Manches mal führt ein einfacher Auftrag zu einer weitreichenden Selbsterkenntnis...
Dafür vergebene Note: 13
***Goldwart***
Braggasch und Sebulon saßen Rücken an Rücken; ihre Hände mit dem selben Strick gefesselt. Was sonst in dem Raum war, konnten sie nicht einmal erahnen, denn es war stockdunkel.
"Äh, ..."
"Ja, Goldi?"
"Gürtel, ich weiß nicht, ob wir das hier überleben werden."
"Das weiß ich auch nicht, Goldi", seufzte Sebulon schwer.
"Aber, äh, eines wollte ich dir sagen, äh, weil, äh, weil ..."
"Ja?"
"Es ist, äh, keine, äh, große Sache, äh ..."
"Spuck's schon aus. Geht es um meinen Stahlbohrer, den du dir mal ausgeborgt hast?"
"Nein, äh, den, äh, wollte ich, äh, noch zurückgeben."
"Also was ist los?"
"Äh, ich, äh, wollte nur, äh, sagen, also, äh, ich ... glaube, äh, ich, äh ... habe mich verliebt."
*
~ fünf Tage zuvor ~"Er ist Künstler. Schriftsteller um genau zu sein."
Valdimier sah ernsthaft durch die Reihe seiner Frösche. Auf fast jedem Gesicht spiegelte sich ablehnender Argwohn, bis auf jenem des blond umbärteten Zwerges Braggasch, welcher völlig versunken an einem kleinen, kastenförmigen Objekt herumschraubte.
Carisa vom Schloss Escrow meldete sich zu Wort: "Und warum braucht dieser Schreiber unseren Schutz?"
"Sagen wir es mal so..." Der Abteilungsleiter legte die Fingerspitzen aneinander und sah dadurch wie die untote Karikatur des Patriziers aus. "Er hat nicht nur einige... fragwürdige Texte veröffentlicht, sondern sich auch mit den falschen Leuten angelegt. Es gab da wohl einige Eskapaden mit dem Sohn eines Herzogs der Sto-Ebene. Nun ist unklar, ob dieser Herzog keine drastischen Schritte einleiten wird."
Die Wasserspeierin legte den Kopf schief. "Kennt man die fragwürdigen Texte?"
"Durchaus möglich. Er heißt Oskar Sanft."
Tyros tippte sich nachdenklich auf die Unterlippe. "Ich glaube, von dem habe ich schon mal was gelesen. Von der Ernsthaftigkeit wichtig zu sein. Oder so."
"Hört fich fiemlich mief an", warf Rogi ein.
"Schriftsteller halt." Y Graco zuckte mit den Schultern.
Valdimier wischte den Einwand mit einer ungeduldigen Handbewegung zur Seite. "Ob nun mies oder nicht, wir sollen jemanden abstellen, der für seine Sicherheit sorgt. Er ist ja nur für eine Woche in der Stadt. Freiwillige?"
Ein kurzer Moment Stille, dann:
"Ist wirklich grade schlecht, ich habe zu tun, dieser eine Fall..."
"Ich habe eindeutig fu viel um die Ohren!"
"Tut mir leid, Sör, meine Oma kommt zu Besuch..."
"Bin allergisch gegen Künstler, weißt du..."
Van Varwald verdrehte die Augen, schaltete das Gemurmel gedanklich aus und blickte durch die Reihen. Sein Blick blieb an Braggasch hängen, der gerade mit nachdenklich hervorgestreckter Zunge an einem Schlüssel drehte. "Hauptgefreiter?"
Sofort war es ruhig und alle sahen mit nicht wenig Genugtuung zu dem Zwerg.
Eine Weile erfüllte nur das Geräusch einer beanspruchten Feder den Abteilungsraum, bis Kamillus seinem Spezialisierungskollegen auf die Schulter tippte.
Vor Schreck ließ Goldwart den Kasten fallen, der, kaum dass er den Boden berührt hatte, zu vibrieren anfing, und sah den Späher ängstlich an. "Äh... ja?"
Dieser deutete nur stumm zu Valdimier, woraufhin Braggasch in dessen Richtung wiederholte: "Äh, ja?"
"Herzlichen Glückwunsch, Hauptgefreiter, du hast dich soeben für einen ganze
herausragenden Dschob qualifiziert."
"Habe, äh, ich?"
Der Abteilungsleiter schob eine Akte über den Tisch.
"Er erwartet dich in ungefähr zwei Stunden am Hinkenden Tor. Kommen wir jetzt endlich zu etwas wichtigem..."
***Sohn des Samax***
"Nein."
"Äh, bitte?"
"Ich habe nein gesagt."
Sebulon saß auf seinem Stuhl am Schreibtisch und blickte zu seinem Freund Braggasch, der ihn mit flehenden Augen anblickte.
"Aber, äh, was hast du denn gerade wichtigeres vor? Ich weiß, dass du gerade, äh, nicht viele Aufträge hast ..."
"Oh, ich weiß nicht", brummte der Püschologe. "Ich könnte
irgendwas tun. Vielleicht ... meinen Kopf gegen die Wand schlagen? Mit mir selbst reden? Das Archiv aufräumen?"
"Äh ..."
"
Alles ist interessanter und wichtiger, als diese Sanft-Lippe von Pseudo-Schriftsteller zu ..."
"Oh, du, äh, kennst seine Bücher?", unterbrach ihn der Späher verblüfft.
"Leider ja. Ich habe vier gelesen. Das erste aus Neugier, das zweite aus Ehrgeiz, das dritte aus Hoffnung, er könne sich noch steigern - und das vierte, weil ich hoffte, dass es mich töten würde. Er hat mich vier mal enttäuscht. Ich habe die Nase schon jetzt gestrichen voll von diesem Kerl und möchte nicht - wiederhole: nicht! - Bolzenfänger und Problemlöser für einen Oskar Sanft sein."
Schweigen stand zwischen den beiden Zwergen, das nur durch Sebulons schweres Atmen durchbrochen wurde.
"Äh ..."
"Ja?"
"Tu es, äh, für mich?"
Verwundert sah Sebulon den Späher an. "Für dich?", fragte er.
Einen Moment lang sahen sich die beiden Zwerge an, dann stand Sebulon auf, lächelte gequält, ging um den Tisch herum und streckte die Hand aus.
"Zwergenbrüder", sagten die beiden und Braggasch schlug ein.
***Goldwart***
Er kam mit dem Schiff.
Es ragte sechs Meter aus dem Wasser auf, hatte ein gewaltiges, verglastes Heck und gehörte sicherlich einem ebenso reichen wie arroganten Kaufmann.
Eine königlich gekleidete Gestalt trat an die Reling. Das feine Gesicht verzog sich unwillkürlich bei Ankh-Morporks sehr eigenem Geruch und es dauerte nur Sekunden, bis das blütenweiße Seidentaschentuch hervorgezaubert war und vor die Nase gedrückt wurde. Der nerzbesetzte Brokatumhang um seine Schultern flatterte, als er gemessenen Schrittes die Leitplanke herunterging. Die braunen, fast schulterlangen, leicht gewellten Haare wirbelten herum, als er sich suchend umsah, die beiden Wächter in der Ecke entdeckte, und lächelnd auf sie zumarschierte.
Braggasch fühlte eine lähmende Leichtigkeit auf sich fallen, als wollten die Augen nach vorne stürmen, die Brust in den Himmel schweben und die Füße unter die Erdscheibe sinken.
"Einer von Ihnen muss der ehrenwerte Gentleman sein, welchem meine unwichtige Sicherheit zur Last gelegt wird", säuselte der Besucher, das Tuch noch immer vor der Nase, in einem sanften Tonfall.
Statt zu antworten blickte Sebulon aufmunternd zu seinem Freund, doch dieser stand nur mit offenen Mund da und glotze die Erscheinung vor ihnen an.
Erstaunlich... dabei hat dieser Mann sich nicht einmal ein Uhrwerk vor die Brust geschnallt, ging es Samax Sohn durch den Kopf, bevor er sich deutlich vernehmbar räusperte.
Der Reisende sah freundlich von einem Zwerg zum anderen.
Als klar wurde, dass Goldwart keinen Ton von sich geben würde, räusperte sich der Püschologe abermals und streckte dem Fremden die Hand hin. "Willkommen in Ankh-Morpork. Dies ist Hauptgefreiter Braggasch Burkhardssohn Goldwart, der... wahrscheinlich... für dein Wohl zuständig ist."
"Entzückend. Oskar Sanft mein Name - und Sie sind?"
"Sebulon. Hauptgefreiter Sebulon Sohn des Samax. Ich helfe ihm."
Oskar nickte wohlwollend. "Hervorragend. Ich bin außerordentlich beglückt, dass die Stadt mir direkt
zwei Angehörige des literarischen Volkes zugedacht hat. Leider sind meine Kenntnisse über Zwerge allenfalls als marginal zu bezeichnen - doch die Tatsache, dass euer Volk die Schrift liebt, ist hoffentlich nicht erfunden?"
Die Frage war an Braggasch gerichtet, doch nach kurzer Stille antwortete Sebulon: "Nein, Herr Sanft, das entspricht tatsächlich der Wahrheit."
"Wundervoll."
Eine peinliche Pause trat ein, während der Literat freudig strahlend auf die beiden Wächter hinabblickte.
Samax Sohn stieß den Späher an, doch statt verständlicher Laute brachte dieser nur tonlose Lippenbewegungen zustande.
"Nun", lächelte Sanft nach einem Blick über die Schulter, "ich hoffe es gibt in dieser faszinierenden Stadt Möglichkeiten einzukehren?"
Sebulon zögerte. "Na...türlich...", meinte er wenig überzeugend.
"Äh... äh... b... äh...
Bei Olof?"
Oskar wandte sich beglückt an Goldwart. "Wie erfreulich, dass Sie Ihre Sprache wiedergefunden haben! Auch wenn ich zugeben muss, dass meine Erscheinung durchaus einen verstörenden Eindruck hinterlassen kann, war ich doch etwas besorgt, dass Sie von den Göttern mit Stummheit geschlagen wurden.
Bei Olof klingt entzückend."
"Na dann." Der Kleinste von den dreien zuckte mit den Schultern. "Hier entlang."
Zügig verließen sie den Hafen - und verpassten dadurch das herrliche Schauspiel eines verkaterten und extrem zornigen Kapitäns, der von dem prunkvollen Schiff stürmte und zu wissen verlangte, wo der elende Schnösel geblieben sei, der ihn durch einen Trick um seine Heuer gebracht hatte.
***Sohn des Samax***
"Wie, äh, lange ist er da?", fragte Braggasch. Er hielt den Kopf mit den Händen gestützt.
"Du hast etwas von einer Woche gesagt", seufzte Sebulon. "Warum muss ich dir immer wieder auf diese Frage antworten?"
"Weil ich, äh, nicht glauben kann, äh, dass dieser ... äh, dieser ... diese Flachzange von Halbwinkelverschnitt eines, äh, Kerls uns sieben Tage lang von der, äh, Arbeit abhalten wird."
Der Püschologe seufzte. "Goldi, das mit dem Fluchen musst du noch üben. Aber mechanische Ausdrücke scheinen zu helfen. Damit wirkst du, wie soll ich sagen ... sicherer."
"Äh, ja. Danke." Braggasch streckte sich. "Es war ein, äh, langer Tag. Und es ist, äh, sehr, äh, nobel von dir, dass du mir und, äh, diesem, äh, diesem ..."
"... unserem Gast ..."
"... unserem
Gast Herrn Sanft die Miete für die erste Nacht, äh, ausgelegt hast. Morgen bekommst du das Geld, äh, zurück."
Sebulon erhob sich und sah auf die Tür hinter sich, die sie von Herrn Sanft und dessen weichem Nachtlager trennten. "Du übernimmst die erste Wache, ich die zweite, nicht wahr?"
Braggasch nickte.
"Dann gute Nacht,
Tg'w'lim'cha[1]", sagte der Püschologe und salutierte grinsend. "Lass ihn ja nicht über Nacht wegkommen."
Sebulon stapfte die Treppe zu dem preiswerteren Schlafsaal hinauf, in den sich die beiden Zwerge mit je einem Bett eingemietet hatten.
Wortlos zog der blondgelockte Zwerg eine Zeitung und einen Stift aus der Tasche. Er entfaltete sie und begann, auf dem Papier herumzumalen, Buchstaben anzukringeln und kleine Notizen an die Seite zu schreiben.
Wenn er schnell genug war, würde er die
Rohrpost morgen korrigiert haben, dann könnte die zweite Ausgabe endlich in den Druck gehen. Man wartete schon sehnsüchtig auf die neue Ausgabe der Wachezeitung. Es wurde sogar bereits gemutmaßt, was darin stehen könnte!
Braggasch kratzte sich an der Stirn.
Was für eine erstaunlich zeitaufwendige Arbeit doch dieses Zeitungs-
Büssniss war ...
Sein Stift schwebte arbeitsam über dem Papier.
Ein Schrei ertönte hinter ihm.
Reflexartig ließ der Späher die Zeitung fallen, öffnete die Tür, zog seinen Dolch - und stand einem halbnackten Schriftsteller gegenüber, der auf seine Nase zeigte.
"Das ist das Ende!", rief der Mann mit bebender Stimme.
"Äh, das, äh, ist Ihre Nase", entgegnete der Zwerg verwirrt.
"Eine allergische Reaktion!", zischte Herr Sanft, "Dort!"
"Oh, äh, Sie meinen diesen kleinen roten ..."
"Nicht anfassen!", rief der Schriftsteller und stolperte zwei Schritte rückwärts. "Das würde alles nur noch schlimmer machen! Oh! Elend, endloses! Du hast mich niederen Narren in deine bedrückende Bande geschlagen!"
"Aber es, äh, ist doch nur, äh, ein ganz, äh, kleiner ..."
"Oh, unendliche Qual", brabbelte Herr Sanft weiter, ohne sich irritieren zu lassen, und hob dramatisch eine Hand. "Das gnadenlose Gebrechen hat die perfiden Pranken nach mir gestreckt, mich garstig zu gängeln und zu geißeln! Oh Ohnmacht, ..."
Als Braggasch bemerkte, dass sein Gegenüber lediglich mit der Wand redete, zuckte er mit den Schultern. Leise verließ er das Schlafgemach des Schriftstellers und setzte sich wieder vor die Tür.
Das würde eine lange Nacht werden.
***Goldwart***
Warum er aufwachte, konnte er später nicht mehr erklären, doch Fakt war, dass Goldwart mit einem heftigen Zucken aus dem Schlaf hoch schreckte und "Wasserfontäne!" rief.
Langsam wurde er sich des Flures gewahr und sein Herzschlag beruhigte sich. Müde rieb sich der Späher die Augen und verfluchte sich dafür, während seiner Wache eingeschlafen zu sein. Braggasch ließ die Halswirbel knacken und konzentrierte sich auf energiegeladene Aufmerksamkeit.
Kurz bevor das Kinn zum wiederholten Male auf die Brust sank, hörte er das Knistern. Sofort war Burkhards Sohn wieder hellwach. Angestrengt blinzelte er in die Dunkelheit, bevor ihm bewusst wurde, dass das Knistern von ihm selber ausging. Das Knistern von Papier.
Langsam blickte er auf seinen Bauch herunter. Dort, anscheinend während seines Schlafes abgelegt, ruhte ein ordentlich gefalteter Brief.
Dem Hauptgefreiten schwante Übles, als er den Zettel zur Hand nahm und entfaltete.
Mein ehrenwerter Beschützer, stand dort,
es lag mir fern deine gesegnete Ruhe zu interrupieren, aus diesem Grunde wählte ich die von mir präferierte Form einer Zuschrift. Ich nutze die Anonymität der Nacht, um mich des späten Lebens der Stadt zu erfreuen. Hochachtungsvoll Oskar Sanft.Einen kurzen Moment überdachte der Zwerg die verschiedenen Bedeutungen von 'das späte Leben der Stadt' und wie viele Messer, Keulen und zahnlückige Grimassen dies umfasste. Dann rannte er die Stufen der Taverne hinab.
"Lass ihn ja nicht über Nacht wegkommen", hatte Sebulon gesagt. Verdammter Mist!
Im Schankraum stand ein geduldiger, dürrer Wirt und beobachtete die drei letzten Zecher, welche einen Wettstreit auszutragen schienen, wer sich am häufigsten in fünf Minuten übergeben konnte.
"Wo, äh, ist er hin?", rief Braggasch.
Der Wirt zog verwirrt eine Augenbraue in die Höhe und antwortete: "Einer ist die Straße runter, vier die Straße rauf, zwei sind durch die Hintertür abgehauen, einer hockt seit geraumer Zeit im Hof auf dem Abort und drei sitzen hier. Und das waren nur die der letzten zwei Stunden."
"Äh... was?" Goldwart kniff verzweifelt die Augen zusammen und massierte sich die Schläfen. "Ich meine den, äh, Kerl, der mit uns... äh... der Schnösel."
"Ah. Der." Wortlos hielt er eine Hand auf.
Der Späher stöhnte laut auf, kramte eine Münze hervor und warf sie ihm in die Handfläche.
"Der war vor ungefähr 'ner Stunde hier unten und hat mich gefragt, wo man sich amüsieren kann."
"Äh, und?"
Der Wirt steckte lächelnd das Geld ein. "Da die Nacht noch jung ist, hab ich ihm gesagt, dass er zu den Näherinnen gehen soll."
Braggasch erstarrte, seufzte - und rannte hinaus.
Eine kurze, nur durch Würgegeräusche unterbrochene Stille trat ein.
Dann öffnete der Zwerg peinlich berührt die Tür der Schankstube und streckte den Kopf herein. "Äh... wo finde ich die, äh, Näherinnen?"
"Einfach die Straße rauf und dann links, kannst es nicht verfehlen."
"Danke... äh..."
Es
war tatsächlich nicht zu verfehlen. Viele eindeutige Schilder weisen einem den Weg. Schließlich stand der Wächter vor einem großen, hell erleuchteten, ihm unbekannten Haus.
Einen Moment gab sich Burkhards Sohn den Gedanken hin, warum es tatsächlich so viele Näherinnen in der Stadt gab, dass sie nicht alle in dem Gebäude der DOGs leben konnten, dann betrat er den eigentümlich riechenden Ort.
"Schau mal einer an, du möchtest bestimmt zu Schantall aus Überwald, habe ich recht?", sprach ihn eine sanfte Stimme von der Seite an.
Braggasch zuckte zurück und sah verstört zu der großen, dicken Frau auf. "Äh... was?"
"Schantall", erklärte die Dame geduldig. "Unsere Zwergin."
"Nein, äh, danke, ich, äh.... nein", der Späher räusperte sich. "Haben sie einen, äh, recht großen Mann mit pompöser, äh, Kleidung gesehen, der laut Aussagen hier hin wollte, äh...?"
Das Lächeln der Frau geriet ein wenig ins Schwanken, verbreiterte sich dann aber. "Aber natürlich. Bist du ein...
Freund von ihm?"
"Äh... ich glaube nicht, äh... ist er hier mit einer, äh, äh, Frau zusammen?"
Das Lächeln verschwand und machte einem verwirrten Ausdruck Platz. Die Dicke musterte Braggasch mehrfach von oben bis unten, bis sie fast mitleidig verkündete: "Nicht in dem Sinne. Nein. Ich glaube, du verstehst da etwas nicht ganz..."
***Sohn des Samax***
Mühsam unterdrückte Sebulon ein Kichern.
"Und er hat - was?"
"Äh ... er hat mit, äh, Nadel und Faden, äh, seine Hose, äh, genäht."
"Soso. Goldi, warum ist dein Kopf so rot?"
"Äh, weil er nicht alleine war."
"Oho - du magst ihn wohl, hmm?", grinste er Braggasch an.
"Äh ... äh ... ich meinte, äh ..."
"Schon gut, Großer", sagte Sebulon und klopfte ihm auf die Schulter. "Schau, es wäre auch seltsam gewesen, ihn alleine zu finden, nicht wahr? Immerhin hast du ihn ja bei den Näherinnen gefunden."
"Ja, aber, äh, seine Begleitung, äh, war, äh, ..."
Ein Klatschen unterbrach die beiden Wächter in ihrem Gespräch.
"Meiner unwichtigen Meinung nach scheint die Zeit gekommen zu sein, um etwas Unternehmerisches in Angriff zu nehmen, meine zwergischen Freunde", rief der Dichter und stellte sich gestikulierend neben den Tisch. "Etwas fröhliches! Etwas, das uns ablenkt von der Trübsal des Daseins und von den windigen Wegen des verwunschenen ... Lebens. Hmm, daran muss ich noch arbeiten."
Er blinzelte. Dann strich er sich eine Strähne aus dem Gesicht.
"Also, wohin,
Amiehtschäs? Mit welcher Freude zerstreuen wir unsere tristen Gedanken, geliebte Zwerge?"
Einige Gäste im
Bei Olof sahen sich zu dem Touristen um. Beide Zwerge liefen rot an, wenn auch aus verschiedenen Gründen.
"Was hältst du davon, Herr Sanft, wenn wir dir die Wache zeigen?", fragte Sebulon, die Hand unter dem Tisch geballt. "Die möchtest du sicherlich von innen sehen."
"Oh, das klingt vortrefflichst, wenn ich die Arbeitsstelle meiner beiden benevolenten Begleiter zu sehen bekomme", jauchzte der Dichter.
"Äh, ja. Die Wache ist sehr spannend."
'
Ich hätte nicht gedacht, dass er so anstrengend sein kann', dachte Sebulon, als sie das Café verließen. '
Wenigstens kann ihm in der Wache nichts passieren, was wir dann verantworten müssten.'
***Goldwart***
"Welch amorizöser, nahezu stilistischer Bau!", freute sich Sanft. "Man begreift förmlich die Stimmung, gar die Arbeit, die auf diesen Hallen ruht."
Während Sebulon dazu übergegangen war, sich die Ohren zuzuhalten, lauschte Goldwart den Worten des Schriftstellers mit leisem Lächeln. Mittlerweile hatte er sich an die ausschweifende Redeart des Mannes gewöhnt - ja, er bewunderte sie sogar. Schon seit langem wünschte sich der Zwerg, auf solch intellektuelle Art Konversation betreiben zu können, doch stets kam aus seinem Mund das übliche: "Äh".
"Was verbirgt sich hinter diesem Durchlass?"
"Äh... das ist, äh, die Kantine."
"Vortrefflich, vortrefflich! Wie wäre es, meine beiden Mitstreiter gegen die Langeweile, wenn wir uns einen wachetypischen Gaumenschmaus besorgen würden?" Oskar strahlte.
Die beiden Wächter sahen sich an.
"Oh, ich habe grade gegessen, und es gibt da noch einige Protokolle und so. Macht ihr mal." Sebulon spuckte die Worte förmlich aus, legte seinem Freund mitleidig die Hand auf die Schulter und verschwand die Treppe hinauf.
"Äh..."
"Nun, dann eben wir." Sanft drückte die Tür auf und hieß Braggasch mit einer Bewegung voranzugehen. "Bitte sehr."
"Äh... danke..."
Die Kantine war fast völlig leer. Nur zwei Rekruten, die Burkhards Sohn noch nicht kannten, saßen müde und zerschlagen an einem der Tische.
Der Späher bot sich an, das Essen zu holen, woraufhin Oskar nur nickte, einen Ecktisch aussuchte und seinen Block hervorholte.
Vollbeladen mit herzhaft stinkendem Kantinenbrei trat Braggasch wenig später an den Tisch und stellte die Tabletts ab. "Was... äh... schreiben Sie da?"
Der Schriftsteller lächelte nur und kritzelte weiter. Wenig später hob er den Kopf. "Was meinst du, gewitztester aller Stadtführer, wie klingt dies:
'Wer in Gesellschaft reist, sollte unbedingt darauf achten, dass diese jung, hübsch und blond ist.' ?"
Goldwart wurde abermals an diesem Tag rot und vergrub das Gesicht in seiner Schüssel.
Sanft lachte. "Warum so schüchtern, junger Freund? Komplimente sind dazu da, um genossen zu werden!" Als der Zwerg noch immer nicht von seinem Essen auftauchte, entschied sich Oskar für ein anderes Gesprächsthema. "Sag mir, Braggasch Burkhardssohn Goldwart, wie ist es, ein Wächter zu sein?"
Die Augen des Spähers schoben sich über den Schüsselrand. "Oh... äh... es ist, äh, ganz gut, glaube ich", nuschelte er.
"Ach?"
"Na ja... äh... aufregend und so..."
"Das klingt bezaubernd."
Braggasch räusperte sich und hob nun vollends den Kopf. Zäher Brei tropfte von seinem Bart. "Äh... wenn ich Sie auch etwas fragen dürfte, äh, Herr Sanft..."
"Natürlich, aber bitte: Oskar", antwortete Sanft großmütig.
"Äh... gut. Oskar. Wie ist es, äh, Künstler zu sein?"
"Oh, überlegt da einer der Beschützer der Stadt, den Beruf zu wechseln?", lachte der Schriftsteller und hob sofort abwehrend die Hände, als der Zwerg den Mund öffnete. "Nein, keine Sorge, dieser kleine Schwank war nicht ernst gemeint. Du fragst nach der Kunst..." Er überlegte kurz und fuhr dann mit sinnierender Stimme fort: "Die Kunst ist wie ein Turm. Ein jeder Künstler bemüht sich, ihn hoch und neu und anders zu bauen. Immer an der Spitze zu sein. Doch stets drängen neuen Genies, junge Genies von unten heran - und wer nicht nach ihnen tritt und sie von dem Turm wirft, der muss bald mit ansehen, dass sie einen überholen und statt deiner selbst den Turm weiterbauen."
Goldwart sah ihn traurig an. "Das klingt gar nicht, äh, schön."
"Es ist unzumutbar. Darf ich?" Ohne eine Antwort abzuwarten, griff Oskar Sanft über den Tisch hinweg und strich Braggasch den Rest Brei aus dem schütteren Bart. Der Zwerg erschauderte unter der Berührung.
"Es ist wirklich unzumutbar", wiederholte der Schreiberling mit einem traurigen Lächeln und starrte auf die Breireste in seiner Hand, als wären diese ein Kunstwerk an sich. Dann raffte er sich zusammen. "Aber Schluss mit diesen düsteren Gedankengängen, wir wollen springen und frohlocken! Ich habe wieder Lust auf etwas Süßes."
Auch Burkhards Sohn schüttelte sich wach. "Äh, ja. Äh... wie wäre es mit einem Besuch in äh... Menélaos hat mir mal die Konditorei gezeigt, in der er gearbeitet hat. Da riecht, äh, alles nach Zucker und Torten und, äh, so."
"Das klingt deliziös. So sollten wir aufbrechen, nicht war?"
Goldwart zögerte kurz, bevor er antwortete: "Ich glaube, äh, wir sollten Sebulon mitnehmen..."
Sanft grinste verschmitzt und nickte.
***Sohn des Samax***
"Warum mussten wir so früh aufstehen?", brummte Sebulon.
"Äh, weil die Konditorei gestern schon, äh geschlossen war", entgegnete Braggasch.
Vor den beiden lief der Schriftsteller her; ja, er hüpfte regelrecht, sah sich die dämmrigen Halbschatten jeder Gasse an und flötete dabei gelegentlich 'herzallerliebst', 'magnifizent', 'burschikos' oder 'bravurös'.
"Wie kann einer nur so früh am Morgen schon so gute Laune haben?", seufzte der Püschologe. "Das fühlt sich einfach nicht richtig an."
"Äh, weil er gestern früh ins Bett, äh, gegangen ist, und du, äh, Nachtwache ..."
"Ich weiß, ich weiß. Ich frag ja nur."
Die Luft roch nach Ankh und Honig.
"Hast du immerhin gut geschlafen?", fragte Sebulon seinen Freund.
"Äh, ja, war, äh, ganz in, äh, Ordnung. Wir haben uns noch lange unterhalten."
"Was?", fragte Sebulon und das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht.
"Über, äh, dies und das", sagte Braggasch ausweichend. "Äh ..."
"Frohlocket!", rief Herr Sanft und sah sich zu den beiden Zwergen um. "Ich glaube wir sind da, meine zwergischen Freunde! Hier drüben, seht: ein Haus der Heiterkeit, voll von wohlfeilem Backwerk! Kommt schnell herbei, meine Freunde, noch ist das Zuckerwerk recht ofenwarm!"
"
B'ka'ar't'k", flüsterte Sebulon und spuckte aus, "warum muss der Tag nur immer so früh am Morgen beginnen?"
Ein Messer reflektierte einen Sonnenstrahl, als es sich drehte, bevor es lautlos wieder gefangen wurde.
Es war alles viel zu einfach.
Er lächelte.
Das Messer drehte sich erneut in der Luft, wieder fing er es auf.
Sie waren in der Konditorei. Es lief alles nach Plan.
Manchmal hasste er es, wenn man ihm keine Herausforderung bot.
'Ssssst' machte das Messer, als es sich drehte.
Würde es weniger Lösegeld geben, wenn er mit dem Schönling noch etwas spielte?***Goldwart***
Die Konditorei präsentierte sich mit einladend offenstehender Tür. Oskar Sanft war natürlich der erste, der hineinschritt, den Geruch aufnahm und lautstark seiner Zuneigung zu all den Zuckerstücken Ausdruck verlieh.
Die Zwerge folgten ihm. Sebulon ging sofort zu dem Tresen und hämmert auf die kleine Bronzeglocke, die dort angebracht war, doch der Vorhang, der den Durchgang zu Küche und den privaten Räumen des Ladenbesitzers verdeckte, bewegte sich nicht. Kein kleiner, pummeliger Mann trat mit strahlendem Lächeln hervor, um seine Kundschaft zu begrüßen. Auch nicht, als der Püschologe genervt zu rufen begann.
Sanft hingegen nutze die Zeit, um aus jeder dargebotenen Schachtel eine Praline zu nehmen und sie sich in den Mund zu stecken.
"He... lass, äh, das. Das ist Diebstahl...", flüsterte Goldwart grinsend - seit dem Gespräch gestern musste er einfach über alles grinsen, was der Schriftsteller tat oder sagte - er wusste selbst nicht warum. Wenn er ehrlich zu sich war, fand er sein eigenes Verhalten sogar ziemlich dämlich.
Oskar antwortete mit schokoladenverschmierten Mund: "Oh nein! Es ist kein Diebstahl. Erstens sind diese Sachen zum Essen gedacht und zweitens
will der Küchenchef ja sogar, dass man sie nimmt - wie könnte es dann Diebstahl sein?"
"Äh...", begann der Späher, musste sich aber vor der bestechenden Logik geschlagen geben. Er zuckte mit den Schultern und griff nach einem Sahnebonbon.
Da fiel die Tür ins Schloss.
Fragend sah Braggasch zu Sanft auf, der allerdings nur mit einer hilflosen Geste antwortete. Langsam ging der Wächter zur Eingangstür und rüttelte daran. Sie war abgeschlossen. Reine Gewohnheit ließ ihn zu seinen Dietrichen greifen. Es war mal etwas ganz anderes, aus einem Gebäude
auszubrechen. Gekonnt ließ er das Dreheisen in das Schloss gleiten und stieß auf überraschenden Widerstand. Mit sorgenvoll gerunzelter Stirn zog Burkhards Sohn den Stift wieder heraus und betrachtete die langsam aushärtende Masse daran. Wachs.
Er hörte seinen Kollegen, der durch die eng stehende Regale nicht zu sehen war, ungeduldig nach dem Besitzer rufen und wollte ihm gerade antworten, da brachen Sebulons Rufe einfach ab.
Eine Schrecksekunde blieb der Späher erstarrt, dann pirschte er sich im Eiltempo durch die Regale hindurch zum Tresen an. Eine Hand legte sich auf seine Schulter und Braggasch zuckte fürchterlich zusammen - doch es war nur Sanft, der mit ängstlicher Miene fiepte: "Was ist hier los?"
Goldwart bedeutete ihm mit einer Geste zu schweigen und zeigte dann in Richtung des Platzes, wo der Schriftsteller zuvor gestanden hatte. "
Geh da hin."
Oskar nickte widerstrebend und versteckte sich hinter einem Regal mit Schokoriegeln.
Braggasch schlich weiter. Als er den Tresen sehen konnte, schien dieser vor Unschuld nur so zu strotzen. Goldwart tat einen weiteren Schritt - und fühlte plötzlich ein Tuch auf seinem Mund. Er konnte nicht einmal mehr um sich schlagen, als das Atemgift seine Wirkung tat und er in eine schwarze Ohnmacht fiel.
***Sohn des Samax***
"Gürtel?", hauchte Braggasch, über den Püschologen gebeugt.
"Hmm?"
"Äh, Gürtel, wach auf!", zischte der Späher.
"Hmmmrmmpf", machte Sebulon und drehte sich auf die andere Seite.
"Wach auf, du Sohn einer Halbschraube!"
Mürrisch öffnete Sebulon ein Auge. Dann beide. "Wosimma'n?", fragte er.
"Noch immer in der, äh, Konditorei."
"Woss?"
"Wir waren mit Oskar hier, erinnerst du dich nicht?"
"Osga?" Sebulon blinzelte, dann setzte die Erinnerung ein und wie ein in Kaffee getränkter Springfrosch schoss Sebulon empor. "Der Möchtegerndichter! Wo ist er?"
"Äh ... keine Spur von ihm", sagte Braggasch niedergeschlagen.
"Sag, dass das nicht wahr ist!"
"Äh ..."
"
B'ka'ar't'k R'schk'la" fluchte Sebulon. "Wie lange war ich ohnmächtig?"
"Äh ... ich schätze, etwas um vier Stunden. Ich, äh, bin gerade erst wach geworden."
"Hmm", machte Sebulon und legte die Zeige- und Mittelfinger aneinander. Langsam ging er durch den Raum und setzte sich hinter dem Tresen auf einen Stuhl. Dann rieb er sich die Nasenwurzel.
"Du hast auch, äh, Kopfschmerzen?", fragte Braggasch.
Sebulon nickte. "Aber das tut nichts zur Sache", fuhr er fort, "denn es bleiben noch ein paar Rätsel zu klären, bevor wir unseren Bericht abgeben können. Beispielsweise wo der Besitzer dieser Konditorei abgeblieben ist."
"Aber, äh, was ist mit Oskar?"
"Seit wann seid ihr per du, Goldi?"
"Äh ... sind wir nicht."
"Soso", machte Sebulon und erhob sich. "Ich für meinen Teil bin froh, dass wir ihn los sind. Er hat bisher nicht eine einzige Rechnung bezahlt. Vermutlich sind die Entführer schon seit Stunden weg und haben alle Spuren beseitigt. Soll sich doch jemand anders darum kümmern, dass er wieder auftaucht."
"Aber ..."
"Ja?"
Verzweiflung spiegelte sich für einen Moment in den Augen des blondgelockten Zwerges. Dann sah er auf den Boden und sagte: "Ach, nichts."
"Gut", brummte Sebulon und sah sich im Raum um. "Ich schlage vor, wir beginnen unsere Suche nach dem Konditor. Wenn wir das Haus durchsucht haben, schreibe ich den Bericht und du erklärst die Situation den FROG. Und dann sehen wir weiter."
"Aber, äh, was soll ich denn sagen?"
"Die Wahrheit, Goldi. So ungern ich sie auch mag."
Übermüdet saßen Sebulon und Braggasch siebzehn Stunden später in der leeren Kantine der Wache. Jeder von ihnen hatte einen dampfenden Becher direkt vor sich; am Tischrand standen weitere elf geleerte Becher. Der restliche Tisch war mit beschriebenen Notizzetteln übersät.
Nur spärlich drang das morgendliche Licht durch die ungeputzten Fenster in den Raum.
"Das kann doch alles nicht wahr sein", brummte Sebulon. "Er kann nicht schlichtweg spurlos verschwunden sein."
"Aber was haben wir denn, äh, gefunden, Gürtel? Wir wissen ja nicht einmal, weshalb jemand einen, äh, Schriftsteller auf Durchreise entführen sollte ..."
Die beiden Zwerge sahen sich an.
Sebulon tippte sich an die Nase. "Goldi", sagte er, "du bist ein Genie. Ich weiß nur noch nicht, warum."
"Wie, äh, meinst du das?", fragte Braggasch.
"Gerade hatte ich einen wichtigen Gedanken - aber ich hab ihn vergessen."
"Äh, oh, ich glaube, ich habe gerade gesagt, dass wir das Motiv noch nicht kennen."
"Richtig! Das Motiv! Goldi, wenn wir das Motiv haben, haben wir auch den Täter und die Mordwaffe!"
Braggasch blinzelte. Dann legte er seine Hand auf die Schulter seines Freundes. "Es ist kein Mord passiert", sagte er langsam und ruhig. "Wir suchen Sanft. Er wurde, äh, entführt."
"Aber ich war dabei! Ich habe gesehen, wie er ..."
"Er wurde entführt."
Sebulon runzelte die Stirn. "Kein Mord?", fragte er.
"Kein Mord."
Die beiden Zwerge schwiegen und starrten auf die Klebezettel vor ihnen.
"Aber ein Raub ist auch nicht passiert, oder?", vergewisserte sich Sebulon.
"Nein, nicht im, äh, eigentlichen Sinne."
"Nimm es mir nicht übel, aber ich glaube, ich hab's vergessen: Wenn es kein Raub und kein Mord war, warum arbeite ich dann daran?"
Braggasch seufzte. "Weißt du was?", fragte er. "Was hältst du davon, wenn du ..."
"... du erstmal nach hause gehst und dich ausschläfst", beendete Sebulon den Satz geistesabwesend.
"Richtig. Du hältst es also auch für eine gute Idee?"
"T'schuldige, das habe ich gerade nicht mitbekommen. Ich halte
was für eine ...?"
"Ach, äh, vergiss es", meinte der Sohn Burkhards frustriert und stand auf. "Geh schlafen. Sehe ich mich eben, äh, alleine um. Werde schon irgendwas, äh, finden, was uns weiter-äh-hilft, ihn aufzustöbern. Gute Nacht."
***Goldwart***
Angespannt, nervös und in einem Grad traurig, den Goldwart selbst nicht einordnen konnte, hatte er sich in den Druckraum der
Rohrpost zurückgezogen und angefangen völlig sinnlos Dinge an- und auseinander zu schrauben.
Alles lief schief. Sebulon ging davon aus, dass er Bescheid gegeben hatte, doch allein der Gedanke an Valdimiers wütend-enttäuschten Blick hatte den Späher davon abgehalten. Nein, dieses Desaster war seine Schuld und aus diesem Grund würde auch er, Braggasch, die Sache alleine zu einem guten Ende führen, ohne die Hilfe von FROG. '
Du belügst dich selbst...', spottete eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf. Der Zwerg schüttelte den Gedanken beiseite.
Der Konditor hatte ihnen keine Auskünfte geben können, außer, dass er auf gleiche Weise betäubt worden war und unter den gleichen, hirnzerquetschenden Kopfschmerzen litt.
'
Diese Schmerzen...'
Braggaschs Hände arbeiteten sich auf der Suche nach Beschäftigung zur Druckerpresse vor, ihr Besitzer bemerkte es nicht einmal.
Schon vor Stunden hatten sie sich erkundigt, welches Gift stark genug war, um Zwerge in dieser Geschwindigkeit auszuschalten und das obendrein Kopfschmerzen hinterließ, welche noch immer - einen halben Tag nach der Betäubung - fast unvermindert in den Schädeln dröhnten. Die Antwort war ernüchternd gewesen: So gut wie jedes Atemgift konnte durch entsprechende Destillation auf eine qualitativ hohe Stufe gerbacht werden. Solcherart extreme Chemikalien hinterließen in den meisten Fällen nachhaltige gesundheitliche Schäden. Die Alchimistengilde wehrte sich selbstredend gegen jede Unterstellung, vergleichbar gefährliche Stoffe zum Verkauf frei zu geben.
Die Finger des Hauptgefreiten huschten über die bleiernen Buchstabenblöcke.
Das bedeutete, der Täter hatte entweder Zugang zu den Hehlern dieser Stadt, kam von Außerhalb oder die Alchimisten logen schlicht und ergreifend. Burkhards Sohn konnte nur hoffen, dass Letzteres nicht der Fall war und somit die zweite Möglichkeit der Wahrheit entsprach, ging man davon aus, dass der Entführer dem Schriftsteller nachgestellt und ihn bis hierher verfolgt hatte. Was hatte van Varwald noch gleich gesagt? Ess-k-paden mit dem Sohn eines der Herzöge der Sto-Ebene? Was es genau mit dieses Ess-k-paden auf sich hatte, war Braggasch nicht mitgeteilt worden, er wusste nur, dass es wohl etwas persönliches sein musste. '
Und du hast auch eine Ahnung, wie persönlich...', meldete sich die gemeine, kleine Stimme wieder.
Um ihr zu entkommen, sah Goldwart auf seine Hände.
Sie waren nicht untätig gewesen, doch verharrten sie jetzt schuldbewusst, da sie sich beobachtet fühlten.
Auf dem Brett, welches für den Druck der Zeitung bestimmt war, lagen einige wenige Bleiblöcke in Reih und Glied und bildeten einen ganz einfachen Satz.
Nahezu kindlich.
Oskar und BBlinzelnd ließ der Zwerg das '
r' fallen, vergrub das Gesicht in den nun leeren Händen und begann zu weinen.
***Sohn des Samax***
Sebulon fand seinen Freund da, wo er ihn vermutet hatte. Braggasch lag, das Setzbrett an die Brust gedrückt, in einem Durcheinander aus Bleiblöcken auf dem Boden und schlief.
Leise trat der Püschologe heran und rüttelte sanft an der Schulter des Schlafenden. Rot geränderte Augen öffneten sich.
"Du hast geweint", stellte Samax Sohn schlicht fest.
Goldwart antwortete nicht.
"Ich habe dir Kakao mitgebracht. Aus der Kantine. Ist noch warm."
Wieder keine Reaktion.
"Na komm schon, setz dich hin. Ich möchte mit dir reden."
"Geh weg", flüsterte Braggasch und kämpfte mit neuen Tränen.
"Oder magst du vielleicht einen Krapfen? Du musst ganz schön hungrig sein."
"Ich, äh, sagte: Geh weg." Burkhards Sohn war kaum zu hören.
"Und ich bleibe hier, denn wir zwei sind Freunde. Außerdem habe ich Neuigkeiten, was unseren Fall angeht."
Der Späher runzelte neugierig die Stirn.
[2]"Und du möchtest bestimmt den guten Kakao nicht verkommen lassen, oder?", fragte Sebulon lächelnd.
Braggasch rieb sich über das Gesicht. "Wie, äh, lange habe ich denn geschlafen?"
"Ziemlich lange, Sanft gilt seit über einem Tag als verschollen."
"Äh ... verdammt."
Sebulon nickte bedächtig und reichte seinem Freund das improvisierte Frühstück. Langsam und widerwillig biss Braggasch in den Krapfen.
"Mu mhft, mhh, Meuifmeitm?", bohrte der Späher mit vollem Mund nach.
"Ob ich Neuigkeiten hab? Hab ich doch schon gesagt: Ja", erwiderte der Püschologe.
"Mhh, mauf'hmmit", drängte sein Freund.
Sebulon seufzte. "Ich habe mal die These verfolgt, dass der Gesuchte mit ziemlicher Sicherheit von außerhalb kommen muss und Sanft bisher verfolgt hat. Bis zu einem gewissen passenden Augenblick. Oder, um es anders zu sagen: Oskar Sanft war auf der Flucht und ich bin mir ziemlich sicher, dass er das auch wusste und deshalb nach Schutz verlangte. Also habe ich mich an William de Morgue gewandt, der freundlicherweise die Schiffseinträge der letzten vier Tage überprüft hat. Natürlich gibt es nur wenige Stoianer, denn wer von der Ebene kommt, reist meist zu Fuß oder mit dem Karren an, deshalb war er recht einfach zu finden. Eine herausstechende Person. Ich weiß, es ist sehr vage, aber etwas besseres haben wir nicht. Name: Zacharias der Zähe."
Braggasch nahm den letzten Bissen vom Krapfen in den Mund und spülte ihn mit einem großen Schluck Kakao hinunter.
"Wer, äh, ist das?"
"Ein elender Held von der Sto-Ebene, Goldi, und nicht einmal unbekannt. Ob er nun im Auftrag oder freischaffend arbeitet, ist ja mal unwichtig - Fakt ist, wie wir ja beide wissen, dass Helden gerne prahlen. Also habe ich mich mal bei unseren Kontaktern und Szenekennern umgehört, ob zufällig jemand zu dieser Zeit in einer der Hafenkneipen war. Damien konnte mir schließlich helfen. Zwar war er nicht selbst zugegen, aber er hat von Dritten mitbekommen, dass ein Held wichtigtuerisch die
Krustenmakrele betreten und nach einem Zimmer verlangt hatte - er sagte, er würde sicher nicht länger als eine Woche bleiben."
*
Ihm war schwarz vor Augen. Kein Geräusch war zu hören. Wie Stiche zuckten die Schmerzen durch seinen Kopf. Er wollte sich an die Stirn fassen. Warum konnte er sich nicht bewegen?
"Wo bin ich?", fragte Oskar Sanft .
"In guter Gesellschaft", flüsterte eine Stimme neben seinem Ohr. Sie kam ihm bekannt vor.
"Wer bist du?", quiekte der Schriftsteller.
Doch niemand antwortete."Bist du hier der Hausherr?", fragte Sebulon den Wirt der
Krustenmakrele.
Grimmige Leute hörten auf zu reden und sahen zu den beiden Wachezwergen, die vor einem etwas zu hohen Tresen standen. In der
Krustenmakrele mochte man keine Fremden, wenn sie nicht sofort Geld zeigten.
"Wer will das wissen?", fragte der dünne Wirt und wischte sich mit einem dreckigen Handtuch die dreckigen Hände ab. Er hatte eine Glatze, die mit Runzeln übersät war. Dennoch sah er nicht aus, als wäre er deutlich über 40 Jahre alt.
Sebulon legte einen AM-Dollar auf den Tresen. "Ein Freund."
Der Dollar verschwand mit einer flinken Handbewegung.
"Und wen suchst du, Herr Freund?"
Ein zweiter Dollar wurde auf den Tisch gelegt.
"Zacharias der Zähe", flüsterte Sebulon.
"Nie gehört", sagte der Wirt.
Die beiden Zwerge sahen sich an.
"Äh, bist du sicher?", fragte Braggasch.
"Wer will das wissen?", entgegnete der Wirt und zeigte seine dreckigen Zähne.
"Goldi, das war alles Geld, was ich einstecken hatte", zischte Sebulon seinem Freund zu und versuchte gleichzeitig zu lächeln.
"Äh, Braggasch Goldwart."
Der Püschologe hielt die Luft an.
"Na, wenn das so ist, dann sag ich ihm bescheid, wenn ich ihn sehe", grinste der Wirt. Schlagartig verlor sein Gesicht jeden Ausdruck von Humors und er brüllte: "Raus aus meinem Haus!"
"Zacharias, man hat nach dir gefragt."
"Wer?"
"Zwerge. Ein Irgendwer Goldbart. Der andere trug einen Werkzeuggürtel."
"Ist das so."***Goldwart***
Wieder waren Stunden verstrichen. Die Aussicht, Sanft noch einmal lebend wiederzusehen, schrumpfte minütlich, dessen war sich Burkhards Sohn schmerzlich bewusst. Sebulon war entnervt nach Hause gegangen, um Jado zu versorgen, Braggasch stieß wenig später dazu.
"Ich, äh, habe mich ein wenig umgehört."
"Ja?" Samax Sohn saß auf dem ungemachten Bett, inmitten der vielen beschrieben Zettel, welche große Teile des Bodens, der Wand und erschreckenderweise auch der Decke bedeckten.
"Äh... kaum jemand kennt irgendwelche Geschichten von, äh, Zacharias. Also, ich meine, äh, er ist gar kein so bekannter Held. Das einzige, was mir, äh, erzählt werden konnte, war, äh, die Geschichte über eine sehr... äh... blutige Auseinandersetzung mit einem Zirkel Drachenbeschwörer. Äh... später fand man heraus, dass es, äh, sich wohl nur um einen Rentnerverein, äh, gehandelt hatte..."
"Hatte? Interessant. Aber nicht hilfreich." Geistesabwesend streichelte der Püschologe seinen Hund - zumindest musste es für ihn so wirken, da Goldwart besorgt eine Hand beobachtete, die unbeständig durch leere Luft strich, während Jado sich schon vor längerer Zeit zu seinem Getränkenapf gesellt hatte.
Braggasch schluckte. "Äh... Gürtel..."
"Sch!" Der Sitzende erstarrte.
"Was?", flüsterte der Späher sofort.
Leise und langsam hob Samax Sohn seine Streichelhand, die Augen weit aufgerissen. "Die Treppe."
"Ich, äh, habe nichts gehört..."
"Glaub mir, ich kenne die Stufen zu meiner Wohnung und weiß, wann sie belastet werden." So lautlos, wie es in dem Blätterhaufen möglich war, stand der Zwerg auf.
Weitaus schneller und - zu Sebulons Frust - leiser schob der Blondgelockte sich in eine Ecke des Zimmers und verharrte lauschend. Nichts.
Goldwart entspannte sich. "Gürtel, ich glaube es war nur wieder eine von, äh, deinen, äh..."
"
Scht!", wiederholte der Angesprochene, kniff die Augen zusammen und suchte Jado. Der kleine Hund versteckte sich mit angelegten Ohren hinter seinem Napf. "Jemand ist-"
Die Tür sprang auf. Genauer gesagt: wurde aufgetreten.
Etwas zischte, gab ein dumpfes Geräusch von sich.
Der Püschologe blickte auf den kurzen Dolch in seinem Bauch. "Au."
Widerwillig schüttelte Braggasch den lähmenden Moment von sich ab. "Gürtel, das ist-"
"- ein Wuzzel 15-7, hohl, Leichtbau", beendete dieser hauchend den Satz und blickte zu dem breitschultrigen Mann in der Tür auf. "Elender Vergifter." Dann sackte er tonlos zusammen.
Goldwart bemerkte das abermalige Heben des Arms aus den Augenwinkeln und sprang. Der Wurf verfehlte ihn und bohrte sich in irgendwelche Notizen.
Hinter dem Bett rollte sich der Späher ab und zog seinen eigenen Dolch, den er schon seit langem nicht mehr benutzt hatte. Mit fahrigen Fingern spannte er die kleine Feder in dessen Inneren. Warum nur konnte er den Angreifer nicht hören? Wie war es möglich, dass sich jemand auf derart stille Art bewegte? Noch dazu in einem Zimmer voller Papier?
Schnell schob Burkhards Sohn eine der winzigen Nagelbolzen in den gebohrten Schacht des Dolches. Außer ängstlichem Winseln und den Geräuschen der Stadt drang nichts an sein Ohr, daher beschloss er, sich wie schon so oft einfach auf sein Glück zu verlassen. Er hob den Arm über die Bettkante und schoss blind in den Raum hinein.
Bruchteile einer Sekunde darauf spürte er den festen Druck um sein Handgelenk.
Braggasch quiekte auf.
"Guter Versuch", teilte ihm eine raue Stimme mit. "Wenn man ein totaler Idiot ist."
Der Späher stieß sich vom Boden ab und wollte aufspringen, um sich dem eisernen Griff zu entziehen, doch sein Gegner nutze den Schwung, drehte den Zwerg einmal um die eigene Achse und drückte ihn fest mit dem Gesicht auf das Bett.
"Keine Sorge, wenn ich euch umbringen wollte, wärt ihr schon tot", stellte der Mann fest. "Ich habe deine letzten Sätze mit angehört... weißt du, warum es so wenige Geschichten über mich gibt?"
Mühsam drehte der Hauptgefreite den Kopf. "Äh... Du bist, äh, Zacharias der Zähe?"
"Kluges Kerlchen. Der Grund, warum keines meiner Opfer die Möglichkeit hat etwas zu erzählen, oder auch nur zu schreien, ist: Sie hörten mich nicht kommen."
"Aber, äh, ich hätte schon oft schreien, äh, können, weil du zu, äh, viel redest..."
Der Held grunzte angewidert und rammte Goldwart einen weiteren Wurfdolch in die Schulter.
Das Gift wirkte fast sofort.
*
~ Gegenwart ~"Verliebt?" Aus Sebulons Stimme troff Ungläubigkeit.
"Äh..."
"Wann ist denn das passiert? Du hattest doch in den letzten Tagen gar keine Gelegenheit Frauen zu treffen."
Braggasch schluckte. "Äh... nein... nein hatte ich, äh, nicht..."
"Darf man fragen, wer die Glückliche ist?"
Der an ihn Gefesselte schwieg. Peinlich berührt.
"Goldi?"
"Gürtel, ich, äh, ich weiß selber nicht, äh, wie... ich meine, äh..." Goldwart klang, als stünde er wieder einmal kurz vor den Tränen.
Der Püschologe wechselte in einen beruhigenden, weichen Ton. "Ganz ruhig, Goldi. Lass dir Zeit. Denk an Mechanik."
"Aber es ist, äh, einfach... äh... verstehst du? Äh... Falsch... man würde mich aus der, äh, Familie, äh, werfen... wenn sie überhaupt, äh, verstehen würden, was, äh... was das... äh..."
Samax Sohn begann zu verstehen, dennoch fragte er sanft: "Was wäre falsch?"
"Äh... äh... ich... äh..."
"Mechanik, Goldi."
"Ja, äh, also, wenn wir beide Zahnräder wären ... ich wäre ein silber-legiertes kleines Zahnrad und du vermutlich ein Hartholz-Rad."
Sebulon nickte und lehnte sich an seinen Freund. "Und weiter?"
"Nun, äh, diese beiden Zahnräder arbeiten in einer 72/31er winkelgetrieben Uhr aus Überwald zusammen ..."
"Das ist die Wache, nicht wahr?"
"Äh, nein...", meinte Braggasch, der sich mit Metaphern wenig auskannte. "Das ist... äh... die Welt."
"Aha?"
"Und... äh... also natürlich arbeiten die Räder gut miteinander, ziehen die Feder auf, leiten Drehzahlen um, da sie eine unterschiedliche Größe haben..."
"Ich will dich nicht unterbrechen, Goldi, aber worauf möchtest du hinaus?"
Der Späher seufzte und bemühte sich in der Dunkelheit um eine bequemere Sitzposition. "Äh... das legierte kleine Rad arbeitet also gut mit dem Hartholzrad, sehr gut sogar, aber ein Uhrmacher würde keine so unterschiedlichen Räder aneinander sezten, da sie sich gegenseitig abschaben und sich... äh... nicht wohl fühlen... verstehst du?"
Sebulon runzelte nicht sichtbar die Stirn. "Willst du damit sagen, dass du dich nicht wohl fühlst, wenn du mit mir zusammen arbeitest?"
"Nein! Äh... nein...", Braggasch stöhnte bei der geistigen Anstrengung, eine geeignete Metapher zu finden. "Aber sie gehören nicht nebeneinander. Ein Uhrmacher würde sie neben ihresgleichen schrauben, damit sie ihren Platz haben und... äh... besser ineinander greifen können..."
Mittlerweile hatte Burkhards Sohn derart lange um den Brei herum geredet, dass sich die Augen der Zwerge an die Dunkelheit gewöhnen konnten. Undeutlich nahm der Raum Konturen an.
"Ah, du meinst, dass jeder Topf seinen Deckel braucht."
"Aber... äh... ich, äh, habe doch gar nichts von Töpfen gesagt..."
"Ich meine, jedes Wesen hat ein ihm zugedachtes Gegenstück. Eine Partnerin."
"Ja...äh...", Burkhards Sohn stockte. "Nur das eine... äh... also das wäre in meinem Fall ein silber-legierter Kolben."
"Deine Partnerin?"
"Ja, äh, aber... ich, äh, will neben ein anderes Zahnrad... äh... von gleicher Herstellung."
Stille schloss sich an. Sebulon musste es einfach aussprechen: "Du willst keine Partnerin, sondern einen Partner?"
Die einzige Antwort war ein nervöses Räkeln.
"Aber doch bitte nicht Sanft, oder?"
Braggasch murmelte etwas unverständliches.
"Was?"
Bemüht, seiner Stimme einen festen Klang zu geben, wiederholte der Späher: "Ich liebe ihn, Gürtel."
***Sohn des Samax***
Etwas in Sebulon drehte durch. Er konnte nicht genau sagen, was es war, doch in seinem Kopf machte ein kleines Rädchen
*Pling* und fiel heraus.
"Lass uns darüber später sprechen, ja?", sagte er und sah sich um. "Erstmal müssen wir hier rauskommen und später sprechen wir noch einmal darüber."
Braggasch machte "Äh", wusste jedoch nicht recht, was er seinem Freund erwidern sollte, also schwieg er und wartete. Er musste nicht lange warten.
"Siehst du dieses Fenster dort oben?", fragte der Püschologe.
Etwa vier Meter über dem staubigen Boden, oberhalb eines Stoffballens und einiger vernagelter Kisten, war ein metallenes Gitter angebracht. Braggasch konnte es kaum erkennen ohne Nackenschmerzen zu bekommen; dennoch machte er bestätigend: "Äh-hm."
"Gut, gut. Es ist vergittert. Wenn wir da durchkommen, sind wir so gut wie raus. Was brauchen wir noch?"
"Äh, wir sind gefesselt, Gürtel. Das, äh, könnte sich als hinderlich erweisen."
"Richtig. Siehst du auf deiner Seite etwas scharfes?"
Braggasch sah sich um. Auf seiner Seite des Raumes war eine alte und doch solide wirkende Tür, die zu seinem großen Ärger kein Schloss aufwies. Vermutlich durch Riegel oder Bolzen von der anderen Seite verschlossen. Ansonsten sah er nur eine Kiste und eine Flasche, deren Etikett er nicht erkennen konnte.
"Nein, äh, tut mir leid. Hier sind nur, äh, eine Tür, eine Flasche und, äh, eine Kiste. Auf sie ist eine, äh, eins gemalt. Ziemlich krakelig."
"So wie in 'Pulver Nummer Eins', Goldi?" Sebulon wurde sehr warm an den Ohren. Das klang nach Abenteuer. "Gut. Das sollte genügen. Pass auf, du musst dich jetzt entspannen."
Bevor der blondgelockte Zwerg noch etwas erwidern konnte, machte Sebulon einen Ruck. Braggasch befand sich noch immer am Rücken seines Freundes aber nun in einem halben Meter Höhe.
Seinen Freund geschultert, ging der Püschologe mühsam auf die Flasche zu.
"Hör zu", schnaufte er, "du wirst gleich Scherben haben. Kannst du damit unser Seil trennen?"
"Äh ..."
"Kannst du?"
"Ich, äh, ich denke schon", sagte Braggasch und nickte heftig.
Etwas in Sebulons Schulter knackte leise, er zog tief Luft ein und fiel vornüber auf die Flasche. Scherben flogen wenige Meter weit über den Boden.
"Gürtel?", fragte Braggasch, doch er bekam keine Antwort. "Gürtel, ist alles in Ordnung?" Nur das gelegentliche scharfe Einatmen seines Freundes deutete an, dass er noch lebte und bei Bewusstsein sein musste.
Entschlossen robbte Braggasch mit Sebulon am Rücken auf eine große Scherbe zu. Mit viel Fingerspitzengefühl hob er sie auf und begann die Stricke zu lösen.
"Rekrutin, wo sind die Hauptgefreiten Burkhardssohn und Samaxsohn?", fragte eine befehlsgewohnte Stimme.
"Interessant, dass du fragst, Sör. Fähnrich Kanndra war vorhin auch schon hier, um sich zu ..."
"Wo sind sie?"
"Heute noch nicht im Haus gewesen, Sör. Soll ich ihnen etwas ausrichten, wenn sie ..."
"Bring eine Nachricht an Valdimier van Varwald. Zwei Wächter werden vermisst. Das ist eilig, hast du verstanden? Und gib ein bisschen Nachdruck in die Nachricht."Blut floss von der Lippe des Püschologen. Krampfhaft versuchte er, seinem Schmerz keinen Raum zu geben.
"Äh, Gürtel", meinte Braggasch, über die beschriftete Kiste gebeugt, "hier ist kein Pulver drin. Nur kleine Fläschchen.
Übeerwalt Nummär Ains steht drauf." Er griff in die Kiste, nahm ein Exemplar heraus, öffnete es und roch daran. "Hmm, riecht gar nicht so übel."
"Alkohol?", fragte der Püschologe. Er hatte Mühe die Schmerzen zurückzudrängen, die seine Sicht benebelten und rötlich werden ließen.
"Äh, ja."
Mit dem unverletzten Arm deutete der schwer atmende Zwerg zu den Kisten auf der anderen Seite des Raumes.
Neugierig sah der Zwerg sich die Kisten an, schwang sich einmal erstaunlich leichtfüßig nach oben und griff ans Gitter. "Das ist, äh, fest", sagte er. "Keine Chance. In die Wand versenkt. Trollbackenkupfer, vier Finger Durchmesser, würde ich sagen. Da hat jemand, äh, vorausschauend gearbeitet."
Und dann gab die Kiste unter ihm nach.
"Was wird aus den Wächtern?", fragte Sanft. "Sind sie des Todes?"
"Halt den Rand und lauf weiter, Freund", flüsterte die Stimme hinter ihm. Eine Spitze an seinem Schulterblatt erinnerte ihn behutsam daran, dass sein Entführer einen Dolch hatte. Und er leider nichts.
"Ich könnte schreien", vermutete der Schriftsteller.
"Ich könnte dir die Zunge herausschneiden."
"Guter Hinweis."
So unauffällig wie möglich streifte er einen Ring von seiner Hand. Nun brauchte er nur noch eine laute Gelegenheit oder einen leisen Untergrund.***Goldwart***
Keuchend sackte Goldwart nach unten und blieb dann mit einem Ruck, die Hände fest an das Trollbackenkupfergitter geklammert, in der Luft hängen. Staub rieselte auf ihn nieder.
Vor einigen Monaten wäre der blonde Zwerg allein bei dem Gedanken an solche körperliche Anstrengung zusammen gebrochen, doch das Training der Wache hatte Spuren hinterlassen. Mühsam blinzelnd versuchte er den Staub aus den Augen zu vertreiben, als ihm etwas auffiel.
"Äh... Gürtel?"
Die Antwort kam als unartikuliertes Stöhnen.
"Hast du einen Meißel in deinem... äh... Gürtel, Gürtel?"
Mühsam drehte sich der Püschologe auf den Rücken. Glas knackte. "Reicht... dir ein Schrauben... zieher?"
"Ja, äh..."
Das leise Klimpern verriet, dass Sebulon seinen Gürtel mit der unverletzten Hand abtastete. Schließlich wurde das gewünschte Werkzeug gegen Braggaschs Stiefel gestoßen. Der Späher benötigte mehrere Versuche, um den Schraubendreher so zwischen den Sohlen einzuklemmen, dass er ihn durch ein Anwinkeln der Beine mit einer Hand erreichen konnte. Nun hing er nur noch mit einem Arm an der Decke. Die Kraftanstrengung ließ die ersten Tropfen Schweiß über sein Gesicht laufen.
Mühevoll rammte er das spitze Werkzeug nahe der Vergitterung in die Wand.
"Das, äh, habe ich mir... äh... gedacht. Die Trollbackenlegierung ist zwar so hart wie, äh, sie sein sollte, aber der Mörtel ist, äh, weich, wie... äh... äh... etwas sehr weiches. Es ist, äh, doch irgendwie immer das, äh, gleiche..."
Zufrieden lächelte Goldwart.
Dann verlor seine schweißnasse Hand den Griff und er fiel.
"Wie lange?"
"Ich habe schon seit Tagen keinen Bericht vom Hauptgefreiten Goldwart bekommen, das ist ungewöhnlich. Normalerweise schreibt er jeden Mist auf."
"Hat sie denn niemand gesehen?"
Kanndra schaltete sich ein. "Meinen Informationen zufolge waren sie vor gut zwei Tagen in der Kantine und haben gearbeitet. Sie haben jedoch mit niemandem geredet."
"Dann hat er wieder Mist gebaut", stellte Valdimier fest. "Sonst hätte er sich gemeldet."
"Ob nun Mist oder nicht, sie sind vermisst, seit zwei Tagen, und das während eines Schutzauftrags. Feldwebel, stell ein paar Leute zusammen und begib dich auf die Suche."
"Natürlich... Sör.""Alles in, äh, Ordnung, ich bin weich, äh, gelandet."
Sebulon stöhnte.
Burkhards Sohn rappelte sich auf und zog eine weitere Kiste herbei, um sich darauf zu stellen. Bald war der kleine Raum erfüllt von klopfenden und brechenden Geräuschen, nebst hin und wieder einem "Äh... verdammt!".
Nach zwanzig Minuten Schufterei begutachtete Braggasch sein Werk zufrieden, wischte sich mit dem Hemdsärmel die Stirn ab, ließ den Schraubenzieher fallen, griff mit beiden Händen das Gitter, sprang leicht in die Höhe und hängte sich mit seinem ganzen (nicht gerade beeindruckenden) Gewicht an das Trollbackenkupfer.
Mit einem gewaltigen Knirschen löste sich das vorbearbeitete Gitter aus der Decke und krachte mitsamt Zwerg und einer dicken Staubwolke zu Boden.
Hustend und keuchend kam der Späher wieder auf die Beine.
"So weit, äh, so gut. Meinst du, du schaffst es, äh, da hinauf zu klettern?"
Niemand antwortete.
"Gürtel?"
Besorgt beugte sich Braggasch zu seinen Freund hinunter. Samax Sohn lag schlaff auf dem Boden, die Augen so weit verdreht, dass man nur noch das weiße erkennen konnte. Blut sickerte aus seiner linken Schulter.
Vorsichtig tastete Goldwart nach einem Puls. Dort. Schwach.
Unschlüssig blickte er zum nun offenen Dachfenster und schätzte seine Chancen ein, gemeinsam mit dem Bewusstlosen hinaus klettern zu können.
'
Unmöglich', dachte er.
Unsicher trat der Zwerg von einem Fuß auf den anderen, bis er sich schließlich ein Stück des eigenen Ärmels abriss und, in der Hoffnung es damit nicht zu verschlimmern, fest um die Schulter knotete.
Dann goss er noch einen Schuss des
Übeerwalt Nummär Ains auf die Wunde, hielt inne, als er den penetranten Blumenduft roch, genehmigte sich selbst einen Schluck
[3] und stieg auf die Kiste.
"Äh... ich werde Hilfe holen!", versprach er seinem bewusstlosen Kumpanen und stieg hinaus.
"Habe diese Notizen gefunden, Sör!"
"Gute Arbeit, Schimmlersohn. Dann war Ebels Rat, dass wir in Samaxsohns Wohnung etwas finden würden, keine vergeudete Zeit."
"Er schreibt hier etwas von der Krustenmakrele
und einem gewissen Zacharias."
"Dann vorwärts Leute, wir haben keine Zeit zu verlieren!"
"Ja, Sör!"Auf dem Dach musste Goldwart feststellen, dass er sich scheinbar wieder im Hafenviertel befand. Genauer gesagt auf einem Nebengebäude der Taverne, die Sebulon und er erst kürzlich aufgesucht hatten. Ob der Wirt mit in dieser Sache steckte?
Vorsichtig ließ sich der Hauptgefreite zur Straße hinabgleiten.
Er hatte keine zwei Schritte in Richtung Wachegebäude getan, als er es bemerkte.
Ein weißes, spitzenbesetztes Taschentuch, welches unschuldig gegen eine Hauswand geweht worden war. Ein mit Goldfaden gesticktes
OS zierte eine Ecke. Braggasch sah wieder die Ankunft Sanfts vor Augen, wie er an der Rehling gestanden und sich ein Tuch auf den Mund gedrückt hatte.
Dieses Tuch.
Der Moment, an dem Oskar in sein Leben getreten war.
Der blonde Zwerg fühlte wieder jenes gleichzeitig hinauf- als auch hinabziehende Gefühl in sich, das er bereits beim ersten Blick des Schriftstellers gespürt hatte.
Das war es also? Liebe?
Unschlüssig nahm er das Tuch zur Hand. Sanft schien also noch zu leben.
Dort! Ein Blinken im Stroh deutete einen weiteren Gegenstand an... ein Ring! Oskar hatte ihm eine Spur gelegt! Es konnte nicht lange her sein, wenn der Ring noch immer an seinem Ort lag.
Widersprüchliche Gefühle kämpften in dem jungen Zwerg miteinander. Er sah zu der Stelle, an welcher der bewusstlose Sebulon in dem verschlossenen Raum liegen musste.
Dann wanderte sein Blick wieder zu Seidentuch und Ring.
Er schloss die Augen.
Bekämpfte die Tränen.
"Es tut mir leid, Gürtel...", flüsterte er heiser, sich nicht einmal bewusst, dass der Satz kein 'Äh' enthielt.
Dann nahm er die Verfolgung der gelegten Spur auf.
***Sohn des Samax***
"Hier scheint jemand sein Unwesen getrieben zu haben, Sör", rief Schimmlersohn dem Abteilungsleiter zu. "Der Mörtel ist völlig hin. Kann aber nix erkennen, ist zu dunkel."
"Lass mal sehen." Valdimier näherte sich dem Loch in der Wand und spähte hinab. Seine Augen wurden groß. "Holt mir Rogi! Schnell! Da unten in der Blutlache liegt ein Zwerg in Uniform!"Dort hinten waren sie! Das Herz des Spähers machte einen Luftsprung.
Geduckt schlich er wieder über das Dach - ein Schatten mehr in der Dunkelheit. Es war eine gute Entscheidung gewesen, von oben Ausschau zu halten.
Von Giebel zu Giebel sprang er und merkte dabei gar nicht, wie lange er schon in dieser Geschwindigkeit unterwegs war. Sein Körper legte eine Präzision an den Tag, wie man sie nur in einer emotionalen Ausnahmesituation erfahren kann.
"Ich komme, Oskar", flüsterte er fehlerfrei. "Ich rette dich."
Der Mann im dunklen Umhang und der gelockte im Brokatmantel bestiegen ein Boot.
Braggasch hatte keine Waffen und das Schiff würde bestimmt bald ablegen - aber er hatte ein Ziel vor Augen und das Überraschungsmoment auf seiner Seite.
An einer Regenrinne ließ sich Braggasch herabgleiten. Lautlos landete er in der Gasse und lief geduckt an der Wand entlang. Durch seine Hände glitt der Wind.
"Und wenn es das letzte ist ..."
"Daf fieht flimm auf, Febulon. Allerdingf hat'f jemand gut definfifiert." Sebulon keuchte, während die Igorina ihm munter plaudernd einen neuen Verband anlegte. "Fpäter werde ich daf trotfdem hübf ordentlich vernähen müffen. Wirft eine Weile nicht falutieren, feint mir."
"Das muss warten. Es ist noch immer ein Wächter vermisst", sagte Valdimier. Zum Zwerg gewandt fragte er: "Kannst du uns irgend etwas sagen, wo Goldwart hin ist, Hauptgefreiter?"
"Ich habe keine Ahnung wo er steckt, Sir. Das letzte mal, als ich ihn gesehen habe, war er bei mir, Sir. Im Keller."
'
Sie gehören nicht nebeneinander', fuhr es Sebulon durch den Sinn. Er zuckte zusammen.
"Und wo ist er jetzt?"
'
Das legierte kleine Rad', flüsterte die Stimme in seinem Kopf hämisch, '
arbeitet also gut mit dem Hartholzrad, aber ein Uhrmacher würde keine so unterschiedlichen Räder aneinander setzten. Sie gehören nicht nebeneinander ...'
"Ich weiß es nicht", sagte Sebulon und schloss die Augen. Kopf und Herz schmerzten ihm mehr als der Arm.
"Streng deinen Verstand an, Hauptgefreiter", sagte der Abteilungsleiter mit sanfter Stimme. "Du bist Püschologe, nicht wahr? Wo würde unser Späher hingehen?"
'
Niemand kennt mich so, äh, gut wie du, Gürtel', hörte Sebulon die Stimme des Freundes in seinem Kopf. '
Aber wo Oskar hingeht, da will auch ich, äh, hingehen; wo er bleibt, da bleibe auch, äh, ich.'
[4]"Ich weiß es nicht, Sir", sagte er, schwer atmend.
'
Ich bin außerordentlich beglückt, dass die Stadt mir direkt zwei Angehörige des literarischen Volkes zugedacht hat', hallte es im Kopf des Zwergen. '
Jemand, der mich ablenkt von der Trübsal des Daseins und von den windigen Wegen des verwunschenen Lebens.'
"Man sagt, ihr seid Freunde. Wohin würde er gehen und dich blutend alleine zurücklassen?", bohrte der Vampir.
Szene um Szene zog vor Sebulons innerem Auge entlang. Wie viel davon tatsächlich passiert sein mochte, und in welcher Reihenfolge, konnte er nicht sagen. Alles schien ihm gleich real. Er sah seinen Freund und sich im Keller sitzen. Braggasch und der Dichter gingen Hand in Hand. Er sah sich zitternd in der Kantine sitzen und Kakao trinken. Er sah, wie ein dunkler Schemen den Schriftsteller fortführte. Hunderte von Entführungsszenarien blitzten vor den Augen des Püschologen auf, doch eine verblasste nicht. Braggasch und er waren noch am Leben - welchen Sinn hätte eine Entführung, wenn Sanft schon tot wäre? Der Kerl musste noch leben!
"Hauptgefreiter?"
Sein Verstand arbeitete mit atemberaubender Geschwindigkeit.
Man konnte nicht durch die Tore, außer in einem Versteck. Tonnen waren entwürdigend und wer einen Schriftsteller entführte, legte auf Stil wert. Kutschen wurden mit Sicherheit kontrolliert. Wo in Ankh-Morpork kontrollierte die Wache schwächer?
Sebulon sah eine Landkarte vor sich und kleine rote Punkte blinkten an verschiedenen Stellen auf.
"Hauptgefreiter!"
"Der Ankh", hauchte der Püschologe atemlos. "Auf dem Fluss kontrolliert die Wache am wenigsten. Über den Ankh wird er mit Sanft verschwinden wollen."
"Goldwart?", fragte der Abteilungsleiter ungläubig.
"Der wird ebenfalls dort sein."
"Haste was gehört?", fragte ein Matrose den anderen im Lagerraum. Es roch nach Fisch.[5]
"Nee, nichts", erwiderte sein Kollege.
"Doch, da hat's geknarrt. Hinten, bei'n Fässern."
"Biste nervös, Kalle? Ich sach dir, 's sind nur Ratten. Wirf doch 'nen Blick, wennde musst. Bin oben, Kaffee tanken."
Füße tappten. Die Tür schloss sich.
"Nervös", brummte Kalle, "Denkste. Hab' schon geschmuggelt, als der inne Windeln war. Kenn' Ratten. Irgendwo hier...uff!"
Der bewusstlose Matrose sank zu Boden.
Mit viel Mühe wurde er hinter ein Fass gezerrt.
Sein Dolch wechselte den Besitzer.***Goldwart***
Friedlich matschte der Ankh an die Bordswand, als sich das Schiff langsam den Fluss hinab schob. Oskar Sanft saß unverletzt und deprimiert in der Hängematte, die Hände geschickt mit deren Laschen verknotet. Seine beste Ausgehkleidung wies nun an vielen Stellen kleine Löcher und herausstehende Fäden auf, wo sich zuvor Knöpfe, Verzierungen und allerlei Tand befunden hatten.
Den Helden bemerkte er erst, als dieser direkt neben ihm stand. Arrogant lächelte Zacharias der Zähe auf ihn herunter, während der Schriftsteller vor Schreck zusammen zuckte. Wortlos zog sein Entführer einen Stuhl heran und setzte sich verkehrt herum darauf, die verschränkten Arme auf die Lehne gestützt. "Na, Oskar, geht es dir gut, alter Schwerenöter?"
Sanft wandte den Blick ab und antwortete nicht.
"Oh, du solltest die letzte Möglichkeit für ein Gespräch nutzen, die dir bleibt, mein warmer Freund. Selbst wenn der Baron dich am Leben lässt, bezweifle ich, dass du deine Zunge behältst. Du hast die Ehre des Baronssöhnchens ziemlich stark beschmutzt, weißt du?"
Hochmütig sah der Gefesselte dem Helden in die Augen. "Noch sind wir nicht im Reich des Rachesüchtigen, elender Handlanger."
Zacharias zuckte mit den Schultern. "Aber wer soll dir jetzt noch helfen? Deine beiden Wächterlein sind ausgeschaltet und ich habe bis zum Ablegen dieses Kahns den Steg im Auge behalten. niemand ist hier, der nicht hierher..." Er brach ab, als er eine Klinge am Hals spürte.
Die Zeit schien stillzustehen, alle Geräusche verschwanden im Hintergrund.
Nur der lange unterdrückte Atem des Wächters mit dem Dolch suchte sich nun seinen Weg und hing leise keuchend in der Kajüte.
Langsam trocknender Ankhschlamm klebte an dem blondgelockten Gesicht, dessen Augen mordlüstern brannten. Die Dietriche steckten noch immer in der Tür.
"Wie...", brachte Zacharias heiser hervor.
"Unwichtig."
"Aber ich habe dich nicht gehö-" Das scharfe Metall grub sich wenige Millimeter in die Haut des Helden und brachte ihn damit zum Schweigen. Blutige Finger umklammerten den Griff des Dolches - Braggasch hatte sie sich aufgeschürft, als er die Bordwand ohne Hilfsmittel erklettert hatte.
Er bemerkte es nicht.
Langsam senkte er den Kopf neben den seines Opfers und flüsterte: "Gib mir, äh, einen Grund, dich nicht sofort umzubringen."
"Du? Du bist der..." Ein weiterer leichter Druck ließ den Zähen abermals verstummen. Einzelne Blutstropfen rannen den Hals hinunter.
"Äh... ich warte auf den, äh, Grund..."
"Du kannst doch überhaupt nicht mit dem Dolch umgehen!" brabbelte Zacharias verzweifelt und blickte sich, soweit es sein Sichtbereich hergab, nach einer Möglichkeit um, die Situation zu drehen - er fand keine. Bisher war er immer derjenige gewesen, der die Anderen überrascht hatte. Das war seine Taktik.
Goldwart überlegte kurz. "Du, äh, hast recht... ich könnte dir, äh,
irgendwohin schneiden..."
Zacharias schluckte.
"Braggasch?" Sanft sprach langsam und leise, um den völlig unter Strom stehenden Zwerg nicht zu einer unbedachten Bewegung zu verleiten.
Der Späher sah auf. "Ja... Oskar?"
"Mein Gedanke ist, dass du diesen wenig angenehm riechenden Herren deines Griffes entledigen kannst."
"Äh... was?"
Der Schriftsteller nickte in Richtung des Zähen. "Er ist mir nicht unbekannt. Dieses Individuum heißt sich selbst einen Helden. Auch, wenn diese Ernennung stark bezweifelt werden mag, so besteht die Tatsache, dass jenes kleine Wörtchen 'Ehre' kein unbekanntes für ihn sein sollte. Er ist kein ruchloser Schuft. Du, Braggasch, hast ihn geschlagen, zudem mit seinem selbst gewählten Waffen. Zacharias wird uns gehen lassen."
Zweifelnd sah Goldwart zu dem Helden. "Bist du, äh, sicher?"
Es war der Bedrohte selbst, der antwortete: "Er hat recht. Zwar mit viel zu vielen verdrehten Sätzen, aber er hat recht. Du hast mein Wort, dass ich nichts mehr tun werde, was euch schadet. Außerdem sollte ich nicht dein erster Mord sein."
"Woher, äh, weißt... äh..."
"Die Art, wie du die Waffe hältst. Dein Gehirn muss alle Arbeit schon vor langem ans Herz abgegeben haben, dennoch sträubt es sich gegen das Durchschneiden der Kehle und diese Spannung ist in deinem Arm zu sehen."
Etwas in Zacharias Stimme, ein sachlicher, gebrochener, besiegter Ton, veranlasste Braggasch dazu den Dolch des Matrosen zu senken.
Der Held blieb sitzen.
Langsam wandte der Wächter den Blick von ihm ab und trat zu Sanft.
Dieser lächelte breit. "Sei vielmals bedankt, mein unermüdlicher Beschützer."
Mit roten Ohren durchtrennte Goldwart die Stricke der Hängematte.
Oskar Sanft richtete sich auf und rieb sich die Handgelenke.
Eine Weile standen sie voreinander und sahen sich an.
"Hättest du die Güte, den Raum zu verlassen, Zacharias?", bat der Schreiberling den Helden ohne ihn anzusehen. Dieser verzog angewidert das Gesicht, fügte sich der Bitte jedoch.
Die Tür wurde geschlossen.
Der Blick zog sich ins Unendliche und hätte nach Braggaschs Meinung ruhig noch länger dauern können, doch Sanft beendete ihn auf unkonventionelle Weise.
Bedächtig beugte er sich zu dem schlammbeschmierten Gesicht des Zwerges hinab und küsste ihn.
Goldwart begann am ganzen Körper zu zittern.
Als Oskar seinen Mund wieder löste und sich aufrichtete, hatte der Späher Mühe, nicht in Ohnmacht zu fallen.
"Du solltest dich nun auf den Rückweg machen, Braggasch", hauchte der Schriftsteller in die Stille hinein.
Der Kleine blinzelte und versuchte, den Sinn der Worte zu begreifen.
"Ich bin meiner selbst recht im klaren darüber, dass dieses Schiff über ein Beiboot verfügen wird, welches man dir sicherlich gerne zur Verfügung stellt."
Wie in Trance schüttelte der Zwerg leicht den Kopf. "Aber... äh... warum...?"
"Ich gehöre nicht in diese Stadt. Zu rau, zu... erregend. Ich hörte, dass das Achatene Reich um diese Zeit sehr hübsch anzuschauen sein soll." Sanft lächelte traurig.
Braggasch schluckte. "Ich, äh, könnte... äh..."
"Nein, Braggasch. Du gehörst hierher. In die Wache und zu deinem Kollegen, der mich wie du auf solch bezaubernde Art durch eure Heimat geleitete."
"Wieso?"
"Ich bin Künstler, Braggasch, lex mihi ars, die Reise ist meine Muse. Du bist Wächter, noch dazu ein Guter. Du wirst deinen Partner finden, mein blonder Freund, irgendwann. Du hast Zeit." Oskar lachte kurz. "Geh nun, ich bitte dich. Zacharias wird mich dank dir dorthin bringen, wo immer ich sein möchte, glaube mir. Sicher wird man sich Sorgen um dich machen!"
Goldwart sah die erste große Liebe in seinem Leben an. Er wollte so viel sagen, tausend Gedanken flogen in seinem Kopf umher, tausend Fragen.
Doch er drehte sich langsam um, und verließ leise die Kajüte.
Ortswechsel. Das Büro Valdimier van Varwalds.
"Wo hast du gesteckt, Hauptgefreiter?"
Braggasch sah seinen Abteilungsleiter nicht an. Sein Blick heftete an der völlig uninteressanten Wand.
"Auf dem Fluss, Sör.", antwortete er gedankenverloren und fehlerfrei.
"Das weiß ich, verflucht, immerhin haben wir dich im Hafen gefunden, wo du verträumt in Richtung Meer starrtest! Also, noch einmal: wo warst du?"
"Auf einem Schiff, Sör."
Der Vampir stöhnte und rieb sich die Augen. "Gut. In diesem Punkt will ich es einmal dabei belassen, Hauptgefreiter, aber ich rate dir, in deinem Bericht ausführlicher zu sein! Nun zu einer wichtigeren Frage: Wo ist der Schriftsteller Oskar Sanft?"
Goldwart schwieg kurz, bevor er sagte: "Dort, wo er sein möchte, Sör."
"Ich weiß, dass ich die Antwort dieser Frage eigentlich kenne, aber trotzdem: Bist du noch ganz dicht, Hauptgefreiter?"
"Ich denke schon, Sör."
Valdimier trommelte unentschlossen mit den Fingern auf die Tischplatte, dann hob er die Hand und schnipste vor den Augen des Spähers. Keine Reaktion.
"Bist du dir darüber im klaren, dass du einen Kollegen verletzt und hilflos in einer prekären Situation zurückgelassen hast?"
Zum ersten mal blickte Braggasch in van Varwalds Richtung, doch schien er durch ihn hindurchzusehen. "Ja... ich werde noch viel mit ihm reden müssen und mich entschuldigen, wenn es denn geht, Sör."
"Da wäre ich mir nicht so sicher, Hauptgefreiter, momentan muss er sich einer aufwendigen Näherei unterziehen... und ich sage dies nur, da ich weiß, dass du Metaphern nicht verstehst. Jeder andere hätte sich bei den Worten ein Grinsen unterdrücken müssen."
"Ja, Sör."
Der Feldwebel zögerte nur kurz, dann meinte er: "Geh jetzt und ruh dich aus, Hauptgefreiter. Aber lass dir gesagt sein, sollte sich eine solche Verachtung der Kameradschaft wiederholen, wird das Konsequenzen haben!"
"Ja, Sör."
"Außerdem rate ich dir dringend, dich einmal bei einem Püschologen zu melden."
"Ja, Sör."
"Du darfst gehen."
"Ja, Sör."
***Sohn des Samax***
"Äh, ich, äh ..."
"Ja?", fragte Sebulon.
"Äh, es tut mir, äh ..."
"Leid?"
"Äh, ja."
Die beiden Wächter standen auf einer Brücke am Ankh, der zäh unter ihnen fortkroch. Sebulon hatte seinen Werkzeuggürtel abgenommen und betrachtete ihn zwischen seinen Händen.
"Weißt du, du kannst vieles so viel besser als ich", begann der Püschologe, "was mit Mechanik zu tun hat. Meine Basteleien sind nur Spielereien im Vergleich zu deinen Bauplänen - und niemand öffnet eine Tür schneller als du."
"Äh, ..."
Mit ruhigen Handbewegungen legte der Zwerg seinen Werkzeuggürtel um. "Schleichen kannst du auch", fuhr er fort. "Viele FROGs könnten sich eine Scheibe von deinem Diensteifer abschneiden." Noch immer sprach der Sohn von Samax ohne seinen Freund anzusehen. Seine Stimme zitterte etwas. "Du weißt es vielleicht nicht, aber manch einer bewundert dich,
Tg'w'lim'cha."
"Das, äh, glaube ich nicht, äh, ..."
"Es ist egal, was du glaubst. Du bist ein Prachtwächter, solange du nicht darüber sprichst, wie gern du ein Vampir wärst. Und das hast du in der letzten Zeit so selten, dass ich hoffe, es war nur eine Phase, die jetzt vorüber ist."
"Äh, eigentlich wollte ich nur, äh, ..."
"... sagen, dass es dir leid tut, ich weiß. Und ich kann es dir nicht übel nehmen. Du hattest einen Verbrecher zu verfolgen."
Braggasch blinzelte. "Das, äh, war nicht ..."
"Was ich nicht verstehen kann, ist, dass du ihn hast entkommen lassen."
"Gürtel, ich, äh, bin gegangen, weil ich ..."
"Vermutlich hat er dich überlistet. Wie auch immer. Es braucht dir nicht leid tun, Goldi, denn du hast mich ja für einen noblen Zweck zurückgelassen." Der Püschologe drehte sich zu seinem Freund um und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Vergiss nicht: Ich bin dein Freund und ich bin stolz auf dich. Auch, wenn du mich manchmal in die unmöglichsten Situationen bringst."
"Äh", machte Braggasch, doch er konnte nicht aussprechen, was ihm durch den Kopf ging und von innen gegen die Brust schlug.
"Ich gehe jetzt heim, schlafen. Wir sehen uns morgen."
Er war schon einige Meter gegangen, da blieb er noch einmal stehen ohne sich umzudrehen. "Übrigens, Glückwunsch zur Beförderung, Lance-Korporal. Hast es dir verdient."
Das Meer ist weit und spiegelt das Licht auf der Scheibenwelt in beeindruckenden Farben. Und mitten auf dem Meer, auf einem Schiff, in einer Kajüte waren zwei Männer. Der eine hatte sich auf die Koje gelegt; der andere saß am Tisch und schrieb.
"Liebst du ihn?", fragte Zacharias den Schriftsteller.
Es gab keine Antwort. Die Feder kratzte stattdessen über das Papier.
Wortlos stand er auf, näherte sich Oskar Sanft und las, was dieser schrieb:
Sag doch, wie such' ich dich? Ich kenne dich wohl, kenne doch nicht Das Licht deiner Augen, den Zauber der Stimme Den Griff deiner Hände, dein Lachen! Allein die Farbe deines Lächelns, Sie kenne ich, sie ist deine Güte Ganz silberweiß, wie Wolkenglanz Wie deiner Augen Widerschein in mir. |
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[1] Wörtlich: "Kleiner Freund". Unter Zwergen eine liebevolle Bezeichnung für jüngere Geschwister.
[2] In der Tat hat man es bei einem neugierig-erwartungsvollen Stirnrunzeln mit einer Spezialität der Zwerge zu tun, die andere Spezien manchmal zu imitieren versuchen. Vergeblich.
[3] Braggasch wunderte sich über den seltsamen Geschmack, den dieser ihm unbekannte Alkohol auf der Zunge hinterließ. Als er Tage später herausfand, dass
Übeerwalt Nummär Ains ein neues Parfüm war - und ihm Glum erklärt hatte, wofür man Parfüm in aller Regel benutzte -, bedauerte es der Zwerg, dass man es nur in solch kleinen Fläschchen kaufen konnte. Er mochte den Geschmack.
[4] Vgl. Bibel: Rut 1,16.
[5] Tut es das nicht immer?
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