1. Pro-Dia-Log (Charlie)Klopf, klopf
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Klopf, klopf
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KLOPF, KLOPF Lance-Korporal Holm?
Raschel (seufz - kann man nicht einfach mal seine Mittagspause mit einer Zeitung und einer guten Pfeife allein verbringen?) Ja, bitte?
Quietsch Ich bin Hauptgefreite Kathiopeja, Lance-Korporal. Oberfeldwebel Sillybos hat mich Ihnen als Ausbilder zugeteilt.
(Meine Güte, stinkt das hier. Qualmt der Kerl immer so?)(Wo haben sie die denn ausgegraben? Und wieso sind es immer Frauen, die ich ausbilden muss?) Ah ja, Hauptgefreite. Ich habe dich schon erwartet. Nimm doch Platz.
Hust Danke.
(Bei allen Göttern, er stopft sich seine Pfeife neu. Wie soll man da denn atmen?)Also, Hauptgefreite, ich habe dir ein bisschen Lektüre zusammengestellt. Da ist auch eine Abschrift meines "Compendiums der Spurensuche" dabei, das ich zur Zeit schreibe. Arbeite dich da am besten mal durch, und in... sagen wir... vier Wochen machen wir eine theoretische Prüfung, ob du das alles verstanden hast. Danach begleitest du mich auf einen oder zwei Tatorte, und dann folgt eine Praxisprüfung. Alles klar?
(Hauptsache, sie ist beschäftigt und lässt mich die nächsten Wochen wieder in Ruhe... wieso soll ich auch Leute ausbilden? Sillybos weiß doch selbst, dass meine Fähigkeiten viel besser anders eingesetzt werden können...)(Diese riesige Bücherstapel? In vier Wochen? Wie stellt er sich das denn vor?) Äh... in Ordnung, Lance-Korporal.
(Ich hätte mich nie für diese Stelle bewerben sollen. Aber was soll ich sonst machen? Egal, sobald ich Ausbilderin werden kann, bin ich sowieso schneller hier weg, als man "Erstickungsanfall" sagen kann.) Ich
(hust) melde mich dann, wenn ich Fragen ha...
(Du meine Güte... eine von der Sorte?) Du wirst schon keine Fragen haben, Hauptgefreite. In den Büchern, und vor allem in meinem "Compendium", sollte alles drinstehen, was du an theoretischem Rüstzeug benötigst. Also, viel Erfolg!
(Hust) Danke, Lance-Korporal.
(Verdammt, ist der Stapel schwer) Wir -
ächz - sehen uns dann in vier Wochen wieder.
(Nur schnell raus hier, es dreht sich schon alles...)(Wenigstens salutieren hätte sie können - ich sage ja, die Neuzugänge heutzutage sind einfach nicht mehr aus dem Holz geschnitzt, aus dem man Wächter macht. So, wo war ich?) *raschel*2. Die Qualen eines Prüflings (Kathiopeja)Kathiopeja verließ Charlies Büro in Richtung Kantine. Zweifelnd betrachtete sie den ihr gegebene Bücherstapel. Sie hatte nichts gegen Bücher, solange sie in einem Regal in Jacks Wohnzimmer standen oder Kaffee darin erwähnt wurde. Doch diese Wälzer sahen nicht aus, als treffe letzteres auf sie zu. Und dass sie sie nicht einfach im Regal stehen lassen konnte, hatte ihr neuer Ausbilder mit den angekündigten Prüfungen klar gemacht.
Seufzend suchte sich das neue SUSI-Mitglied einen freien Platz in der Kantine und ließ mit einem lauten Knallen die Bücher auf den Tisch fallen, um ihre Kaffeetasse darauf abstellen zu können. Sie ignorierte die Blicke, die ihr einige Kollegen auf Grund des störenden Geräusches zuwarfen und konzentrierte sich voll auf die Tasse vor ihr. Das tiefe Schwarz des Kaffees hatte schon beim Ansehen eine beruhigende Wirkung, wie Kathi fand. Ganz abgesehen vom lieblichen Duft, der mittlerweile leider verflogen war. Dies war ein sicheres Zeichen dafür, dass der Kaffee bereits kalt war, doch solche unwichtigen Details interessierten die ehemalige Ermittlerin schon eine ganze Weile nicht mehr. Hauptsache es war Kaffee da.
Sie nahm die Tasse in beide Hände. Voller Vorfreude sah sie dunkle Wellen über die Oberfläche der Flüssigkeit wandern. Die dem Getränk eigene Bitterkeit kribbelte noch immer auf der Zunge. Viel mehr hatte ihr Kaffee auch nicht mehr mit dem ihrer Kollegen zu tun. Alle Kaffeebohnen, die sie benutzte, waren klatschianische.
Die Hauptgefreite setzte ihre Tasse an den Mund und schloss glücklich die Augen, als die kalte Brühe ihren Rachen hinunter lief.
Als sie die Augen wieder öffnete, traf ihr Blick das oberste Buch, das nun einen Kaffeefleck aufwies.
"Verdammter Charlie!", grummelte sie.
Warum werden die Ausbildungen von Spezialisierung zu Spezialisierung schlimmer?Sie dachte an ihre Zeit bei RUM. Dort hatte es Spaß gemacht, sah man einmal von den teils unangenehmen Zuständen an den Tatorten ab und die würden sie bei SUSI wieder ereilen. Ihre Ausbildung als Ermittlerin hatte damit geendet, dass sie einem Untote mordenden Duo durch die Stadt folgen musste.
[1] Das war nicht schön gewesen, aber immerhin erträglich. Bei FROG hatte sie sich mehr oder weniger selbst ausgebildet, aber dafür die ersten 24 Stunden in ihrer neuen Spezialisierung ohne Kaffee überstehen müssen. Und nun? Nun bekam sie so einen übereifrigen Typen ab, der ihr unbedingt Dinge aus Büchern beibringen wollte. Was konnte man schon groß aus Büchern über Spuren lernen? Vielleicht ein paar schähmi-kalische Zusammenhänge, aber die gehörten doch eh nicht in ihren Aufgabenbereich. Sollten sich doch die Laboranten mit Büchern rumschlagen! Kathiopeja wollte Spannung. Sie wollte die Täter erwischen. Sie wollte zu RUM...
Und sie wollte sich ganz bestimmt
nicht durch diese verdammten Wälzer arbeiten!
Darauf bedacht, dem Buch noch einen weiteren Fleck zuzufügen stellte sie die Tasse etwas zu ruckartig ab. Das gab ihr wenigstens ein kurzes Gefühl der Genugtuung. Zufrieden schaute sie sich den dunklen Kreis an. Dann schnappte sie Bücher und Kaffeetasse und verließ die Kantine.
Eigentlich wollte sie die Ausbildung so bald wie möglich beenden. Schließlich war SUSI nur eine Übergangslösung, bis sie sich wieder bei den RUMlern blicken lassen konnte. Nach der Blamage bei FROG wäre eine sofortige Rückkehr zu ihrer Lieblingsabteilung eines Niederlageneingeständnisses gleich gekommen. Und sie hatte als Knallfrosch definitiv nicht versagt! Nein, ganz und gar nicht!
Nun wurde die Ausbildung anscheinend auch noch richtig anstrengend. Hmm.. Obwohl... eigentlich konnte sie doch auch einfach... Ja, das war die Idee!
Die Wächterin beschloss, nach Haus zu gehen. Was sollte sie auch im Büro? Lesen konnte sie genauso gut bei einem guten Kaffee in einem bequemen Sessel. Sollte das ein oder andere Buch dabei weitere Kaffeeflecken davon tragen, täte ihr das natürlich
furchtbar leid.
Sie öffnete die Wachhaustür, was allein mit den Büchern beladen schon schwer gewesen wäre, doch sie musste nun auch noch auf ihren Kaffee achten, und rannte Magane, die plötzlich hinter dem Bücherstapel auftauchte, fast um.
"Wo willst du denn hin?", fragte die Ermittlerin.
"Nach Haus, zu Studienzwecken. Bei SUSI hat man es eben doch besser."
Die Klatschianerin streckte ihrer Vorgesetzten, die darauf bestand, keine Vorgesetzte zu sein, die Zunge raus und drängte sich an ihr vorbei, noch ehe die etwas entgegnen konnte.
***Die Hauptgefreite lag in ihrem Bett, auf dem Nachttisch eine Kerze, 'Sorgsames Untersuchen Sämtlicher Indizien- ein kleines Handbuch für den Spurensicherer' auf dem Kopfkissen vor ihr aufgeschlagen.
"Blutspuren sind meist getrocknet, doch mit dem von Rebus Mobilus entwickelten Mobilus Reliquidor (siehe Kapitel 3 und 4) kann man sie dennoch für Bluttests wie das Katzenbringersche Nachweisverfahren (Kapitel 5), die Knurblich-Attacke (Kapitel 5) oder den Van-Hälschen-Test (Kapitel 5) benutzen, seltener auch den Fackelmannschen Erl-Test (Kapitel 6), wobei die Komplikationswahrscheinlichkeiten, aus der geringen Blutmenge am Tatort genug Material zu gewinnen, um alle Tests durchzuführen, beträchtlich sind. Daraus folgt, dass man bereits aus den anderen am Tat- oder Fundort zu sichernden Spuren auf die mögliche Rasse des Täters schließen muss, so dass der Bluttest nur zur Belegung der Vermutungen genutzt wird.", las Kathiopeja leise vor, ohne recht zu verstehen, was dort eigentlich stand. Allmählich fielen ihr ohnehin die Augen zu.
So geht das jetzt schon die ganze Zeit!, dachte sie.
Ich hab nichtmal 'ne Ahnung, wofür diese verschiedenen Bluttests gut sein sollen.Sie gähnte, blätterte ein bisschen in dem vor ihr liegenden Buch und beschloss dann, für heute Schluss zu machen. Was dachte sich dieser Charlie eigentlich? Sollte sie tatsächlich all diese Bücher auswendig lernen? Und dann auch noch...
verstehen? Konnte man ihr... nicht einfach erklären..., wofür was...
Die Kerze brannte noch immer, als sich ihr Kopf, mit den verschiedensten Gedanken um ihre Ausbildung gefüllt, auf das 'Sorgsame Untersuchen Sämtlicher Indizien' senkte und sie leise zu schnarchen begann.
***"Ich kann damit einfach nichts anfangen! Und ich will es auch gar nicht!"
Kathiopeja warf ihre derzeitige Lektüre, 'SUSI und der Strolch- Verbrechern auf der Spur', vor Rabe auf den Tisch.
"Du bist doch ausgebildeter Tatortwächter, kannst du mir nicht helfen? Ich ärgere mich jetzt fast eine Woche mit Charlies Büchern rum!"
Der ehemalige Wasserspeier sah seine Freundin über den Rand seiner Tasse aus steingrauen Augen an. Er hatte SUSI vor einiger Zeit verlassen und das nicht ohne Grund.
"Beruhige dich doch bitte erstmal."
"Ich werde mich nicht beruhigen! Meine Ausbildung habe ich mir nun wirklich anders vorgestellt!" Hastig trank sie einen Schluck Kaffee, ehe sie weiter sprach. "Charlie ist einfach mal unfähig und alles, was in den bescheuerten Schinken steht, unnütz!"
Ihr Gegenüber hob die Augenbrauen.
"Also eigentlich ist er in seinem Tschob gar nicht schlecht, er hat auch schon andere ausgebildet."
"Was willst du damit sagen, he?", schnappte Kathi gereizt.
Rabe Raben seufzte innerlich. Manchmal war ihr Temperament einfach nicht mehr zu ertragen.
"Nichts.. frag einfach Olga, die hat er vor 'ner Weile ausgebildet."
"Olga?"
"Ja. Olga-Maria Inoes. Die ist auch bei SUSI, du solltest sie kennen."
Ohne ihn eines weiteren Wortes oder Blickes zu würdigen rauschte Kathiopeja aus seinem Büro.
Einige Sekunden später kehrte sie zurück und griff sich das vergessene Buch, wobei das Funkeln in ihrem Blick Rabe klar bedeutete, dass er besser nichts dazu sagen sollte.
***Olga, dachte die Klatschianerin immer wieder, als sie durch das Wachhaus irrte. Der Name kam ihr tatsächlich bekannt vor. Sie hoffte, dass sie ihre Kollegin wieder erkennen würde, wenn sie sie sah.
Kurz bevor sie resignieren wollte, wurde sie von einer blonden Wächterin angesprochen. Ihr Gegenüber war etwas größer als sie selbst. Zurückhaltend hustete sie.
"Ähm.. du bist doch Kathiopeja, oder? Rabe meinte, du möchtest mich sprechen?"
Die ehemalige Ermittlerin blinzelte verwirrt.
"Olga-Maria?"
Ein Nicken.
Freudig umarmte die Hauptgefreite das andere SUSI-Mitglied, das sich dabei ein wenig unwohl zu fühlen schien.
"Was für ein Glück!"
Kathi ließ ihre Mitwächterin wieder los.
"Ja, ich habe dich gesucht. Ich habe da ein paar Fragen zu Charlie..."
***Kathiopeja hatte genug. Nun endgültig! Wie kam dieser Kerl auf die Idee, sie mit Büchern abspeisen zu können? Sie wollte eine Ausbildung, keine theoretischen Texte für Alchemisten. Das hätte sie auch bei FROG haben können.
Wütend stieß sie die Tür zum Büro ihres Ausbilders auf.
"Sör, so geht das nicht weiter!", begann sie und redete sich weiter in Rage. "Ich kann all diese Bücher nicht lesen, also ich kann schon, aber es bringt nichts. Rein gar nichts. Was soll ich damit anfangen, hm?! Ich bin kein Laborant!"
Erst in diesem Moment fiel ihr auf, dass der Raum leer war. Sie drehte sich um. Ein Kollege von SEALS stand in der immer noch offenen Tür und schaute sie fragend an.
Innerhalb weniger Augenblicke war das Gesicht der ehemaligen Ermittlerin knallrot angelaufen. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken.
Na das hast du ja wieder toll hinbekommen, Kathi. Willst du nicht gleich zum Kommandör gehen und ihm sagen, du seist unfähig? Ich wette der Typ da hat seinen Kollegen nachher lustige Geschichten über verrückte Susen zu erzählen. Na wie gut, dass du eh nicht allzu lang bei SUSI bleiben wolltest. Sollen die Leute doch über die Abteilung denken, was sie wollen. Sie war noch immer peinlich berührt, als Charlie durch die geöffnete Bürotür trat. Verwirrt sah er sie an.
"Du!", rief die Wächterin aufgebracht und deutete mit dem Finger auf ihn. Wegen ihm hatte sie sich grade furchtbar blamiert. Und wegen ihm hatte sie keine Ahnung von ihrer Spezialisierung. Und wegen ihm war im Moment alles so schwer!
Ihr Ausbilder hatte sich in der Zwischenzeit hinter seinen Schreibtisch zurückgezogen. Wortlos blickte er sie an.
Nach einigen weiteren Sekunden fragte er schließlich: "Was ist eigentlich los?"
Die ehemalige Ermittlerin schnaubte.
"Was los ist?! Ich habe mit Olga gesprochen.
Die hat nicht nur Bücher bekommen, sondern fast so etwas wie eine richtige Ausbildung!"
Sie lief zu ihrem eigenen Schreibtisch hinüber, schnappte sie einige der Bücher und knallte sie dem Tatortwächter auf den Tisch.
"Wie lange soll die Ausbildung dauern, wenn ich das alles lesen und verstehen soll? Wäre es nicht einfacher, mir das alles richtig zu erklären?!" Ihr Ton war nun eine Mischung aus Vorwurf und Schmollen. "Du, Sör, bist mein Ausbilder, damit
du mir Dinge beibringst, nicht irgendwelche dicken Schinken."
Der Lance-Korporal betrachtete die Bücher auf seinem Tisch.
"Du willst also von mir lernen?"
"Ja!"
Charlie räumte ein paar der Lehrbücher bei Seite und griff sich das größte von allen.
"Das hier", er deutete auf den Wälzer in seiner Hand, "ist das Compendium der Spurensuche. Ich werde deine Lektüre darauf beschränken."
Kathiopeja setzte zu einer Beschwerde an, doch er war schneller.
"Ich hab es geschrieben, du lernst also von mir. Eine frohe Ausbildung wünsche ich."
Damit drückte er der verblüfften Hauptgefreiten sein Buch in die Hand und gab ihr den Wink, zu gehen.
3. Die Qualen eines Prüfers (Charlie)Charlie sah Kathiopeja nach, die ohne ein weiteres Wort sein Büro verließ, und schüttelte den Kopf. Wieso bekam er immer nur die Problemfälle zugeteilt? Olga-Maria war, alles in allem, auch nicht besser gewesen. Zu faul, um ein paar Bücher durchzulesen, und davon überzeugt, alles besser zu wissen. Und solche Leute wurden Wächter...
Er stopfte sich seine Pfeife nach und seufzte. Je schneller er diese Ausbildung hinter sich brachte, umso besser. Schließlich hatte sie jetzt nur noch ein Buch, was sie studieren musste, also konnte er die Prüfung ja theoretisch schon bald stattfinden, oder? Das war ja sicher auch in Kathiopejas Sinne.
Eine Prüfung... Er ging zu seinem Bücherregal und zog das zweite Exemplar des Compendiums heraus. Es gab nur zwei - das handgeschriebene Original, und eines, das er von seinem Ersparten hatte drucken lassen. Kein Herausgeber hatte sich davon überzeugen lassen, dass dieses Buch sich verkaufen ließe - "trocken", "abgehoben", "unverständlich" und "wirr" waren noch die freundlichsten Begründungen gewesen.
Der Lance-Korporal schnaubte. Sein gesammeltes Praxiswissen, und die nannten es "abgehoben"? Allein um die seiner Meinung nach optimale Zusammensetzung von Fingerabdruckpulver herauszufinden, hatte er drei Tage im SUSI-Labor zugebracht.
Na, das war doch schon eine gute Frage für die Prüfung! Mit dem Manuskript in der Hand ging er zu seinem Schreibtisch zurück und schrieb "
1) Gib die optimale Zusammensetzung von Fingerabdruckpuler an" auf einen Zettel.
Oder die Formel, mit der man aus dem Krümmungsgrad geknickter Grashalme auf das Gewicht der Person schließen konnte, die über die Wiese gelaufen ist. Noch so ein Geniestreich, der in diesem Buch verewigt war. Was war daran unverständlich? "
2) Gib die Formel an, mit der man..."
So füllte sich der Zettel langsam mit Fragen, bis Charlie stolz die Feder sinken ließ. Na bitte - wer diese Prüfung bestand, konnte sich mit Fug und Recht Spurensicherer nennen. Oder
Tatortwächter, korrigierte sich der Lance-Korporal, der mit dieser Bezeichnung noch nie etwas hatte anfangen können.
Damit war das Thema schon mal abgehakt.... jetzt musste er es nur noch überstehen, diese Frau auf einen Tatort mitzunehmen. Aber das konnte ja nicht sooooo schlimm werden, oder?
"Vorsicht! Nicht anfassen! Denk an die Fingerabdrücke!"
Kathiopeja hatte sich dem Ort, wo Lord Lempels kostbarstes Gemälde einmal gehangen hatte, noch nicht einmal auf drei Schritte genähert, als Charlie sich zwischen sie und die Wand stellte.
"Achte immer darauf, keine Spuren zu verwischen", belehrte er sie, und die Hauptgefreite konnte es sich nicht verkneifen, mit den Augen zu rollen.
Was denkt er eigentlich, mit wem er redet?, fragte sie sich.
Mit einem Kleinkind?"Das wichtigste bei der Spurensuche ist ein Auge fürs Detail", fuhr der Lance-Korporal fort und bedeutete ihr mit einer Geste, ein paar Schritte zurückzugehen. Dann zog er eine Lupe aus seinem Ausrüstungskoffer und suchte auf den Knien den Boden ab. "Hier zum Beispiel - ein Haar. Ein
braunes Haar." Charlie hob das kurze Haar mit einer Pinzette auf und steckte es behutsam in einen Beutel.
"Sollte man nicht zuerst...", setzte die Wächterin zaghaft an, doch Charlie hörte nicht auf sie: "Haare, Abdrücke im Staub, und natürlich Fingerabdrücke an der Wand, sind die ersten Spuren, auf die man achten sollte, aber auch Menschenkenntnis und eine gute Beobachtungsgabe spielen natürlich eine wichtige Rolle. Du wirst wohl nicht darauf geachtet haben, aber der Diener, der uns die Tür geöffnet hatte, hatte braune Haare, die von der Länge her zu diesem Haar passen. Außerdem sind seine Schuhe vor kurzem repariert worden, wie man unschwer an den Absätzen erkennen kann, und sein Anzug ist neu. Er ist also gerade zu Geld gekommen - vielleicht, weil er das Gemälde verkauft hat? Wenn wir hier seine Fingerabdrücke finden, dann..."
Kathi sah den Lance-Korporal nur stumm an und verzichtete darauf, ihn darauf hinzuweisen, dass die Wahrscheinlichkeit, in diesem Haus die Fingerabdrücke eines hier arbeiteten Dieners zu finden, nicht gerade gering war, unabhängig davon, ob dieser Diener ein Gemälde gestohlen hatte oder nicht.
"Sobald wir wissen, wann der Lord den Diebstahl bemerkt hat, können wir..."
"Ist es nicht eigentlich unsere Aufgabe, die Spuren zu sichern, und die Ermittlung den... nun ja, den
Ermittlern zu überlassen?", unterbrach sie.
"Ach,
Ermittler", grummelte Charlie. Auch Zeugenaussagen sind eine Art von Spuren, oder nicht? Und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, dafür braucht man nun mal den geschulten Verstand eines Spurensicherers. Nichts gegen Ermittler, aber man kann viel Mühe sparen, wenn man ihnen schon mal die Spuren so zurechtlegt, dass sie nicht mehr viel zu ermitteln haben, wenn du verstehst, was ich meine."
Du meine Güte, dachte Kathiopeja.
Der Kerl ist ja noch schlimmer, als ich gefürchtet habe. Aber laut erwiderte sie nur ein unverbindliches "Hm".
Charlie monologisierte eine Weile weiter über Fußabdrücke, Maße, Gewichte, und erwähnte einmal sogar die relative Ausbreitungsgeschwindigkeit von Schimmel auf frischem Brot, ohne dass die Hauptgefreite richtig hinhörte.
Soviel also zum Thema Praxiserfahrung... Die Hauptgefreite seufzte.
Je schneller ich das hier alles überstehe, um so besser.So stand sie einfach abwartend im Raum, während Charlie kaum erkennbare Abdrücke am Boden nachmaß, Fingerabdrücke vom Fenster nahm und generell jedes kleinste Detail im Raum in sich aufzusaugen schien. Wann immer sie sich ihm näherte, schaute er auf und sah sie so finster an, dass sie automatisch gleich wieder einen Schritt zurückwich.
Schließlich wurde es ihr zu bunt. "Ich glaube, es gibt keinen Quadratmillimeter hier im Raum, den du nicht schon mehrmals abgesucht hast, oder?", unterbrach sie seinen ständigen Monolog. "Und wahrscheinlich wird der Täter eh irgendein kleiner Dieb sein, der einfach auf gut Glück hier eingedrungen ist. Dass hier ein Haar des Butlers zu finden ist, ist schließlich nicht gerade ungewöhnlich, oder?"
Charlie sah sie an wie ein Priester ein kleines Kind ansehen würde, dass im Tempel einen schmutzigen Witz über Om gemacht hat, und schüttelte schließlich den Kopf. "Du musst eindeutig noch lernen, die Spuren richtig zu deuten, Hauptgefreite. Lass mich meine Arbeit machen und schau einfach zu, ja? Ach ja, und in drei Tagen ist deine theoretische Prüfung. Ich hoffe, bis dahin hast du das Compendium durch."
Die Wächterin erstarrte und sah ihren Ausbilder nur fassungslos an. "In drei Tagen? Ich habe doch noch gar nicht..."
"Wenn du nicht gelernt hast, ist das nicht mein Problem", entgegnete Charlie kurz angebunden und wandte sich wieder seinen Spuren zu.
Drei Tage später saß Charlie wieder in seinem Büro und sammelte die Zettel für die theoretische Prüfung zusammen. Zwar glaubte er nicht daran, dass die Hauptgefreite wirklich eine Chance hatte, aber sie hatte darauf bestanden, es so bald wie möglich zu versuchen. Und wenn sie durchfiel - na und? Vielleicht würde sie dadurch lernen, nicht ganz so vorlaut zu sein.
Gut, sie hatte recht damit gehabt, dass der Dieb ein kleiner Krimineller war und mit dem Diener nichts zu tun gehabt hatte - ein Szenekenner der Wache hatte den Täter über einen Hehler aufgespürt, bei dem das Bild zum Verkauf angeboten worden war - aber was hieß das schon? Wenn er etwas mehr Zeit gehabt hätte, die Spuren zu analysieren, wäre er sicher zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Und sie hatte schließlich nur geraten, nicht wahr?
Aber wie dem auch sei, er war Profi genug, seiner Auszubildenden ihre überhebliche und voreilige Art nicht zum Vorwurf zu machen. Auch wenn es ihr an sozialen Fähigkeiten mangeln mochte, hatte sie vielleicht das Zeug zu einem guten Spurensicherer - auch wenn er noch keine Anzeichen dafür bei ihr entdeckt hatte. Charlie war stolz darauf, sich keine vorschnellen Urteile zu erlauben. Und wenn sie den Test bestand, dann war das schließlich ein Zeichen dafür, dass seine Ausbildung gefruchtet hatte.
Er ordnete die Zettel und sah zur Tür. Eigentlich musste sie jede Minute hier sein...
4. Die Theorie (Kathiopeja)Allmählich wurde Kathi nervös. Unschlüssig betrat sie das Wachhaus. Sie wusste nicht wirklich, was von Charlies Theorietest zu erwarten war. Außerdem hatte sie keinen einzigen Blick in das Compendium geworfen. Schweißperlen traten ihr auf die Stirn. Und wenn das, was man ihr beigebracht hatte nicht reichte? Oder sie alles wieder vergessen hatte?
Ganz ruhig, Kathi. Du weißt das alles. Tief durchatmen.Nachdem sie einen Schluck Kaffee aus ihrer Tasse genommen hatte, fühlte sie sich viel ruhiger und rief sich die Nachhilfestunden bei Rabe in Erinnerung.
"Zuerst musst du alles erst einmal genauestens ikonographieren.", sagte Rabe. "Manchmal beschweren sich dann die Dämonen, aber du weißt wohl aus eigener Erfahrung, dass so eine Ikonographie später Gold wert sein kann."
Kathiopeja nickte und machte sich eifrig Notizen.
"Ja, ist klar."
"Und nachdem du das getan hast, geht es mit der Leiche weiter. Auch das ist natürlich besonders wichtig, immerhin..."
"Hab ich verstanden, danke. Ich bin ja nicht ganz blöd. Immerhin war ich mal Ermittlerin!"
"Ist gut, dann erkläre ich dir eben nicht alles ganz genau. Jedenfalls... solltest du sonst noch Spuren finden, solltest du auch diese gut sichtbar ikonographieren, soweit möglich. Wenn du deine Arbeit nicht richtig machst, entkommen deswegen vielleicht Mörder."
"Rabe, du musst mich wirklich nicht belehren. Ich bin kein Kleinkind!"
"Weißt du, manchmal..."
Ehe der ehemalige Wasserspeier aussprechen konnte hatte seine Freundin schon ihren Bleistift nach ihm geworfen.
"Au!"
"Los, weiter im Text, sonst gibt's noch mehr."
Der Wächter verzog das Gesicht.
"Jawohl, gnädiges Fräulein.", erwiderte er und verbeugte sich übertrieben.
Die Hauptgefreite rollte nur mit den Augen, hob ihren Stift wieder auf und wartete auf weiteres Lehrmaterial.
"Also... wo war ich?"
"Bei sonstigen Spuren."
"Ja, genau! Die musst du natürlich auch ikonographieren. Am besten ordnest du sie noch, ehe du sie in die Akte tust und RUM übergibst. Oder DOG. Einer von beiden wird schon zuständig sein. Es könnte natürlich auch an SEALS..."
"Immer zur zuständigen Abteilung. So weit so gut. War's das etwa zu dem Thema?"
"He! So lang habe ich nun mal nicht Pause, um dir stundenlange Vorträge zu halten. Aber am besten übst du in der nächsten Woche ein wenig und zeigst mir dann, wie deine Bilder geworden sind."
"Ich soll das Ikonographieren üben? Du spinnst doch."
"Übung macht den Meister.", antwortete Rabe ernst. "Und du willst doch wohl gut werden?" Also hatte sie die folgende Woche geübt mit dem Apparat umzugehen. Das war bei weitem nicht so einfach gewesen, wie sie sich das vorgestellt hatte.
Ihre ersten Bilder waren grundsätzlich verwackelt oder "nicht eindeutig genug", wie ihr Nachhilfeausbilder dazu sagte.
Doch es dauerte nur ein paar Tage und sie hatte den richtigen Dreh raus.
"Nicht perfekt, aber es reicht allemal. Siehst du da ist die Schrift der Giftflasche sehr verwackelt.", sagte Rabe und deutete auf eines der Bilder, "Ich denke, wir können trotzdem zum nächsten Punkt übergehen..."
Eine lange Pause entstand.
"Nun sag schon!", drängelte Kathi ungeduldig.
"Spurensuche samt Fingerabdrücken sichern und vergleichen."
"Spurensuche", schrieb die Tatortwächterin in Ausbildung groß auf ihren Block und unterstrich es zweimal.
"Wichtig ist dabei vor allem, dass du kein noch so kleines Detail übersiehst."
Er hielt ihr einen Zettel unter die Nase.
"Was siehst du?"
"Ähm.. ein Stück Papier?"
"Nein! Also schon... Aber was noch?"
"Nichts was noch.", erwiderte Kathiopeja genervt. "Es ist ziemlich vergilbt, ein wenig geknickt und auch sonst nicht wirklich in gutem Zustand."
"Was steht drauf?", fragte Rabe ungeduldig.
"Wie, was steht drauf? Es ist unbeschrieben!"
"HA!", machte der Ermittler in Ausbildung und klatschte lautstark in die Hände, wobei der Zettel in seiner Hand zerknüllt wurde. "Eben nicht!"
Der ehemalige Wasserspeier sah in das ratlose Gesicht seiner Kollegin.
"Gib mir deinen Stift."
Kathi rollte die Augen. "Ach der alte Trick."
"Ja, der alte Trick. Auch so was musst du dir angewöhnen. Jedes Teil kann wichtig sein. Vor allem solche Kleinigkeiten."
"Du sagtest ja schon, ich soll auf alles achten."
"Aber das hast du eben nicht."
"Jaja.. Mission verstanden, ich suche also nach möglichst verdächtigen Dingen. Das sollte mir als Ermittlerin nicht schwer fallen."War das Hochmut gewesen? Vermutlich. Aber irgendwie hatte sie schon Recht gehabt. Die Spurensuche an sich war auch nicht unbedingt das Problem gewesen. Richtig schlimm war es erst danach geworden.
"Stimmt, immerhin hast du zumindest eine Ahnung, wie die von dir gesicherten Spuren weiter verwandt werden. Doch eine der wirklichen Königsdisziplinen des Tatortsicherns ist das Fingerabdrucknehmen und das bereitet vielen Ärger.", fuhr Rabe fort. "Zuerst einmal haben wir hier Fingerabdruckpulver."
Er zeigte ihr eine kleine Dose, gefüllt mit dunkelgrauem, sehr feinen Staub.
"Ich kenne sie, es ist meine."
"Aber kannst du sie auch benutzen?"
"Wenn ich das könnte, wäre ich nicht hier."
"Komm mal her, ich habe hier verschiedene Untergründe, auf denen alle Fingerabdrücke verschiedener Leute sind. Zuerst einmal musst du für jeden Untergrund das Pulver richtig dosieren. Es gibt unter Umständen sogar verschiedene Pinsel zum Auftragen. Ich zeig dir das einmal und dann versuchst du es selbst."Und Rabe hatte absolut richtig gelegen. Die Angelegenheit sah so simpel aus und brauchte trotzdem so viel Übung. Warum gab es nicht einfach einen Dämon, der das erledigen konnte? Wenn der es einmal gelernt hatte, nähme er den sowieso überforderten Tatortwächtern jawohl einiges an Arbeit ab! Stattdessen musste sie sich selbst mit der Angelegenheit herum schlagen.
"Nein, nein und nochmals nein!", rief Rabe aus.
Der Fingerabdruck, den Kathi ihm abgenommen hatte war verwischt und unkenntlich.
"Du darfst nicht rutschen. Wenn du den Finger hin und her wiegst, damit alles drauf ist, dann langsam."
"Das war doch langsam!", wehrte die Hauptgefreite ab.
"Dann frage ich mich, warum der Abdruck schon wieder nicht benutzbar ist."
Er nahm ihre Hand und legte sie auf seine Linke.
"Da musst du festhalten. Und dann bewegst du den Finger so über die Tinte."
Vorsichtig rollte der Wächter seinen Daumen von links nach rechts.
"Das ist langsam. Und genauso machst du es jetzt auf dem Papier für den Abdruck."
Kathiopeja tat wie ihr geheißen, dabei zitterten ihre Hände leicht. Wie lange war ihr letzter Kaffee wohl her? Bestimmt eine Stunde. Hoffentlich war das hier bald vorbei, sie wollte unbedingt...
"Au! Wo bist du mit deinen Gedanken? Weiter kannst du den Daumen nicht drehen!"
"Oh, tut mir Leid..."
Rabe Raben warf einen Blick auf das Ergebnis. Es war schon besser, vielleicht sogar so gut, dass man es mit anderen vergleichen könnte.
"Du brauchst noch Übung, meine Kleine."
Die Klatschianerin warf ihrem Freund einen wütenden Blick zu.
"Aber ich bin zuversichtlich, dass das wird. Pass auf, wir versuchen folgendes: Ich habe fünf verschiedene Gegenstände mitgebracht, du suchst die Fingerabdrücke, sicherst sie und bekommst dann raus, welchen davon ich angefasst habe. Ich muss zurück zum Dienst, nutz die Zeit bis morgen."Allein zum Pulverauftragen hatte sie den halben Nachmittag gebraucht. Doch bei dem Glas, das Rabe mitgebracht hatte, dem letzten der fünf Gegenstände, war es schon recht gut gegangen. Allmählich hatte sie ein Gefühl für das Pulver, die Pinsel und die Untergründe bekommen.
"Soo... geschafft."
Sie betrachtete ihre erfolgreiche Arbeit. Sicher, es war fast mehr Pulver an ihr und der Umgebung kleben geblieben als an den Abdrücken. Aber es war ihr dennoch gelungen. Behutsam löste sie das mit Klebstoff beschmierte Papier vom Halter und schnitt es zurecht.
"So, du kommst dahin.."
Bevor Kathi das erste Stück behutsam auf dem Stift platzierte, nahm sie noch einen großen Schluck Kaffee. Danach wandte sie sich dem Keramikbecher und dem Buch zu.
Erst der vierte im Bunde, eine kleine Pferdestatue, bereitete ihre große Probleme. Der Abdruck war direkt auf die Maulspitze geraten. Wie sollte sie das Papier dort anbringen?!
"Hmm... ich könnte versuchen, es zu knicken.", überlegte sich die junge Frau.
Noch ehe sie die zweite Ecke in dem Trägerpapier hatte, hörte sie es bereits reißen. Auch der nächste Versuch wurde nicht besser.
"Ich habe keine Lust, mich mit dir zu streiten.", mit einem Blick auf die Uhr fügte sie hinzu: "Und auch keine Zeit. Wenn Rabe dich angefasst hat, wird keiner der anderen Gegenstände seinen Abdruck tragen und wenn nicht, brauche ich dich sowieso nicht."In diesem Moment hatte sie wirklich einen guten Einfall gehabt. Tatsächlich war sie auch heute noch stolz auf diese Idee. So war sie gut um das Pferdeproblem herum gekommen. Ein bisschen Kreativität gehörte nun mal auch dazu. Das war ihr spätestens beim Vergleich der Fingerabdrücke aufgefallen.
Mit der Lupe in der Hand schwenkte ihr Blick immer wieder zwischen Rabes und dem gesicherten Abdruck hin und her.
"Reichen die Ähnlichkeiten jetzt aus oder nicht?!", fragte sie sich immer wieder. Bereits gefunden waren 7 Gleichheiten, doch auch drei Ungleichheiten fielen ihr auf.
"Du kommst in die Kategorie 'möglich'", meinte sie schließlich und besah ihre Ergebnisse.
Drei der Gegenstände konnte sie ausschließen, Rabe hatte weder das Glas, den Stift, noch den Becher angefasst. Doch das Buch machte ihr Probleme. Und dem Pferd hatte sie noch immer keinen Abdruck abgewinnen können, weshalb ein guter Vergleich unmöglich war.
Rabe betrat das Zimmer.
"Zeit für Ergebnisse.", erklärte er.
Die Tatortwächterin in Ausbildung seufzte.
"Das Pferd war unmöglich. Ich konnte den Abdruck nicht auf Papier sichern, habe ihn aber so weit wie möglich mit deinem verglichen. Dummerweise ist auch der vom Buch deinem ähnlich. Einer von den beiden war es, aber frag mich nicht, welcher."
Der Wächter grinste breit. "Beide."
Ehe seine Kollegin ihm an den Hals fallen konnte, ergänzte er: "Und dein Problem mit dem Pferd kann ich verstehen. Manche Dinge sind nun mal kaum möglich. Wir machen die ganze Übung noch einmal, und dann solltest du bereit sein."Und genauso war es gewesen. Endlich war sie bereit.
***Selbstbewusst betrat Kathiopeja Charlies Büro. Sie wusste alles über das Spurensichern, da war sie sich absolut sicher. Sie konnte gar nicht durchfallen! Das war unmöglich.
"Setz dich.", forderte ihr Ausbilder sie auf. "Ich hoffe, du hast dich gut vorbereitet. Das wird nicht einfach."
Die Hauptgefreite zuckte mit den Schultern.
"Lass mich schnell die Fragen beantworten und dann können wir zur Praxis übergehen."
Der Tatortsicherer hob eine Augenbraue. Wortlos überreichte er seiner Kollegin den Fragebogen und verkroch sich hinter seiner Zeitung.
Kathi sah sich die Aufgaben an. Sie schluckte.
1) Gib die optimale Zusammensetzung von Fingerabdruckpuler an., stand da.
"Das ist doch wohl ein Witz."
Charlie reagierte nicht auf ihre Worte.
2) Gib die Formel an, mit der man aus dem Krümmungsgrad geknickter Grashalme auf das Gewicht der über die Wiese gelaufenen Person schließen kann.Das hat er doch mit Absicht gemacht!, dachte sich die Auszubildende und überflog weitere Fragen.
6) Gib die ideale Farbmischung für Ikonographen an.
15) Welche Lupenmodelle eignen sich besonders zur Tatortsicherung? Begründe kurz!Schwitzend blätterte der Prüfling um. Panik breitete sich in der ehemaligen Ermittlerin aus. Das konnte sie niemals beantworten! Woher sollte sie so was wissen? Sie würde durchfallen. Sang- und klanglos durchfallen. Sie hatte doch schon als Knallpulverexpertin versagt! Sie war sich so sicher gewesen, das Tatortsichern läge ihr! Eine weitere Niederlage konnte sie unmöglich verantworten. Vielleicht hatte ihre Mutter Recht gehabt und das Wachedasein war wirklich nichts für sie...
34) Statistisch gesehen sind Männer für wie viel Prozent der Gewalttaten verantwortlich?Was hatte das denn mit ihrer Spezialisierung zu tun?!
Kathiopeja war auf der letzten Seite des Tests angekommen.
50) Was sollte man zuerst tun, wenn man an einen Tatort kommt?Sie las die Frage noch mal.
50) Was sollte man zuerst tun, wenn man an einen Tatort kommt?Ha! Das wusste sie!
51) Wieso sind Ikonographien des Tatorts so wichtig?Eilig kritzelte sie auch dazu ihre Antwort.
53) Worauf muss man beim Sichern von Fingerabdrücken achten?
56) Wie verhält man sich an einem Tatort, an dem man eine Quittung findet?Geräuschvoll legte sie Charlie die fertige Prüfung vor die Nase.
Er blätterte durch die Seiten.
"Sieht nicht aus, als hättest du bestanden."
"Schau doch mal am Ende, ich wusste die gesamte letzte Seite!"
Der Lance-Korporal tat, wie ihm geheißen.
"Selbst wen die alle richtig sind, macht das 11 von 60 Fragen. Durchgefallen. Du solltest besser deinen Schreibtisch räumen."
Sprachlos stand seine Untergebene vor ihm.
"Aber der Rest der Fragen waren doch für den Alltag als Tatortwächter total unwichtig!"
Charlie ging nicht darauf ein, die Prüfung verschwand in einer Schublade und er wieder hinter seiner Zeitung.
Unbeweglich stand Kathi vor dem Schreibtisch. Was sollte sie jetzt tun?
"Ähem... du kannst gehen.", erklärte der Tatortwächter.
Kaffee..., war alles, was der Hauptgefreiten schließlich einfiel.
***Deprimiert saß die Wächterin in der Kantine, nippte ununterbrochen am Kaffee und betrachtete ihre Kollegen. Warum musste so was immer ihr passieren? Was hatte sie an sich, dass Unglück anzog?
Sie hatte sich so viel Mühe gegeben, alles zu lernen. Hatte ihre Freizeit geopfert! Hatte sich gute Lehrer gesucht und sofort nachgefragt, wenn sie etwas nicht verstand, anstatt es sich später verzweifelt selbst beibringen zu wollen. Was hatte sie falsch gemacht? Mochte Schicksal sie einfach nicht?
Nur weil dieser eingebildete Lance-Korporal vollkommen belanglose Fragen stellte! Durfte er das überhaupt? Wusste Sillybos von diesem Test? Hatte er ihn abgesegnet? Immerhin war er definitiv der Tatortsicherer mit der meisten Erfahrung.
Das war es! Die Lösung des Problems!
Kathi sprang auf und ignorierte den dabei verschütteten Kaffee auf dem Tisch.
"Silly!", rief sie, als sie kurz darauf in das Büro des Abteilungsleiters stürmte. "Silly..."
Sie atmete ein paar Mal tief durch.
"Charlie. Der Test. Du musst's dir ansehen. Stimmt alles nicht!"
Verwirrt betrachtete der Philosoph seine Untergebene. Vor ihm lag eine Auswahl Seife, die er offensichtlich grade einer eingehenden Untersuchung unterzog.
"Ich meine... Charlie hat mich doch einen Test machen lassen. Aber die meisten Fragen waren vollkommen unerheblich für die Spezialisierung und darum bin ich durchgefallen! Du musst dir das mal ansehen.", sprudelte es aus der Klatschianerin. Nach ein paar Momenten fügte sie sicherheitshalber hinzu: "Sör."
"Lässt du mich jetzt wieder allein, wenn ich dir versichere, mit ihm zu sprechen?"
Die Hauptgefreite nickte heftig.
"Selbstverständlich. Nur lass dir nicht so viel Zeit, er will nämlich, dass ich meinen Schreibtisch räume!"
"Ich werde mir das ansehen, ganz sicher. Doch zuerst werde ich das hier zu Ende bringen."
Etwas besser gelaunt verließ Kathiopeja Sillys Büro.
Tja, Charlie, jetzt sehen wir ja, wer das letzte Wort hat, dachte sie selbstsicher.
5. Die Praxis (Charlie)Der Lance-Korporal war gerade in Band E-J von
Gräser und Samen der Sto-Ebene vertieft, als der Abteilungsleiter bei ihm anklopfte. Er hob den Kopf, um mit einem schroffen "Ja?" zu antworten, besann sich aber, als er die Art des Klopfens wieder erkannte. Das war keine vorlaute Auszubildende, sondern eine der wenigen Personen in der Wache, denen Charlie Holm so etwas wie Respekt entgegen brachte. Mit Silly hatte er immer gut zusammen arbeiten können, als die beiden noch ein Tatortwächter-Team gebildet hatten - was vielleicht vor allem daran lag, dass sie beide in ihren eigenen Welten lebten.
"Komm rein", forderte er seinen Chef auf.
Silly betrat das Büro und nahm auf dem Besucherstuhl Platz. Der Geruch von Seife mischte sich mit dem scharfen Tabakgestank, der das Büro durchzog, und bildete einen interessanten Kontrapunkt.
"Kathiopeja hat mich angesprochen", begann Silly ohne weitere Umschweife, und Charlie seufzte innerlich auf. Damit hätte er ja rechnen können - statt zu akzeptieren, dass sie noch mehr lernen musste, lief sie gleich zur Abteilungsleitung, um sich zu beschweren.
"Und, was will sie? Ich habe den Test fair erstellt und bewertet."
"Das du ihn fair bewertet hast, glaube ich dir gerne, aber erstellt? Muss ein Tatortwächter wirklich wissen, um wie viele Millimeter der durchschnittliche klatschianische Fuß kleiner ist als ein morporkianischer?"
"Natürlich. Die Klassifizierung von Fußabdrücken ist ein elementarer..."
Silly unterbrach ihn mit einer unwilligen Geste. "Meinst du nicht, dass du den Fokus ein kleines bisschen zu sehr auf trockenes Bücherwissen legst?"
"Wieso zu sehr? Bücherwissen ist doch essenziell, um Spuren korrekt analysieren und interpretieren zu können. Wer die wichtigsten Informationen nicht präsent hat, dem fehlt das Zeug, um ein guter Spurensicherer zu sein."
"Nun ja, was die
wichtigsten Informationen sind, darüber ließe sich sicher streiten. Und ich erinnere mich, dass du dich mal mit Händen und Füßen dagegen gesträubt hast, Lehrbücher zu lesen..."
"Wie bitte?"
"Erinnerst du dich nicht mehr an deine eigene Ausbildung? Darf ich dich daran erinnern, dass du beim ersten Anlauf
durchgefallen bist, weil du nicht das damalige Standardwerk zur Spurensicherung durchgelesen hast?"
[2]Charlie spürte, wie er rot wurde. "Das war etwas völlig anderes. Was in dem Buch stand war irgendein praxisferner Blödsinn, der für die Arbeit völlig irrelevant war. Mein
Compendium hingegen enthält elementare und wichtige Informationen, die direkten Einfluss auf die erfolgreiche Spurensicherung haben."
"So?" Silly konnte sich ein kurzes Grinsen nicht verkneifen, wurde dann aber gleich wieder ernst. "Hör zu, Charlie. Ich möchte, dass du mit Kathiopeja eine praktische Prüfung machst. Wenn sie die besteht, dann gilt das als bestandene Ausbildung. Und ich schaue euch beiden dabei über die Schulter."
"Aber-"
"Nein, keine Widerrede." Silly schüttelte den Kopf. "Du magst ein guter Tatortwächter sein, aber vielleicht solltest du auf das Ausbilden doch lieber verzichten..."
Zwei Tage später begab sich Charlie früh am Morgen, zu der Zeit, in der der Großteil der rechtschaffenen -ha!- Bürger Ankh-Morporks noch schlief und die kriminellen Elemente langsam zur Ruhe kamen, in eine verlassene Gegend des Hide Parks. Es hatte in der Nacht ein wenig geregnet, was dem Lance-Korporal sehr gelegen kam: Es sollte schließlich ein fairer Test werden, und auf feuchter Erde waren die Fußabdrücke schließlich besser zu erkennen. Persönlich erwartete er von seiner Schülerin zwar, dass sie imstande war, auf jedem Untergrund Fußspuren zu erkennen, aber irgendwie vermutete er, dass Sillybos da anderer Meinung gewesen wäre.
Er hatte eine große Tasche dabei, aus der er zunächst eine lange Rolle Absperrband holte und ein Areal von etwa 50 Quadratmetern abtrennte, wobei er sorgsam darauf achtete, diesen Bereich nicht zu betreten.
Wenn Sillybos eine praktische Prüfung wollte, dann sollte er sie bekommen.
"Da bist du ja, Hauptgefreite!" Charlie bemühte sich, sich die Verärgerung, dass Kathiopeja drei Minuten verspätet war, nicht anmerken zu lassen. Auch Sillybos war schon vor einer Viertelstunde angekommen und wartete geduldig. "Dann kann die Prüfung ja gleich beginnen." Charlie deutete auf den abgesperrten Bereich. "Vor wenigen Stunden ist hier jemand entlang gegangen. Deine Aufgabe ist es, die Spuren in diesem Gebiet zu analysieren und so viel wie möglich über die Person und das, was sie hier getan hat, herauszufinden."
6. Suchen und Sichern (Charlie und Kathi)Kathi sah sich das Feld an. Von weitem sah sie die Fußspuren, die offensichtlich von dem ominösen Menschen hinterlassen wurden.
Wer da wohl durch den Matsch gelaufen ist..., dachte sie.
Aber wenn ich jetzt sage, Charlie war's, fall ich wohl durch.Charlie holte die Stiefel aus der Tasche. Sie waren ihm ein paar Nummern zu groß, aber so hatten sie haargenau die Größe, die im Durchschnitt zu einem 1,92 Meter großen Menschen passte. Jetzt fehlte nur noch... aaah, ja.
Der Lance-Korporal ging an den Rand des Weges, an dem ein paar größere Steine lagen, und wog ein paar davon in der Hand. 15 Kilo mehr Gewicht, also ein leichtes Übergewicht gemessen an der Körpergröße. Kathiopeja musste nur von der Tiefe der Abdrücke auf das Gewicht zurückrechnen - zusammen mit der Schuhgröße würde ihr das schon alles über Größe und Gewicht der Person sagen können.Die Wächterin seufzte. Vorsichtig betrat sie den Matsch und achtete bei jedem Schritt darauf, nicht in eine Spur zu treten.
Sie zückte den Ikonographen und fand sofort, direkt zwischen dem Anfang der Fußabdrücke im Matsch und einem Strauch, eine einzelne rosafarbene Blüte. Es war beschwerlich, die Handschuhe über zu ziehen, dennoch kam sie in diesem Moment nicht auf die Idee, den Apparat in ihren Hände zu diesem Zwecke bei Seite zu legen. Das leise Grummeln aus dem Inneren der Kiste wies darauf hin, dass dem Dämon all dieses Gewackel gar nicht gefiel. Schließlich sah die Wächterin ein, dass sie den Ikonographen sowieso spätestens bei der Untersuchung der Blüte woanders unterbringen musste. Einen Moment haderte sie mit ihrem eigenen Stursinn, um dann doch den Quader samt Dämon zu verstauen. Nun war es auch kein Problem mehr, die erforderlichen Handschuhe überzustreifen.
Behutsam hob die Klatschianerin die Blume an.
"Ah, da ist ein wenig Blut dran. Na mal sehen, ob mir das was nützt. Vielleicht gibt es ja irgendwo Hinweise, welcher Rasse unser Verdächtiger angehörte. Für alle Bluttests dürfte das bisschen nicht reichen."
Mit den Stiefeln an den Füßen und den Steinen in der Tasche betrat Charlie den abgesperrten Bereich. Ein Mensch, den Stiefeln nach männlich, wahrscheinlich 1,92 Meter groß, ist hier lang gegangen. Was hat er gemacht? Ah ja...
Zielstrebig schritt er zu einem der wilden Rosensträucher, die hier im Park wuchsen, und pflückte eine Blüte ab. Ja, und dann...
"Autsch!"
Fluchend ließ Charlie die Blüte in den Schlamm fallen und hielt sich seinen blutenden Daumen. Verdammte Dornen. Aber... wieso eigentlich nicht? Noch eine Spur, die Kathiopeja finden konnte. Blut war immer eine gute Spur. Das ich da nicht selbst drauf gekommen bin...
Er wandte sich wieder zum Busch und pflückte sich eine zweite Blüte, dieses Mal deutlich vorsichtiger.Kathiopeja fand keine weiteren Hinweise und so packte sie den Beweis in eine der dafür vorgesehenen Tüten. Dann folgte sie dem Verlauf der Fußabdrücke und machte genauestens auf alles achtend Bilder. Besonders die Spur lichtete sie mehrmals einzeln ab.
Sie folgte ihr zu einem Baum.
Zigarettenasche. Sehr viel auf einmal. Hmm.. Dann hat er wohl am Platz geraucht. Oder es waren mehrere Raucher, aber sonst ist nirgendwo Asche zu finden und auch keine weiteren Fußspuren. Also doch nur einer.Mit der Blüte in der einen Hand und der Tasche in der anderen ging Charlie weiter. Der geheimnisvolle Mann hat eine Blüte gepflückt und sich dabei in den Finger gestochen - und dann? Dann ist er... zu diesem Baum hier gegangen, genau. Auf diesem niedrigen Ast könnte er gesessen haben...
Charlie holte ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche und zündete eine davon an. Wenn er auf dem Ast saß und geraucht hat, dann wäre die Asche genau hier hin gefallen... sehr gut."Na was bist du denn?", fragte sie zwei tiefe Fußabdrücke, die sie eben direkt unter dem Baum entdeckt hatte. Sie blickte am Stamm hinauf.
"Ein Ast. Dann hat er wohl da oben gesessen und geraucht und beim Runterspringen diese tiefen Furchen hinterlasse. Erstaunlich, dass er in dem Matsch nicht weggerutscht ist. Scheint ein sportlicher Typ zu sein."
Auch die tieferen Spuren lichtete sie genau ab, ebenso wie den Baumstamm, an dem sie allerdings keine Rückstände oder sonstige Hinweise finden konnte.
Angewidert rümpfte der Lance-Korporal die Nase. Er verabscheute Zigarettenrauch - besonders von einem so billigen Tabak wie diesem. Aber dies war ein Tabak, den er im Kapitel "Rauchwaren" des Compendiums detailliert beschrieben hatte, und wenn Kathiopeja ihre Hausaufgaben gemacht hatte, dann würde sie sicher an der Konsistenz der Rückstände feststellen können, dass es sich um eine billige Import-Marke handelte, die vor allem in Seemannskreisen sehr beliebt war - wie übrigens auch die Marke der Stiefel, die er trug.
Geduldig wartete er, bis der Stummel zu zwei Dritteln heruntergebrannt war, und ließ ihn dann neben der Asche auf den Boden fallen. Der Mann - 1,92 Meter groß und wahrscheinlich Seemann - hatte also eine Rose gepflückt und auf diesem Baum auf etwas gewartet - jedenfalls hatte er keine Zeit gehabt, die Zigarette zu Ende zu rauchen, bevor er vom Baum gesprungen ist.
Gesprungen... Charlie trat auf den Baum zu und drehte sich um, so dass er vom Stamm fort schaute. Dann sprang er einmal kräftig hoch. So, hier ist er gelandet."Die Fußspur führt danach wieder weg.", sprach sie zu sich selbst. "Oh, da ist ja der Zigarettenstummel."
Vorsichtig, um im Matsch nicht auszurutschen, hockte sie sich hin und steckte den Ikonographen in ihre Tasche.
"Da bin ich mal gespannt, was du mir so sagen kannst."
So sehr Kathiopeja auch suchte, sie fand an der Zigarette keinerlei Abdrücke.
"Armes Ding, da hat dich jemand einfach runter brennen lassen."
Schulterzuckend tütete sie das Beweisstück ein und beschriftete dann den Behälter. Noch immer in der Hocke, blickte sie dem weiteren Verlauf der Fußspur entlang. Einige Meter weiter schien eine weitere Person dem Mann Gesellschaft geleistet zu haben.
Ächzend erhob sich die Hauptgefreite.
"Du warst auch schon mal besser in Form, Kathi."
Jetzt zum schwierigeren Teil...
Charlie schritt auf den Rand der Absperrung zu, machte dann eine Vierteldrehung und marschierte einmal die Längsseite des abgesperrten Gebietes entlang bis zum Ende, wo er unter dem Band hindurch tauchte. Soviel zum Mann, fehlte noch die Frau...
Außerhalb des Bereiches ging er wieder zurück an die andere Seite, stellte die Tasche ab und holte zwei Stöckelschuhe heraus.Sie fand tatsächlich weitere Abdrücke. Ganz offensichtlich stammten sie von einer Frau, denn es waren die Spuren von Hackenschuhen.
Vorsichtig schritt Charlie die gleiche Strecke wie vorhin noch einmal ab, darauf bedacht, immer neben den Stiefelabdrücken zu bleiben. Na bitte. Mann pflückt Rose, Mann wartet auf Frau, man begleitet Frau weiter. Ein perfektes Szenario."Ha, welche Frau geht mit schicken Pfennigabsätzen in den Matsch? Außerdem sind die so weit abgesackt, sie war bestimmt viel zu schwer für die Schuhe."
Erst, als sie die Bilder beider Fußspuren nebeneinander sah, fiel ihr etwas auf. Sie betrachtete die Szene noch einmal in der Realität.
"Seltsam. Die beiden laufen in dieselbe Richtung. Aber anscheinend hatten sie sonst nichts miteinander am Hut. Jedenfalls ist die Schrittlänge vom ersten viel größer als von der anderen."
Kathi brauchte kein Maßband, um das fest zu stellen. Mal ganz davon abgesehen, dass die Schritte der Damenschuhe allgemein eher unregelmäßig waren, waren sie auch noch mindestens halb so lang. Aber auf seine Begleiterin gewartet, hatte der Mann auch nicht. Jeder Fußabdruck war genauso tief wie vorher auch. Kein Hinweis darauf, dass er zwischenzeitlich verharrt hatte.
Die Tatortwächterin in Ausbildung war sich sicher, nun alles zu wissen, was sie wissen musste. Nun konnte sie den beiden Prüfern ein ungefähres Bild von dem liefern, was passiert war.
***"Also..", begann die Hauptgefreite, "Ein Mann mit normaler Statur ist über das Feld gelaufen. Ich schätze, 70-80 Kilo. Dort neben dem Busch beginnt die Spur. Ich habe eine Blüte mit Blut daran gefunden, das ich auf Vampir testen würde. Anders kann ich es mir jedenfalls nicht erklären, dass auf dem Baum, auf den er dort hinten geklettert sein muss, kein Matsch zu finden ist. Also bleibt nur ein fliegen."
Charlie runzelte die Stirn. Matsch am Baum? Verdammt... aber man konnte nicht an alles denken, oder? Aber so leicht ließ er sich nicht in die Enge treiben. Und beim Gewicht hat sie auch völlig daneben gelegen...
"Erstens: Warum glaubst du, dass er so wenig gewogen hat? Und zweitens: Das mit dem Baum könnte auch eine andere Erklärung haben - was, wenn es zum Beispiel ein Werwolf war, der darauf gesprungen ist?""Einen solchen Sprung hätte der Ast niemals ausgehalten. Ich bin schon überrascht, dass er das Gewicht eines normalen Mannes getragen hat. Das ist auch der Grund, weshalb er nicht mehr gewogen haben kann. Außerdem wäre ein Werwolf auch wieder runter gesprungen, aber bei dem Matsch hätte selbst der keinen Halt gefunden. Umso verwunderlicher, dass trotzdem sehr saubere tiefere Spuren da sind. Er hat übrigens dabei geraucht. Oder.. naja.. wollte es so aussehen lassen. Denn an dem Stummel, den ich gefunden habe, sind keinerlei Abdrücke, die darauf hinweisen, dass mit der Zigarette mehr passiert ist, als dass man sie hätte abbrennen lassen. Als ich der Spur dann gefolgt bin, kam eine zweite dazu, den Absätzen zu Folge die einer Frau. Allerdings muss sie recht dick und ungeschickt gewesen sein, so tief und unregelmäßig wie die Abdrücke im Boden sind."
Kathiopeja hielt kurz inne. Hatte Charlie den Mund grade protestierend öffnen wollen? Nein, das musste sie sich eingebildet haben.
"Die beiden haben allerdings weder miteinander geredet, da die Abdrücke überall gleich tief sind, und somit nirgendwo auf längeren Stand hindeuten, noch sind sie gemeinsam weg gegangen, die Schrittlänge ist einfach zu unterschiedlich."
Noch einmal holte die ehemalige Ermittlerin tief Luft.
"Mehr habe ich dazu nicht zu sagen, Sörs."
7. Benotung (Charlie)Charlie runzelte die Stirn und warf Sillybos einen "Hab-ich's-nicht-gesagt"-Blick zu.
"Nun, Hauptgefreite, leider hast du einige Dinge übersehen. Zum ersten hat der Mann nicht nur eine Rose fallengelassen, sondern dann eine zweite gepflückt und mitgenommen, wie dir eine Untersuchung des Strauches gezeigt hätte. Zweitens hast du die Zigarettenmarke nicht erkannt, drittens hast du nicht anhand der Stiefel Rückschlüsse auf Größe und sozialen Stand des Mannes gezogen. Ich denke, unter diesen Umständen..."
"...zählt das als bestandene Prüfung, nicht wahr?", unterbrach Sillybos.
"Bei drei schwerwiegenden Fehlern? Ich denke kaum, dass..."
"Auf ein Wort, ja?" Sillybos zog den Lance-Korporal mit sich und außer Hörweite der Hauptgefreiten. "Charlie, du meinst, dass drei Fehler inakzeptabel sind, ja?"
"Natürlich. Jede einzelne Spur kann über Leben und Tod entscheiden."
"Nun gut, wenn du das so siehst, dann lass uns doch mal zählen, ja? Wenn ich das Szenario, was du mir vorhin erklärt hast, richtig verstanden habe, dann haben wir -" - er zählte an den Fingern mit - "Fehler Nummer eins: Eine nur abgebrannte Zigarette als geraucht identifizieren. Fehler Nummer 2: Nicht berücksichtigen, dass der Täter auf einem Ast, auf dem er gesessen haben soll, gar nicht gesessen haben kann, weil er das Gewicht des Täters nicht gehalten hätte. Fehler Nummer 3: Nicht erkennen, dass er schon wegen fehlender Schlammspuren nicht auf diesen Ast geklettert sein kann. Fehler Nummer 4: Zwei Reihen von Fußabdrücken fälschlich als zusammengehörig identifizieren."
"Aber ich habe die Spuren doch nicht ausgewertet."
"Aber gelegt, oder? Und wenn du solche Fehler beim Legen der Spuren machst, dann ist davon auszugehen, dass du sie bei der Spurensicherung auch machen würdest, meinst du nicht? Und wenn bei denen eigenen Maßstäben nicht einmal du deine eigene Prüfung bestehen würdest, dann solltest du vielleicht diese Maßstäbe noch mal überdenken. Also?"
Schweigend drehte Charlie sich wieder zu Kathi um, die abwartend ein paar Schritte entfernt stand.
"Also gut, Hauptgefreite, du hast bestanden", murmelte er so kleinlaut, dass man den Tonfall kaum als den von Charlie Holm erkennen konnte.
Kathiopeja strahlte ihre Vorgesetzten an.
"Dann kann ich als voll ausgebildete Tatortwächterin zu GRUND gehen! Ich werde sofort meine Versetzung beantragen."
[1] siehe Single "Der erste Fall, Zombies und ein Gnom"
[2] Siehe "Eine Studie in Babyblau"
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