Wer andern eine Ratte brät

Bisher hat keiner bewertet.

von Gefreiter Aven Resta (RUM), Hauptgefreiter Thymian Pech (RUM)
Online seit 12. 10. 2005
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 Außerdem kommt vor: Araghast Breguyar

Beim Versuch, einige Zwerge als Informanten anzuwerben, geraten Aven und Thymian in einen Generationenkonflikt, der sich als gefährlicher erweist, als es zunächst den Anschein hat.

Dafür vergebene Note: 12

Anmerkung: Die Coop spielt noch vor der Pokalmission "Joan" von Thymian

***Thymian Pech***


"Ich sag's ja... lächerliche... Läufer", brachte Thymian keuchend hervor und stützte sich an einer Hauswand ab.
"Ich- ich weiß nicht so recht." Die zittrige Stimme Avens veranlasste den Hauptgefreiten aufzusehen. In der Finsternis der Gasse waren vier brennende kleine Punkte auszumachen. Schwacher Rauch glimmte am Ende, als einer der vier Zwerge an seiner Zigarre zog und langsam, die linke Hand am eisenbeschlagenen Gürtel, nach vorne trat. Er war kräftig gebaut, trug traditionelle Kleidung: Kettenhemd und Eisenstiefel. Mit der rechten Hand schleifte er eine Axt hinter sich her, um dann die Zigarre vor sich zu spucken, mit einem Ruck die Axt zu heben und die Zigarre knapp vor sich in zwei Teile zu spalten.
"Man nennt uns Die Vier Finger", sagte er ruhig und deutlich. Leise rutschte Thymians Küchenmesser aus der Scheide.
"Seht mal, w-wir verraten euch nicht, bestimmt nicht", fing er kläglich an, seinen Blick dabei nicht von dem Zwerg lassend. Hinter ihm im Dunkeln hörte man das unverkennbare Klacken einer Armbrust, die entsichert wurde. Eine weitere Zigarre erlosch zischend. Dann kam der zweite Zwerg zum Vorschein, dröhnende feste Stiefeln auf dem Pflaster. Das diffuse nächtliche Mondlicht und der Schein einer fernen Straßenlaterne warfen einen bizarren Schatten auf die Straße. Der vielzackige Helm und der Buckel des Zwerges ließen den Schatten zu einem kleinen Drachen werden. Unsicher sah Thymian zu dem letzten brennenden Punkt in der Gasse. Es vergingen einige angespannte Sekunden bis sich etwas tat. Metall blitzte im Dunkeln auf, Luft wurde sirrend und zischend zerschnitten - Die Zigarre erlosch. Aus den Schatten kam ein schwarz gekleideter Zwerg, zwei Wurfäxte schnell hin und her schwingend. An den Stielen der Waffen waren Lederschlaufen befestigt, an denen der Zwerg die Äxte um seine Finger wirbeln ließ, hinter den auf- und absausenden Schneidblättern heimtückisch lächelnd. Thymian fand, er hatte genug Beeindruckendes gesehen.
"Ihr habt doch wohl nicht etwa gelauscht?", fragte der Zwerg weiterhin lächelnd. Der Zwerg mit der großen Axt trat noch einen Schritt vor. Thymian und Aven wichen etwas zurück. Ein Kampf gegen vier schwer bewaffnete Zwerge war zu zweit nicht mehr als ein Freifahrtsschein ins nächste Grab. Das wussten beide. Zumindest hoffte Thymian, dass das auch sein Kollege wusste. Der ehemalige Narr umklammerte das Küchenmesser, das er immer bei sich führte und wischte sich seine andere schwitzige Hand an der Hose ab. Vielleicht waren Zwerge wirklich lächerliche Läufer, aber sie kannten offenbar die Gegend besser als die Wächter und hatten Abkürzungen gefunden, um sie einzuholen. Wenn sie nun wieder fliehen würden... wie gut kannten sie Ankh-Morpork?
Aven und Thymian sahen sich an. Zum ersten Mal trafen sich ihre Blicke, ohne dass sie hin und hergeschaut oder das Ohr des anderen fixiert hätten. Die Zwerge vor ihnen achteten nicht auf ihren stillen Zwiespalt, sondern rückten langsam näher. Noch vermuteten sie eine gerissene Finte.
"Ich bin für Rennen", flüsterte der Anwerber und wies dann mit dem Kopf leicht zu den Zwergen, "aber wir dürfen nicht zurück rennen. Wir wären schneller wieder am Stollenende, als dir und mir lieb wäre." Plötzlich blieb sein Blick an den Füßen der Zwerge haften. Theatralisch schlug er sich die Hände an die Wangen.
"Oh, bei den Göttern, ist das nicht ein GOLDstück, das dort vor dir liegt?", er hatte niemand bestimmtes angesehen, aber einer der Zwerge bückte sich hastig. Die anderen Zwerge rückten näher, in ihren Augen ein gieriger Glanz. Es war nur ein kurzer Moment, aber er reichte. Aven rannte sofort los, als sich der Zwerg bückte und seine Gegner so aus den Augen verlor. Thymian registrierte zuerst nicht, was um ihn herum geschah, aber dann setzte er sich auch in Bewegung und rannte Aven nach, der einen Zwerg neben sich rempelte, so dass er gegen die gebückten Zwerge stolperte und zwei von ihnen zu Fall brachte. Sie rappelten sich wütend und mit noch schmutziger Kleidung als vorhin schon wieder auf und sahen zu den zwei Männern. Doch diese waren bereits mehrere Schritte weit entfernt. Der in Schwarz gekleidete Zwerg hieb einem anderen auf den Hinterkopf.
"Was steht ihr hier noch rum? Wir müssen sie einholen!"

Weiter vorne hasteten die beiden Wächter durch Schlamm und Straßen.
"Pass auf", keuchte Thymian, "Wir teilen uns auf. - Sie wissen noch nicht, - dass wir Wächter sind." Sie schlugen den Weg in eine Gasse ein und rannten weiter. "Wir teilen - uns auf. - Schütteln sie ab - und - und schleichen uns ins Wachhaus", er spürte wie Aven ihm auf die Schulter klopfte und dann bei einer Gabelung in die linke Straße lief.
"Viel Glück." Dann war er weg. Seine dünne kleine Gestalt wurde sofort von der Dunkelheit verschluckt. Thymian bog in die rechte Straße ein. Bis dahin war es noch einfach gewesen. Aber jetzt hieß es Nachdenken. Wohin sollte er rennen? Vielleicht verfolgte ihn auch keiner? Vielleicht waren alle hinter Aven lang gelaufen? Oder alle hinter ihm? Er lauschte, suchte in den Geräuschen der Nacht nach Kettengerassel und Eisenstiefel.

*** Ein Jahr zuvor ***


Mit einem gellenden Schrei sprang Thymian auf. Der Stuhl kippte krachend nach hinten.
"Ähm", machte Humph MeckDwarf und beugte sich vor, "drückst du so deine Begeisterung über deine Beförderung aus?"
"Äh... Äh... nein, ich musste nur an meine Zeit in der Narrengilde denken", gestand der neue Obergefreite. Hatte er geträumt?
"Scheint ja keine sehr erfreuliche gewesen zu sein. Also, Thymian, ich habe dich nicht nur rufen lassen, um dir deine Beförderung mitzuteilen, sondern auch, weil ich einen neuen Auftrag für dich habe", redete der Abteilungsleiter weiter, "Du hast bis jetzt ja gute Arbeit geleistet, die Bettler von letzter Woche sind eine große Bereicherung für unsere Informantenriege und der bewegliche Briefkasten funktioniert hervorragend. Natürlich stehen wir noch ganz am Anfang."
Thymians Gedanken drifteten erneut ab. Die Narrengilde. Er hatte über zehn Jahren hinter ihren Mauern verbracht.
"... unsere Informanten sind einfach zu einseitig auf den Gebieten verteilt, es sind fast alles nur Menschen, nur ist diese Stadt nun mal bunt gemischt. Wir brauchen jede ethnische Minderheit, jede Rasse, jede Schicht und so weiter..."
Zehn Jahre und was war ihm davon geblieben? Sein Narrengesicht in einem mit Samt ausgeschlagenem Kästchen.
"... es könnte Fälle geben, wo wir auf die Hilfe bestimmter Informanten angewiesen sind und ich möchte lieber gut darauf vorbereitet sein und im Vorhinein planen, denn..."
Er könnte jederzeit wieder zurückkehren.
"Thymian Pech, alles in Ordnung? Hörst du mir überhaupt zu?", Humph beäugte kritisch den jungen Wächter vor ihm, der unruhig auf seinem Stuhl hin- und herrutschte, "Bist du plötzlich verstummt, oder was?"
"Ähhhhm... nein", sagte Thymian, aber es war mehr wie ein schiefes Krächzen.
"Um es kurz zu machen: Die Wache braucht Zwerge. RUM braucht Zwerge."

"Ein Bericht von Ikari Gernetod. Neben Menschen sind Zwerge am häufigsten in Ankh-Morpork vertreten. Es gibt eigene Zwergenkneipen, Zwergenschmieden, Zwergengeschäfte, Zwergenlokale und –Spezialitäten. Blablabla...", Ledamahn warf die Akte achtlos auf Thymians Schreibtisch, "Mit was du dich nicht alles rumplagen musst."
"Ich muss Zwerge anwerben", brachte Thymian nur hervor.
"Ich helfe dir bei", beschloss Ledamahn, "Hab eh grad nix zu tun."
"Nun.. äh, das geht aber keinesfalls so schnell", Thymian machte einen Schritt zum Schrank, stemmte ihn auf und holte einen alten Rucksack heraus, den ihm sein Onkel zur Beförderung geschenkt hatte.
"Warum? Wir gehen zu einem Zwerg und bequatschen ihn solange bis er ja sagt. Notfalls mit Gold."
"Also, ich habe kein Gold parat. Du vielleicht?", Thymian stopfte die Akte zu einigen belegten Brötchen in den Ranzen, sein Notizblock[1] und ein Stift folgte, "Außerdem", fuhr er wichtig fort, "habe ich eine spezielle Taktik, um anzuwerben. Das hat bisher immer funktioniert."
"Hast du denn schon mal einen Zwerg angeworben?", hakte Ledamahn sofort nach.
"Nein", gestand Thymian leiser, "Aber ein Püschologe von FROG und ein Zwerg aus der Wache helfen mir."
"Also brauchst du mich nicht?", Ledamahn lehnte sich gegen den Schreibtisch und sah ihn abwartend an.
"Na ja.. also.. im Moment", begann der Obergefreite herumzudrucksen und ließ dann die Schultern hängen, "Nein, tut mir leid, ich denke... ich schaff das schon alleine. Erstmal."

"Stopp! Nicht so heftig gegen die Tür klopfen!", tönte es aus dem Büro des Püschologen. Thymian öffnete sie vorsichtig und zuckte zusammen, als prompt ein Regal in dem Büro dahinter geräuschvoll zusammenbrach.
"Ähm, Entschuldigung... ich wollte nicht..." Ein Mann mit einer Augenklappe und schwarzen langen Haaren schüttelte darauf energisch den Kopf und bat ihn mit einer Handbewegung hinein.
"Mach dir keine Gedanken drum. Es kippt mindestens einmal im Monat um", der Wächter, nach den Rangzeichen, ebenfalls Obergefreiter, legte ein Buch auf einen hohen Stapel auf seinem Schreibtisch und sah Thymian interessiert an, "Ich bin Araghast."
"Äh, Thymian Pech. Mein Abteilungsleiter schickt mich", der RUM-Wächter trat ins Büro und salutierte nach einigem Nachdenken, aber der Mann hinter dem Schreibtisch winkte sofort ab.
"Du bist der Anwerber? Die Sache mit den Zwergen, oder? Ich hab bereits ein Memo erhalten", erwiderte Araghast in raschem Tonfall. Thymian erschien er irgendwie merkwürdig. Seine Haut war so bleich und er sah ein wenig verwegen aus. Er hatte etwas von einem Piraten. Der Gedanke kam ihm besonders, als er des Papageien gewahr wurde, der auf einer Stange am Fenster hockte und ab und zu laut krächzte.
"Na ja, also..." Die Anfrage schien sein Gegenüber zu beschäftigen, denn er begann unruhig hin und her zu gehen bis er sich schließlich doch wieder setzte. Araghast blätterte in einem der Bücher.
"Um Zwerge anzuwerben, wäre es wohl von Vorteil, wenn du weißt, wie sie auf welche Frage was antworten würden. Du musst ihre Reaktionen, ihre Vorlieben und Gedanken kennen, aber auch ihre Sorgen." Thymian nickte darauf immer wieder. Es klang vernünftig. "Kurz, du müsstest wissen, was momentan unter den Zwergen besprochen wird, was es für Neuigkeiten gibt", fuhr der Püschologe fort, "Ich - äh - könnte mir denken, dass die Themen der Zwerge anders sind, als das, was bei uns Menschen von Interesse ist."
"Und wie finde ich so etwas heraus?", fragte der Anwerber. Araghast sagte zunächst nichts, holte nur ein zusammen gerolltes Blatt aus einer Schublade und reichte es Thymian. Zögernd strich dieser es glatt und sah mit Entsetzen die vielen Buchstaben darauf.
"Im Memo stand, dass ich mich mit Gefreiter Rurik in Verbindung setzen soll. Gemeinsam werden wir wohl ein paar Punkte aufstellen, die dir nützen sollten. Aber für den Anfang", der Püschologe tippte gegen das Blatt, das in Thymians Händen hin und her schwankte, "sollte das dir weiterhelfen."
"Äh... w-was ist das?"
"Ja, ich weiß, es klingt nicht toll, aber das wäre doch ein guter Einstieg oder? Und Gimlets Feinkoststube in der Ankertaugasse ist wirklich ein sehr bekannter Treffpunkt bei Zwergen", Araghast sah den zweifelnden Blick von Thymian, verstand ihn aber falsch und lächelte aufmunternd, "Geh doch einfach mal hin, hm?"
"Na ja, ich...", begann Thymian, wurde aber unterbrochen.
"Und morgen früh haben Rurik und ich sicher einige hilfreiche Tipps für dich. Schau dann einfach noch mal bei mir vorbei." Der Papagei im Hintergrund krächzte bekräftigend. Thymian Pech nickte dankbar. Er hatte zwar keine Ahnung was auf dem Zettel stand, doch es konnte nicht schaden bei diesem Feinkostgeschäft einmal vorbei zu schauen.

In der Ankertaugasse fand Thymian keinen Feinkostladen, er fand nur einen herunter gekommenen, stinkenden, überfüllten Imbiss. Da aber mehrere Leute nach einigem Fragen ziemlich sicher waren, dass es sich dabei um Gimlets Feinkoststube handelte, beschloss der Obergefreite hinein zu gehen. Zögerlich trat er in den verwinkelten Speiseraum. Er erinnerte sich daran, was passiert war, als er das letzte Mal in einer Zwergenkneipe gewesen war. Man war ihm mit Anfeindungen begegnet und hatte ihn am Ende vor die Tür gesetzt. Dementsprechend vorsichtig steuerte Thymian auf eine Theke zu und sah zu dem Zwerg dahinter. Dieser trug eine dreckige Schürze mit mehreren Blutspritzern, eisenverstärkte Stiefel und einem zweigeteilten schwarzen Bart. Gerade überreichte er einem anderen Zwerg eine Ratte-am-Stiel und kassierte einige Münzen dafür, die er einsteckte.
"Ja?", der Zwerg sah ihn fragend an und schien auf eine Antwort zu warten.
"Ich... äh", Thymian versuchte es mit einer Taktik bei der ihm sein Glück schon immer geholfen hatte. Er holte den Zettel hervor und ließ den Zwerg einfach entscheiden, was er damit einfangen wollte. Offensichtlich wusste der Zwerg recht viel damit anzufangen, denn er strich über eine Hälfte seines Bartes und seine Miene hellte sich auf.
"Du willst also hier loslegen?", fragte er, wartete aber keine Antwort ab. "Na dann, komm mit", er zog Thymian am Ärmel und in einen Hinterraum. Dem Anwerber stockte kurz der Atem. Die Luft war schlecht, erfüllt von Tiergestank, Bratfett, anderen Düften und dem vagen Geruch von Blut. "Die Küche", verkündete der Zwerg, "Dein neues Reich", er bückte sich und warf dem Wächter eine Schürze und eine weiße Kappe hin.
"D-du bist Gimlet?", brachte Thymian nur verdattert hervor und versuchte den Blick von einem Bottich abzuwenden in denen Abfälle schwammen.
"Jawoll. Dein neuer Boss", erwiderte der Zwerg, seine Hände dabei in die Schürzentaschen gehakt.
"Aber... aber, was soll ich denn tun?"
"Als neuer Küchenjunge alle so anfallenden Arbeiten." In dem Moment trat von draußen ein weiterer Zwerg in die Küche. "Ah, Tork, ich muss wieder nach vorne. Das ist unser Neuer... äh... Kleiner, wie heißt du?" Thymian sagte seinen Namen und erntete dafür lautes Gelächter. "Erklär dem Gemüse hier alles."
"Aber-" Gimlet verschwand noch ehe der Anwerber sagen konnte, dass das alles ein Missverständnis war. Tork baute sich vor ihm auf. Er war einer dieser typischen Zwerge. Mindestens zwölf Kleidungsschichten, ein Kettenhemd, ein langer brauner Bart und ein mürrischer Gesichtsausdruck. Nur anstatt eines Helmes hatte er eine Kochmütze auf.
"Zieh mal deine Sachen da an", war die erste knappe Aufforderung. Thymian begann langsam zu dämmern, dass das Tragen seiner Uniform auch ab und zu Vorteile hätte, doch als Anwerber war er, wie auch heute, meist in Zivil unterwegs. So blieb ihm nichts anderes übrig, als nicht ohne einem gewissen Ekel die Schürze überzustreifen und setzte die Kappe auf. Er kam sich absolut dämlich darin vor, wusste aber aus Furcht vor den Zwergen auch nichts zu sagen. Ich bin größer als er, ich bin größer als er, sagte er innerlich wie ein Mantra vor sich hin. Er war nun Wächter. Sie konnten ihn nicht mehr so einfach herumschubsen.
"He, bist du verstummt? Ich hab dich was gefragt", der Zwerg stieß ihm leicht in die Rippen und Thymian zuckte zusammen, "Hast du schon mal so was gearbeitet?"
"Äh... mein Onkel hat eine Kneipe, da helfe ich ab und zu...", er stellte mit Erleichtern fest, dass er nicht verstummt war.
"Schön", brummte der Zwerg, "Du bekommst zehn Cent pro Tag. Gearbeitet wird bis zur Dämmerung, du kannst Pause machen, wenn nicht so viel los ist."
"Ja, Sir. Äh.. ich meine... ähm... ich bekomme Geld?", Thymian hatte noch keinen Gedanken an einen Lohn verschwendet und mittlerweile hielt er es gar nicht mal für eine so schlechte Idee hier kurzzeitig zu arbeiten und auch noch etwas dafür zu bekommen. Bis die Männer mit den Käfigen herein kamen.
"Lieferung von der Gilde", schnarrte einer der drei Männer. Mit einem Scheppern ließ er einen großen Käfig fallen, in dem Thymian mit Entsetzen lauter quiekende, sich gegenseitig beißende, entsetzlich widerlich anzusehende Ratten sah. Tork ging zu dem ersten der Männer, der ihm einen Block hinhielt, wo der Zwerg etwas drauf kritzelte. "Bis zum nächsten Mal."
"Einen Moment, wo sind die versprochenen Mäuse?", einer der Männer holte hinter dem Rücken wie einen Blumenstrauß eine Schachtel hervor in der es leise raschelte.
"Wir ham an allet gedacht. Bis die Tage.", er drückte Thymian, der am nahesten bei ihm stand, die Schachtel in die Hände und die Männer verschwanden wieder durch die Tür in den Hof nach draußen.
"Das trifft sich gut", Tork nahm ihm die Schachtel weg und legte sie achtlos in eine Ecke, dann trat er kurz gegen einen der Käfige, öffnete eine Drahtklappe oben, griff blitzschnell in das Gewühl aus Ratten und zog eine heraus. Es war ein dickes, fettes Exemplar und sie zappelte quiekend hin und her, während sie der Zwerg am Schwanz hielt. Thymian wischte sich den Schweiß von der Stirn, sein Magen fühlte sich flau an. "Wir bestellen meist immer gemästete Lebendtiere bei der Rattenfängergilde. Wenn sie tot sind, fangen Ratten eigentlich sofort an zu stinken."
Sie stinken jetzt schon, dachte Thymian, sagte aber nichts.
"Eine Pfannenratte!!", tönte es plötzlich von vorne laut und Tork brummte zufrieden.
"Sehr gut", verkündete er, "Ich zeig dir jetzt wie man eine Pfannenratte zubereitet."
"Äh...", der junge Wächter wollte gar nicht wissen, wie man eine Pfannenratte zubereitete. Es gehörte bei ihm zu dem Wissen auf das man getrost verzichten konnte.
"Du packst die Ratte so, haust sie einmal gegen die Holzkante da", noch im gleichen Augenblick hieb Tork mit Schwung die Ratte gegen die Tischkante, die Ratte fiepte ein letztes Mal, es knackte leise, dann war sie tot, "und nimmst sie danach aus", redete der Zwerg in einem Atemzug weiter. Thymian war schlagartig übel geworden, noch immer hatte er das Geräusch von knackenden kleinen Knochen im Ohr. Während der Zwergenkoch bereits begann das tote Tier aufzuschlitzen, kämpfte der Anwerber weiterhin mit seiner Übelkeit. Er hatte das Gefühl sich übergeben zu müssen, aber glücklicherweise beruhigte sich sein Magen wieder etwas, auch wenn er voller Ekel mit ansah wie Tork die Eingeweide und Knochen herausriss.
"Steh da nicht so rum. Die Rattenlieferung hatte Verspätung. Damit die Gäste nicht so lange auf ihr Essen warten müssen, arbeiten wir immer vor. Also schnapp dir so ne Ratte und hilf mir gefälligst." Ohne ihn weiter zu beachten, begann Tork weiter zu arbeiten und Thymian näherte sich vorsichtig einem der Käfige. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Im Grunde hatte er sich gar nichts vorgestellt.
Du bist Anwerber, sagte er zu sich selber, du bist kein Küchenjunge. Besinne dich auf deine Aufgaben zurück. Immerhin war er hierher gekommen, um etwas über Zwerge und ihr Leben herauszufinden. Und so stellte er eine Frage, die ihm schon die ganze Zeit über beschäftigte.
"Warum eigentlich Rattenfleisch?", der Wächter öffnete vorsichtig die Gitterklappe und atmete noch einmal tief durch, "Ich meine, warum denn kein Rindfleisch oder so..."
"Du bist nen Mensch, du verstehst das nicht", Tork trat zu einem Bottich, der größtenteils mit Wasser gefüllt schien und begann das Fleisch abzubürsten und zu waschen, "Aber wenn du nen kluger Junge bist, kommste selber drauf. Und jetzt nimm dir endlich eine Ratte raus, wir haben nicht ewig Zeit."
"Wo bleibt die Pfannenratte??", hörte man wie aufs Stichwort Gimlets Stimme, "Und einmal flambierte Ratte mit Rahmkäse."
"Siehst du, der Chef meckert schon. Und alles nur, weil uns drei Leute fehlen", brummte Tork und begann das Fleisch in kleine Stücke zu schneiden. Thymian horchte auf. Das klang nach einem Punkt, wo er seine Anwerber-Taktik ansetzen konnte.
"Sind krank, was?", fragte er im Plauderton. Tork forderte jedoch nur eine Ratte und so beugte sich Thymian über den Käfig, atmete noch einmal tief durch und fuhr dann mit der Hand hinein. Doch der erwartete Biss blieb aus, er hatte Glück und erwischte ein Tier an der Pfote. Rasch zog er es heraus und warf die Klappe wieder zu.
"Ne, nicht krank. Kommen einfach nicht mehr. Jetzt müssen wir schnell neue Leute suchen, deswegen die Zettel überall. In so einem Geschäft ist es tödlich, wenn sich der Ruf verbreitet, man müsse lange auf sein Essen warten." Bratfett zischte laut auf, als der Koch die Fleischstücke in eine Pfanne über dem Ofen warf. Thymian sah hilflos auf die Ratte in seiner Hand, die sich hin und her wand und zu entkommen versuchte.
"Gibt es... gibt es nicht eine andere Möglichkeit sie zu töten? Ich meine..."
"Klar, kannst ihnen den Hals umdrehen. Oder sie lebendig aufschneiden." Thymian schluckte und entschied sich dann lieber doch für die Tischkante. Er holte etwas Schwung und schlug die Ratte auf die Tischkante, ihr kleiner Kopf kam dort zum Liegen, Blut spritzte, die Ratte zuckte noch in Thymians zitternden Händen und ihr Kopf schlackerte haltlos hin und her. Sie war tot und Thymian fühlte sich miserabel. Es war das widerlichste was er je in seinem Leben gemacht hatte und er wünschte sich, er müsse es nie wieder tun, doch auf Ratte folgte Ratte bis er das Gefühl hatte wie in einem Traum zu wandeln und sich selbst bei der Arbeit zuzusehen. Wie seine Hände mechanisch in die Käfige griffen, das Quieken der Ratten, die sich zappelnden Körper, rau und dreckig, kotverschmierte Felle, abgetrennte Pfoten, das abgestandene Wasser in den Eimern, die heißen Spritzer Bratfett im Gesicht, die er kaum mehr registrierte. All das zog vor seinem Geiste vorbei wie ein alter Klickerfilm.
Bis Tork irgendwann sagte: "So, Schichtende."
Thymian erwachte aus seiner Starre, seine Arme waren schwer und er ließ müde den Holzlöffel aus der Hand in die Pfanne gleiten in der er eben noch das Fleisch gewendet hatte.
"Ich kann gehen?", fragte er matt. Der Zwerg nickte bekräftigend.
"Für den Anfang ganz ordentlich, Junge." Thymian wischte sich die Hände an der Schürze ab und band sie los. "Geh nach vorne. Gimlet gibt dir deinen Lohn und eine Ratte."
"Eine Ratte?"
"Natürlich, du darfst hier einmal pro Tag umsonst essen", Tork nahm die gusseiserne Pfanne und gab das gebratene Fleisch auf einen Teller, dann kippte er großzügig die dunkle Soße darüber, "Guten Appetit, Gemüse." Thymian bekam den Teller in die Hand gedrückt. Die Vorstellung, dass er hier nun jeden Tag nicht nur Ratten töten, sondern auch noch essen musste, brachte Thymian an den Rand der Verzweiflung. Wortlos ging er nach vorne und setzte sich an einen der Tische. Ratlos stocherte er mit der Gabel im Essen herum. Sein Magen knurrte vor Hunger, das war nicht zu leugnen, aber er würde niemals im Leben eine Ratte hinunter bekommen. Immerhin hatte er sie selber zubereitet.
"Dein Lohn." Einige Münzen landeten plötzlich neben dem Teller. Bevor Thymian etwas sagen konnte, setzte sich Gimlet zu ihm an den Tisch. Der Wächter bedankte sich höflich, aber der Zwerg schien trotzdem keine Anstalten zu machen wieder aufzustehen. Vielleicht war das die Gelegenheit mit Gimlet zu reden. Ganz beiläufig nach den drei Zwergen zu fragen, denn Tork hatte jede Frage danach einfach ignoriert.
"Du isst ja gar nichts. Magst wohl keine Ratte, was?", sagte Gimlet und zwirbelte an einer der Bartspitzen. Es war ruhiger im Imbiss geworden und der Zwerg hatte einen Humpen Bier vor sich abgestellt von dem er ab und zu etwas trank, "Hab ich mir schon fast gedacht. Ihr Menschen vertragt einfach nix."
"Ich mag Ratten gern", hörte sich Thymian zu seinem eigenen Erstaunen leise sagen. Gimlet war anscheinend nicht minder erstaunt, denn er zog fragend eine schwarze Augenbraue hoch. Diese Zwerge würden ihn niemals ernst nehmen, wenn er nicht zumindest einmal eine Ratte essen würde. Der Anwerber zögerte. Vielleicht, wenn er nur einen Happen...
Er piekste ein Stück Fleisch mit der Gabel auf, tränkte es in der Soße und führte es mit zittriger Hand zum Mund.
"Zurzeit herrscht wohl Personalmangel, hm?", fragte er, um das Unvermeidliche noch etwas hinauszuzögern. Dann steckte er die Gabel in den Mund und versuchte rasch das Fleisch mit einem Mal herunter zu schlucken, am besten noch ehe es mit der Zunge in Berührung käme. Natürlich misslang es ihm völlig.
"Weg ist eben weg. Vor vier Tagen waren sie noch da und dann auf einmal schmeißen sie die Arbeit hin. Alle drei gleichzeitig. Jetzt musste ich schon Menschen einstellen", berichtete Gimlet, "Nichts gegen dich natürlich." Thymian versuchte zu nicken, während ihm Tränen in die Augen schossen und er würgen musste. Rattenfleisch war zäh, herb im Geschmack und ließ sich kaum zerkauen. Vielleicht lag es auch an seinen Kochkünsten, aber Thymian hatte den Eindruck, dass selbst eine Schuhsohle besser schmecken würde.
"Vielleicht haben sie... bessere Arbeit gefunden, Chef", brachte der Anwerber hervor, nachdem er das Rattenfleisch hinunter gebracht hatte. So ungefähr jede Arbeit war besser als jene in dieser Küche, dachte er.
"Ich glaub, das Mucksmäuschen hat ihnen einfach den Kopf verdreht", erwiderte Gimlet orakelhaft.
"Das Mucksmäuschen?", fragte Thymian zurück, während er sich geistig zu überwinden versuchte ein zweites Stück vom Teller zu nehmen.
"Ein Zwerg", Gimlet machte trotzdem eine wegwerfende Bewegung mit der Hand, "Zumindest behauptet es einer zu sein. Aber das ist kein Zwerg mehr, das ist einfach nur ein kleinwüchsiger Mensch", er schlürfte an seinem Bier.
"Warum ist er... es anders?"
"Es redet den jungen Zwergen Flausen in den Kopf, von wegen 'Ihr könnt mehr sein als nur Schmiede' oder 'Warum flechtest du nicht rosa Schleifen in deine Haare'. Ich mein, ich bin ja auch ein moderner Zwerg. Ich sag immer, man muss in der Zeit gehen", redete Gimlet weiter ohne genauer auf Thymian zu achten, "Verkaufe sogar Zuckersteine und feinen Quarz an Trolle."
"Als Geschäftsmann muss man eben über seinen eigenen Schatten springen", versuchte der Wächter etwas Sinnvolles beizutragen, da er natürlich von der Fehde mit den Trollen wusste. Seine Gabel verharrte kurz vor dem Rattenfleisch.
"Ne, über seinen eigenen Schatten kann man nicht springen. Überhaupt nicht möglich. Allein, weil man ihn meistens gar nicht sieht", widersprach Gimlet. Thymian dachte, er würde ein Witz machen und lachte pflichtbewusst, was der Zwerg jedoch mit einem ärgerlichen Brummen quittierte und abrupt sein Bier leerte, "Jedenfalls steuert die Zwergenkultur geradewegs auf den Großen Bogen zu, das spürt man in jedem Stollenwinkel", Gimlet erhob sich, als Rufen nach ihm laut wurden.
"Wie meinst du das?"
"Bis morgen Mittag, Bürschlein", war jedoch das einzige, was der Zwerg noch zu ihm sagte. Thymian steckte die Münzen ein und überlegte, was er nun mit der angebrochenen Ratte machen sollte. Fest stand, dass er keinen einzigen weiteren Bissen mehr hinunter kriegen würde. Es war ein glücklicher Zufall, als sich in diesem Moment ein dick angekleideter Zwerg an seinen Tisch setzte und etwas von "Ist hier noch frei?" brummelte.
"Ich äh wollte eh gerade gehen.", kurzerhand schob er seinen Teller einfach hinüber, sprang auf und eilte beinahe überstürzt aus Gimlets Feinkoststube.

***


"Gr'duzk."
"Gerpffudg", Thymian spuckte beim Sprechen aus und fluchte dann, "Verdammt, das lerne ich nie. Wer spricht denn auch schon so?"
"Zwerge", antwortete Rurik resigniert. Thymian seufzte und rieb sich müde die Stirn. Er hatte gestern die erste Hälfte der Nacht damit verbracht im Eimer seinen Kollegen einen auszugeben und dann die zweite Hälfte der Nacht gebadet, im vergeblichen Versuch den Rattengeruch abzuwaschen, der ihm immer noch anhaftete. Den Rest hatte er mit merkwürdigen Träumen über tanzende Ratten und Magenschmerzen zugebracht.
"Nochma. Guten Tag. Gr'duzk", riss ihn Rurik wieder aus seinen Gedanken. Der Obergefreite versuchte es ein weiteres Mal, aber es wollte ihm einfach nicht gelingen dieses Wort über die Lippen zu bringen.
"Zwecklos", schnaufte er und sah zu Araghast, der mit einer Tasse frischem Kaffee daneben stand und versuchte nicht zu grinsen.
"Weißt du, was der Große Bogen ist?", fragte Thymian beiläufig, um von seinem mangelnden Sprachtalent abzulenken. Der Püschologe verbrannte die Lippen, als er zu eilig schluckte. Unter kräftigem Husten versuchte er zu antworten, brach aber ab und probierte es erneut.
"Das ist eine Redewendung. Eigentlich ein Sternbild, aber man verwendet den Begriff nur noch, wenn man verdeutlichen will, dass die Gesellschaft im Wandel ist. Wenn eine große Veränderung ansteht, die womöglich alle bisherigen Werte auf den Kopf stellt. Das ist der Große Bogen."
"Kein Grund sich am Kaffee zu verschlucken oder?", fragte Thymian und überlegte reflexartig, ob ihm dazu ein passender Witz aus der Narrengilde einfiel.
"Nun ja... so eine Veränderung wird von den meisten nicht besonders positiv angesehen, viele wehren sich gegen das oft Unvermeidliche. Es bedeutet eigentlich immer viel, sehr viel Streit."
"Oh", machte Thymian nachdenklich. Araghast sah ihn abwartend an. "Ein Zwerg sagte mir, dass die Kultur der Zwerge dem Großen Bogen entgegen steure. Deswegen habe ich gefragt." Im Hintergrund räusperte sich Rurik verhalten. "Weißt du etwas darüber?", sagten die beiden anderen Wächter sofort.
"Nur das, was man so redet."
"Was redet man denn so?", bohrte Araghast nach. Der Zwerg sah zu Boden.
"Lass uns erstmal weitermachen, okay?", wich er aus. "Ich hab nämlich gleich mein Bewerbungsgespräch", fügte er rasch erklärend hinzu, als der Frog-Wächter zu einer weiteren Frage ansetzen wollte. "Also... G'hruk, t'uk."
"Ruck, tuck", versuchte es Thymian halbherzig und sah dann flehend zum Zwerg, "Bitte, können wir nicht etwas Einfacheres machen? Ich glaube äh zwergisch liegt mir nicht so." Rurik nickte und nahm dann eine Axt auf, die an der Wand lehnte. Es war eine große Axt mit zwei gewaltigen Schneideblättern, die den Gefreiten bedrohlich überragten.
"Du muss ne Axt halten können. Zwerge respektieren einen nich, wenn man keine Axt anheben kann", Er hielt Thymian die Axt hin, der Anwerber griff danach und hätte sich beinahe den eigenen Fuß gespalten, als er die Waffe entsetzt wieder fallen lassen musste. Seine Arme gaben unter dem Gewicht einfach nach.
"Das is schlecht. Du solltest dir außerdem nen Bart wachsen lassen, ein gepflegter langer Bart is wie ne Visitenkarte. Am besten, du rasierst dich ab sofort nich mehr."
"Ich hab mich noch nie rasiert."
"Das is schlecht."
Thymian ließ mutlos die Schultern hängen. Warum mussten es auch ausgerechnet Zwerge sein? Er hatte natürlich nichts gegen Zwerge, absolut nicht, trotzdem...
"Ich schätze, ein falscher Bart kommt nicht in Frage", Araghast stellte seine Tasse beiseite und fuhr sich über sein eigenes glattes Kinn, "Und ich glaube Thymian braucht mehr Wissen über Zwerge, als die Fähigkeit eine Axt hoch zu heben."
"Hm, na schön", brummte Rurik in seinen Bart, "was weißte über Gold?" Der Anwerber sah ihn verdattert an.
"Na ja, es ist gelb", sagte er verständnislos, "Und viel wert. Glaube ich", fügte er zögernd hinzu, als er das unzufriedene Gesicht des Zwerges bemerkte. "Äh... hartes Metall. Man macht ähm... Kronen daraus. Und Ringe. Ich weiß aber nicht wie, denn eigentlich ist es äh ja hart, also irgendwie... also."
"Du weißt überhaupt gar nix über Gold", stellte Rurik fest, "Ich geh nu Mittag machen. Muss mich stärken vor dem Gespräch." Es klang eher so, als rüste er sich für einen Kampf.
"Mittag? Aber...", dann fiel Thymian etwas ein, "Wie viel Uhr haben wir??"
"Kurz nach zwölf", erwiderte Araghast, doch da war der Rum-Wächter auch schon aus der Türe. Kopfschüttelnd sah ihm Araghast nach, dann wandte er sich an Rurik, "Du, sag mal, wegen dem Bart..."

*** Ein Jahr später ***


Thymian rannte über den Flur des Wachhauses dem Ausgang entgegen. Tork würde ihn sicher schlagen, wenn er zu spät käme. Und gerade heute hatten sie ein großes Zwergenfest auszurichten. Der Küchenjunge hatte sich hier nur schnell in die Dienstliste eingetragen wollen, um dann so rasch wie möglich mit seiner Arbeit zu beginnen. Mittlerweile wusste er, wie sein Name geschrieben aussah und es reichte an der vorgesehenen Stelle ein großes X hinzusetzen. Ein kleiner Umstand aber ließ ihn langsamer werden, als er am Büro seines Abteilungsleiters vorbeikam. Anders als sonst stand die Türe weit offen und als Thymian hineinsah, erkannte er eine fremde Wächterin, die dort saß und einen Kaffee trank. Sie hatte ihn wohl bemerkt, denn sie hob den Kopf und sah ihn fragend an.
"Ja, bitte?"
Thymian drehte sich um, ob nicht noch jemand in der Nähe stand, aber sie musste ihn gemeint haben. Verlegen versuchte er seine nach Bratenfett und Küchenabfällen stinkende Kleidung zu ordnen. "Äh... wo ist denn Hauptmann MeckDwarf?"
"In seinem Büro vermutlich", der Oberleutnant, wie Thymian an den einzelnen Sternen auf den Schulterklappen erkannte, runzelte die Stirn.
"Aber... äh, das ist doch sein Büro", der Küchenjunge kam zögerlich einen Schritt zur Türschwelle hin.
"Das war sein Büro. Vor mehr als einem Jahr, als er noch Leiter bei RUM war", die Frau blickte immer verwirrter drein, "Bist du von SUSI?"
Und dann machte Thymian einen Fehler. Er sagte: "Nein, Mä'äm. Ich bin Anwerber bei RUM."
Zunächst reagierte die Wächterin hinter dem Schreibtisch nicht, sie starrte ihn einfach nur perplex an und setzte langsam die Kaffeetasse ab. Und dann dämmerte die Erkenntnis in ihren Augen.
"Thymian Pech!", donnerte sie. Jetzt wäre die Gelegenheit wegzulaufen, wusste Thymian, aber er war viel zu verängstigt und die Wächterin kam bereits mit raschen Schritten um den Schreibtisch herum. Halb erwartete er, sie würde seine Ohren lang ziehen, aber sie baute sich nur drohend vor ihm auf.
"Du bist der Kerl, der sich immer heimlich in die Dienstliste einträgt, ohne dass ich ihn nur einmal in meiner bisherigen Amtszeit zu Gesicht bekommen hätte!"
"Ich...", versuchte der ehemalige Narr zu Wort zu kommen.
"Hast wohl gedacht, dass du damit durchkommst, Bürschchen. Was hast du dir dabei nur gedacht?!", sie schwenkte bedrohlich ihren Zeigefinger auf und nieder. Thymian krümmte sich unter ihren Worten und versuchte so klein wie möglich zu werden.
"Ich äh... versuche Zwerbe anzuwergen.. äh Zwerge anzuwerben.."
"Und wann gedenkst du dabei Erfolg zu haben? Wenn du deine goldene Uhr bekommst?!", ihre Stimme schallte laut über den Flur und einige vorbeigehende Wächter drehten verwundert den Kopf.
"Ich...", Thymian schluckte alles herunter, was er sagen wollte. In den Augen der Offizierin las er Missbilligung, etwas schien ihr ganz und gar nicht zu passen und das musste wohl sein erbärmlicher Anblick sein. Jetzt würden sie ihn rauswerfen. Thymian wollte seine Dienstmarke nicht abgeben, er begriff es in diesem Moment, er wollte nicht. Trotzdem wanderte seine Hand langsam in seine Jackentasche, umschloss das Metall der Marke. Er war bereit. Der Wächter kniff die Augen zusammen und zog die Schultern an in Erwartung eines Donnerwetters.
"Du bist befördert", vernahm er plötzlich. Thymian lauschte zitternd in die anschließende Stille. Ein schlechter Scherz bevor er den Tritt bekam?
"Mä'äm?"
"Aufgrund deiner Mithilfe im Fall um die Familie Fleurope und Spinaci [2]. Du warst danach nicht mehr aufzufinden, berichtete mir Humph", der Wächterin war deutlich anzusehen, dass ihr das mehr als nicht gefiel, "Ich bin Irina Lanfear, deine neue Vorgesetzte. Wo auch immer du dich bisher herumgetrieben hast, es hat ab sofort aufzuhören. Wenn du weiterhin Wächter bleiben willst, dann hast du dich hier auch sehen zu lassen. Ist das klar?", zischte sie.
Thymian sah zu Boden.
"Ja, Mä'äm", nuschelte er und griff sich an seine Brust, wo ihn ein mit Glüheisen eingebranntes faustgroßes 'R' nur zu schmerzhaft an den letzten Fall erinnerte. Damals hatte er....
"Das wird noch Konsequenzen haben, ich hoffe dir ist das klar, aber ich habe erst einmal einen Auftrag für dich. Das ist deine letzte Chance zu zeigen, dass du ein Wächter bist", sie wandte sich zu einer Seite des Flures und rief laut einen Namen, den Thymian nicht kannte, doch offenbar war er nur zu gut jemand anderes bekannt, denn ein junger schmächtiger Mann kam aus einem der Büros und salutierte vor der Abteilungsleiterin. "Das ist Aven Resta, ein neues Mitglied bei R.U.M. und er möchte Anwerber werden. Du, Thymian, wirst ihm das beibringen indem ihr Zwerge anwerbt. Mit denen kennst du dich doch aus oder?" Ein drohender Blick streifte den unverhofften Hauptgefreiten. Er nickte nur stumm, während er seinen neuen Kollegen musterte. "Gut", fuhr Irina fort, "Ich möchte in drei Tagen handfeste Ergebnisse haben."
"In drei Tagen?", platzte Thymian hervor, "aber beim Hauptmann hatte ich zwei Wochen-"
"Drei Tage und keinen mehr! Und jetzt weggetreten!"

Nachdem das Echo der laut zugeworfenen Bürotüre verklungen war und die beiden Wächter nun alleine auf dem Gang standen, warfen sie sich neugierige Blicke zu. Thymian streckte ihm eine von Ratten zerbissene Hand zum Gruß entgegen, die Aven zögerlich schüttelte. Dann bemerkte der Gefreite den strengen Geruch, der vom fremden Wächter ausging und wagte es dezent zu schnüffeln.
"Äh, ich habe äh verdeckt ermittelt", der... Hauptgefreite räusperte sich verlegen, "In einer Imbissstube."
"Was wirst du mir denn beibringen?", Aven blickte sich um und sah unstet mal hier und mal dorthin, während er sprach, doch Thymian fiel dies nicht weiter auf, da er den gleichen Tick hatte und gerade eine interessante Deckenbohle entdeckt hatte.
"Ähm... dieses und jenes, ja, ganz recht. Du äh... wirst lernen, wie du jemanden beobachtest und äh wie du Informationen über ihn sammeln kannst, um diese dann ähem gegen ihn zu verwenden. Das werden wir gleich in der Praxis testen." Thymians Blick huschte über die etwas schlecht sitzende Uniform des Gefreiten. "Aber zuvor solltest du dich umziehen", er probierte einen strengen Blick an Leutnant Lanfears Türknauf aus, den Aven nicht wahrnahm, da er Richtung Wand nickte.

Kurze Zeit später standen sie beide am Platz der Gebrochenen Monde. Es war kein Markttag und so war der Platz nicht gar so voll. Ein Mann lehnte lässig an einem Laternenpfahl und versuchte sich eine Zigarette anzuzünden. Thymian hatte ihn sofort ins Auge gefasst.
"Äh, geh und frag ihn, ob er der Wache helfen will", sagte er und stupste Aven an.
"Was? Einfach so?"
"Ja, ähm ich werde dich von einem sicheren Standort dabei beobachten", Thymian schlenderte in eine Seitengasse, von der er immer wieder um die Ecke lugte und mit ansah wie der Gefreite auf den Zigarettenraucher zusteuerte. Er konnte kaum verstehen, was besprochen wurde, aber Aven startete gut indem er dem Raucher ein brennendes Streichholz anbot. Und dann bot er ihm Geldscheine an, der Fremde nickte, sie gaben sich einen Handschlag und Aven kam wieder zurück.
"Was war denn das?", brachte Thymian hervor. Aven zuckte mit den Schultern.
"Na, ich hab ihn angeworben."
"Aber... aber- wie?"
"Zwei Dollar, bar auf die Kralle." Thymian stockte.
"Ich wusste, dass jeder seinen Preis hat, aber ich wusste nicht, dass er so niedrig liegt [3]", er zog den Gefreiten etwas zur Seite, "Das äh war sehr schön gemacht, sehr äh schnell, aber du kannst nicht alle Leute mit Geld anwerben. So viel Geld hat die Wache nicht. Als Anwerber hast du zwar Spesengeld, aber das musst du dir gut einteilen", er schwenkte mahnend den Zeigefinger, weil ihm nichts Besseres einfiel, "Aber es gibt auch noch andere Methoden jemanden anzuwerben", Thymian senkte verschwörerisch die Stimme, "Zum Beispiel: Eine Hand wäscht die andere."
"Ist das nicht Korruption?", warf Aven sofort ein.
"Ähm... so eng darfst du das nicht sehen. Man drückt hier und dort mal ein Auge zu, schaut weg, lässt die kleinen ähm Fische laufen, damit wir die großen schnappen können. Das ist keine Korruption. Aber man kann auch versuchen so viel wie möglich über die Zielperson zu erfahren und mit Hilfe dieser Informationen kann man die Person dazu bewegen uns zu helfen..."
"Ist das nicht Erpressung?"
"Nein, nein", wiegelte Thymian ab, "Es sind ja Verbrecher, die wir meist anwerben. Ich mein, entweder wir verhaften sie oder wir werben sie an. Das ist ganz einfach", er räusperte sich verlegen, "Aber du hast recht. Das ist ein äh schmaler Grat. Manchmal muss man auch Sachen tun, die gegen das Gesetz verstoßen, damit man das Vertrauen der Zielperson erlangt, ich weiß, das ist sehr heikel und..."
"Kein Problem. Ich bin dabei!"

***


Aven ließ kleine Steine über den Ankh flippen, zumindest hatte er das vor, aber schon beim ersten Auftitschen blieben sie mit einem leisen 'Flurp' stecken. Thymian sah in den Sternenhimmel.
"Also ich weiß, dass hier ein großes Zwergenfest stattfindet, da wird viel getrunken und alle sind gut gelaunt." Eigentlich hätte ich dafür bei Gimlet arbeiten müssen, er wird mich rausschmeißen, ging es Thymian dabei durch den Kopf. Und dann wäre auch sein erklecklicher Nebenverdienst vorbei.
"Und wie viele Zwerge soll ich da anwerben?", fragte ihn sein Kollege. Er pfefferte mit Schwung einen großen Stein in den Fluss. "Verdammt, der Gestank ist unerträglich. Warum sagtest du, warten wir noch mal hier?"
"Um die Zwergenkneipe dort zu beobachten. Sie heißt Stollenende und ist eine sehr traditionelle Zwergenkneipe. Wir müssen vorsichtig sein, deswegen will ich erst sehen, wer alles kommt." Thymian lehnte sich müde gegen ein Fass, das, nach dessen Geruch zu urteilen, etwas Gepökeltes aufbewahrte und rieb sich die Stirn.
"Kennst du dich mit Frauen aus?", fragte er unvermittelt. Aven schaute schnell hinter sich, ob da noch jemand anderes stünde, aber er musste wohl gemeint sein.
"Du bist verliebt", stellte Aven im Tonfall eines Diagnostikers fest. Thymian fuhr augenblicklich hoch.
"Was? Also... also.. ähm, so meinte ich das gar nicht. Ich meinte nur für den Fall-"
"Lad sie zum Essen ein", überging der Wächter die Frage.
"Was?", entgegnete Thymian wieder entsetzt, "Ich kann sie doch nicht zum Essen einladen, außerdem würde sie eh ablehnen, sie kann mich nicht leiden und und.. vielleicht findet sie mich doof!" Er hielt sich die Handflächen gegen die Stirn und versuchte seinen wirren Gedanken Einhalt zu gebieten. Der Anwerber in Ausbildung hüstelte leise.
"Nuuun", sagte er nach einer Weile des Nachdenkens, "ich schätze, dann- oh, sieh mal. Da tut sich was." Der Gefreite deutete zur Kneipe und beide Wächter gingen in Deckung. Zwei Zwerge waren auf die Kneipe zugesteuert, hatten aber kurz davor halt gemacht und standen nun neben der Eingangstüre und schienen auf etwas zu warten. Thymian kauerte sich hinter das Fass und wünschte, er hätte eines dieser Rohre, womit man so weit sehen konnte. Es vergingen ein paar Minuten in denen sich die zwei Zwerge offensichtlich unterhielten. Das Gespräch brach aber sofort ab, als sich ein weiterer Zwerg aus den Schatten löste und sich zu den beiden anderen gesellte. Der Anwerber runzelte die Stirn. Der dritte Zwerg war komplett in schwarz gekleidet, er war irgendwie anders, er bewegte sich... anders. Ein Assassine vielleicht?
Sobald die drei Zwerge im "Stollenende" verschwunden waren, kroch Aven aus seinem Versteck und schlich zu Thymian.
"Folgen wir ihnen?", fragte er, "Die sahen mir nicht geheuer aus." Der junge Wächter war bereits aufgestanden, als ihn Thymian noch einmal zurückzog.
"Vergiss nicht, die Leute reißen sich nicht gerade darum der Wache zu helfen. Du musst den ersten Schritt machen", der Anwerber sah besorgt zu dem dunklen Gebäude, es besaß zwei Stockwerke, überall in den Fenstern brannte Licht. In der Nacht waren äußerst schwach die Buchstaben "Stollenende" auf der Fassade zu erkennen. Aber noch mehr als das Gebäude machten Thymian die Besucher Sorgen. Sie hatten Zwerge mit Äxten dort reinspazieren sehen, doppelt so groß wie sie selbst. Zwerge mit Helmen, die eine Walküre vor Neid erblasst hätten.
"Also dann.... los geht's."

Das erste, was ins Auge stach, waren Bärte. Es gab rote, buschige, lange und schlohweiße, lockige Bärte, pechschwarze und Gabelbärte, Backenbärte, Kinnbärte. Bärte in allen Ausführungen. Nur eines sah man nicht: Adrette Schleifchen in den Bärten. Dafür viele Rußflecken, Biertropfen und Essensreste sowie um den Bart herum eine Menge Zwerg und Kettenhemd.
Natürlich wanderten die Blicke zu ihnen, aber es gab kein Geraune oder Gemurmel. Viel mehr wurde es plötzlich still, irgendwo klang noch ein vereinzelter dumpfer Gesprächsfetzen nach, dann war es komplett still. Thymian versuchte das zu ignorieren und steuerte mit Aven zur Theke. Dann erspähte er endlich einige vertraute Gesichter unter den Zwergen, die er schon mal in Gimlets Imbiss gesehen hatte und er nickte ihnen zu. Die Lage entspannte sich ein wenig. Leises Murmeln setzte wieder an. Doch noch bevor sie bei der Theke angelangt waren, traten zwei Zwerge mit herrschaftlichen Schritten vor sie und verschränkten ihre Arme vor ihren Bärten.
"Was denkt ihr, was ihr hier wollt?", fragte der erste und rümpfte eine faltenumrandete Knollennase.
"Na, nen Bier und nen Sitzplatz", erwiderte Thymian, wollte an dem Zwerg vorbei, doch wurde er von diesem am Unterarm festgehalten. Die anderen Zwerge schienen dichter zu rücken, alles wartete gespannt, was weiter passieren würde. Thymian wollte gar nicht wissen, was weiter passieren würde, aber er durfte nicht schwach sein.
"Ja, wir wollen hier trinken und 'Leg Herrn Zwiebel rein' spielen", warf Aven ein.
"Leg Herrn Zwiebel rein, was?", brummte einer der Zwerge.
"Ja, ähm das spielen wir immer." Ein Zwerg mit ellenlangem schwarzem Bart trat hervor und rückte seinen Helm zurecht. Dann sah er in die Runde und räusperte sich tief, als hätte er etwas furchtbar wichtiges zu sagen.
"Ich komme aus den Spitzhornbergen und mich hat noch niemand beim Kartenspiel besiegt." Andere Zwerge nickten darauf wissend mit dem Kopf. "Spielt ihr mit Geld?"
"Ähm, nun....", setzte Thymian an.
"Sicher! Mein Kumpel hier ist der beste Spieler in ganz Ankh-Morpork", Aven klopfte seinem Kollegen auf die Schulter und baute sich neben ihm auf.
"Willst du etwa behaupten, wir hätten keine Chancen? Mach Platz!", ein breit gebauter Zwerg schob sich durch die Umstehenden und setzte sich auf eine freigewordene Bank, dann tippte er fordernd mit seinem Finger auf das Tischholz, "Los, ich will Einsätze sehen. Setz dich da hin, du Landei!"
Thymian hatte noch nie schneller Platz genommen. Geprassel von Geldstücken und auch einige Trollzähne landeten auf dem Tisch. Schweiß rann dem Anwerber jetzt schon den Rücken runter. Zwerge anwerben... seine Abteilungsleiterin schien zu denken, dass man so etwas alltäglich nach dem Frühstück tat. Dabei hatte er gerade jetzt viel zu viel Angst, um irgendwas zu tun. Zwerge drängelten sich um den Tisch, er vernahm ihren bierig-metallischen Geruch, das Klirren von Kettenhemden im Ohr.
Dann aber fiel ihm endlich etwas auf. Er sah noch einmal in die Runde und ja, es stimmte, der dunkel gekleidete Zwerg, den sie vor der Türe mit den zwei anderen beobachtet hatten, war nicht zu entdecken. Als die Zwerge Karten und Bier holten, flüsterte Thymian leise zu Aven, der hinter ihm stand.
"Der Dunkelzwerg ist nicht hier im Raum... vielleicht...", er musste nicht weiterreden, denn Aven entfernte sich sofort. Man bemerkte es kaum. Für einen Moment stand er noch interessiert in den letzten Reihen der Zwerge, die sich um den Tisch geschart hatten, und dann war er in einem anderen Raum verschwunden. Thymian versuchte ihm nicht nachzusehen. Hatte er richtig gehandelt? Ihm wurde klar, dass er eigentlich nicht viel über Aven wusste. Er hätte sich mit ihm mehr unterhalten müssen, aber nun war es zu spät.

Aven schlich vorsichtig eine Treppe hoch, bemüht möglichst leise zu bleiben. Ob der dunkel gekleidete Zwerg wirklich ein Assassine war? Aber warum sollte er die Zwerge dann beobachten? Immerhin war ein Assassine ein rechtmäßiges Mittel. Er sollte doch hier Zwerge anwerben und keine verhaften oder so, doch vielleicht fiel das unter die Methode die Anzuwerbenden mit gesammelten Informationen über sie in die Ecke zu drängen.
Lautlos schritt der ehemalige Dieb den schmalen Flur entlang, lauschte nach Stimmen. Die Enden seines verschlissenen Mantels flatterten hinter ihm her, als er um eine Ecke huschte und zum Ende des Stockwerkes gelangte. Zwei Türen waren an beiden Seiten zu sehen und Stimmen zu hören, offensichtlich von Zwergen, die sich bemühten leise zu sprechen. Im Zimmer gegenüber war dagegen lautes Schnarchen zu hören. Vorsichtig lugte der Gefreite durch das Schlüsselloch, aber der Schlüssel steckte, verschwommen sah er an den Kanten Umrisse eines Bettes. Der Zwerg dort schien wahre Wälder wegzuholzen. Er huschte zur anderen Türe und wiederholte die Prozedur. Hier steckte kein Schlüssel, denn er sah durch das Schlüsselloch den Rücken eines Zwerges, der genau davor stand.
".... es muss ein für alle mal..."
"So sehe ich..."
Aven bemühte sich etwas zu verstehen, aber es drangen nur Wortfetzen zu ihm, ohne einen Sinn in sich erkennen zu lassen. Von unten aus dem Schankraum hörte er lautes Gelächter und das Klirren von Flaschen, die gegeneinander schlugen. Der Rum-Wächter schlich weiter an der Wand entlang bis zu einer Stelle, wo die Stimmen deutlicher waren. Kurz sah er sich noch einmal um, ob auch niemand nach oben gekommen war, erst dann drückte er sein Ohr gegen die Wand und lauschte.

"Gimlet ist in erster Linie Geschäftsmann. Ich hab euch gleich gesagt, dass der sich auf keine Seite schlägt."
"Aber er hat uns damals rausgeschmissen. Lasst uns ihm einen Denkzettel verpassen!" Poltern und Flüche waren zu hören, offenbar fiel ein Stuhl um.
"Still jetzt! Gimlet wollte nur keine Leiche in seinem Imbiss. So was ist schlecht für's Geschäft. Wir müssen den wirklichen Anhängern endlich ein Denkzettel verpassen, die machen sich in der Stadt viel zu sehr breit. Und wenn wir dann das Mucksmäuschen erwischen, werden auch ihre feinen Anhänger einsehen, dass der alte Weg immer noch der bessere ist."
"Und was schlägst du vor?" In diesem Moment klang von unten lautes Klatschen und Stampfen. Aven versuchte die von unten kommenden Geräusche auszublenden und konzentrierte sich wieder auf die Stimmen hinter der Wand.
"Ja, genau und uns geht's dann an den Kragen. Nein Danke, Grimblock."
"Wer sagt denn, dass sie uns erwischen? Wenn die bemerken, dass das Mucksmäuschen tot ist, sind wir schon längst aus der Stadt und in den Spitzhornbergen."
"Hah, dazu müssen wir es erst einmal erwischen. Es hat viele Anhänger, die es beschützen."
"Sollen sie doch kommen, sollen sie es doch beschützen. Es wird nichts nutzen."
"Dann starten wir übermorgen den Plan."
"Und morgen die Vorbereitungen. Das Werkzeug liegt schon bereit."
"He, was machst du hier?!", diese Stimme kam nicht von hinter der Wand, sie kam direkt hinter Aven her und gehörte einem Zwerg, der ihn erbost anstarrte.
"Ich äh hab mich verlaufen", versuchte es der Gefreite halbherzig.
"Du hast doch gelauscht!"
"Tut mir leid, ich äh glaub, ich hab da meinen Kumpanen von unten gehört", Aven drückte sich flink an dem Zwergen vorbei ehe dieser nach ihm greifen konnte, rannte die Treppe hinunter und drängte sich durch eine Ansammlung an Zwergen, die alle um einen Tisch herumstanden. Alkoholgeschwängerte Luft, Gestank, Ketten rasseln, der Boden schwankte durch ihr festes Aufstampfen. Aven schaffte es nach einigen Ellenbogenknüffen in die Nähe von Thymian zu kommen, der gerade einen Fächer von Karten konzentriert in seinen Händen hielt.
"Wir sollten gehen", zischte der Gefreite seinem Kollegen zu. Dieser nickte kaum merkbar, aber man sah die Erleichterung in seinen Augen. Da hörte man bereits von oben Geschrei und wütende Rufe des Zwergs.
"Das sin Spitzel!", drang einer der Rufe besonders laut durch den Schrankraum. Erste Äxte wurden gezückt. Thymian hatte sich jedoch bereits erhoben und zwängte sich mit Aven durch die Menge an Zwergen, die es noch nicht begriffen hatten. Die Stimmung war angespannt in dem Raum, die Zwerge waren Schritt für Schritt um die Tische herum zur Türe gekommen. Zwischen den Reihen lugten die gewaltigen Axtköpfe empor. Grimmiges Schweigen trat den Wächtern entgegen, hier konnte ein falsches Wort fatale Folgen haben.
"Macht sie zu Muuuuuuß!!" Die vier Zwerge von oben waren in den Schankraum gekommen und der dunkel Gekleidete reckte den Arm und alle stürmten los. Kleine Wurfäxte bohrten sich zitternd ins Türholz, doch die beiden Wächter waren bereits losgelaufen.
"Die holen uns auf keinen Fall ein. Zwerge sind so lächerliche Läufer", rief Thymian noch im Rennen und sie hasteten über ein paar Netze und Seile, während hinter ihnen eine Schar wütender Zwerge aus der Kneipe brach. Ein paar Fässer kollerten über den Hafenplatz und die Wächter eilten mit klatschenden Stiefeln davon, hinter ihnen das zornige Geheul mehrerer Zwerge. Nach wenigen Sekunden war noch letztes hartnäckiges Keuchen hinter ihnen zu hören, dann verblasste auch dieses und sie waren vom Dock weit genug entfernt um langsamer werden zu können.
"Ich sag's ja... lächerliche... Läufer", brachte Thymian keuchend hervor und stützte sich an einer Hauswand ab.


*** Aven Resta ***


Keuchend rannte Aven die Gasse entlang, sich immer wieder umsehend, ob die Zwerge ihn verfolgten oder sich Thymian unter den Nagel reißen wollten. Er wandte sich gerade rechtzeitig wieder nach vorne um aus den Augenwinkeln ein kleines Blitzen in einer Seitengasse zu bemerken. Durch einen schnellen Schritt zur Seite konnte sich Aven gerade noch vor einer hinab fahrenden Axt retten, die nun im Boden steckte. Der Zwerg, der die Axt führte, hatte jedoch keine Probleme damit, die Axt wieder zu heben, und trat nun aus der Seitengasse heraus. Die Zwerge kannten sich scheinbar besser in Ankh-Morpork aus, als für die Gesundheit der beiden Wächter gut war.
"Du hast also gelauscht", sprach ihn der Zwerg an, "Was glaubst du machen wir jetzt mit dir?"
"Ähm, ihr lasst mich gehen?", stotterte Aven und bewegte sich dabei rückwärts in Richtung einer anderen Seitengasse.
"Tja, jeder kann sich mal irren", hörte er hinter sich. Ruckartig drehte sich der Anwerber in Ausbildung in Richtung der neuen Stimme, blieb jedoch mit seinem rechten Fuß in einer Lücke zwischen zwei Straßensteinen hängen. Der heranzischende Bolzen flog dort durch die Luft, wo nach einer erfolgreichen Drehung Avens Kopf gewesen wäre. Die eigene Überraschung aufgrund der plötzlichen Zunahme von Adrenalin in seinem Blut ziemlich schnell überwindend, drehte er sich in eine Richtung in der bisher kein Zwerg zu sehen war und besann sich wieder auf seine Laufkraft. Er musste zum Wachhaus, soviel war ihm klar. Immer wieder bog er in andere Straßen und Gassen ab, nur darauf bedacht nicht den Zwergen in die Arme zu laufen. Nach kurzer Zeit wurden seine Beine schwerer. Wieder einmal bedauerte er es während seiner GRUND-Ausbildung immer wieder die Leibesertüchtigung geschwänzt zu haben. Hinter sich konnte er schon ein bedrohliches Schaben und Stapfen hören. Kurz entschlossen ging Aven zur nächsten Tür in Sichtweite und griff nach seinen Dietrichen. Das Schloss leistete nur kurz Widerstand und schon war der Wächter im Haus. Die Tür behielt er einen kleinen Spalt offen, damit er sehen konnte was auf der Straße passierte. Seine Ohren hatten ihn nicht getäuscht. Schon nach kurzer Zeit kam der mit der Axt bewaffnete Zwerg die Straße hinauf und blieb etwa einen Meter vor Avens Versteck stehen. Ein mit einem langen Spieß bewaffneter Zwerg kam ihm entgegen.
"Wo ist er hin?", fragte der Axtträger.
"An mir ist er nicht vorbei gekommen", antwortete ihm der andere.
"Glaubst du er ist entkommen?"
"Scheint so. Viel wichtiger ist aber, ob er gehört hat was wir vorhaben." Der Zwerg mit der Armbrust kam hinzu.
"Habt ihr ihn?"
"Nein", wurde ihm geantwortet.
"Er muss hier irgendwo sein", sagte der erste, "Lasst uns die Häuser überprüfen." Die Zwerge schwärmten aus und kontrollierten die Türen. Der ehemalige Dieb schloss die Tür und ging etwas weiter in das Haus hinein. Schließlich fand er eine Bank, hinter der er sich verstecken konnte. Keine Sekunde zu spät, denn gerade als er sich gebückt hatte, hörte er wie sich die Tür öffnete. Der Boden des Hauses knarrte genau in der Tonlage, die zeigte, dass jemand relativ ungeschickt versucht keine Geräusche zu machen. Das Knarren entfernte sich erst, kam aber dann wieder näher und verstummte als es im ersten Stock ebenfalls kurz knarrte.
"Ist da unten wer?", fragte eine weibliche Stimme von oben. Der Zwerg reagierte schnell.
"Ich komme von der Diebesgilde."
"Was? Aber ich habe doch extra einen Zuschlag bezahlt, damit nachts nicht eingebrochen wird."
"Ach so. Dann gehe ich jetzt wieder." Das Knarren entfernte sich wieder und kurz darauf konnte man das Zuklappen der Haustür hören. Nach etwas missmutigem Gemurmel hörte man auch oben eine Tür zugehen. Aven entspannte sich etwas und ging langsam zu einem Fenster, durch das er auf die Straße sehen konnte. Die Straße war verlassen, von den Zwergen keine Spur. Darauf bedacht kein Geräusch zu machen ging er durch die Tür nach draußen.
"Jetzt aber schnell zur Wache", sprach der Wächter zu sich selbst, "Hoffentlich ist Thymian nichts passiert."
Genau der hatte währenddessen genug Probleme. Hinter ihm war zwar nur ein Zwerg her, dieser war jedoch äußerst hartnäckig. Nicht nur, dass er sich einfach nicht abhängen ließ, er warf auch ständig mit verschiedenen scharfen Gegenständen nach Thymian. Dieser wich ihnen nicht wirklich aus, sondern stolperte so unberechenbar durch die verschiedenen Straßen, dass er einfach nie dort war wo ihn der Schwarzgekleidete vermutete. Der Anwerber taumelte um eine weitere Ecke und als er sah, wo er sich befand ließ er einen leisen Seufzer der Erleichterung entgleiten. Vor ihm lag die Wache. Nur noch wenige Schritte trennten ihn von ihren sicheren Mauern und wenn nicht in diesem Augenblick ein weiterer scharfer Gegenstand dicht an seinem Ohr vorbei gezischt wäre, hätte er fast vergessen, dass die Gefahr auch nur ein paar Schritte entfernt war. Der Wächter rannte los, musste einer sich öffnenden Tür ausweichen, in der im nächsten Augenblick auf Thymians Kopfhöhe ein Messer steckte, und schaffte es schließlich die Tür des Wachhauses zu erreichen. Gerade als der Hauptgefreite zur Klinke greifen wollte wurde die Tür von innen geöffnet. So stolperte er ein weiteres Mal und noch ein für ihn bestimmtes Messer prallte am Bauch des Trolls ab, der die Tür geöffnet hatte. Während dieser sich noch wunderte was da eben passiert war, nutzte Thymian die Gelegenheit um durch die Tür zu huschen. Im Vorraum ging er nun auf und ab und wartete auf Aven. Jedes Mal, wenn sich die Tür öffnete, schreckte der Anwerber auf und jedes Mal, wenn er sah, dass nicht Aven durch die Tür kam, schlich sich ein weiteres kleines Stück Verzweiflung in seinen Gefühlspool und begann langsam alle anderen Gefühle zu verdrängen. Als er glaubte es nicht mehr aushalten zu können, öffnete sich die Tür ein weiteres Mal. Doch dieses Mal kam der Gefreite hinein. Erleichterung entschloss sich zu einer Bombe vom Zehnmeterbrett. Verzweiflung kam zu dem Schluss, dass sie sich dieser Gefahr nicht aussetzen wollte und verließ das Becken. Sofort stürmte der Anwerber auf Aven zu.
"Alles in Ordnung? Haben sie dich verfolgt? Hast du sie abschütteln können?" Nur mit Mühe konnte der Gefreite ihn wieder beruhigen.
"Ja, ja, ja. Es ist alles in Ordnung, lass mich erst einmal ausruhen. Können wir in dein Büro gehen?"
Sobald er wieder etwas zu Atem gekommen war, wurde er auch schon wieder mit Fragen bombardiert. Zuerst sollte er erklären wie er fliehen konnte, danach besannen sich die beiden Wächter wieder auf den Grund ihrer Flucht und Aven begann zu erzählen was er in der Zwergenkneipe gehört hatte.
"Das Mucksmäuschen umbringen?", hakte Thymian nach.
"Ja. Kennst du sie etwa? Ist sie die... du weißt schon." Der ehemalige Narr errötete leicht. Sein Lehrling erinnerte sich noch an das Gespräch.
"Nein, aber ich habe schon mal von ihr gehört", er stand auf, "Komm mit, jetzt holen wir uns ein paar Informationen."
"Sollten wir das nicht den anderen überlassen?"
"Dafür ist keine Zeit. Die Sonne geht bald auf. Morgen wollen sie den Anschlag ausführen. Also komm." Widerstrebend setzte sich auch der Auszubildende in Bewegung.
Schließlich standen sie in der Ankertaugasse vor der fast einjährigen Zweitarbeitsstelle des Hauptgefreiten.
"Hier hast du vom Mucksmäuschen gehört?", wunderte sich Aven, "Was hast du hier gemacht? Das ist ein Zwergenlokal."
"Ich weiß. Ich arbeite hier", erwiderte Thymian, einen verwunderten Blick erntend. Auf Torks Reaktion gespannt trat er ein, den ehemaligen Dieb hinter sich herziehend. Gimlet drehte sich um, als er das Geräusch der Tür hörte.
"Hallo... Du bist es! Mach, dass du nach hinten kommst! Tork hat alle Hände voll zu tun dem Neuen zu zeigen was er machen muss und..."
"Entschuldige", unterbrach ihn der Anwerber, "Aber ich muss einen Mord verhindern!" Er tat etwas was er an diesem Ort immer vermeiden wollte: Er zog seine Dienstmarke hervor. Der Blick des Lokalbesitzers verfinsterte sich.
"Du wolltest also nur rumschnüffeln. Na dann. Tork! Komm mal vor!" Aven fühlte sich immer unwohler und versuchte mit den Schatten in einer Ecke zu verschmelzen um nicht angesprochen zu werden.
"Was willst du denn?", Tork kam aus der Küche nach und sah zu Thymian. Danach erkannte er was dieser in der Hand hielt und eine Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Der Zwerg verschränkte die Arme vor seinem Brustkorb. Es herrschte eine gespannte Stille. Der Blick des, nun wohl ehemaligen, Küchenjungen huschte durch den ganzen Raum, bevor er sich zusammenriss und etwas sagte.
"Es geht um das Mucksmäuschen."


*** Thymian Pech ***


Der Anwerber wartete gespannt die Reaktion des Zwerges ab, aber Tork ging nur zur Türe und schloss selbige. Dann schloss er auch noch alle Fensterläden bis nur noch einzelne Lichtstrahlen in den Raum fielen und wie blitzende Schwertklingen auf den Gesichtern von Thymian und Aven lagen.
"Ich hätte niemals gedacht, dass du einer von denen bist", spie Tork dann aus und Thymian schämte sich auf eine seltsame Art und Weise seinen alten Chef so zu sehen, doch er musste sich daran erinnern, was seine richtige Arbeit war. Er war Wächter. Sein Auftrag war es andere davon zu überzeugen, dass die Wache für die gute Sache kämpfte. Nur dafür war er doch Küchenjunge geworden, hatte im Dreck geschaufelt. Aber irgendwie hatte sich alles verlaufen und ineinander verstrickt. Thymian waren die Fäden aus der Hand gefallen und er hatte keinen Schimmer wer sie aufgehoben hatte.
"Das Mucksmäuschen ist in Gefahr. Ich weiß, das war es die ganze Zeit über, aber jetzt haben wir einen konkreten Hinweis. Es wird bald einen Anschlag geben. Ihr müsst uns helfen. Ich habe doch mitbekommen, dass es hier war und du ihm höchst persönlich das Essen gebracht hast." Dabei blickte er Tork an.
"Eine wichtige Persönlichkeit wird nun mal vom Küchenchef persönlich bedient", mischte sich Gimlet ein, "egal von welcher Seite. Wir sind schließlich Geschäftsleute. Wir sind neutral." Thymian schnappte nach Luft. Der ganze Frust, der sich angestaut hatte, die ganzen Monate, wo er katzgebuckelt hatte, alles entlud sich in einem einzigen vibrierenden Ton.
"Ihr seid doch nicht besser als Menschen. Wie könnt ihr behaupten neutral zu sein? Ihr seid nur neutral solange es euch Geld einbringt!" Gimlet, der sich seinen Schnurrbart gezwirbelt hatte, hielt inne.
"Und um das herauszubekommen, hast du ein Jahr gebraucht?"
"Ja! Ja! Verflucht noch eins, ihr Zwerge sagt ja nie etwas, ihr fresst alles in euch hinein! Wie soll ich da je aus euch schlau werden?", keifte Thymian so erregt, dass Speichel über seine Lippen troff, "Wisst ihr was, mir ist es egal, ob ihr eine Ahnung habt, wo das Mucksmäuschen ist oder nicht. Ich bin fertig mit den ganzen Zwergen! Wenn ihr euch nicht helfen lassen wollt, dann soll es halt eben so sein! Ich werd das Ganze an FROG weiterleiten und die werden irgendein Gebäude stürmen und irgendjemanden töten und damit ist dann alles gesagt!" Je mehr er geredet hatte, desto röter war sein Gesicht geworden und desto ruckartiger ging sein Atem. Er fühlte sich ganz und gar nicht gut.
"Fein!", rief Gimlet mehr als er es sagte. Dann griff er hinter sich zu einem Umschlag, der auf dem Tisch gelegen hatte, "Ist auch besser so für dich."
"Gehen wir", schnauzte Thymian und machte auf dem Absatz kehrt. Avens Hand lag bereits auf dem Türknauf, als sie hinter sich das Ratschen von Papier hörten. Der Anwerber blieb stehen.
"Hier, das ist für dich da gelassen worden", Gimlet zog ein einzelnes Blatt aus dem Umschlag und hielt es Thymian hin. Wortlos griff der Hauptgefreite danach und stopfte es in seine Taschen. Dann ging er nach draußen und wartete neben dem Lokal bis Aven nachgekommen war. Sie setzten sich schweigend in Bewegung.
"Gut und was war das jetzt?", fragte Aven schließlich, "Was ist das für ein Zettel?" Thymian seufzte und händigte seinem Kollegen das Blatt aus, nachdem sie die Imbissstube weit genug hinter sich gelassen hatten.
"Könntest du es vielleicht... ähm mir vorlesen? Das ist zu wichtig, als dass ich es äh selber lesen kann."
"Verstehe...", Aven entfaltete das Stück Papier und stutzte dann, "Nein steht hier." Thymian nickte nur knapp und riss dem neuen Anwerber dann das Papier aus der Hand.
"Was hat das zu bedeuten?", hakte Aven nach, doch Thymian winkte nur ab. Sie schritten Richtung Wachhaus zurück.
"Das bedeutet, dass wir es weiter probieren müssen. Wie sollen wir einen Anschlag verhindern, wenn wir nicht mal wissen, wo und wann? Ich weiß noch nicht mal, wo das Mucksmäuschen wohnt", der Hauptgefreite hielt inne, "Vielleicht sollten wir es doch FROG weiterleiten. Aber wir brauchen bessere Hinweise. Irgendwas Handfestes." Oh, wie er selber diesen Satz hasste und auch Aven schien er nicht zu schmecken.
"Ich weiß, was ich gehört habe. Und das waren irgendwelche traditionellen Zwerge, die vorhaben das Mucksmäuschen umzubringen. Dass ihre Anhänger einsehen sollen, dass der alte Weg der bessere ist. Hast du schon einmal davon gehört? Der alte Weg?", der junge Wächter sah Thymian an. Dieser winkte lapidar mit den Händen.
"Ja, natürlich. Die Zwergengesellschaft steuert auf den Großen Bogen zu. Es ist irgendein Symbol, dass die Gesellschaft bald Kopf steht. Zwerge, die Röcke tragen, die normalen Berufen nachgehen und keine Schmiede sind. Einer ganzen Reihe von alteingesessenen Zwergen passt das aber nicht, im Gegenteil, sie fürchten, sie könnten ihren guten Ruf verlieren und verweichlichen, was ihnen im Kampf gegen Trolle schaden würde. Ihre Gegner reden aber gar davon, dass man sich mit den Trollen wieder versöhnen solle", berichtete der Anwerber.
Mittlerweile standen sie wieder vor dem Wachhaus und als sie hinein gingen, war alles still. Nur ein Wächter saß einsam am Wachetresen und schlief. Das übliche Bild. Es waren noch zwei Stunden bevor der Dienst der Tagschicht begann.
"Warum hast du Gimlet nicht gefragt, ob er weiß, wo die drei Zwerge wohnen? So wie es sich angehört hat, haben sie einmal bei ihm gearbeitet. Und vielleicht kennst du sie sogar?", fragte Aven, als sie sich in ihr Büro setzten. Draußen war es noch dunkel und er zündete eine Laterne an, die ihr einsames Licht in dem kargen Raum verbreitete. Thymian zog eine beinahe gänzlich zerknüllte Schachtel aus seiner Hemdtasche und fummelte eine Zigarette raus, die er sich fahrig an der brennenden Kerze anzündete. Das Rauchen war eine schlechte Angewohnheit, die er sich im letzten Jahr zugelegt hatte. Für gewöhnlich rauchte er nur, wenn er unter Stress stand, doch das war häufiger der Fall, als ihm lieb war.
"Ich glaube nicht, dass ich sie kenne. Damals kurz bevor ich eingetreten bin, hat Gimlet drei Zwerge entlassen, da sie nicht mehr zum Dienst erschienen sind. Ich denke, das waren unsere Freunde. Und Gimlet wird deren Adresse wohl nicht gehabt haben, und wenn, dann wird die Adresse nicht stimmen", er zögerte kurz und nahm einen Zug von der Zigarette, "Und na ja... ich war wütend", fügte er entschuldigend hinzu. Der Anwerber blies den Rauch aus und blickte den Schwaden hinterher wie sie im Schein der Kerze allmählich verblassten.
"Aber wie passt da der dunkel gekleidete Zwerg rein, der bei ihnen war? Wenn es ein Assassine ist, dann ist der Fall doch für uns erledigt. Wir sollten das vielleicht nachprüfen, ob das äh Mucksmäuschen wirklich auf der Inhumierungsliste steht", schlug Aven vor.
"Gut, wir werden einen äh Dog-Wächter fragen. Aber die Zeit rennt. Wir müssen raus finden, wo der Zwerg wohnt. Ohne das hilft alles nichts. Am besten, Aven, du schreibst gleich sofort eine Nachricht zum Boucherie Rouge. Ich hoffe, es ist auch jemand da, der den Zettel äh lesen kann." Thymian wedelte ungeduldig den Rauch beiseite. Ihm kam plötzlich eine Idee, wen er noch fragen konnte. Vor einem Jahr hatte ein gewisser Zwerg in der Wache versucht ihm mehr oder weniger erfolglos etwas über Zwerge und deren Kultur beizubringen. Es hatte nicht so ganz geklappt, doch eventuell wusste der Kollege bei SEALS mehr über den Großen Bogen. Damals war Rurik der Frage ausgewichen, doch Thymian hatte Monate später selber herausbekommen, was dieser Begriff bedeutete. Womöglich waren da noch mehr Fragen, die man dem Zwerg stellen konnte.
Aber jetzt war es spät und zum einen fühlte sich Thymian sehr müde und ausgelaugt, zum anderen war kaum jemand im Wachhaus. Zwar hatten SEALS Streife wie er wusste, doch selten sah man sie in dieser Zeit hier. Zumindest war das damals so gewesen. Ein Jahr war er praktisch fort gewesen, hatte sich nur selten hier sehen lassen. Warum? Er wusste es nicht genau. Anderes war wichtiger gewesen. Und dann war da immer noch die Angst. Als Anwerber sah man zu viele Dinge, die man nicht sehen sollte, über die man nicht sprechen durfte. Man bekam mehr Geld in die Hände gedrückt, als erlaubt war und log seine Vorgesetzten an. Geheimhaltung. Aber war das alles wirklich nur Geheimhaltung? Durfte man sich als Anwerber überhaupt noch zur Wache zählen?
Thymian war mittlerweile irgendetwas dazwischen geworden. Er hatte für beide Seiten arbeiten müssen. Stadtwache und Verbrecher. Selbst wenn sich die Verbrecher Patrizier oder Weißgesicht nannten. Es war einer der Gründe, warum er der Wache fern geblieben war. Die Angst zwischen den Rädern der Stadt sein Leben zu verlieren war zu groß.
Und schließlich war da noch Joan.
Thymian verdrängte den Gedanken rasch und sah zu Aven, dem Anwerber in Ausbildung. Warum musste ausgerechnet er die Ausbildung übernehmen? Er war doch nicht viel älter als Aven selbst. Wie brachte man jemanden bei zu überleben und die richtigen Entscheidungen zu treffen? Das ging nicht. Er selbst traf doch pausenlos falsche Entscheidungen. Alles nur im Dienste der Stadt... Oh, er mochte diesen Job nicht. Das Arbeiten als Küchenjunge war einfacher gewesen, ohne viel Nachdenken, und ohne viel Gefahr. Warum dann, warum musste er bei der Wache arbeiten?
Weil etwas in dir diese Dienstmarke liebt.
"Es gibt ein paar Dinge, die ich dir nicht gesagt habe", brach es plötzlich aus ihm heraus, doch schaffte er es dabei nicht Aven anzublicken. Seine Finger strichen nervös über das splittrige Holz des Tisches.
"Weißt du - Anwerber zu sein, das ist hart, wirklich. Du kannst dich ganz schnell bei einigen Leuten unbeliebt machen, du kannst ganz schnell zwischen den Fronten stehen. Jeden Tag musst - musst du Entscheidungen treffen -"
"Na ja, ich arbeite doch bei der Stadtwache. Ich hab doch einen Eid geschworen...", gab Aven zögernd zurück.
"Das liegt nicht immer in deiner Hand", Thymian erhob sich und drückte die Zigarette auf dem Tisch aus, in Ermangelung eines Aschenbechers, "So wie es auch manchmal nicht in deiner Hand ist zu entscheiden wen du anwerben willst oder nicht. Du siehst ja, was bei den Zwergen heraus gekommen ist", der Anwerber seufzte, "Statt ein paar Namen für den Oberleutnant mitzubringen, müssen wir nun einen Anschlag verhindern."
"FROG haben doch immer Bereitschaft. Irgendeiner wird noch hier im Wachhaus sein, wir sollten den einschalten", fiel Aven ein und erhob sich ebenfalls, "Ich will mir lieber kein Gebrüll von Rina anhören, nur weil wir was auf eigene Faust gemacht haben." Die beiden Rum-Wächter verließen das Büro und klopften an mehrere Türen, von denen Aven wusste, dass FROGs dahinter ihr Büro hatten. Thymian war zu lange dem Wachhaus fern geblieben, als dass er noch wüsste, wo wer arbeitete. Selbst sein eigenes Büro (vielmehr Besenkammer) war verschwunden und er teilte sich nun ein gemeinsames Büro mit Aven.
Natürlich waren die Leute auch ohne ihn ausgekommen. Das taten sie immer. Es hätte genauso gut auch irgendjemand anderes Aven im Büro gegenüber sitzen können. Irgendein kalter abgebrühter Hund, der schon seit Jahren bei der Wache dabei war und wusste wie der Hase lief. Und dieses Bild tief in Thymian drin, war der wahre Grund, warum er noch bei der Wache war. Es war der simple Gedanke eines Kindes, das andere in den Matsch schubste. Wenn ich stärker bin als die anderen, wenn ich der bin, der schubst, dann kann ich selber nicht.
Und er hatte immer geglaubt, in der Wache wurde man zu so einem, je länger man dabei war, desto mehr wurde jemand anderer aus dir: Ein Wächter. Und der war hart und abgebrüht und zynisch und laut und wenn man wollte konnte man ihn an- und ausziehen wie eine Jacke. Es war auch nur eine Maske, genau wie damals in der Narrengilde. Der Unterschied war nur, dass sie selbst bei Regen hielt. Gerade bei Regen. Ob Wächter zu sein irgendwann gar nicht mehr abwaschbar war? Vielleicht war es doch keine Jacke.
Wenn Thymian dabei an sich selber dachte und wie er gewesen war zu seiner Grundausbildung. Er hatte sich bereits verändert. Konnte er austreten und wieder jemand anderer sein? Es hatte auch bei der Narrengilde funktioniert.
Eine Stimme hinter der Türe vor der sie gerade standen, riss ihn aus seinen Gedanken. Und als hätte ihn seine Grundausbildung eingeholt, kannte er diese Stimme. Sie traten in das Büro und vor einer Strohpuppe stand ein etwas verschwitzt aussehender Sidney mit entblößtem Oberkörper und bandagierten Händen. Er gab der Puppe noch ein paar Schläge ab, anscheinend weil zwei verwundert dreinblickende Wächter nicht der Aufregung wert waren, und fragte zwischen ein paar Atemzügen, was sie denn wollten.


***Aven Resta***


Nachdem sich Aven von diesem Anblick losgerissen hatte, rappelte er sich zu einer Begrüßung zusammen und brachte seine Hand in Kopfhöhe.
"Guten Morgen, Chief-Korporal Sidney. Wir bräuchten die Hilfe von FROG!", sagte Aven, nachdem er die Hand wieder herunter genommen hatte.
"Wofür denn?", hakte der Chief-Korporal nach, während er weiter auf die Strohpuppe einschlug.
"Wir müssen einen Anschlag auf das Mucksmäuschen verhindern, Sir."
"Welches Mäuschen?"
"Das Mucksmäuschen", erklärte Thymian, "Eine Zwergin, die zu ihrer Weiblichkeit und für Fortschritt in der Zwergengemeinschaft steht. Scheinbar haben ein paar alte Zwerge vor sie umbringen zu lassen." Sidney wurde hellhörig als die Stimme des Anwerbers erklang.
"Ich kenne dich", sagte der Armbrustschütze und starrte Thymian an, "Du bist doch der, der nie gelernt hat mit einem Schwert umzugehen, oder?"
"Ähm, ja", antwortete der ehemalige Küchenjunge, "Aber das ist doch jetzt egal, wir brauchen deine Hilfe!" Die Puppe kam zur Ruhe, als nicht mehr gegen sie geschlagen und getreten wurde.
"Also gut", sagte Sidney, "Wo sollen wir anrücken?" Die beiden Rum-Wächter stockten.
"Tja", sagte Aven, "Das ist ein Problem."
"Ihr wisst nicht wo der Anschlag stattfinden soll?" Beide Wächter schüttelten mit dem Kopf.
"Dann kann ich euch leider auch nicht helfen", sagte der Werwolf, während er wieder damit begann, auf seine Strohpuppe einzuschlagen, "Wenn ihr wisst wo der Mord stattfinden soll sagt es mir und ich werde sofort kommen. Das ist alles was ich euch anbieten kann."
"Danke", brachte Thymian noch hervor bevor sie das Büro wieder verließen.

"Und was machen wir jetzt?", fragte Aven seinen Ausbilder, während sie durch den Kühnen Weg in Richtung der schlechten Brücke gingen.
"Ich weiß auch nicht", antwortete der, "Aber wir müssen herausfinden wo..." Plötzlich stoppte Thymian den Satz.
"Was ist denn...", fing Aven an.
"Ruhig, schau mal da rüber" Der Anwerber in Ausbildung folgte dem ausgestreckten Finger seines Kollegen mit dem Blick und sah was er gemeint hatte. Ein Zwerg machte sich gerade an einem abgeschlossenen Fenster zu schaffen, stellte sich dabei aber sehr ungeschickt an. Der ehemalige Dieb wollte schon aufstehen und helfen, als er sich an seinen neuen Beruf erinnerte. Gegenseitig signalisierten sich die beiden Wächter von welcher Richtung sie sich heranschleichen würden. Als sie schließlich neben dem Zwerg standen meldete sich Thymian zu Wort:
"Was machst du denn da? Dürfen wir vielleicht deine Lizenz sehen?" Schnell wollte der Zwerg weglaufen, doch da stand Aven und stellte ihm ein Bein, wodurch der Kettenhemdträger scheppernd zu Boden fiel.
"Dich kenn ich doch!", rief der ehemalige Narr plötzlich, "Du bist öfters bei Gimlet." Er fing an zu Grinsen als er sich zu seinem Lehrling umwandte, "Sie kann ziemlich gut Schlabbern wenn du mich fragst." Die Augen des Zwerges wurden groß während Aven noch etwas verständnislos blickte.
"Woher weißt du es?", platzte es aus der am Boden liegenden heraus.
"Ich habe dich schon öfters gesehen, außerdem schminkst du dich. Das Rouge ist nicht zu übersehen, und die falschen Wimpern fallen auch auf, wenn man darauf achtet", sagte der Anwerber immer noch grinsend, während er sich zu der Zwergin herunterbeugte, "Du bist doch sicher bereit uns einen Gefallen zu tun, oder?"
"Warum sollte ich?", erwiderte sie trotzig. Langsam dämmerte es auch Aven was sich dort vor ihm gerade abspielte und wollte es nicht glauben.
"Nun ja", gab der Anwerber beiläufig von sich, "Wir haben im Augenblick nicht sehr viel Zeit und könnten dich noch schnell zur Diebesgilde bringen." Zufrieden nahm er das erschrockene Luftholen zur Kenntnis.
"Bitte nicht", hörte er nun, "Was soll ich machen?"
"Du weist doch sicherlich, wo das Mucksmäuschen das nächste Mal auftritt, oder?"
"Ja, bei den tollen Schwestern."
"Und jetzt gehst du zur Wache und sagst genau das Chief-Korporal Sidney, verstanden? Und vergiss nicht", Thymians Stimme senkte sich zu einem Flüstern, "Ich weiß, wo du wohnst." Erschrocken sprang die Zwergin auf und rannte in Richtung Wachhaus davon. Der Anwerber stand mit erleichtertem Gesicht auf.
"Du hast sie bedroht", sagte Aven. Er konnte nicht fassen was er eben mitbekommen hatte.
"Ja, das war nötig", erwiderte Thymian.
"Aber Sie hätte uns doch auch sicher so gesagt wo das Mucksmäuschen ist. Und außerdem..." Thymian fiel ihm ins Wort.
"Wie viel Zeit hast du? Wenn du glaubst du hast genug, muss ich dich enttäuschen", sprach er mit ruhiger aber bestimmter Stimme, "Erinnerst du dich noch an das, was ich dir gesagt habe? Genau so etwas habe ich gemeint. Du hast geschworen die Schwachen zu schützen, aber wenn sie schwach genug sind benutzt du sie. Du hast geschworen die, die gegen das Gesetz verstoßen, zu verhaften, doch wenn sie dir helfen können lässt du sie laufen, und du hast geschworen keine Gewalt gegen Wehrlose einzusetzen, doch wenn sie etwas wissen was du brauchst, dann bedrohst du sie solange, bis sie es dir sagen. Das wollte ich dir sagen. Du wirst noch öfters mit solchen Situationen konfrontiert werden, und was noch schlimmer ist, du wirst derjenige sein, der sie heraufbeschwört." Er wandte sich ab, "Und nun komm, wir müssen einen Mord verhindern." Der Auszubildende stand noch einen Moment perplex da bevor er stumm hinter seinem Ausbilder herging. Er stellte sich den gesamten Weg über immer wieder dieselbe Frage: War dies der Weg, den er nehmen wollte? Aber er hatte sich schon entschieden. Jetzt hieß es, dass beste daraus zu machen.

Als sie bei den tollen Schwestern ankamen trauten sie ihren Augen nicht. Auf dem Platz war eine richtige Bühne aufgebaut worden, neben der eine rosarote Kutsche stand. Sofort gingen die beiden Wächter darauf zu. Als sie noch knapp fünf Schritte davon entfernt waren traten zwei Zwerginnen hervor.
"Niemand darf vor der Rede mit ihr sprechen", sagte eine der beiden.
"Sie will nicht gestört werden", steuerte die andere bei.
"Es ist ein Anschlag auf das Mucksmäuschen geplant", versuchte es Thymian.
"Das haben schon mehre versucht, was glaubst du warum du nicht zu ihr darfst?", war die Antwort.
"Aber wir müssen Sie warnen", rief Aven.
"Sie ist sich der Gefahr der Sie sich aussetzt durchaus bewusst. Würdet ihr nun bitte gehen?", sagte die erste wieder, während sie mit ihrer Hand in Richtung der Platzmitte zeigte. Nachdem sich die beiden RUM-Wächter an den Rand des Platzes gesellt hatten, dachten sie darüber nach was sie machen konnten, als sie eine bekannte Gestalt sahen. Sidney hatte Wort gehalten und ein kleines Team zusammengestellt.
"Da sind wir", sagte er, als sie zusammen standen, "Von wo wird der Anschlag stattfinden?"
"Das wissen wir noch nicht", sagte Sidneys ehemaliger Rekrut, "Wir sind auch schon die ganze Zeit am Rätseln." Der Frog-Wächter wandte sich an seine Truppe:
"Halbtag, such dir einen Platz von dem du alle Fenster im Blick hast. Valdimier und Tyros, fangt an die Häuser zu durchsuchen. Ich bleibe bei den beiden hier." Sofort zerstreute sich das Team wieder. "Wir sollten auch ein paar Häuser untersuchen."
"Fangen wir mit dem dort hinten an", schlug Aven vor. "Von dort hat man einen guten Blick auf die Bühne."
Doch in diesem Haus fanden sie nichts. Auch in den nächsten beiden fand sich keine Spur von einem Killer. Nur verärgerte Bewohner waren anzutreffen. Vor dem vierten trafen sie wieder auf Valdimier und Tyros.
"Wir haben nichts gefunden", eröffnete Valdimier das Gespräch. "Aus diesem Haus hat man auch keinen Blick mehr auf die Bühne."
"Alle Räume, aus denen man die Bühne im Blickfeld hat, wurden durchsucht", sagte Sidney. "Es scheint als hätten es sich die Mörder anders überlegt."
In diesem Augenblick wurden einige Feuer auf dem Rand der Bühne entzündet, deren Licht durch geschickte Anbringung von Spiegeln direkt auf die Bühne gerichtet wurde, um das noch etwas diffuse Morgenlicht zu ersetzen. Nachdem die Flammen nicht mehr allzu stark flackerten betraten die beiden Leibwächterinnen die Bühne. Kurz darauf betrat auch das Mucksmäuschen die Bühne. Sie hatte ein rosa Kleid an und sich Schleifchen in ihr Haar und ihr Bart geflochten. Sie hatte sehr viel Rouge aufgetragen und Aven bildete sich sogar ein Wimperntusche erkennen zu können. Als ein Windstoß durch die Plane fegte, welche die Bühne von hinten gegen Einblicke sicherte fiel bei Thymian der Groschen.
"Die Schatten! Sie zielen durch die Schatten!", rief er.
"Was?", fragten die restlichen Wächter verdutzt.
"Die Schatten!", rief er noch einmal. "Wenn wir wissen, wo ein Feuer ist und einen Schatten sehen, wissen wir, dass dazwischen jemand stehen muss und wenn wir mehr haben, dann können wir es genauer bestimmen und und und... Ist doch egal! Sie sind hinter der Bühne!" Sofort ruckten die Köpfe der vier Zuhörer in Richtung der Häuser hinter der Bühne.
Tyro nahm das richtige unter die Lupe. "Dort! Im zweiten Stock links!", rief er, dann noch lauter, "Halbtag!! Zweiter links!! SCHIESS!!"
Von beiden Seiten des Platzes flog etwas los, wobei nur eins davon traf. Der Giftpfeil, der durch die Plane schlug verfehlte das von ihren Leibwächterinnen zu Boden gestoßene Mucksmäuschen, während Halbtags Pfeil sein Ziel fand. Sofort stürmten die Wächter in Richtung des Hauses los, um die Attentäter festzunehmen. Sie kamen gerade noch rechtzeitig um den Zwerg in Schwarz aus der Tür taumeln zu sehen.
Sidney jagte neben dem Gesicht des Zwerges einen Bolzen in die Wand.
"Du bist verhaftet!", rief er.

*** Am Abend im Büro von Irina Lanfear ***


"Ich muss euch loben", fing die Abteilungsleiterin an, "Immerhin habt ihr einen Mord verhindert." Thymian und Aven fingen an sich zu entspannen. "Allerdings habt ihr keinen neuen zwergischen Informanten anwerben können. Das war immer noch euer eigentlicher Auftrag. Aber ich will Gnade vor Recht ergehen lassen und euch beiden Anwerbern noch mal zwei Wochen Zeit geben", bei diesem Satz sah sie Aven mit einem kurzen Lächeln an, wurde aber sofort wieder ernst. "Und jetzt an die Arbeit!"
"Ja, Mäm!", sagten die beiden Anwerber bevor sie aus dem Büro gingen.
"Glückwunsch", sagte der ältere Anwerber, nachdem er die Tür geschlossen hatte. "Ab heute bist du ein vollwertiger Anwerber."
Sie gingen in Richtung ihres Büros.
"Danke", erwiderte der ehemalige Dieb. "Mal schaun wie ich mich mache. Aber das war schon was heute. Hoffentlich passiert so etwas nicht dauernd."
"Nein. Assassinen inhuminieren normalerweise nie aus persönlichen Gründen. Und dieser Zwerg hatte einfach ein wenig zu fest an den alten Werten festgehalten, dass man alles mit Gewalt lösen kann. Wer als letztes noch steht, hat Recht."
"Wer die anderen beiden waren werden wir auch bald wissen", beendete Aven den Gedankengang. Aber jetzt brauche ich erst einmal eine Runde Schlaf. Gute Nacht."
Mit diesen Worten drehte sich Aven um und ging in Richtung des Gruppenschlafraumes.
Nachdem er seine Sachen weggeräumt hatte, legte sich der neue Anwerber in sein Bett und schlief ein.
[1] Er konnte zwar nicht darauf schreiben, half sich aber mit einer eigenen Symbolschrift weiter.

[2] Siehe Multi "Adel vernichtet"

[3] Zitat aus Calvin und Hobbes Comic

Zählt als Patch-Mission für Thymian Pech
Zählt als Patch-Mission für Aven Resta



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Feedback:

Von Ophelia Ziegenberger

24.10.2005 20:42

Lob: Positiv waren die Stimmungsbögen und die fließenden Übergänge zwischen den Erzähleranteilen, sowie die sehr realistisch und bodenständig gehaltenen Ereignisse. Auch die Toten Winkel, die trotz der klar aufgebauten Charakterisierungen bewusst ausgespart blieben, und zwar genau zu den Anteilen, die nachvollziehbar waren und alles interessant machten.

Kritik: Speziell fallen mir zwei Stellen ein: 1. Bei der Rückkehr zu Gimletts wurde ein Umschlag überreicht, bei dem für mich nicht ersichtlich war, wo dieser plötzlich herkam. 2. Die plötzliche Wendung im Zusammenhang mit der Einbrecherzwergin war dann doch etwas zu viel Glück - der typische Zufall eben, wenn kein sinnvollerer Ermittlungsweg einfallen möchte.

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