In dem Theater "Die Scheibe" wird, wie jeden Abend, ein König erstochen.
Nur steht der Schauspieler dieses Mal nicht mehr auf!
Jemand muß das Theaterschwert gegen ein echtes ausgetauscht haben.
Dafür vergebene Note: 12
Dieser Fall spielt noch vor Hptm. Llanddcairfyns Wechsel zu GRUND und vor der Single "Blutiger Schnee"Tussnelda von GrantickTussnelda von Grantick saß in einer muffigen Abstellkammer. Das fand sie nicht weiter ungewöhnlich, schließlich war sie überzeugt, dass der schmale Raum voller Pappkartons ihr Büro war. Wenn sie wüsste dass einige Zimmer weiter für sie ein blankpolierter Schreibtisch stand, würde sie sich bestimmt unendlich ärgern.
Auf den Knien der Gefreiten von Grantick lag ein ledergebundenes Manuskript von "Die Püsche", mit kleinen Papierfetzen markierte sie interessante Stellen in dem abgegriffenen Buch. Mehr gab es im Augenblick nicht für sie zu tun. Seit der Geschichte mit Eulalia Liestnichgut herrschte Stille in ihrem improvisierten Büro. So hatte sie verdammt viel Zeit, all die Bücher von Araghast Breguyar zu lesen und sich so für den Alltag einer Püschologin bei RUM zu rüsten. Und obwohl "Die Püsche" hochinteressant war, langweilte sich Tussnelda ganz furchtbar. Wäre sie schon länger im Wachdienst, vielleicht hätte sie das als Erholung empfunden. Aber die Gefreite war aus Quirm. Und im festen Willen, in Ankh-Morpork Abenteuer zu finden. Vermutlich war sie einfach zu jung, um abgeschmackte Langweile zu schätzen.
Als endlich das allgemeine Gebimmel der Gildenuhren ihren Feierabend ankündigte, ging sie erleichtert hinüber zu Kathiopeja. Wenigstens sie schien etwas zu tun zu haben, ihr Kopf hing über einer Akte.
"Wenn du bei irgendwas Hilfe brauchst", meinte die Püschologin hoffnungsvoll, doch ihre Kollegin schüttelte nur den Kopf.
"Alles nur Routine. Bin gleich fertig", sagte sie gutgelaunt.
"Was wird denn heute eigentlich gegeben?", fragte Tussnelda.
"In der Scheibe? Der König von Lancre, glaub ich", gab die Ermittlerin zur Antwort und klappte entschlossen die Akte zu. "Gehen wir!"
***Unter tosendem Applaus betrat der böse König die Bühne für den Schlussakt. Der heldenhafte Rebell in Gestalt des Narren schlich aus den Kulissen auf die Bühne, bejubelt vom Publikum. "Ha-Ha!", rief er aus, sprang direkt vor den König und fuchtelte wild mit einem Säbel. "Stell dich Schurke", pathetisch reckte er das Kinn dem Kontrahenten entgegen und alsgleich entbrannte ein wilder Kampf. Natürlich unterlag der böse König im letzten Moment dem Narren, welcher voller Hingabe schrie: "Stirb du Böser!" und seinen Säbel tief in das Herz des Gegners trieb. Tussi stopfte fasziniert mehr Popkorn in den Mund und bewunderte die Echtheit, mit welcher der getroffene Schauspieler schrie und die des Blutes, welches aus der Wunde an seinem Herz pochte. Dann kippte der König um, zuckte noch einige Mal, stöhnte nach Hilfe und starb. Frenetischer Jubel erklang für den Helden, der nun einen Fuß auf die Brust des toten Königs setzte und siegessicher die Arme hob. Als sich der Vorhang senkte, klatschten die Leute weiter. Als er sich dann aber wieder hob, verstummten sie fassungslos. Der tote König lag noch an Ort und Stelle.
"Ein Arzt!", brüllte der siegreiche Held, sein Gesicht war käsebleich. Dann ließ er sich auf den Boden fallen und begann zu heulen. "Das darf nicht wahr sein!", weinte er und schüttelte besinnungslos den Kopf.
"Der tote König ist ein toter Schauspieler", folgerte Kathi trocken, "ich informiere SUSI."
***Der Zuschauersaal war fast leer. Nur die Mitarbeiter der Scheibe saßen dort, einige allein für sich, andere in Grüppchen von zwei bis vier Leuten. Die Tatortsicherer von SUSI waren dabei, das gesamte Theater auseinander zu nehmen. Die Leiche lag wohl schon im Keller der Wache. Tussnelda hielt verschiedene Ikonographien in der Hand und bedauerte das Opfer.
"Der arme Kerl", murmelte sie.
Kathiopeja klopfte auf ihre Schulter.
"Denk immer daran, Tussi: Der Tod ist nicht für die Gestorbenen schlimm, sondern für die Hinterbliebenen", meinte sie und zuckte mit den Schultern, "du hast hier noch eine Menge zu tun, hm? Ich gehe zur Wache und schreibe einen ersten Bericht."
"Ich wünschte, ich müsste das nicht allein tun", erwiderte Tussnelda. Sie klopfte ihre Taschen nach einem Stift ab. Natürlich lag der bei ihrem Notizblock. Auf ihrem Schreibtisch.
"Du machst das schon. Bis später", grüßte Kathiopeja.
Die Püschologin nickte ihrer Kollegin zu und ging dann zähneknirschend zu einem der Tatortsicherer von SUSI um sich Stift und Papier zu besorgen. Dann begann sie mit der Befragung von Will Wunderschön, dem einstigen Helden und jetzigen Tatverdächtigen.
"Ich kann nichts dafür", sagte er gleich als sie auf ihn zukam.
"Ich bin hier um das zu klären", meinte Die Gefreite und schrieb seinen Namen auf den Notizblock, "wie lange kannten sie Herrn Spierstäk?"
"Lange", antwortete er abwesend und nahm eine eingehende Betrachtung seiner Fingernägel vor, "wir haben zusammen das Fach gelernt. Jeden Abend haben wir miteinander gespielt und geprobt", verdächtigt begann seine Unterlippe zu zittern, "wir waren mehr als Freunde. Ohne ihn will ich nicht mehr spielen, nie mehr!" Ruckartig stand der Mann auf. "Können sie mich nicht in Ruhe lassen?!"
Tussnelda machte einen betroffenen Gesichtsausdruck. Es fiel ihr immer noch schwer, mit Mördern umzugehen, die sich wie Opfer benahmen. Und Will Wunderschön benahm sich ganz eindeutig wie ein Opfer. Das lag wohl daran, dass er nicht damit gerechnet hatte, seinen Kollegen und Freund zu töten. Es gab schon blöde Zufälle...
"Nanana", sagte sie sanft, so wie ihre Mutter es früher getan hatte, wenn sie wieder ganz besonders verzweifelt gewesen war. Der gewünschte Effekt trat nicht ein. "Ich muss ihnen all diese Fragen stellen. Sie werden verstehen, dass sie gerade unser Tatverdächtiger Nummer eins sind. Immerhin haben alle Zuschauer gesehen, wie sie ihn töteten."
"Das gehörte zur Rolle", schrie Will verzweifelt und raufte sich das Haar, "das habe ich jeden Abend gemacht, die letzten drei Wochen!"
"Prüfen sie ihre Requisiten bevor sie zum Einsatz kommen?", versuchte es Tussnelda noch einmal.
"Bei der Generalprobe war alles normal", betonte Will, "das Schwert war so stumpf wie immer und schob sich bei Druck zusammen, alles war normal."
Sie nickte. "Ich verstehe. Wer hat Zugang zu den Requisiten? War jemand hier, der nicht zum Ensemble gehört?"
"Ich habe niemanden bemerkt", sagte ein großer, dicker Mann und trat näher. Der Schnurrbart war beeindruckend. "Ich bin Herr Vitoler. Ich bin der Besitzer und für alles hier verantwortlich", stellte er sich vor und tätschelte beruhigend Wills Wange. Tussnelda musste bemerken, dass er damit eine bessere Wirkung erzielte als sie. Sie würde noch eine Menge lernen müssen, bevor sie eine gute Püschologin war.
"Na schön, Herr Vitoler. Aber es gab doch sicherlich Möglichkeiten, etwas unbemerkt rein zu schmuggeln?", frage sie.
"Die gibt es immer", erwiderte er lax, "warum auch nicht? Hier gibt es nichts wertvolles, das zu schützen wäre."
"Außer dem Leben ihrer Darsteller natürlich", meinte Tussnelda sarkastisch.
Unversehens schluchzte Will auf und rannte hinter die Bühne. Irritiert sah ihm Tussnelda hinterher. Weibisches Verhalten bei Männern stieß sie ab.
"Sehen sie, was sie angerichtet haben. Will ist sehr sensibel! Und er ist einer meiner Stars! Ohne ihn kann ich den Laden vielleicht schon morgen schließen!", rief Herr Vitoler aus. Die unnötige Dramatik fiel sogar ihr auf. Sie kratzte sich nachdenklich am Kopf.
"Nach der Generalprobe", fing sie gedehnt an und notierte Herr Vitolers Namen auf ihrem Notizblock, "wo wurden die Requisiten aufbewahrt? Wie viel Zeit lag zwischen Generalprobe und dem Einsatz bei der Aufführung?"
"Wir waren später dran als gewöhnlich. Die Popkornmaschine war kaputt und musste zunächst repariert werden. Dann, nach der Generalprobe, kamen die Requisiten in die Kiste", er deutete vage in eine Ecke, "die Schauspieler nehmen sich dann vor ihrem Auftritt selbst heraus, was sie brauchen", er runzelte die Stirn und zählte an seinen Fingern ab, "drei Stunden. Drei Stunden waren die Requisiten unbeobachtet."
Das Gespräch strapazierte ihre Geduld über alle Gebühr. Auch die anderen Mitglieder des Theaters machten es ihr nicht gerade leicht. Als endlich alle Verhöre geführt worden waren, schlich sie nach Hause.
***"Da ist was faul", murmelte Tussnelda.
"Ja. Die Leiche", grinste Kathiopeja .
Tussi streckte ihr die Zunge raus. Der vergangene Abend steckte ihr in den Knochen und in der Nacht hatte sie nicht schlafen können. Tiefschwarze Ringe lagen unter ihren Augen. Kaffee. Das war das Einzige, das helfen konnte. Verdammt viel Kaffee.
"Hör mal auf damit", bellte sie unwillig und ging zum hundersten Mal den Notizblock durch. Nichts fiel ihr ins Auge obwohl sie ständig das Gefühl hatte, etwas wichtiges zu übersehen.
"Sieh dir das mal an", sagte Die Ermittlerin und überging Tussneldas Griesgrämigkeit.
"Den Bericht von SUSI? Was soll da schon drin stehen? Das er tot ist?"
"Reg dich ab", entgegnete Kathiopeja und tippte auf eine Stelle im Bericht, "eine Schachfigur. Am Tatort, in der Jackentasche des Opfers."
"Vielleicht ein Talisman?", meinte Die Gefreite lakonisch und schob den Bericht von sich, "na schön, ich klär das."
"Nicht nötig. Die Figur hat mich an etwas erinnert, worauf ich mal bei einer Recherche gestoßen bin. Ein alter Fall...", gedankenverloren zwirbelte Kathiopeja eine ihrer Locken.
"Und wirst du dich dazu durchringen, es mir zu erklären?", schimpfte Die Püschologin und nahm einen weiteren Schluck Kaffee.
"Reg dich ab", sagte Kathiopeja wieder, "der Fall ist drei Monate alt und wurde damals nicht geklärt. Die haben eine Lady umgebracht, die in der Sirupminenstraße gewohnt hat. War ein Skandal. Kein Hinweis auf den Mörder - aber in ihrer Rocktasche steckte eine Schachfigur. Eine weiße Dame", bedeutungsschwanger legte sie eine Pause ein, "und was haben wir jetzt? Einen schwarzen König!" Triumphierend grinste Kathiopeja.
"Du meinst also..."
"Das wir es hier mit einem Serienmörder zu tun haben, ganz genau!"
"Mmmh... am Besten wird also sein, wenn wir ins Archiv gehen und uns diese Akte dazu nehmen", fuhr Tussnelda fort, doch Kathiopeja begann ungeduldig zu winken.
"Schon erledigt", meinte sie und knallte ihr die Akte auf den Tisch.
Tussnelda grinste verunglückt.
"Du bist schnell", meinte sie und tippte sich mit dem Finger an die Oberlippe, "hast du allerdings schon bedacht, dass wenn es sich hier tatsächlich um einen Serienmörder handelt, im Archiv noch mehr Fälle liegen könnten? Die wir ihm verdanken?"
"Mehr noch... Vielleicht schlägt er wieder zu!"
"Wir müssen das Archiv durchstöbern - dann wird sein Muster deutlicher", sagte Tussnelda langsam, "allerdings habe ich schon eine Vorstellung... Wenn ich allerdings recht habe... wenn der König fällt, dann ist das Spiel aus."
"Oder es geht von vorne los", flüsterte Kathiopeja düster.
***Das Archiv - unendliche Weiten. Ein Registraturprinzip setzte sich bei der Wache nie sehr lange durch. Mal waren die Akten nach Datum, mal nach Farbe abgelegt worden. Aber eines war gewiss: Die Faulheit der Wächter, wenn es um die Ablage ging. So stapelten sich die Fälle der letzten Monate auf einem Haufen in unmittelbarer Nähe zur Tür. Vor diesem Haufen saßen im Schneidersitz Kathiopeja und Tussnelda und suchten nach ähnlichen Fällen. Vor ihnen standen kalte Kaffeetassen.
"Ein schwarzer Bauer! Hier bei dem Fall von vor 7 Wochen - Ein Bauer wurde erstochen aufgefunden. Er wollte Kohl in der Stadt verkaufen..."
"Ein weißer Läufer! Günter Klaumichel, ein Dieb. Wurde in den Schatten aufgeschlitzt."
So ging es eine Weile. Schließlich hatten die Beiden einen beachtlichen Haufen von ähnlichen Fällen gefunden - bei allen waren verschiedenste Schachfiguren gefunden worden.
"Was ich nicht verstehe: Warum hat keiner der Kollegen diesen Zusammenhang bemerkt? Ich meine - das sind 18 Figuren, die ebenso vielen Morden entsprechen!"
"Vergiss nicht den zeitlichen Abstand. Die unterschiedlichen Bearbeiter...", Kathiopeja zuckte mit den Schultern, "so was kommt vor. Warum sollte jemand drauf achten? Der einzig spektakuläre Fall war der mit der Lady."
"Eines ist jetzt auf jeden Fall klar - der Täter ist nicht allein. Sonst hätte er nur eine Farbe benutzt", überlegte Tussnelda.
"Warum ausgerechnet Schachfiguren?", fragte Kathiopeja und drehte einen kleinen, weißen Bauer in der Hand.
"Ich denke, die Schachfiguren drücken Macht aus. Die Macht mit den Menschen zu spielen - wie die Götter es tun. Vermutlich wünscht sich der Täter mehr Macht als er hat. Oder er hat die Macht in seinem Leben verloren und versucht sie so wieder herzustellen. Es ist nie etwas gestohlen worden. Kein Opfer kommt aus dem gleichen Milieu. Es gibt kein erkennbares Motiv. Nur einen Beruf oder eine Eigenschaft, die mit der einer Schachfigur zu vergleichen ist", überlegte Tussnelda sah sich die Figur in ihren Händen genau an, "hier sollten wir ansetzen. Wenn wir herausfinden, woher die stammen, führen sie uns zum Täter. Siehst du diesen Aufdruck? Unten?"
Kathiopeja kniff die Augen zusammen. "Sieht wie Dreck aus", meinte sie, als sie die winzig kleinen Schriftzeichen erspähte.
"Witzig. Wirklich witzig", knurrte Tussnelda und nahm einen Schluck Kaffee. Als sie bemerkte, dass er kalt und obendrein ungezuckert war, verzog sie das Gesicht und schluckte schwer.
"Hugo Pack, Schach International", nur mühselig hatte Kathiopeja die Schrift entziffern können. Sie kratzte sich am Hinterkopf und verglich schnell die anderen Figuren - sie alle stammten von Hugo Pack.
***Irgendwo in der Straße der schlauen Kunsthandwerker befand sich ein Geschäft, klein und unscheinbar. In diesem Geschäft wiederum befand sich ein Hinterraum. Und in dem Hinterraum stand ein Sofa. Unter eben diesem Sofa kauerte ein kleines Krokodil namens Schorsch. Schorsch gehörte Hugo, der mit Blick auf die Ladentür auf seinem Klappstuhl saß. Wie üblich lag eine Patience vor ihm ausgebreitet. Er ärgerte sich darüber. Kurz bevor er die Reihe zu Ende legen konnte, war sie nicht mehr aufgegangen. Sorgfaltig klaubte er die Karten auf und mischte sie, um eine neue Runde zu legen. Er konnte siegen! Er musste siegen! Er würde das Spiel bezwingen!
Unter der Couch gähnte das Krokodil gelangweilt. Damals in Ephebe - da hatte es immer wieder ein Bein zum Beißen gegeben. Hier gab es meist nur noch Kunden. Deswegen behielt er ebenfalls die Ladentür im Auge, man konnte schließlich nie wissen, wer hereinkam. Vielleicht jemand zum Beißen?
Pling-Glong.
"Hallo?"
Kaum hatte die junge Frau ausgesprochen, hatte sich Hugo erhoben. Er warnte Schorsch mit einem Blick, an Ort und Stelle zu verbleiben und begutachtete dann die Kundin.
"Sind sie privat hier?", fragte er mit einem Lächeln.
"Nein, Herr Pack. Ich habe ein paar Routinefragen an sie", antwortete Tussnelda und nahm ihren Helm ab. Leider ergoss sich ihr Haar nicht wie ein seidiger Wasserfall über ihren Rücken. Eher wie - Kraut.
Pack lächelte noch mehr. Er kannte die Wächter. Wächter und Routinefragen. Wächter waren allesamt völlig bescheuert. Nichts nahmen sie ernster als das nächste Bier. Mit Wächtern wurde man leicht fertig.
"Stellen sie ihre Fragen. Ich beantworte sie, wenn ich kann", meinte er verbindlich.
Sie nickte und schaute sich um. Nur das Ladenschild ließ darauf schließen, dass hier etwas verkauft wurde. Keine einzige Auslage zierte das Geschäft. Auffällig war nur ein großer Schrank aus rotleuchtendem Holz. Er schien gut verschlossen zu sein.
"Sie verkaufen Schachfiguren?"
Er nickte und Tussnelda öffnete einen kleinen Beutel.
"Kennen sie die?"
"Ein schwarzer König. Aus Ebenholz, sehr teuer und sehr selten", erwiderte er beflissen.
"Sie ist aus ihrem Laden?"
"Wären sie sonst hier?"
Tussnelda schüttelte den Kopf und nahm ihren Block heraus. Diesmal hatte sie sogar einen Stift dabei.
"Haben sie ein Kundenregister?"
"Ich behandele Kundendaten vertraulich", wich er aus.
"Verstehe. Wie denken sie über Observation? Wie denken ihre Kunden darüber?", erwiderte Tussnelda ungewohnt schlagfertig.
Die Augenbrauen von Pack schnellten in die Höhe.
"Nun...", meinte er gedehnt und blickte in den Hinterraum. Schorsch war von hier zwar nicht zu sehen aber ein Wort und er... "Wenn es unbedingt sein muss, dürfen sie die Kartei einsehen."
Mit einem Wink führte er sie in ein Hinterzimmer. An einer Wand stand eine rote Plüschcouch, die andere Wand wurde völlig von einem wuchtigen Schrank eingenommen. Ansonsten gab es noch eine Tür, die in einen noch rückwärtigeren Teil des Ladens führen mochte.
"Nehmen sie Platz", sagte Hugo und wies auf die Couch. Dann ging er zu der großen Schrankwand und öffnete eine ungewöhnliche lange Schublade. Er zog ein paar Kärtchen hinaus und reichte sie Tussnelda.
"Sind das alle?", fragte Tussnelda überrascht.
"Alle, die hier etwas kauften. Meist restauriere ich alte Figuren.", erklärte er und deutete auf eine andere Tür. "Dort ist meine Werkstatt."
Tussnelda öffnete den Mund, wurde jedoch sofort von Hugo unterbrochen.
"Sie werden verstehen, dass die Werkstatt mein Allerheiligstes ist. Niemand darf dort hinein. Sie verstehen doch?"
Verstimmt nickte die Wächterin. Sie verstand in der Tat. Vor allem, dass der Mann etwas vor ihr geheim halten wollte. Was es auch war - sie würde es herausfinden. Da spürte sie etwas an ihrem Bein. Wie ein Schnüffeln, ganz warm. Nervös unterdrückte sie den Drang nachzusehen. Statt dessen betrachtete sie einige eigenwillige Gemälde, die undekorativ verteilt waren.
"Hübsche Bilder. Der Künstler kommt mir bekannt vor.", plapperte sie.
"Ja. Hübsch", sagte er ungeduldig. "Sie können die Karten mitnehmen. Bringen sie sie später wieder", sagte er dann und blickte auf seine Patience. Unlösbar. "Ich habe viel zu tun. Bitte gehen sie jetzt."
"Danke für ihre Zeit", antwortete Tussnelda und stand auf. Im Hinausgehen sagte sie dann noch:
"Wenn sie diesen Buben dorthin legen..."
Hugo knirschte mit den Zähnen.
KathiopejaKathi saß in ihrem Büro und ließ sich von Tussnelda erzählen, was sie erfahren hatte.
"Tja.. und dann hätten wir hier Kunden zu überprüfen.", endete sie und legte die wenigen Karten von Hugo Pack auf den Tisch.
"Hmm.. Also wenn du mit deiner Vermutung richtig liegst, müssen es mehrere Täter sein. Und da es beim Schach nur schwarz und weiß gibt, sind es wohl genau zwei.", entgegnete die Ermittlerin.
Tussi nickte.
"Ja, das hab ich mir auch schon überlegt.", sagte sie und tippte auf Hugos spärliches
Kundenverzeichnis. "Bleibt nur noch die Frage, wer."
Kathiopeja blickte an die Decke. "Hmm.. und es müssten ja nicht mal beide Mörder Kunden sein, da sie sich die Schachfiguren ja aufteilen würden."
Sie nahm einen Schluck Kaffee. Das Zeug war sogar besser als Brokkoli. Besonders wenn er tief schwarz war.
"Mich würde mal interessieren, welchen Sinn das ganze hat. Irgendwie klingt es unsinnig, dass zwei Menschen einfach durch Ankh-Morpork ziehen, Leute umbringen und Schachfiguren bei ihnen lassen. Die Opfer haben keine Verbindung, zumindest haben wir noch keine gefunden. Also wozu dann alles?"
Die Püschologin zuckte mit den Schultern.
"Vielleicht solltest du froh sein, dass du nicht verstehst, was sich Mörder so denken."
Die Klatschianerin blickte ihre Kollegin an.
"Es ist auch gar nicht mein Job, zu wissen, was Mörder denken. Ich soll sie nur überführen. Du bist hier die Püschologin." Sie grinste.
Tussi rümpfte die Nase, dann grinste sie ebenfalls. "Richtig, ich bin hier die Püschologin. Und als solche sage ich: lass uns die Kunden von Herrn Pack überprüfen. Vielleicht finden wir bei
jemandem irgendeine Verbindung zum Fall. Oder wir kriegen raus, wer die Figuren gekauft hat, die bei den Leichen gefunden wurden."
"Du solltest an deiner Arbeitsmoral arbeiten. Die liegt eindeutig zu hoch." Kathi zwinkerte der anderen Gefreiten zu.
"Na einer von uns muss ja am Fall bleiben.", antwortete Tussnelda und nahm sich die Hälfte von Hugos Kundenkartei. "Der Rest ist für dich."
Aufmerksam machten sich die beiden an die Arbeit.
***"Also ich habe nur eine Kundin gefunden, die ein Schachspiel gekauft hat von dem die Figuren stammen können.", sagte Tussi schließlich.
Kathi deutete ihr mit der Hand an, zu schweigen. Sie betrachtete die letzte Karte, lehnte sich zurück und seufzte.
"Damit hast du eine mehr, als ich..."
"Sehen wir's positiv.", meinte die Püschologin. "Immerhin ist das Feld der Verdächtigen so recht eingeschränkt."
"Ja. Zeig doch mal her, wer diese Kundin ist. Wir sollten sie wohl besuchen."
Tussnelda reichte ihr die Karte und erklärte: "Eine gewisse Lady Marietta Winterfein. Die Adresse müsste eigentlich leicht zu finden sein. Ich hab mir alles schon aufgeschrieben." Sie winkte mit einem Zettel.
"Da warst du aber fleißig." Die Klatschianerin verzog das Gesicht.
"Ich kann ja nichts dafür, dass ich unsere Tatverdächtige in meinem Stapel hatte.", ließ sich
Tussnelda vernehmen und streckte ihrer Kollegin die Zunge raus.
"Jaja.. wahrscheinlich hast du vorher schon mal reingeschaut und dir die Karte rausgesucht.", zog Kathi die Püschologin auf.
"Mist... da hast du mich wohl erwischt.", zwinkerte diese.
Die beiden Wächterinnen lachten.
"Nun denn, meine fleißige Kollegin, führe mich zum Haus der Lady."
"Aber gerne doch."
Als sich die Ermittlerin nicht bewegte, zog Tussi sie am Arm und sagte: "Wenn ich dich dahin
führen soll, musst du mitkommen."
***Ganz so leicht war es für Tussnelda dann doch nicht, die richtige Adresse zu finden. Aber zu Kathis Vergnügen wollte sie den Weg allein suchen.
[1]Kathiopeja vermisste ihren Kaffee bereits, als sie endlich vor dem Haus der Lady Winterfein
standen. Sie gab sich Mühe, so wenig wie möglich zu quengeln.
"Und du hast wirklich keinen Kaffee?", fragte sie trotzdem zum hundertsten mal.
"Nein. Und wenn du mich das noch einmal fragst, stopfe ich dir so viel Lakritze in den Mund, dass du nicht mehr sprechen kannst."
Die Klatschianerin murmelte etwas unverständliches in ihren nicht vorhandenen Bart.
"Kein Grund, gleich gewalttätig werden zu wollen.", meinte sie dann lauter.
Darauf antwortete die Püschologin nicht. Sie grinste nur.
Die beiden Gefreiten konnten das Grundstück problemlos betreten. Der Garten sah aus, als könnte er durchaus mal wieder einen Gärtner gebrauchen. Vor der Tür angekommen wandte sich Tussi an ihre Begleiterin.
"Bitte versuch da drin nicht nur über Kaffee nachzudenken."
Kathi winkte ab. "Kein Problem."
Tussnelda klopfte.
Sie wartete einige Momente doch es geschah nichts. Sie klopfte noch einmal. Dann konnte sie
endlich Schritte näher kommen hören. Ein Mann mittleren Alters öffnete. Er hatte schwarz-braunes kurzes Haar und es war offensichtlich, dass er ein Bediensteter war.
"Stadtwache Ankh-Morpork.", entgegnete Tussi auf den fragenden Blick.
"Ach.. ja?"
Der Diener sah sie misstrauisch an und schien den Uniformen nicht zu trauen. Kathiopeja zeigte wortlos ihre Dienstmarke.
"Wenn Sie wohl eintreten wollen..." Er verzog das Gesicht ein wenig und öffnete die Tür weit
genug, um die beiden hereinzulassen. "Was kann ich für Sie tun, meine Damen?"
Die Betonung der letzten Worte ließ erkennen, dass er von der Wache im allgemeinen und von weiblichen Wächtern im besonderen nichts hielt.
"Wir sind keine Damen, sondern Gefreite. Und mit wem haben wir das Vergnügen?", wollte Kathi wissen.
"Ich bin Pubert, der einzige Bedienstete den Mylady noch hat."
"Und wo ist die Lady?", fragte die Quirmianerin neben Kathiopeja.
Aus dem Hintergrund schallte eine übertrieben fröhliche Stimme.
"Ich bin doch hier. Pubert, würdest du unseren Gästen wohl etwas zu trinken anbieten?"
Aus der Tür, die offenbar zum Salon führte kam eine in pink gekleidete Frau. Ihr Kleid wallte auf eine Art und Weise, wie es nur bei zu viel Stoff und einer Menge Tüll möglich war. Der Diener sah die Gefreiten an.
"Kann ich Ihnen einen Tee oder Kaffee anbieten?"
"Kaffee!", sagte Kathi sofort lauter, als sie es beabsichtigt hatte.
"Für mich bitte auch"
Pubert nickte. "Mylady?"
"Ich hätte gerne einen Tee."
"Sehr wohl."
"Herzlichen Dank."
Lady Marietta drehte sich zu den Wächterinnen. "Was kann ich für Sie tun?"
Tussnelda trat einen Schritt auf die Dame zu. "Es geht um ein Schachspiel, das sie bei Hugo Pack gekauft haben."
Die braunhaarige und wohlbeleibte Frau vor Tussi blinzelte. "Das Schachspiel?", wiederholte sie verständnislos. "Nun.. wo sind denn meine Manieren? Treten Sie doch erst mal richtig ein."
Die übergeht die Frage aber sehr gekonnt., dachte Kathiopeja.
Von der Lady wurden die beiden RUM-Mitglieder durch die Tür in den Salon geführt.
In dem Raum gab es nichts überraschendes. Pubert goss grade den Kaffee und Tee in drei Tassen. Sie standen auf einem kleinen Tisch in der Nähe des Kamins, um den vier Sessel standen.
"Wirklich bequem sehen die ja nichts aus.", flüsterte die Ermittlerin ihrer Kollegin zu.
"Pssst" Tussnelda sah sie böse an.
"Setzen Sie sich doch."
Als sie alle saßen, trank die Klatschianerin hastig ein paar Schluck ihres Kaffees. Zufrieden lehnte sie sich zurück.
Und ich hatte doch Recht. Diese Dinger sind unbequem."Also... noch mal zu ihrem Schachspiel.", begann Tussi.
"Was ist denn so besonderes an meinem Schach?"
"Nun... Dürften wir es uns vielleicht mal ansehen?", mischte sich die Ermittlerin ein.
Lady Marietta Winterfein seufzte.
"Warum interessieren Sie sich nur dafür?" Sie schüttelte mit dem Kopf und deutete in eine
gegenüberliegende Ecke des Raumes. "Da drüben steht es."
"Sie erlauben, dass wir es uns ansehen?"
Die Hausherrin nickte. "Natürlich."
Beide Wächterinnen standen auf und gingen zu dem Spiel rüber.
"Schau mal, Kathi. Alle Spielfiguren sind noch da."
Tussnelda nahm ein paar auf.
"Und es sind auch noch die Originale."
"Selbstverständlich sind alle Figuren noch da. Und es sind natürlich die Originale. Sagen Sie mal, was wollen Sie denn nun eigentlich?"
Marietta hatte sich unhörbar von hinten genähert.
Nach einem Moment sagte Kathi: "Nichts, nichts. Wir ermitteln nur."
"Ach, was ermitteln Sie denn?"
"Es geht um ein paar Morde. Und bis eben waren Sie verdächtig", gestand Tussi.
Ihre Kollegin war sich nicht sicher, aber sie meinte, ein triumphierendes Aufblitzen in den Augen der Lady gesehen zu haben.
"Ich war verdächtig?"
War diese Tonlage nicht vielleicht
zu schockiert?
"Aber warum ich? Und was hat ihre Meinung so plötzlich geändert?"
"Das können wir leider nicht sagen, da wir ja noch mitten in den Ermittlungen sind. Wir müssen dann auch schon wieder gehen. Die Arbeit wartet."
Die Püschologin sprach hastig. Sie fühlte sich unter dem Blick der Hausherrin nicht wohl. Warum, das wusste sie nicht genau.
Kathiopeja warf ihr einen Blick zu, der sagte "Aber den Kaffee können wir noch austrinken.",
woraufhin sie den Kopf schüttelte. Die Quirmianerin entschuldigte ihren Besuch und zog die
andere Gefreite hinter sich her. Sie rannte fast zur Tür und wurde erst ein wenig langsamer, als sie das Grundstück verließen.
Einige Querstraßen weiter stoppte sie dann endgültig und gab Kathis Arm frei.
"Lass uns für heute Schluss machen", meinte Tussnelda, als sie sah wie das Licht der Sonne
schwerfällig aus Ankh-Morpork kroch.
"Was war denn plötzlich mit dir los, Tussi?"
Schulterzuckend kam die Antwort:
"Ich weiß auch nicht. Wahrscheinlich bin ich nur müde."
Die Ermittlerin sah skeptisch drein und zuckte dann ebenfalls die Achseln.
"Also gut, gehen wir nach Hause."
***Kathiopeja lag in der Nacht wach in ihrem Bett. Es war sehr unbequem, aber das raubte ihr nicht den Schlaf. Marven war verschwunden. Doch auch das besorgte sie nicht übermäßig, denn es kam in letzter Zeit häufiger vor. Sie machte sich Gedanken über sich selbst. Es war erschreckend wie ihr Kaffeekonsum, der wohl auch Mitschuld an ihrer Schlaflosigkeit war, in letzter Zeit anstieg. Aber das würde sie wieder ändern, sobald der Stress nachließ, sobald sie wieder klar kam. Die paar Nächte mit wenig oder gar keinem Schlaf steckte sie weg. Sie war ja noch jung.
Kathi spürte, wie ihre Hände zu zittern begannen. Vermutlich hätte sie die letzten drei Tassen am Abend nicht mehr trinken sollen... Immerhin war ihr so etwas noch nicht in Anwesenheit eines anderen passiert. Zumindest dafür war sie Schicksal dankbar. Sie musste lernen, das Zittern zu unterdrücken. Sorgen machte ihr einzig und allein die Angst, jemand könnte alles mitbekommen. Die Ermittlerin gab sich reichlich Mühe, die Augenringe und ähnliche Anzeichen zu verdecken. Wie gut es funktionierte, konnte sie nicht sagen. Und
so schädlich konnte der Überfluss an Kaffe nicht sein.
Sie lenkte ihre Gedanken ab. Zu dem Fall, den sie mit Tussi bearbeiten musste. Kathiopeja dachte an die Opfer und kämpfte mit den Tränen. Das schwere Gefühl von Schuld schlich sich langsam in ihren Kopf und erdrückte sie fast. Doch was konnte sie für Morde in einer großen Stadt wie Ankh-Morpork? Damit klar kommen musste sie. Es war ein Teil ihres Jobs. Und auch wenn es ein gutes Mittel war, lästigen Fragen zu entgehen, mit Witzen und bissigen Kommentaren wurde es nicht leichter.
Kathi dachte an Marietta Winterfein. Sie sah vor sich das Bild der Frau, mit einem gefälligen
Grinsen auf dem Gesicht. Von der Schuld der Adligen überzeugt, dachte sie nach, wie das mit dem Schachspiel anzustellen war.
Bis die Klatschianerin die für sie passende Antwort gefunden hatte, schweiften ihre Gedanken noch einige Male ab. Und als sie sich langsam müde fühlte, ging die Sonne auf.
Sie seufzte. Noch so ein Tag, der nur mit ihrem neuen besten Freund, dem Kaffee, zu überleben war.
***Wirklich ausgeschlafen sah Tussnelda von Grantick auch nicht aus, als Kathi sie im
Aufenthaltsraum traf. Vermutlich merkte sie gar nicht, dass Kathiopeja mal wieder kein Auge zu getan hatte. Zumindest deutete nichts darauf hin, als sie sich über den Fall und Frau Winterfein unterhielten.
"Dann bleibt wohl nur noch Hugo Pack.", schloss Tussnelda und sah ihre Kollegin an.
Die hatte die Augen geschlossen und presste die Lippen aufeinander.
"Nein.. Wir könnten auch etwas übersehen haben."
Nun blickte sie zu Tussi.
"Steht auf diesen Karten irgendwo, wie viele Schachspiele gekauft wurden?"
Die Püschologin blinzelte. "Nein."
Dann begriff sie.
"Du meinst..."
"Ja, unsere nette Lady könnte genauso gut zwei oder mehr Spiele gekauft haben. Damit wäre
erklärt, warum das in ihrem Salon vollständig war. Und ich kenne Hugo Pack nicht persönlich, aber diese Winterfein kam mir schon mal sehr verdächtig vor."
"Tja.. damit hätten wir zwei mögliche Verdächtige, keinerlei brauchbare Beweise und sind auf unsere Vermutungen angewiesen.", sagte die Quirmianerin.
"Nicht ganz. Du weißt doch: wir haben da ein geniales Team in unserer Abteilung. Das besteht aus einer Ermittlerin und einer Püschologin. Zufälligerweise sind genau die an dem Fall dran. Ich bin mir sicher, die beiden finden was." Kathi grinste optimistisch. Optimistischer, als sie war.
Tussnelda von GrantickGrimmig lächelnd sah Lady Marietta Winterfein aus dem Erkerfenster des Esszimmers. Sie hatte Pubert für zwei Personen aufdecken lassen und ihn dann angewiesen, die Suppe heute etwas zu verlängern. Bitter wischte sie mit einem Zeigefinger Staub vom Fensterrahmen. In anderen Zeiten hatte ein Heer von Bediensteten das Haus und den Garten in Ordnung gehalten. Nach ihrem Gutdünken hatte sie Befehle erteilt, hatte sich heiße Bäder anrichten lassen, hatte sich von gutgebauten Gärtner Massagen verabreichen lassen... was für eine wunderbare Zeit war das gewesen. Gezittert hatten sie alle vor ihr, ein Fingerzeig konnte die Kündigung bedeuten und das in einer Zeit, in der ein Mensch ohne Anstellung sofort dem Hungertod preisgegeben war. So stellte sich das wenigstens Mylady vor.
Sie seufzte laut und nahm dann am Tisch Platz. Als sie mit den Fingerspitzen das Blumendekor der Tischdecke nachzeichnete, glitt ein bösartiges Lächeln über die feingeschwungenen Lippen der Mitfünfzigerin. Zu gerne erinnerte sie, wie sie genau an diesem Ort ihren Gatten bestraft hatte. Seine unerträgliche Spielsucht, von ihr zuvor kaum belächelt, hatte auf einmal bombastische Ausmaße angenommen. Viele ihrer kostbarsten Stücke hatte sie versetzen müssen, um die Gläubiger -allesamt aus höchst zweifelhaften Milieu- zufrieden zu stellen. Eigentlich hatte sie damals auch darüber hinweg gesehen, Männer waren nun einmal fehlerhaft und bedurften der ständigen Beaufsichtigung. Als er ihr aber sein schwammig-verquollenes Gesicht grinsend entgegen gereckt hatte und auftrumpfend bekannt gab, mit seinem Wagemut im Spiel habe er Sybilla endlich ins Bett bekommen - da war es vorbei gewesen. Sie hatten gerade beim Speisen gesessen und das Tranchiermesser war noch ganz fettig gewesen, als sie es ihm in den aufgedunsenen Körper gerammt hatte.
Welch Hochgefühl war es gewesen! Wie wunderbar leicht das Messer seinen Weg durch die Rippen zu seinem Herzen gefunden hatte! Sinnlich schnalzte Marietta mit den Lippen. Und doch - damals hatte sie viele Fehler begangen. Vieles hatte auf sie hingewiesen und eine große Stange Geld war darauf angewandt worden, einen passenden Schuldigen zu präsentieren. Bei dieser praktischen Gelegenheit hatte sie auch ihren heutigen Besucher kennen gelernt. Schnell hatten die beiden Seelen sich als ebenbürtig erkannt, mancherlei köstliches Spiel hatten sie miteinander begangen.
Das Läuten der Glocke riss sie aus der Melancholie. Elegant erhob sie sich und erreichte die Haustüre noch vor Pubert.
"Tragen sie auf Pubert. Der restliche Abend steht zu ihrer freien Verfügung. Indes wünsche ich nicht, ihrer hier angesichtig zu werden", säuselte sie und prüfte in einem Spiegel rasch den Sitz ihres Haars. "Nun gehen sie", scheuchte sie den Lakai und als sie sich vergewissert hatte, dass er wirklich verschwunden war, öffnete sie schwungvoll die Tür.
"Hugo", rief sie lächelnd aus, "wie schön sie zu sehen."
Hugo Pack entblößte eine Reihe eckig anmutender, angegilbter Zähne.
"Marietta. Sie ahnen nicht, wie sehr mir dieses Treffen am Herzen liegt", meinte er überschwänglich und betrat das Haus. Geschwind zog die Dame die Türe zu und half dem Händler aus dem Jackett.
"Sie gestatten doch? Mein Mädchen ist erkrankt, sehr ansteckend. Sie und auch die übrige Dienerschaft musste ich unter Quarantäne stellen", erklärte Lady Winterfein unverbindlich und zog das gute Stück auf einen Lederbespannten Kleiderbügel. "Deswegen kann ich ihnen auch kaum etwas anbieten. Nur etwas von der Vorspeise, die man mir gestern kredenzte."
"Solange sie nicht Schorsch vergessen haben", beschwichtigend winkte Hugo ab und ließ nun Schorsch zu Boden. Auf dem Weg von der Straße Schlauer Kunsthandwerker hatte dieser sich den Ausdruck einer Krokodillederhandtasche gegeben. Dabei hatten lediglich zwei um seinen Bauch geschlungene Lederriemen das kleine Krokodil gehalten. Mit diebischen Vergnügen klappte jetzt der Schnabel auf und zu, an einem Zahn hing noch ein Stofffetzen. Ein unschuldiger Passant hatte so stramme Waden gehabt, Schorsch hatte nicht wiederstehen können. Und wer glaubte schon dem Ausruf: "Die Handtasche hat mich GEBISSEN!"
Glücklich rieb das Tier sein Köpfchen an Mariettas ausgestreckter Hand und entriss ihr dankbar den Hühnerknochen, den sie von irgendwo her gezaubert hatte. Dabei sollte nicht der Eindruck entstehen, Schorsch sei ein zahmes Krokodil, nein beileibe nicht. Schorsch wusste einfach nur, was gut für ihn war.
"Machen wir es uns gemütlich", flötete Marietta, nachdem sie dem kleinen Krokodil eine Weile zugesehen hatte und führte Hugo in das Esszimmer. Zwischenzeitlich hatte Pubert aufgetragen, zwei Terrinen Suppe dampften auf dem Tisch, dazu gab es Gänsewein. "Ist es nicht entspannend, so ungestört zu sein?", meinte die Lady und nahm am Kopfende Platz.
Hugo stellte die Brauen steil auf. Er hatte aufgehört sich über die unzuverlässige Dienerschaft von Mylady zu wundern. Und sicherlich war es nützlich, nicht beständig dem Klatsch von Hausmädchen ausgeliefert zu sein. Trotzdem hätte er gegen etwas mehr Komfort nichts einzuwenden gehabt.
"Äußerst angenehm", sagte er stattdessen und nahm Platz.
Schweigsam löffelte das optisch so ungleiche Paar die Suppe. Nachdem Marietta ihre dünnen Lippen behutsam mit einer Serviette abgetupft hatte, erhob sich die Hausdame und führte ihren Gast in den Salon.
"Ich hoffe es stört sie nicht, dass es ein wenig kühl ist", lächelnd fächelte sie sich mit der flachen Hand Luft zu, "aber ich kann stickige Hitze nicht ausstehen."
"Das erklären sie immer wieder, Teuerste", charmant lächelte Herr Pack und nahm in seinem angestammten Sessel Platz.
Lady Winterfein kniff die Lippen zusammen. Sie konnte es gar nicht leiden, wenn Gäste unaufgefordert Platz nahmen.
"Nun, Hugo. Diese Runde geht an sie", pikiert lächelnd breitete sie sich auf einer nahestehenden Ottomane aus und tastete nach dem Schubfach einer kleinen Rosenholzkommode, "Schachmatt, wie ich meine." Geschickt förderte sie nun ein Schachbrett zutage. Die wenigstens Figuren standen noch auf dem Spielfeld, auch der schwarze König fehlte. "Ich werde ihnen ewig übel nehmen, dass sie meine gute Freundin als Dame benutzten", mit blitzenden Augen lächelte sie und reichte dann das Spiel an Hugo weiter. "Füllen sie es wieder auf?"
Verbindlich lächelnd zauberte Hugo aus seiner Jackentasche die passenden Figürchen.
"Immer wieder gern. Und täuschen sie mich nicht, der Tod ihrer Freundin war nicht unpassend für sie."
"Wie gut sie mich kennen", säuselte die Dame, "geben sie mir nun Revanche."
Unvermittelt schüttelte Hugo den Kopf. "Das geht nicht, liebe Freundin. Wir müssen ein anderes Spiel beginnen. Ich erhielt gestern unliebsamen Besuch. Eine Wächterin", abschätzig spie er das Wort aus, "es scheint, diese unsäglichen Wächter sind über einen Zusammenhang gestolpert."
"Jetzt empören sie mich aber. Auch ich erhielt gestern Besuch. Zwei ganz ordinäre Personen. Wollen sie sich davon einschüchtern lassen? Vergessen sie sich nicht!"
Ungestüm erhob sich Hugo. "Meine Dame, verstehen sie doch. Zu viel weist auf mich hin, viel mehr als auf sie. Wenn die Wächter tatsächlich Einblick in meine Werkstatt verlangen... dann bin ich ruiniert."
"Schachmatt, mein Lieber. Schachmatt, das klingt doch viel passender."
"Guten Tag, Mylady. Sprechen sie mich an, wenn sie zur Besinnung gekommen sind!"
Er griff sich Schorsch und stampfte davon.
Marietta erhob sich, um zu prüfen, ob Hugo die Türe ordentlich geschlossen hatte. Erst danach gestattete sie sich ein Lachen.
"Ha! HA! HA-HAAAAAA!"
Feigheit vor dem Feind, so etwas konnte Lady Winterfein nicht leiden. Ihr Egon war ganz genauso gewesen, furchtsam, nervös. Sein übelriechender Schweiß war in Strömen geflossen, wenn er mal wieder zu hoch gesetzt hatte. Es war sein Untergang gewesen und ihr Ruin. Gewiss würde sie nicht dulden, dass es wieder so weit käme. Nein, nicht sie. Nicht Lady Marietta Winterfein. Ein böser Zug umkränzte den Mund, als sie ihr gutes Briefpapier herausholte...
"Lieber Lord Witwenmacher..."***Unsanft stieß Kathiopeja Tussis Bürotüre auf.
"Morgen", grunzte sie kehlig.
"Wie siehst du denn aus?"
Tussnelda saß auf einem leicht durch gedrückten Pappkarton, balancierte eine Kaffeetasse auf den Knien und blätterte in einer Akte.
"Du mich auch", blaffte Kathiopeja und ließ sich schwer auf eine andere Kiste krachen. Inständig hoffte Tussnelda, dass nichts wichtiges kaputt gegangen war. Irgendwann wollte sie sich mal Zeit nehmen, um nachzuschauen, was überhaupt in den Kisten drin war. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
"Jetzt trink erst mal", die Gefreite erhob sich und reichte der Ermittlerin ihren Kaffeebecher. Plötzlich blitzten Kathis matte Augen auf, ihre leicht zittrige Hand streckte sich dem Kaffee entgegen.
"JA! Her damit!", sagte sie hart und entzog dann Tussi ruckartig das Gesöff. Ihre schweissfeuchten Hände rutschten am Henkel ab und die Tasse fiel nach unten, wo sie in einer braun-heissen Explosion zerbrach - ebenso Kathiopejas Nerven.
"SPINNST DU?", keifte sie los und machte Anstalten sich auf die verwirrte Tussnelda zu stürzen, "was fällt dir ein, MEINEN Kaffee runter zu werfen!"
"Ich hab doch nur..."
"Ich hab doch NUR! Ich hab doch nur!", äffte sie Kathi böse nach, "Hättest du mir die Tasse gleich gegeben, wäre das nie passiert! Warum kannst du nie aufpassen?!"
"Langsam", nun ruhig schaute die Püschologin ihrer Freundin in die Augen, "was ist hier los?"
"GAR NIX", erwiderte die andere Gefreite bockig, mit kritischer Betonung auf allen Vokalen.
"Mensch, Kathi, erzähl mir nichts", versuchte Tussi die Freundin aus der Reserve zu locken, aber Kathiopeja verschränkte nur die Arme vor dem Oberkörper, zauderte einige Augenblicke und lief dann hinaus.
Es fiel Tussnelda sehr schwer, ihr jetzt nicht zu folgen. Aber sie kannte Kathi schon lange genug um zu wissen, wann der Kampf verloren war. Zumindest vorerst.
Kopfschüttelnd sammelte sie mit spitzen Fingern die Scherben ein und warf sie in ihren stinkenden Müllkorb.
***Später saß die Püschologin in der Kantine und holte das zweite Frühstück nach. Sie war allein am Tisch, aber das war ihr recht. Die Akte hatte sie natürlich mitgenommen, sie verwand es einfach nicht, dass sich die Geschichte so wenig fort bewegte. Ihr war klar, dass Hugo Pack Dreck am Stecken hatte. Sie spürte es so deutlich wie eine sehr kalte Dusche. Und auch Lady Marietta Winterfein verbarg hinter ihrer noblen Blässe die dreckige Visage einer Verbrecherin. Wenn ihr doch nur gelingen würde, dieses Gefühl festzunageln! Wenn sie doch nur wüsste, wo sie ihren Hebel ansetzen musste, um alles zu kapieren!
Tussnelda biss herzhaft von ihrem Brötchen und wischte sogleich hastig die Krümel von der Mappe. Ertappt fuhr sie herum, als ihr jemand auf die Schulter tippte.
"Thask!", rief sie undeutlich aus und musste sogleich würgen. Der Geruch des Zombies machte ihr beim Essen noch mehr zu schaffen als sonst.
"Tussnelda", gab er zurück und ignorierte geflissentlich die Würgegeräusche.
'Oh, Götter, wenn er mir jetzt auf die Schulter klopft, kotze ich', dachte die Gefreite und entblößte ihre Zähne im Versuch eines Lächelns. Krummen hingen zwischen ihren Zähnen.
"Will nur kurz stören", meinte er, "Eben kam ne Meldung rein, dass dieser Hugo Pack tot aufgefunden wurde. Ich dacht mir, das interessiert dich."
Tussnelda glotzte und sagte: "Hä?!"
"Kannstes mir gern glauben."
Tussnelda schluckte noch einmal schwer und fing sich dann endlich.
"Woher weißt du eigentlich, dass ich mit dem zu tun hatte?"
"Ich bin Kontakter", erwiderte er, als ob das alles erklären würde.
"Ach so. Ja, schön, danke. Äh... ich geh dann mal", kurz nur überlegte die Püschologin, ob sie ihr Brötchen mitnehmen sollte. Sie tat es dann auch - aber nur bis zum nächsten Mülleimer.
***Kathiopeja, die sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, und Tussnelda trafen am Tatort erst ein, als die Susen mit ihrer Arbeit fertig waren. Der erste, der ihnen entgegen kam, war Rabe in seinem verwegen wirkendem Mantel.
"Schöner Tag, was?", grinste er.
"Was gibts denn jetzt da drin?"
Rabe winkte ab und grinste weiter. "Wenig zu tun heute. Wir haben die Quittung erst übersehen, nur deswegen wurdet ihr her gerufen. Aber jetzt ist alles in Ordnung."
"Eine Quittung?", unisono riefen dies Ermittlerin und Püschologin, "Das darf nicht wahr sein!"
Rabe zuckte mit den Schultern. "Guckt selbst nach. Wir sind grad beim Aufräumen."
Grußlos ließen das ungleiche Duo den Tatortsicherer stehen und erstürmten den Laden. Tatsächlich! Dort lag Hugo Pack, ein präziser Kehlenschnitt hatte ihn sekundenschnell verbluten lassen. Die Quittung hatte ihm jemand an den Zeh gehängt, der aus unerfindlichen Gründen ebenso nackt waren, wie der Rest der Füße.
"Das gibts nicht", murmelte Kathiopeja wieder und ging neben dem Toten in die Knie.
"Äh", sagte Tussnelda und kratzte sich am Kopf, "ob er was dagegen hätte...?"
Knapp wies sie die Kollegin an, ihr zu folgen.
Der Hinterraum war so, wie Tussnelda ihn in Erinnerung hatte. Nicht einmal das kleine Tischchen mit der Patience fehlte, das Sofa war genauso hässlich wie bei ihrem ersten Besuch und die übergroße Schrankwand nahm immer noch die Hälfte des Raums ein. Und dann war da noch die verbotene Tür...
KathiopejaKathi bemerkte den interessierten Blick nicht, den ihre Kollegin der Tür zuwarf, die Hugo so vehement geschlossen gehalten hatte. Was mochte dahinter sein? Sicher, die Werkstatt, aber was enthielt sie?
Vorsichtig ging sie darauf zu. Hugo Pack war tot. Sie konnte es sicherlich wagen, hineinzugehen. Ob SUSI bereits drin gewesen war? Bestimmt. Dann war es auch kein Problem für sie, den Raum zu betreten.
Die Püschologin ging auf die Tür zu, während die andere Gefreite sich im Raum umsah.
Als ihre Hand sich nach der Klinke ausstreckte, durchfuhr sie ein seltsamer Druck vom Fuß her.
"AH!"
Kathiopeja fuhr herum und bemerkte zeitgleich mit der Angegriffenen das kleine Krokodil, dass sich mit den Vorderzähnen an der Wächterin festzuhalten schien.
Die Klatschianerin unterdrückte ein Lachen. Irgendwie sah es schon witzig aus, wie ihre Freundin dort stand, das Krokodil mehr wütend als ängstlich betrachtend, das sich fast verzweifelt mit den Zähnen an sie klammerte. Oder besser gesagt an ihren Fuß.
"Alles in Ordnung?"
Rabe Raben war erschienen, der wohl ebenfalls Tussis Schreien gehört hatte.
"Was ist denn hier..." Er betrachtete die Situation. "Oh..."
Die Gefreite schien keine Großen Schmerzen zu haben.
"Hätte man mich nicht warnen können?", wollte sie wissen und deutete auf das kleine Lebewesen.
"Nun.. das wussten wir nicht. Bis hier sind wir nicht vorgedrungen. Wir haben die Lizenz vorher gefunden."
"Na toll..."
Mittlerweile war Kathi zu ihrer Kollegin gegangen und kniete sich neben sie. Das Krokodil schnappte zögerlich nach ihrer Hand. Offensichtlich konnte es sich nicht entscheiden, welche der beiden es lieber biss. So war die Wächterin ein wenig schneller und konnte ihre Hand rechtzeitig wegziehen.
Sie wusste nicht, wie man mit diesen Tieren umging, doch sie dachte, man könne das Wissen um andere Geschöpfe sicherlich übertragen. Also griff die Ermittlerin nach dem Schwanz und zog es daran in die Höhe. Es überraschte sie, wie schwer das noch recht kleine Wesen war, das sich nun wand und zappelte und vergeblich nach dem Arm der Peinigerin schnappte.
"Könntet ihr etwas holen, wo wir es einsperren können? Es wird auf Dauer schwer."
Tussnelda stand noch immer vor der Tür, die Hand ausgestreckt. Daran änderte sich nichts, als Rabe einen Pappkarton brachte und das Lebewesen gemeinsam mit der anderen Gefreiten darin unterbrachte.
"Wir sollten uns deinen Fuß ansehen.", meinte der ehemalige Wasserspeier schließlich.
"Nicht nötig, er hat mich eigentlich gar nicht getroffen. Ich hatte einfach nicht damit gerechnet. Nur die Schuhe sind hin." Sie verzog das Gesicht.
"Sicher?", hakte Kathiopeja nach.
"Ja. Und nun will ich wissen, was in diesem Raum ist, wenn sogar dieses gemeine Biest ihn beschützt."
Kathi sah in den Karton. Das Krokodil sah nicht wirklich wie ein gemeines Biest aus. Es blickte fast traurig in die Richtung, in der Tussi zu vermuten war. Die Wächterin mochte Reptilien. Und für dieses begann sie Mitleid zu empfinden. Woher kam es? Gehörte es Hugo? Und wenn ja, wusste es, dass sein Besitzer tot war?
Die Ermittlerin wandte sich wieder der Kollegin zu, gerade als die Tür zur Werkstatt aufschwang.
Doch entgegen Tussneldas Hoffnung schien es eine ganz gewöhnliche Werkstatt zu sein. Der Raum war recht klein und nur mit dem nötigsten eingerichtet. Ein kleiner Stuhl, Schränke, Holz und eine Arbeitsfläche, die mit Papieren bedeckt war. Ein wenig enttäuscht betrat sie das Zimmer.
"Hmm... ich hätte etwas mehr erwartet."
"Ja, ich auch.", stimmte Kathiopeja ihr zu nachdem sie nach ihrer Flasche gekramt hatte und ihr wieder eingefallen war, dass sie die gar nicht dabei hatte.
Aufmerksam durchsuchte die Püschologin das Zimmer. Es war nichts auffälliges zu finden. Ein paar Blöcke, Zeichnungen von Schachfiguren, Briefe, mehr befand sich nicht in der Werkstatt.
Tussi wollte die Langeweile, die dieser Raum auszustrahlen schien nicht hinnehmen. Sie nahm sich eines der Schriftstücke und las.
...die Milch bitte immer um acht...Das Blatt flog zurück auf den Stapel. Sie las ein neues.
Wirklich ein sehr schönes Schachspiel, meine Enkelin hat..."Kann ich dir helfen?", wollte Kathi wissen.
"Ja, find was interessantes."
Die Wächterinnen lasen eine Menge Briefe, doch es war nichts verdächtiges dabei. Dafür aber eine Menge Danksagungen, Nachrichten an oder von dem Milchmann und Rechnungen.
"Ich hab genug. Willst du wirklich weitersuchen?", begann Kathi zu quengeln.
"Irgendwas hatte dieser Kerl zu verstecken. Ich weiß es."
Die Ermittlerin seufzte und nahm sich einen der Blöcke. Sie versuchte zu lesen, was auf dem obersten Blatt geschrieben worden war. Allerdings vergeblich.
Tussnelda wühlte sich noch immer durch die Schriftstücke und so beschloss die Gefreite, sich näher mit dem Block zu beschäftigen. Uninteressanter konnte es nicht werden.
Sie wandte das klassische Mittel des Bleistiftes an, um das Geschriebene sichtbar zu machen.
Kathiopeja las, was lesbar war.
Auf dem Papier stand:
...Witwenmach...Auftrag...rietta Winterf...Grüße...PackIhr Hirn überschlug sich und vervollständigte den Satz.
"Ähm.. Tussi? Ich hab hier was."
Die Püschologin fuhr herum. Sie betrachtete ihre Kollegin, nahm ihr den entgegen gestreckten Zettel ab und las.
Hastig schaute sie Kathi an und blickte noch einmal auf das Blatt vor ihr.
"Verstehst du, was das heißt? Wir müssen zur Lady! Und zwar schnell."
"Ja, ich weiß. Vielleicht gibt es bei ihr ja Kaffee.", murmelte sie.
"Du hattest heute wirklich schon genug davon, Kathi!", meinte Tussnelda und zerrte ihre Kollegin mit sich. "Du trinkst ihn praktisch den ganzen Tag. Ein bisschen weniger davon täte dir ganz gut."
"Bitte!?"
Die Ermittlerin blieb plötzlich stehen. Es war nicht gut, dass Tussi so etwas sagte. Sie schien misstrauisch zu werden. Das ließ Kathis Laune noch mehr sinken. Und zu allem Überfluss spürte sie schon wieder, wie ihre Hände zu zittern begannen. Warum passierte das in letzter Zeit so häufig?
Ein wenig Ruhe. Ich brauche nur einen Moment Ruhe. Das ist der Stress, mehr nicht., dachte sie.
Die Klatschianerin lehnte sich an die nächste Wand, schloss die Augen und atmete tief durch.
"Alles in Ordnung mit dir?", wollte ihre Kollegin wissen.
"Ja.", knurrte Kathiopeja.
"Du zitterst."
"Von wegen!"
"Hör zu, ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber vielleicht solltest du mit irgendwem reden.", schlug die Quirmianerin vor.
"NEIN!"
Kathi öffnete die Augen und starrte ihre Freundin böse an, die ein wenig zurückwich.
"Verdammt noch mal, ich muss mit niemandem reden! Ich hab's unter Kontrolle, verstanden!?"
"Du hast was unter Kontrolle?"
Die Püschologin sah einen Weg, das Verhalten Kathiopejas zu verstehen. Ihre Mitwächterin schien ein wenig abwesend, also konnte sie vielleicht mit einer Antwort rechnen.
"Na die St...", die Gefreite unterbrach sich. "Verflucht, hör auf mit deinen püschologischen Tricks!"
"Du fluchst heute ziemlich viel, findest du nicht? Zumindest wenn du Kaffee willst. Und es war kein Trick, nur eine Frage." Besorgt sah Tussnelda zum anderen RUM-Mitglied, dem nun der Schweiß auf der Stirn stand. "Und dein Kaffeekonsum wirkt sich sicher nicht positiv auf dich aus. Du wirkst fast süchtig."
Das war zu viel. Dieser Satz ließ Kathis in letzter Zeit ohnehin dauernd angespannte Nerven mal wieder reißen.
Tussi schrie überrascht auf, als sie die Faust der Ermittlerin auf sich zurasen sah. Nur einen Sekundenbruchteil später durchfuhr sie ein dumpfer Schmerz.
Als die beiden Wächterinnen durch den Schwung des Schlags das Gleichgewicht verloren und einen Moment danach auf dem Boden aufschlugen, ächzte die Püschologin unter dem Gewicht der anderen Gefreiten. Ihr Kopf schien explodieren zu wollen. Sie erwartete weitere Schläge, doch nichts geschah.
Kathiopeja sah entsetzt auf die unter ihr Liegende herab. Bestürzt schlug sie die Hände vor dem Mund zusammen.
"Tussi.. ich..." Tränen standen ihr in den Augen. "Bei den Göttern... bitte... das..."
Der erste Impuls der Angegriffenen war zurückzuschlagen. Doch dann ließ der intensive Schmerz nach, ließ diesen Gedanken verfliegen und machte Platz für ein unangenehmes Pochen. Die Wächterin begann in für ihren Job normalen Bahnen zu denken. Sie sollte sauer sein, doch was brachte das? Der Püschologin in ihr fiel bestimmt etwas wirkungsvolleres ein.
Ein paar Gedankengänge später sagte Tussnelda:
"Du kannst ziemlich hart zuschlagen, weißt du das?"
Sie versuchte sich zu erheben und nachdem Kathi von ihr heruntergestiegen war, gelang ihr das auch.
"Wir sollten uns um Marietta kümmern.", sagte die Quirmianerin und klopfte sich Staub von der Uniform. Das Sprechen bereitete ihr einige Schmerzen, doch sie versuchte das zu ignorieren.
Ihre Freundin nickte noch immer sichtlich geschockt.
"Ich werde diesen Vorfall jetzt erstmal vergessen."
"'nke.", erwiderte die Klatschianerin verlegen.
Die Püschologin sah sie ernst an. Die rote Verfärbung um ihr rechtes Auge wies die Stelle genau aus, an der sie geschlagen worden war.
"Kathi, dir ist klar, das ich das nicht endgültig vergesse, sondern nur für die restliche Zeit, in der wir an diesem Fall arbeiten. Dann kümmere ich mich darum. Es wird besser für dich sein, glaub mir."
Und für deine Umwelt auch., setzte sie in Gedanken hinzu und unterdrückte das Verlangen, sich ins Gesicht zu fassen.
"
Was wird besser für mich sein?", wollte die Ermittlerin
Doch sie bekam keine Antwort.
***Auf dem Weg zum Anwesen schwiegen beide Wächterinnen. Was wohl auch daran lag, dass sie einen großen Teil des Weges rannten.
Außerdem traute sich Kathiopeja nicht, ihre Freundin anzusprechen. Dass sie so sehr die Beherrschung verloren hatte war ihr mehr als peinlich. Sie hatte auch überhaupt keine Ahnung, was sie hätte sagen sollen. Also versuchte sie, Überlegungen zu dem Fall anzustellen. Was ihr gründlich misslang.
Als die RUM-Mitglieder vor der Haustür der Lady und ihres Bediensteten standen, hatte sich die von Kathis Faust getroffene Stelle in Tussneldas Gesicht bereits blau verfärbt. Der 'Zwischenfall' war gar nicht mehr zu übersehen.
Die Püschologin hatte sich einige Gedanken gemacht, beendete diese nun mit einem Seufzer und klopfte.
Eine Reaktion erfolgte überraschend schnell. Schon nach ein paar Sekunden hörten sie das leise Geräusch von Schritten, die sich näherten.
Zum ersten mal seit fast einer halben Stunde sahen sich die zwei Gefreiten an. Beide schienen überrascht.
Schließlich öffnete Pubert die Tür halb und blickte die Frauen mit einer Mischung aus Argwohn und Unzufriedenheit an.
"Was kann ich für die Damen tun?", wollte er wissen. Unverhohlen starrte er auf Tussis blaues Auge.
"Wir sind keine Damen", knurrte Kathiopeja und wollte die Tür mit einem starken Stoß vollends öffnen, hielt sich dann aber zurück.
Sie mochte diesen Kerl nicht und die Wut auf sich selbst ließ sich gut auf ihn übertragen.
"Kathi, bitte. Überlass das lieber mir."
"Ja, klar... Kein Problem."
So freundlich es ging, wandte sich Gefreite von Grantick dem Butler zu, trotzdem klang sie aufgeregt.
"Wir müssen zu Frau Winterfein."
"Die Lady ist noch nicht aufgestanden."
"Aber es ist fast Mittag!", sagte die Klatschianerin und erntete einen wenig begeisterten Blick ihrer Freundin, der sie nicht weiter sprechen ließ.
"Die Lady hat ihr Schlafgemach heute noch nicht verlassen. Wären die Damen dann so freundlich, das Grundstück zu verlassen?"
Kathi ballte die Fäuste. Warum nannte er sie immer wieder Damen? Und warum war sie so verdammt wütend darauf?
"Wir haben den begründeten Verdacht, dass die Lady in höchster Gefahr schwebt!" Tussneldas Stimme wurde immer aufgeregter.
"In diesem Haus gibt es keine Gefahren.", entgegnete Pubert trocken.
"Ein Assassine wurde auf sie angesetzt!" Die Ermittlerin schrie fast, als sie das sagte.
Der Angestellte der Lady wurde sichtbar blass und öffnete die Tür weit.
"Aber das ist doch nicht möglich...!", stammelte er dabei.
Die Wächterinnen betraten das Haus.
"Wo ist das Schlafzimmer?"
"Die Treppe hoch und dann dritte Tür links. Sie klemmt manchmal.", antwortete der Butler geistesabwesend und sichtbar geschockt.
Beide Frauen waren bereits auf dem Weg nach oben. Vor der beschriebenen Tür hielten sie an, drückten die Klinke und... nichts passierte. Sie ließ sich nicht bewegen.
"Toll", meinte Kathi.
Die beiden Wächterinnen rüttelten eifrig an der Tür. Doch der machte das nichts aus.
Nach einigen weiteren Versuchen ließ sie sich schließlich öffnen und die Gefreiten befanden sich gemeinsam mit Marietta Winterfein im ihrem Schlafzimmer.
Die Lady lag tot in ihrem Bett.
***Die Tatortwächter hatten sie nicht rufen müssen. Die Quittung neben dem Bett war der eindeutige Beweis für die Aktivität eines Assassinen. Und genau das hatten sie nach dem Fund des Zettels in Hugos Werkstatt erwartet. Doch hatten sie gehofft, die Lady noch lebend vorzufinden. Aber sie hatten ihr nicht mehr helfen können. Also hatten sie beschlossen, im Wachhaus vorbei zu schauen und sich ein wenig zu sammeln. Sie mussten sich mit dem Tod ihrer beiden Hauptverdächtigen beschäftigen.
Tussnelda war in ihre Kammer verschwunden und Kathiopeja fand den Weg in ihr Büro, wo ihr Gnom Marven sich aufhielt.
Schweigend setzte sie sich, kramte ihren Block aus der Tasche und machte sich einen Kaffee.
Doch schon nach ein paar Minuten brach die vom RUM-Mitglied genossene Stille, als der Gnom anfing sich darüber aufzuregen, dass er ignoriert wurde, und eine Menge Verwünschungen auszustoßen.
"Marven bitte, ich habe hier einen verzwickten Fall zu lösen!"
"Ja, hab davon gehört."
Das wunderte Kathi wenig. Er schien von allem zu hören.
"Vielleicht sollte man die beiden Wohnorte noch mal durchsuchen."
"Was du nicht sagst.", erwiderte die Ermittlerin, während sie auf ein paar Notizen blickte. "Aber die Susen kommen nicht, weil es Gildenmorde waren."
Das kleine grauäugige Wesen seufzte. "Also manchmal glaube ich, ich sollte deinen Job machen. Du bist eine gesunde junge Frau." Kichernd fügte er hinzu: "Zumindest körperlich." Dann beruhigte er sich wieder und fuhr in einem normalen Ton fort: "Also untersuch die Orte einfach selber."
"Da hab ich auch schon dran gedacht. Wir wissen leider gar nicht, wonach wir suchen sollen. Und das Anwesen der Lady zu zweit zu durchsuchen würde ewig dauern."
Noch einmal seufzte der Gnom theatralisch. "Na dann fangt eben mit der Werkstatt an."
"Haben wir vor.", meinte Kathiopeja trotzig.
Misstrauisch blickte sie zu ihrem Mitbewohner. Woher wusste er so viel? Das konnte man doch nicht irgendwo aufschnappen...
Gerade wollte sie ihn darauf ansprechen, da betrat Tussi den Raum.
"Können wir?"
"Klar.", antwortete die Klatschianerin, die sich im Geiste eine Notiz machte, dass sie den Gnom dringend sprechen musste.
Marven pfiff laut, als er Tussnelda sah. "Wow... Wer hat dir denn das nette Veilchen verpasst?"
Kathi sprang auf, griff sich die Notizen und ihre Tasche und murmelte ein paar unverständliche Worte. Sie hastete grade zu aus ihrem Büro und schmiss die Tür hinter sich und der Quirmianerin zu.
Ich wette, er weiß Bescheid., dachte sie mies gelaunt und schnaufte wie ein Sumpfdrache kurz vor der Explosion.
***Die Werkstatt sah noch genauso aus, wie sie sie ein paar Stunden zuvor hastig verlassen hatten. Nur das nun keine Wächter mehr dort waren.
Und jetzt? Wonach suchen wir? Er wurde von einem Assassinen getötet, fein. Sagt uns das etwas? Und wenn wir noch nicht einmal wissen, wonach wir suchen, wo fangen wir dann an?, dachte Kathi. Neben ihr seufzte ihre Kollegin. Offenbar gingen Tussi die selben Gedanken durch den Kopf. Doch die Ermittlerin traute sich nicht sie anzusprechen, als sie das blaue Auge sah, dass sie ihrer Freundin verpasst hatte, regte sich wieder das schlechte Gewissen in ihr.
Schließlich begann die Püschologin zu sprechen.
"Wir sollten uns wohl umsehen."
Kathiopeja nickte. "Wo fangen wir an?"
"Ich denke, die Werkstatt wird am wahrscheinlichsten etwas nützliches ans Licht bringen. Wenn wir überhaupt etwas finden können, was uns in der Mordserie weiter hilft."
Die Mordserie mit den Schachfiguren.. ja.., überlegte die Klatschianerin
Eigentlich ermitteln wir in einer Mordserie. Jetzt sind unsere einzigen Tatverdächtigen tot und wir müssen zusehen, dass wir die Morde trotzdem klären...Ihre Laune sank und sie machte sich daran, der anderen Gefreiten zu folgen, die bereits angefangen hatte die Werkstatt zu durchsuchen.
Den Haufen Papiere, die sie bereits am Morgen gelesen hatten, ließen sie aus. Doch es gab noch genug andere Schubladen und Fächer zu durchsuchen. Und nach vielen verzweifelten Stunden waren sie in den Ermittlungen nicht weiter gekommen. Bis Tussnelda sich zu Wort meldete.
"Kathi, ich glaube, jetzt wird es interessant."
Die Püschologin hatte ein verstecktes und auch abgeschlossenes Fach gefunden. Ihre Kollegin kam zu ihr und betrachtete das Schloss.
"Das ist ein relativ gutes, vielleicht brauchen wir einen Experten.", sagte sie und zog ihren Dolch. Dann lachte sie trocken. "Naja.. wenigstens haben wir Zeit unsere Verdächtigen können ja nicht mehr weglaufen."
"Kathi! Bitte!"
"'Tschuldigung."
Nach einigen weiteren Minuten öffnete sich die Tür unter dem überlegenen Lächeln der Klatschianerin. In dem Fach befand sich ein großes, in braunes Leder gebundenes Buch. Sie nahm es heraus und reichte es ihrer Kollegin mit den Worten: "Sieht ziemlich teuer aus."
Tussi zuckte mit den Schultern.
"Mal sehen, was drin steht."
Sie schlug eine beliebige Seite auf und las vor.
"Meine Gegenspielerin hat heute mal wieder einen guten Zug getan. Sie hat die Dame erwischt. Der Mord wird ihr nicht nachzuweisen sein, denke ich. Schade eigentlich. Aber sie sollte sich nicht zu früh freuen, ich weiß, wie ich den König Schach matt setze. Sie wird überrascht sein, was ich mir da ausgedacht habe. Erst wollte ich meinen kleinen Schorsch mit einplanen, spitze Zähne sind immer gut, besonders wenn sie sowieso zum Töten gemacht sind. Allerdings wäre die Bisswunde von einem Krokodil etwas aufsehen erregend. Selbst im Theater von Ankh-Morpork."
"Das klingt schon mal hochinteressant. Wir sollten uns das Buch mal genau ansehen. Allerdings ist es schon dunkel. Lass uns zur Wache gehen. Wir können dort weiter überlegen, was Hugo Pack und diese Aufzeichnungen mit den Serienmorden zu tun hatten."
"Und die Lady...", warf Tussnelda ein. "Irgendwas muss sie damit zu tun haben. Es ist doch etwas zu seltsam, das beide am selben Tag von einem Assassinen ermordet wurden, beide Verdächtige waren und Hugo Pack sogar den Auftrag für die Lady gegeben hat."
Kathi nickte zustimmend. Das sah sie genauso.
Beim Gehen erinnerte sich die Klatschianerin an das Haustier aus Hugos Aufzeichnungen. Sie suchte nach dem Karton, in den sie das Tier gesteckt hatte, das Tussi am Morgen angegriffen hatte. Er war noch da, genau wie das kleine, zusammengerollte Wesen darin. Kathiopeja betrachtete es.
"Was ist denn?", wollte die Quirmianerin wissen.
"Ich denke, das ist Schorsch."
Die Püschologin sah den Schuhzerstörer an.
"Und?"
"Wir sollten ihn mitnehmen."
Mit einer Mischung aus Entsetzen und Überraschung blickte Tussnelda ihre Kollegin an.
"Schau ihn dir doch mal an!", sagte Kathi mit einer Tonlage, die andeutete, dass sie hin und weg war.
Das Krokodil schien zu ahnen um was sich das Gespräch drehte, rollte sich aus und blickte mit traurigen Kulleraugen aus dem Karton.
"Ich nehme ihn nicht mit!", protestierte Tussi.
"Fein, dann mach ich das eben.", meinte die Ermittlerin trotzig.
Sie griff nach dem Reptil, das sich überraschenderweise ohne Murren anheben ließ. Es rollte sich plötzlich zusammen, wie eine Handtasche. Beide Wächterinnen sahen sich einen Moment erstaunt an. Dann zuckte Kathiopeja mit den Schultern. Sie sah den Vorteil, den diese Position beim Transport bildete.
Die RUM-Mitglieder verließen die Werkstatt und machten sich, in Tussneldas Fall ein wenig von Schorsch genervt, wieder auf den Weg zum Wachhaus, wo sie sich dann dazu entschlossen am nächsten Morgen weiter zu machen.
***Diese Nacht verbrachte Kathiopeja in der Wache. Sie wollten Schorsch nicht mit zu sich nehmen, ihn aber auch nicht allein im Büro lassen.
Marven beschwerte sich eine Menge, mal wieder. Kathi trieb das zur Weißglut, mal wieder. Und schließlich schnarchte er auf ihrer Tasche, während sie kaum schlaf fand, mal wieder.
Zumindest das kleine Krokodil war ruhig. Sie blickte es immer wieder an und fragte sich, wie ein Mann aus Ankh-Morpork an ein solches Tier kam.
Nein..., belehrte sie sich schnell selbst. Die Frage ist in dieser Stadt nicht wie, sondern warum.
Spät in der Nacht, während sie in Gedanken versunken war, schlief sie schließlich doch noch ein, um am nächsten Morgen von den Geräuschen des geschäftigen Wachhauses geweckt zu werden. Kathiopeja hatte nicht vorgehabt am Schreibtisch einzuschlafen. Zumindest war sie aber froh, überhaupt geschlafen zu haben. Auch wenn das hieß, mit einem schmerzenden Nacken durch den Tag zu müssen.
***Sie hatten es geschafft, dass zwei Tatortwächter-Teams von SUSI zum Anwesen geschickt wurden um nach halbwegs auffälligen Dingen im Haus zu suchen. Es traf weder bei den vier SUSI-Mitgliedern noch beim Abteilungsleiter auf viel Begeisterung. Allerdings gab es an diesem Tag sowieso noch nicht viel zu tun.
Während also ein paar Susen das Anwesen der Lady durchsuchten, beschäftigten sich Kathiopeja und Tussnelda mit dem ledernen Buch, das sie in der Werkstatt gefunden hatten. Die Handschrift war sicherheitshalber mit der von Hugo Pack verglichen worden. Sie stimmte überein.
Es war für beide erschreckend, wie detailliert einige Morde beschrieben wurden. Und mit welcher Gleichgültigkeit. Allerdings gab es auch Morde, über die der Verfasser weniger froh zu sein schien. Dann war die Rede von einer '
weiteren fehlenden weißen Figur. Sie ist nicht schlecht, aber ich glaube, man wird eher sie schnappen als mich.'
Tussi und ihre Kollegin waren sich recht schnell einig, dass mit 'sie' Hugos Gegnerin gemeint sein musste. Von ihr lasen sie immer wieder.
Schließlich lehnte sich die Püschologin zurück. Irgendwie fror sie. "Meinst du wirklich, diese Morde haben stattgefunden? Auf diese Weise? Anscheinend als Teil eines.. Spiels?" beim letzten Wort schüttelte sie sich ein wenig.
Kathi seufzte schwer. "Ankh-Morpork ist eine große kranke Stadt voll von vielen kranken Menschen." Sie grinste. "Du bist Püschologin, du weißt das am besten."
Die Quirmianerin schüttelte energisch den Kopf. "Ja.. aber
das?" Sie deutete auf das Buch.
Innerlich gab die Ermittlerin ihr recht. Sie hatten noch nicht einmal die Hälfte des Buches gelesen, doch was sie an Kaltherzigkeit und Berechnung mitbekommen hatte, war mehr als genug. Genaue Beschreibungen der Tathergänge und der Stolz des Mörders, der daraus sprach, ließen auch sie schauern. Doch irgendjemand musste auch Püschologen ermutigen.
"Hör zu Tussi, wir können nichts dafür. Klären wir diesen Königsmord, der am Anfang unserer Ermittlungen stand. Bevor all diese anderen..." plötzlich machte es klick und sie fragte sich, warum die beiden nicht eher darauf gekommen waren.
"Die anderen Morde! Wenn die Akten, die wir von den anderen Morden mit den Schachfiguren haben, genau das selbe sagen, wie das Buch aus Hugos Werkstatt, dann muss Pack der Mörder gewesen sein!"
Tussnelda dachte einen Augenblick nach und nickte dann bedächtig. "Ja, wenn das Buch wirklich ihm gehörte." Dann schürzte sie die Lippen. "Und die Taten, die er nur kurz erwähnte, und auf 'sie' schob müssen von seiner Gegenspielerin begangen worden sein..."
"Wenn unsere Vermutung stimmt, dann ja."
Sie blickten sich einen Moment lang an und machten sich dann in stiller Übereinkunft auf den Weg, die Akten zu holen, die sie vor ein paar Tagen auf eine Mordserie aufmerksam gemacht hatten.
Im Büro ließen sie ein kleines Krokodil zurück, dass sich unter Tussneldas Stuhl zusammen gerollt hatte und von alle dem gar nichts bemerkte.
***Die ersten Seiten stimmten tatsächlich mit den frühesten Akten über die Morde mit den Schachfiguren überein.
Die Fälle mit den schwarzen Figuren waren genau beschrieben, mit ein wenig Stolz, wie es schien. Während bei denen mit Weißen nur ein Kommentar zu lesen war, der in Richtung "Naja.. sie hat auch wieder einen erwischt." ging.
Diesmal waren die beiden Wächterinnen gezwungen, das Buch vollständig zu lesen. Interessant war, dass die Beschreibungen von Tat zu Tat kürzer wurden.
Es fand sich auch ein Eintrag zum Mord in der Scheibe. Kathiopeja und Tussnelda waren schockiert gewesen, dass es eigentlich nur ein flüchtiger Kommentar war.
Hab mich heute als Reperatör ins Teater eingeschlichen und das Schwärt ausgetauscht. Damit hab ich den Köhnig erwischt. Ich denke, dass bedeutet meinen Sihg.***Zurück im Büro fanden sie eine Nachricht der SUSI vor.
Haben nichts Auffälliges gefunden, mal abgesehn von einem Schachbrett, bei dem Figuren fehlen. Der Butler, von dem ihr geredet habt, war nicht da.Es folgte eine Liste der fehlenden Figuren.
Nachdem den beiden Gefreiten klar wurde, dass die fehlenden Schachfiguren genau die waren, die bei den Toten gefunden worden waren, folgten einige Minuten des Schweigens.
Schließlich begann Kathi zu sprechen:
"Bei Hugo waren Aufzeichnungen, die die Morde beschrieben. Bei Marietta fand sich ein Schachbrett, bei dem exakt die Figuren fehlen, die bei den Toten gefunden wurden. Hmm.. das heißt dann wohl unsre Mörder sind tot."
Tussnelda nickte. "Ja. Wahrscheinlich haben sie sich auch noch gegenseitig umbringen lassen."
Etwas zog an ihrer Hose, was dazu führt, dass sie das Gesicht verzog. "Und Hugo hat auch noch ein Krokodil hinterlassen."
"Ja. Und er mag dich."
Die Püschologin reagierte nicht.
"Was hast du mit ihm vor, Tussi?"
"Ich? Wieso ich?"
"Wie gesagt: er mag dich.", erinnerte die Ermittlerin. "Du kannst ihn doch nicht einfach ignorieren. Komm schon, willst du ein armes, hilfloses Wesen einfach so sich selbst überlassen?"
Die Quirmianerin zögerte. Kathi sah sich bereits siegen. "Na also! Jetzt schreiben wir noch einen Bericht, und dann können du und Schorsch nach Hause gehen." Sie grinste.
Tussi wehrte sich nur noch ein paar Minuten und nur halbherzig. Was sollte sie auch tun? Schorsch schien sie sich ausgesucht zu haben.
***Als sie am Abend kurz vor Dienstende gemeinsam im Aufenthaltsraum saßen, schien Kathiopeja das blaue Auge ihrer Kollegin gar nicht mehr zu bemerken.
"Ich mag Fälle, die sich im Laufe der Zeit von allein lösen.", sagte Kathi plötzlich.
Ihre Kollegin sah auf und lachte dann. "Ja, das kann ich mir vorstellen."
"Und wir haben ein paar ungeklärte Mordfälle weniger im Archiv." Die Ermittlerin lehnte sich zurück und trank einen Schluck Kaffee. Wo Marven wohl war? Irgendwas hatte sie von ihm gewollt. Sie dachte angestrengt nach, doch es fiel ihr nicht ein. Und auch ihre Freundin schien ihren Gedanken zu folgen.
Nach einer Weile brach Tussnelda schließlich das Schweigen.
"Aber es ist schon interessant, dass ausgerechnet solche Menschen Aufzeichnungen machen." Sie notierte sich etwas, das ihr gerade zu der Püsche dieser Personen einfiel und umkreiste es ein paar mal.
"Es is' nur gut, wenn wir ein Tagebuch vom Täter haben. Weniger Arbeit für uns."
"Ja. Und mehr Zeit, uns unseren persönlichen Problemen zu widmen.", pflichtete die Quirmianerin ihr bei.
"
Ich habe keine persönlichen Probleme.", sagte Kathi mit viel Nachdruck.
Ihre Kollegin hob zweifelnd die Augenbrauen. Die Püschologin in ihr sah das nicht ganz so. Aber sie wusste schon, wie sie ihrer Freundin helfen konnte. In diesem Moment zupfte das kleine Krokodil namens Schorsch an ihrem Bein und sah sie verlangend an. Tussi gab sich redlich Mühe, es nicht zu bemerken.
[1] Vielleicht sollte hier erwähnt werden, dass die Ermittlerin die meiste Zeit über genauso rat- und orientierungslos war wie ihre Kollegin. Immerhin waren die beiden in den besseren Gegenden von Ankh-Morpork.
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