire gespannt.
"Es ist Regula Scribens", intonierte das kleine Mädchen. "Die Allmutter der Regeln und mächtigste Göttin auf der ganzen Welt. Und wenn man ganz, ganz fest an sie glaubt, dann straft sie alle Feinde ihrer Anhängerinnen. Tante Demi konnte sogar direkt mit ihr reden!"
"Ja, aber was sagt denn Om dazu?", wollte Pismire wissen. "Sollst du denn keine Götter und Göttinnen neben ihm haben?"
"Om ist tot!", entfuhr es der Kleinen, die sich ob ihrer Kühnheit im Nachschluss danach sofort selbst den Mund zuhielt, während drei Erwachsenen nach Luft schnappten und ihr Bruder unwillkürlich: "Lüge! Dafür wirst du in der Hölle braten, du Ketzerin!", rief.
Die Kleine schaute mit hochrotem Kopf nach unten und murmelte: "Ist wohl wahr!"
"Kannst du mir auch verraten, woher du das weißt?", fragte de Schamane freundlich. "Wenn du willst, kannst du es mir auch ins Ohr flüstern - dann hören es nicht alle."
Auf dieses Angebot hin umrundete Laurenzia den Tisch und begann aufgeregt, dem alten Mann etwas ins Ohr zu tuscheln. Dieser zog erst nur erstaunt die Augenbrauen hoch. "Du meine Güte, das hat sie?", murmelte er auf eine besonders aufgeregt geflüsterten Satz. "Und wirklich nichts?". "Was du nicht sagst", beschloss er seine Kommentare.
"Doch, genau so war's", bestätigte Laurenzia, kreuzte zur Bekräftigung die Finger der rechten Hand und spukte unter "Ich schwöre!" auf den Boden. "Bloß geglaubt hat mit keiner - nicht mal mein Lehrer. Herr Lozzi, der doch sonst immer von Göttern und ihrem Wirken erzählt hat", murrte sie.
Aber nicht einmal nach der Sache mit Herrn Schlämmkreide, Frau Turnbeutel und Herrn Zahlrübe sei der zur Vernunft gekommen.
Es stellte sich heraus, das Laurenzia bei allen dreien in kleinen Hausarbeits- und Übungskreisen gewesen war, aber sich auch mit ihnen überworfen hatte, weil sie nicht in der Lage gewesen seien, aufgestellte Regeln auch einzuhalten - ein Verhalten, das sie zornig gemacht hatte. So sei ein Junge nur deswegen gelobt worden, weil er eine Aufgabe nicht ganz so falsch gelöst habe, wie sonst. Ob das denn ein Grund zur Freude sei, habe sie wissen wollen. Denn Ziel sei es doch, die Aufgaben richtig zu lösen, und nicht nur so etwas Ähnliches wie ein richtiges Ergebnis zu habe. Die Göttin habe das ebenfalls nicht gutheißen können. Allerdings hätte sie -Laurenzia - sich auch eher so etwas wie einen ordentlichen Hexenschuss vorstellen können, entfuhr es ihr dann kleinlaut. Des wegen habe sie ja auch mit Herrn Lozzi darüber geredet, aber der habe sie wohl nicht ernst genommen.
Pismire brach an diesem Zeitpunkt die Erzählung ab.
"Weißt du, Laurenzia, mehr darüber will ich zurzeit nicht wissen. Ich denke, du und Jonny, ihr habt euch eure Belohnung redlich verdient." Mit diesen Worten reichte er den beiden das Geld. Dann rief er Hegelkant und entließ seine beiden Zeugen.
Als die Tür geschossen war, wandte er sich mit dem Satz: "Und nun kommen wir zu dem Teil, bei des es besser ist, wenn die Kinder nicht mehr im Raum sind!" an Frau Tick.

31.07.2008 16: 29

Pismire

"Ich will zuerst einmal wissen, was mit meiner Tochter passiert ist", schnappte Frau Tick zurück.
"Und ich vorher möchte wissen, was es hiermit auf sich hat", entgegnete der Schamane und zog eine kleine, gelbe Gummiente mit Matrosenmütze und ein rot-weiß kariertes Stoffhäschen aus seinem Umhang und setzte beides vor sich auf den Tisch. "Und mehr über das offensichtlich ungewöhnliche Talent ihrer Tochter - falls sie das war."
"Was soll das heißen", schnaubte die Alte und äffte seinen fragenden Tonfall nach, "falls sie das war!? Was soll sie denn sonst gewesen sein? Ein Phantom?"
"Nun, zumindest jemand mit ungewöhnlichen Fähigkeiten. Und was ist jetzt mit diesen beiden?"
"Das Stofftier hat sie sich selber mit drei oder vier Jahren genäht und es immer bei sich gehabt. die Gummiente ist das einzige, was sie von ihrem Vater hatte." Die alte Frau seufzte, lehnte sich zurück und strich sich über die Augen. "Am besten wird es sein, wenn ich die Geschichte von Dementia von Anfang an erzähle."
Knofiliata Grobhelm stammte aus Ne-Abbys, einen Dorf mit rund 300 Einwohnern am Rundmeer auf einer felsigen Halbinsel gelegen und war nach ihre eigenen Schätzungen zwischen 60 und 63 Jahren alt. Mit 17 Jahren heiratete sie einen Verwandten und gleichzeitig ihre große Jugendliebe, Bledios Tick, der Fischer und ein Jahr älter als sie war. Mit ihm hatte sie im Laufe der acht Jahre, in denen die Ehe bestand, sechs Kinder von denen zwei Töchter überlebten. Als sie 25 Jahre alt war blieb Bledios auf dem Meer - wie man so sagte - nachdem sein Schiff nach einen schweren Sturm nicht mehr zurück gekehrt war und ließ sie mit zwei Töchtern allein zurück.
Die nächsten Jahre lebte Knofiliata also als tugendsame omnianische Witwe: Sie zieht ihre Mädchen groß, baut Gemüse an, verdient sich ein wenig zusätzliches Geld mit dem Flicken von Netzen und erlebt nichts Aufregendes. Auf einem Dorffest kommen sich die mittlerweile 36 Jahre alte Witwe und der erst zwanzigjährige Levantino Bonk näher - zu nahe, um genau zu sein - und es beginnt eine stürmische, vor dem ganzen Dorf streng geheim gehaltenen Affäre, die erst eineinhalb Jahre später endet, als Knofiliata schwanger wird und ihren Geliebten drängt, Hals-über-Kopf das Dorf zu verlassen, bevor die Sache auffliegt. Als die Schwangerschaft so weit fortgeschritten ist, dass Knofiliata fürchten muss, enttarnt zu werden, begibt sie sich mit ihren beiden Töchtern Remulata und Brataia, die mittlerweile 18 beziehungsweise 14 Jahre alt sind, auf eine angebliche Pilgerreise nach Kom - in Wirklichkeit aber in eine einsame Hütte im dem Bergen zwei gute Tagesmärsche vom Dorf entfernt, wo sie die kommenden fünf Monate notdürftig überbrückt und in einer stürmischen Sektobenacht durch ihre älteste Tochter, Remulata, von einem kleinen Mädchen entbunden wird.
Überschattet wurde dieser Tag dadurch, dass Brataia auf dem Weg zum Bach zum Wasserholen so schwer gestürzt war, dass sie an den erlittenen Kopfverletzungen drei Tage später starb. Für Remulata war ihre neue Halbschwester schuld am Tode ihrer geliebten kleinen Brataia, was das Verhältnis der beiden von Anfang an überschattete.
Als zwei Wochen später Knofiliata ohne ihre Brataia aber dafür mit einer neuen Tochter auf dem Arm auftauchte und erzählte, dass ihre Tochter auf der langen Pilgerfahrt an einem Fieber erkrankt und gestorben war, glaubte ihr kein Mensch, sondern alle zählten flugs zwei und zwei zu einem falschen Ergebnis zusammen und spekulierten, dass der junge Bonk, der vor fünf Monaten aus heiterem Himmel nach Ankh-Morpork verschwunden war, (mindestens) seine Hand im Spiel gehabt hatte und die kleine Brataia also im Kindbett gestorben sei, und dass Knofiliata aus guten Gründen und als gute Mutter ihrer toten Tochter die posthume Schande ersparen wolle und ihre Enkelin als ihre Tochter ausgab.

"Du kannst dir vorstellen, was das für ein Getratsche gab", meinte Knofiliata trocken. "Das war das Thema über Tage, Monate und Jahre. Und wo immer meine kleine Dementia auftauchte, wurde mächtig getuschelt. Nach einer Weile habe ich einfach aufgehört, das Ganze jedes mal zu dementieren - und außerdem haben sie sich ja auch häufig nicht getraut, mir das ganze Lügenmärchen ins Gesicht zu sagen. Remulata hat es dann nicht mehr lange zu Hause ausgehalten. Sie war ja schon erwachsen und hat die nächstbeste Gelegenheit genutzt, um von mir weg zu kommen. Sie hat einen fahrenden Händler geheiratete - der hat sie auch trotzt der Geschichte und ohne Mitgift genommen." Sie seufzte. "Mittlerweile hatte sie natürlich angefangen, mir die Schuld an Brataias Tod zu geben - und irgendwie fühlte ich mich auch schuldig. Sie haben das Fahrgeschäft schon vor fünfzehn Jahren aufgegeben und leben in der Nähe von Gennua. Remulata schreibt mir hin und wieder - aber unser gutes Verhältnis hatten wir damals verloren." Sie seufzte und machte eine kurze Pause.
"In der Zwischenzeit wuchs Dementia heran. Sie war ein eigenartiges Kind - von Anfang an. Noch bevor sie ein halbes Jahr alt war, konnte sie schon die ersten Wörter sprechen - und nicht nur lallen. Bald danach ganze Sätze, und dann begann sie, Geschichten zu erzählen - und das so real, so wirklich, dass man meinen konnte, man sähe das, was sie sich ausdachte, vor sich. Am Anfang waren es Märchen - heidnisches Zeug über ferne Länder und phantastische Geschöpfe. Ich weiß gar nicht, wo sie das her hatte - aber schön waren sie schon. Ich habe ihr dann aus den heiligen Schriften erzählt, und Pater Pregorian hat ihr aus den Büchern Ossorys vorgelesen. Ab da gehörten die Geschichten über die Märtyrer des Glaubens zu ihren Lieblingserzählungen. Und auch die konnte man so plastisch, so lebendig vor sich sehen, wenn sie sie erzählte, dass die Leute fast meinten, das Fleisch der Heiligen, wenn sie von Oms Feinden geröstet wurden, riechen können."
In ihrem Eifer der Erzählung bemerkte sie nicht, dass die Wächter angeekelt schauten und Septimus lauthals verkündetet: "Das erzählt man doch keinem Kind - das ist doch voll krank und widerlich!"
Unbeirrt fuhr sie fort: "Aber dabei blieb es nicht. Als sie ungefähr sieben oder acht Jahre alt war, begannen ihre Geschichten sich erneut zu verändern. Jetzt handelten sie nur noch von schrecklichen Verbrechen und all solch einem Zeugs. Und das schlimmste war - es waren alles Dinge, die im Verlauf der Geschichte von Ne-Abyssos sich entweder wirklich zugetragen hatten oder behauptet wurden. Ich habe nie herausbekommen, woher sie diese Geschichten hatte - da kam aller Schmutz und alle Sündigkeit und Verderbtheit der Welt vor - Inzest war da noch harmlos. Und auch diese Geschichten wirkten auf uns alle, als wären sie wirklich. Es passierten grauenvolle und unheimliche Dinge."
Als sie bemerkte, dass die meisten sie voller Unverständnis anblickten, meinte sie: "Am besten erzähle ich euch mal die Geschichte, was mit meinem Bruder Dona passiert ist. Dona war drei Jahre älter als ich und lebte als Löffelschnitzer im Dorf. Er war - sagen wir es mal so - ein Mann von einfacher Gemütsart. Schüsseln zum Beispiel wären zu kompliziert für ihn gewesen - oder tiefe Teller. Er und seine Frau - die als Weberin dafür sorgte, dass die beiden nicht schlecht lebten - hatten zwei Söhne. Eine von Donas Eigenarten war, dass er nicht nur kurzsichtig wir eine Fledermaus war - nein, Nachts konnte er auch so gut sehen wie eine Eule bei Tag. Und das ganze Dorf wusste das - das war ein ständiger Scherz auf Festen - Dona in der Nacht noch mal zum Bierholen zu schicken und Wetten abschließen, wann er vor die nächste Wand laufen würde. Eines Tages erzählt Dementia in der Kinderstunde bei Pater Pregorian, ihr Onkel Dona könne sich in ein fliegendes Tier verwandeln und habe ihr des Nachts Blut aus dem Hals gesaugt, man könne das Mal noch sehen. Und er habe auch schon ganz vielen anderen das Blut ausgesaugt. Die Kinder sind in Panik zu ihren Eltern gerannt. Die sind wiederum zu Pater Pregorian, und vor dem Kirchenrat und den Gemeindeältesten hat Dementia die ganze Sache noch einmal erzählt. Und eine halbe Stunde später steht ein spontaner Dorfmob - alle mit Dona verwandt - vor der Tür zu seinem Haus und hat Fackeln, Forken und Pflöcke dabei, und in der ersten Reihe stehen seine beiden halberwachsenen Söhne und seine Frau und versuchen, den vermeintlichen Vampir zu lynchen."
"Du meinst, dass ihr beinahe einen Mann gelyncht habt - nur auf die unplausible Aussage eine kleinen Mädchens hin, das darüber hinaus dafür bekannt war, frei erfundenen Geschichten ausgesprochen realistisch zu erzählen?", fragte Mina ungläubig.
"Wer spricht von beinahe?", meinte Frau Tick bitter. "Sie haben Dona gelyncht. Erst hinterher kamen sie wieder zur Vernunft. Danach wollten sie Dementia lynchen."
"Ah das Dorf hatte eine neues Hobby gefunden, ne!? Wen lynchen wir den heute!", schnaubte Mina.
"Hast du denn nie daran gedacht, dich an eine Hexe deines Vertrauens zu wenden?", fragte Pismire und wechselte so das Thema.
"Was!? An eine dieser verworfenen, heidnischen alten Vetteln, die nackt in unzüchtigen Ritualen bei Vollmond verderbte Dämonen beschwören und Om ein Greuel sind!?", zischte Frau Tick.
"Nein, an eine kompetente Wissende, die in der Lage gewesen wäre, Dementias Kräfte zu verstehen und ihr die Möglichkeit zu geben, mit ihnen fertig zu werden - selbst dann, wenn sie in einer Umwelt aufwächst, die sie genau wegen dieser ungewöhnlichen Kräfte als ein Monstrum verteufelt. Und darüber hinaus kenne ich keine Hexe, die selbst in einer warmen Sommernacht bei Neumond ohne ihre Flanellunterwäsche aus dem Haus geht - nicht einmal die jungen."
"Die Frau war eine Hexe?", fragte Mimosa erstaunt.
"In gewisser Weise - und vor allem: eine ohne Ausbildung ihrer Kräfte", erläuterte der Schamane. Und als er die erstaunten Blicke im Raum bemerkte, erläuterte er: "Ich vermute, dass Dementia Tick mit einer außergewöhnlichen Begabung für das Gedankenlesen geboren wurde. Daher ihre frühe Entwicklung der Sprache - sie hatte sie von Anfang an in ihrem Kopf. Allerdings fehlte ihr tragischerweise die natürliche Mauer. Die meisten Wesen, die mit dieser Fähigkeit geboren werden - oder sie auf dem einen oder anderen Weg später erwerben - haben eine starke Mauer im Kopf - etwas, was von Anfang an verhindert, dass die fremden Gedanken zu ihnen gelangen. Mauer ist vielleicht das falsche Wort - es ist auf jeden Fall ein mentale Barriere. Normalerweise muss man in der Ausbildung lernen, diese Barriere zu überschreiten oder abzubauen, um die Gedanken anderer spüren zu können. Unausgebildete schaffen das manchmal unwillkürlich in Situationen mit enormem psychische oder physischen Stress, also oft auch dann, wenn starke Emotionen beteiligt sind. Ganz selten aber hört man davon, dass jemand ohne die Barriere geboren wird. Es sind bedauernswerte Geschöpfe, vor allem dann, wenn sie ein einem Milieu aufwachsen, dass ihnen mit dieser Begabung, die sich hier als ein Fluch erweist, nicht beisteht. Hier hilft es nur, so früh wie möglich mit einer Ausbildung zu beginnen - sonst passiert das, was ihr in eurem Dorf erlebt hat: Dementia saugte nicht nur alle eure Gedanken auf und formte sie zu Erzählungen um, sie sorgte auch umgekehrt dafür, das das Gehörte für euch real wurde. Und sie suchte das, was das meiste emotionale Potential hatte. Und was ist in einer kleinen, omnianischen Gemeinschaft, wo jeder jeden kennt, interessanter, als Leidenschaften und Verbrechen. Ich vermute, dass mit zunehmendem Alter der Aspekt der Leidenschaften in den Vordergrund rückte - ist es nicht so, Frau Tick?"
Diese druckste ein wenig herum und meinte dann: "Es tut weh, das über die eigene Tochter sagen zu müssen, aber da waren Geschichten, die waren so unzüchtig und voller Worte, von denen ich gar nicht wusste, woher sie sie kennen sollte, da habe ich sie einfach für Tage in den Keller gesperrt. Aber es hat alles nichts genutzt."
"Nein, wie auch - die Geschichten lagen ja sozusagen in der Luft. Und jemanden in einen Keller zu sperren ist in neunundneunzig von hundert Fällen gar keine oder die schlechteste Lösung. Deine Tochter war nicht sexbesessen, sie hat nur ein ganzes Dorf gespiegelt, und da kommt an solchen Gedanken einiges zusammen."
"Und mit diesem, diesem Monstrum wolltet ihr mich also verheiraten?", entfuhr es Fred Grobhelm, der bisher von allen unbeachtet weiter in der Ecke gesessen hatte.
"Der Dorfrat hat verlangte, dass Dementia weg muss - wenn ich sie nicht kontrollieren kann. Und da dachten ich, Ankh-Morpork wäre eine einfache Lösung", murmelte Knofiliata traurig. "Ich hoffte, dass sie woanders auf andere Gedanken kommen würde."
"Als Vater eines angeblichen 'Monstrums' wäre ich mit diesem Wort sehr, sehr vorsichtig, Herr Grobhelm", entgegnete der Oberleutnant kühl. "Über das Talent deiner Tochter müssen wir im Anschluss hieran noch reden." Und mit einer energischen Geste schnitt er die Proteste von Laurenzias Eltern ab. "In Ne-Abyssos war Dementia nur eine junge Frau, die die Gedanken ihrer Umgebung wahllos spiegelte und unbewusst manipulierte. Die Gedanken deiner Tochter haben aus ihr eine Göttin gemacht, die mindestens fünf Menschen getötet hat - drei davon, weil deine Tochter mit deren Verhalten nicht ganz einverstanden war."

02.08.2008 12: 47

Pismire

"Wie alt war sie, als diese Hochzeit geplant wurde?", fragte Pismire nach einer kleinen Pause um das Gespräch wieder in Gang zu bringen.
"Sechzehn. Sie war sechzehn. Sie hatte sich wohl auch ein wenig in die Ikonographie von Fred verguckt. Und wahrscheinlich hoffte sie auch, dass sie in Ankh-Morpork einen Neuanfang machen konnte. Aber da musste ja diese, dieses Weibsbild", sie spuckte den Begriff fast aus, "dazwischen kommen."
"Nenn du meine Frau nicht so!"
"Hast du eine Ahnung, was danach passierte? Hast du auch nur einen Augenblick daran gedacht, was dein Handeln für Folgen haben könnte? Hast du überhaupt gedacht?", fauchte die Alte. "Du warst so etwas wie ein letzter Notanker, und dann kommst ins Dorf stolziert mit einer Frau an deiner Seite und ohne auch nur einen Hauch von Ahnung, was du da angerichtet hast."
"Aber ich hatte doch keine Ahnung", begehrte Grobschmied auf, während seine Frau die beiden Kontrahenten fassungslos anstarrte.
"Hört auf, euch aufzuspielen und rumzuzanken", ging sie dazwischen. "Hast du denn nichts verstanden, Mann? Auch wir tragen unseren Teil der Verantwortung für das, was da passiert ist - und damit meine ich nicht nur Laurenzia. Wenigstens weiß ich jetzt, was wirklich mit ihr los ist: sie ist eine Hexe. Und das ist doch schon mal beruhigend - ich hab mir ganz andere Sorgen gemacht."
"Bist du wahnsinnig, du Ketzerin? Mein Kind ist keine dieser, dieser Perversionen!"
Bevor nun der Streit der Grobhelms eskalierte und in die unvermeidliche Richtung "Von welcher Seite hat sie denn diese Perversion geerbt, hä!?" ging, schritt der Oberleutnant ein und sorgte für Ruhe.
"Um noch einmal auf diese beiden zurück zu kommen", er deutete auf das ramponierte Stoffhäschen und die matrosenbemützte Gummiente, die unbeachtet auf dem Tisch standen, "wüsste ich gerne, was es mit ihnen auf sich hat."
Sie waren eine Art geistiger Notanker für Dementia gewesen. Das Stoffhäschen, das normalerweise auf den Namen "Herr Bo" hörte, hatte sie sich selbst aus einem zerrisenen Geschirrhandtuch genäht. Es hatte sie überall hin begleitete und war ihr ständiger Gesprächspartner geworden, vor allem dann, wenn sie weder einmal für längere Zeit in den Keller gesperrt worden war. Frau Tick hatte manchmal den Eindruck gehabt, das Ding sei lebendig - aber natürlich war das nur Einbildung. Die Gummiente, die sie eines Tages im Keller gefunden hatte und die Frau Tick als Eigentum ihres Mannes erkannt und dem Mädchen gegeben hatte, hieß ursprünglich "Fra" und wurde zu all den Familienmitgliedern, die Dementia fehlten.
"Als sie älter wurde, war sie von der Idee ihrer Abstammung besessen. Sie muss das ganze Getuschel im Dorf mitbekommen haben und hat dann irgendwann darauf bestanden, mich Gran'Ma Tick zu nennen - sie hat mir nicht geglaubt, dass ich ihre Mutter war, zumal ich ihr ja auch nicht verraten habe, wer ihr Vater ist. Als sie erfahren hat, dass mein Mann schon viele Jahre vor ihrer Geburt verschwunden ist, sind ihre Spekulationen immer abenteuerlicher geworden." Sie verstummte.
"Und auf der Grundlage der Gedanken, die im Dorf gedacht wurden und in ihren Kopf eindrangen und sich dort einnisteten, konnte sie natürlich nur die dunkelsten und schlimmsten Geheimnisse vermuten", ergänzte der Schamane.
Aber erst in Ankh-Morpork auf dem zugigen Dachboden vollzog sich die Wandlung zweier Frauen und zweier Spielzeuge zu dem Quartett, dass die Wache nun beschäftigt hatte: Dementia mutierte zu Regula Scribens, Herr Bo wuchs zum Orthogra-Vieh heran, dem Rächer seiner Göttin und Vollstrecker ihrer Wünsche, ihrem über alles geliebten Kind und ihrem Engel, über dessen Abstammung die abenteuerlichsten Hypothesen kursierte, [14], "Fra" führte als Seemann Tick ein ruhiges Leben in meist völliger Bewusstlosigkeit und aus Frau Tick war endgültig Gran'Ma Tick geworden. Und das alles mit Hilfe der mentalen Kraft, die von Laurenzia stammte, deren Glauben an Offler sich gerade in einer existenziellen Krise befand, als sie feststellen musste, dass die Welt weder gerecht noch in Ordnung war.
Zu Anfang war das alles ein aufregendes Spiel gewesen - dem Papi helfen, ein Erwachsenengeheimnis vor allen anderen zu bewahren, neue Verwandte kennen zu lernen, über die bisher nicht mit einer Silbe gesprochen worden war, und dann den herrlichen und abenteuerlichen Erzählungen der neune Freundin, die schon so groß war, zu lauschen und mit ihr zusammen die Geschichten weiter zu spinnen. Und zur Belohnung eine neue Göttin zu haben, die sich wirklich um einen kümmerte, und die in einer chaotischen Welt unumstößliche Regeln forderte.
"Das ist doch Blödsinn", entfuhr es Mimosa ungläubig. "Ihr wollt mir doch nicht erzählen, dass ein lebendig gewordenes Stoffhäschen mit Septimus unter dem Arm auf den Kunstturm geklettert ist. So ein Mumpitz!" Und an die alte Frau gewandt stieß sie hervor: "Du kannst mir nicht erzählen, dass du meinen Kollegen einem Stoffhäschen vorgeworfen hast. Du hast ihn dem Biest regelrecht geopfert. Ich glaube nicht, dass du einem Stofftier einen Gnom entgegen hältst und das mit den Worten: "Du hast Hunger? Da! Nimm das! Ich opfere ihn dir!". Das ist doch gelogen!"
"Und mir hat es erzählt, dass es als Kind nie mit Puppen spielen durfte", ließ sich jetzt Septimus Ebel vernehmen. "Wie soll das denn stimmen, wenn ich in Wirklichkeit in den Klauen eines Stoffhäschens war?"
Gespannt blicken die Wächter zu Frau Tick und warteten auf eine Erklärung.
"Ich habe auch keine bessere Erklärung", entgegnete Frau Tick grimmig. "Du hast das nicht erlebt - Ich weiß, dass ich auf dem Dachboden von meinem Verwanden gesteckt habe, aber gleichzeitig war ich in Würdentracht. Ich sah, wie meine Tochter sich in eine Göttin verwandelte. Ich war bei ihrem Streit mit Offler dabei und habe erlebt, wie er sie reingelegt hat. Genau so war es mit Herrn Bo. Er war das unglückliche, heimlich aufgezogene und ungestaltete Kind einer Gottheit. Und ich war traurig, weil er so häufig eingesperrt werden musste, weil er sonst eine Gefahr für sich oder andere hätte werden können. Dass ich irgendwo tief in mir drin noch - vielleicht noch - eine Ahnung hatte, dass diese Tentakel und der Pelz und die Hauer und der stinkende Atem gar nicht da waren - in dem, wo er war Augenblick wusste ich es nicht."
Nachdenklich kam es aus der Ecke, in der Bjornson saß: "Aber die Zauberer - die haben es gewusst. Deswegen haben die sich so ruhig unter den Turm gesetzt und nichts gemacht. Weil es nur ein Stoffhäschen war."
"Ja, und weil Zauberer das sehen, was wirklich da ist", ergänzte Pismire. "Sie wussten genau, dass ihnen nichts passieren kann - lediglich den Schutzschild hatten sie geschaffen, damit nicht irgendwelche herabfallenden Dinge sie beim Essen stören könnten!" Seine Stimme konnte die Wut und den Abscheu kaum verbergen.
"Und was hast du gesehen?", rutschte es Mimosa heraus. "Ups, ich meine 'tschuldigung, Sör!"
"Ich habe das gesehen, was du auch gesehen hast, Gefreite", entgegnete Pismire trocken. "Ich bin Schamane, kein Zauberer." Und sein Tonfall machte deutlich, dass hier keine weiteren Erklärungen gegeben würden.
"Aber wie konnte dann dieses Vieh seine eigene Schöpferin veschlingen - hätte es sich nicht in Luft auflösen müssen - oder so was - in genau dem Augenblick, wo Regula Scribens gestorben ist?", fragte Mina ungläubig.
"Nun, ich sagte schon, Dementia Tick war eine junge Frau mit einer weit über die normale Hexerei herausragenden, außergewöhnlichen Begabung. Sie konnte nicht nur Menschen dazu bringen, an das zu glauben, was sie sie glauben machen wollte - sie scheint selbst eine Stofffigur von ihrer eigenen Lebendigkeit überzeugt zu haben. Es sind Grenzbereiche der Magie, die ich auch nicht wirklich verstehe. Wahrscheinlich hervorgerufen durch die Kräfte, die Laurenzias Glauben zusätzlich in ihr geweckt hat." Er nachte ein kurze Pause und erklärte dann weiter: "Laurenzia hat ebenfalls eine große, mentale Kraft, die sich bei ihr - wie wir erfahren haben - auf den Glauben konzentrierte. Zuletzt auf den an Regula Scribens. Die bot sich an, weil sie den Glauben an Om schon verloren hatte."
"Pah, was für ein Unfug!", schnaubte Grobhelm. "Meine Tochter war eine überzeugte Omnianerin. Sie hat nicht im Glauben geschwankt."
"Hat sie doch!", fuhr ihn seine Frau an. "Seitdem deine Cousine auf dem Dachboden gehaust hat."
"Viel eher seitdem sie auf diese blöde Schule gegangen ist", schnappte ihr Mann zurück.
"Na, na", wiegelte der Oberleutnant ab. "Ursächlich war beides. In der Schule lernte Laurenzia nicht nur neue Sichtweisen auf die Welt kennen, sie merkte auch, dass man gut ohne Oms Regeln auskommen konnte - ja, dass allgemein Regeln oft auch bewusst missachtet wurden - sie verstand nur nicht, warum das manchmal auch gut sein kann und ärgere sich darüber; und über diejenigen, die diese Regelverstöße begingen: andere Kinder aber auch Lehrer, die da lobte, wo ein Lob nicht wirklich verdient war, um jemanden zu ermuntern, die Themen umgingen, weil die Wahrheit noch nicht angebracht für das Alter gewesen wäre, und, und, und. All diese kleinen Lügen, die das Leben der Erwachsenen auszumachen schienen. Und ihre Wut darüber - und darüber, dass Om untätig blieb - wuchs. Und Dementia war ebenfalls auf den Omnianismus nicht gut zu sprechen. So trafen sie sich und unterhielten sich über Om und fanden heraus, dass er - für sie - nicht existierte. Und mehr noch - Dementia lieferte Laurenzia einen - für sie - unumstößlichen Beweis. In diesem Augenblick fiel ihr Glaube an Om wie ein Kartenhaus zusammen - aber nicht die mentale Kraft hinter ihm. Die suchte sich einen neuen Gott - und wieder einmal war Dementia der Spiegel für fremde Gedanken. Sie selbst wurde zu der Göttin, die Laurenzia sich erträumte: der Göttin des regelgerechten Schreibens. Der Göttin, die für alle Regeln zuständig ist. Der Göttin, die diejenigen strafen kann, die gegen Regeln verstoßen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Pester Lozzis neue Pädagogik genau in diese Richtung - erschaffe einen Gott, der die Kinder bei der Stange hält - zielte. Schlämmkreide, Turnbeutel und Zahlrübe hatten Regeln aufgestellt und nicht eingehalten. Es waren jeweils Kleinigkeiten, aber in ihrem Zorn betet Laurenzia zu Regula und diese ließ die Sünder sterben. Als Laurenzia dann zu Lozzi ging - die Strafen erschienen ihr ein wenig zu hoch - und versuchte, mit ihm darüber zu reden, hörte dieser zwar nicht richtig zu, begann aber, auf eigene Faust, sich umzuhören. Als er dann auf eine Wächterin traf, der er sich anvertrauen konnte, Petulia Bocksbeutel, blieb Dementia gar nichts anderes übrig, als zu handelt. Ihr göttlicher Zorn richtete sich gegen jene, die ihr - ihrem menschlichen Abbild also - gefährlich werden konnten. Als dann die Wache sich weiter einschaltete, begann die Sache zu eskalieren, bis zu ihrem tragischen Ende. - Es wäre nicht ganz so tragisch", sagte er nach einer Pause und ließ seinen Blick über die drei Zeugen gleiten, "wenn sie alle daraus wenigstens eine Lehre ziehen und dafür sorgen, dass Laurenzia eine Möglichkeit bekommt, zu lernen, wie sie mit ihrer Kraft umgehen kann."
"Dafür sorge ich schon", sagte Tia Grobhelm energisch und stand auf. "Ich will nicht, dass meine Tochter so leiden muss, wie deine", sagte sie zu Frau Tick und hielt ihr die Hand hin - vielleicht, um ihr aus dem Sitz zu helfen, vielleicht, um sie ihr zu reichen. Mit einem leichten Zögern, schloss Her Grobhelm sich den beiden Frauen an.

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Später im "Eimer" saßen sie ein wenig nachdenklich vor ihren Getränken.
Was hat dir das kleine Mädchen eigentlich ins Ohr geflüstert?", fragte Septimus neugierig, "Oder ist das geheim?"
"Nein, nicht wirklich: sie hat mir erzählt, wie Dementia ihr unumstößlich bewiesen hat, dass Om nicht existiert."
"Wie soll denn das gehen?", fragte der Gnom neugierig.
"Nun, sie hat mir großen Buchstaben: "Om ist doof" auf den Dachboden gemalt. Aber passiert ist nichts. Damit war für Laurenzia die Sache erledigt. Sie hatte so fest damit gerechnet, dass der Blitz einschlägt - aber Om schwieg. Es ist jetzt nicht der Klassiker unter den Nicht-Gottesbeweisen, aber sehr kindgerecht", schloss der Schamane.
"Ein wirklich eigenartiger Fall", meinte Damian G. Bleicht nachdenklich.
"Ja, aber ein bisschen hat die Lösung was mit diesem Dings vom Theater, wenn hinterher alles gut wird, zu tun. Deus ex machina heißt das", meinte Hatscha.
"Na ja, erstens ist nicht alles gut", ließ sich der Oberleutnant vernehmen ..."
"... und außerdem wäre es in diesem Fall eher eine "Dea de tabulato"!", bemerkte Mina.
"Was das sein??", fragte Scoglio. "Noch mehr Probleme von Menschen?"
"Nein, das ist eine alte, tote Sprache und heißt: "Die Göttin vom Dachboden" und nicht: "Der Gott aus der Maschine", lautete die Antwort.

ENDE


05.08.2008 14: 00

[1] Frei nach dem Motto: Warum erwischt so etwas immer mich, wenn ich doch gerade Pause mache?

[2] das ist die Angst vor Lehrern

[3] so leise, wie ein Troll halt kann

[4] Wenn das in seinem momentanen Zustand überhaupt noch möglich war

[5] dem Gildengelände

[6] Dass es ein Lehrer war, konnte sie an dem eindeutigen Kleidungsstil erkennen - Strick-Jacket, Pollunder, uralte Hose und alles mit Mustern, die selbst vor 50 Jahren nicht mehr gefragt waren

[7] Aus seiner Perspektive war er natürlich beachtlich groß und vor allem enorm sperrig.

[7a]  Um ihren Nager zu beruhigen, nicht die Tasche...

[9] Abgesehen von einem Niesen

[10] Ob er dabei in einem Stück bleiben würde, war eine ganz andere Frage...

[11] Es ließen sich genau zwei Gruppen unterscheiden: "Groß, kräftig, nicht gerade intelligent" und "klein, fies, unberechenbar".

[12] Wobei sie sich natürlich gegenseitig im Weg standen, was für nicht unerhebliches Chaos sorgte und für einen Beobachter zu einem vergnüglichen Anblick geworden wäre. Allerdings hätte sich dieser potentielle Beobachter - sofern er nicht über Flügel verfügte - in luftiger Höhe und damit in der Nähe des unaufhaltsam kletternden Untieres befinden müssen, einen Position, um die sich wohl niemand gerissen hätte.

[13]  auch er las - hin und wieder - in den Personalakten seiner MitarbeiterInnen

[14] die im Rahmen der normalen Mythologie sich als ziemlich normal entpuppten; immerhin lebt die Hälfte aller Götter auf der Scheibenwelt friedlich und harmonisch in ewiger Blutschande, ähnlich denen der antiken Götter auf der Rundwelt


Wörter:

Onyx   93
Damien G. Bleicht   761
Bjorn Bjornson   1424
Mimosa   3802
Hatscha al Nasa   4801
Septimus Ebel   9740
Mina von Nachtschatten   14108
Pismire   25931
 



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