Ein Blitz durchzuckte die Stadt. Wie ein Herzschlag donnerte er durch Ankh-Morpork und erhellte die Gassen weit über ein angenehmes Maß hinaus...und dann brach ein zweiter Morgen an...
Dafür vergebene Note: 12
[1]
"Was wir aus dieser Sache lernen - es gibt kein 'verkehrt', nur das was wir als aktuell richtig verstehen. Und ohnehin sind wir alle etwas 'anders herum'."
- Glum Steinstiefel-Singtnichtgut
"Ganz im Ernst: Einer von diesen Offizieren? Im Traum nicht! Nieder mit dem Kommandör!"
- Sebulon, Sohn des Samax
"Abschließende Worte? Ähm... Also... Ich glaube, wir sollten froh darum sein, was wir hier haben, wo wir sind. Man weiß nie, was sonst noch so sein könnte. Wars das? Gut. Wo ist eigentlich diese Eule abgeblieben?"
- Jargon Schneidgut
oOSebulon, Sohn des SamaxOoAm Pseudopolisplatz stand ein Haus, das Ordnung, Sicherheit, ja sogar Pedanz ausstrahlte. Seine Fenster waren geputzt, es gab Vorhänge und vor der Eingangstür fegte ein braver Mitbürger. Auf dem Dach herrschte ein reger Tauben- und Klackernachrichtenverkehr; sah man durch die Fenster, konnte man die Wächter zum Teil arbeiten sehen - der Rest, das ist sicher, ging gerade vor Ort der wenigen Arbeit nach, die bei einer effizient arbeitenden und personell gut ausgestatteten Wache übrig blieb.
Der Kommandeur schlenderte gerade den Gang entlang und sah nach, ob sein guter Rat gebraucht wurde, doch die Wächter grüßten ihn nur flüchtig, da sie bereits die freiwilligen Überstunden begonnen hatten. Ein dienstlicher Plausch schien auf dieser Etage nicht drin zu sein, also beschloss der Kommandeur, sich eine freie Minute zu gönnen und das Kantinenessen anzutesten, dessen Geruch schon seit geraumer Zeit schmackhaft in der Luft lag.
"Hallo, Glum", sagte Sebulon, setzte sich auf den Barhocker und bestellte mit einer vagen Handbewegung Bier.
"Na, Junge, so übel hast du lange nicht ausgesehen", entgegnete der Moloss übel gelaunt. "Musst ab und zu schlafen, sonst wirst du nichtmal halb so alt wie ich."
Mit zittrigen Händen nahm der Püschologe das große Glas entgegen und begann daraus zu schlabbern. "Wollte aber mit dir feiern, Glum. Immerhin bist du stolzer Vater von Glumilia."
"Jaja, ich habe in meinem Alter noch eine Tochter, mein Leben ist vorbei. Kellner, noch ein Bier!"
"Ist was passiert?"
"Nein, nichts."
"Ehestreit?"
"Nichts, was dich anginge, Junge."
Sie schwiegen.
"Wann bummelst du eigentlich deine Überstunden ab?", nahm Glum das Gespräch wieder auf.
Irritert blickte Sebulon den Kollegen von DOG an. "Wie meinst du das?"
"Na, du siehst aus, als könntest du Urlaub vertragen."
"Ach was. Ich mach meine Arbeit ja gerne", winkte der Püschologe ab.
"Und du kommst bestimmt mit deinen Kollegen gut klar, versteh' schon", brummte Glum.
'
Au, ja die Kollegen: Sebulon, das ist doch der, der manchmal schreiend über den Gang rennt?', flüsterte die Stimme in seinem Kopf, '
Der nicht alle Tassen im Schrank hat? Der Dinge sieht, die gar nicht da sind? ...'
Kopfschüttelnd versuchte er die Gedanken zu verscheuchen. "Mit Jack ist es nicht so einfach. Und seit Frän nicht mehr da ist, sind alle anders zu mir. Ich weiß auch nicht."
"Hmm", machte Glum und nickte verständnisvoll. "Ich glaube, wir könnten beide Urlaub gebrauchen."
Es war Nacht. Die Tür zu Sebulons Büro öffnete sich knarrend. Eine Maus sah sich um, flitzte durch den Raum, kletterte flink den Schreibtisch hinauf, öffnete das Maul und würgte mit großer Anstrengung einen Schlüssel heraus. Schwer atmend verweilte sie kurz, schob ihn dann zu den Stiften, die am Rand des Schreibtischs lagen, rutschte wieder am Tischbein hinab und verschwand aus dem Büro.
Jargon Schneidgut hatte Bereitschaft. Er fand das Wort 'Bereitschaft' unpassend, da man nie wirklich bereit war, wenn etwas passierte, was den Bereitschaftswächter forderte. Deshalb hatte er mit sich den Kompromiss geschlossen, dass er 'Anwesenheit' hatte, die (im Notfall) mit der nötigen Vorbereitung zu 'Bereitschaft' werden konnte.
Geduldig sortierte er aus dem Stapel Papier, den er seit einer Woche bei sich trug, aus, was er nicht mehr brauchte. Alte Notizzettel, zurückgezogene Anweisungen von der Abteilungsleitung, widerlegte Skizzen zu möglichen Tathergängen, Wegbeschreibungen. Nostalgisch betrachtete er ein Blatt, das ihm Kadwallader Janders am Ende der GRUND-Ausbildung geschenkt hatte. Thiemwörk, stand oben auf dem Zettel.
[2]Er beschloss es aufzuheben. Man musste nur wissen, wo etwas steht, hatte man ihm immer gesagt, und auf diesem Blatt war alles zusammengefasst, was er über gute Zusammenarbeit wissen konnte.
Gähnend stand er auf, nahm die aussortierten Zettel, ging zum Papierkorb - und stutzte.
Hatte er dort jemanden reden gehört? Doch, da war eine Stimme, zur Linken.
"Hallo?", sagte Jargon leise und sah aus dem Bereitschaftsraum heraus.
Die schwache Beleuchtung im Gang warf viele Schatten an die Wände. Sein Blick streifte von Tür zu Tür. "Hallo, ist da jemand?", wiederholte er. Die einzige Tür, die einen Spalt offen stand, gehörte zur Dunkelkammer.
Seine Stirn offenbarten Runzeln und Falten, als der Rechtsexperte die aussortierten Zettel an seine Brust presste. Langsam schlich er auf die Dunkelkammer zu.
"Hallo?", hauchte er.
Ein Windstoß zerrte an dem Papier, das er krampfhaft zu halten versuchte, und ließ die Tür vor ihm lautlos zuklappen.
'
Die Dunkelkammer hat keine Fenster', dachte er, '
wie also kann ein Luftzug ...'
Seine Hand streckte sich zur Klinke hin aus. Er drückte sie hinunter.
"Hmm", machte er. "Scheint zu klemmen. Na, vielleicht hab ich mir auch nur eingebildet, dass sie offen stand. Ist ja schon spät."
In seiner Stimme schwang Unsicherheit mit. "Ganz bestimmt", murmelte er, um sich selbst zu überzeugen und kehrte in den Bereitschaftsraum zurück. Vielleicht fand er ja irgendwo eine ansprechende Lektüre, um seine restliche Schicht zu überbrücken?
oOJargon SchneidgutOoDer nächste Morgen brach an. Fröhlich und munter erhoben sich die Wächter Ankh-Morporks aus ihren Betten, tranken ihren morgendlichen Tee und liefen beschwingt über die sauberen Straßen der Stadt, um ihren Beruf auszuüben. Der Duft von frisch gebackenen Brötchen lag in der Luft, und Kinder spielten glücklich an den klaren Ufern des Ankh.
"Guten Morgen", sagten die Wächter, wenn sie das Wachhaus betraten und ihren Kollegen, die die Nachtschicht über hellwach geblieben waren, begegneten.
"Guten Morgen", grüßten diese zurück und lehnten lachend ab, wenn man fragte, ob denn ihre Überstunden eingetragen werden sollten. Zwei Zwerge saßen in der Kantine. Der eine wirkte fröhlich und heiter, der andere geradezu steif. Der Blick des letzteren Zwergs verharrte immer an einer Stelle und schweifte nie ab, der Körper kam ohne jegliche unnötige Bewegnung aus.
"Ein schöner Tag heute, was?", meinte der fröhliche Zwerg und trank einen Schluck vorzüglichen Kakao.
"Ja."
"Es sieht zwar ein wenig nach Regen aus, aber der ist gut für die Pflanzen."
"In der Tat."
"Weißt du, manchmal wünschte ich, du wärst etwas lockerer, Subelon."
"Ja, Gulm. Das tust du."
Gulm lachte, trank noch einen Schluck und winkte fröhlich zur Theke hinüber.
Der nächste Morgen brach an. Missmutig wälzten sich die Wächter Ankh-Morporks in ihren Betten, wünschten sich guten Kaffee und drehten sich noch einmal auf die Seite, um ein paar Minuten Schlaf nachzuholen. Die wenigsten wurden von einer Art Pflichtgefühl dennoch zum Wachhaus getrieben, der Rest hoffte darauf, endlich ihr Monatsgehalt einstreichen zu können. Der Gestank des Ankh hing in der kalten Luft, und das alltägliche Stehlen, Rauben und Morden begann.
Die Tür zu Sebulons Büro öffnete sich und der Zwerg trat ein. Seine Augen huschten hin und her, suchten nach Anormalitäten. Er ging auf seinen Schreibtisch zu, setzte sich und betrachtete kurz das (noch) mäßige Chaos, das dort herrschte. Er griff nach der Rohrpost und las die Titelseite. Dann legte er sie beiseite und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Sein Blick schweifte über den Tisch und blieb plötzlich an dem besabberten Schlüssel hängen.
"Was..."
Vorsichtig streckte er seine Hand danach aus, beinahe erwartete er, dass seine Finger hindurchglitten. Aber Sebulon's Finger stießen an das besudelte Metall, was ihn etwas beruhigte. Vorsichtig, mit Daumen und Zeigefinger, hob er den Gegenstand hoch und musterte ihn argwöhnisch. Sabber tropfte auf den Schreibtisch.
Wie zum Geier kommt der hierher?, dachte der Zwerg und ließ den Schlüssel wieder sinken.
Vermutlich die Art der Rekruten, mich wilkommen zu heißen.Schließlich wickelte er den Schlüssel in die Seite einer alten Ausabe der
Pühsche Hoite und steckte ihn ein. Es würde sich bestimmt aufklären, was das zu bedeuten hatte.
Etwa zur gleichen Zeit war Jargon auf dem Weg nach Hause; seine Augenlider waren schwer und er war froh, dass er erst zur Spätschicht wieder ins Wachhaus musste. Unglücklicherweise war die vergangene Nacht trotz hoffnungsvoller Suche nach älteren, möglicherweise interessanten Akten langweilig geblieben. Jetzt war er müde und ausgelaugt, seine Kehle fühlte sich staubig an. Die Gassen der Stadt waren vollgestopft und ungemütlich, sehr zum Missfallen des Obergefreiten. Nicht selten musste er sich durch Menschenmassen zwängen und Karren ausweichen, die in halsbrecherischem Tempo durch die Gassen rollten. Schließlich erreichte er die Schatten und die Menschenmasse lichtete sich etwas. Gleichzeitig verfiel Jargon in seine typische vorsichtige Schrittweise, aber es schien sich niemand für ihn zu interessieren. So erreichte er sein Heim unbeschadet. Kaum dass er es betreten hatte, warf er sich müde in sein Bett. Hoffentlich geschah während der Nachtschicht etwas annähernd Aufregendes.
Es war kurz vor Ende der Mittagspause. Vinzent Trocken saß in der Kantine und unterhielt sich leise mit zwei seiner Kollegen.
"Glaubt ihr er bemerkt was?", murmelte er und sah zur Tür. Ein Eimer, gefüllt mit kaltem Haferschleim aus der Küche stand darauf. Sobald der neue Ausbilder den Raum betrat, sollte er sein farbloses Wunder erleben.
"Ach was", meinte Lasse Zain und rieb sich grinsend die Hände. Sobald er sie mit falschem Enthusiasmus zum Apell treiben wollte, würde er die Tür öffnen und -
"Was flüstert ihr da?", ertönte plötzlich eine tiefe Stimme hinter ihnen.
Erschrocken drehte sich Gimli, der Dritte im Bunde, um und sah einen Zwerg der abwartend dastand. Ein Blick auf seine Schulter genügte, um ihn als Feldwebel und Chef der Intörnal Affärs zu identifizieren. Vinzents Blick wanderte zum Eimer, der noch immer unberührt über der Tür stand. Er runzelte die Stirn.
"Äh, nichts", sagte Gimli und verbarg seine Überraschung.
"Na gut, dann macht euch mal auf den Weg nach draußen. Ich glaube, ich sollte mich mal allen Rekruten beim Apell vorstellen und ein paar Grundsätzlichkeiten klären."
Als die drei zögerten, scheuchte Sebulon sie in Richtung Tür und sagte: "Keine Angst, draußen ist die Welt auch nicht gefährlicher als hier drinnen. Oder fürchtet ihr, es wird Haferbrei regnen?"
Die drei Rekruten zuckten alle gleichzeitig zusammen und der Zwerg grinste.
"Glaubt ihr etwa, eure Vorgesetzten würden in ihren Büros sitzen, während ihr hier Fallen für Arglose baut? Los, nehmt das Ding runter, bevor-"
Es klatschte. Die Tür, die sich zuvor geöffnet hatte, gab die Aussicht auf eine sehr wütende Kathiopeja frei, die gerade die Kantine betreten hatte.
"Oh", sagte Sebulon.
oOGlum Steinstiefel-SingtnichtgutOoAuch im Boucherie Rouge war der nächste Morgen angebrochen, was bedeutete, dass für die offiziellen Bewohner jenes exklusiven Etablissements nun die Nacht anbrach. Während diverse Gardinen im Erdgeschoss von diversen Arbeitnehmerinnen zugezogen wurden, die sich zusammengenommen in etwa den Stoff einer einzelnen solchen zu Bekleidungszwecken teilten und ein letzter Kunde mit einer Handvoll Wechselgeld verabschiedet wurde, bereiteten sich die oberen Stockwerke auf einen weiteren arbeitsreichen Tag vor. Die Mitglieder der fernab vom Hauptwachhaus am Pseudopolis-Platz untergebrachten Dienststelle zur Observation von Gildenangelegenheiten rühmten sich wacheintern einer gewissen Handlungsfreiheit. Und wacheextern einer gewissen Potenz. Manch scheuer Mitarbeiter hatte bereits für die Einrichtung eines Hinter-oder Kellerausgangs plädiert, aber den Worten der antragsablehnenden Abteilungsleitung zufolge war diese Maßnahme a.) nicht im Kostenplan vorgesehen und b.) zum Verlassen eines Gebäudes eine nur von zwielichtigeren Gestalten verwendete. Ein vernünftiger Wächter habe ein Gebäude stets gut erkennbar, weil eindrucksvoller, durch den Haupteingang zu betreten und zu verlassen. Das zeugte von seiner Autorität und Aktivität. So kam es, dass der eine Teil der Abteilungsmitglieder sich mit der Nasenspitze beginnend allmählich in die Springstraße vorwagte und hoffte, dass bittebittebitte nicht die Mutter jetzt um die Ecke käme, während andere das Arbeitsgebäude hoch erhobenen Hauptes verließen. Das gesamte Gebäude konnte gut mit einem emanzipationsreformierten Bienenstock verglichen werden. Es gab die Arbeiterinnen, die Wächter und ein Königspaar. Der König regierte die Wächter, die Königin, die auf den Namen Palm hießt, die Arbeiterinnen. Einer der keineswegs scheuen Wächter verließ nun den Stock hoch erhobenen Hauptes durch den vorderen Eingang, wandte sich in Richtung Götterinsel und wünschte sich den Kompromiss eines wenigstens miesen Kaffees. Der Lance-Korporal, und gewissermaßen hiesige Vizekönig, war ein Typ der eher mürrischen Art, was ihn dennoch nicht davon abhielt gelegentliche Freude zu zeigen. Ein Lächeln, soweit hatte er es einst in Oberstabsspieß Harrys Seminar noch adaptiert, förderte die Sümpatie und machte das Leben leichter. Es war wichtig, und der Lance-Korporal teilte diesen Gedanken, dass man seine Mitmenschen von sich überzeugen konnte. Der Zeitpunkt der angewandten Sümpatieförderung spielte dabei bloß eine untergeordnete Rolle. So hielt er es beispielsweise für angebracht guten Willen zu zeigen und Lance-Korporal Kathiopeja eine solche zu schenken als er dazu konträr gelaunt die Kantine erreichte.
"Wisch dir das verdammte Grinsen aus dem Gesicht!", forderte sie missbilligend und tauchte den Lappen erneut in einen Wassereimer.
"Dann brauche ich aber deinen Lappen!", sagte Glum schulterzuckend und grinste noch etwas mehr. Das hieß: er zog die Mundwinkel etwas höher, bis sie etwa auf Höhe der Nasenflügel zu zittern begannen. Der triefende Lappen, den er sich unmittelbar darauf angewidert aus dem Gesicht zog, hinderte die Vorgesetzte jedoch daran, dies zu bemerken.
"Was gab es zum Frühstück?", fragte er und hielt das Putzutensil mit den Fingerspitzen und auf Armeslänge von sich weg. Für einen Moment lang schien die Tatortwächterin irritiert und musterte ihre über einem Stuhl trocknende Uniformjacke.
"Tja, so gefragt..."
"Oh, vielen Dank!"
Sebulon griff nach dem Lappen und schien ihn über einen kleinen Gegenstand zu reiben. Dabei legte er die Stirn in Falten, die Zunge zwischen die Lippen und anschließend das feuchte Tuch gefaltet über Glums Arm. Der Zwerg, den Neuankömmling kritisch musternd rollte mit den Augen, bevor er den Lappen auf dem Luftweg zurück zu seiner Besitzerin beförderte.
"Du bist manchmal sehr sonderbar, Sebulon, Sohn des Samax!"
"Äh, ja, das sagt man mir ab und zu."
"Nur dann?"
"Vermisst ihr beiden eigentlich einen Schlüssel?"
Fragend sah er in zwei verneinende Gesichter.
"Na, dann eben nicht. Sehr seltsam. Lag einfach so auf meinem Schreibtisch, voller Sabber...ach ja..."
Sebulon schien sich an etwas zu erinnern und musterte Kathiopeja. "Nach dem Appell habe ich die Rekruten zum Dauerlauf verdonnert. Sie laufen ums Wachhaus. Hol sie wieder rein, wenn dir danach ist oder gib Hauptmann Pismire Bescheid. Oder eben auch nicht."
"Was ist das nun mit dem Schlüssel?", hakte Glum nach, der derzeit ein neues Ventil für seine Mangelmotivation im Hinblick auf bevorstehende Überstunden suchte. "Mach einfach einen Aushang am schwarzen Brett, da findet sich schon jemand..."
Jargon schlief unruhig. Ein merkwürdiger Traum plagte ihn. Er stand allein in einem kleinen Raum, auf der einen Seite eine große, massive Holzklappe im Boden, auf der anderen drei Kobolde. Einer wirkte recht vergnügt, einer besonders selbstsicher, während der dritte seltsam aristokratisch erschien. Sie hüpften um ihn herum, streckten ihm die Zunge heraus, zogen an seiner Kleidung, seinen Haaren, schafften es dennoch jedes Mal seinen Versuchen sie zu schnappen zu entkommen und durch die schwere Klappe zu entwischen, die Jargon beim besten Willen nicht zu öffnen vermochte. Irgendwann beschloss er sich kichernd auf diese zu setzen und abzuwarten. Erst als die näherrückenden Wände ihn fast erdrückten, wachte der erschöpfte Wächter herzklopfend auf. Er stieg etwas wacklig aus seinem Bett, lehnte sich gegen das Fußende und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, bevor er die Bettwäsche aufschüttelte und sich noch einmal der Traumwelt hingab.
Sebulon heftete eine letzte Reißzwecke an das mühsam in Schönschrift gehaltene Blatt Papier, trat zurück und stellte fest, dass es verkehrt herum hing. Er korrigierte dies. Und korrigierte es noch einmal. Glum lehnte an einer Tür und löffelte eine gräuliche Masse, der er mit ein wenig Marmelade versucht hatte Geschmack zu verleihen, jedoch feststellen musste, dass sie der Süßspeise nebst Farbe auch den Geschmack entzog. Wohin beides verschwand ließ sich nicht so einfach sagen, doch der Zwerg hatte inzwischen die Hoffnung aufgegeben, etwas davon jemals innerhalb der Schüssel wiederzufinden.
"Willst du's noch mal versuchen?", gab er zwischen zwei Löffeln von sich und musterte Sebulon, der nun neben ihn trat und sein Werk aus der Ferne begutachtete.
"Es erfüllt seinen Zweck! Musst du nicht arbeiten? Ich hab jetzt noch eine Menge zu tun."
Kathiopeja, ihre leicht zerknitterte Jacke überstreifend, verließ die Kantine in Richtung der Treppe. Im Vorbeigehen nickte sie Kommandeur Breguyar halbherzig zu, der mit ein paar Akten unter den Armen auf die beiden Zwerge zusteuerte.
"Morgen, ihr zwei. Wo sind die Rekruten derzeit, Feldwebel?"
"Gewissermaßen im Strafvollzug!"
"Ah, die üblichen kleinen Streicheinheiten?", erkundigte der Kommandeur sich wissend.
"Sie streiten gerne, mischen sich ständig in die Angelegenheiten anderer Leute ein und wissen immer alles besser. Sie haben genau die Fähigkeiten, die ein angehender Wächter benötigt! Du findest sie irgendwo um das Gebäude herum."
Araghast nickte, nahm Sebulons Salut zur Kenntnis, wartete auf Glums, wartete noch ein bisschen mehr und verließ kommentarlos das Wachhaus.
"Tu ihm doch den Gefallen!", warf der Samaxsohn vorwurfsvoll ein.
"Tut er mir einen? Das ist Rhetortik."
"Was für eine Torte?"
Glum seufzte und klopfte Sebulon auf die Schulter.
"Ich erklär's dir ..."
Während sie beide die Treppe hinaufstiegen, bemerkte niemand von beiden, dass der Türgriff der Dunkelkammer, an der vorhin noch ein Zwerg lehnte, ruckelte. Ein vom Hof hereinkommender und verdrießlich schnaufender Vinzent Trocken versetzte ihr im Vorbeigehen einen halbherzigen Tritt, bevor er sich beeilte den Befehlen der Wacheleitung nachzukommen.
oOSebulon, Sohn des SamaxOo"Ich glaube, ich verstehe, was du meinst", meinte der Moloss nachdenklich. "Diese Rhetorik, von der du sprichst, ist also eine Art, so zu reden, dass dein Gegenüber davon überzeugt wird, wozu derjenige eigentlich beim besten Willen nicht zustimmen kann." Er schob sich nachdenklich die Sonnenbrille auf die Nasenwurzel. "Das klingt aber ganz schön tückisch und ... unfair."
Fröhliche Vögel sangen fröhliche Lieder von den Bäumen herab und ein leichter Wind ließ die Haare der Wächter heroisch aus dem Gesicht auffahren, als sie über den bunt geschmückten Hier-gibt’s-alles-Platz schlenderten.
Subelon nickte. "Aber manchmal ist es recht nützlich, Gulm."
Jargon erwachte. Das war eine viel zu kurze Nacht gewesen. Müde rieb er sich die Augen.
Durch das Fenster drang Lärm von Kindern in sein Zimmer; sie spielten 'Klatsch den Klatschianer'. Er lächelte verträumt und erinnerte sich an seine Kindheit. Wie seine Mutter ihn gesundgepflegt hatte, als sie einmal besonders wild gespielt hatten und er drei seiner berüchtigten Wutanfälle direkt hintereinander durchlitt. Wie er der kleinen Alberta die Schuhe geklaut und in den Ankh geworfen hatte...
Die Geräusche vor dem Haus wurden vergnügter - und naturgemäß lauter -, als das Spiel zu 'Quäl den Quirmer' wechselte. Seufzend ließ sich Jargon aus dem Bett auf den Boden rollen, legte die dünne Decke zurück auf die Matratze, erhob sich gähnend und schnappte sich sein Handtuch.
Wenn er ohnehin nicht wieder einschlafen würde, konnte er auch ebensogut einen Platz unter der Gemeinschaftsdusche erhaschen.
Mit fachmännischem Gesichtsausdruck besah sich der Moloss den Schlüssel.
"Das ist eindeutig Sabber. Ganz schön wiederlich. Und du sagst, du weißt nicht, wem er gehört?"
"Mhm", machte Sebulon. Er zeichnete. Sein Bleistift kratzte in geraden Linien über das Blatt. Gelegentlich hielt er kurz inne, um zu radieren. Seinen Kollegen schien er nicht wahrzunehmen.
"Dein Arzt hat dir bestimmt schon ein Mittel gegen Schlafwandeln aufgeschrieben", plauderte Glum mürrisch und putzte sich die Nase. "Obwohl ich der Überzeugung bin, dass es einem jungen Kerl wie dir schon nicht schaden wird, wenn er hin und wieder einen kleinen Spaziergang unternimmt. Jeder Gang hält die Kleinen schlank, sage ich immer."
"Mhm."
"Verrätst du mir jetzt, was du da machst?"
"Zeichnen."
"Ach wirklich."
Sebulon sah auf und lächelte verträumt. "Ich konstruiere ein Schloss zu diesem Schlüssel."
"Das ist beeindruckend!", stellte der alte Zwerg fest. "Aber, hast du eine Ausbildung als Schlosser, Kleiner?"
"Nein."
"Als Mechaniker?"
"Nein."
"Aha, also als Bauzeichner! Warum hast du mir nie davon erzählt?"
"Nein."
"- Wer hat es dir dann beigebracht?"
"Niemand."
Zögerlich fragte Glum das Unvermeidbare: "Du kannst gar keine Schlösser konstruieren, oder?"
"Kann sein", lächelte Sebulon. Dann blinzelte er. Die Entschiedenheit schwand aus seinem Gesicht und hinterließ nichts als Müdigkeit. Ehrlich überrascht fragte er: "Oh, wo kommt denn dieser Plan her?"
"Weiß ich auch nicht", log sein Freund. Innerlich fragte er, wie lange der Püschologe seinen Geisteszustand noch seinen Vorgesetzten gegenüber verharmlosen konnte. Mit einer gewissen zurückhaltenden Neugier fügte er an: "Weißt du denn, was er bedeutet?"
Kritisch musterte Sebulon die Skizze mit zusammengekniffenen Augen. "Hmm ... sieht aus, wie ein 37/28er Türschloss; ..." Sein Blick schweifte zwischen Zeichnung und dem daneben liegenden Schlüssel hin und her. "Der Schlüssel hier könnte direkt passen. Was für ein überaus faszinierender Zufall!"
"In der Tat", murmelte Glum.
Als er am Pseudopolisplatz ankam, war Jargon bereits wieder völlig trocken. Die Schwüle der Stadt im Sommer war grausam und eine gelegentliche Dusche regelrechter Luxus.
"Morgen, Herr Schneidgut!", rief ein geschäftiger Händler und hob die Hand zum Gruß. Sein Bauchladen war mit Regenschirmen beladen.
"Guten Morgen, Herr Schnapper!" Prüfend blickte er kurz in den wolkenlosen Himmel, dann wieder zum mobilen Krämer. Zögerlich vermutete er: "Das sind Sonnenschirme, habe ich Recht?"
Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin setzte eine belehrende Miene auf und ließ den pädagogischen Zeigefinger emporschnellen. "Das, mein guter Mann, sind Regenschirme. Brillant, nicht wahr?" Er trat auf Bauchladenbreite an den Wächter heran und flüsterte: "Ein Igor namens Ambigorius, ein verlässlicher Kunde mit ausgesprochen gutem Geschmack für Würstchen, hat mir verraten, dass es heute noch regnen soll." Seine Stimme senkte sich noch ein wenig mehr. "Und mit so etwas machen Igors keine Scherze." Plötzlich erhellte sich sein Gesicht und er rief im Business-Tonfall: "Regenschirme! Nur einen Dollar das Stück - und damit treibe ich mich selbst in den Ruin!"
Der Rechtsexperte kannte Schnapper lang genug, um sich das Grinsen zu verkneifen, und hob seine Hand zum Gruß. "Viel Glück dann, ..."
"Das hat nichts mit Glück zu tun, Junge. Das ist
Marketing."
Auf der Treppe grüßte der Kommandeur die beiden Zwerge, die gerade aus Subelons Arbeitszimmer kamen und auf dem Weg ins Erdgeschoss waren: "Jungs."
"Sör."
"Alles klar?"
Sie tippten sich an die Sonnenbrillen und nickten. "Sonnenklar, Sör.", sagte der eine, und der andere fügte hinzu: "Ist ein ruhiger Tag, Sör."
"Sag, wie geht es deiner Frau, Gulm?"
Etwas unsicher räusperte sich der Angesprochene und kratzte sich am Kinn. "Sie ist die beste Frau der Welt. Ihr geht es blendend. Sie hat sich entschieden, in die Klicker-Industrie einzusteigen und der Produzent hat zugesagt, dass zwanzig Prozent der ersten Streifen für wohltätige Zwecke gespendet würden."
"Tatsächlich?", fragte Araghast, "Worum soll es denn gehen?"
"Nun, ...", begann Gulm.
Subelon lächelte. Er hörte die von Frau Singtnichtgut nur so schwärmende Inhaltsangabe bereits zum dritten Mal. Das konnte dauern.
Als Sebulon und Glum die Treppe hinabstiegen, wichen sie dem eiligen Kommandeur aus, der kaum zum Gruß nickte und mittlerweile vier Akten mit sich herumschleppte.
"Stressig, hmm?", brummte der Moloss, als Araghast bereits um die Ecke war. "Geschieht ihm ganz recht, wenn er mal etwas arbeitet statt immer nur in seinem Zimmer zu sitzen und Flasche um Flasche ..."
"Morgen, Jargon", sagte Sebulon und grüßte den schüchternen jungen Mann. Dann nickte er und grüßte die Wand.
"M-morgen ..." Der Rechtsexperte schluckte, als er merkte, wie er vor Aufregung zu stottern begann, und atmete tief durch. "Schöner Tag, was?"
Glum zuckte mit den Schultern. "Zu viel Sonne."
In diesem Moment traf ein Blitz das Wachhaus. Der Donner war betäubend; er hallte über den Platz und wieder zurück. Jargon schreckte zusammen und sah sich furchtsam um. Bläuliche Funken sprühten aus einem Rohrpost-Ausgang, der aus der Wand ragte.
Der alte Zwerg grinste finster: "Das ist doch mal pünktlich aufs Stichwort."
Regentropfen machten sich auf den Weg, um den Pseudopolisplatz zu kühlen.
Schnapper fühlte ein feuchtes Klatschen auf seinem Hinterkopf und sein Blick verklärte sich dankbar.
"Regenschirme! Markenware! Nur schlappe drei Dollar das Stück! Regenschirme!"
Der Püschologe fuhr herum. "So dunkel ...", flüsterte er. Dann rief er plötzlich: "Ha!" und sah Glum mit großen Augen an. "Aber das kann nicht sein. Aber es muss sein! Ja, natürlich!", rief er und klatschte in die Hände.
"Hä?", machte der Moloss.
"Ich habe das Schloss schon einmal gesehen, Glum, hier im Wachehaus. Es ist mir gerade wieder eingefallen! Der Blitz hat mich geblendet, ich habe nichts gesehen, aber jetzt sehe ich es!"
"Sag mir nicht, du hast ein Licht gesehen und willst jetzt Omnianer werden ..."
"Aber nein, Glum, nein! Komm mit!", lachte Sebulon und griff die Hand des Moloss.
Zögerlich blieb Schneidgut zurück, der noch immer nicht richtig hörte. Er schnippte zweimal knapp neben jedem Ohr, bevor er endlich die pladdernden Regentropfen hören konnte.
"Hier!", hörte er Sebulon rufen. "Die Dunkelkammer! Das hier ist das Schloss ..." Ein wenig neugierig, aber auch weil er ohnehin in den Bereitschaftsraum wollte, sah er um die Ecke. Die beiden Zwerge standen vor der Tür zur Dunkelkammer und stritten sich, nun wieder mit gedämpfter Stimme.
Vor Jargons innerem Auge blitzten Erinnerungen an die Nacht auf, in der er an der Tür gerüttelt hatte. Die Dunkelkammer. Er ließ den angehaltenen Atem entweichen, ging um die Ecke und sagte: "Sörs, die Tür klemmt ..."
"Ach was!", sagte Sebulon. "Sie ist schlicht und einfach verriegelt! Aber hiermit sollte das kein Problem sein." Mit diesen Worten schob er den noch immer etwas schleimig-sabbrigen Schlüssel ins Schloss.
oOGlum Steinstiefel-SingtnichtgutOoSehr viel mehr als Feldwebel Feinstich es gewesen wäre, war Ponder Stibbons von dem urplötzlichen Wolkenbruch überrascht. Kritisch blickte er von seinem Schinkenragout durch eines der weit geöffneten Buntglasfenster im Speisesaal der Unsichtbaren Universität auf und hinaus in den gräulich-schwarz anmutenden Himmel. Aus reiner Gewohnheit fuhr die linke Hand es Fakultätsmitgliedes an seine Manteltasche, um dann festzustellen, dass er gegenwärtig gar keinen Mantel trug. Das galt für die meißten der anwesenden Zauberer, die neben ihrer Arthritis, Gicht und Bequemlichkeit derzeit auch mit dem unangenehm schwülen Wetter zu kämpfen hatten. In dem allgemeinen Grunzen, Plätschern und Husten fiel sein leiser Seufzer kaum auf. Als auch der dritte sich ungehört davon stahl, beschloss er es auf die weitaus gefährlichere Art und Weise. Dennoch bemerkte ihn der hingebungsvoll schlürfende Oberste Hirte erst nach mehrfachem Antippen des jüngsten Zauberers in Führungsposition das Bedürfnis von Aufmerksamkeit.
"Verzeihung bitte, aber hättest du zufällig ein Thaumometer bei dir?"
Der in ein weißes, inzwischen fleckiges Unterhemd gekleidete Zauberer runzelte die Stirn und hob gewichtig seinen Löffel kreisend in die Luft. Ein wenig Ragout ran am Stiel herab.
"Ist das jetzt wirklich nötig, Stibbons? Ich esse!"
"Zweifellos."
Ponder Stibbons gab die Hoffnung auf ein weiteres Gespräch auf, widmete dem Himmel noch einmal kurz seine Aufmerksamkeit, bevor er bereit war selbige erneut seinem Suppenteller zu schenken.
"Es ist etwas abgekühlt, findet ihr nicht?", ließ sich der Erzkanzler vom Tafelende vernehmen. "Einige von euch könnten ein paar der Fenster schließen!"
Erwartungsvoll spürten die überwiegend alten Männer den Blick Mustrum Ridcullys auf sich ruhen, der sie für einen Sekundenbruchteil irritiert von ihren gänzlich subjektiven Möglichkeiten der Nahrungsmittelaufnahme ablenkte.
"Es freut mich, dass du das übernehmen möchtest, Stibbons!"
Der angesprochene Leser unsichtbarer Schriften, Leiter der Abteilung für unratsam angewandte Magie und Praelector der Unsichtbaren Universität nickte wissend und stand auf, um der Aufforderung nachzukommen. Dabei klopfte er sich wiederholend auf die Hosentaschen.
"Benötigst du dazu etwa etwas Bestimmtes?", brummelte Ridcully lustlos und hielt während seiner Worte einen musternden Moment lang inne, bevor er damit fortfuhr einen Laib Brot großzügig mit Blutwurst zu belegen.
"Eigentlich habe ich nur nach einem Thaumometer gesucht, Herr. Ein Gewitter dieser Intensität von jetzt auf gleich erscheint mir doch etwas seltsam, Herr."
"Und ich nehme an...", Ridcully hielt noch einmal inne, um sich bedeutungsvoll an die Nasenspitze zu tippen: ",...dass du jetzt vorhast, der Ursache dieses Gewitters auf den Grund zu gehen, habe ich recht?"
"Nun, eigentlich wollte ich bloß..."
"Es ist ein Gewitter, Stibbons. Weißt du, das ist Wasser, das vom Himmel fällt. Hat mit dünnen und dicken Lüften zu tun und so. Und manchmal ist der Regen auch sauer auf irgendjemanden, ich glaube es sind Bäume und so..." Er legte ein schelmisches Lächeln auf und sah aus den Augenwinkeln zu Ponder herüber. "So einfach ist das. Du machst dir das Leben manchmal viel zu schwer, Stibbons. Es ist eigentlich alles ganz einfach!"
Ponder Stibbons wusste, dass Selbstvertrauen unbedingt notwendig war, um das Vertrauen und Interesse anderer Menschen zu gewinnen. Deprimiert schloss er die Fenster.
Eigentlich hatte Glum sich eine Dunkelkammer etwas...nunja, düsterer vorgestellt. Er erinnerte sich zudem daran hier bereits einen Blick hinein geworfen zu haben. Aus diesem Grund konnte er eigentlich mit Gewissheit behaupten, dass eine Dunkelkammer düster zu sein hatte.
"Das ist seltsam, findet ihr nicht auch?", murmelte er und trat einen Schritt über die Türschwelle, direkt gefolgt von dem staunenden Sebulon und dem verunsicherten Jargon, der zunächst noch einmal probehalber die Klinke der bereits geöffneten Tür herunterdrückte.
"Ich habe ja gar nicht gewusst, dass das Wachhaus eine weitere Abteilung hat?", warf Sebulon ungläubig ein. "Eigentlich sollte das gar nicht möglich sein...ich meine..."
Er wirbelte herum, trat zurück in den Wachhausflur. Während er kurzzeitig um die Ecke verschwand, musterte der älteste Wachezwerg den dürren Menschen.
"Hast du davon gewusst, oberer Gefreiter?"
Jargon korrigierte seinen Rang, zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Er blickte sich um und deutete auf die gegenüberliegende Wand. Dort befand sich eine Bürotür, deren Schild bekannt gab, dass es sich hierbei um Zimmer '
004' handelte. Er blickte über die Schulter zurück in den eigentlichen Flur. An der gegenüberliegenden Tür prangte die gleiche Nummer. Noch einmal zuckte er mit den Schultern.
"Wird sicher nur ein Versehen gewesen sein.", befand er und ging den erstaunlicherweise identisch zu dem Flur auf der anderen Türseite scheinenden Gang hinunter.
"Glum?"
Sebulon erschien in der Türschwelle, zog beinahe ehrfürchtig den Schlüssel aus dem Schloss und legte die Zunge zwischen die Lippen. Anschließend schloss er die Tür der vermeintlichen Dunkelkammer und ruckelte versuchsweise an ihr, bevor er sie wieder öffnete.
"Glum, das hier sollte bautechnisch eigentlich gar nicht..."
"
Ah, Obergefreiter Schneidgut, wie schön, dass ich dich gleich angetroffen habe. Du wirst dich sicherlich freuen; ich habe hier noch mehr Arbeit für dich."
"Sieh mal, Stiggons: Du musst dich schon etwas mehr für die Dinge interessieren, sonst wirst du dich irgendwann verfahren und bemerken, dass alle dir etwas vorrauszuhaben scheinen."
Pendor Stiggons stütze den Kopf zwischen die Hände und starrte in sein Schinkenragout. Erschrocken stieß er gegen die Schüssel und bekleckerte sich mit trüber Flüssigkeit, als der unterste Hirte ihn seitlich antippte.
"Und jetzt wirf doch endlich mal einen Blick da rein!"
Seufzend nahm er den kleinen, dunkelblauen Glaswürfel aus der ausgestreckten Hand und drückte auf den Knopf.
oOJargon SchneidgutOoVerunsichert drehte sich Jargon um, denn er konnte den Besitzer der Stimme nicht vor sich entdecken. Doch auch hinter ihm stand niemand. Verwundert runzelte er seine Stirn und ging weiter den Gang entlang, bog um die Ecke und hielt in einigem Abstand vor der hölzernen Treppe des Wachhauses. Dort standen Rea und Jargon, die sich gerade unterhielten und aus irgendeinem Grund schwarze Sonnenbrillen trugen.
Moment -, dachte Jargon, WER steht da?
Er sah noch einmal genauer hin.
"Was willste denn, Dubiate?", fragte der kleine Mann und verschränkte die Arme.
"Ach, ich habe hier etwas für dich! Es ist eine Nachricht an den sehr verehrten Herrn Patrizier, der erwartungsvoll in seinem Büro sitzt."
"Muss das sein?"
Rea zog theatralisch einen Umschlag aus ihrer Tasche und hielt ihn dem Obergefreiten hin.
"Es ist ein Brief von höchster Wichtigkeit!"
"Ach? Sowas aber auch." Der bebrillte Jargon schniefte und kratzte sich am Bein.
"Es ist deine wächterliche Pflicht, dem armen Mann diesen Brief zu überreichen. Die Erhaltung unserer Gesellschaft könnte davon abhängen."
"Jaja, schon gut."
Murrend nahm der Mann den Brief entgegen und schlurfte in Richtung der Tür, die zum Tresenraum führte.
Dem unbemerkten Zuschauer, der das Ganze mitbekommen hatte, stand der Mund offen. Das tat er auch noch, als die Abteilungsleiterin der SEALS beschwingt die Treppe hinaufsprang und ein Lied summte. Dann schloss sich Schneidguts Mund wieder und er drehte sich zum Gang um, der zurück zur Dunkelkammer führte.
Währenddessen waren auch Sebulon und Glum vorsichtig in den neu entdeckten Wachhausbereich vorgedrungen.
"Eigentlich schon merkwürdig, dass uns niemand von dieser Sache erzählt hat", meinte Sebulon und besah sich die Türschilder, die sie gerade passierten.
"Da stimmt etwas nicht nicht. Rein räumlich gesehen müssten wir uns jetzt im Treppenhaus befinden." Er öffnete die Tür zum Innenhof, der gerade mit Regentropfen in Übergröße bombardiert wurde. "Stattdessen ist es, als wäre ein riesiger Spiegel-"
Er verstummte, als er sich den Innenhof näher besah. Irgendetwas war... falsch, das spürten beide Zwerge sofort.
Es war zu sauber. Gerade bei diesem heftigen Regen müsste der ganze Hof zugeschlammt sein. Stattdessen war der Boden, der aus festgestampftem Lehm bestand, eben und frei von Sand. Er glänzte nass, und das Regenwasser verschwand in dem Abfluss, der normalerweise zugeschlammt und verstopft war, sodass der Innenhof bei stärkeren Regenfällen unter Wasser stand.
"Das übertrifft nun aber wirklich alles, was ich bisher an Erstaunlichem gesehen habe", grummelte Glum nach einer kurzen Schreckenssekunde in seinen Bart.
Zur gleichen Zeit verließen Gulm und Subelon Kannichs Büro, den sie kurz um eine ausführliche Erläuterung des Klackersystems gebeten hatten. Sofort bemerkten beide die offene Tür der Dunkelkammer, welche direkt gegenüber lag.
Überrascht zog Subelon eine Augenbraue in die Höhe.
"Das ist ja mal höchst interessant", meinte er, als er die Tür zu Kannichs Büro erblickte, obwohl er sich nicht umgedreht hatte.
"Das kannst du laut sagen", sagte Gulm.
"Ich verzichte an dieser Stelle auf eine humorös angehauchte Umsetzung deiner Anweisung. Stattdessen frage ich dich lieber was das soll."
"Ach ja?"
"Ja." Der psychisch völlig stabile Zwerg schob seine Sonnenbrille hoch. "Was soll das?"
Gulm zuckte mit den Schultern.
"Keine Ahnung. Lass es uns angucken."
Und gerade als Sebulon die Tür zum Innenhof wieder schloss, verschwanden die Sonnenbrillenträger in dem für sie unbekannten Gang. Dann fielen die letzten Tropfen des Gewitters auf den feuchten Lehmboden des Innenhofs und die schwarzen Wolken verflüchtigten sich.
"Aha!", rief Stiggons und betrachtete die Anzeige des Thaumometers. "Es ist genau, wie ich es mir dachte."
"Ach?", fragte der Unterste Hirte interessiert und sah zu ihm herüber.
"Ja. Seht ihr?" Er zeigte den Würfel herum. "Jetzt, da sich das Gewitter verflüchtigt hat, sinkt die magische Strahlung wieder."
"Interessant", antwortete sein Tischnachbar und sah zum Fenster, durch dessen saubere Scheibe nun wieder erste Sonnenstrahlen fielen. "Das würde ja heißen, dass wir es mit einem magischen Gewitter zu tun hatten."
"Aber müsste das nicht heißen", mischte sich der Quästor ein, dessen unbeherrschtes Wesen in der Fakultät berüchtigt war, "dass die Chance auf temporäre Sprunganomalien enorm gestiegen ist?"
"Nicht nur das, Quästor", erwiederte der Dekan, der alles mit angehört hatte und nicht gut darin war, seine Neugier zu unterdrücken.
"Es heißt auch, dass die Stabilität dieser Sprunganomalien gerade eben wieder abgenommen hat."
oOSebulon, Sohn des SamaxOoJargon konnte sich nicht entscheiden, ob er panisch werden sollte oder sich einfach der gnädigen Ohnmacht hingeben. Das war einfach zu viel: Zweimal die Wache und beide Male gab es seine Kollegen. Schlimmer noch: Er selbst existierte in der anderen Wache.
Seine Wangen begannen zu glühen, als er darüber nachdachte, dass sein dortiges Ich einen Brief an den Patrizier höchstpersönlich überbringen sollte. Was für ein aufregender Gedanke! Dass er den Patrizier von Angesicht zu Angesicht sehen sollte...
"Na, verknallt, Jorgan?", fragte Samax' Sohn und grinste breit. "Sag, wer mag denn die Unglückliche sein, die jetzt deine Liebesgedichte anzuhören nicht umhinkommen wird?"
Verwirrt blinzelte Jargon. Hatte Sebulon tatsächlich gerade seinen Vornamen falsch ausgesprochen?
"Hör doch auf, jetzt ist der Junge auch noch sprachlos", sagte sein zwergischer Begleiter Gulm und rückte die Sonnenbrille zurecht. "Manchmal wünschte ich, du wüsstest, wann man aufhören muss, Subelon."
"Wenigstens fange ich überhaupt erst an, Gulm. Na gut, dann noch einen erquicklichen Tag, Schneidgut. Genieß ihn nicht zu sehr."
"Und falls du noch einmal mit dem Kommandeur sprechen solltest,...", fügte der stellvertretende Abteilungsleiter DOG an: "...sag ihm, dass die Dunkelkammer einen Durchgang zu viel hat. Der Architekt hat sich da einen eigenartigen Scherz erlaubt."
Die zwergischen Doppelgänger winkten höflich, dann gingen sie den Gang hinunter und um die Ecke.
"Seit wann schreibe ich Gedichte?", flüsterte der Gefreite baff.
"Hat hier irgendjemand mein Thaumometer gesehen?" rief Ponder Stibbons in das Laboratorium für hochenergetische Magie.
"So ein kleiner blauer Kasten?", fragte der Siebtsemestler Karsten Klimmgut äußerst beiläufig und holte einen Hühnerknochen aus seinem Bart, "Macht '
Bing', wenn man auf den Knopf drückt? Sehr zerbrechlich?"
"Richtig!", rief der junge Zauberer erleichtert. "Wo hast du das Thaumometer gesehen?"
"Hab ich nicht. War geraten", erwiderte sein Kommilitone schulterzuckend. Er warf den Knochen hinter sich und widmete sich erneut dem Himbeer-Pudding-Snack.
Während Stibbons fluchend weitersuchte, bröselte etwas blauer Staub unter Klimmguts Robe auf den Boden hinab.
In der Kanalisation Ankh-Morporks liefen Mäuse aufgeregt hin und her. Der Köder war erfolgreich beschnuppert worden. Nun konnte die Falle zuklappen. Aus dem Mäusepulk lösten sich zwei Sprinter, die sich auf den langen Weg zum Meister und seiner rechten Hand machten, um Bericht zu erstatten.
Noch immer schwankend, wie er das gerade Erlebte auffassen sollte, führten Jargon seine Füße schlafwandlerisch in sein Büro. Wenn auch alles unsicher geworden war, Papiere blieben konstant. Die Zettelberge in ihren verschiedenen Ordnungssystemen waren unerschütterlich wie Cori Celesti.
Dankbar atmete der Rechtsexperte den Geruch festgeschriebenen Wissens ein, als ihm der übrig gebliebene Staub seiner nächtlichen Aufräumaktion um die Nase wehte. Mit einem Schwung aus dem Handgelenk ließ er die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Sie prallte ab. Die Schwelle war noch immer nicht geschliffen worden.
Dankbar dachte Jargon:
'Manche Dinge ändern sich nie. Und das ist auch gut so.'"Warte hier", murmelte Sebulon Glum zu und ging zum Wachetresen. Dort saß ein Mensch, der sich gerade mit der Tageszeitung befasste. Der Agent blieb hinter ihm stehen und räusperte sich. "Entschuldigung, Rekrut, welchen Tag haben ...?", begann er, unterbrach sich jedoch, als er den skeptischen Blick des Moloss wahrnahm. "Ich hatte doch gesagt, dass du warten sollst!"
"Seit wann kennen wir uns, Kleiner? Ich denke allerdings nicht, dass sich der Tag geändert hat, seit die Welt verkehrt ist."
Langsam drehte sich der Rekrut um und seine glatt polierte Sonnenbrille blitzte im Widerschein der Scheibenwelt-Sonne. "Die Sörs Samaxsohn und Steinstiefel, wenn ich mich nicht irre. Schön euch zu sehen!"
Wie ein Blitz durchfuhr den Samaxstämmigen die Erkenntnis, dass er nicht einmal den Nachnamen des Rekruten kannte, der erstaunlich ordentlich vor ihm saß. Und dass sie noch nie mehr als zwei Sätze miteinander gewechselt hatten. "Glum, das ist Rochus..."
"Rachus, Sör."
"Welche Rache?"
"Nein, Rachus, Sör. Du hast die Selbstlaute vertauscht, Sör. Nichts für ungut, Sör."
Sebulon drehte sich zu Glum um und flüsterte: "Irre ich mich, oder hat der Rekrut Angst vor mir?"
Sein Kollege zuckte mit den Schultern. "Meinst du, weil er im Gespräch von dir wegrückt oder weil er dich mit Sör anredet?"
"Brauchst du noch etwas, Sör?"
Der IA-Stammagent zögerte. Das hier war alles falsch. Anders als es sein sollte, zumindest. "Nein, Rekrut. Weitermachen."
"Danke, Sör", sagte die Mumie und entspannte dankbar seinen grobschlächtigen Körper.
Die beiden Zwerge gingen zurück zur Treppe. "Wir brauchen Hilfe", flüsterte Sebulon.
"Unsinn", herrschte ihn Glum an, "der Rest der Welt ist verrückt geworden. Wir beide sind ganz normal."
"Das ist Ironie, oder?"
"Kommt darauf an."
Der Püschologe strich sich durch den Bart. "Es gibt nur einen Wächter, der uns versteht, wenn wir ihm erklären, dass sich die Welt verändert hat."
"Du?", mutmaßte der Moloss.
"Braggasch Goldwart."
"Das tut mir leid, Chief-Korporal Geldwart kommandiert gerade den FROG-Einsatz in der Düstergut-Straße", meinte der Alchemikexperte Norti. Er sprach so langsam und gelassen, dass man meinen könnte, er hätte heute nichts anderes mehr zu tun. "Ich denke aber, er sollte in einer halben Stunde zurück sein, Sörs."
"Soso", meinte Glum und sah sich neugierig im Bereitschaftsraum der Freiwilligen Retter um. "Verzeih meine Frage, Hauptgefreiter, aber wann ist der junge Goldwart, und so und nicht anders lautet sein Name, zum Chief befördert worden?"
"Das war doch letzten Monat, Sör." Die Stimme des Alchemikexperten schlenderte regelrecht den Satz entlang und machte am Ende jedes Wortes einen kurzen Stop, um nach dem nächsten Ausschau zu halten. "Ehrenbeförderung für Dienste im Namen der Stadt oder so. Die Diplomatenmission mit dem Erzkanzler von Viericks."
"Beeindruckend", kommentierte Glum. Sein Blick glitt kurz zu Sebulon hinüber, der mit offenem Mund in der Ecke stand und vor sich hin starrte. "Eine Beförderung fürs Reden. Die Pflaumen hängen aber auch jedes Jahr niedriger."
"Er hätte mir davon erzählt", brachte der junge Zwerg mühsam hervor. "Was auch immer hier los ist, es dauert nicht erst seit zehn Minuten an."
"Sör?", fragte Torys in seiner gedehnt langsamen Art.
Glum grinste, legte den Zeigefinger an die Stirn, ließ ihn grinsend kreisen - hörte jedoch auf, als der Alchemikexperte so unauffällig und zugleich so ausdrücklich wie möglich mit dem Kopf schüttelte. "Ich widme mich dann mal wieder den Akten", meinte Norti. "Wenn ich die nicht bis zum Abend durchhabe, wird er vermutlich mit der Drohung ernst machen und ein IA-Verfahren gegen mich beantragen. Habt noch einen schönen Tag, Sörs."
Der Moloss zog seinen fassungslosen Kollegen aus dem Zimmer. "Widerstand der Obrigkeit, sage ich ja immer. Das hier ist der Beweis."
"Wir sind verloren!", seufzte Sebulon, als sie im Gang standen und die Tür geschlossen hatten. "Zu wem können wir jetzt noch gehen, wenn sogar Braggasch nicht der alte ist?"
"Etwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu, Subelon", meinte Gulm und zupfte an der Uniform seines Kollegen. "Trotz der Anordnung trägt hier niemand Sonnenbrillen. Und der Flur ist nicht einmal ..."
"Ich weiß", fauchte der Feldwebel. "Ich bin doch nicht zurückgeblieben, wenn du solches anzudeuten vorhattest."
"Nichts läge mir ferner."
"Ich denke noch darüber nach, wen wir konsultieren können."
"Was hältst du davon, wenn wir den Okkultismus-Experten befragen? All das hier wirkt nicht wirklich normal auf mich."
Subelon seufzte. "SuSI hat schon länger keinen Ok-Ex mehr, Gulm, seit Laiza im Ausland ist. Ich glaube langsam, du wirst senil."
Der DOG-Moloss schürzte die Lippen. "Hat nicht der Kommandeur die okkulte Ausbildung?"
"Ha!", machte der Püschologe. "Ich hab's! Warum gehen wir nicht zum Kommandeur?"
"Gute Idee", pflichtete Gulm bei.
oOGlum Steinstiefel-SingtnichtgutOoNustrun Pidcully war fasziniert von der Feststellung einer erfolgreichen Messung einer temporären Sprunganomalie. Die Chance so etwas messen zu können war verschwindend gering, eben schon deshalb, weil es so gut wie nie vorkam. Vor lauter Aufregung hatte er ganz vergessen sein Vollkornbrötchen zu verspeisen. Dabei war dieses sogar mit besonders mildem Magerquark bestrichen. Es würde ihm schon niemand wegessen. Sein augenblickliches Ziel war die große Bibliothek, zu der derzeit ein Großteil der Fakultät unterwegs war, um Genaueres über das merkwürdige Ereignis herauszufinden. Pendor ließ sich widerwillig von ihm mitschleifen.
"Aber es ist doch schon wieder vorbei, Erzkanzler. Zugegeben, man könnte, wenn man wollte-"
"Und das wollen wir auch, Stiggons!"
"Also ich bin dagegen!", ächzte der junge Zauberer. "Wir sollten nicht mit Dingen herumspielen, die wir nicht verstehen!"
"Wir sind Zauberer.", entfuhr es dem Verwalter für öffentliche Illusion, der just dazu stieß. "Man erwartet so etwas von uns." Er fasste sich ans Kinn. "Ich denke, ich werde eine Vorlesung zu diesem Thema abhalten..."
Gulm hatte manchmal das Gefühl, Subelon dränge ihn in den Hintergrund, und es kam ihm so vor, als sträube er sich dagegen. Aber im Grunde war er froh darüber. Subelon wollte ja schon immer einmal Abteilungsleiter werden und er hatte im Stillen stets gehofft, dass er dann davon profitierte. Es war so erleichternd zu fühlen, dass ein starker Zwerg neben ihm die Verantwortung mittrug. Denn obwohl er selbst seit längerem die DOG stellvertretend für die eigentliche Leitung repräsentierte, war ihm Autorität nicht mit in die Wiege gelegt worden.
"Abgesehen von diesem abgrundtief traurig-desolaten Zustand, mein lieber Gulm...", sagte jener plötzlich, während sie sich dem Büro der Wacheleitung näherten: "..., davon einmal abgesehen, kommt mir dies alles schrecklich bekannt vor."
"Ja, mein Feldwebel, du hast da etwas bemerkt, das mir beinahe nicht aufgefallen wäre."
"Wohl wahr!"
Sie klopften gemeinsam an die Bürotür des Kommandeurs.
"Schnell reinkommen und schnell rausgehen!", tönte es dumpf von drinnen.
Mit hochgezogener Augenbraue drückte Subelon die Klinke herunter.
Bibliotheken enthalten große Ansammlungen von Büchern, die bekanntermaßen Raum und Zeit verzerren; man spricht in diesem Zusammenhang von der Krümmung des entsprechenden Raumes zu einem polyfraktalen B-Raum, in dem Irgendwo und Nirgendwo sich einvernehmlich die Hände über Kreuz schütteln. Nur die sehr oft alten und weisen Hüter dieser Einrichtungen kennen die vollen Geheimnisse der Bibliotheken, ebenso wie sie wissen, dass alle existierenden in diesem B-Raum miteinander verbunden sind.
Der Bibliothekar der Unsichtbaren Universität war zwar nicht allzu weise, aber dafür ließ sich auch sein Alter nur ungefähr bestimmen. Zurzeit hatte sich der circa 150 Kilogramm-schwere Orang-Utan in seinem Nest unter dem zentralsten Schreibtisch in eine zerschlissene Decke gewickelt und betrachtete voller Sorge die Unterseite desselben, als er das aufgeregte Trappeln einer kleinen Horde auf dem Flur vernahm.
"Bibliothekar?", schallte es plötzlich: "Wo bist du? Wir brauchen-"
"Ich fürchte, er ist gar nicht hier, Dekan. Pech gehabt. Vielleicht sollten wir wieder umkehren."
"Stiggons, Stiggons. Du wirst es niemals lernen!"
"Sörs?", säuselte eine helle, aristokratisch anmutende Stimme, woraufhin Glum und Sebulon sich erschrocken umwandten. Ihr Blick erkannte Mimosa, mit Sonnenbrille und Spitze, die sonderbar harmlos und sonnengebräunt aussah.
"Äh, ja, ähm, Obergefreite?", fragte Sebulon in der Erwartung, dass die folgenden Worte ganz sicher den Untergang der Welt bedeuten würden. Er hatte da so eine Vorahnung.
Von der ungewohnt unautoritären Sprechweise ihres Vorgesetzten verwirrt fuhr Mimosa fort: "Sör, Feldwebel Reinstich wünscht dich zu sprechen, Sör! Sie verlangt deine Anwesenheit in der Kröselstraße, Herr! Es geht um einen mutmaßlichen Einbruch, Sör, wieder mit all den Kratz-und Nagespuren, Herr. Du sollst dir ein paar der Rekruten mitnehmen, Sör!"
"Ja, das ist...äh, ich mache mich gleich auf den Weg."
"Aber nicht ohne mich, Feldwebel!", forderte Glum und fing sich einen gequälten Blick seines Gegenübers ein. "Du lässt mich hier nicht allein zurück!"
"Ach du...", stöhnte Sebulon und winkte Mimosa fort.
Bevor diese jedoch salutieren und auf dem Absatz kehrt machen konnte, hielt Glum sie zurück.
"Sag, Obergefreite, du hast nicht zufällig zwei Sonnenbrillen für uns? Und vermutlich sollte ich das jetzt nicht fragen, aber - seit wann lebt Feldwebel Feinstich wieder?"
Die beiden verließen das Büro von Kommandeur Breguyar mit einer Aktenmappe in der Hand. Ihre Mienen zeigten einen entschiedenen Anflug von Paralyse, besonders seitdem Araghast sie aufgefordert hatte '
diese bescheuerten, unnützen Dinger' von den Augen zu nehmen.
"Hast du gesehen, wie er da saß?"
"Ja, Subelon, das habe ich. So leger...es passte überhaupt nicht zu ihm, wenn ich wagen darf, das zu sagen."
"Ich erlaube es dir, Gulm. Hm, was steht denn jetzt da drin? Wir sollen den Fall aufklären, sagte er?"
"Ich vermute es. Weißt du, ich konnte ihn nicht so recht verstehen. Wegen des Kuchens klang er so dumpf..."
"Mich haben die Stiefel auf dem Tisch gestört."
"Mich viel eher das, was unter den Stiefeln hing."
Gulm öffnete die Akte und stellte fest, dass sie unsortiert und quer bekrakelt war.
"Ein Scherz!", murmelte er.
"Nein, das glaube ich nicht. Sieh mal, da sind der Stempel und die Unterschrift..."
Subelon benötigte einige Momente, um durch die Eigenwilligkeit der Notizen zu steigen, bis er verkündete: "Ein Skandal in der Näherinnengilde. Offenbar versucht ein Mann hartnäckig dort aufgenommen zu werden, der Fall ist seit fünf Jahren offen
[3]!! Husky/Moloss und Püschologe empfohlen, Rechtsexperte hilfreich..."
...und wenn Herr Grantig, Otto behauptet, Oberfeldwebel Harmonie, Laiza (270285-P-151203) habe ihn während der Tatortuntersuchung in seiner persönlichen Würde gekränkt, so sagt sie dazu, sie habe lediglich einen neuen Stift gesucht, um seine Personalien aufzunehmen. Des Weiteren plädiere sie selbst auf eine Kränkung ihrer persönlichen Würde, nachdem sie erblicken musste, wo Herr Grantig, Otto seine Stifte aufbewahre...Jargon hielt einen Moment lang inne und las das zuletzt Geschriebene noch einmal durch. Ja, das konnte man so lassen. Papierkram war doch etwas Herrliches. Wie verlässlich.
"Fleißig bei der Arbeit, der gute Jorgan, nicht wahr, Gulm?"
"Absolut korrekt, mein werter Subelon!"
Jargon schluckte schwer und hob den Kopf ganz langsam an, bis sein scheuer Blick auf die beiden verschrobenen Vorgesetzten im Türrahmen fiel.
"Ein wenig verwahrlost sieht er mir ja schon aus..."
"So wie der Rest hier, wo auch immer
hier ist."
"Wie wahr."
"Hört mal, ihr beiden-", setzte Jargon mutlos an, doch schon wurde er jäh vom vermeintlichen Sebulon unterbrochen, der nun eine Sonnenbrille aus seiner Jackentasche zog und demonstrativ hochhielt.
"Setz die hier auf, Obergefreiter! Wir brauchen ein paar Informationen, wenn es recht ist."
Gulm winkte mit einer Mappe.
"Ich bin mir nicht allzu sicher, das bin ich ja nie, aber dennoch komme ich nicht umhin höflich danach zu bitten, dass du uns zur Observationsdienststelle begleitest."
"Wir...wir gehen zur DOG?", stammelte Jargon desorientiert.
Sebulon fuchtelte aufgebracht in der Luft herum und weigerte sich die Sonnenbrille aufzusetzen.
"Du kannst mich nicht dazu zwingen, Lance-Korporal!"
"Der lanzierteste! Und wenn das einer kann, dann dieser, Feldwebel!"
Glum schaffte es, die gleiche Betonung zu artikulieren, wie sein Vorgesetzter, was Grund genug war, dass die Diskussion an dieser Stelle ihr jähes Ende fand und der ehemalige RUM-Püschologe den Flur hinunter marschierte.
"He, bleib stehen!"
"Ich denk ja gar nicht dran! Wo ist jetzt diese Tür?"
"Du hast einen Auftrag zu erfüllen, Sohn des Samax!"
"Einen feuchten Dings habe ich! Alles was ich zu tun habe, ist von hier zu verschwinden, einen Bericht abzuliefern und Braggasch mit Hammer und Nagel an dieser Tür vorbeizuschicken!"
"An welcher Tür?"
"Die der Dunkelkammer."
"Du meinst...sollen wir einfach wieder zurück gehen?"
Sebulon hatte besagte Tür erreicht und sah Glum langsam auf sich zukommen.
"Ja, logisch, was denn sonst? Was sollen wir..." Er zog die Nase kraus. "...hier?"
"Wo auch immer hier ist.", fügte Glum der Vollständigkeit halber leise hinzu.
"Fein. Du hast gewonnen.", fuhr er fort. "Mach schon, Lance-Korporal. Immer nach dir."
"Nimm die blöde Brille ab!"
Hätte sich zu diesem Zeitpunkt jemand in der Dunkelkammer aufgehalten, so hätte er zwar nicht gesehen, aber immerhin gehört, wie der Türknauf ruckelte. Jemand fluchte.
"Sackzement. Was soll denn das?"
Jemand trat gegen das Holzimitat.
"Du musst in die andere Richtung drehen, Seb-"
"Ach ja, du glaubst wohl-"
"Ja. Mach schon auf!"
Niemands Blick fiel geblendet auf einen breiter werdenden Lichtstreif, der nur ein paar Augenblicke später den größten Teil der Dunkelkammer erhellte. Zwei schwarze Silhouetten starrten zurück. Schwärze starrte auf sie zurück. Dann drehte die etwas größere den Kopf zur anderen und stemmte die Hände in die Seiten, woraufhin die bewegungslose lediglich warnend zischte: "Ich habe keine Lust mit dir zu diskutieren, Glum!"
oOJargon SchneidgutOo
Die Beiden wussten nicht, dass sie dabei von zwei winzigen Augenpaaren beobachtet wurden, die im Hohlraum unter dem Holzboden durch einen Spalt blickten.
"Sie finden sich in der Umgebung nicht zurecht", zischte der Besitzer eines der Augenpaare und zuckte nervös mit den Schnurrbarthaaren. Sein Begleiter peitschte mit seinem Schwanz umher und nickte.
"Zum Glück hat sich der Durchgang planmäßig geschlossen", meinte er und beobachtete, wie sich die Zwerge kurz unterhielten.
"Was machen wir jetzt?!", fragte Sebulon beinahe hysterisch, als sich Glum von der Tür zur Dunkelkammer abwandte und zu seinem Kollegen umdrehte.
"Ich würde sagen, wir sehen uns jetzt den Tatort an", meinte der ältere Zwerg.
"Aber wir stecken hier fest!" Samax' Sohn trat zur Seite, als der Lance-Korporal sich auf den Weg machen wollte, das Wachhaus zu verlassen.
"Wenn wir schon mal hier sind, können wir auch machen, wofür wir ausgebildet worden sind, oder fällt dir etwas Besseres ein?", brummte dieser und lief den Gang entlang. Sebulon seufzte und warf einen Blick in die Dunkelkammer, die wieder dunkel und gewöhnlich aussah wie zuvor. Dann fluchte er kurz auf zwergisch und folgte seinem Kollegen, der bereits an der Tür zum Wachetresen angekommen war und diese schwungvoll öffnete.
"Glum, bitte! Können wir nicht wenigstens mal bei den Zauberern nachfragen, wegen dieser Sache?"
"Von mir aus", kam die Antwort als die beiden Zwerge die Eingangshalle des Wachhauses durchquerten, "wenn du mit denen zurechtkommst...ich konnte die Zauberer ja noch nie-" Er stockte und wandte sich vor der Tür zu seinem Kollegen um.
"Moment, ist dir eigentlich auch schon aufgefallen, dass sich die Leute hier.... na, merkwürdig verhalten?"
Sebulon nickte. "Natürlich. Ich bin mal gespannt, wie die auf uns reagieren werden."
"Ich auch", murmelte Glum, von bösen Vorahnungen geplagt.
Sie öffneten die Tür, und traten ins Freie. Ein kühler, aber nicht unangenehmer Wind blies und versetzte die Zwergenbärte in Bewegung. Einen Moment lang blieben die Wächter stehen und atmeten die Luft ein, die so sauber war, dass man sie tief inhalieren konnte ohne husten zu müssen. Dann setzten sie ihren Weg in Richtung der Unsichtbaren Universität fort.
"Bibliothekar?!", rief der Verwalter für öffentliche Illusion, wandte sich um und hielt nach dem Gerufenen Ausschau. Er stand vor einem ziemlich hohen Bücherregal, das mit einem kleinen Messingschildchen beschlagen war. "U1, Untersektion VII+I" stand darauf, und alle Bücher in dem Regal stammten aus der Reihe "Ungewöhnliche Phänomene". Als der Orang-Utan angewatschelt kam und den Zauberer fragend anblickte, zeigte dieser auf ein Buch in höheren Regionen, das er trotz seiner nicht gerade geringen Körpergröße nicht erreichen konnte.
"Könntest du bitte Band 34 für mich herunterholen?"
Der Bibliothekar nickte, kletterte an den Holzleisten hoch, griff nach einem der Bücher und warf es hinab.
"Danke sehr", sagte der wenig beleibte Zauberer, der das Buch mit Leichtigkeit auffing, und drehte sich zum Ausgang aus der Regalgasse. "Würdest du mich bitte hinausgeleiten?"
Als der Mann schließlich von dem verwandelten Zauberer hinausgeleitet wurde, warf er kurz einen zufriedenen Blick auf Seite sieben-plus-eins-hundert-sieben-plus-eins-und-sieben-plus-eins-zig. Temporäre Sprunganomalien und ihre Ursachen, stand dort."Sagt mal", begann Jargon unsicher und fummelte an der Sonnenbrille herum, "was machen wir eigentlich bei DOG?"
Subelon wandte seinen Kopf zu ihm um.
"Wir versuchen, einen merkwürdig anmutenden Konflikt in der Einrichtung zu lösen, in die diese Abteilung einquartiert ist."
"... also stimmt etwas im
Boucherie Rouge nicht?"
Gulm nickte und antwortete an der Stelle seines Kollegen.
"Nicht direkt dort, obwohl das gegenwärtig wohl zutreffen mag. Naja, der Konflikt ist aber wirklich komisch, oder Subelon?"
Dieser nickte.
"Das entspricht durchaus der Wahrheit."
Dann schwiegen die beiden, während Schneidgut durch ihr merkwürdiges Verhalten immer mehr das Gefühl bekam, es hier mit zwei ganz anderen Leuten zu tun zu haben als er glaubte.
Mal sehen, dachte er,
Sie sprechen alle Namen merkwürdig aus, sie reden seltsam, sie bestehen darauf, dass sie und alle anderen Sonnenbrillen tragen... Er unterbrach seine Gedanken kurz, als Subelon von einem Passanten angerempelt wurde.
"Also ich muss doch sehr bitten...!", rief der Zwerg und hielt den Mann am Arm fest. Der Festgehaltene schien durch diese Art von wächterlicher Gewalt ziemlich verwirrt.
"Was denn?", fragte er, schon fast panisch.
"Sie haben mich gerade durch körperlichen Kontakt ins Straucheln gebracht." Subelon warf dem Mann durch seine getönten Linsen einen unfreundlichen Blick zu. "Und jetzt verlange ich eine Entschuldigung!"
Der unvorsichtige Passant zögerte kurz, doch dann stammelte er "V...Verzeihung..." und verschwand wieder in den Menschenmassen Ankh-Morporks.
Der Feldwebel schüttelte den Kopf und die drei Wächter setzten ihren Weg fort.
"Die Einwohner Ankh-Morporks waren auch mal freundlicher", brummte er dann.
"Stimmt", pflichtete ihm Gulm bei.
Und sie verhalten sich allgemein sehr komisch, beendete Jargon seinen Gedankengang.
oOSebulon, Sohn des SamaxOo"Glum, wo zur Hölle hast du gesteckt!", rief Lillis Sprechdämon dem Moloss zu, als das Dreierteam das Obergeschoss des
Bougerie Rouge betrat, "Du bist zwar ihr Stellvertreter aber wenn wacheweit alle Wächter gebraucht werden, kannst auch du dich nicht hinter deinen Aktenbergen verstecken - selbst wenn sie sie dir hingelegt hat! Findet sie wohl voll schei-"
Erleichtert nickte Jargon. Der leidlich bekannte Dämon der Abteilungsleiterin DOG war unverändert. Und die höchstselbst hinter ihm stehende Selbige ebenfalls.
Die beiden Zwerge schluckten ihren Stolz herunter und Gulm nickte mit einem passenden, trotzigen Gesichtsausdruck.
"Ich habe dir drei Fälle von Bürgerbeschwerden auf den Tisch gepackt, soll das Getippe wohl heißen", fuhr sie fort und wedelte mit der Hand. "Geh dem nach, wenn irgendwas dran ist. Sie sagt, sie sei jetzt in ihrem Büro."
Mit raumgreifenden Schritten rauschte Lilli mit Ihrem Sprechkasten vorbei und die Treppe hinunter.
"Sie hat", flüsterte Gulm entgeistert, "meinen Schreibtisch angefasst." Er atmete tief durch und ergänzte dann etwas lauter: "Sie, die einfach so in die Dienststelle als Leiterin platzte, hat
meinen Schreibtisch angefasst! Was fällt der ein ..."
Subelon hielt seinen Kollegen am Kragen fest, der seiner Vorgesetzten hinterher eilen wollte. "Nicht", hauchte er, "denn das ist es nicht wert. Hier läuft einiges anders als bei uns. Und sie trägt auch keine Sonnenbrille."
Schwer atmend kämpfte sich der alte Zwerg aus dem Klammergriff frei. "Hab ich auch bemerkt."
Subelon sah zu einer bestimmten Bürotür und legte seine Hände auf Gulms Schultern. "Du musst jetzt stark sein."
"Herren", piepste eine kleine Gestalt und verneigte sich vor einem hölzernen Thron. Sie wagte es nicht, dem grausamen Herrschergespann der Zwillingsstadt in die Augen zu blicken.
"Berichte", befahl der Linke.
"Sie haben den Platz getauscht", kam die Antwort von dem Boten, ohne den Kopf zu heben.
"Wie viele?"
"Zwei."
"Ausgezeichnet. Machen sie Probleme?"
"Ja."
"Exzellent." Pfotenspitzen legte sich gegeneinander, als der Herrscher nachdachte. Schließlich sagte er: "Du bist ja noch da."
"Herr", machte die Maus und huschte rückwärts aus dem Raum.
Der Platz der Gebrochenen Monde lag ruhig und sein Marmorboden spiegelte die Sonne.
"Was, bei allen Niederhöllen ...?", knurrte Glum, als die beiden den leeren Platz betraten. Es war so ruhig, dass man einen Hund auf dem Hier-gibt’s-alles-Platz jaulen hören konnte. "Komisches Verhalten ist eine Sache, aber wo sind alle hin, zu dieser Tageszeit? Zu irgendeiner Tageszeit? Ich meine, wir sind in Ankh-Morpork; hier war es nicht mal zur Zeit von Lord Schnappüber so ruhig ..."
Ein Fensterladen klappte zu.
"Ich hätte da eine Arbeitshypothese", sagte der Ex-Püschologe und Stammagent, betrachtete die zugezogenen Vorhänge am Rande des Platzes.
"Ja?"
"Sie sind da drin." Noch einmal wanderten seine Augen über die Fassade und er fügte hinzu: "Sie haben Angst."
"Wovor? Hier draußen sind nur zwei Wächter!"
Sebulon seufzte. "Sillybos würde vermutlich sagen: Eine Frage stellen heißt, sie zu beantworten."
Nachdem die beiden Wächter aus der anderen Wache sich gegenseitig beruhigt hatten, traten sie in das DOG-Büro.
"Sieht aus wie immer", kommentierte Subelon gespielt fröhlich.
Gulm schwieg jedoch und musterte Jargon mit hasserfüllten Blicken, der die Sonnenbrille auf die Stirn geschoben hatte und nun vornübergebeugt auf dem Stuhl saß, der sich hinter dem Sekretär befand, den der echte Glum sich anstelle eines Schreibtisches angeschafft hatte, damit man in seine Arbeit nicht so leicht einblicken konnte, und in den Fallbeschreibungen blätterte.
"Jetzt sitzt sogar jemand der nicht ich ist an meinem Schreibtisch, der nicht meiner ist.", murmelte Gulm ungewohnt missmutig.
Mit viel gutem Willen versuchte der Stammagent den Faden wieder aufzunehmen. "Hast du etwas Beachtenswertes aufgestöbert, junger Schneidgut?"
Innerlich seufzte Jargon. Am liebsten wäre er gerade woanders gewesen, als bei exakt diesen beiden Kollegen von ihm, die mehr als ein Püscho-Gespräch verdient hatten. Laut sagte er: "Nicht direkt zu dem Fall, den der Kommandeur euch gegeben hat, aber Oberfeldwebel Baum hat ein paar Akten hier gelassen. Leute behaupten, dass sie gesprungen wären."
"Das ist nicht weiter interessant und schon gar nicht einer Wachetätigkeit würdig", tadelte Subelon.
"Kommt ganz drauf an", meinte Jargon, blickte von den Notizen auf und hielt die Fallmappen hoch. "Wird es interessant, wenn sie ohne Vorwarnung auf die andere Seite des Ankh oder zehn Meter weit nach oben in einen Baumwipfel katapultiert wurden?"
"Ob uns das kümmern sollte, Gulm?", bedachte Subelon und sah in die Ferne.
Der Verwalter für öffentliche Illusion wälzte voller Inbrunst dieselbe Seite zum wiederholten Male. Er hatte sie schon beim ersten Lesen verstanden, konnte aber noch immer nicht glauben, was er dort fand.
"... erstmalig als Randerscheinung einer Teleportation im Jahr des tollwütigen Klatschianers von Seisogut Winkel festgestellt, der am hellichten Tage siebzig Meter weit durch die Luft geschleudert wurde. Leider überlebte er den Aufprall nicht. Am selben Tag gab es sechs weitere Sprungberichte, die auf eine t.S. schließen lassen. Belinda Brotkrume wird seit demselben Tag vermisst. Ähnliches passierte im Jahr der inkontinenten Ziege..."
Sein Finger wanderte suchend abwärts und blieb bei den Hinweisen zur Beschwörung hängen.
"...und je mehr Kerzen, umso besser. VORSICHT GEBOTEN: Feldversuche haben ergeben, dass t.S. zwar lokal sehr begrenzt (nach bisherigen Messungen auf 7+1 hundert Meter) auftreten, doch hängt der betroffene Radius direkt proportional von der Größe des tatsächlich zu transportierenden Gegenstandes ab. Unterhalb von zwei Faustgrößen sollten theoretisch keine Anomalien auftreten. Experimente auf diesem Gebiet wurden aber mit der Schattenruf-Deklaration scheibenweit unterbunden."
"Zwei Faustgrößen", flüsterte er und seine Stimme hallte im Raum wieder.
Dann bemerkte er, was er schon viel zu lange übersehen hatte: Die rechte untere Ecke des Buches sah ein wenig angeknabbert aus.
"Wie schade", fiepste eine Stimme zu seinen Füßen, "jetzt müssen wir dich töten."
Hunderte von Augenpaaren sahen zum Verwalter hinauf und ihre Zähne blitzten im Schein der Öllampe.
oOGlum Steinstiefel-SingtnichtgutOo"Und das kommt davon, wenn man nicht auf seine Sachen achtet!", warf Klimmgut überaus trotzig, doch mit merklichem Unbehagen ein. "Was kann ich denn dafür, wenn hochempfindliche Messgeräte einfach so in der Gegend herumliegen? Man kann ja schließlich nicht auf alles ein Auge haben."
"Auf 'hochempfindliche Messgeräte kann man kein Auge haben'? In einem Laboratorium?"
"Der Ort ist dabei völlig unwichtig und spielt nur eine untergeordnete Rolle! Es geht rein ums Prinzip!"
"Prinzipiell geht es hier doch um deine Unachtsamkeit!"
"Prinzipiell geht es ums Prinzip!"
"Das macht keinen Sinn!"
"Kommt auf den Standpunkt an."
Karsten Klimmgut runzelte die Stirn und betrachtete den hibbeligen Ponder Stibbons vor sich. Jener hielt zwar bereits eine für sein Alter beeindruckende Anzahl fakultärer Ämter
[4] inne, genoss dennoch nur wenig von dem dazugehörigen Respekt. Einen kurzen Moment lang dachte Klimmgut darüber nach, ob es ihm wohl zugute käme sich mit ihm auf guten Fuß zu stellen, verwarf den Gedanken jedoch gleich wieder, als ihm selbsterklärend bewusst wurde, dass man von einer nur schwer anerkannten Autorität wohl kaum Vorteile zu erwarten hätte. Diese streckte nun verlangend ihre rechte Hand aus.
"Dann vertrete ich den Standpunkt einer Ersatzleistung! Geh und besorge mir ein neues Thaumometer! Das war kein übliches Gewitter. Ich bin überzeugt davon, dass wir es soeben mit einer bemerkenswerten magischen Strahlung zu tun hatten! Ich meine neulich etwas darüber gelesen zu haben..."
"Wozu also ein Thaumometer besorgen?"
"Wie bitte?"
Ponders Augen weiteten sich verblüfft, doch drohend und er fixierte den Student des siebten Semesters, der sich nun abwinkend wieder seinen Speisen zuwandte.
"Wenn wir es mit einer Strahlung zu tun
'hatten', so haben wir es jetzt nicht mehr und alles müsste wieder normal sein. Weshalb also nachmessen?"
"Im Laboratorium für hochenergetische Magie wird nicht gegessen!", entfuhr es dem überfahrenen Stibbons Protest heischend und er fuchtelte erregt mit beiden Händen in der Luft herum.
Ergebnislos.
Glum und Sebulon hatten Feldwebel Rogi Feinstich damals als ein struppiges, ruppiges und darüber hinaus disziplinarbesessenes Sonderexemplar ihrer Gattung kennengelernt. Dann und wann etwas zerstreut, aber mit ihren zwei linken Daumen stets bei der Pflicht.
Und mit ihren zwei rechten auch.
Nun präsentierte sich ihnen die altbekannte Erscheinung, die vielmehr an einen Zombie als eine Igorina erinnerte, als gepflegt, gescheitelt, stramm und sonnenbrillentragend, doch im harten Kontrast dazu, der trotz der Verkehrung besonders ungewöhnlich schien, nachlässig und nervös.
Und lebend.
Darüber hinaus bezeichnete das Schild an ihrer Bürotür sie als Fogi Reinstich. In einem Beschluss des vorläufigen gemeinsamen Abfindens mit der Gesamtsituation nahmen die beiden Zwerge davon bemühter Weise nur am Rande Kenntnis.
"Mutmaßlicher Einbruch, Määm? Kratz- und Nagespuren?"
"Foweit wie gewohnt, exakt!"
Sebulon sah, wie der stellvertretende Kommandeur sich erhob und aufstand...nein, er verbesserte sich sogleich. Der Feldwebel begab sich vielmehr in einen hochkanten Zustand. Der Stock (oder war es der Draht?) in Fogis Rücken schufen diesen Eindruck.
"Ef fteht allef in der Einfatzakte. Im Poftamt ift ein Mitarbeiter verschwunden und allef, waf Minifter von Lipwig und die Angeftellten gefunden haben waren eben jene Merkwürdigkeiten, die wir ja fon gewohnt find. Ef foll wohl auch ein Mitarbeiter fehlen, aber ef wird noch ein Weilchen dauern, heraufzufinden, ob der nicht woanderf verfütt gegangen ift."
"Minister von Lipwig und seine Leute haben die flinken Griffel vom Tatort zu lassen!", murrte Glum auf und besah die Vorgesetzte mit einem dumpfen Blick, der jene die Nase rümpfen lies. "Hat ihm das schon jemand weis gemacht?"
"Du weift, daff ich eigentlich fehr locker bin und euch eure Freiheiten gebe, ..."
Feldwebel und Lance-Korporal sahen sich mit milder Überraschung ob dieser Aussage an.
"...aber bitte lege dir extern eine andere Fprechweife zu, Gulm!"
Nach einem kurzen Zögern sowie einem leichten Tritt Sebulons brachte Glum einen steifen Salut zustande, den er mit einem widerwilligen "Jawohl, Määm!" unterstrich.
Fogi stakste auf Sebulon zu, scheinbar ohne die Knie zu benutzen und überreichte ihm die in Folie gehaltene Fallakte wie einen heiligen Gral.
"Macht waf ihr wollt, aber wickelt daf fnell ab! Ihr wifft ja, wie die Menschen auf diefe Zeichen reagieren..."
Mit der Anweisung sich ein bis zwei Rekruten mitzunehmen und einem bedeutungsschwer wirkenden Fragezeichen verließen Glum und Sebulon das Büro einer Fremden.
Die drei Wächter hatten sich besprochen und entschieden, dass sie den ursprünglichen Plan eines getarnten doppelten Vorgehens bezüglich der Näherinnengilde verwarfen. Den Beschluss dazu, sich nicht mithilfe des DOG-Fundus auszustatten und zunächst den direktesten Weg einzuschlagen hatte streng genommen Feldwebel Subelon getroffen, nachdem er drei Dinge nüchtern erkannt hatte:
Atens.) schien ihm das Jorgan-Äquivalent inzwischen mehr als unfähig. Dauernde Verwirrtheit, schüchternes Verhalten und das misstrauische Hinterfragen jeglicher Entscheidungsfindung hielt der Zwerg für eher behindernde Eigenschaften. Betens.) war es sicherer, die neue Umgebung zunächst ein wenig zu erkunden, bevor sie sich ins Getümmel stürzten. Auf dem Weg ins Boucherie Rouge war ihm immer mehr bewusst geworden, wie sehr sich dieser neue Ort ('
Wo auch immer der sein soll???') in sämtlichen nur erdenklichen Belangen von seiner Heimat unterschied. Er war lebhaft, verschmutzt, moralisch höchst bedenklich und anstelle einer stillen Drohung schwebten Sünde und Rauchwolken über der Stadt. Die Sache wurde bereits wacheintern nicht besser, da seine hiesigen Kollegen ihn offenbar für nicht zurechnungsfähig sowie Gulm für einen Querschläger hielten. Dessen freundlicher Gruß an die Adresse des Oberstabsspießes Harry wurde überrascht und stichelnd zur Kenntnis genommen, da auf den strammen Salut ein gemurmeltes
"Ach, jetzt geht's also, ja?" folgte. Schließlich und cetens.) würde es den Püschologen nicht allzu sehr verwundern, wenn sogar die Gesetze, und so musste man die Richtlinien der Gilden wohl nennen, nicht mit seinen Gewohnheiten übereinstimmten. Ein überstürztes Aufbrechen nach dem Standardplan zur externen Gildenkonfliktlösung wäre daher nicht nur aus diesem einen möglichen Kontrapunkt heraus sinnlos.
Jargon für seinen Teil hatte eine Entscheidung auf anderer Ebene getroffen: Von dem Grundgedanken ausgehend, dass seine Kollegen verrückt geworden waren...oder es vielleicht nur schlimmer geworden war...dachte er nicht mehr über deren Eigenarten nach und entschied sich für eine stumme Analyse der Sonnenbrillenfraktion. Er litt unter dieser Zusammenarbeit, sah aber aufgrund der Arbeitsempfehlung laut Akte keinen vorzeitigen Ausweg.
Gulm, seit jeher von weniger beständiger Natur und ein Musterbild des Knigge, hatte es schnell aufgegeben sich wacheintern durchsetzen zu wollen. Man begegnete ihm hier entweder mit einer Mischung aus Gereiztheit und Unwillen oder jener, die sich aus Angst, Respekt und Bewunderung zusammensetzt. Mit diesem Gedanken war er unzufrieden, allein schon deswegen, weil er nicht lupenrein war. Es hatte auch nette Reaktionen gegeben. Wie beispielsweise die Kaffeespende der ehemaligen DOG-Leiterin Krulock an die drei Arbeitenden oder Helmi Bernsteins schelmische Neckerei, als Gulm, Subelon und Jargon soeben das
exklusiwe Ätablismon verlassen wollten und Estelle, eine Bewohnerin des Erdgeschosses, liebreizend und zwinkernd vor ihnen knickste. Alle drei befanden sich nun auf dem Weg zum Hauptgebäude der Näherinnengilde, Gulm vorausschreitend, Subelon den Schluss bildend. Dass der Moloss, durchschnittlich einen halben Meter kleiner als die Menschen in seiner Umgebung, im Bevölkerungsstrom des unteren breiten Weges in Richtung der Messingbrücke mit erhobenem Zeigefinger voranschritt und lautstark um Verzeihung bat bzw. empört "Also ich muss doch sehr bitten!", ausrief sobald er angerempelt wurde, schien sich den Lebensgewohnheiten jenes seltsam sittenlosen Ankh-Morporks in keinster Weise anzupassen.
"Es ist ganz schön voll hier, so ist man es ja gar nicht gewohnt!", sprach Subelon halblaut, aber verwundert aus.
Jargon, der dies nicht minder verwundert vernahm drehte den Kopf halb herum, um dem zwergischen Vorgesetzten zu antworten, welcher jäh einem Karren auswich, dessen unwirscher Fahrer sich einen Weg durch den Pulk bahnte und dabei wie ein Schnitter im Korn vorging. Es schien seiner Persönlichkeit zu entsprechen.
"Bist du etwa zum ersten Mal hier?"
Nervös nahm Subelon die Sonnenbrille ab und nestelte an ihrem Bügel herum. Obwohl er noch einige Minuten darüber nachdachte, fiel ihm keine korrekt passende Antwort ein, die alles beinhaltete, was derzeit in ihm miteinander rang. Als die Tore des Patrizierpalastes in Sichtweite kamen und sie abbogen, schüttelte er den Kopf, nahm sich mit einem tiefen Seufzen ein Herz und setzte die Sonnenbrille wieder auf. Jetzt galt es sich auf eine andere ungewöhnliche Situation zu konzentrieren. Ein Mann wollte in die Näherinnengilde. Sprach etwas dagegen? Eine Menge Männer wollten in die Näherinnengilde. Wenngleich auch aus anderen Gründen. Die kühle Herbstsonne verschwand einen Moment hinter gräulichen Wolken und verlieh dem Uhrturm des zwillingsstädtischen Regierungsgebäudes ein tristes, gar abstoßend unmotivierendes Aussehen. Der Wind pfiff scharf und schneidend...
...sodass ihm fröstelte. Der hagere Mann zog den Schal enger und blies in die Hände, rieb sie aneinander warm. Schon immer hatte sich Havoleck Vetinari ein durchsetzungsfähigeres Wesen gewünscht. Es war ihm klar, dass seine Regentschaft nur deshalb so lange währte, weil die Besonderheit seiner Person im Mangel einer ausgeprägten Persönlichkeit lag. Was war schwieriger? Ein Tyrann, der seine Räte, Lords und Sitzungsausschüsse eisern diktierte, dauernd auf Verrat und Oppositionsvertreter achtend oder ein Herrscher der Öffentlichkeit, dessen Geheimräte ihn lenkten und je nach Brauchbarkeit formen konnten? Er hatte sich zwar nie dafür entschieden, aber dass er den leichteren, schlammigeren der beiden Pfade beging und in den Fußstapfen seiner Vorherrscher wandelte, versinnbildlicht auch eine Schuhgröße kleiner trug, war offenkundig. Aber es gab da noch jemanden, jemanden der über den Lords, den Räten, den Parlamentariern und Fürsprechern ihrer Selbst stand. Und vor diesem stand nun Vetinari mit wässrig-übermüdeten Augen.
"Wisse, dass sie nun die Plätze getauscht haben, Lakai.", sprachs vom Thron herab.
Der Patrizier sah nicht hin, fühlte sich vom Klang der Stimme dennoch unangenehm berührt. Hoch und piepsig.
"Und auch, dass alles nach Plan verläuft. Sie finden sich nicht zurecht."
"Dann geht euer Plan also auf...ihr...Herren?", würgte er nach einem kaum merklichen Zögern beinahe hervor.
"Sobald wir diesen Punkt erreichen...", meldete sich eine zweite Stimme, der Klang beinahe gleich, zu Wort: "...wirst du davon erfahren, dessen sei dir gewiss. Es fehlt nicht mehr viel!"
Diese letzte Feststellung war an die erste Stimme gerichtet.
"Das stimmt!", entgegnete die zweite: "Ein erster Versuch, ein erster Schritt. Vielleicht folgen keine weiteren. Die Stadtwache - der letzte Störapparat. Und bald hat es sich damit!"
Havoleck Vetinari musste in der Kühle bibbernd verharren.
Man hatte ihn noch nicht entlassen.
Glum und Sebulon, die weltfremden Zwerge hatten soeben das Postamt erreicht und standen nun flankiert von Annia und Logel, den auserwählten Rekruten, inmitten der großen Schalterhalle des Postamtes. Hier wurden Wünsche versendet, Herzen geleert oder gefüllt, Tanten mit warmen Worten beglückt oder Onkel Otto mit seiner begehrten Teesendung vergönnt. Dies alles gab es zu festen Taxen: Zwischen einem und fünf Cent innerhalb Ankh-Morporks, erheblich mehr außerhalb davon.
Zwei riesige Kronleuchter erhellten den mehrstöckigen Saal mit seinen Galerien und Balkonen. Im Zentrum des mächtigen Saales stand die goldene Statue eines an verschiedenen Stellen geflügelten Botengottes, den man wie den Rest des ehemals niedergebrannten Gebäudes wiederhergestellt hatte. Er wurde umgeben von einem Ring aus Schaltern, deren wertvolles, geschreinertes Edelholz im Glanz der Kerzen ölig schimmerte. Dazwischen fanden sich Tische mit Tintenfässchen, verschiedenen Briefumschlägen, Messtabellen. Glanz und Glorie feierten an diesem Ort einvernehmlich ihre Selbstherrlichkeit, während zahlreiche Mitarbeiter und Kunden umherschwirrten. Zugegeben: Ein weiteres Mal konnten die beiden Zwerge dies nicht so im Raum stehen lassen. Es war prächtig und mächtig und Kunden waren zugegen. Doch anstelle des bekannten Rausches und Geflirres huschten die Menschen schweigsam und von recht bedrückter Natur durch den Saal. Es wurden nur wenige Worte gewechselt.
Logel zeigte sich als äußerst interessiert und rastlos. Ständig trat er von einem Bein aufs andere. Die blaugrünen Augen des dunkelblonden Mannes, deren Ausdruck oft so dumpf erschien zogen von einem Punkt zum anderen, ohne auch nur einen von ihnen jemals wirklich zu fixieren. Annia hingegen war ruhig. Sie schien ohnehin ein schweigsamer Mensch zu sein, deren Aufmerksamkeit stets dem Wesentlichen zugewandt war. Leider, so hatte Glum bereits festgestellt, ließ diese sich auch nur schwerlich ärgern. Es gab Menschen, die "Nein, danke!" sagten, wenn der Spaß sie zur Geselligkeit lud. Auch ihre Namen hatte Glum anders in Erinnerung.
"Sör?"
"Was gibt es, Annis?"
"Annia, Sör."
Die Rekrutin salutierte beflissentlich vor Sebulon und faltete anschließend die Hände ordentlich auf Höhe des Bauchnabels.
"Da vorne kommt der Minister, Sör!"
Und noch eine seltsame Erscheinung. Allerdings...wann war ein Mann im goldenen Anzug und beflügelten Schuhen, auf dem Kopf einen Hut, der von beidem das Beste vereinte, keine seltsame Erscheinung? Der Postminister und Präsident der Königlichen Bank von Ankh-Morpork, Fleucht von Lipwig, so der aktenvermerkte Name, nahte beinahe schwebend von einer Treppe herab, die zu den oberen Galerien führte.
Sich gegenüber stehen bleibend wurden rasch die Formalitäten erledigt, bevor man sich des eigentlichen Falls widmete.
"Kratz- und Nagespuren heißt es, Herr von Lipwig? Ein Mitarbeiter sowie ein Brief sind verschwunden?"
"So heißt es nicht nur, so ist es, Herr Feldwebel."
Der Minister seufzte und nickte ruckartig zur Seite.
"Kommen Sie bitte einmal mit, ich zeig's Ihnen. Dabei ist das ja nun wirklich nichts Neues..."
Sie folgten dem güldenen Mann, der sie hinter die Schalter führte, in Richtung eines bogenförmigen Flures.
"Das war hier nicht das erste Mal und wird auch, verflucht noch mal, nicht das letzte Mal gewesen sein. Generell nicht."
"Generell nicht?", erkundigte sich Glum und erhielt dafür einen überraschten Seitenblick Annias.
"Aber Sör,...", flüsterte diese sofort: "...denk nur an all die anderen Vorfälle."
Er hob verschwörerisch eine Augenbraue über den breiten Rand der Sonnenbrille hinweg.
"Die anderen Fälle?"
"Und kaum einer davon aufgeklärt. Nicht so richtig jedenfalls."
"Dann hat sich auch niemand Mühe gegeben!", knurrte Glum.
Die Rekruten hielten beide erschrocken inne und sogar der Postminister zuckte kurz zusammen.
"Herr Wächter, es ist allseits bekannt, dass...nun...ich will mir nicht zu viel herausnehmen..."
Von Lipwig zögerte einen Moment lang.
"...sagen wir einfach, manche munkeln von einer Verschwörung."
"Ich betrachte das als Ansatz. Wer munkelt denn beispielsweise? Dort fangen wir a-"
"So, wir wären da!", überfuhr der goldene Mann den Zwerg schnell.
Etwas zu schnell, wie der Moloss fand.
Von Lipwig holte aus der Innentasche seiner Jacke einen Schlüsselbund heraus, suchte kurz, fand den passenden und steckte ihn ins Schloss. Die Tür klemmte ein wenig, knarzte dann aber und schwang auf. Zwei grün leuchtende Punkte starrten aus dem Zwielicht, welches den Raum für sich vereinnahmt hatte. Leises Rascheln war zu hören, dann näherte sich etwas.
"Ach.", bemerkte von Lipwig. "Hallo, Herr Taddles."
oOJargon SchneidgutOoGrummelnd stapfte Klimmgut durch die äußeren Gänge des Universitätsgebäudes.
"Schadenersatz, wie?", kam es von seinen bärtigen Lippen, "Zerstörung von universitätseigenem Eigentum, sagt er?"
Er strich sich in einem plötzlichen Anfall von bewegter Frustration einige Krümel aus seinem Bart.
"Dem werde ich es zeigen - wenn er schon ein neues Thaumometer haben will, dann soll er es doch haben!"
Entschlossen marschierte Karsten in sein Zimmer und holte einen etwas veralteten Stadtplan Ankh-Morporks hervor.
"Mal sehen, wo war es denn..." Sein Zeigefinger strich über das Pergament und fand schließlich sein Ziel, dann grinste er.
Erteilen wir dem ach so moraltreuen Ponder doch mal eine Lektion, dachte er,
in Sachen Frauengesellschaft!Wie soll ich es nur schaffen, die beiden wieder 'normal' zu machen?, dachte Jargon, als er zusammen mit den beiden sonnenbrillentragenden Zwergen das Hauptgebäude der Näherinnengilde ansteuerte.
Offenbar hat das alles mit diesem merkwürdigen Anbau an die Dunkelkammer zu tun, setzte er seinen Gedankengang fort und holte routinemäßig einen seiner Ermittlungszettel hervor. Dann schrieb er:
Dunkelkammer -> Zimmer(?) mit veränderten Wächtern
Glum und Sebulon im Wachhaus -> Zimmer(?) || Echte Wache <- "Gulm" & "Subelon"
Was hat es mit dem Zimmer auf sich?Dann fiel ihm etwas ein, das er mal in einem älteren Buch während seiner Grundausbildung gelesen hatte, und er schrieb darunter:
"Neben - Raum?""Was wird das, Jorgan?", fragte Subelon, der sah, wie der Angesprochene auf ein Blatt Papier kritzelte und dabei nachdenklich die Stirn runzelte.
"Für deine privaten Liebesgedichte hast du auch später noch Zeit! Wir haben unser Ziel, welches das Gebäude dort hinten zu sein scheint, fast erreicht." Mit diesen Worten schnappte er dem Mann das Blatt kurzerhand weg und warf kurz einen Blick darauf, was in Jargon gleich doppelte Empörung hervorrief.
"He! Erstens sind das fallrelevante Notizen", begann er und griff nach dem Papier, "und zweitens würde es dich, wenn es wirklich Privatsache wäre, garantiert nicht berechtigen es dir durchzulesen nur weil es nicht dienstlich ist!"
Mit diesen Worten, die er zu seiner eigenen Überraschung kaum stimmlich kontrollieren konnte, entriss er dem Vorgesetzten seine Notizen.
Subelon blieb stehen und nahm seine Sonnenbrille ab. Gulm schwante Übles.
"Jetzt hör mir mal gut zu, mein lieber Herr Wächterkollege", setzte der mittlerweile miesgelaunte Zwerg an und hob seinen Zeigefinger noch höher als ohnehin schon üblich.
"Erstens einmal bin ich dein
Vorgesetzter." Er machte eine Pause, um den Eindruck dieser Aussage noch zu verstärken. In Jargon kochte die Wut über die merkwürdige Art und das ach-so-gehobene Verhalten des Chief-Korporals inzwischen kräftig. Doch es war mehr die Tatsache, dass ein gewisser Reflex in ihm ausgelöst worden war, der ursächlich dafür war, dass sich sein Gesicht einige Farbstufen in Richtug einer reifen Tomate bewegte.
"Und zweitens warst
du es doch immer, der uns diese Dinger täglich unter die Nase hält!", beendete der Vorgesetzte seine Argumentation, und vergaß dass er es hier ja gar nicht mit dem Jorgan zu tun hatte, den er kannte - welcher immer nur frustriert und gelangweilt war, und nie zu emotionalen Ausbrüchen geneigt hatte. Deswegen überraschte ihn die Reaktion auf seine Ausführungen umso mehr.
Ein lauter Wutschrei erfüllte die Gassen der Stadt.
Seit langem hatte Jargon kein solches Gefühl mehr empfunden. Unbeschreibliche Hitze brannte in ihm, es war als würde Feuer durch seine Adern kriechen, rote Schleier trübten seinen Blick - vor ihm stand der Verhasste, der Schlimme, der ihn nie ihn Ruhe ließ, sein Lebenswerk zerstörte, seine Freude zunichte machte.
Vor ihm stand die Verkörperung aller Schikanierer, die ihn jemals in den Dreck gestoßen hatten, vermischt mit der Wut über seine eigene Unfähigkeit, ein normales Leben zu führen oder sich zu wehren. Seine Schüchternheit stand vor ihm, seine Einsamkeit sah ihm ins Auge. Er wollte nur noch, dass es aufhörte, und so griff er an, schlug zu und trat, biss kratzte, packte. Er wollte nie aufhören.
Der Gestank, den Ponder so lange nicht mehr gerochen hatte, erfüllte nun seinen gesamten Sinnesbereich. Ankh-Geruch vermischte sich mit verdorbenem Kohl, dem Gestank von Leichen und einer leisen Ahnung von verbotenem Vergnügen.
Wieso habe ich mich nur darauf eingelassen?!, dachte der Praelector der Universität immer wieder und wich mit seinen (immerhin recht teuren) Stiefeln allem möglichen Dreck und den Füßen anderer Leute aus.
So merkwürdig es auch klingen mochte, er hatte sich freiwillig für diesen Auftrag gemeldet. Sobald Klimmgut ihm gesagt hatte, wo er das neue Thaumometer kaufen wollte, entschied sich Ponder dazu, es selber zu machen. Erstens war dieses Viertel der Stadt viel zu gefährlich für einen Studenten, und zweitens wollte er nicht, dass Karsten das neu erworbene Instrument wieder zerbrach. Eins hatte sich der Zauberer schon geschworen: Zukünftig würde er seine magischen Werkzeuge in einem Tresor einschließen.
Endlich erreichte er die Morphische Straße - und ein nicht unbedingt ungewöhnlicher Anblick bot sich ihm: Ein kleiner Mann mit einem knallroten Gesicht und Schaum vor dem Mund prügelte sich mit zwei Zwergen. Allerdings schrie er dabei Dinge, die man nicht unbedingt erwartete:
"FASS NIE WIEDER MEIN LEBEN AN!", schrie er, und "VERSCHWINDE EINFACH AUS MEINEM LEBEN!"
Eine kleine Menge an Zuschauern hatte sich bereits eingefunden. So wie es aussah verfügte der Mensch zwar über einen furchtbaren inneren Antrieb, aber die beiden Zwerge waren stark und nicht unbedingt unerfahren im waffenlosen Kampf, weshalb sie es schafften ihn einigermaßen zu bändigen. Einer der beiden packte einen Arm und die braunen Haare des Mannes, der andere umfasste seine Beine. Deshalb wedelte und zappelte der Mann wild mit dem freien Arm herum und versuchte mit einem manischen Glanz in den Augen, sich zu befreien.
"HÖR EINFACH AUF!", schrie er und packte die Hand, die seinen Kopf festhielt. Dann entschied Ponder, diese Auseinandersetzung zu beenden.
Die grünen Punkte schlichen langsam auf die Wächter zu, und je näher ihr Besitzer der Tür kam, desto geringer wurden die Schatten, von denen die Kreatur umrissen wurde, und desto klarer wurde es, dass es sich bei dem Wesen um einen Kater handelte. Das Tier schlich geduckt an den Wächtern und dem Postminister vorbei, dann rannte es schnell davon.
"Das ist unser Postkater, Herr Taddles", durchbrach Lipwig die folgende Stille und kratzte sich am Kopf.
"Es scheint, als hätte ihn jemand übersehen als der Raum abgeschlossen wurde. Naja", meinte er dann, "seht euch nur um."
Er stieß die Tür vollends auf und gab so den Blick auf einen kärglich eingerichteten Raum frei. Einige Briefe lagen auf dem Boden verstreut, ein Schreibtisch und ein Stuhl schienen die einzigen Einrichtungsgegenstände zu sein. Das große Fenster auf der Gegenseite der Tür war zum Großteil mit einem schwarzen Vorhang verhangen. Nachdem sich die Augen der Wächter an das Licht gewöhnt hatten, bemerkten sie die Kratzspuren auf dem Fußboden. Eigentlich waren sie gar nicht zu übersehen.
"Wozu dient denn dieser Raum normalerweise?", fragte Glum und betrat das Zimmer vorsichtig.
"Es ist das Büro zur Bearbeitung von merkwürdigen Briefen", antwortete Fleucht. Er stand noch immer in der Tür und beobachtete, wie Sebulon Glum folgte. Logel und Annia standen unschlüssig hinter dem goldbemützten Mann.
"Verstehe", meinte der Moloss und zog den Vorhang zur Seite.
Reines Tageslicht beleuchtete den Tatort. Der Schreibtisch war mit ungeöffneten Briefumschlägen beladen, ansonsten deutete nur das Durcheinander auf dem Boden darauf hin, dass hier vor kurzem jemand gewesen war.
"Dann schätze ich mal, es handelt sich bei dem Verschwundenen um den Bearbeiter merkwürdiger Briefe?", folgerte Sebulon und hob einen der Umschläge vom Boden auf.
"Das ist richtig."
"Hm, hm", machte der Püschologe als er die Adresse des Briefes las. Dann winkte er den beiden Rekruten.
"Bitte helft uns dabei, die Spuren und Briefe genauer zu untersuchen. Möglichst ohne hier zu viel zu verändern. Wird sich aber bei all dem Chaos nicht vermeiden lassen."
"Jawohl, Sör", antworteten die beiden synchron und machten sich an die Arbeit.
"Und keine Post öffnen! Es gibt schließlich ein Postgeheimnis. Wenn die Herren Wächter mich nun entschuldigen würden", sagte der Postminister und tippte sich an den Zylinder. "Ich habe noch viel zu tun."
"Natürlich", murmelte Glum eher zu sich selbst und sah sich die ungeöffneten Briefe an.
"Merkwürdig", meinte Logel als er die Adresse eines der Briefe überflog."Es scheint, als wären die meisten der Briefe an den Patrizier gerichtet."
Sebulon nickte und kniete sich auf den Boden, um die Spuren zu untersuchen.
"Wenn sie nach Lipwig nicht schon vorher da gewesen wäre, hätte ich behauptet, dass die Katze hier herumgekratzt hat, weil sie raus wollte", meinte er.
"Das sind eindeutig die Spuren von Krallen.", warf Glum ein.
Sein Kollege nickte zustimmend, während die beiden Rekruten weiterhin Briefe untersuchten.
"Aber dafür sind sie zu klar angeordnet", antwortete er dann und besah sich die Kratzer auf dem Schreibtisch.
"Wenn es nicht völlig abstrus klingen würde,", sagte Sebulon dann, "würde ich behaupten es sieht aus als hätteetwasmit ziemlich vielen winzigen Krallen etwas Schweres verschoben und sich dabei auf seine Krallen gestützt, sodass sie sich quasi vorwärts gezogen hätten. Das siehst du in der Rillenspur."
Der Blick des Sohnes von Samaxfolgte ihnen den Boden entlang.
"Wenn das stimmt", meinte er, "dann zeigen die Kratzspuren ja in die Richtung, in die geschoben wurde."
Sie folgten der Spur mit ihren Blicken. Sie führte geradewegs zum Fenster.
"Aber das ist eigentlich ziemlicher Schwachsinn", meinte Glum dann und schüttelte den Kopf. "Bei 'vielen Krallen' fallen mir als Zwerg spontan Ratten oder Mäuse oder ähnliches ein. Und Ratten können so etwas nicht und wie sollten sie jemanden aus dem Fenster hieven? Das klingt für mich ganz schön bescheuert."
Schwärze umfing ihn und lange Zeit herrschte Stille. Dann hörte, nein, spürte er ein leises Pochen in der Ferne. Die Intensität des Pochens nahm langsam zu, und bald war es sehr stark. Mit beängstigender Kraft nahm es weiter zu, immer weiter, und schließlich war es so stark, dass es schmerzte. Doch auch jetzt stoppte es nicht; immer härter, immer lauter wurden die Schläge, stechender Schmerz schoss in sein Genick und in die Stirn.
Endlich erwachte Jargon aus der Ohnmacht.
"
Argh!", lautete sein erstes Wort und augenblicklich presste er beide Hände an seinen Kopf. Heißer Schmerz dröhnte in seinem Schädel, schwere Schläge schossen von seinem Herz zu seinem Hirn.
Er öffnete die Augen zu Schlitzen, den Mund halb geöffnet und atmete heftig ein und aus.
"Ah, er ist wach", ertönte eine raue Stimme. "Du hast ihn wirklich nicht umgebracht, Herr Zauberer."
Ächzend öffnete Schneidgut seine Augen etwas weiter, und die verschwommenen Schemen von einigen Personen nahmen langsam Gestalt an. Er spürte eine Mauer im Rücken und begann langsam wieder die normalen Geräusche der Stadt wahrzunehmen.
"Was ist passiert?", murmelte er und rieb sich die Schläfen. Das Pochen schlenderte noch ein wenig in seinem Kopf herum, verlor aber ein wenig von seiner Kraft.
"Herr Stibbons hier hat unsere kleine Auseinandersetzung mit magischen Mitteln beendet", antwortete die Stimme von vorhin, und Jargon erkannte die steife Ausdrucksweise von Subelon, dessen Gesicht langsam klare Formen erhielt.
"Du hast ja ein blaues Auge", bemerkte der Obergefreite überrascht. Er blinzelte. "Auseinandersetzung?"
"In der Tat. Offenbar bist du ein wenig - in die Luft gegangen, nachdem ich dich auf die Unangemessenheit deiner Schreibarbeit hingewiesen habe."
"Das stimmt", mischte sich nun auch die Stimme von Gulm dazu.
"Unangemessenheit meiner Schreibarbeit?", fragte der Rechtsexperte verwirrt und versuchte sich zu erinnern. Dann überlief es ihn wie ein Eimer mit Eiswürfeln.
"Ich hatte wieder einen Anfall!", rief er aus und blinzelte zwei mal, sodass er wieder klar sehen konnte. Vor ihm standen Subelon und Gulm, weiter hinten konnte der den spitzen Hut eines Zauberers und die Fassade des Hauptgebäudes der Näherinnengilde erkennen.
Die beiden Zwerge nickten sich zu. Dann halfen sie ihrem Kollegen vorsichtig auf die Beine.
"Wir sollten jetzt mit unserer Arbeit weitermachen", meinte Subelon und versteifte seine Haltung.
oOSebulon, Sohn des SamaxOoWährend die beiden Zwerge aus der verkehrten Welt sich mit dem bulligen Torwärter der Gilde unterhielten und ihr Anliegen schilderten, stand Jargon etwas abseits und versuchte die Welt für sich neu zu ordnen. War er tatsächlich auf diese beiden Wächterimitate losgegangen? Das schien ebenso absurd, wie die Existenz von Nicht-Glum und Nicht-Sebulon selbst, lag damit gewissermaßen also im Bereich des Möglichen.
Verschämt schweifte sein Blick zu dem Zauberer. Es war ganz sicher ein Zauberer. Robe und spitzer Hut waren recht gute Hinweise. Glücklicherweise sah er nicht unbedingt so aus, als würde er daran denken, den Zwischenfall zu verpfeifen.
Mit der naiven Zurückhaltung seiner Berufsgenossen sah Ponder gerade zu dem in verschiedenen Rosa-und-Pink-Tönen bemalten Namensschild der Gilde hinauf. Sein kritischer Blick las den Namen, dann glich er den Straßennamen wieder und wieder mit seiner Straßenkarte ab.
"Herr ... Zauberer?", begann Jargon, schwieg jedoch, als Ponder ihm seine irritierte Aufmerksamkeit schenkte.
'Ich hoffe, ich habe nichts Falsches gesagt', schoss es dem Wächter durch den Kopf.
'Mit Zauberern sollte man es sich nicht verscherzen, sonst wird man in irgendein hässliches, unangenehmes Tier verhext, wie ... eine Kröte oder ein Klammerbär. Oder immer wenn man spricht, purzeln hunderte kleiner Schnecken aus dem Mund.' Seine Wangen färbten sich rosa, als er einen Moment lang den Gedanken plastisch werden ließ.
'Andererseits: Was macht er gerade hier, vor der Näherinnengilde ...?'"Ich denke, ich habe mich verlaufen", beantwortete der Zauberer die ungestellte Frage mit erneutem Blick auf das Gildenschild. "Dieser verfluchte Klimmgut! Und ich heiße Ponder. Ponder Stibbons."
"Soso", erwiderte Schneidgut und beide schwiegen bedächtig. Innerlich kreischte der völlig verschüchterte Jargon:
'Er kann Gedanken lesen! Was mache ich nur?! Nur nichts denken! Nichts denken! Aber wenn er mich jetzt etwas fragt? Aaaah, das war ein Gedanke! Nichts denken!'"Du...", unterbrach Stibbons die Stille.
"Jargon Schneidgut, Herr", vermutete Jargon schwitzend, bemüht, nichts Dummes zu sagen.
Der Zauberer nickte und fuhr nach einer kurzen Pause fort: "... weißt natürlich nicht zufällig, wo man hier in der Nähe ein Thaumometer bekommen kann? Mein Kollege muss sich in der Hausnummer vertan haben, als er mir die Adresse ..." Als er den Gesichtsausdruck des jungen Rechtsexperten sah, winkte er jedoch ab. "Schon gut."
Nicht-Glum sank gerade um Einlass bittend vor dem Portier auf die Knie. Da Jargon diese beschämende Szene nicht beobachten wollte, wandte er sich wieder dem Zauberer um, der sich langsam auf der Stelle drehte und anhand etwaiger Ausschilderungen nach einem Geschäft für magische Werkzeuge Ausschau hielt.
"Schönes ... hmm ... Wetter? Heute?", versuchte Schneidgut einen neuen, unverfänglicheren Gesprächsbeginn.
Mit Frust in der Stimme antwortete Stibbons: "Findest du."
'Ich langweile ihn!', schnaubte der innere Jargon, während er äußerlich brabbelte: "Ja, ... der Ankh duftet, die Sonne scheint, ... Ich meine, vorhin war zwar ein kurzes Unwetter, aber abgesehen davon ist doch das Wetter ... gut?"
"Es war ein magisches Unwetter", quittierte der Zauberer.
"So?", fragte der Wächter ungläubig.
'
Bingo. Er will reden. Sei unverfänglich, gib ihm Raum fachliches Wissen zu zeigen ... - oh, habe ich das gerade gedacht? Ich muss aufhören zu denken! Nicht denken, nicht denken!'
Er fuhr fort: "Äh ... woran ... merkt man magische Unwetter?"
Ponder hörte auf, sich zu drehen, wandte sich betont langsam zu Jargon um und meinte dann trocken: "Dafür hat man Thaumometer."
Der Geist des Rechtsexperten witterte einen Hoffnungsschimmer. Unsicher trat er etwas näher an den Zauberer heran. "Ist es möglich, dass so ein ... magisches Gewitter ... eine Persönlichkeit...", er hauchte das letzte Wort, "...umkehrt?"
Stibbons riss die Augen auf und trat einen Schritt zurück. "Ich bin nicht so einer ..."
Die Augen verdrehend schüttelte Jargon so unauffällig wie möglich den Kopf und deutete hinter vorgehaltener Hand zu seinen beiden Kollegen.
Nicht-Glum war gerade in Tränen ausgebrochen und Nicht-Sebulon reichte ihm ein mit einem Monogramm besticktes Stofftaschentuch.
"Oh", sagte Ponder.
"Ich hätte nicht gedacht, dass das funktionieren würde", kommentierte der Zauberer mit hinter dem Rücken verschränkten Händen, als sie um die erste Ecke im Inneren der Näherinnengilde bogen.
"Das klappt immer", lächelte Nicht-Glum hintergründig. "Mit einer Zwiebel und etwas Pfeffer hätte ich es in zwei Minuten geschafft."
Alle drei Wächter hatten die Sonnenbrillen wieder aufgesetzt, auch wenn Jargon dadurch in den durch Kerzen beleuchteten Gängen der Gilde noch mehr Probleme mit der Orientierung bekam als vorher. Die künstliche Tagblindheit ließ ihn immer wieder gegen Türrahmen stoßen. "Autsch!", entfuhr es ihm. "Sagt mal, wen ... wen wollen wir eigentlich wegen des Skandals befragen?"
Subelon zuckte gleichgültig mit den Schultern, Gulm blieb verwirrt stehen.
"Ich dachte, du weißt, wo wir hingehen!", sagte er dem Stammagenten entrüstet.
"Dann hast du geirrt, Kollege."
"Aber du kennst dich doch in der Gilde aus, so wie du immer darüber erzählst!"
Nun blieb auch Nicht-Sebulon stehen und sagte so bestimmt wie möglich: "Es wurde einiges geändert, seit ich die letzte Stippvisite vornahm."
Die darauffolgende Stille wurde nur von gelegentlich quietschenden Betten hinter verschlossenen Türen kommentiert.
Ponder beugte sich zu Jargon vor: "Beeindruckend. Machen die beiden immer so ein Theater?"
"Nunja, erst seit dem Gewitter fällt es so auf", erwiderte dieser im Flüsterton, die Worte mit Bedacht wählend. In dem Bestreben hilfreich zu sein, fügte er an: "Außerdem sprechen sie die Namen von uns irgendwie komisch aus. Als hätten sie auf einmal einen Dialekt, weißt du? Und ... eigentlich dachte ich immer, dass sich Glum...", er hob mit der einen Hand die Sonnenbrille, um besser sehen zu können, und deutete auf den vorderen lautstark streitenden Zwerg, "...hier besser auskennen müsste, als Sebulon.", der Finger wanderte zum Ende des Ganges.
"... immer musst du den großen Zwerg markieren!", fauchte Nicht-Glum.
"Gulm, du bist doch nur neidisch, weil deine beiden Väter noch weniger Ansehen hatten als du selbst!"
"Sag das noch einmal, Subelon, ...!"
Jargon rückte die Sonnenbrille zurecht, straffte seinen mageren Körper, sodass er beide Zwerge um einen halben Meter überragte, räusperte sich und sagte so sachlich wie möglich: "Warum, äh, fragen wir uns nicht zum Sekretariat durch, und lassen uns von dort weiterverweisen?" Nach einer Denkpause fügte er an: "Kollegen?"
"Genau das hatte ich vor", brummte Nicht-Sebulon unwirsch und drehte sich wieder in Laufrichtung. Ein überraschtes Zusammenzucken verriet ihn jedoch, als er sagte: "Und ich wusste ganz genau, dass hier der Wegweiser zum Sekretariat im ersten Stock ist. Ich war nur noch nicht dazu gekommen, es euch zu sagen."
"Höchst interessant", kommentierte Ponder.
"Im Ganzen nicht sonderlich aufschlussreich", meinte Glum, als die beiden Wächter das Postamt verließen. Der Ankh-Geruch schlug ihnen kameradschaftlich auf die Nase, als sie gemeinsam ein paar Schritte zwischen sich und den Tatort brachten.
Sebulon schüttelte nur nachdenklich den Kopf.
"Man kann dem Postamt hier zugute halten, dass es arbeitet." Auf dem Platz vor dem Patrizierpalast blieben sie stehen. Gedankenverloren und mit einem Blick auf das Regierungsgebäude fügte Sebulon an: "Nur nicht, wenn es in diese Richtung geht. Die Briefe sind nicht zugestellt worden."
"Anscheinend wäre das auch lebensmüde, wenn du mich fragst", kommentierte der Moloss.
"Wieso? Hörst du gerade irgendjemanden jammern oder zusammengeschlagen werden? Tatsächlich denke ich, dass wir die einzigen sind, die in dieser Stadt laut reden. Die Wache scheint effektiver zu sein, als ich es je zu träumen gewagt hätte."
"Jetzt wo du es sagst ... sollten nicht Assassinen- und Diebesgilde arbeiten? Auf ihre verstohlene Art und Weise, versteht sich?"
Die Türen der Gilden um den Patrizierpalast herum waren vernagelt, die Fenster in den oberen Geschossen standen offen. Insgesamt wirkten sie nicht sonderlich belebt.
"Denkst du, was ich denke?"
"Hoffentlich nicht", erwiderte Glum ehrlich.
Sebulon atmete tief durch. "Wir müssen mit dem Patrizier reden."
Als sein Kollege gerade zu einer Erwiderung ansetzen wollte, sahen sie Jargon im dämmrigen Abendlicht auf der Treppe des Patrizierpalastes sitzen.
Er dichtete.
Während Nicht-Sebulon und Nicht-Glum auf den etwas verwirrten, leger gekleideten Sekretär einredeten, hatte Jargon genug Mut gesammelt, um sich tuschelnd mit dem Zauberer zu unterhalten. Sie hatten sich als Anrede auf ein "Du" mit "Herr" und Nachnamen geeinigt und Jargon hatte so kurz wie möglich geschildert, was sie in der Gilde zu ermitteln hofften.
"Willst du damit andeuten, Herr Schneidgut, dass hier ... Frauen arbeiten?", fragte Ponder schockiert.
"Man erzählt sich Solches.", entgegnete dieser und ärgerte sich, dass er erneut rote Wangen bekam. "Aber das ist gerade nicht mein größtes Problem ..."
Beeindruckt rückte Stibbons seine Nickelbrille auf der Nase zurecht. "Nun, damit wirst du wohl Recht haben."
"Kannst du sie ... untersuchen?", fragte Jargon.
"Wozu? Ihnen geht es doch pudelwohl." Wie zum Beweis trat der Zauberer einen Schritt an Gulm heran und zwickte ihn in den Nacken.
"Au! Was soll das!", beschwerte sich dieser, wandte sich jedoch wieder dem Sekretär zu, der sich gerade zu erinnern schien, dass es einen Vorfall gegeben haben könnte, bei dem ein Mann nähen wollte.
Zufrieden nickte Ponder dem jungen Wächter zu. "Keine verzögerte Reaktion. Der Charakter ist nicht fremdbestimmt übernommen oder etwas Ähnliches."
Jargon fühlte sich mit jeder verstreichenden Sekunde unwohler in seiner Haut. "Aber was... was wenn ... wenn sie aus einem Nebenraum oder so etwas kamen?"
'
Na toll', dachte er. '
Wie soll ich das jetzt erklären? Sie sind ja tatsächlich aus dem Raum neben der Dunkelkammer gekommen - der eigentlich gar nicht da sein sollte!'
Stibbons machte große Augen. Neugierig umrundete er die Wächter, die dies zu ignorieren versuchten, um ihre Autorität so weit als möglich gegenüber des Sekretärs zu wahren, und drückte Subelon gegen die Uniform. Dies hatte kaum sichtbaren Effekt, da sie blitzsauber war und eine Stahlplatte darunter gegen Angriffe gedacht war. Dennoch sah er davon ab, es noch einmal zu versuchen, weil sein Finger eine leichte Abriebspur auf der Unifom hinterlassen hatte und der unterdrückte Ärger bei Samax' Sohn gut zu erkennen war.
"Ich müsste sie untersuchen", flüsterte der Zauberer dem jungen Wächter zu. "In unseren Laboratorien. Es müssten einige Millithaum Restmagie zu finden sein, wenn du Recht hast. Dafür brauche ich natürlich ein Thaumometer."
Ein Plan begann sich hinter der Stirn des Rechtsexperten zu formen.
"Hier, bitte", beendete der Sekretär die Verhandlungen und überreichte den Zwergen ein Formblatt. "Gertrud Wahrscheinlich, lebt in der Munteren Straße. Redet doch einfach mal mit ihm, ihr Süßen, hmm?"
"Danke!", jubelte Nicht-Glum überglücklich.
"Falls ihr noch etwas möchtet, eine zwei- oder dreisame Entspannung vielleicht ...?"
"Nein, ... danke", kam Jargon dem interessierten Sebulon-Imitat zuvor. "Wir müssen ermitteln. Nicht wahr, Kollegen?" Jargons innere Stimme fiel in Ohnmacht ob der potentiellen Gefahren, unverfroren gegenüber den eigenen Vorgesetzten zu sein.
"In der Tat", nickte der andere Zwerg und half seinem Kollegen mit Nachdruck aus dem Zimmer.
Während sie wieder durch die halbdunklen, stöhnenden Gänge der Gilde liefen, auf der Suche nach dem Ausgang
[5], flüsterten Ponder und Jargon intensiv miteinander. Schließlich verstand der Zauberer den Plan und verabschiedete sich außerhalb des Gildengebäudes von den Wächtern, dankbar nicht doch noch einer dieser Damen begegnet zu sein, um eiligen Schrittes zur Universität zurückzukehren.
Jargon konnte nur hoffen, dass er schnell genug lief, um noch ein funktionstüchtiges Thaumometer aufzutreiben.
Als Stibbons fort war, warf der Obergefreite den beiden Zwergen über den Sonnenbrillenrand einen fragenden Blick zu. "Sörs?", fragte er vorsichtig. "Was machen wir jetzt?"
"Jorgan, Jorgan, Jorgan. Du hast schon wieder über der Dichterei vergessen zuzuhören, nicht wahr?", tadelte Nicht-Sebulon. "Wie soll aus dir nochmal ein Hauptgefreiter werden? Wir gehen selbstverfreilich in die Muntere Straße, wo dieses Subjekt wohnt."
"Oh, natürlich", flüsterte Jargon und ließ jedes Wort mit akuter Unsicherheit vibrieren. "Die ist seit der Straßenreform von letztem Monat ja eine angrenzende Straße des Hier-gibt’s-alles-Platzes", log er. Und um die Lüge ein wenig zu verschleiern, ratterte er so viele Paragraphen und Absätze herunter, die für eine solche Straßennamensänderung notwendig wären, wie ihm gerade einfielen.
"Tatsächlich?", fragte Nicht-Glum verwundert, als der junge Wächter schwieg und auf den Boden schaute.
Die Zwerge warfen sich Blicke zu, die in etwa so viel bedeuteten wie 'lass den Jungen mal machen, er ist hier zuhause und wir sind einen weiten, weiten Weg von unserer Heimat entfernt'. Schließlich nickten sie.
"Natürlich...", schloss Nicht-Sebulon, "...wussten wir das."
"Also, wenn wir ohnehin in die Richtung gehen, dann ... können wir auch kurz in der ... äh ... Dienststelle für Ungewöhnliche ... Magische Missetaten vorbeischauen. In der Universität, ihr wisst schon. Das neue ... Kooperationsprojekt."
Steinstiefel und Samaxsohn verkniffen sich kollektiv ein "Die WAS" mit vielen Fragezeichen.
Der Obergefreite jedoch verstand die nonverbalen Warnsignale des wachsenden Misstrauens bei seinen Kollegen nicht. Erleichtert atmete er auf, als sie sich auf den Weg machten.
Im anderen Ankh-Morpork erstattete eine Maus den Herrschern der Stadt Bericht.
"... und jetzt sind sie gerade auf dem Weg zum Patrizier, meine Lords."
Das Geräusch von kleinen aneinander reibenden Pfoten ertönte aus dem linken Thron. "Sehr gut. Da die Rekruten den Kommandeur von der Neugier ihrer neuen Kollegen informiert haben, wird er wohl die nötigen Maßnahmen ergreifen. Genau wie geplant. Schneidgut hast du zum Palast geschickt?"
"Ja, Herr."
"Ausgezeichnet. Geh und sag den Nagern und Kratzern, sie sollen sich bereit machen. Morgen reinigen wir die Stadt von allen sich widersetzenden Zweibeinern."
oOJargon SchneidgutOo"Jargon?"
Der Obergefreite hob den Kopf, eine schwärmerische Abwesenheit lag in seinem Blick.
"Was ist der Wunsch eurer
eurer bekannten
farbenfrohen
zwergischen Augen?", kam es aus seinem Mund.
Glum und Sebulon starrten den kleinen Mann an, der sein Blatt kurz überflog und dann vorzeigte.
"Das wird'n Gedicht an'n Boss!", sagte er dann, und seine Wangen glühten vor Eifer.
Die beiden Zwerge starrten auf das Blatt Papier. Die Schrift darauf nahm geradezu unheimliche Formen an, und der Text war - wenn man bedachte, an wen er adressiert war - noch unheimlicher:
"Mit feurigen Schwingen
an meiner Hand
überreiche ich der euren
euren Gestalt
diesen unheimlich wichtigen
geradezu leuchtenden
Brief."
Sebulon nahm das Blatt vorsichtig aus der offenbar nicht brennenden Hand, die es ihnen hinhielt und meinte:
"Das wird ihn bestimmt-"
Er suchte nach dem richtigen Wort.
"Er wird es bestimmt- Es ist-"
"Bemerkenswert", ergänzte Glum trocken und schüttelte den Kopf.
"Toll, ne?", meinte der Dichter fröhlich und sprang auf. Dann legte sich seine Stirn in Falten.
"Was macht'n ihr eigentlich hier?"
"Wir wollten den Patrizier besuchen", antwortete Sebulon und sah sich auf dem wie ausgestorben wirkenden Platz um.
"Ach? Prima, dann könn' wa ja zusamm'n reingehn, wa?"
Die beiden Zwerge sahen sich kurz verstohlen an, dann meinte Glum "Ja", und die ungleichen Drei betraten den Palast durch das prunkvolle Holztor.Dieser Magieladen ist ganz hier in der Nähe... ich muss versuchen ein Thaumometer von dort zu besorgen, dachte Jargon während er und die beiden Zwerge den Weg zur Unsichtbaren Universität einschlugen.
"Entschuldigt mich mal kurz", platzte es plötzlich aus ihm heraus, "ich muss mal kurz- ähm, kurz- na, ihr wisst schon, kurz weg, in Ordnung? Geht ihr schon mal vor, ja?"
Seine Begleiter blieben stehen.
"Hör mir mal zu, Kollege", begann Subelon und hob seinen Zeigefinger. Jargons Gesichtsausdruck veränderte sich von gespielt heiter zu einer Grimasse, die sich am besten als
O-je-Grimasse bezeichnen lässt. Er war nie ein guter Schauspieler gewesen.
"Was wird hier eigentlich - entschuldige meine metaphorische Annäherung an das Thema - was wird hier eigentlich gespielt?"
"Ähmmm...."
Der Zwerg sah ihm kurz ins Gesicht und meinte dann: "Entschuldige auch diese kurze Redundanz - was genau versuchst du vor uns zu verbergen?"
"Ich-"
"Versuchst du etwa etwas vor uns zu verheimlichen, was du zuvor mit diesem Zauberer besprochen hast?"
"Hör mal, ich-"
"
Liegt es etwa in deiner Absicht, eine Information vor uns zu verstecken, die etwas mit uns zu tun hat?"
"Na schön, ich-"
"
Ich habe nämlich die Vermutung dass genau das gerade der Fall ist! Und jetzt sag schon was hier los ist!"
Gulm dachte schnell über das nach, was er gehört hatte.
"Du willst also herausfinden ob wir aus einer anderen Dimension kommen, in der alle Personen das Gegenteil von dem sind, wie sie eigentlich sein sollten und uns nach Möglichkeit wieder zurückschicken und so wieder gegen unsere- ähm- wie hast du gesagt?"
"Anderen Egos", half ihm Subelon.
"Also so wieder gegen unsere alten Egos austauschen willst?"
Jargon sah ihn verwirrt an.
"Das stimmt so nicht ganz.", murmelte der andere Zwerg Gulm zu, "Es müsste heißen 'und so wieder gegen unsere anderen Egos austauschen willst?'!"
"Ja, genau, also..." Er stockte kurz. "Wie er gesagt hat."
Der Mann revidierte kurz, was der Zwerg gesagt hatte und nickte dann.
"Stimmt genau", sagte er daraufhin. "Das will ich. Und du kannst mich jetzt runterlassen, das wäre nett."
Subelon nickte und ließ Jargon los, den er an der Jacke gegen die Wand gedrückt hatte.
"Nun dann", meinte Gulm, "warum hast du uns das nicht einfach gesagt?"
"Ihr Herren!", zischte es aufgeregt, "Ihr Herren, sie haben den Palast betreten!"
Ein finsteres Zischen, das ein Lachen sein könnte, ertönte.
"Und der Kommandeur?"
"Ist schon auf dem Weg, Herr!"
"Sind alle Nager und Kratzer in Position?"
"Ja, Herr!"
"Gut." Ein leises Geräusch erklang, wie von Krallen, die auf Stein treffen. "Bereite meinen Mantel und den ihrer Ladyschaft vor. Wir gehen aus!"
oOGlum Steinstiefel-SingtnichtgutOoNustrum Pidcully schob stirnrunzelnd Hannans 'Ideologie springender Punkte' zurück in die entsprechende Reihe und wandte sich vom Regal ab.
"Ugh."
"Nein, ich denke nicht, dass es das richtige war! Es ging wohl doch mehr um...abnormale Rechtschreibung. Schlampige Interpunktion und so. Offensichtlich."
"Ugh?"
"Keine Ahnung, den Inhalt konnte ich nicht erkennen."
"Ugh!"
"Es war keine Hilfe, als du-"
"WAAAARGH!!!"
"Klingt irre!"
Ein blaues Leuchten durchdrang für wenige Sekunden die Bibliothek der Unsichtbaren Universität, dann verebbte es allmählich und zog sich in den hinteren Bereich zurück.
Zunächst blickten sich alle Gesichter fragend an, dann ging man vorsichtigen Schrittes auf den zentralen Gang zu, Pendor Stiggons vor sich her schiebend.
"Herr Erzkanzler! Es geht entschieden zu weit, dass-"
Es mussten die Bücher gewesen sein, die den Großteil der Fakultätszauberer auf die Knie warfen, denn der Feuerschweif mit dem voranfliegenden Verwalter für öffentliche Illusion, der so etwas schrie wie: "Aber doch nur THEORETISCH!!!", war für sich genommen zunächst unerklärlich und lediglich Schuld an ihren kokelnden Bärten.
Man hatte sich entschlossen die Wege erneut zu trennen.
Jetzt, wo die Absichten Jargons auf der Hand und vor allem im gegenseitigen Interesse lagen, fiel es Nicht-Sebulon und Nicht-Glum sehr viel leichter so zu tun, als stecke ein Sinn hinter den jüngsten Ereignissen. Die Entscheidung lag wieder einmal mehr bei den beiden Vorgesetzten, als bei Jargon, der nunmehr auf dem Weg in den Magieladen war. Von dort aus würde er sich direkt in die Unsichtbare Universität begeben um mit Ponder Stibbons sämtliche Vorbereitungen zu treffen. Natürlich war hierfür die Anwesenheit Subelons und Gulms nötig, zwecks Messung möglichen Millithaums, doch hielten es jene ausbildungsgetreu für ihre oberste Pflicht - Weltenwandel hin oder her - den ihnen aufgetragenen Fall zum Abschluss zu bringen. Daher hätte jemand der sie suchte, sie gegenwärtig in der Munteren Straße, vor Hausnummer fünf hadernd, finden können.
Gulm schob sich die Sonnenbrille höher auf die Nase und straffte seine Uniform so sehr es eben ging, bevor er streng die Tür anstarrte. Dann erschlafften seine Züge mit einem Mal wieder. Schulterhängend sah er hinüber zu Subelon, der selbst wenig überzeugt aussah, als er auf Holz klopfte. Selbiges schwang beinahe unmittelbar auf und ein Duft von Blumen umwölkte die Wächter, der sehr schnell im Dunst von Moschus verging. Gertrud Wahrscheinlich stand inmitten darin, in ein rosafarbenes Spitzenkleid gehüllt, eine Zigarettenspitze zwischen Zeige- und Mittelfinger schwingend.
"Ja hallo, ihr lieben Mäuse!"
"Mäuse? WO??", brach es aus beiden zugleich heraus, sodass die Erscheinung vor Ihnen schlagartig an Bedeutung verlor. In Verteidigungsstellung sprangen sie an die Seiten des Hauseingangs, die Pistolen-Armbrüste schussbereit gezogen.
"Aber nein...", versuchte Getrud mit ihrer tieftönenden Stimme zu beruhigen: "...das war doch nur ein lieb gemeinter Ausdruck. Machen Sie das dann immer so?"
"Nein, guter Mann, das machen wir nicht immer so.", entgegnete Subelon mit glänzender Stirn, die Waffe nach einem Moment des wachsamen Umgebung-Musterns widerwillig wieder wegsteckend.
"Bitte unterlassen Sie diese unbedachten Scherze über-oh! Verzeihung bitte. Ich wusste nicht, dass Sie eine Frau sind."
Er blinzelte.
"Sind Sie's?"
Dramatisch stemmte Getrud die Hände in die Hüfte und wedelte mit ihrer Zigarettenhand in mehreren komplizierten Abläufen vor seiner Nase herum. Ihre stark geschminkten Augen mit den längsten Wimpern, die Gulm je gesehen hatte, taxierten die beiden. An jeder von ihnen klebte ein winziges glitzerndes Sternchen.
"Das kommt ganz drauf an, was
Sie bevorzugen. Um genau zu sein - alles ist möglich!"
"Gleichzeitig in etwa?"
"Das ist meine Spezialität!"
Beide blinzelten kurz, ein jeder mit verschiedenen Bildern vor Augen.
"F-f-f-rau Wahrscheinlich..." Gulm wurde bei diesen seinen Worten der verborgene Irrsinn dahinter bewusst und er fuhr fort: "...uns liegen bei der Stadtwache Beschwerden vor, dass Sie überaus aufdringlich um die Aufnahme in die Gilde der Näherinnen gebeten haben. Ist das korrekt?"
Empört schwenkte die Zigarettenhand zu Zwerg Nummer zwei.
"Es ist korrekt, dass ich für mein Recht eingetreten bin, ja!"
"Sicher wissen Sie doch auch, dass es dafür gewisse...Zweigestellen gibt? Es kann nun nicht ein jeder in-"
"So? Das ist mein gutes Recht als Frau!"
"Als Frau."
Gulm schluckte und fand sich in einer Sackgasse wieder. Hilfesuchend nickte er Nicht-Sebulon zu.
"Sehen Sie, wir wollen versuchen es Ihnen...ähm...uns zu erklären..."
Und während sie das Haus der ungewöhnlichen Dame betraten und Ponder Stibbons in den Bibliotheksräumlichkeiten der Unisichtbaren Universität den bedeutenden Band 34 fand, geschahen in einer anderen Welt zwei Dinge von entscheidender Bedeutung.
Das erste traf auf die Zauberer sowie den Verwalter für öffentliche Illusion zu, der gerade dabei war die letzten Flämmchen am Saum seines Mantels zu löschen. Vor ihm waren die leitenden Mitglieder der Fakultät versammelt, in deren Rücken eine violette Barriere die Untersektion VII+I von den anderen trennte. Blasen kräuselten sich an ihrer Oberfläche, jedes Mal, wenn eine Maus von innen dagegen sprang. Band 34 der Ungewöhnlichen Phänomene lag leicht verschrammt ein paar Schritte weit von der Gruppe weg.
"Und sie waren einfach so da?", rätselte der Dozent für alte Runen und blickte hinüber zum Bibliothekar, der kreischend darum bemüht war die Unordnung der umher gestürzten Bücher zu beseitigen.
"Sie tauchten erst auf, als ich die ersten Spuren fand."
"Woher willst du wissen, dass du auf der richtigen Spur bist?", warf der Erzkanzler interessiert, doch nicht skeptisch ein. "Eine Spur ist erst dann eine, wenn sie sich als wahr herausgestellt hat!"
"Aber auch, wenn sie keinen anderen Schluss mehr zulässt!", konterte der Verwalter mit gerunzelter Stirn und trat das letzte Feuer entschlossen aus. Insgesamt bot er einen erbärmlichen Anblick.
"Sie griffen mich erst an, als ich zu einer entscheidenden Stelle in meinen Nachforschungen gelangt war. Und hinzu kommt..." Gewichtig hob er den geschwärzten Finger: "...dass eine Ecke des Buches, nämlich die rechte untere Ecke...angeknabbert ist!"
"Warum sollten Sie sie anknabbern? Das ist wenig unauffällig!", bemerkte der unterste Hirte mit gerunzelter Stirn.
"Schätze, es liegt in ihrer Natur!", mutmaßte Alte Runen und strich sich etwas bedauernd über den rußigen Bart. "Und du hattest keine andere Idee, als dich mit Feuer zu verteidigen, Verwalter? In einer Bibliothek?"
"Ich war in Panik!"
"Jedenfalls bedeutet ihr Auftauchen nie etwas Gutes! Was hast du da gefunden?", erkundigte Nustrum Pidcully sich aufmerksam beim Professor für unbestimmte Studien, der unter leisem Ächzen das besagte Buch geborgen und aufgeschlagen hatte.
"Ich denke, wir nähern uns der Antwort, Erzkanzler!"
Stiggons, der etwas abseits saß, war inzwischen so unglücklich, dass jener Ausdruck der wahren Zustandsbeschreibung nicht mehr genügte.
Viel interessanter jedoch waren die Vorgänge im Palast des Patriziers Havoleck Vetinari, der an einem kleinen Schreibtisch im Thronsaal saß und mit gefalteten Händen wartete. Vor ihm lagen ein bereits fertig verfasstes Dokument, ein Tintenfass mit Schreibfeder und das offizielle Amtssiegel.
Auf dem goldenen Thron von Ankh hatte man zwei kleinere platziert, deren Besetzer jedoch von einem halbdurchsichtigen, wiederum goldenen Stoff verdeckt wurden.
Dieses Bild bot sich den von Dromknutt herein geführten Wächtern Sebulon, Glum und Jorgan, die sich respektvoll verbeugten und die Sonnenbrillen abnahmen.
"Ah, meine lieben Wächter, es ist schön euch zu sehen. Ich hoffe sehr, dass alles seinen gewohnten Gang läuft?"
"Darum geht es, mein Herr und wir möchten uns bei dir für die Audienz bedanken!", verkündete Sebulon diplomatisch und mit leicht erregtem Blick. Er umfasste nervös sein Handgelenk. Dennoch wirkte dieser Patrizier nicht sonderlich bedrohlich auf ihn, wie man es ihm in der anderen Welt nachsagte. Es sah vielmehr nach einer diszipliniert-gespannten Hülle aus, in der ein Mensch ohne Kraft saß und nicht herauskam.
"Tatsächlich habe ich euch bereits erwartet. Aber bitte - ihr habt das erste Wort."
Glum fühlte sich angesprochen.
"Nun, wir wissen nicht, wie wir es so ausdrücken sollen, dass es nicht absurd klingt, Herr, deshalb sage ich es ganz nüchtern." Er holte tief Luft. "Wir denken, das hier ist eine Parallelwelt zu unserer eigenen und durch unglückliche Umstände sind wir hier gelandet und kommen nicht mehr von hier weg. Nein, wir sind nicht verrückt und halten großen Abstand zu allen halluzinogenen Kräutern!"
Havoleck bemühte sich um ein herablassendes Lächeln.
"Das klingt in der Tat absurd. Woran macht ihr bloß eine solche Behauptung fest?"
"Das merkt man einfach, Herr, wenn ich es salopp ausdrücken darf. Hier ist absolut alles anders. Das Gegenteil dessen wie wir es kennen. Es gibt keine Kleinverbrechen, alles ist sauber, die Gilden scheinen nicht zu arbeiten und was am ungewöhnlichsten ist - auf dem ganzen Weg zum Palast ist noch kein einziger Mord geschehen!"
"Das klingt nach einer idealen Ordnung.", erwiderte Vetinari bemüht überzeugt. "Vielleicht können wir deinen Sorgen bald aushelfen."
"Wir, Herr?"
"Euer Lordschaft?", schallte die Stimme des Sekretärs vom Portal her. "Der Kommandeur der Stadtwache, Aroghast Briguyar."
Eben dieser schritt im Lichte der zwielichtigen Halle, einen langen Schatten vor sich her tragend, auf seine drei Untergebenen zu. Verdutzt salutierten Glum und Sebulon, entschlossener Nicht-Jargon.
"Tach, Sör!"
"Obergefreiter!"
"Ah, Herr Briguyar. Es ist gut, dass du in diesem Moment zu uns stößt."
Der Patrizier stand auf, sein Rücken war leicht gebeugt.
"In den vergangenen Jahren warst du uns stets eine Bereicherung, hast für Sicherheit und Überwachung gesorgt. Überhaupt das Musterbeispiel eines leitenden Stadtwächters. Im Namen der Stadt und seiner Bewohner möchte ich dir hiermit von Herzen danken!"
Berührt blinzelte Aroghast und nickte höflich.
"Ich danke dir für diese Ehre, mein Herr! So soll es bleiben bis zum Ende."
"Stichworte sind schon eine seltsame Sache, nicht wahr? Es tut mir Leid, alter Freund!"
"Tötet ihn!", befahl eine piepsige Stimme vom Thron her.
Und noch bevor sie ihre Schwerter ziehen konnten waren die vier Wächter umringt von einer Schar weißer Mäuse, die urplötzlich aus allen Ecken herbeiströmten. Hunderte Krallen kratzten über den marmornen Boden. Es war ein Geräusch des Schauderns und der Kampf kurz und schmerzvoll.
Ein paar der Größeren hatten es auf Aroghasts Knöchel abgesehen, weitere versuchten bis an seinen Nacken zu springen. Doch in beiden Fällen konnte er sie abschütteln. Mit weit ausladenden Hieben rannte er fluchend durch die Halle zum Portal, immerzu umringt von unzähligen Nagern, derer er sich immer mühsamer erwehren konnte.
Mit ruhigen Bewegungen, doch sichtlich nur mühsam beherrscht, ließ Havoleck sich hinter dem Schreibtisch nieder und wandte sich nun den vor ihm stehenden Wächtern zu, die selbst von einer bedrohlichen Traube umfasst waren. Keine der beiden Parteien wagte es, sich der anderen zu nähern.
"Sebulon, mir hängt der Mist hier zum Hals raus! Bitte entschuldige mein Klatschianisch nicht!"
"Keine Sorge, Glum! Ich schreibe es nicht in deine Akte!"
Grimmig stießen sie Jorgans Schulter.
"Findet ihr das hier etwa normal?"
Dieser stand in selbstbewusster Positur da.
"Was heißt hier 'ihr' und 'hier', hä? Und überhaupt?"
Ein Metallschwert fiel in der Nähe des Portals klirrend zu Boden, der brüllende Aroghast verfiel in Raserei.
"Wir kämpfen doch schon eeeewig gegen diese Viecher, Sör! Oder haste das etwa schon vergessen?"
"Was man nicht weiß, kann man nicht vergessen! Wir müssen dem Kommandeur helfen!"
Er schwang sein Schwert im Kreise, um die verharrenden Mäuse zu vertreiben. Es brachte exakt nichts, so rasch und flink waren sie.
"Sebulon!"
Glum deutete auf die andere Hallenseite, auf der ein Knäuel soeben Mäuse etwas Größeres unter den Schreien dessen aus der Halle zog. Glum und Sebulon wollten hinterher stürzen, doch das laute Fauchen tausender Nagetiere ließ sie zurückweichen.
Als wieder Stille eintrat, räusperte Vetinari sich dezent.
"Jetzt, wo das erledigt ist, gehen wir zum nächsten Schritt über!"
Gewandt nahm er die Schreibfeder, zog einige Schwünge über das Dokument, griff das Amtssiegel und presste es in das zuvor mit einer Kerze hinterlassene Wachs. Alles in den vergangenen Minuten schien unwirklich.
"Feldwebel Sohn des Somox - trete vor!"
Alle Augen waren nun auf besagten Sohn gerichtet, der angewurzelt und mit erhobenem Schwert in der Mitte des Saales stand. Ihm schwindelte und wurde zunehmend schlechter. Es ging alles zu schnell, als dass er klar denken konnte. Der Kommandeur war tot, ermordet von einer Armada von Mäusen.Wie nebenbei, unwichtig und erledigt... Die Mäusemeute wich zur Seite und machte eine Gasse für ihn frei und wie im Traum wandelte er zwischen ihnen hindurch.
"Die Geschehnisse der letzten Augenblicke bringen einige neue Änderungen im Personalplan der städtischen Beamten mit sich. Als Patrizier der Stadt Ankh-Morpork ernenne ich dich aufgrund dessen sowie der Kraft des mir verliehenen Amtes zum Kommandeur der Stadtwache!"
Er streckte Sebulon das Dokument entgegen.
"Erweise dich deines Amtes als würdig!"
Bei diesen Worten durchzuckte ein leises Flehen seine Augen, unerkennbar für jeden, der ihm in diesem Moment nicht so nahe stand wie der ehemalige Feldwebel.
oO Jargon Schneidgut Oo"Nun gut, Frau- Herr-" Gulm leckte sich nervös über die Lippen, holte kurz Luft und fuhr dann fort, "Frau Wahrscheinlich." Er zögerte kurz, beließ es aber dann dabei. Verlegen pustete er in seine rosafarbene Teetasse.
"Sie müssen verstehen, dass es in dem Gewerbe, dass Sie anstreben eine gewisse Art von ungeschriebener Regelung gibt."
Das war ein guter Satz, wie er fand. Mit einem unter der Sonnenbrille verborgenen, hilfesuchenden Blick wandte er sich zu Subelon. Dieser nickte.
"Mein Kollege hat völlig und unzweifelhaft recht, Madame", sagte er. Mittlerweile hatten beide Wächter für sich realisiert, dass es einen guten Grund gab, weswegen sie den Rechtsexperten eigentlich zur Rate gezogen hatten - keiner von beiden kannte sich besonders gut in der Gilden-und Fachregelung aus. Der Sohn des Somox hatte zwar schon bei DOG gearbeitet, aufgrund seiner persönlichen Einstellung aber meist den Kontakt zu den Damen, die im unteren Stockwerk des Wachhauses ihrem Betrieb nachgingen, gemieden. Wie also sollten sie nun vorgehen?
"Also... Madame... Leider gibt es die Regelung, dass eben nur- nur-
vollständige Frauen in die Näherinnengilde aufgenommen werden können", meinte der steif dasitzende Zwerg und rührte mechanisch in dem gelblichen Tee.
Er hatte offensichtlich das Falsche gesagt.
"Was wollen sie denn
damit behaupten?!", keifte Gertrude mit einer auf eine unheimliche Weise
männlich klingenden Stimme.
Subelons rührende Finger setzten ihre Bewegung steif fort. Gulm sank ein Stück unter den Tisch.
"Nun, ganz offensichtlich verfügen sie über gewisse... maskuline Aspekte."
Gertrude stand hinter dem kleinen, hölzernen Tisch und stierte Gulm in den Boden. Bei Subelon war der Erfolg eher mäßig. Sie schnaufte ein wenig, dann starrte sie zu dem selbstbewussten Zwerg und ließ sich wieder in ihren Stuhl fallen. Die Zigarettespitze in ihrer auf den Tisch aufgestützten Hand aschte auf den Tisch. Für eine kurze Zeit herrschte Stille, in der sich der Lance-Korporal wieder nach oben schob.
"Was kann ich denn dafür, wie ich geboren wurde?", brummte die Halb-Frau und starrte zu Boden. Sie zog an der Spitze.
"Das ist einfach unfair."
Gulm befeuchtete seine Lippen. Der Blick seiner gräulichen Augen streiften den behaarten Arm seines Gegenübers.
"Nun, sie müssen das so sehen", lenket sein Kollege ein, "viele Männer denken ähnlich." Subelon strich sich in einem Anflug von Verlegenheit über die Uniform. "Es gibt nicht wirklich viel was wir da tun können-"
"Aber ich bin kein Mann!", entfuhr es Wahrscheinlich, und ihre(/seine) Faust fuhr auf den Tisch nieder. Die Teetassen erzitterten. Diesmal zuckten beide Bartträger zusammen.
In der nachfolgenden Stille hörte man praktisch, wie sich langsam kleine Schweißtropfen aus den Poren auf der Stirn des Zwergs schoben. Seine Lippen zuckten kurz. Dichte Augenbrauen senkten sich und wanden sich wie Raupen.
"Ähm-", erwiederte er dann.
Havoleck schritt zurück und setzte sich wieder an den Schreibtisch. Die weiße Mäuseschar verschwand wie Schnee unter einer Lötlampe.
"Ich erwarte, dass du dein Amt so bald und kompetent wie möglich antreten wirst."
"Also eigentlich-"
"Du hast's gehört, Boss", fiel ihm Jorgan ins Wort und sah sich verwirrt um. Dann schüttelte er sich kurz. "Meinste nich auch wir sollten wieder zurück zum Hauptkwartier?"
Für eine merkwürdige Sekunde lang machten sich die beiden Zwerge die Tatsache klar, dass der kleine Mann dem neuen Kommandeur der Stadtwache eine indirekte Aufforderung hatte zukommen lassen. Glum fasste sich als erster.
"Moment mal- was wird hier eigentlich-"
Ein mehr oder weniger verzweifelt wirkendes Nicken des Patriziers ließ seinen Redefluss stocken.
"Ja, der Obergefreite hat zweifellos recht", sprudelte es aus ihm hervor. "Es wird Zeit zu gehen. Ich habe noch viel zu tun. Dinge zu erledigen. Städte und sowas. Dromknutt, bitte begleite diese Herren nach draußen."
"Halt halt halt-" Glum widerstand dem sanften Druck des Dieners an seinem Arm. "Du ernennst diesen" - sein Zeigefinger stieß in Sebulons Richtung - "Zwerg zum Kommandeur?"
Die Tatsache, dass sie sich in einer Paralleldimension befanden änderte nichts an der Kunstfertigkeit, mit der Havoleck eine Braue hochzog. Allerdings änderte es einiges an der Wirkung, mit der der alte Zwerg die Geste auffasste. Wütend stampfte Glum auf und schritt auf den dürren Mann zu, der sich unwillkürlich zurücklehnte, um Abstand zwischen sich und den aufgebrachten Bartträger zu bringen.
"Haben wir dir nicht eben noch zu erklären versucht, dass wir aus einer ganz anderen Welt kommen?! Wir sind nicht wir! Der da ist kein Kommandeur, der ist ein Überwachungsapparat! Und der da ist kein Dichter! Ich wage sogar zu behaupten, dass er nicht einmal besonders dicht ist! Und ich habe es einfach nur noch satt!"
Sebulon setzte zu einem Einwurf an.
"Also eigentlich-"
"Ich verlange dass du das sofort rückgängig machst!"
"A- Sieben-und-hundert?! Das ist eine ver- eine- eine Unverschämtheit!"
Stibbons' Wangen hatten die Farbe von glühendem Backstein angenommen. "Den letzten habe ich für vierhundertfünzig bei einem Trödler gekauft, und er hat einwandfrei funktioniert!"
Der glatzköpfige Mann rümpfte verächtlicht seine große Nase. "Sie meinen, bis er zu klitzekleinen Krümeln zerfallen ist?"
"Das ist nur der Inkompetenz meines Kollegen zuzuschreiben! Der Würfel war voll funktionstüchtig!"
Mit einem Seufzen betrachtete Jargon, der nicht allzu weit entfernt in dem finsteren Laden stand, ein merkwürdig anmutendes Regal mit Tierfüßen, während der Zauberer und der Ladenbesitzer weiter gegeneinander anschrien.
Das Geschäft hieß
Große Maggie zum kleinen Prais und befand sich in einem wenig vertrauenerweckenden Seitengässchen in der Nähe der Schatten. In seiner Jugend hatte der kleine Mann öfter vor dem Schaufenster gestanden und die Auslagen bestaunt. Mittlerweile interessierte ihn Magie nur noch zu einem sehr geringen Grad - sie war vor allem gefährlich, das wusste er, und mied sie deswegen so gut er konnte. Er zuckte zusammen, als eine scheinbar ausgestopfte Eule auf dem Regal zwinkerte, einmal laut schuhute und in die Finsternis davonflatterte. Er bemerkte ein graues Etwas, das dort lag, wo der Vogel vorher gesessen hatte und das von dem Regal herabhing. Er vergewisserte sich, dass die zwei Streithähne noch immer miteinander beschäftigt waren, reckte sich dann und griff nach dem Ding. Wie sich herausstellte, war es eine tote Ratte, die der Obergefreite am Schwanz hochhob. Es knisterte merkwürdig und ein Funke stob von ihrem Fell. Erschrocken ließ Jargon sie fallen. Ihr dumpfer Aufprall wurde von Ponders Faust übertönt, die auf die Ladentheke niederfuhr. Sägemehl staubte von der Decke herab.
"Ich werde Ihnen nicht mehr als sechshundert Dollar bezahlen! Das ist mein letztes Angebot!"
"Siebenhundert!" Die Stimmen der Männer wurden immer lauter.
"Sechshundertdreißig!"
"Sechshundertachtzig!"
"Sechshundertfünfzig! Das ist mein- mein
allerletztes Angebot!"
"Einverstanden", sagte der großnasige Mann und streckte sofort seine Hand aus. Nach kurzem, verwirrtem Zögern schlug Ponder ein.
Jargon kümmerte es nicht, dass der Zauberer gerade offenbar um zweihundert Dollar betrogen worden war. Er hatte grässlich gefeilscht, und als Mitglied der Universität verfügte er wohl über mehr als genug Geld um sich das leisten zu können. Er beobachtete noch immer verwirrt den Tierleichnam.
Ponder, der soeben bezahlt hatte, kam grummelnd auf ihn zugestapft.
"Sollen wir gehen, Herr Wächter?"
"Ähm-" Der Obergefreite sah irritiert auf, sah sich dann um und meinte: "Wenn- wenn es in Ordnung geht, würde ich gerne noch etwas fragen, Herr Zauberer."
"So? Was denn?"
"Also- den Ladeninhaber."
Selbiger sah von den Scheinen auf, die er soeben gezählt hatte, grinste und fragte: "Was gibt's?"
"Diese Eule, die da eben saß-" Der Zeigefinger des kleinen Mannes deutete auf das Regal. "Was war an der besonders?"
"Oh, das ist nur die alte Ella. Sie hat ein Gespür für magische Strömungen, aber", sein Grinsen wurde schmaler, "sie ist ein verdammtes Mistvieh, deswegen will sie niemand haben." Er sah mit finsterer Miene zur Decke. "Heute morgen hat sie wieder total verrückt gespielt."
Das Gesicht des Wächters wurde nachdenklich. "Gut, das war schon alles... Wir, äh... können gehen, Herr Stibbons. Wenn Sie wollen."
"Ja, ich denke es wäre besser wenn wir jetzt gehen-", platzte es aus dem erschrockenen Gulm heraus. Er war aufgesprungen als Gertrudes Faust auf den Tisch niedergesaust war und stand nun nervös und ängstlich an dem Tisch.
"Nun mal langsam, Herr Kollege", versuchte Subelon einen Beschwichtugungsversuch. Mit wenig Erfolg.
"Ich halte das hier nicht länger aus!" Der Zwerg riss sich die Brille von der Nase, und klappte sie hektisch zu und wieder auf.
"Dieses ganze- dieses ganze- Dimensionieren macht mich einfach fertig!"
Sein Kollege sah sich überfordert. In der alten Welt hatten sie nie mit solchen Problemen zu kämpfen gehabt. Hier war einfach alles
falsch.
"Das was?" Wahrscheinlich hatte sich auch langsam erhoben und sah die beiden verwirrt an.
Schließlich erhob sich auch Subelon.
"Das- das ist eine interne Angelegenheit, Herr Wahrscheinlich. Wir müssen jetzt gehen."
Gulm war schon bei der Tür und riss sie auf. Seine Bewegungen waren fahrig.
"Dieser, dieser
Zauberer!", rief er. Sein mental stabilerer Kollege hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten, während Gertrude ihnen ziemlich verwirrt nachsah.
"Ich will dass er das
sofort rückgängig macht!"
Havoleck war schweißüberströmt und sah Glum aus furchterfüllten Kulleraugen an. Seine angespannte Hülle war in sich zusammengefallen und offenbarte das Nervenbündel, das sich dahinter versteckt hatte.
"Äh- Ich- Kann nicht- Das war ein Befehl von ganz oben- äh-"
Sebulon hatte sich derweil seinem aufgebrachten Kollegen genähert und ihm die Hand auf die Schulter gelegt.
"Glum, hör mal, ich-"
"Was soll'n das heißen, von ganz oben? Du bis' doch hier der Boss, oder?" Jorgan stand verwirrt da, das Schwert noch immer in der Hand.
Der Patrizier wedelte nur panikerfüllt mit den Händen. Tiefes Durchatmen von der Seite des grantigen Zwergs war für eine Sekunde das einzige hörbare Geräusch.
"Wir sollten jetzt gehen, Glum", murmelte Sebulon und sah sich um. Er sah schon wieder weiße Mäuse.
oOSebulon, Sohn des SamaxOo"Wir sollten jetzt gehen, Herr Schneidgut", drängte Ponder. "Vogelstudien können warten."
"Ja, natürlich." Er hatte ein Gefühl, das er nicht besser hätte Beschreiben können, als vielleicht eine Schwingung oder ein Ziehen in der Bauchgegend. Es fühlte sich an, als würde jemand ihm eine Faust gegen den Körper halten und dann beharrlich mit leichtem Druck drehen. "Ich habe nur ..."
"Später. Wir haben Wichtiges zu erledigen. Denke ich."
"Aber sollten wir nicht ..."
"Später", sagte Ponder und wandte sich der Tür zu.
"... wenigstens prüfen ..."
"Später."
"... ob das Gerät funktioniert, für das du gerade das Hundertfache meines Wochenlohns so bereitwillig an diesen breit lächelnden Verkäufer gegeben hast?"
In den Ecken des Thronsaals, unter den Vorhängen, an den Wänden entlang im Halbdunkel zuckten unregelmäßig die Schwänze von Nagetieren entlang.
"Ganz oben", sagte der Patrizier erneut und wirkte verzweifelt, "von den Regenten." Zu seinem Diener gewandt fügte er hinzu: "Dromknutt, muss ich dich schon wieder erinnern! Bring -bitte- ..."
Endlich reagierte Vetinaris Getreuer. Mit vor Aufregung geröteten Wangen sagte er: "In der Tat, ja. Meine drei hochverehrten Herren, der Patrizier möchte allein gelassen werden. Ich führe euch noch eben durch die Sehenswürdigkeiten dieses Gebäudes und dann hinaus. Bitte nennt mich Rufus. Und nun: Hier entlang, meine Herrschaften."
Glum jedoch dachte nicht daran, die Niederlage seines Egos hinzunehmen. "Nicht auf diese Weise! Ich habe Befehlsgewalt! Ich bin Unteroffizier und Abteilungsleiter! Und ich bin wütend!Und auf meine Art bin ich viel mächtiger als jedes Gesetz!"
Glums Augen brannten förmlich: "Wir sind nicht aus dieser Welt! Ich verlange, dass auf der Stelle ..."
Eine Bassstimme, die Ehrfurcht gebot, ließ den Saal vibrieren.
"RUHE!", tönte es und Schweigen folgte. "Oh, diese Lautsprecher sind wirklich ihr Gold wert, mein Lieber. Beeindruckend. Ähem. Die Entscheidung, dass Sebulon, Sohn des Samax, Sohn des Sorbalan - und so weiter - die Wache leiten soll, kommt von uns."
Die Faust noch immer drohend erhoben drehte sich Steinstiefel um. Er ließ einen seinen entschlossenen Blick schweifen. "Von wem, genau? Zeig dich, du Lump, damit ich ..."
"Er hat meinen Namen richtig ausgesprochen, Glum", flüsterte Sebulon, am ganzen Körper stocksteif. "Und er ist eine Ratte. Sag mir, bitte sag mir, dass du ihn auch siehst."
Zehn Mäuse huschten im Gleichschritt durch eine offene Tür, auf den Rücken ein Megaphon balancierend. Dahinter folgte, ebenfalls auf vier Beinen, eine weiße Ratte mit winziger Krone und eine mit dunkelrotem Pelz und rötlich glühenden Augen. Die Lippen der gekrönten Ratte bewegten sich, als eine hohe, weibliche Stimme sagte: "Das klingt nicht nach guten Manieren, Glum Steinstiefel-Singtnichtgut. Sag, wie geht es deiner Tochter? Sie ist wohlauf, möchte ich hoffen?"
"Du hast eine Tochter, Gulm?", fragte Jorgan und lachte irre. "Ich weiß nicht, was ich spektakulärer finde: Sprechende Mäuse oder die Unterstellung eines unehelichen ... Singtnichtgut? Moment, heißt das, du hast tatsächlich mit Amalie angebändelt?"
Der Moloss ließ die Schultern sinken und blinzelte. "Emilia. Wenigstens habe ich auch in dieser Welt nichts mit ihrer Schwester ..."
Sebulon ergriff das Wort. "Ihr wisst also, dass wir nicht von hier sind?"
"Oh doch", sagte die bassige, rotäugigen Ratte und ließ die Zähne aufblitzen. "Ihr seid aus Ankh-Morpork, nur nicht ganz aus dieser Version."
"Und ihr regiert die Stadt?", fragte er ungläubig. "Ratten? Ich meine ..."
"Wen würdest du sie eher regieren lassen?", säuselte die weibliche Ratte, "Ärzte? Könige? Politiker? Es wäre nichts von ihr übrig. Wir Nagetiere haben den nötigen Durchblick, haben überall Augen und Ohren, und bleiben in aller Öffentlichkeit ungesehen. Sei ehrlich, Herr Samaxsohn, hast du die Stadt schon einmal so friedlich und ordentlich gesehen, wie unter unserer Regentschaft?"
"Ja, ich glaube, wenn Ratten hinter der Entscheidung stehen, dann kann ich sie akzeptieren", brummte Glum sarkastisch. "Ich fand schon immer, dass Macht einen zum Kriecher und Schwanzwedler macht."
Jorgan keuchte. "Ihr! Darum! Bei den Göttern, ihr habt das alles zu verantworten! Darum die toten Mäuse, die Kratzspuren, die angenagten Leichen!"
"Oh, ja, die Käsekrise", seufzte die männliche Ratte auf ihrem Thron auf dem städtischen und hieß ein paar Mäuse, den goldenen Vorhang zu entfernen, "traurige Geschichte. Leider unvermeidbar."
Die Zwerge sahen sich an. Das hier war nicht ihr Kampf, nicht ihr Krieg, aber eine gute Zeit, um zu verschwinden.
"Wenn mir noch eine Frage gestattet ist", sagte Sebulon betont langsam zu den Ratten, zog jedoch Glum am Ärmel. Der nickte. "Regenten: Allein weshalb sollte, haha, ich euren Wunsch ausführen?"
"Nun", erwiderte die weibliche Ratte zu Boden, "ich vermute, dass es Personen gibt, die euch am Herzen liegen, junger Zwerg, ..."
"Glumilia", hauchte Glum. "Ihr lasst eure dreckigen Pfoten von meiner Familie!"
"Ich bitte dich, Herr Steinstiefel-Singtnichtgut, ich wasche meine Pfoten mit regelmäßig und mit großer Sorgfalt."
"Aber ich bin doch überhaupt nicht dafür gemacht, Leute anzuführen", widersprach Sebulon, "und ich will auch, bei allem Respekt, keiner von diesen Offizieren werden."
"Genau. Wenn ihr uns jetzt bitte allein lassen würdet ..."
Glum und Sebulon nickten gefügig. Sie waren von einer Übermacht umzingelt und auch etwas ratlos. Langsam gingen sie mit Rufus in Richtung Tür.
"Oh, und Jorgan", sagte der Ratterich beinahe leise, "wir sind deine Ränkespielchen leid. Und deine Gedichte. Es war uns dennoch eine Ehre dir begegnet zu sein. Wachen: Tötet ihn."
Alle drei Wächter rissen die Augen auf.
"Nein!", rief der Patrizier und seine Stimme überschlug sich.
"Lauft!", brüllte Glum und begann zu sprinten.
Der Wind löste Federn von der Eule, die geruhsam in ihrem Käfig baumelte, während Jargon, den schweren Käfig mit beiden Händen tragend, dem schlecht gelaunten Zauberer hinterherstolperte.
"Nachbestellung in sieben Tagen!", schimpfte Ponder. "Vorübergehendes Ersatzobjekt! So eine Frechheit! So eine -", er suchte kurz nach einer Steigerung, "so eine Frechheit sondergleichen!"
"Schuhu.""Ein Glück, dass wir es wenigstens ausprobiert haben", erwiderte Schneidgut. "Gute Arbeit übrigens, mit dem ... Fingerwackeln und so."
Der Zauberer warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Zu Jargons Glück war dieser Blick völlig unmagisch. "Fingerwackeln. Pah! FINGERwackeln! Da studiert man jahrelang ..."
Der Wächter entschloss sich, den Rest des Weges schweigend und folgsam zurückzulegen. Straße um Straße zeterte der sonst kaum aus der Ruhe zu bringende junge Zauberer, schließlich erreichten sie die Tore der Unsichtbaren Universität.
Als Subelon bereits in der Tür stand, seinem wie üblich wehleidigen Kollegen hinterherschreitend, blickte er sich noch einmal um.
Herr/Frau Wahrscheinlich warf ihm erwartungsvolle Blicke zu. Verstörend aufreizende Blicke, wie er fand. "Unter uns", raunte er ihm/ihr zu, "die Zwillingsstadt hat zwar strikte Regeln, doch warum solltest du sie nicht zu deinen Gunsten beugen?"
Die betont geschminkten Augen öffneten sich weit in vorgetäuschter Überraschung und spielerischer Anklage.
[6]"Das hast du nicht von mir", murmelte Subelon weiter, zog Notizblock samt Stift aus seiner Hosentasche, kritzelte Zahlen und Buchstaben auf das oberste Blatt, riss es ab und reichte es ihm/ihr. "Beruf dich auf diese Paragraphen der 'Übereinkunft der Gilden' aus dem vorletzten Jahr. Sag, dass du deine eigene Gilde ... oder Vereinigung gründest. Du brauchst nur einen guten Namen, einen Schatzmeister und zwei Mitglieder - was du alles selbst sein kannst, wenn ich recht informiert bin."
Nachdenklich blickte Frau Wahrscheinlich auf das Papier. "Vereinigung nähender Brüderinnen? Oder nein: Frau Wahrscheinlich's Vereinigung unwahrscheinlicher Spielarten der käuflichen Zuneigung? Das ist tatsächlich eine interessante Idee ..."
"Was auch immer. Sag auf keinen Fall, dass du es von mir hast." Dann nahm er seine Beine in die Hand und versuchte, schon nach wenigen Schritten schwer atmend, Gulm einzuholen.
Frau Wahrscheinlich sah ihnen durch die Tür hindurch nach.
"Hier hinein!"
In letzter Sekunde schlossen die drei Wächter die schwere Eichentür des länglichen Patrizierbüros. Verschnaufend lehnten sie sich an. Einige Ratten schienen es sich zur Aufgabe gesetzt zu haben, die Tür Kraft ihrer Pfoten zu öffnen.
"Wir haben diesen Drumknott-Verschnitt vor zwei Biegungen abgehängt, glaube ich", schnaufte Glum. "Die einzige Person, die uns hier hätte rausführen können. Was für ein Schlammassel."
"Ich wünschte, ich hätte meinen Degen", brummte Jorgan kampflustig. "Ich würde ihnen das Fürchten lehren."
"Wo bin ich da nur hineingeraten?", hauchte Sebulon, die Hände zitternd auf dem kühlen Eichenholz. "Kommandeur? Ich? Das wollte ich nie ..."
"Das hast du nun davon", brummte sein verdrießlicher Kollege. "Immer einen auf großen Zwerg und IA machen, dann wird man flugs unverdienter Wachescheff. Da kommt es nicht auf das Dienstalter an. Du kannst Befehle geben und die ganze Wache muss sie befolgen! Aber denk' dran - das ist weder echt, noch bringt es uns jetzt allzu viel!" Dann hörte Glum jedoch auf zu atmen und starrte geradeaus. Bevor Sebulon fragen konnte, was los sei, rief er: "Heure-Ha!" Mit wildem Blick sah er seinen Kollegen an. "Junge, hör mir zu. Hör mir dieses eine Mal zu, Junge, denn ich glaube, der gute alte Glum hat gerade den Vogel abgeschossen."
"Oder eine Axt", dachte Jorgan, noch immer in seine Gewaltphantasien vertieft. "Das ist zwar einfallslos zwergisch aber vielleicht weniger brutal als mit einem schweren Holzklopfer ..."
Sebulon ignorierte den scheinbar bereits seine eigene Lobeslieder vorbereitenden Rechtsexperten und sah Glum erstaunt an. "Vögel? Und ich dachte, es waren Ratten ..."
Die Kopfnuss traf den Agenten unerwartet. "Es waren auch Ratten, du Schlauberger. Und ich weiß, wie wir diese Stadt von ihnen befreien können."
"Ach", brummte der jüngere Zwerg und rieb sich die schmerzende Stirn. "Aber mach das nicht noch einmal! Aua ... und fürs Protokoll: Ich bin mir sicher, dass es Heure-Ka heißt."
"... und dann würde ich die restlichen zerstampfen, wenn ich nur eine Waffe bei mir hätte ..."
"Hör her, Bursche: Hier ist doch alles ganz und gar, absolut anders als in unserer Stadt, richtig? Und sag nicht, dass es in gewisser Weise unsere Stadt ist." Drohend hob er die Faust erneut.
Widerwillig nickte Sebulon.
"Also gibt es hier auch niemanden, der es mit dem handwerklichen Geschick von dir und unserem Braggasch aufnehmen könnte, richtig?"
Erneut ein spätes, bescheidenes Nicken. "Vielleicht in den Gilden ...?"
"Die kennen doch in diesem nicht-Ankh-Morpork kaum einmal ihre eigenen Statuten!" Der Moloss schüttelte mit grimmiger Freude den Kopf. "Mit etwas Glück hat aber noch nie jemand versucht, was sage ich, daran gedacht, was ich dir vorschlagen werde! Ha! Dass ich mich in all den Jahrzehnten doch immer wieder übertreffen muss ..."
Der ehemalige Püschologe verdrehte die Augen. An der Tür kratzten kleine Nagetierkrallen, die er sich bedauerlicherweise einmal nicht einbildete, und seine beste Chance, aus diesem Alptraum in die Realität zurückzukehren, hatte einen Eimer voll Hybris gefrühstückt.
"Womit", fragte Glum und hob seine offene linke Hand, "fängt man Mäuse, Samaxsohn?"
"Mit Käse. Speck. Katzen. Einem Käfig. Mit ... Au!"
"Neineineinein!" Ungeduldig hatte er seinem Kollegen eine weitere Kopfnuss gegeben. "Zu kompliziert, zu einfach, zu unnütz in dieser Situation! Nein, mein gutes Sebulönchen, wir werden Mäusefallen bauen. Pah, mich hätte er zum Kommandeur machen sollen!"
"... was bauen?", fragte Jorgan verwundert, nun doch auf das Gespräch aufmerksam geworden.
"Sebulönchen?", zischte der Angesprochene, die Hand nunmehr schützend über der geschundenen Stirn. Er setzte zu einer bösen Erwiderung an, hielt dann jedoch inne. "Du meinst ... Mäusefallen."
"Klassisch. Ein kräftiger Schnapp-Mechanismus. Du bastelst, ich denke. Dein Geschick, deine Befehlsgewalt über diese Wache und mein Verstand, Junge, gemeinsam werden wir das Ding schaukeln!" Glum glühte beinahe vor gelebter Autorität. "Wir fangen sofort an! Warum schaust du so?"
Sebulon deutete mit dem Daumen auf die Tür hinter sich. "Immanente Lebensgefahr! Aber ansonsten, klar, lass uns basteln, jederzeit. Sobald wir gefressen sind."
"Ach, hör schon auf. Ich habe schon schlimmere Situationen überlebt, als du noch nicht ..."
Der Sohn des Samax schüttelte energisch den Kopf. "Unbewaffnet, eingesperrt, eine Übermacht hinter uns und in einer verdammten anderen Welt", schrie er verzweifelt. "Nein, hast du nicht!"
"Gut, du könntest Recht haben. Trotzdem liefern wir ihnen unseren Rechtsexperten hier nicht aus! Wir brauchen also Waffen."
Alle drei Wächter ließen ihren Blick durch das Büro schweifen.
"Büroklammern?", fragte Jorgan und rümpfte die Nase. Der Heldenepos in seinem Kopf verwandelte sich langsam aber sicher in eine Humoreske.
"Stuhl?", schlug der jüngere Zwerg vor. "Wenn wir noch eine Flasche zerbrechen könnten, hätten wir fast eine gute Kneipen-"
"Die Grube!", lachte der Ältere. "Oh, ich bin so gut!" Jorgan und Sebulon sahen sich an. Glum setzte heute neue Maßstäbe für den Ausdruck 'übergeschnappt'. "Vertraut mir!", rief er, stieß sich von der Wand ab, rannte zur Seitentür des Büros hinüber, öffnete sie und spähte hinein. "Ha!", schrie er begeistert.
"Woher weißt du-?"
"Siehst du schon!"
Und dann sprang er.
"Ha!", machte Ponder, als er die Eule durch den Raum schwenkte. Sie machte immer wieder aufgeregt "Schuhu". Jargon wusste nicht, ob das an der Restmagie lag, oder ob der Eule schwindlig geworden war. "Ich sollte mich mit dem Bibliothekar beraten und dann, wenn ich die Sache richtig sehe, wird es ein unerfreuliches Gespräch mit den Dozenten geben - aber keine Sorge, diese Sorte von Problem könnten sie gerade so noch verstehen."
Das klang wenig überzeugend. "Gerade so noch?", fragte Schneidgut nach.
"Keine Sorge. Ich bin zwar noch mitten dabei, die Theorie aufzustellen, was hier passiert sein könnte - und ich glaube, dass deine beiden zwergischen Dienstälteren dem Kern der Problematik zuzuordnen sind - aber die alten Herren sind nicht auf den Kopf gefallen." Er lächelte aufmunternd. "Das sage ich mir immer wieder."
Ein lähmendes Gefühl von Hilflosigkeit überkam Jargon. Nach allem, was er an Gerüchten aufgeschnappt hatte, waren Zauberer unzurechnungsfähig, dement, nach seiner eigenen Erfahrung sogar im Rahmen des Büdscheeh spendabel, und wenn man nicht aufpasste, waren sie völig ohne böse Absicht absolut tödlich.
Die Grube war in etwa das am wenigsten Tödliche, was Jorgan je in einem so bedrohlich tiefen Abgrund erwartet hätte.
"Kommt schon, beeilt euch!", rief Glum von unten. "Das Bett ist weich, man landet sehr sanft. Und verriegelt ja die Tür hinter euch!"
"Aber woher wusstest du, ...?", begann Sebulon, die Tür eilig verschließend.
"Kennst du die Gerüchte, dass der Patrizier eine Skorpiongrube hat? Unser Patrizier jedenfalls. Und selbst wenn hier auch Skorpione gewesen wären, hätte es einen Ausgang gebraucht", erklärte der Moloss mit vielen Gesten, während Sebulon und Jorgan nacheinander den Sprung hinunter in das Bett wagten um dort prompt einen halben Meter tief zu versinken, "um die Leichen fortzuschaffen. Ich habe irgendwie im Gefühl, dass der hiesige Patrizier ab und an durch dieses geheime Kämmerchen hindurch in die Stadt geht und sich unter die Leute mischt." Ungeduldig winkte Glum seinen Kollegen zu, das Bett zu verlassen. "Nun kommt schon! Wir müssen die Stadt retten!"
Es gibt keine Rettung mehr, dachte Jargon verzweifelt, als er den Zauberern beim Diskutieren zusah. Die beiden Zwerge waren, soviel hatte er begriffen, nicht mehr in Ankh-Morpork, und die beiden Pseudozwerge gegen die Originale auszutauschen, war in etwa so schwer, wie dasselbe Wasser aus dem Meer zu schöpfen, das man zuvor mit einem Glas hineingeschüttet hatte.
"Wobei es freilich einfacher ist, wenn das Wasser in dem Glas gefroren ist", gab der Dozent für Unsichtbare Schriften zu bedenken. "Dann bräuchte man eigentlich nur ein Sieb und eine ruhige Hand."
"Ich habe noch immer nicht verstanden, warum wir überhaupt das Wasser erst in das Meer schütten sollten", schimpfte Mustrum Ridcully, "dann wird es doch salzig und man kann es nicht mehr trinken."
Innerlich um Gnade flehend, hob Ponder Stibbons die Hände zum Erzkanzler. "Es ist eine Metapher, Herr, tatsächlich gibt es kein Glas und auch Wasser ist nicht unser Problem."
"Ich wusste es!", lachte das Oberhaupt der Universität zufrieden. "Dann ist ja alles in bester Ordnung und wir können einen Snack einlegen."
oOGlum Steinstiefel-SingtnichtgutOoSie tasteten sich durch einen dunklen, rauwändigen Gang. Gelegentlich tropfte es.
"Da vorne wird's hell, Leute.", bemerkte Jorgan.
"Erleuchtet das Sein
in euren
euren Augen, die da
strahlen über
alles Verzweifeln."
Glum kniff die Augen zusammen. "Stimmt, da ist ein Schimmern."
"Autsch!" Jorgan rieb sich den an der Decke angeschrammten Kopf. "Da is man lieber 'n Zwerg!"
Sebulon schluckte schwer. "Wir sind seit Minuten hier unten. Die müssten uns schon längst gefunden haben! "
"Hab ich das nun richtig intus, dass ihr zwei Sörs beide glaubt, nich aus dieser Welt zu kommen?"
"Das glauben wir nicht nur, das wissen wir zufälligerweise sogar sehr genau!", brummte Glum. "Und du spielst Ränkespielchen?"
Jorgan schwieg.
"Ssscht! Still, ihr beiden, das ist noch kein Außenlicht. Da vorn ist etwas anderes!"
Sebulon schlich sich weiter vor. Der runde Gang endete an einem kleinen, steinernen Zimmer. Zwei Throne waren in der Mitte aufgestellt, wenngleich recht klein. Ein roter Teppich führte zu ihnen hin und an den Wänden hingen Banner, die zwei Nilpferde mit Mäuseschwänzen und Mausezähnen zeigten. Ein paar Mäuse wuselten umher und schichteten Käse und Speck zu Haufen auf. Dem IA-Agenten drängte sich das Wort "Klischee" auf, doch er verwarf es stattdessen zugunsten von "programmatisch". Wäre die Situation nicht so bitter ernst gewesen, hätte er es beinahe niedlich finden können.
"Das wird dann wohl so was wie der Kern der Sache sein, Kommand-"
"Still, Jorgan!"
"-tens vorbereitet! Sie sind am Rande der Verzweiflung. Das wird die Disziplin der Wache endgültig brechen!"
Eine Stimme näherte sich. Die Wächter pressten sich so gut es eben ging ins Dunkel des Ganges.
"Jorgan ist entkommen, Herrin. Sie alle. Wir konnten sie nicht aufhalten. Bitte zeigt Gnade!"
"Gut. Du sollst auf ewig eingesperrt bleiben! Bringt ihn weg!"
"Aber Herri-"
Einen weiteren, doch stillen Moment später wurde die Rattenkönigin, getragen von acht weißen Mäusen, auf einem Samtpolster durch einen Seitengang hereingetragen.
"Lasst euch das eine Warnung sein!", fiepste sie. "Bei Versagen wird kein weiteres Mal Gnade gewährt!" Sie hielt auf den Käse zu und wurde herab gelassen. "Am liebsten wäre ich dabei, wenn sich die Stadtwache gegen ihren eigenen 'Kommandeur' stellt. Vielleicht halten sie ihn sogar für den Mörder von Briguyar."
Glum hätte es nicht für möglich gehalten, doch offenbar konnte zumindest diese Ratte garstig lachen. Bei ihrem Anblick merkte er, dass die letzte Mahlzeit das Frühstück gewesen war. Inzwischen war es Abend geworden. Die beiden Zwerge tauschten einige Blicke aus. Zumindest der höher dekorierte von ihnen fühlte sich an ein altes zwergisches Schauermärchen erinnert, in dem sich Ratten blutig gegen ihre Köche zur Wehr setzen. Als Kind hatte er sich ziemlich davor gefürchtet und manchmal tagelang kein Nagegetier mehr angerührt.
"Apropos Briguyar..."
"Herrin, wir haben ihn in die unteren Gewölbe gebracht, ganz wie Ihr es befohlen habt!"
"Soll er dort nur vor sich hin siechen! Sie glauben dass er tot ist, aber den Spaß werde ich mir gönnen - soll er nur dabei sein und zusehen, wie seine geliebte Wache untergeht und wir die Stadt vollends übernehmen! Ohnmacht kann so quälend sein! Diese Andersweltler werden alles vollenden!"
Wieder das Lachen.
"Mit ihr zähle ich zwölf ... bis auf sie allesamt Mäuse.", hauchte Sebulon und warf einen Blick zurück in den Tunnel, danach in den Raum. "Das ist unsere Chance!"
"Sie hamm den Kommandeur doch nich umgebracht?", wisperte Jorgan zurück. "Und ihr seid wirklich aus ner anderen Welt?"
"Später, Jorgan! Ihr beiden - bei drei!"
Er schloss kurz die Augen und öffnete sie wieder. Seine Hand bewegte sich so langsam wie möglich zum Griff seines Schwerts.
"Eins..."
Die Königin biss in ein Stück Käse hinein. Sebulon berührte den Stahl.
"Zwei..."
Eine Maus hielt inne und sah sich um, als Glums Magen grummelte.
"DREI!"
"Wieviele, Nustrum?"
"Drei sagte ich, Runen. Kann es sein, dass du alt wirst?"
"Nein, Erzkanzler, ich werde nicht älter. Nur weiser. Und auch interessanter."
Er strich sich mit einem eifrigen Kopfnicken über den langen weißen Bart, bevor er dem Fakultätsoberhaupt die Räucherstäbchen überreichte.
"Bei deinem Alter wohl als Ausstellungsstück.", neckte der Dekan unter dem beifälligem Kichern der anderen Zauberer, die versammelt am großen Tor zum Gelände der UU standen.
"Necken könnt ihr euch auch später noch, ihr Kindsköpfe.", gebot der Erzkanzler und schob die Räucherstäbchen in eine der Schublädchen seines Hutes. "Wenn wir alles für das Ritual eingepackt haben, schlage ich vor, wir suchen jetzt den Konzentrationspunkt des Gewitters. Lies noch mal vor, was in dem Buch stand, Verwalter."
Jener für öffentliche Illusion nickte gehorchend und ließ mit einem Ächzen den Griff des Ziehkarrens fallen. Er kramte in selbigem herum, bis er es fand und schlug Band 34 der Ungewöhnlichen Phänomene auf.
"...kann sich im Rahmen magischer Gewitter eine t.S. dimensional ausweiten. Eine begriffliche Bezeichnung hierzu wäre beispielsweise 'Anomalie-Portal'. Feldversuche haben ergeben, dass die Dauer der Portalöffnung abhängig von ihrem Ort ist, wobei Gebiete mit hoher thaumischer Strahlung eine längere Öffnung ermöglichen. Für gewöhnlich treten diese Erscheinungen im Zentrum des Gewitters auf, das sich durch seine hohe Nachstrahlung ausfindig machen lässt. Es ist jedoch vom Durchschreiten derselben abzuraten. Auch dies ist ein Bestandteil der Schattenruf-Deklaration..."
"Also, ihr habt es gehört, Jungs", sagte Nustrum Pidcully und begann in seinen Taschen zu wühlen.
"Wenn ihr alle eure Thaumometer habt, kann es gleich los gehen. Wäre doch höchst interessant, wenn wir ein solches Portal finden würden."
Der Quästor hob seinen Gehstock und schob ihn dem Verwalter vor die Brust.
"Das wird sicher nicht ungefährlich. Was ist, wenn die Anomalie noch aktiv ist? Könnten dann nicht spontane Sprünge passieren?"
"Ein bisschen Sport hat noch niemandem geschadet, mein Guter. Stiggons? Es geht los! Komm schon, mein Junge, beweg dich!", bemerkte der Erzkanzler und schritt mit seinem blauen Glaswürfel voran, eine Kolonne gewichtiger Weiser im Schlepptau.
Sie flohen über den Unteren Breiten Weg.
"Jorgan. Werden sie uns zuhören, wenn wir ihnen die Situation erklären?", keuchte Sebulon, Enkel des Sorbalan und warf einen Blick über die Schulter. Seine Augen waren geweitet und die Nasenflügel bebten. Noch immer war niemand zu sehen.
"Sehen wir dann, Sör. Uff! Erstma ankommen!"
"AH! Verdammtes Mistvieh!"
"Krsssh! Das bereut ihr nur einmal!"
"Bring sie zum Schweigen, Glum! Und halt deinen Beutel dichter!"
"Sie hat mich gebissen!"
"Musstest du dir unbedingt noch etwas von dem Käse und dem Speck schnappen?"
"Ich hatte Hunger!"
"Da vorn!"
Sebulons Finger deutete auf den Pseudopolisplatz und die aufragende Oper in seiner Mitte, links oberhalb das große Wachhaus. Gerade kam ihnen die Ablösung der SEALS-Abendpatrouille entgegen. Kommandeur Sebulon winkte von Weitem.
"Ins Wachhaus! Ins Wachhaus! Vollversammlung! In fünf Minuten!"
"Was? Wie war das? Feldweb-"
"In fünf-uff-Minuten Vollversammlung. Befehl der Wacheleitung!"
"MISTVIEH!"
Ein Blick über die Schulter.
Noch immer war nichts zu sehen...
Im gleichen Augenblick bahnte sich eine Gruppe Zauberer, ganz in der Nähe und doch viel weiter weg, ihren Weg über die neue Brücke, allen voran ein eifriger Obergefreiter, gezogen von einer eiligen Eule.
"Und du bist sicher, dass dieses Gewitter nicht doch etwas mit Wasser zu tun hat, Stibbons?"
"Absolut sicher, Erzkanzler, daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Schließlich war es magisch. Siehst du - dieses Gewitter hat ein Anomalie-Portal geöffnet, welchselbes offenbar zu einer Art Parallelwelt führte. Dieses Portal öffnete sich in einem Raum im Hauptgebäude der Stadtwache. Um einen Austausch der Betroffenen zu ermöglichen, müssen wir das Portal erneut öffnen. Ist doch logisch!"
"
Langsaaam, du reißt mir fast den Arm aus!"
"
Schuhuu!"
Ponder nickte hoffnungsvoll an die Adresse des magischen Oberhauptes. Dieses nickte zurück. Für einen Moment war er erleichtert. Dann...
"Und wenn dieses Ding geöffnet ist, schütten wir ein Glas Salzwasser hinterher?"
"Nein, Erzkanzler, das tun wir nicht!"
Für einen sehr kurzen Moment wollte Ponder Stibbons die Fassung verlieren und konnte ein Aufstampfen seines Fußes geradeso verhindern.
"Nun, du musst auch zugeben, dass das nicht besonders viel Sinn machen würde. Und mit einem Sieb noch viel weniger!"
"Es war eine Metapher, Herr! Eine Metapher!"
"Mit einer Metapher...", warf der Dekan ein, "...geht es noch schlechter als mit einem Sieb."
Ridcully zog die Augenbrauen hoch.
"Tatsächlich? Vielleicht sollten wir das Portal einfach weglassen und das Wasser gleich in eine Schüssel schütten! Dann sparen wir uns auch die Beschwörung!"
"Neinneinnein! Es geht um den Austausch von zwei Personen, die durch die temporale Sprung-"
"Zwei Personen gegen ein verschüttetes Glas Wasser? Stibbons, Stibbons, mein lieber Stibbons. Denk doch mal nach. Ist dir nicht klar, wie unlogisch das klingt? Außerdem hat der Quästor eben unsere Pausenbrote nach Tauben geworfen. So langsam könnten wir eine Kleinigkeit vertragen."
"
Schuhuhuhuuu!"
"
Ja doch! Herr Ponder, die Eule spielt völlig verrückt. Und wir sind da-ah! Aua!"
"Und trotzdem haben wir noch einen langen Weg vor uns, Herr Jargon!"
Der im Vergleich junge Zauberer fasste sich an den Kopf und schüttelte ihn. Es tat weh.
Glums Hände waren arg in Mitleidenschaft gezogen worden, nachdem die in seinem Umhängebeutel gefangene Rattenkönigin sich im wahrsten Sinne des Wortes mit Zähnen und Klauen gewehrt hatte.
"Fo, daf ift Jod und brennt ein wenig-"
"Aaargh!"
"Gulm deine fanfte Ader ift nicht immer von Vort-"
"Verdammt noch eins, ich bin nicht-ach, was soll's, ihr hört es ja jetzt gleich."
Alle sich derzeit im Wachhaus befindlichen Wächter waren in der großen Halle am Wachetresen versammelt worden. Aber es waren eben bei weitem nicht alle. Draußen patrouillierten die Streifen, Tauben waren zur Kröselstraße und zum Boucherie Rouge unterwegs, viele Wächter hatten bereits Feierabend gemacht. Auf einem Stuhl stand der amtierende Kommandeur Sebulon, im Rücken das schwarze Brett, hielt den Blick gen Boden gesenkt und stemmte die Hände in die Seiten. Hauptmann Dämon Ccanddlairfyn beispielsweise war alles andere als erfreut, dass der Feldwebel ihn im Vorbeihechten am Ärmel gefasst und ihm gar befohlen hatte, anwesend zu sein. Sich in seiner Haut unwohl fühlend, wippte Jorgan Schneidjut neben dem Stuhl von einem Bein aufs andere und ließ nervöse Blicke schweifen, in seinen Händen ein übertuchter Drahtkäfig. Am Tresen saß Glum Steinstiefel und ließ seine geschundenen Hände von Fogi Reinstich behandeln. Erwartungsvoll, teils mit Papieren unter den Armen, starrte man den grübelnden Zwerg an, bis dieser die Hände hob.
"Werte Kollegen und Mitwächter. Guten Abend. Bitte tut mir den Gefallen und nehmt die Sonnenbrillen ab. Es ist inzwischen dunkel da draußen!"
Verwirrte Blicke wurden getauscht, dann die Schutzgläser blinzelnd abgenommen.
"Feldwebel, was-"
"Sofort, Gefreite. Hört mir alle zu. Es ist sehr wichtig, dass ihr mir jetzt mit eurer vollen und ungeteilten Aufmerksamkeit zuhört! Eventuell haben wir nur noch wenige Momente lang Zeit und wir müssen jetzt definitiv zusammenarbeiten!"
Flehentlich sah er herüber zum leitenden Kollegen von der DOG, der bloß drängend nickte.
"Also gut." Sebulon ließ den Kopf sinken. "Obergefreiter Jorgan - bitte nimm jetzt das Tuch vom Käfig..."
Auch Gulm und Subelon hatten inzwischen das Wachhaus erreicht. Sie hatten einmal mehr festgestellt, dass man in diesem Ankh-Morpork wesentlich langsamer vorankam, als in ihrem, da es dauernd galt durch Schlamm zu waten, über Betrunkene hinweg zu treten und Messerstichen auszuweichen. Vom ohnehin übermäßigen Körperkontakt beim Betreten der Hauptstraßen einmal abgesehen. Der nervlich instabile Gulm hatte sich inzwischen soweit wieder eingefangen und die Sonnenbrille zurecht gerückt. Auch Subelon hatte beschlossen, sich zusammen zu reißen. Der Anblick einer versammelten Zauberergruppe am Hofeingang des "Hauptkwartiers" machte beiden Mut.
"Sieh nur- jetzt wird alles wieder gut!", lächelte der Lance-Korpral und klatschte vor Freude in die Hände. "Dieser Jorgan-Verschnitt hat es tatsächlich geschafft!"
"Mein lieber Gulm, du vergisst, dass die Zauberer Ankh-Morporks zu den klügsten Köpfen-"
"
Also warten wir, bis es regnet?"
"
Das hat mir aber vorher niemand gesagt! Wer weiß, wann das sein wird!"
"
Da muss ich dem Obersten Hirten zustimmen, Mustrum! Ich hatte mir eben noch ein wenig vom zweiten Abendessen warm gemacht. Wenn wir uns nicht beeilen, verpassen wir noch das Nachtmahl!"
"
Stibbons, was schlägt dein tolles Buch da vor? Es wäre wirklich nicht sehr aufregend auf den Regen zu warten!"
"
Wie ich bereits vorhin aus-führ-lichst erläuterte, Erzkanzler: Wir müssen uns ein Gewitter herbeizaubern. Ein magisches eben!"
"
Oh? Nun, das sollte funktionieren. Müsste mit 'Benzens Reigen' doch eigentlich zu machen sein. Würden pinke Tropfen dein Experiment sehr stören?"
"
Es ist kein Experiment, sondern eine ernste Sache, Herr."
"
Ein ganzes Gewitter, bloß für ein Glas Wasser?"
Glum hatte endgültig die Nase voll.
"ZUM DONNERWETTER NOCH EINS: RUHE!", brüllte er auf dem hölzernen Tresen stehend in die Menge. Tatsächlich trat für einen Moment Stille ein, während alle Augenpaare sich ihm zuwandten. Zugegeben - der vermeintliche Tod des Kommandeurs, eine gekrönte und gefangene Ratte, dies alles berichtet aus dem Munde eines Feldwebels, der einer anderen Welt entsprungen sein wollte und nun den Angriff einer Mäusearmee befürchtete, war leicht irre. Doch der gemeinhin als "Nervzwerg" bekannte Moloss hatte in den letzten Stunden sein Feingefühl für abstrakte Geschehnisse etwas aus den Augen verloren.
"Glaubt ihr etwa, wir erzählten euch all das aus bloßem Privatvergnügen? Aus Freude an der ulkigen Geschichte? Wir müssen jetzt alle verdammt noch mal zusammen arbeiten! Ihr habt die Anweisung eures vorübergehenden Kommandeurs gehört! Gestempelt und verbrieft vom Patrizier höchstselbst! Und sein Befehl lautet: baut Mäusefallen, haltet euch bereit, bewaffnet euch! In dem Käfig sitzt die Königin einer Heerschar von Nagetieren, die jeden Moment hier eintreffen könnten und ihr käbbelt euch hier einerseits darum, wer, gesetzt den Fall, dass wir die Wahrheit sagen, nun hier die Befehlsgewalt inne hätte und dass man uns in die Klappse stecken sollte. Das mag ja vielleicht auch alles soweit richtig sein, aber bitte erledigt das ANschließend! Hört jetzt also auf mit eurem ewigen "Nieder mit dem Kommandeur!" und setzt euch in Bewegung! Das war's! Ich habe gesprochen!"
Damit ließ Glum sich höchst zornig auf der Kante des Tresens nieder und verschränkte mit einem absolut vernichtenden Blick die Arme.
Für einen weiteren Moment hielt die Stille an, diesmal wandten sich alle Augenpaare Jorgan und den noch immer unwillig (und vor allem weit von sich weg) gehaltenen Käfig, in dem eine purpur-bemantelte Ratte saß und arglos an der Drahtvergitterung schnupperte.
"Es ist nur eine verdammte Kanalratte!", nahm Dämon die Zeterei wieder auf. "Nichts weiter als das! Und wer will schon einmal etwas von einer Parallelwelt gehört haben? Aus welcher Flasche, möchte ich wissen, stammt diese Idee, bitte sehr? Vielleicht ist es an der Zeit die IA und DOG neu zu besetzen!"
"Ich fürchte, dass sie die Wahrheit sprechen, Hauptmann.", warf Jorgan versuchsweise ein.
"Die Wahrheit ist
so grausam
grausam auch wie
alle Welt erlischt in
all-"
"JARGON DICHTET NICHT!", entfuhr es Glum lauthalts und erbost.
"Bitte, so kommen wir nicht weiter!", entschied Sebulon händeringend. "Besinnt euch doch endlich! Was ist mit all den ungeklärten Fällen? Die Kratz-und Nagespuren im Postamt? Die vermisste Person? Rea? Wo bist du? Da. Heute morgen hast du Jarg-ich meine natürlich Jorgan, einen Brief für den Patrizier gegeben. Woher hattest du ihn?"
Fähnrich Dubiate biss sich auf die Unterlippe, bevor sie zu sprechen begann: "Der lag ehrlich gesagt auf meinem Schreibtisch. Da wir bekanntlich alle so arbeitswütig sind, dachte ich, dass jemand den Brief vielleicht bei mir in aller Eile vergessen haben könnte. Also wollte ich der Person entgegen kommen."
"Glum und ich haben die jüngsten Untersuchungen bezüglich des Postamtes von Feldwebel Reinstich übertragen bekommen. Fogi, war der Brief Teil der Fallakte?"
Die Igorina runzelte die Stirn. Ein beängstigender Anblick.
"Nein, nicht daff ich mich daran erinnern könnte."
"Gut, dann lautet meine These wie folgt: Sämtliche Briefe an den Patrizier wurden niemals versendet. Überhaupt verschwanden häufiger mal Personen und die einzigen Spuren blieben die vielen Kratzer. Dass ausgerechnet Jorgan den Brief erhielt, um ihn in der Palast zu bringen, war kein Zufall. Diese Mäuse wollten ihn sogar umbringen!"
"Du meinst, nachdem sie es mit Kommandeur Briguyar taten?", spöttelte Korporal Kulombini und erntete hier und dort ein schiefes Grinsen.
"Ganz recht! Bloß ist der Kommandeur nun doch nicht ermordet worden. Auf ihr Geheiß-" Und damit fuhr sein Finger zum Käfig hinüber, "-wird Aroghast in den Kellern des Patrizierpalastes gefangen gehalten."
"In diesem Fall sollte morgen wohl mal jemand rüber gehen und nachsehen lassen, ob-"
"Unnötig!"
Die Blicke aller anwesenden Wächter fuhren zum Eingang herum. Dort stand, völlig verschwitzt und zerkratzt, mit fehlender Augenklappe und zerzausten Haaren, Aroghast Briguyar, amtierender Anführer der Stadtwache. Sebulon traute seinen Augen nicht und auch Glum und Jorgan mussten tief Luft holen.
"Brigs, wie zum-"
"-Kommand-"
"-ist es wahr?"
"Bist du verletzt?"
"Ja, es ist wahr. Jedes einzelne Wort! Ihr tätet gut daran, auf den Feldwebel und den Lance-Korporal zu hören!"
Und wieder trat Stille ein. Aroghasts Hände, mit denen er sich im Türrahmen abstütze, zitterten. Dennoch nickte er Sebulon zu.
"Nach dem Kampf im Palast-Thronsaal haben sie mich in den Keller geschleift, irgendwo unterwegs bin ich mit dem Kopf gegen eine Treppenkante geschlagen und bewusstlos geworden. Als ich wieder erwachte war der Großteil von Ihnen weg. Offenbar waren sie auf der Suche nach ihrer Anführerin. Dann kämpfte ich mich frei. Es sind immerhin nur Mäuse. Ihre Masse ist ihre Stärke. Und ihre Flinkheit."
"Wir hätten dich umbringen sollen! Das war der letzte Fehler!", meldete die Rattenkönigin sich fiepsend und enttarnte sich somit vor den Versammelten selbst. Erschrocken ob der plötzlichen Wortmeldung hielt ein Teil der Wächter die Luft an, dann galt ihre Aufmerksamkeit erneut ihrem Oberhaupt. Dieses sackte etwas am Türrahmen herunter.
"Entschuldigt mich bitte!"
Und damit fiel es vorn über.
"BRIGF!"
Augenblicklich stürzte Fogi herbei, in ihren seltsam steifen Bewegungen und versuchte den Kommandeur hoch zu hieven.
"Kenndra, Mona - packt mit an. Wir bringen ihn in sein Büro. Bei drei. Eins...zwei...dr-"
"Oh, kommen wir etwa gerade ungelegen?"
"In diesem Fall sollten wir vielleicht wieder-"
"Stiggons, bitte!"
Die letzten Zweifel wurden beseitigt. Während Glum sich mit Broggosch absprach, auch wenn er an dessen Dickschädel ordentlich zu arbeiten hatte, übernahm Sebulon die Verständigung mit den eingetroffenen Zauberern der UU, die zwar keineswegs mit einer solchen Situation gerechnet hatten, sich allerdings von Herzen über einen Grund freuten, die vorhandene thaumische Reststrahlung für ein Portal-Experiment nutzen zu können. Es dauerte zwar ein kleines Weilchen, bis der Technikerzwerg das Bauprinzip von Mäusefallen einem breiteren Teil der anwesenden Wächter ausreichend erläutern konnte, doch bloß wenige Minuten später hatte er es geschafft, mit Restmetall aus dem Keller und dem säuberlich gestapelten Brettervorrat aus dem Hof Arbeitsstationen einzurichten. Da der Kommandeur laut Fogi noch etwas Genesungszeit benötigen würde, hatte Sebulon sich mit den Hauptmännern darauf geeinigt, dass sie zwar den Oberbefehl behielten, er als Fallverständiger jedoch die Anweisungen gab. Die Zeit drängte.
Da theoretisch auch die thaumische Reststrahlung mit der Zeit nachließ, gestattete man den Zauberern der UU, im tiefsten Interesse der beiden Dimensionsreisenden, das Sprung-Ritual vorzubereiten. In weiser Voraussicht ließ Hauptfeldwebel Sollybis einen Trupp Wächter sämtliche Zugänge zum Wachhaus verschließen, Abflüsse versperren und sogar das Rohrpostsystem mit Deckeln verschrauben. Noch waren nicht alle Wächter restlos überzeugt, dafür erschien ihnen die Gesamtsituation zu absurd und eine weitere Erklärungsrunde, mit teils lauten Auseinandersetzungen folgte, als die beorderten Kollegen der DOG eintrafen. Mit der Zeit traf auch eine Taube aus der Kröselstraße ein, dass man die Rekruten rüste und bald eintreffen werde. Klugerweise war an diese Adresse vorerst nicht mehr als diese Order versendet worden.
Die Rattenkönigin war in den Taubenschlag gebracht worden, bewacht von Alga-Moria Inäs und Kothiapeja. Man hoffte, dass die anwesenden Vögel als stille Drohung zu etwaigem Fehlverhalten beitrugen. Niemand wusste, wie viel Zeit noch bleiben würde. Ebenso in der anderen Welt...
"Verdammt düster hier drin, Mustrum!"
"Ich fürchte, dass das am Wesen einer Dunkelkammer liegt, Dekan. Wo ist eigentlich der Professor für unbestimmte Studien?"
"Der sucht den Quästor, Erzkanzler."
"Den Qästor? "
"Ja, Herr. Er hat ein paar von den Räucherstäbchen gegessen und wollte dann einen der Stadtwächter mit Kreide bemalen gehen."
"Appropos - das Hexagon wäre dann fertig gezeichnet."
"In gelber Kreide, Stibbons? Das ist unklug. Ein Glas Wasser und-"
"HÖRT ENDLICH AUF MIT EUREM BLÖDEN WASSER!"
"Schuhu?"
Es klopfte im Türrahmen und die Stimme des Kommandeurs Breguyar hallte in der Dunkelheit: "Guten Abend, die Herren Zauberer." Es wurde begrüßendes Gemurmel erwidert. "Ich wollte es ja erst nicht glauben, als der Obergefreite Schneidgut so plötzlich vor mir stand und behauptete, ihr würdet hier drin ein Ritual abhalten wollen, weil uns eins Komma fünf Abteilungsleiter abhanden gekommen sind, aber ich muss meinen Entschluss, ihn zu einer püschologischen Sitzung zu verdonnern, wohl noch einmal zurückziehen. Ich schätze, dass all diese Kerzen hier nicht der Entspannung dienen?"
In diesem Moment wusste benannter Obergefreite, der gleich hinter seinem obersten Chef stand, nicht genau, ob er erleichtert darüber sein sollte, dass man seiner Geschichte Glauben schenkte oder deprimiert darüber, dass dies zuvor nicht der Fall gewesen war. Skeptisch und mit hoch gezogenen Augenbrauen musterte Araghast die Anstrengungen der Zauberer.
"Ganz recht, Herr Breguyar, ganz recht.", begann der völlig verschwitzte Ponder Stibbons mit verrutschter Brille zu erklären. "Erinnerst du dich noch an das Gewitter von heute morgen? Also das war so..."
"
Subelon! Pass auf!-"
"
Argh!"
"
Gnihihihi!"
"
Quästor! Lass auf der Stelle das Sieb los!"
Glum beobachte mehrere Dutzend Sonnenbrillen bei ihren kriegsähnlichen Vorbereitungen, die einzelnen Finger in Leinenverbände gewickelt. Lalla Bäum, seit kurzem die Oberste der DOG, hatte soeben einen Versuch unternommen, die Koordination der Spähposten mit ihm zu besprechen und erstaunlicherweise war dies reibungslos verlaufen. Wenn der Zwerg an all die schnippischen Kommentare Horatius' sowie die Dauer einer baum'schen Unterhaltung an sich dachte, daheim im guten alten Ankh-Morpork ... allmählich war das Heimweh übermannend. Diese Wache war nicht ihre Wache. Auf ihn machte all dies mehr den Eindruck einer schlechten Kopie, wenngleich er die Disziplin und Einfachheit der internen Absprachen bewundernd bemerken musste.
"Broda! Auf ein Wort!"
Just in diesem Moment hatte er seine, in der anderen Welt heiß geliebte Ex-Chefin Broda Kuhbock entdeckt, die dabei war an den Arbeitsstationen fertig gestellte Mäusefallen im Eingangsbereich zu verteilen. Sie nickte und näherte sich ihm. Die Vorbereitungen liefen nun seit einigen Stunden und die allgemeine Stimmung schwankte zwischen Anspannung, Unglaube und Widerwillen. Und dennoch funktionierte das Zusammenspiel. Fabelhaft!
"Hallo Broda, sag mal - wie habt ihr es geschafft eure Leute derart auf Drill zu bringen? Diese Arbeitswut ist ja beneidenswert!"
Sie runzelte die Stirn und biss sich auf die Unterlippe. Ein seltsamer Anblick bei einem Vampir. Dieses Exemplar hatte im Übrigen nichts von seiner Schönheit eingebüßt, doch war der Feldwebel um einiges weniger entschlussfreudig, eher nachlässig gekleidet und schien Anordnungen lieber zu gehorchen, als selbst welche zu erteilen.
"Es ist irritierend. Ich muss mich immer wieder daran erinnern, dass ihr beide ja angeblich nicht von hier seid. Hm...vielleicht bin ich auch die falsche Person für diese Frage..."
"Weshalb tragen hier alle Sonnenbrillen?"
"Das war ein sehr kluger Einfall von Hauptmann Ccanddlairfyn!", nickte Broda stolz. "Sie verleihen uns Anonümität und Selbstsicherheit. Du selbst...oder eigentlich nicht du selbst...warst der erste, der das begrüßt hat."
"Tatsächlich? Ich muss wohl mal ein ernstes Wörtchen mit mir selbst reden, wenn ich wieder da bin!"
Er warf einen Blick zum Eingang. Der Feldwebel folgte seinem Blick und verschränkte die Arme. Broggosch musste draußen im Hof sein und den Aufbau der Abwehranlagen überwachen. Er sprühte förmlich über vor lauter Ideen. Glum schloss die Augen und entließ Broda wieder in ihre Arbeit. Es musste ihnen allen beinahe noch abstruser vorkommen, als ihm selbst. Er öffnete sie nach einigen Momenten wieder und schlenderte hinüber zur Dunkelkammer, um einen Blick auf die Zauberer der UU zu werfen. Selbst diese schienen überaus kompetent zugange zu sein. Ein gelbes Hexagon war auf den Boden der beleuchteten Dunkelkammer gemahlt worden, drei unterschiedliche Kerzen standen an jeder Spitze, umgeben von einer ordnungsgemäßen Wachstropfenschicht. Neben diesem wurden soeben drei Räucherstäbchen angezündet und verschiedene Töpfe und Tiegel an der Wand aufgereiht. Aus diversen Einsätzen in den Räumlichkeiten der Universität wusste der Lance-Korporal bereits, dass dies alles nicht nötig war, doch ungemein zum Imädsch der Magiekundigen beitrug.
"Also gut, Jungs.", sagte der Verwalter für öffentliche Illusion soeben. "Ich denke, wir sind soweit fertig."
"Und ich denke, also bin ich!", bemerkte der Quästor mit einem schlauen Grinsen. Enge Blicke wurden ihm zugeworfen und jemand räusperte sich.
"Du solltest das aufschreiben, wenn wir hier fertig sind!", verkündete Nustrum Pidcully und klatschte sich in die Hände. "Sooo, wenn uns jetzt nichts mehr dazwischen kommt, können wir ja-"
"SIE KOMMEN, SIE KOMMEN!"
"-also können wir ja-"
"ALLE AUF IHRE POSTEN!"
"-ich sagte-"
"FROOOOGS, ZU MIR!"
"Jetzt fangt schon an!"
Senray Rattenfänger gähnte und streckte sich anschließend. Dann gähnte sie wieder. Tresendienst. Wie öde. Und jetzt kam auch noch
sie herein. Es gab ein paar Menschen, denen man nicht begegnen wollte. Und noch viel weniger abends. Dennoch salutierte sie.
"Hallo, Obergefreite Schraubendrehr!"
"Jaja, ich dich auch."
"Ist alles in Ordnung?"
Rabbe hielt inne.
"Natürlich! Weshalb sollte etwas nicht in Ordnung sein?"
Die Straßen quollen über vor weißen und grauen Mäusen. Zum ersten Mal, seit sie in dieser Dimension angekommen waren, vernahmen Sebulon und Glum Schreie in der Stadt. Daheim gehörte dies zu den gewöhnlichen Hintergrundgeräuschen einer lebendigen Großstadt. Doch sie hier so plötzlich zu vernehmen, konnte durchaus verängstigend wirken. Zwischen den flinken Mäusen tummelten sich immer wieder Rattenpulke, die innerhalb dieses Gewusels eine Art Aufstellungsorganisation bedeuteten. Inmitten eines besonders dichten Pulks befand sich mit großem Gepränge ein kleiner Thron, über den ein paar Mäuse eine Art Staatsbaldachin an vier Stangen hielten. Das Gequieke war ohrenbetäubend.
Die FROGs hatten auf den Dächern Stellung bezogen, weitere Wächter lagen mit angelegten Armbrüsten, Steinkübeln, Kohlebeuteln und Kisten voller zertrümmerten Geschirrs und Glases in den Fenstern. Mit Fackeln über das Hoftor gebeugt, lehnten der IA-Chef Sebulon, Sohn des Samax, Hauptmann Hamph MeckDwerf und Fähnrich Rea Dubiate. Die Szenerie wurde allmählich unüberschaubar, da die Straßen soweit man blicken konnte übersäht waren mit Nagetieren und sie es sogar auf einige der näheren Dächer geschafft hatten. Nah genug, dass sie einen Sprung schaffen würden. Der gesamte Pseudopolisplatz schien ausgefüllt.
"Meine Güte, es ist wirklich wahr. Überall-"
"Wie viele sind wir?", murmelte Sebulon an Rea gewandt.
"Derzeit etwa sechsunddreißig. Drei Patrouillen sind noch da draußen und die GRUNDler."
"Haben wir noch eine Meldung von denen bekommen?", erkundigte Hamph sich, das glatt gelegte Haar noch einmal fest streichend.
"Nicht dass ich wüsste."
"Wenn es denen bloß mal gut geht!"
"Chrm!"
Ein Tuch wurde entfernt. Unter dem verzierten Baldachin kam der König der Mäuse zum Vorschein; man hatte ihm das goldene Megaphon gebracht. Die weiße Ratte hatte sich soeben geräuspert und augenblicklich verstummten die Geräusche tausender Nager.
"Stadtwächter! Ihr habt etwas, das mir gehört! Und ich will sie wiederhaben! Widerstand ist zwecklos! Diese Stadt gehört ohnehin bereits uns!"
Da erhob der Hauptmann die Stimme: "Wisst ihr was? Nein! Wir geben eure Königin nicht heraus! Und wenn ihr nicht sofort abzieht und diese Stadt verlasst, werdet ihr es noch bereuen!"
"Hauptmann MeckDwerf, wie ich sehe. Wie geht's der Familie? Ist deine Mutter eigentlich sehr wütend auf dich?"
Allgemeines Gequieke erhob sich, während der Mann im schwarzen Mantel die Zähne zusammenkniff und von der Torbrüstung herab kletterte. Kampfbereit griff er nach seinem Schwert und hielt auch seine Fackel zu allem bereit. Beinahe wäre er auf dem vorbereiteten Öl ausgerutscht, das der findige Broggosch hatte verteilen lassen.
"Na los, dann zeigt mal, was ihr könnt, ihr kleinen Kanalwühler!", brüllte er aus und wollte gerade zum Tor schreiten, als Aroghast im Haupteingang erschien.
"Halt, Hamph!"
"Wir werden ohnehin kämpfen, was macht es da schon?", entfuhr es dem gestriegelten Mann willkürlich. Der schmale Kommandeur hinkte ein wenig, als er vortrat, das Haupttor musterte und Rea und Sebulon zunickte. Dann legte er Hamph eine Hand auf die Schulter.
"Du darfst dich nicht in Rage bringen lassen. Wo du doch sonst so pedantisch bist - bleib immer konzentriert!"
Lauter und an die Mäusescharen gerichtet fügte er hinzu: "Wenn wir bisher noch nicht aufgegeben haben, dann jetzt erst recht nicht mehr!"
Bei diesen Worten sprangen Sebulon und Rea fackelbewehrt in den Hof hinunter.
Und damit begann der Angriff.
Ophelia Ziegenberger rührte in ihrem Tee, nahm noch ein Stück Zucker und rührte weiter. Sie klimperte mit dem Löffel am Rand der Tasse und legte ihn säuberlich auf den Unterteller. Mit spitzen Fingern fischte sie sich ein Stückchen Teegebäck aus der nebenstehenden Dose. Desillusioniert starrte sie auf die Tür ihres Büros. Den einen Arm in der Schlinge, den anderen erhoben, ließ sie die Schultern hängen.
"Wozu Feierabend machen..."
Sie senkte die Hand und tauchte das Gebäckstück in das Kräuterwasser ein.
"Naaachlaaaden...FEUER!"
Bolzen surrten. Kletternde Mäuse fielen getroffen von den Wänden. Auf den weiteren Befehl Kenndras wiederholte sich die Prozedur. Währenddessen schleuderten die Wächter aus den zur Straße angrenzenden Fenstern Steine, Scherben und vorgeheizte Kohlen. Als das mit der Zeit nicht mehr ausreichte, schafften sie kochendes Wasser heran.
"HALTET SIE VON DEN DÄCHERN FERN!", schrie Voldimier von Vorwald und griff, auf einem der genannten solchen postiert, nach einem Eimer voller Kiesel. Einige Mäuse hatten es bereits bis hierher geschafft und wurden mit Schwertern und Tritten von den FROGs bekämpft.
Der inzwischen ebenfalls nach oben gestürmte Glum schritt, die Dachziegel unter seinen schweren Stiefeln zerschmetternd, das Dach ab und versuchte sich einen Überblick zu verschaffen.
"Von hinten kommen sie nicht am Gebäude hoch, Feldwebel! Und ansonsten halten wir sie bisher gut in Schach! Wenn die Verstärkung bald eintrifft, könnten wir es schaffen, dass sie aufgeben!"
"Gulm-"
"Glum heißt das!"
"Scheißegal! Sobald uns das Wurfzeugs und das Wasser ausgehen, verlieren wir unseren Vorteil!"
"Naaachlaaaden...FEUER!"
Unten im Hof nahmen soeben Dämon, Broggosch und Siptimus Anlauf. Ein rundes Etwas verließ ihre Hände und schafte es geradeso über die Hofmauer, bevor es inmitten eines Rattenblocks zerplatzte und aus dieser Richtung für leidendes Gezische sorgte. Parallel dazu gingen die Fensterscheiben umliegender Häuser klirrend zu Bruch.
"Eine von den großen Kieselbomben.", erklärte Voldimier und hieb auf wackligen Beinen einige Mäuse blutig aus der Regenrinne. "Wir benutzen sie normalerweise bei Infiltrationseinsätzen um die Feinde aus Häusern zu treiben. Ab durch den Kamin damit. Sorgt für Verwirrung."
"Pass auf, sonst fällst du!"
KRAWUMMMM!
Alle Augen starrten für einige Sekunden gen Himmel und der Kampf geriet ins Stocken, als urplötzlich die nächtliche Wolkendecke aufriss und pinkfarbener Regen einsetzte, begleitet von einem ohrenbetäubenden Donner.
"Was zum-?"
"Das sind die Zauberer!", schrie Glum mit einem irren Kichern aus. "Hah! Sie führen das Ritual durch!"
Pendor Stiggons kam aus der Nummer nicht mehr heraus. Deshalb hatte er sich bereits vor einer kurzen Weile dazu entschlossen, alles mitzumachen, was man von ihm verlangte, um dann anschließend seinen Jahresurlaub zu beantragen. Den der nächsten Jahre! So fügte es sich, dass er mit seinen wesentlich älteren Kollegen Hand in Hand und mit gesenktem Blick im Kreis um das Hexagramms herum stand und einem tiefen Singsang seine Stimme lieh. Oktarines Licht schlich sich wie Nebel um die Kreidelinien und ließ die Dielen darunter gewaltig knirschen.
Als er draußen einen lauten Schrei hörte, wurde er für einen Sekundenbruchteil abgelenkt.
"VOLDIMIR! VOR-"
KRAWUMMMM!
"Stiggons! Konzentriere dich! Sofort!"
Der junge Zauberer riss den Kopf herum und senkte ihn sogleich wieder, nachdem er die strafend zusammengekniffenen und ebenfalls oktarin glühenden Augen Pidcullys auf sich ruhen sah.
"Das gilt für euch alle! Wir befinden uns gleich zwischen den Dimensionen! Da darf nichts schief gehen, Leute!"
"Warum nicht?", konnte Pendor nicht verhindern zu fragen, wurde jedoch sogleich mit einem weiteren Blick gescholten. Ihm war mächtig unwohl in seiner Haut.
"Konzentriert euch auf die Formel!"
Sebulon hatte den Sturz Voldimirs vom Dach wahrgenommen, war sogleich herbeigesprungen. Zum Glück war er auf den, eigentlich zur Fütterung der Pferde bestimmten, nun zum Anzünden vorgesehenen Heuballen gelandet, die Broggosch hatte aufstapeln lassen, sodass sein Fall abgefangen wurde und er einige Meter über den Boden rollte. Noch während er zu dem stöhnenden Feldwebel eilte, schlug hinter ihm ein Blitz ins Mauerwerk des Innenhofes ein. Mörtel spritzte umher, tote Mäuse flogen herum und schon wurde die Schwäche in der Verteidigung erkannt. Die Mäuse strömten durch die gespaltene Mauer in den Hof ein, quiekend und zischend. Die in der Nähe stehenden Wächter hatte er Einschlag versprengt. Zwar war niemand von ihnen dabei zu Tode gekommen, doch zu Boden geschleudert hatte es sie alle. Hitscha al Nisa zitterte sogar und stand offensichtlich unter Schock. Schon waren die anderen Wächter nachgerückt und zogen ihre Kollegen von den Mäusen weg, die nun dabei waren, den Innenhof einzunehmen.
"ALLE REIN!", brüllte Broggosch Geldwart. "ZÜNDET DAS ÖL AN!"
"FEUER! Ladet nach!"
Sebulon blickte durch den Regen nach oben und sah die FROGs in arger Bedrängnis. Immer mehr Mäuse und Ratten schafften den Absprung auf das Dach des Wachhauses, zumal es für die Wächter immer schwieriger wurde ihren Halt zu bewahren. Überhaupt war es äußerst irritierend und behindernd durch den pinkfarbenen Regen zu schauen, der einen Gutteil der Sicht einnahm. Dennoch erkannte er Glum, der von dort oben die rückwärtige Verteidigung koordinierte.
"ALLE RUNTER VOM DACH!", schrie der Samaxsohn. "RUNTER, DAS WIRD ZU GEFÄHRLICH!"
" ACHTUNG DA UNTEN!"
"Was?"
Brennende Tücher wurden aus den Fenstern in den Hof geschleudert. Sofort loderten die Ölpfützen auf und erhellten die Nacht. Das Zischen der Nagetiere war kaum auszuhalten. Und noch immer drängten sie nach. Von ihrem Anführer keine Spur.
"ZIEHT EUCH INS HAUS ZURÜ-Ah!"
Vor Schreck ließ Ophelia ihr Teegebäck fallen, verschluckte sich und musste husten.
"Zum-was ist denn jetzt los?"
"Eine Teetasse?", stieß Sebulon ungläubig aus und rieb sich den Nacken, an dem soeben heißer Tee hinunter geronnen war. Er schüttelte den Kopf und half Voldimir auf die Beine.
"Wir müssen weg hier, alter Junge! Das Öl brennt und die Viecher sind im Hof-"
Wie zum Beweis verbiss sich eine Ratte in seinen Schenkel, sodass er lauthals aufschreien musste, doch der Feldwebel in seinen Armen war wieder soweit bei Bewusstsein, dass er das Tier mit einem gezielten Tritt beseitigte. Blut lief an Sebulons Bein herab.
Sie sprang so hastig auf, dass sie ihren Stuhl dabei umstieß und patschte mit der Hand auf die Tischplatte, dort wo eben noch ihr Porzellan gestanden hatte. Mit erstarrter Miene fuhr sie sogleich um das Mobiliar herum und stürzte zur Tür. Auf dem Weg die Treppe herunter begegnete ihr der Kommandeur.
"Ophelia, was ist los? Du bist ja kreidebleich."
Die RUMlerin hielt Bregs am Ärmel fest.
"Es ist soweit. Ich bekomme Wahnvorstellungen! Wo ist Laiza-Aaaah!?"
Eine Ratte verfing sich in ihren Haaren und warf Ophelia von den Füßen. Weitere überfielen sie umgehend. Kreischend trat und schlug sie um sich, während die Ratten in ihr Kleid krabbelten. Der Schmerz ihres Arms war schneidend.
"Was meinst du mit-"
Der Druck an Bregs' Ärmel war fort, so auch der Griff seiner verdeckten Ermittlerin.
"Ofalia! Du darfst nicht liegen bleiben!"
Mit Messer und Hechtsprung landete Hamph MeckDwerf neben ihr.
"Hu-AAAH-Humph??"
"Tut mir Leid, Ofalia!"
Und mit diesen Worten riss er ihr den beratteten Rock vom Leib und warf ihn in die Flammen. Panisch wanderte Ophelias Blick in die Höhe, als sie sich die fauchende Ratte aus den Haaren riss und weg schleuderte.
"Was ist hier-??"
Ein Sturz Ziegel fiel ihr entgegen. Sie schrie und streckte abwehrend die Hände in die Höhe- und stürzte die Treppe zum ersten Stock hinunter.
"Ophelia!"
Augenblicklich sprang Araghast ihr zur Seite.
Als er sie erreichte, hatte die gegenüberliegende Wand sie erwischt und ausgeknockt.
"Ofalia?"
Irritiert sah Hamph hinter sich, doch schon war die Vermeintliche fort.
KRAWUMMMM!
Der Singsang vertiefte sich. Das oktarine Glühen weitete sich aus und erfasste die Zauberer bis zum Knie. Ein Schimmern entstand inmitten des Hexagramms und leicht schien es, als tönten von ganz weit weg Stimmen zu ihnen herüber. Endlich hatte auch Pendor seine Mitte gefunden. Die Magie floss einvernehmlich und sie bekamen das Gewitter unter Kontrolle. Thaumische Strahlung ließ die Thaumometer vibrieren. Der Rauch der Räucherstäbchen zog wie von einem leichten Sog gepackt in die Mitte des Kreises, ebenso wie die thaumisch geladenen Bärte der Zaubernden.
"He! Hört mich jemand? Sofort zu mir! Wäääächter!"
Rabbe und Senray horchten auf. Dankbar, dass sie das Gespräch mit der Obergefreiten Schraubendrehr nicht erweitern musste, stürzten beide dem Ruf ihres Kommandeurs folgend die Treppe nach oben in den ersten Stock.
"Sör, was ist los?", erkundigte die Rekrutin sich bereits auf halbem Wege.
"Feldwebel Ziegenberger geht es nicht gut. Hier passiert etwas. Mit einem Mal verschwand sie und tauchte im nächsten Moment ohne Rock wieder auf. Rabbe, du holst Laiza! Wenn Sie bereits Feierabend gemacht hat, hol sie her! Augenblicklich! Senray, wir bringen Ophelia-"
Pinkes Wasser prasselte auf die Rekrutin hernieder. Eine Flammensäule schoss unmittelbar über sie hinweg und reflexartig warf sie sich zu Boden, als Korporal Geldwart etwas an ihr vorbei warf. Dann erfassten ihre Augen das Ziel des Wurfs und ihr Schock über den urplötzlichen Ortswechsel wurde von einer lähmenden Angst vollkommen verdrängt. Mäuse. Mäuse. Ratten. Mäuse und Ratten. Ratten und Mäuse überall!
"NEEEEIIIIIN! AAAH!"
"Rekrutin Rattenzwänger?"
"SENRAY!"
Mit einem Mal war Sebulon neben ihr, packte sie bei den Schultern und riss sie herum.
"Hör auf zu schreien! Achtung!"
Er wirbelte herum, sodass die im Verhältnis nicht viel größere Wächterin in seinen Rücken geriet. Eine Salve Kiesel prasselte sturzbachartig unmittelbar an ihnen vorbei und erschlug einen Haufen Ungetier. Sofort begann der Stammagent mit seinem Schwert um sich herum auf die Mäuse einzuhacken. Unscharf konnte er erkennen, dass fernere Wächter sich nur mit Mühe gegen die Mäuse verteidigen konnten. Inzwischen waren sie bis zum Gebäudeeingang zurückgedrängt worden. Mithilfe des Leichenaufzugs hatten sich drei Wächter soeben in den Innenhof gestürzt, um den Bedrängten die Rückkehr ins Wachhaus zu ermöglichen.
"Senray, ich weiß dass du es bist. Ich habe dich mit einem Mal hier auftauchen sehen. Was ist passiert?"
"SEBULON!"
"FEUERN UND RÜCKZUG!"
"BRODA? WO BIST DU?"
"ICH BIN HIER. SIE KOMMEN DURCH DE-"
Eine Hand packte und warf sie gegen die Wand.
"AAAAH!"
Brodas Augen weiteten sich starr, als sie in die wahnsinnigen Breguyars blicken mussten. Dieser drückte ihr beinahe die Luft weg.
"Feldwebel Krulock! Was geht hier vor sich? Und wo ist meine Rekrutin?"
"Krulock? HILFE!"
Panik machte sich breit.
"Robbe, hilf mir!"
"WO IST SENRAY RATTENFÄNGER? SPUCK ES AUS, FELDWEBEL!"
"Sie ist d-drü-DRÜBEN!"
Araghast ließ sie zu Boden fallen. Dort blieb sie jedoch nicht liegen, sondern rollte sich auf die andere Seite, um sich aufzustützen.
"Wir müssen wieder raus, Kommandeur! Sie haben den Hof! Die Posten vom Dach ziehen sich zurück. Und noch immer keine Nachricht von GRUND."
Entgeistert starrten Bregs und Rabbe sie an. Ophelia murmelte benommen vor sich hin.
"Wer hat den Hof, Breda? Wer, verdammt?"
"MÄUSEEEE!", schrie Senray unter Tränen, unfähig zu jeglicher Bewegung.
Sebulon und Rea Dubiate zerrten die Rekrutin zum Haupteingang, wo bereits die meisten der Wächter versammelt waren.
"Reiß dich zusammen Senray! Pass auf, wo du hin trittst, hier drin liegen überall Mäusefallen!"
"KOMMANDEUR! KOMMAND-"
"HIER UNTEN, GLUM!"
Die Blicke aller, die derzeit nicht mit dem unmittelbaren Kampf beschäftigt waren, bewegten sich nach oben. Als verbliebener Spähposten stand auf dem Dach noch der Moloss Steinstiefel.
"DA HINTEN KOMMEN SIE! GRUND IST DA! UND VON DER SALISSTRASSE NÄHERN SICH ZWEI PATROUILLEN!"
Das war schlecht! Briguyar tauschte Blicke aus. In Sekunden wurde eine Entscheidung gefällt.
"Alles klar." Und diese Worte galten Dämon, Sollybis und Kennichgut. "Wir vier brechen durch eines der hinteren Fenster aus und stoßen dazu. Wir müssen sie abfangen und umleiten. Wenn sie erst mal mitten drin sind, haben sie ohne Schutz keine Chance mehr! Mitkommen!"
"WARTET!"
Glum spähte in die Ferne.
"DA TUT SICH NOCH ETWAS ANDERES. AUF DER MESSINGBRÜCKE!"
Ein Horn ertönte und einige Pferde wieherten.
"ES IST VETINARI! ER HAT DIE PALASTWACHE!"
Araghast stürzte in die Dunkelkammer, Broda dicht hinter ihm.
"Ok, eure Beschwörung läuft schief! Hört sofort auf damit!"
Jargon, die graue Eule wachsam auf seiner Schulter sitzend, legte sofort den Zeigefinger an die Lippen. Gulm und Subelon standen abwartend neben ihm.
"Sie hören dich nicht mehr, Kommandeur!"
Die Blicke schweiften umher. Das oktarine Glühen erfüllte den gesamten Raum und thaumische Ladung ließ die Haare aller Anwesenden in sämtliche Himmelsrichtungen stehen. Der Singsang der Zauberer war kaum mehr als ein Brummen geworden und in der Mitte des Hexagramms flackerten undeutliche Bilder. Es sah beinahe aus wie ein Spiegelbild.
KRAWUMMMM!
Araghast kniff die Augen zusammen und fasste sich an den Kopf. Die derzeitige Situation überforderte ihn und auch Jargons Erklärungsversuche, die er nur am Rande wahrnahm, halfen ihm nicht sonderlich weiter.
"Kommandeur, Kommandeur!"
Vollkommen außer Atem schlitterte Kathiopeja den Flur hinunter.
"Bregs...uff...draußen regnet es." Sie schnappte nach Luft. "Es regnet pinkfarbenes Wasser!"
Ein statischer Blitz durchzuckte die Kammer, schlug unmittelbar vor seinen Füßen ein und zuckte weiter durch den Wachhausflur, bis er sich in Funken verlor.
Sebulon zog die Haupttür hinter sich zu und verriegelte sie.
"Sind alle drin?"
Feuer loderte zwischen den Brettern, mit denen die Fenster vernagelt waren auf. Einige letzte Vorräte Steine und Brandbomben wurden aus den oberen Fenstern geworfen, doch allmählich kam die Außenverteidigung zum Erliegen.
"Wir haben sie ziemlich schwer getroffen, Leute!", nickte Hampf MeckDwerf aufmunternd in die Runde. Zerkratzte, rußige und teils schreckensgeweitete Augen blickten stumm zurück. "Und hier drinnen sind wir sicher. Der Kommandeur ist auf dem Weg, um die Verstärkung von GRUND zu sichern und der Patrizier rückt mit der Palastwache an. Wir haben vielleicht den Hof verloren, aber der Kampf ist noch lange nicht entschieden!" Aufmunternd lächelte er. Der gewünschte Effekt blieb jedoch aus und so ließ auch er die Arme sinken und rieb sich die Stirn.
"Senray Rattenfänger..."
Eine junge Frau mit braunroten Haaren baute sich vor der Angesprochenen auf. Noch immer geschockt, doch inzwischen mit einer kurzen Erklärung der Umstände konfrontiert, blickte sie zitternd auf. Es war ihr noch nicht bewusst geworden, dass sie gerade dabei war ihren schlimmsten Albtraum zu durchleben. Und während es an den Fenstern pochte, quiekte und kratzte, sah sie sich selbst in die Augen.
"Sen-Bist du etwa...?"
"Du bist also mein anderes Ich?" Sonray Rattenzwänger hob ungläubig eine Augenbraue. "Sowas. Ich dachte, dass du mehr Mumm in den Knochen haben müsstest, Mädchen."
"Achja?" Senray fuhr auf. "Na DICH möchte ich ja mal erleben, wenn du einfach so und mir nichts dir nichts in eine andere Welt-"
Sie unterbrach sich selbst. Mit einem Mal war da wieder die Treppe zum ersten Stock, bloß waren Ophelia und die anderen fort. Blinzelnd blieb sie ein paar Minuten lang sitzen. Dann erhob sie sich und ging vorsichtig die Treppe hinunter. Obwohl sie immer langsamer wurde, je mehr sie sich der Dunkelkammer näherte, kam sie irgendwann dort an. Nachdem sie sich zur Gänze und bedingungslos sicher war, dort tatsächlich einen Ring Zauberer zu sehen, inmitten eines blendenden Lichts, atmete sie genau drei mal tief durch. Dann rannte sie fort.
"Jargon?"
Er blinzelte.
"Glum? Bist du's?"
Die beiden standen sich gegenüber.
"Ich weiß nicht. Dichtest du?"
"Dichten?"
"Also nicht?"
"Ähm...nein?"
"Dann bist du's!"
Überglücklich und triefend nass fiel der älteste aller Wachezwerge dem hageren Menschen um die Hüfte. Verdattert, vor allem, weil der Zwerg das erste war das Jargon nach seiner...Ankunft...zu Gesicht bekommen hatte, und auch deshalb, weil er nicht wusste, was überhaupt geschehen war, erwiderte er die Umarmung. Eine Freudenträne stahl sich in Glums Augenwinkel, doch er zeigte keinerlei Regung sie wegzuwischen. Nach einigen weiteren Sekunden wurde Jargon mulmig.
"Glum, du darfst mich jetzt loslassen!...Bitte!"
"Nein, nie wieder!"
"Jargon?"
Der Blick des Wächters folgte der wiederholten Frage nach links, den Gang hinunter.
"Ja, Sebulon, Sör, ich bin es wirklich!" Und er fügte noch hinzu: "Wirst du mich jetzt auch umarmen?"
"Auf jeden Fall!"
Kurz fühlte der Rechtsexperte sich sehr seltsam. Einerseits hatte er sich noch nie vergleichbar bedrängt gefühlt und andererseits auch noch nie so willkommen.
"SIE KOMMEN DURCH DIE ROHRE! DIE ROHRE!"
Nur wenige Minuten waren seit dem letzten Kampf vergangen. Nun setzte er mit voller Stärke wieder ein. Die Deckel des Rohrpostsystems konnten dem Druck der Mäuse nicht standhalten, ebensowenig das Abflussgitter der Kantine oder die Rückwand der vor den Kamin geschobenen Kommode. Inzwischen größtenteils ohne Sonnenbrillen, doch noch immer kampfbereit, setzten sich die Wächter der anderen Welt zur Wehr, doch waren sie innerhalb des Hauses klar im Nachteil. Erfolge konnten bei der Verteidigung der Kantine mithilfe weiterer Kieselbomben verzeichnet werden, doch war der Strom nur schwerlich zu stoppen. Als Sebulon, Glum und Jargon gemeinsam mit einigen Wächtern des Obergeschosses dazu stießen, war bereits das reinste Chaos ausgebrochen.
"JORGAN!", schrie Sebulon über das Gemenge hinweg, da er am dichtesten an der Dunkelkammer stand. "SIE DÜRFEN DAS RITUAL KEINESFALLS STÖREN!"
"Jorgan? Sie? Mäuse?", wandte der Obergefreite Schneidgut sich mit Fragezeichen in den Augen an Glum. "Scheiße?" Ein innerer Fluchtreflex breitete sich in Jargon aus. Dass durch das Anomalie-Ritual willkürliche temporale Sprunganomalien auftraten, hatte er inzwischen deutlich bemerkt; er selbst war soeben das Opfer einer solchen geworden und er hatte auch mit Vielem gerechnet. Doch niemals wäre er auf eine derartige Szene vorbereitet gewesen.
"Ok, pass auf, Kleiner." Glum holte tief Luft, in dem festen Vorhaben sich beim nächsten Luftholen bereits auf halbem Wege in Richtung Jorgan zu befinden. "Hier ist alles das Gegenteil von unserer Welt, das Meiste zumindest, Ankh-Morpork wird von Ratten regiert, wir haben ihre Königin im Taubenschlag gefangen und jetzt ist hier Krieg. Alles klar? Los!"
"Moment noch? Was-?"
"Aaaaaarrrrhh!"
Und fort war er.
"Er hat 'Los!' gesagt, Jargon! Hör auf einen Vorgesetzten! Zur Dunkelkammer! Das ist überlebenswichtig!"
Und damit preschte auch er nach vorne.
KRAWUMMMM!
Das Brummen hatte aufgehört. Die thaumische Strahlung zuckte in Blitzen durch die Kammer, entwich gelegentlich in den angrenzenden Flur. Beinahe schienen die versammelten Zauberer in der Luft zu schweben...
KRAWUMMMM!
...Ponder Stibbons spürte den Erfolg nahen. Wenn jetzt noch alle einen Moment lang konzentriert blieben...bittebittebitte! Das spiegelhafte Glitzern inmitten des Hexagramms weitete sich aus. Der Rauch hatte sich inzwischen verdichtet und kreiste um die lodernden Kerzen, wand sich in Schlingen mit dem entstehenden Dimensionsportal...
KRAWUMMMM!
...und alles wurde oktarin. Das Leuchten erfüllte blendend die Sinne. Der kritische Punkt. Die Zauberer waren eins mit der Strömung... hielten sie...hielten sie und waren selbst die Strömung...dann war der Punkt erreicht. Sie wandten sich ab und ließen los...
K R AWUMMMMMM !!!
Gulm erwachte. Und auch Subelon schlug die Augen auf. Alles war erleuchtet. Wunderbare Stille herrschte, kaum ein Rauschen war zu vernehmen. Alles was jetzt zählte war der Moment. Sie trieben...
"JORGAN, DUCKEN!"
Eine Brandbombe flog über ihn hinweg und zerschellte in einer Stichflamme auf dem Flurboden. Fauchend stoben die Mäuse und Ratten auseinander. Hilfe war bitterst nötig! Kaum noch wurde der Kampf kontrolliert. Die meisten der Wächter waren zu sehr damit beschäftigt, Nagetiere von ihren Körpern zu entfernen oder sie auf Abstand zu halten. Bloß zwei Linien schienen noch stand zu halten - ein Trupp Wächter stand an der Tür, sicherte den Balken, wobei ihnen ein dichter Ring aus Mäusefallen als Hauptbarriere diente. Noch beschränkten sich die Mäuse darauf, Abstand zu halten, doch ihr Ziel war offensichtlich - sie sprangen möglichst zahlreich Wächter an, um sie dorthin zu treiben und über den Fallen zu Fall zu bringen. Die zweite Linie hatte sich unter Leutnant Kenndras Befehl in zwei Reihen auf der Treppe zum ersten Stock postiert, drei Stufen Mäusefallen zwischen sich und den Mäusen. Der Befehl war bekannt.
"FEUER!"
Bolzen surrten.
"Naaachlaaaden...FEUER!"
Auf diese Distanz war es den Geschossen möglich gleich mehrere Ziele zu durchbohren, was die Effektivität steigerte. All dies würde bloß in wenigen Minuten nichts mehr nützen, wenn der Strom, der aus den Rohren hervorbrach nicht gestoppt wurde.
"ACHTUNG! WEG DA!"
Ein Schwall kochendes Wasser ergoss sich vom Wachetresen aus über die Mäuse, ein weiterer Topf mit ebensolchem wurde gleich unter der Rohrpostleitung aufgestellt. Das Zischen der Tiere war schauderhaft. Jargon, dicht hinter Glum und Sebulon, hielt inne. Er war sich nicht sicher, aber...
...trieben dahin...trieben, bis sie den Sog spürten. Er zog sie nach unten. Schneller. Schneller...
"
Es ist stabil!"
"Was ist stabil?", hörte Gulm sich selbst mit belegter Stimme sprechen. "Ponder? Bist du das? Ich kann dich nicht sehen!"
Leuchten überall.
"Gulm!"
"Subelon?"
Dann riss es sie fort.
"Beeilt euch, ich kannse nich mehr aufhalten!"
Verzweifelt hieb Jorgan immer wieder mit seinem Schwert auf die Fellflut ein; seine letzte Brandbombe war er seit vorhin los, die letzte Kieselbombe bereits seit längerem.
In Glum und Sebulon waren nun endgültig die Urzwerge erwacht. Mit seinen Stiefelklingen und einem Schwert in der Hand wogte Glum berserkergleich durch Nagetiere, Sebulon nicht minder fanatisch. Allmählich war ein Aufatmen zu erkennen, da sich der allgemeine Kampf am Haupteingang und am Tresen konzentrierte, wobei der Rohrpoststrom dank des Wassers nachließ.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen sie bei Jorgan an und stürmten gemeinsam zur Kammer...
"Gulm?"
"Sebulon?"
"Nein, Subelon!"
"He, Gulm!"
"Glum, zum Henker!"
"Jargon, bist du es?"
"Glum, ich glaube das bist du!"
"Ich bin SUBELON!"
"Jargon, ich bin ja so froh, dass du es bist!"
"Lasst mich los!"
"Ich kann den Flur sehen!"
Die Köpfe Gulms und Subelons, Glums und Sebulons sowie der Jorgans wandten sich automatisch der Dunkelkammer zu. Doch anstelle eines dunklen Raums sahen sie bloß einen identischen Wachhausflur.
"ACHTUNG! DER KELLER!" Jargon, noch immer heillos überrumpelt von der Gesamtsituation, konnte nicht mehr auf die Kollegen warten. Am Rande nahm er wahr, wie seine Weltenbummler auf ihre Zwillinge trafen, bewusst jedoch, dass der weiße Rattenkönig nun persönlich aufgetaucht war. Panisch sah er sich um, bemerkte die FROGs auf der Treppe. "LEUTNANT ... KANNDRA ODER SO - DER KELLER!!"
Kenndras Kopf ruckte herum und sie reagierte sofort. Allerdings zu spät.
Noch ehe ihr Thiem feuern konnte, brach eine Horde Mäuse aus dem Keller hervor, sowie aus dem oberen Stockwerk, ergoss sich förmlich über der Treppe, ignorierte letztendlich die Mäusefallen. Die FROGs konnten sich nur retten, indem sie sprangen und flohen. Sie mussten einen Weg in den Keller gefunden haben, wahrscheinlich durch die Kanalisation oder über den Leichenaufzug, ebenso einen Weg über die Dächer, herein in die oberen Geschosse. Nun war das Chaos komplett!
"Sucht eure Königin!", keifte der Rattenkönig. "Macht sie alle nieder! Für ein besseres Ankh-Morpork!"
Entsetzt sah Jargon, wie die Mäuse nach oben stürmten. Waren dort noch Wächter? Gab es eine Verteidigung? Gab es irgendetwas, das ihm weiterhelfen konnte? Der Taubenschlag schien noch nicht eingenommen worden zu sein, trotzdem sie auch über die Dächer kamen. Vielleicht hatten sie nicht gewusst, dass ihre Königin dort war, Glum hatte dies jedenfalls behauptet. Vielleicht hatten sie zu viel Scheu vor den Vögeln. Doch das war ihm jetzt egal. Er brauchte etwas...irgendetwas...
Geistesgegenwärtig hatten Kenndra und Nördi Rabenfelz ihre letzten Brandbomben gezückt und nach ihrem Treppensturz sogleich damit begonnen den tierischen Nachschub zu unterbinden. Dies zeigte auch insofern Wirkung, als dass der Aufgang tatsächlich verhindert wurde - das Treppenholz zerstob splitternd.
"SEBULON!"
Jargon nahm Schlieren wahr, als er suchend den Kopf umwandte.
"Ach, verdammt noch mal!"
Und damit stieß er vor.
Als erneut das Horn ertönte, die Palastwache sich reitend ihren Weg über den Pseudopolisplatz gebahnt hatte, kam er im dritten Stockwerk an. Erstaunlicherweise waren die Mäuse bis hier oben hin weniger geworden. Anders als im Erdgeschoss liefen sie hier verhältnismäßig dünn gesäht herum. Gleich im ersten Stockwerk hatten sie sich suchend aufgeteilt, so auch im zweiten. Dem einsamen Wächter hatten sie dabei nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt; ihre Suche galt ihrem Oberhaupt. Jargon konnte es sich nicht verdenken - er hätte sich wahrscheinlich noch nicht einmal im finsteren Wald selbst als Bedrohung eingeschätzt. Der Rechtsexperte sah sich um, sah niemanden, hörte dafür umso mehr, lief den Gang zum Taubenschlag hoch und entdeckte die Pendants zu Olga-Maria Inös und Kathiopeja mitten im Kleintierkampf.
"Obergefreiter! Hilf uns!"
Er schaltete nicht – er handelte!
Das Dienstschwert gezückt, lief er mit einem Kampfschrei nach vorne und hieb in die Luft. Und auch beim nächsten Versuch traf er nicht. Dafür saß der dritte. Er traf sieben plus eins auf einen Streich
[7], wie es die Zauberer an der UU wohl sagen würden, hieb weiter um sich. Am Ende des Ganges bemerkte er den Rattenkönig, einer Reihe rotäugiger Ratten voran laufend.
"Olg-Ihr beide! Die Tür! Die Ratten!"
Sie sahen es auch. Doch verhindern konnten sie es nicht, da nun auch die anderen Mäuse den Weg die Treppe herauf genommen hatten. Wieder ertönte von draußen ein Horn. So nah, wie es klang, schien die Palastwache sich nun vor dem Innenhof einzufinden und auch gebrüllte Anweisungen des Kommandeurs Briguyar waren deutlich auf den Straßen zu vernehmen, demnach war auch die über dreißigköpfige GRUND-Abteilung angekommen und allein der Stadtwächteranteil am Wachhaus mehr als verdoppelt worden. Wenn sie es schaffen konnten den Innenhof wieder einzunehmen und ins Wachhaus vorzudringen, wäre diese Schlacht entschieden. Nun, nicht ganz.
Tiere preschten von beiden Seiten auf die drei Wächter zu. Sie setzten zum Sprung an. Einige konnten sie gleich aus der Luft schlagen, doch es waren schlicht zu viele für drei Wächter. Sie krabbelten an ihren Beinen hoch, bissen ihnen in die Hände, dass sie ihre Waffen fallen lassen mussten. Jargon schrie wutgepeinigt auf und trat um sich, schlug um sich, biss sogar um sich. Nein, so wollte er wirklich nicht sterben! '
Dabei wäre es für jemanden aus den Schatten nicht einmal unüblich von Ratten zernagt umzukommen.', schoss es ihm widerwillig in den Sinn und diese Angst beflügelte ihn noch mehr. Er schaffte es auf den Beinen zu bleiben, doch sie bissen und zwickten und kratzten und stachen und er schrie. Schrie aus voller Kehle. Diesen Moment nutzte eine der kräftigeren Ratten, ihm direkt ins Gesicht zu springen und in seiner Unterlippe zu verkrallen. Schockiert und im Reflex biss er zu und brachte sie somit krallenlos zu Fall.
Ein Blick über die Schulter verriet ihm, dass es um Alga-Moria zwar besser stand, Kothiapeja jedoch ebenso wie er in ernsten Schwierigkeiten steckte.
"Also schön, wenn ihr ni-hAAA-anders wollt..."
Mit diesen Worten warf er sich mit seinem vollen Gewicht auf die Dielen. Er spürte Knochen brechen, Innereien zerquetschen, Mäuse von sich ab fliegen. Den linken Arm, an dem sich noch immer zwei verbissen hatten, hieb er mit aller Wucht gegen die Flurwand, auch diese beiden überlebten nicht. In dem Moment, in dem er den Mäusekönig bereits aus den Augen verloren hatte, in dem Moment, in dem die Tiere erneut zu Sprungattacken ansetzten, in dem Moment kreischte etwas und sauste, einen statischen Schweif hinter sich her ziehend, an ihm vorbei. Jargon, gerade im Aufstehen begriffen, wurde erneut zu Boden geworfen. Er erwartete bereits weiteren Schmerz in Form von Bissen und Krallen zu spüren, wappnete sich bereits innerlich dagegen, hielt die Augen ganz fest geschlossen. Doch als die Sekunden verstrichen und Kothiapeja flüsterte: "Jorgan, sieh doch...", da öffnete er zumindest das rechte und rechnete mit jedem nur möglichen Anblick. Was er sah, brachte ihn tatsächlich aus der Fassung – zwischen ihm und Alga-Moria saß auf dem Boden die graue Eule, die sie zusammen mit dem Thaumometer erworben hatten. Unter ihren Krallen verblutete soeben eine zuckende Ratte und ihr Gefieder glitzerte. Überhaupt ging von ihr eine drohende Aura aus und sie schien es auch zu sein, die die Nagetiere auf Abstand hielt, denn sie fauchten und zischten zwar, doch näherten sie sich nicht mehr. Wie hatte der Verkäufer sie doch gleich genannt?
"Die alte Ella...", hauchte Jargon und lächelte vor lauter Glück. Noch immer auf dem Boden liegend, streckte er zitternd die Hand nach ihr aus. Sie gestattet es und ließ sich berühren. Dabei ruckte ihr Kopf in allen möglichen Winkeln herum und fixierte ihre Umgebung.
Langsam erhoben die drei Wächter sich.
"Du kennst sie, Jorgan?", sagte Kothiapeja mit leiser Bewunderung.
"Ich heiße Jargon...ja, Jargon..." Diese Selbstbestätigung tat ihm gut. "Und ja, ich kenne sie..."
Plötzlich waren Schritte auf dem Dach zu hören und etwas segelte am Fenster vorbei. Gleich darauf glühte es unterhalb orange auf. Anscheinend war wieder Feuer im Spiel, eine in Ankh-Morpork gefährliche Sache. Doch so wie Jargon die Sache einschätzte, gemessen am Verhalten Nicht-Glums und –Sebulons, sowie dem spürbaren Agieren der hiesigen Stadtwächter, funktionierte die Feuerwehr in dieser Welt ganz wunderbar.
Obwohl die Gelegenheit zur Flucht einmalig war, beachtete der Obergefreite diesen Aspekt nicht und wandte stattdessen den Blick wieder auf die Tür zum Taubenschlag.
Auch wenn ihm diese Entscheidung so schwer fiel wie keine zweite - schweren Herzens zog Glum die Tür der Dunkelkammer hinter sich zu und schloss ab. Er warf dem Stammagenten einen Blick zu.
"Ich hoffe bloß, dass wir das Richtige tun, Sebu."
"Es kommt nicht darauf an, das Richtige zu tun. Es kommt darauf an, das Beste zu tun!"
Zerschunden und zerkratzt, mit bandagierten Fingern und einem blutigen Schwert in der Hand sah der Lance-Korporal an sich herab und nahm die Weisheit dieser Worte in sich auf. Noch einmal galt sein Blick dem treuen Freund.
"Ich schätze, dass es so sein muss."
Broda Kuhbock gesellte sich an ihre Seite. Ihr Haar war zerzaust, die Hände klebrig. Dennoch legte sie Glum eine solche auf die Schulter.
"Mein lieber Herr Zwerg...ich schätze, dass wir nicht nur in dieser, sondern auch in deiner Dimension miteinander ziemlich gut auskommen, also nimm diesen Rat von mir an - die Zauberer haben gesagt, dass sie das Anomalie-Portal nicht lange offen halten können. Es könnte jeden Moment kollabieren!"
Sie machte eine Pause. "Dann gibt es kein Zurück mehr!"
"Ich weiß."
Die beiden Freunde hoben den Kopf.
"Aber ich habe eben etwas sehr Schönes gehört. Und ich kneife nicht einfach den Schwanz ein."
Ein Horn ertönte.
"Broda, bitte tu uns den Gefallen und pass auf, dass niemand mehr durch diese Tür kommt!"
Glum holte tief Luft, zog sich den Gürtel zurecht und fasste Sebulons Hand.
"Sag mir nur noch eins, mein weiser Freund - habe ich in diesem Abenteuer schon einen bescheuerten Initiativsatz gebracht?"
"Äääh...mir fiele keiner ein...Glum?"
"Gut! Sehr gut!"
Der Zwerg ergriff sein Schwert und hielt die Stiefelklingen bereit. Er nickte auch Gulm und Subelon zu. Alle vier setzten ihre Sonnenbrillen auf.
"Dann lasst uns jetzt alle gemeinsam diese Welt und Jargon retten! GEBEN WIR DENEN WAS AUF DIE OMMEL!"
Sebulon grinste. Dann stürmten sie vereint los.
Als der vermisste Kollege mit seinem weiblichen Gefolge ächzend den Taubenschlag betrat, herrschte ein ziemliches Durcheinander. Die Hälfte aller Flugtiere flatterte, ihrer Käfige und Gitter befreit, aufgeregt gurrend umher. Zwar standen inzwischen sämtliche Luken offen, doch flog keine der Tauben heraus. Entweder hatten sie die Unplanmäßigkeit ihrer Befreiung noch nicht erkannt, oder aber sie waren tatsächlich treue Tiere.
Jargons Blick wanderte gen Boden, als Kothiapeja mit einem zornigen Aufschrei eben dorthin stürzte. Nebenbei bemerkte der Rechtsexperte, dass in diesem Wachhaus die Dielen erkennbar waren und nicht wie in
seinem von einem weißen Pelz überzogen. Die Wächterin hatte etwas gepackt, schüttelte es ungläubig und warf es dann wütend gegen die Wand, wundersamerweise ohne einen der Vögel zu treffen. Der Drahtkäfig fiel scheppernd und zerbeult an ihr herunter.
"Die beiden Mistviecher haben es geschafft! Sie sind weg!"
Während Alga und ihre Kollegin damit begonnen, den Taubenschlag abzusuchen, fiel Jargon abermals etwas ins Auge. Ein kleines Stück Stoff hing an einem Splitter, der aus dem Rahmen einer Gitterluke hervor stach. Er griff danach und betrachtete ihn eingehend, dann reifte in ihm die Erkenntnis und plötzlich war jeglicher Stoff der Welt uninteressant. Jargon warf sich mit einem solchen Schrecken in die Dachöffnung, dass er beinahe herausgefallen wäre, senkte seine Hand, um das feurige Leuchten der Straßen abzuschirmen. Weit waren die beiden Ratten noch nicht gekommen - nur wenige Meter entfernt sah er sie - ihre Kronen schimmerten im lodernden Schein der Kampfhandlungen. Für die Tauben waren die beiden weißen Herrscher zwar etwas zu groß, doch welche Wahl hatten sie in der Eile gehabt? Schon waren sie, selbst vom Dach aus, völlig unerreichbar geworden. Das Kichern beider klang triumphierend
"
Ella!", entfuhr es Jargon, der verzweifelt die Hand nach ihnen ausgestreckt hatte, als die alte Eule schuhuend aus der Luke neben ihm hervor stieß und die Verfolgung aufnahm. Kurz wurde der Wächter abgelenkt, als unter ihm erneut etwas explodierte, diesmal jedoch in bequemer Schaurichtung inmitten des Pseudopolisplatzes. Dort hatte sich soeben eine Reihe Rekruten aufgebaut, beschützt von einem Ring weiterer Rekruten, der die Mäusescharen auf Abstand hielt, und mit einem kurzen Bombardement aus Brand- und Kieselbomben begonnen. Aus dem Klirren, das in direkter Nähe ertönte, schlussfolgerte Jargon außerdem, dass man im Wachhaus doch noch genügend Geschirr gefunden hatte, dass man in Scherben aus den Fenstern schleudern konnte. Direkt unterhalb von ihm stürzte man soeben einen Bottich kochenden Wassers in den Hof und versprengte somit die letzten Nagetiere, die sich dort befunden hatten. Die Totale eröffnete sich ihm nun vollständig: Der Hof war wieder gesichert. Auf ein Zeichen der Palastwache hin öffnete man die Tür zum inneren Wachhaus, eine Erleichterung für die in Bedrängnis geratenen Wächter, die immer noch eisern versucht haben mussten, selbige zu verteidigen. Ihnen folgte zwar ein weiterer Schwall der Nager, doch da sie keine direkte Fluchtmöglichkeit mehr hatten, saßen sie nunmehr in der Falle, als die mit Federbüschen beschmückten Palasteinheiten vorrückten. Auch der Ring der GRUNDler, mit dem Kommandeur in ihrer Mitte, bewegte sich zielsicher weiter zum Wachhaus vor. Zwar kam ihr Bombardement wieder zum Erliegen, doch hatte sich das Chaos auf der Götterinsel soweit Jargon es von hier oben aus erkennen konnte, gelichtet. Noch immer wogten die Mäuse umher, doch hatte ein nicht unerheblicher Teil von ihnen bereits die Flucht ergriffen und rannte davon, platschte in den Ankh (und brach sich dort wahrscheinlich das Genick) oder startete wilde Angriffe, denen es an Effekt fehlte. Die Patrouillen der SEALS befanden sich noch immer in der Salisstrasse und zudem in arger Bedrängnis, Jargon glaubte sogar einen von ihnen zu Boden gehen zu sehen, doch sie hielten tapfer aus, sahen die GRUND-Abteilung näher rücken. Zwischen all dem galoppierten berittene Palastwächter und zogen mit den Hufen ihrer Reittiere verheerende Schneisen.
Etwas kreischte und Jargon wurde von dem schier überwältigenden Anblick abgelenkt, als seine Aufmerksamkeit sich wieder der Luftabwehr zuwandte.
"Jargon!"
Vier Zwerge und sein Zwilling selbst, Jorgan, erschienen in den Luken neben ihm; ihnen folgten einige Tauben, die sich nun doch für den Weg in die Freiheit entschieden hatten. Ein paar von ihnen landeten gleich auf dem Dachvorsprung, einige schlossen sich ihren Artgenossen an, die nunmehr von der alten Ella verfolgt wurden.
"
Verschwinde, du Vieh!"
"
Schuhu!"
"
Ich befehle es dir!"
"
Schuhu?"
"
Aargh!"
Entsetzt sahen die gebannten Wächter, auch Alga-Moria und Kothiapeja, die ihre Schauplätze eingenommen hatten, wie die magisch-begabte Eule ihre Krallen ausfuhr und nach dem Rattenkönig griff, der jedoch eine Stecknadel hervorzog und sich zu wehren begann. Von einem Stich getroffen, wich Ella aus und flog eine Segelrunde, bevor sie erneut angriff. Geschickt schnitt sie dabei die Flugroute der trudelnden Tauben ab und trieb sie im Kreis herum.
"
Schuhuuuu!"
"
HAU AB!"
Doch da hatte sie die Königin bereits erwischt und der König fiel vom Rücken seines Flugtiers, welches den Luftstößen der Flügel Ellas mit dem Gewicht auf ihrem Rücken, nicht mehr Paroli bieten konnte. Sie selbst fing sich zwar wieder, doch der Gekrönte sauste im Sturzflug in die Tiefe. Blitzschnell schoss Ella hinterher, die zappelnde Königin in ihrer linken Klaue.
Kollektiv beugten sich die sechs Wächter vor, doch noch ehe sie etwas Konkretes entdecken konnten, sauste die Eule, einen oktarinen Schweif hinter sich her ziehend an ihnen vorbei in den nächtlichen Himmel. Sie sahen es nicht eindeutig, doch am wütenden Gezische und Gequieke, erkannten sie den Fang beider königlicher Usurpatoren.
"ELLA!", lachte Jargon erleichtert und Schwindel überkam ihn, ähnlich ging es seinen Mitbeobachtern. Er taumelte vor Freude und musste sich abstützen um nicht herunter zu fallen.
Ein lautes "
Schuhu!" folgte, seltsamerweise dem Kreischen eines Adlers nicht allzu unähnlich, dann verschwand die alte Eule, unnachgiebig an ihrer Beute festhaltend, in der Nacht von Ankh-Morpork.
Havoleck Vetinari entstieg seiner Kutsche und betrachtete mit einer hochgezogenen Augenbraue die Lackschäden. Anschließend drehte er sich um und nickte zufrieden. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt trat er vor und gab dem Oberst seiner Garde das Zeichen den Innenhof des Wachhauses innerlich zu umstellen. Sodann schritt er ungekonnt lässigen Ganges ins Gebäude.
"Dromknutt?"
Der Sekretär, an seinem Gürtel eine Machete baumelnd, war sofort zur Stelle.
"Herr?"
"Sag, haben wir zufällig ein Tuch in der Kutsche?"
"Ein Tuch, Herr?"
"Für meine Nase."
Der Regent beschrieb mit seiner Hand einen Halbkreis, der die Unmengen getöteter Mäuse und Ratten umfasste, die nach dem erfolgreichen Verteidigungskampf im Erdgeschoss zurückgeblieben waren. Überall saßen verwundete oder paralysierte Wächter, einige stachen mit ihren Waffen weiterhin auf die Nagetiere ein, gelegentlich huschte ein solches in Fluchtabsichten vorbei. Drei Wächter hatten sogar damit begonnen, die Tiere in Kisten und Beutel zu packen, im Hof geschah dasselbe, bloß dass man sie in diverse brennende Feuer warf. Dämon wurde sich des Patriziers als erster gewahr.
"Aaaachtung! Seine Lordschaft ist hier!"
Umgehend standen die Anwesenden stramm. Wer nicht stehen konnte, saß wenigstens so, doch Vetinari winkte mit einem Kopfschütteln ab.
"Hauptmann Ccanddlairfyn - ich hoffe, ihr habt die Schlacht halbwegs unversehrt überstanden?" Damit meinte er alle und lächelte.
"Nach aktuellem Stand zählen wir zwei Schwerverletzte, Herr. Dem Rest geht es weitestgehend gut!"
"Wunderbar, Hauptmann. Es freut mich, das zu hören!"
Just in diesem Moment kam Feldwebel Kuhbock aus dem Gang zur Rechten gestürzt.
"SEEEEEEBUUULOON! GLUUUUMM! JAAARGOOON! SCHNEEELL! DAS PORT-"
Sie kam nicht weiter, denn das Hüsteln Vetinaris, wenngleich es ein ungeschicktes und lautes war, ließ sie herumfahren und augenblicklich salutieren.
"OhHerrichhabenichtgewusst,dassihrhierseid,Herr!"
"Schon gut, Feldwebel. Ich entnehme deinen Worten, dass der Kommandeur nicht zu den Schwerverletzten zählt."
"Der Kommandeur?"
"
Broda? Wir kommen, wir sind-" - Und damit schossen vier Zwerge und zwei Menschen die Treppe herunter, " -hier! Wie lange noch?"
"Ihr müsst sofort durch! Es flackert bereits!"
"Kommandeur?", warf Vetinari mit einer abermals hochgezogenen Augenbraue ein und tappte mit dem Fuß auf den Boden.
"Ja, Herr?", antwortete Aroghast Briguyar dicht hinter ihm und anders als es ein gewisser anderer Patrizier getan hätte, erschrak jener, wenngleich nicht unerwarteter Weise. Ungläubig sahen Dromknutt und er den tatsächlichen Kommandeur auf sich zu marschieren, etwa drei Dutzend bewaffneter Stadtwächter in Reih und Glied hinter sich.
"Herr Briguyar? Kann es denn wahr sein?"
"So wahr ich hier stehe, euer Lordschaft! Der Kampf ist vorbei. Inzwischen haben fast alle Nager die Flucht ergriffen."
Mit diesen Worten verbeugten sich beide, der eine etwas tiefer als der andere.
"Entschuldigt bitte beide, wenn ich so frei bin zu unterbrechen-", meldete sich Glum, den Kopf um die Flurecke gestreckt. "Kurze Info: Eine Eule ist mit ihren Anführern auf und davon. Wie der Obergefreite Schneidgut aus Erfahrung zu behaupten weiß, werden wir die beiden wohl nicht wieder sehen."
"
GLUM!"
"SOFORT!" An die Versammelten gewandt fügte er noch hinzu: "Gibt es noch Klärungsbedarf?"
Havoleck Vetinari lächelte und schürzte die Lippen; allgemeine Unsicherheit bezüglich seiner Frage reichte dem Lance-Korporal aus, selbige beantwortet zu verstehen und sich zurückzuziehen.
"GLUM!"
Keinen Augenblick später schoss benannter Zwerg den Gang hinunter, bekam gerade so noch die Kurve und wurde von den Händen Jargons und Sebulons, die sie aus der flackernden Fassade der Dunkelkammer hervor streckten in den ihnen angestammten Wachhausflur gezogen. Dort umgab sie oktarines Gestöber, Blitze zuckten um die drei Wächter herum; undeutlich nahmen sie ihre winkenden Gegenstücke wahr, alles verschwamm vor ihren Augen als das Anomalie-Portal in einem Funkenregen zusammenbrach - dann war es vorbei.
So einfach ging es, so schnell, so unerwartet, dass Sebulon nach einigen Momenten der fehlenden Orientierung seine gesamte Skepsis wie folgt formulierte: "Sind...sind wir schon da?"
Jargon drehte sich langsam und mit gerunzelter Stirn um.
"Ich schätze..."
Ein Schwall Wasser traf sein Gesicht und anerkennend applaudierten die versammelten Fakultätsmitglieder dem überlegen grinsenden und mit einem leeren Wasserglas in der Hand dastehenden Dozenten für Neue Runen. Ponder Stibbons hielt bereits ein Handtuch in den Händen und reichte es dem Rechtsexperten. Verzeihend zuckte er mit den Schultern.
"Es war leider unvermeidbar, Herr Jargon!"
Dankend nickte dieser.
"Also, um die Frage zu beantworten...ja, wir sind wieder daheim!"
oO Jargon Schneidgut OoMit tropfenden Augenbrauen und einer Grimasse im Gesicht nahm Jargon das Handtuch aus Ponders ausgestreckter Hand. Nachdem er sein Gesicht abgerieben hatte, gab er das Handtuch zurück und schüttelte dem Zauberer dabei die Hand.
"Ich schätze... ohne sie hätten wir das Ganze nicht so beenden können, Herr Ponder."
Der junge Mann nickte schief grinsend und besah sich die anderen beiden Rückkehrer.
"Ich muss ja sagen, dass Ihr Instinkt bei dieser Sache sehr hilfreich war", meinte er und sah mit einem Gesichtsausdruck nach rechts und links, der sagte:
'Im Gegensatz zu denen da.'Schneidgut nickte und wischte sich noch einmal mit seinem Ärmel übers Gesicht. Um ehrlich zu sein fand er es ganz angenehm, den Schweiß so aus dem Gesicht gewischt bekommen zu haben.
In den letzten Momenten war die Situation doch recht... kritisch gewesen. Das Feuer, die Kämpfe, die Explosionen und das Geschrei - die Sprünge, das viele Gerenne, die wirren Anblicke und die merkwürdigen Parallelversionen der anderen Wächter... Ellas letzter rettender Eingriff - wo war sie eigentlich hergekommen? - und all die Ratten... und die Mäuse. Und die Tauben. Aber vor allem die Ratten. Und die Mäuse.
Plötzlich dachte er:
Bin ich jetzt eigentlich ein Held? Er nagte eine Sekunde lang an seiner Unterlippe. Nein. Helden kannten keine Angst, außerdem... viel Heldenhaftes hatte er nicht unbedingt geleistet. Er hatte Olg- also... die
andere Olga und Kathiopeja im Kampf unterstützt und eben dafür gesorgt, dass der Rattenkönig nicht entkam. Sehr heldenhaft war das nicht. Ein richtiger Held hätte die Ratte mit einer Axt geköpft und Heerscharen von Mäusen mit feurigem Mut vernichtet.
Aber spielte das überhaupt eine Rolle?
Ich denke nicht, dachte er.
Was zählt ist, dass wir wieder hier sind... und dass die... die anderen
Wächter gerettet sind. Und dass ich dringend ein Bad brauche.Mit diesem Gedanken kamen die einzelnen Nervenstränge offenbar wieder zu sich, die zuvor von diversen Adrenalinschüben betäubt gewesen waren - er spürte die Rattenbisse wie zahlreiche Nadelstiche an seinem ganzen Körper, pochend und kneifend und brennend.
Sein linkes Augenlid zuckte kurz, dann atmete er tief durch und meinte: "Ich schätze, ich sollte einen Verbandskasten aufsuchen."
oOGlum Steinstiefel-SingtnichtgutOoRabbe Schraubendrehr war den Befehlen der oberen Wacheleitung nachgekommen und hatte einen feuchten Schwamm und ein wenig Wasser zum Betupfen der in letzter Zeit durch nichts verschonten Ophelia Ziegenberger besorgt. Zuvor hatten sie und ihr Kommandeur die vor sich hin Murmelnde auf ernste Wunden untersucht und sie ins Lazarett gebracht – zur Verwunderung beider waren ihre Beine leicht zerkratzt, obwohl es sie kaum hätte verwundern dürfen, nachdem sie einfach so verschwunden und dann die Treppe hinab stürzend wieder aufgetaucht war. Weshalb das konkret geschehen war, lag nicht direkt in Araghasts Absicht verstehen zu wollen, auch wenn eine knappe Stunde nach diesem Vorfall drei seiner Wächter sowie ein bebrillter Naseweis von Zauberer es ihm detailreich zu erklären versuchten. Die vielen blutigen Schnitte, Kratzer, Schrammen und Bisse führte er laut Berichten auf den Angriff einer Mäusearmee zurück, die die drei in einer Paralleldimension im Auftrag ihrer Rattenherrscher angegriffen hätte und offenbar sei diesen von einer magischen Eule aus wiederum
dieser Welt ein Ende bereitet worden. Überhaupt sei das alles erst durch das Gewitter des Mittags zustande gekommen. Bis hierher hatte der Kommandeur mit den Fingern auf dem Holz des obersten aller Wachhaus-Schreibtische getrommelt und schweigend Blicke verteilt. Doch als man ihm weis machen wollte, dass man Sebulon zum Kommandeur gemacht und ihn sowie Glum überhaupt erst in die
andere Wache bringen wollte, damit sie mit ihrer Desorientierung und neu gewonnenen Autorität die höchsteffiziente Disziplin derselben brechen, kam er nicht umhin dem Gedanken zu erliegen, sich umgehend und bereitwillig zu einem püschologischen Test anzumelden. Doch offenbar entsprachen diese übereinstimmenden Schilderungen zu einem Gutteil der Wahrheit. Wie sonst erklärte Araghast sich sonst das magische Ritual im Erdgeschoss, wie sonst das Auftauchen einer "Broda Kuhbock", wie das panische Sich-zu-Boden-Werfen Senray Rattenfängers, als Frau Piepenstengel sie am nächsten Morgen mit einer Suppenkelle und einem Nudelsieb bewaffnet in ihrem Spülschrank fand?
Ophelia hingegen kam dank des Wassers recht schnell wieder zu sich, schien jedoch zuerst äußerst peinlich berührt zu sein, da ohne ihren Rock ihre Schöße der Blöße freigegeben waren, und im Weiteren erinnerungslos. Das ihr später Berichtete schien sie als Traum wahrzunehmen, wobei sie tatsächlich feststellen musste, eine ihrer Teetassen zu vermissen. Überhaupt stellte man in den folgenden Tagen einige fehlende Gegenstände im gesamten Wachhaus fest und der Gefreite Machtnichts wurde als vermisst gemeldet. Alarmiert fanden sich Sebulon, Glum und Jargon nach der allgemeinen Mitarbeiterbenachrichtigung erneut im Kommandeursbüro ein, doch noch während sie dort eifrige Pläne schmiedeten, die einen Haufen Zauberer, magische Gewitter und seltsamerweise auch ein Glas Wasser beinhalteten, wurde der Vermisste in einer Spelunke ausfindig gemacht. Es mochte wahrscheinlich aus anderen Gründen sein, doch ein weiteres Mal, und an dieser Stelle musste Araghast sich dazu entschließen die Geschichte als wahr zu akzeptieren, war er bestürzt und überrascht zugleich, als seine drei berüchtigten Wächter hinter seinen Schreibtisch sprangen und sich mit dem Erstbesten bewaffneten, dass in ihrer Nähe und dazu geeignet schien, als der Gefreite Machtnichts lallend von weißen Mäusen sprach. Und von rosa Nilpferden. Mit Flügeln.
Eine schwierige Folgezeit stand dem Kommandeur ins Haus, umso mehr, da ihn unmittelbar nach dem Ausbruch des pinken Gewitters eine Nachricht des Patriziers erreicht hatte, in der höflichst nach einer Erklärung für das Gewitter verlangt wurde, nachdem man in der UU keine solche hierzu hatte geben können. Jetzt sah Bregs sich zu dazu genötigt, tatsächlich Fragen beantworten zu müssen und auch keinerlei Hilfe darin, dass ihn der Lance-Korporal Steinstiefel fragte, ob er schon einmal auf die Idee gekommen wäre, eine Sonnenbrillenpflicht für die Wachebelegschaft einzuführen und ob er dies bei seinem Palastbesuch nicht einmal einbringen wollte.
Rabbe hielt von alldem nicht viel. Um präzise zu sein – sie gab etwas ziemlich Fäkales darauf. Die Sache war zwar interessant, doch erledigt und für ihren Geschmack erklärt. So abstrus dies alles auch klingen mochte – Dinge geschahen nicht immer logischerweise. Das war alles, was sie zum endgültigen Verständnis wissen musste. Und damit hatte es sich.
Im Übrigen fand Glum bei seiner Rückkehr ins Boucherie Rouge eine Notiz vor, die auf den Antrag einer Gildenneugründung schließen ließ: "Die Vereinigung nähender Brüderinnen". Es war sogar korrekt geschrieben und ihn beschlich das Gefühl, dass Teile dieses Abenteuers noch nicht ganz abgeschlossen waren...
Ein paar Tage waren seit den überragenden Ereignissen vergangen, als Gulm und Subelon sich in der Katine zum gemeinsamen Mittagessen trafen, da es seitdem das erste Mal war, dass man in diesen Räumlichkeiten überhaut wieder mit Genuss etwas zu sich nehmen konnte. Die Säuberungs-und Aufräumarbeiten waren bald abgeschlossen – bisher hatte niemand Weiteres von den Mäusen oder ihrem Königspaar wahrgenommen. Sie schienen sich buchstäblich verkrümelt zu haben.
"Gulm, mein Bester, wie geht es dir?"
"Prima, Subelon, weshalb auch nicht? Die Sonne scheint wieder strahlend, als wäre nie etwas Böses geschehen!"
"Wir können von Glück sagen, das Schlimmste in der Tat nicht miterlebt zu haben, Gulm!"
"Und ich habe das auch richtig verstanden? - Diese Mäuse hatten also ernsthaft vor, die Stadtwache zu zerschlagen indem sie ihr ein paar weltfremde Wächter unterjubeln, die unsere Disziplin zerreiben sollte? Ist das nicht wenig umständlich und...nunja...weit hergeholt?"
"Tja, Gulm, das scheint die Essenz des Ganzen zu sein, ja. Allerdings spielen da wohl noch ein paar andere Aspekte hinein - Größenwahn, Vernichtungswillen und ein gehöriger Mangel an überlegter Vorgehensweise. Ich schätze aber, dass es noch einen griffigeren Grund gab. Man müsste die Anführer des Ganzen befragen können...oder den Patrizier. Aber ob wir bei dem eine Gesprächszeit erhalten? Er schien auf die letzteren Anfragen hin resignierter zu sein. Es passte so gar nicht zu ihm..."
Sie winkten fröhlich lächelnd Rea Dubiate zu, die mit einem Salut an ihnen vorbei ging, einen bescheiden belegten Salatteller balancierend. Gerade in diesem Moment kam Jorgan herein, gedanklich tief in ein Gedicht versunken. Die üblichen Abläufe des Essenfassens schien er in reiner Routine auszuführen.
"Hast du dir schon mal überlegt...ich meine, man hat schon mal etwas...also dass die aus der anderen Welt unsere bösen Zwillinge waren?", fragte Gulm zögernd und legte seinen Löffel beiseite um die Hände zu falten und Subelon rätselnd anzuschauen. Zustimmend nickte dieser.
"Nach dem Zustand ihrer Welt zu schließen gäbe es ferner liegende Vermutungen."
"FROOOOOOOGS!"
Die gellende Stimme Aroghast Briguyars ertönte und augenblicklich stürzten die Verlangten aus der Kantine, dem Ruf nachzukommen.
"Andererseits...diese Mäuse haben offenbar für ein gewisses Gleichgewicht in der Stadt gesorgt...", gab Gulm kopfschüttelnd zu bedenken.
"Ob das schon wieder ein Großeinsatz wird? Vielleicht mit einer Gilde?"
"Also damit kenne ich mich ja nun nicht aus, Subelon."
"Jungs?"
Die verschüchterte Robbe Schraubenkehr stand verlegen hinter ihnen und drehte eine Anzeige in ihren Händen.
"Ihr habt diesen Fall bekommen – ein Raubmord im Schnitterweg...ähm...in den Schatten..."
"Was? In diesem vorbildlichen Viertel?", platzte es aus Subelon heraus und ungläubig entriss er ihr das Papier um das Unfassbare mit eigenen Augen zu lesen, dann ergänzte er mit einem Seufzer: "Früher war eben doch alles besser!"
"Du hängst zu sehr an den alten Zeiten, mein Subelon!"
Auf dem Weg nach draußen begann Gulm einen weiteren Versuch seinen gefeldwebelten Kollegen zu trösten.
"Weißt du – der Patrizier beabsichtigt in Zukunft mehr Präsenz in der Öffentlichkeit zu zeigen. Das hilft vielleicht, diese plötzliche Verbrechenswelle etwas einzudämmen..."
Ein Zwerg fasste dem anderen auf die Schulter.
"Ach, Gulm..."
Subelon schob die Sonnenbrille höher auf die Nase.
"...am schönsten ist es doch immer daheim!"
Und so traten sie aus dem Wachhaus hinein in die Sonne, grüßten die seit einigen Tagen vermehrt anzutreffenden Bürger und schlenderten zu ihrem Auftrag, schlenderten über die sauberen Straßen Ankh-Morporks.
[1] Ein Vorwort für all jene, die den Silly-Stil bei ihrer wächterlichen Lektüre bevorzugen:
Es war uns leider nicht möglich, die von uns in der Standard-Ansicht verwendeten Formatierungen in den Silly-Stil einzubringen. Unterschiede zwischen beiden sind, abgesehen von der grundsätzlichen Darstellung, daher unvermeidbar gewesen.
Im Standard beispielsweise sind einige Passagen etwas nach rechts eingerückt, im Silly-Stil erscheinen diese in Times New Roman und Schriftgröße 16 ohne Einrückung, gegenüber dem restlichen Text, der wiederum in Arial steht. Desweiteren entfällt im Silly-Stil eine von uns verwendete Text-Farbwahl, sodass diese zunächst etwas verwirrende Coop im Standard zwar leichter verständlich, doch im Silly-Stil eher verwirrend zu lesen ist. Überhaupt stimmen die Schriftgrößen bestimmter formatierter Stellen nicht überein.
Ohne spoilern zu wollen: Die Farbauswahl war durch die Darstellung einer gewissen "Überkreuzung" unvermeidlich und wird sich im Leseverlauf hoffentlich von selbst erklären.
Es ist daher zu empfehlen diese Coop im Standard-Stil zu lesen.
Und hierbei wünschen wir allen Rezipienten, besonders den enttäuschten des Silly-Stils, ein erquickliches Vergnügen! = )
[2] Darunter waren scheinbar willkürlich Worte in alle Richtungen geschrieben, wie "Außenseiter", "Dühnamiek der Gruppe", "Begabungen herausfinden", "Krähtiefität" und "Kohl". Was allerdings Kohl für die Theorie des Thiemwörks austrägt, blieb das Geheimnis von Kadwallader, da niemand außer ihm während des Vortrags mehr bei der Sache war, als der Ausbilder Harry darauf zu sprechen kam.
Man kann sich aber auch grob hier informieren.[3] Missionsvorlage: DOG-Archiv, Araghast Breguyar (17.04.2007)
[4] Leser unsichtbarer Schriften, Leiter der Abteilung für unratsam angewandte Magie, Praelector der UU
[5] Tatsächlich wussten die meisten Bewohner der Zwillingsstadt besser, wie man die Gilde auf vielfältigem Wege betreten konnte, um in den Genuss gewisser Geschäftsräume zu kommen - als wie man sie wieder verlassen sollte. Das erledigte sich meist nach Ablauf der Dienstleistung von selbst.
[6] Tatsächlich dachte Frau Wahrscheinlich: Eigentlich ein hübscher Bursche. Ziemlich draufgängerisch, so ein Wächter mit langem Bart und blauem Auge, der mir beibringen will, wie man die Regeln bricht. Aber vielleicht etwas ... klein.
[7] Freut euch auf "Glums grimmige Märchen (Band 1)"
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