Observierer leben gefährlich. Immer nah daran entdeckt zu werden, spionieren sie für DOG wichtige Informationen aus. Das dachte zumindest Saiyana, als sie die Berufsbezeichnung las. Doch nicht immer ist alles Gold, was glänzt!
Dafür vergebene Note: 13
Anmerkung (Saiyana):
Da ich es irgendwie nicht zustande gebracht habe, über ein Jahr das Ende dieser Coop zu schreiben, sind die Ränge und Positionen der einzelnen Wächter nicht mehr aktuell. Ich hoffe, ihr seht mir das nach.[Harry]Zum vierten Mal innerhalb von zehn Minuten sah Harry auf die Sanduhr, die neben seinem Puppenhaus stand. Der Sand schien so langsam in die untere Hälfte zu rinnen, als handele es sich um zähflüssigen Sirup, und der Schweiß floss dem Gnom vor Nervosität nur so von der Stirn.
Wie er es an diesem Vormittag sicher schon zwanzig Mal gemacht hatte, ging er erneut seine geistige Checkliste durch.
Punkt 1: Puppenstube aufräumen. Erledigt. Die Zimmer waren so sauber, wie sie es seit seinem Einzug nicht mehr gewesen waren. Ilona-Verena hatte ihm schmunzelnd ein kleines Pinselchen geliehen, das Teil ihrer Kollektion von undefinierbaren Schminkutensilien war, und der Gnom hatte fast eine Stunde damit verbracht, in jeder Ecke seiner Wohnung Staub zu fegen.
Punkt 2: Wäsche waschen. War erledigt. Die Schmutzwäsche, die teilweise schon seit einer Woche auf ihre Reinigung gewartet hatte, war sauber und hing über den Bindfaden, den er in einem unbenutzten Raum des Puppenhauses gespannt hatte, zum Trocknen.
Punkt 3: Er selbst. Seine Uniform war geputzt und poliert, er selbst war frisch rasiert und hatte sich - ebenfalls von Ilona-Verena - ein Parfüm ausgeliehen und eifrig benutzt.
Kurz: Harry und seine Wohnung waren so sauber und ansprechend, wie schon lange nicht mehr (wenn man einmal von dem penetranten Duftwassergeruch absah, der vom Gnom ausging). Jetzt ging er in seinem Büro so nervös auf und ab wie ein werdender Vater in der Zeichnung eines einfallslosen Karrikaturisten, und wartete auf seine neue Mitbewohnerin.
Es war vor einer Woche gewesen, als Daemon beiläufig die Frage hatte fallen lassen:
"Übrigens, Harry, wir bekommen demnächst einen neuen Mitarbeiter."
"Ach?", hatte Harry, nur mäßig interessiert, gefragt.
"Ja. Und zwar eine Gnomin."
"Eine Gnomin?" Diesmal war in der Reaktion des Stabsspießes deutlich mehr Interesse zu erkennen.
"Eine Klatschianerin, um genau zu sein", bestätigte Daemon. "Sie fängt hier als Terrier an."
Er sagte daraufhin noch viel mehr, aber Harry bekam davon nur die Hälfte mit.
Eine Klatschianerin... In einer der Kisten, die er bei seinem Einzug in dieses Büro neben der Puppenstube gefunden hatte, und die die Aufschrift "Des Sulthans Serail" trug, hatte er einen ganzen Stapel hochinteressant kostümierter Puppen gefunden
[1], deren Aussehen ihm jetzt blitzartig wieder vor Augen stand. Eine Blume der Wüste... in einem hauchdünnen Kleid... vielleicht sogar verschleiert, so dass man nur ihre braunen, feurigen Augen sehen kann... und die sollte hier arbeiten, und zwar als Terrier, genau wie er... und das hieß natürlich, dass er sie ausbilden musste...
"...weil du doch in deinem Büro eigentlich die perfekte Gnomenwohnung hast", drang wie aus weiter Ferne Daemons Stimme an sein Ohr, "dachte ich, vielleicht könnte sie bei dir einziehen? Ich meine... du hast doch noch haufenweise ungenutzte Zimmer, und... Harry?
Harry?"
So kam es, dass Harry jetzt schon eine halbe Stunde damit verbracht hatte, eine Furche in den Teppichboden zu laufen und sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Seine zukünftige Mitbewohnerin hatte eine Taube geschickt und mitgeteilt, dass sie um zwölf Uhr vorbeikommen würde, und langsam - sehr langsam - leerte sich die obere Hälfte des Stundenglases zum letzten Mal vor der Mittagsstunde.
Punkt vier: Das Bett. Das Doppelbett, in dem er bisher geschlafen hatte, war frisch bezogen, und seine persönlichen Gegenstände hatte er aus dem Schlafzimmer genommen und in eines der leerstehenden Zimmer gebracht, wohin er auch das Puppensofa aus dem Wohnzimmer geschleppt hatte. Er hielt vier Finger hoch und zögerte kurz. Punkt fünf... Punkt fünf? Irgendwo hatte es mal einen Punkt fünf gegeben. Alarmiert ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, der schließlich an dem Kaffeebecher hängen blieb, der auf einem kleinen Tischchen stand. Ein Stück eines Waschlappens hing über seinen Rand.
Sein Badewasser!
Schnell kletterte der Gnom über die Sprossen, die in eines der Tischbeine eingebaut waren, nach oben und sprang mit dem Stoffstück, der ihm als Handtuch gedient hatte, wieder nach unten. Nur weg damit... Das Handtuch flog in den Wäschebeutel, der neben dem Puppenhaus stand. Anschließend stieg der Gnom wieder auf den Tisch und wuchtete den Becher mit dem schmutzigen Badewasser hoch. Das Gewicht war nicht das Problem - Gnome können bekanntlich problemlos das Mehrfache ihres Körpergewichts tragen - aber schwieriger war es, vom Tisch zu springen, ohne Wasser zu verschütten.
Tatsächlich landete die Hälfte des Becherinhaltes auf dem Fußboden. Harry fluchte kurz und lief, den Becher immer noch über dem Kopf tragend, zum großen, mit Erde gefüllten Blumenkübel in der Ecke des Zimmers, in dem auch das kleine Holzhäuschen mit dem Herz in der Tür stand. Er goss das Wasser neben dem kleinen Bäumchen in den Kübel (nicht, dass dieses die zusätzliche Bewässerung nötig gehabt hätte), stellte den Becher ab und rannte zurück zum Wäschebeutel, um den Waschlappen herauszukramen und mit diesem die Pfütze aufzuwischen, als er eine Stimme hörte.
"Ha... hallo? Bin ich hier richtig?"
Die Stimme war weiblich und hatte einen Akzent, der Harry einen kalten Schauder über den Rücken laufen ließ. Schnell ließ er den Wäschebeutel fallen und drehte sich um.
Das Bild, das Harry sich in Gedanken von seiner neuen Mitbewohnerin gemacht hatte, traf zumindest in einem Punkt zu: Man konnte tatsächlich nur ihre Augen sehen. Diese Augen waren allerdings grün statt braun, und auch sonst sah die Gnomin nicht so aus, wie Harry sich eine "Wüstenblume" vorgestellt hätte.
Die Gestalt, die im Eingang seines Büros stand, sah aus, als hätte jemand aus einem Bündel Stoff - und zwar nicht aus dem Stoff, an den Harry gedacht hätte, sondern aus einem deutlich dickeren und gewöhnlicheren Material - eine Kugel geformt und in eine weite, selbstgebastelte Wächteruniform gesteckt. Die Augen, die aus dieser Kugel heraus schauten, blickten Harry fragend an.
"Äh...", sagte der Gnom, und dann sagte er erst einmal gar nichts mehr, sondern klappte nur den Mund mehrmals auf und zu. Schließlich merkte er, dass es dieser Aussage ein wenig an Inhalt mangelte, und versuchte es noch einmal: "Öh." Auch das war keine Verbesserung, wie er sich eingestehen musste.
"Bist du Harry?", fragte die Gnomin schließlich, als sie merkte, dass von ihrem Gegenüber keine Antwort kam.
"Ja", brachte der Gnom schließlich heraus. "Du b... du bist Sajana, ja?"
"Saiyana", korrigierte diese die Aussprache in einem Tonfall, als hätte sie dies schon fast aufgegeben. "Ja, die bin ich."
Sie kam in den Raum hinein und ging auf Harry zu, wobei sie eine (für gnomische Verhältnisse) große Tasche hinter sich herzog. "Freut mich, dich kennenzulernen!", sagte sie und hielt Harry die ausgestreckte Hand entgegen.
"Ich... äh... ich auch", stammelte Harry. "Ich meine, mich freut es auch." Vorsichtig griff er nach der Hand und schüttelte sie so zaghaft, als hätte er Angst, dass sie beißen würde. "Ich zeige dir... äh... soll ich deine... ich meine..." Etwas hilflos deutete er erst auf sein Haus und dann auf Saiyanas Tasche.
Ganz ruhig bleiben! schimpfte er sich aus.
Du bist ihr Vorgesetzter!Der Gnom atmete noch einmal tief durch und wartete, bis sein Puls wieder ein normales Tempo annahm. Dann versuchte er es erneut: "Ich zeige dir erst einmal mein Haus, ja? Moment, ich nehme deine Tasche... aber sei vorsichtig, da vorne ist eine Pfütze. Da habe... ich meine, da hat jemand etwas verschüttet."
Er deutete einladend und, wie er hoffte, freundlich lächelnd, in Richtung Puppenstube.
[Saiyana]Saiyana betrachtete kurz abschätzend ihren neuen Mitbewohner und nickte dann lächelnd. Insgeheim fragte sie sich, ob alle männlichen Gnome so seltsam waren, oder ob sie nur ein besonders komisches Exemplar erwischt hatte. Als der Gnom keine Anstalten machte, sich vom Fleck zu bewegen, sondern sie weiterhin nur gebannt anstarrte, seufzte Saiyana und machte sich auf den Weg Richtung Puppenstube. Elegant sprang sie über die Pfütze hinweg und blieb abrupt stehen, als ihre Umhängetasche, die sie nicht abgelegt hatte, begann, wütende Murmellaute von sich zu geben.
"Verdammt, ich hab's dir schon einmal gesagt, du sollst mich nicht so durchschütteln. Ich bin seeehr empfindlich!"
Harry, der den kleinen Umweg rund um die Pfütze gewählt hatte, trat neugierig näher und blickte fragend.
"Ähm ja, das wollte ich noch erwähnen. Ich bin derzeit nicht ganz alleine. Komm schon raus, Glubschi." Schüchtern scharrte die Gnomin mit dem Fuß am Boden und klopfte auf ihre Tasche.
"Ich heisse nicht Glubschi! Mein Name ist Glubanus spectare, der Erste.", ein Augapfel, befestigt an einem langen dünnen Stiel, schob sich aus der Umhängetasche.
Harry wich erschrocken zurück und starrte verdutzt das Auge an, dass ihn wütend anfunkelte. Bevor der Gnom jedoch etwas sagen konnte, ertönte die Stimme erneut.
"Wer ist das überhaupt?"
Saiyana wurde rot und zischte: " Glubschi, benimm dich gefälligst, das ist unser neuer Mitbewohner, Stabspieß Harry."
"Spieß? Wie kann man sich so bescheuert nennen?"
"GLUBSCHI!
Wenn du nicht sofort nett zu ihm bist, werd ich dafür sorgen, dass dein nächster Einsatz irgendwo mitten in der klatschianischen Wüste stattfindet!"
"Ohne mich bist du doch aufgeschmissen, gibs zu!"
"Es kann nicht so schwer sein, morporkisch zu lernen, wenn ich dafür DICH loswerde!"
"Pah, probiers doch!"
"Ach halt die Klappe!" Harry verfolgte erstaunt den Wortwechsel, von dem er nicht wirklich viel verstand und kratzte sich am Kopf. Irgendwie hatte er sich die ganze Angelegenheit anders vorgestellt.
In diesem Moment drehte sich Saiyana wieder zu ihm um, setzte ihr schönstes Lächeln auf, von dem man durch die diversen Kleiderschichten leider wenig sah und erklärte: "Er hat gesagt, dass er sich entschuldigt. Nicht wahr, GLUBSCHI?"
Das Auge, dass aus der Umhängetasche lugte, funkelte die Gnomin böse an und zog sich zurück.
"Er ist manchmal etwas schwierig. Wir arbeiten erst seit kurzem zusammen."
"Äh.. warum arbeitet ihr zusammen, wenn man fragen darf?", Harry war verwirrt.
"Na ja, ich hab da so kleine Probleme mit dem Morporkisch lesen und schreiben. Korporal Sillybos meinte, bis ich das System wirklich gut beherrsche, krieg ich einen Übersetzungsdämonen. Hätte' ich gewusst, dass ich Glubschi bekomme, hätt' ich mich ja geweigert.."
"Glubanus Spectare, der Erste, bitteschön!", drang es gedämpft aus der Tasche.
"Naja, wie auch immer, für mich wurde extra ein Dämon in Miniaturgröße beschworen, damit ich den immer mit mir herumführen kann. Wolltest du mir nicht dein Haus zeigen?", Saiyana runzelte die Stirn.
"Äh ja, stimmt, immer mir nach!", die große Tasche hinter sich herziehend ging Harry zielstrebig auf die Puppenstube zu.
*Einige Zimmer später*
"Und das hier ist mein Schlafzimmer.. Äh, wenn du willst, zieh ich natürlich gern auf die Couch um..", stotterte Harry, als er Saiyanas Blick bemerkte, der an dem Doppelbett hängen geblieben war.
"Sehr schön hast du's hier, und nein, natürlich musst du nicht extra wegen mir dein Schlafzimmer räumen. Das Kinderzimmer, dass du mir vorhin gezeigt hast.. sag mal, brauchst du die Möbel noch, die da drinnen stehen?"
Harry sah verwirrt drein. "Äh, nein?"
"Gut, dann richte ich mir dort mein Schlafzimmer ein. Natürlich nur, wenn du nichts dagegen hast."
"Okay?"
"Fein, weißt du wo ich Sand herbekomme? Und ein Zelt?"
"Sand? Zelt?", vermutlich hätte Harry noch verwirrter dreingesehen, wenn es irgendwie möglich gewesen wäre.
Saiyana seufzte. Dieser Gnom schien irgendwie schwer von Begriff zu sein.
"Ich find schon, was ich suche. Kannst du mir die Tasche bitte ins Kinderzimmer bringen? Danke.", mit einer raschen Bewegung drehte sich Saiyana um, spazierte ins Kinderzimmer und fing dort an, wie verrückt herumzurumoren.
"Was will sie bloß mit Sand und einem Zelt?", geistesabwesend kratzte sich Harry das Kinn und zuckte dann mit den Schultern. Manche Gnomenfrauen waren eben schwer zu verstehen.
Besagte Gnomenfrau war inzwischen damit beschäftigt, sämtliche alten Möbel, die sich im Kinderzimmer befanden, aus der Puppenstube hinaus in den Büroraum zu tragen und sich so den benötigten Platz zu schaffen. Zu ihrer Freude entdeckte sie ganz hinten in Zimmer, in einer Ecke versteckt, einen (für ihre Verhältnisse) großen Ofen, der scheinbar nicht nur zur Zierde herumstand.
"Sag mal, Haaaryyy?", dem Gnom lief ein wohliger Schauer den Rücken hinab, als die angenehm klingende Stimme seinen Namen rief. Schnell packte er die große Tasche und zerrte sie hinter sich her Richtung Kinderzimmer.
"Ja?"
"Sag mal, meinst du der Ofen hier funktioniert?"
"Vermutlich?", der Gnom zuckte mit seinen imaginären Schultern und schüttelte den Kopf. Er musste sich wohl daran gewöhnen, dass seine neue Mitbewohnerin etwas seltsame Fragen stellte. Wer brauchte schon im Hochsommer einen Ofen??
*Wenig später, Abstellkammer der Boucherie Rouge, 2. Stock*
"Ich glaub's ja gar nicht, die haben hier tatsächlich echten klatschianischen Sand!", begeistert strahlte Saiyana übers ganze Gesicht und ließ feinen, weißlichen Sand durch ihre Finger rieseln, den sie in einem großen Eimer gefunden hatte.
[2]"Der müsste eigentlich ausreichen..", abschätzend betrachtete die Gnomin die Größe des Eimers und sah sich dann weiter suchend um.
Ihre Augen leuchteten auf, als sie auch noch ein ausgemustertes Handtuch entdeckte, das zufällig genau die passenden Maße hatte. Ein alter, zerbrochener Besenstiel, eine fast leere Rolle Nähseide, ein paar Stecknadeln sowie eine Handvoll abgebrannter Streichhölzer ergänzte den "Einkauf" der Wächterin, die alles zusammenpackte und sich auf den mühsamen Weg hinunter in den ersten Stock machte. Praktischerweise hatten die DOG irgendwann beschlossen, ihren gnomischen Mitwächtern eine kleine Rampe zu spendieren, sodass sich diese nicht über die Treppenstufen mühen mussten. Trotzdem war es für Saiyana ziemlich anstrengend, den schweren Eimer vorsichtig hinunterzuschleppen und ihn dann auch noch durch die "Gnomenklappe" ihrer Bürotür zu bugsieren.
Harry sah kurz auf, als sich ein schwerer Metalleimer scheppernd durch die Gnomenklappe schob, erspähte dann seine neue Mitbewohnerin und beschloss, besser nicht zu fragen.
Saiyana grinste entschuldigend, auch wenn Harry das vermutlich nicht sah, packte den Eimer und schleppte ihn nahe an ihr neues Zimmer heran.
Minutenlang hörte man nur ein fleißiges Schaufeln und ein feines Rieselgeräusch, als die Gnomin ihr neues "Schlafzimmer" gestaltete. Dann folgte ein "Ratsch", das verdächtig nach dem Reißen von Stoff klang und danach war einmal für mehrere Minuten gar nichts zu hören. Harry, der neugierig wurde, war gerade versucht, aus seinem bequemen Stuhl aufzustehen
[3] und nachzusehen, warum es plötzlich so auffallend ruhig war, als ein lautes Hämmern ertönte. Erschrocken zuckte der Stabspieß zusammen.
"Was treibt die da eigentlich?", murmelte er mehr zu sich selbst und beschloss, doch nachsehen zu gehen. Irgendwo in seinem Inneren war er ja doch neugierig.
Leise näherte sich der Stabspieß der Tür, die in das Schlafzimmer seiner neuen Kollegin führte und spähte hindurch. Heiße Luft schlug ihm entgegen. Es schien so, als hätte Saiyana tatsächlich den alten Ofen wieder zum funktionieren gebracht. Schweißperlen bildeten sich auf Harrys Stirn. Wie es die Gnomin nur bei solchen Temperaturen aushalten konnte... Neugierig schob der Wächter die Türe weiter auf und blickte sich im Zimmer um. Irgendwie hatte der Raum nicht mehr viel mit dem ehemaligen Kinderzimmer zu tun. Der Boden war voller feinkörnigem Sand und mitten im Zimmer hatte Saiyana ein buntgemustertes Zelt aufgebaut, das gerade etwas schwankte. Es schien so, als wäre jemand im Inneren ziemlich beschäftigt und tatsächlich teilten sich nach wenigen Augenblicken die Stoffbahnen, die den Eingang verdeckten. Harrys Atem stockte, als er seine neue Mitbewohnerin sah. Die Augen des Gnoms wurden immer größer und größer, als sein Blick über die zierlichen Beine glitt, die in einer abg!
etragen dunklen Hose steckten, weiter hinauf zu der Lederweste, die fast schon eine Spur zu eng saß und den Blick auf einen sonnengebräunten, üppigen Ausschnitt freigab. Harrys Blick verweilte fast schon einen Moment zu lang bei dem Anblick, nur um dann weiter hinauf zu gleiten und sich in irritierend grünen Augen zu verlieren.
"Harry? Hallo!!?", Saiyana winkte mit der Hand vor den Augen des selig vor sich hinstarrenden Gnomes. Seit er sie gesehen hatte, war ihr Mitbewohner scheinbar in eine Art Trancezustand gefallen. Die Gnomin konnte sich dieses Phänomen nicht wirklich erklären. Dieses spezielle Exemplar der Gattung Mann war scheinbar etwas seltsam. Augenverdrehend zwickte sie den Stabsspieß kurz in den Oberarm.
"Aua!", Harry blinzelte verwirrt.
Saiyana lächelte strahlend. "Hörst du mir endlich zu? Ich sagte gerade, dass es jetzt wohl an der Zeit wäre, mir etwas über das Observieren beizubringen."
Harry nickte langsam. Observieren... da war doch etwas gewesen. Mühsam versuchte er, seine Sinne wieder zusammenzubekommen. Er wusste nur eines: Er musste Daemon bitten, dafür zu sorgen, dass die Puppenstube ab jetzt immer gut geheizt war.
[Harry]Ausbilden... Harrys Verstand raste. Seine übliche Vorgehensweise bei der Ausbildung neuer Terrier bestand aus dem Ansatz, ihnen irgend eine alberne Aufgabe zu geben, und sich dann einen gemütlichen Nachmittag zu machen, bis sie erschöpft und ausgelaugt zurückkehrten. Aber diese neue Rekrutin hatte etwas besseres verdient. Er brauchte nur eine Liste von interessanten, lehrreichen und vor allem
warmen Orten, die er ihr zeigen konnte...
Laut sagte er: "Ja, die Ausbildung. Ich... ich habe mir schon einen... äh... lehrreichen Lehrplan zurecht gelegt, aber der hat Zeit bis morgen. Morgen früh kannst du erst einmal bei der Einsatzbesprechug den Rest der Abteilung kennenlernen - und danach zeige ich dir alles, was... man so wissen muss."
"In Ordnung", entgegnete Saiyana lächelnd. "Und heute abend?"
"Äh... was meinst du?"
"Ich dachte, du könntest mir vielleicht zeigen, was man hier in der Stadt so unternehmen kann. Ich bin ja noch nicht so lange hier, und du kennst dich da doch sicher gut aus."
Der Stabsspieß zögerte. Seine abendlichen Aktivitäten bestanden meist daraus, im Bett zu liegen und zu lesen, aber um nichts in der Welt hätte er dies jetzt zugegeben.
"Natürlich", antwortete er stattdessen. "Äh... kennst du den
Fuchsbau?"
"Haaaarryyy! Aaaufwachen!"
Mühsam öffnete der Gnom ein Auge - und schloss es gleich wieder, als er in unangenehm helles Licht blickte. Eine Barbarenhorde schien durch seinen Kopf zu marschieren und ihre Waffen rhythmisch gegeneinander zu schlagen.
"Wsrmpft?", nuschelte er in sein Kissen.
"In zehn Minuten ist Einsatzbesprechung - du kommst noch zu spät!"
Die Stimme war weiblich und hatte einen exotischen Akzent, was in Harrys Kopf eine spontane Assoziationskette auslöste, die etwa wie folgt aussah:
Akzent - Klatsch - Saiyana - Mitbewohnerin - Fuchsbau - OhscheißeMit einer gewaltigen Willensanstrengung schaffte er es, seine Augen erneut zu öffnen. Im Eingang seines Schlafzimmers stand seine neue Kollegin, wieder so dick vermummt, als wäre es tiefster Winter.
Anscheinend hatte er es gestern nicht einmal mehr geschafft, sich auszuziehen - eine Tatsache, für die er jetzt, als er Saiyanas Blick auf sich ruhen sah, sehr dankbar war.
"Geh schon mal los", sagte er und versuchte zu lächeln. "Ich bin gleich da."
Die Gnomin warf ihm noch einen skeptischen Blick zu und wandte sich dann ab.
Während Harry sich aus seinem Bett quälte, versuchte er, sich an den gestrigen Abend zu erinnern. Sie waren gemeinsam in der Gnomenkneipe
Fuchsbau gewesen, dem berüchtigten Treffpunkt des Kartells von Don Knurblich, und Saiyana hatte ihm von ihrer Heimat erzählt und ihm ein Getränk spendiert, von dem sie behauptet hatte, dass man es in Klatsch aus dem Saft von Kakteen herstellte... und ungefähr das war der Zeitpunkt, an dem Harrys Erinnerung aussetzte.
Seine Kleidung war zerknittert und stank nach Tabak - hektisch zog er sie aus und sammelte sich eine frische Garnitur zusammen. Schnell noch ein Sprung ins Wasser, um munter zu werden...
Schlaftrunken und verkatert taumelte Harry mit der Kleidung im Arm aus der Puppenstube hinaus und kletterte auf den Tisch, um sich mit einem schnellen Sprung in die dort bereitstehende Kaffeetasse zu erfrischen...
...die dort nicht mehr stand.
Verdutzt starrte der Gnom auf den leeren Tisch, als sich die Gnomenklappe in der Bürotür öffnete und Saiyana zu ihm hinauf blickte.
"Daemon lässt sagen, du sollst dich beeilen", sagte sie, und fügte grinsend hinzu: "Aber wie ich sehe, brauchst du noch ein bisschen."
Harry errötete und griff nach seinem Hemd, das er sich schützend vor eine strategisch günstige Stelle seines Körpers hielt. "Ich... äh... Bad...", stammelte er und deutete mit der freien Hand an die Stelle, wo er den Becher erwartet hatte.
Seine Mitbewohnerin legte den Kopf schief und sah ihn kurz verständnislos an, dann begriff sie: "Oh, Daemon hat gesagt, ich kann das ruhig verwenden. Wie hat er sich noch ausgedrückt? 'Die Schlafmütze hat sowieso keine Zeit mehr zum Baden, wenn sie nicht bald aufsteht' - ja, das waren seine Worte. Also, kommst du jetzt?"
"Sofort, ich muss nur noch... äh..." Harry machte mit seiner Kleidung im Arm ein paar Schritte rückwärts und fiel prompt vom Tisch. Rücklings landete er auf dem Boden.
"Harry? Ist alles in Ordnung? Brauchst du Hilfe?", konnte er Saiyanas besorgte Stimme hören.
"Nein!", entfuhr es ihm, während er panisch nach der Wäsche langte, die ihm beim Sturz aus der Hand gefallen war. "Sag den anderen, ich komme gleich, ja?"
Er hörte, wie seine Mitbewohnerin noch kurz zögerte, bevor sie das Büro endlich verließ.
Nur mit Mühe schaffte Harry es, bei der Abteilungsbesprechung die Augen offen zu halten und an den richtigen Stellen die richtigen Antworten zu geben. Seine Kollegin hatte die Nacht offensichtlich deutlich besser überstanden als er selbst - und auch der randvolle Fingerhut mit Kaffee, der vor ihm stand, trug nicht viel zur Verbesserung seines Zustandes bei.
"...wird Harry sie also ausbilden, und ich bin mir sicher, dass sie eine wertvolle Bereicherung der DOG darstellen wird", schloss Daemon seine Begrüßungsrede. "Ich habe übrigens deinen Ausbildungsplan noch nicht bekommen, Harry - legst du ihn mir bitte gleich noch auf den Schreibtisch?"
Der Terrier schreckte auf. Ausbildungsplan? Und er hatte noch keine Idee, was er heute mit seiner Schülerin unternehmen sollte.
"Ja, äh... Natürlich", stammelte er, während sein Verstand raste und versuchte, in Rekordzeit einen Ausbildungsplan aufzustellen.
"Handwerkshalle der Gilde der Waffenschmiede", las Daemon wenig später, kurz nach Ende der Besprechung, von einem eiligst dahingekritzelten Zettel ab. "Brotmanufaktur der Bäckergilde. 'Das Dampfbad in der Schneidergasse'?" Das ist nicht einmal ein Gildengebäude! Was soll das für ein Ausbildungsplan sein?"
"Das... das sind alles sehr, äh, lehrreiche und repräsentative Gebäude", versuchte Harry zu erklären. "Ideal, um als Gnom Observierungstaktiken zu lernen."
"Ist das so?" Daemon zog seine Augenbrauen hoch. "Interessant. Aber das nächste Mal schreib doch ein paar mehr Zeilen darüber, wie die Ausbildung genau aussieht, und nicht nur, wo sie stattfindet, ja?"
In diesem Moment klopfte jemand von außen an die Gnomenklappe von Daemons Büro und ersparte ihm so eine Antwort. "Harry?", war Saiyanas Stimme zu hören. "Bist du soweit?"
"Komme schon!" Der Stabsspieß salutierte flüchtig und verließ dann blitzschnell das Büro. Daemon sah ihm schmunzelnd hinterher.
Einige Stunden später kehrten die beiden Gnome in die Puppenstube zurück.
Harry war enttäuscht: Zwar war seine Wahl der Observierungsposten goldrichtig gewesen, aber leider hatte sein brummender Schädel ihn viel zu sehr abgelenkt, als dass er die Folgen dieser Ortswahl hätte genießen können.
Saiyana war enttäuscht: Sie hatten jetzt Stunden damit verbracht, einfach nur herumzusitzen und belanglose Protokolle anzufertigen. Nicht einmal richtig unterhalten können hatte sie sich mit ihrem komischen Ausbilder: Meistens hatte er sich nur den Kopf gehalten und mit glasigen Augen ins Nichts gestarrt, und wenn er doch einmal auf eine ihrer geflüsterten Fragen geantwortet hatte, kam meistens nur unverständliches Gestammel.
Selbst Glubschi war enttäuscht: Nachdem er sich mehrfach laut über seine Langeweile und die schlechte Aussicht beschwert hatte, und das Terrier-Duo dadurch beinahe entdeckt worden war, hatte Saiyana ihre Handtasche kurzerhand in ihren Wintermantel eingerollt, so dass er den Rest des Einsatzes gar nichts mehr mitbekommen hatte.
"Und das ist alles?", fragte Saiyana nach, nachdem beide es sich im Wohnzimmer der Puppenstube gemütlich gemacht hatten. Die Barbarenhorde hatte sich inzwischen in ein Rudel trippelnder Mäuse verwandelt, das rastlos durch Harrys Schädel lief.
"Was meinst du?", fragte der Stabsspieß nach und schenkte sich frischen Kaffee ein.
"Du sitzt den ganzen Tag untätig allein in der Gegend herum? Ohne etwas zu tun?"
"Nicht ohne etwas zu tun", widersprach Harry. "Ich beobachte, und mache Notizen."
"Oh, super", sagte seine neue Kollegin sarkastisch. "Du sitzt rum, beobachtest, machst dir Notizen und langweilst dich zu Tode?"
"Nun ja, wenn du es so ausdrücken willst", stammelte Harry. Sein Plan, Saiyana durch seine gesammelten Observierererfahrungen und amüsante Anekdoten aus seinem Alltag zu beeindrucken, war offensichtlich gescheitert.
[Saiyana]Harry wollte nur mehr eines: Schlafen und seinen brummenden Schädel vergessen. Müde wandte er sich an seine neue Kollegin und erklärte: "Ich schlage vor, du versuchst hier in der Boucherie, das eben erlernte etwas zu üben, während ich.. äh.. den Abschlussbericht schreibe."
Saiyana runzelte die Stirn.
"Und wie stellst du dir das vor?"
"Naja, observier die Leute einfach, versuch, etwas über sie herauszufinden. Und nachher erstattest du mir darüber Bericht.", improvisierte Harry rasch.
"Gut, wenn du meinst..", insgeheim wunderte sich Saiyana über den seltsamen Auftrag, aber sie beschloss, zu tun, was ihr Ausbilder von ihr verlangte.
"Komm Glubschi, es gibt Arbeit für uns..", die Gnomin packte die Tasche, in der sich ihr Übersetzungsdämon befand und verließ das Büro.
Harry wankte langsam in Richtung seines Bettes und ließ sich mit einem Aufstöhnen hineinfallen. Schlaf... war der letzte Gedanke des Gnomes, bevor er leise zu schnarchen begann.
*Irgendwo auf der Treppe der Boucherie*
"Tja, observieren... Wen observieren wir denn am besten, Glubschi?"
"Was weiß denn ich? Ich bin schließlich für Übersetzungen zuständig und nicht dafür da, um solche Fragen zu beantworten."
"Du findest aber auch immer etwas, an dem du etwas auszusetzen hast, was?"
"Ich..", fing Glubschi an, doch er wurde abrupt von Saiyana unterbrochen.
"Pscht. Ich hab gerade Schritte gehört. Am besten observieren wir den, der als nächstes hier die Treppe heraufkommt."
Chief Korpoal Robin Picardo schleppte sich gähnend die Treppen der Boucherie hinauf. Er hatte letzte Nacht, wie schon so oft, schlecht geschlafen und dementsprechend gerädert fühlte er sich. Noch dazu war heute nur Papierkram zu erledigen, was nicht unbedingt dazu beitrug, ihn wach zu halten. Obwohl.. Robin überlegte kurz. Papierkram ließ sich auch hervorragend im Bett erledigen und ein kleines Nickerchen zwischendurch fiel sicherlich niemandem auf. Zufrieden brummelnd stieg der Chief-Korporal die Stufen hinauf zu seinem Büro und übersah das kleine Kleiderbündel, dass sich im Halbdunkeln der Treppenstufen verborgen hielt.
"Ich glaub, der hat sich grade freiwillig gemeldet, was Glubschi? , flüsterte Saiyana.
"Ich heiße noch immer..", zischte der Dämon, aber er wurde von der Gnomin ignoriert, die leise ihrem Kollegen hinterher schlich.
Robin hatte inzwischen seine Bürotür erreicht und hielt kurz inne. Irgendwie hatte er das Gefühl, als würde er verfolgt werden. Rasch drehte sich der Dobermann um und spähte ins halbdunkel der Treppe.
Saiyana, die dies instinktiv vorausgeahnt hatte, kauerte unter dem Brett, dass die DOGs als Gnomenrampe an den Stufen befestigt hatten und spähte vorsichtig hervor.
Schulterzuckend wandte sich der Chief-Korporal wieder seiner Bürotüre zu. Er brauchte dringend etwas Schlaf, denn er fing schon an, Gespenster zu sehen. Wobei, vielleicht war auch Steingesicht einfach durch die Wand geschwebt und er hatte diesen Schatten aus den Augenwinkeln gesehen. Kopfschüttelnd öffnete der Wächter seine Bürotür und trat ins Innere.
"So, auf ins Gefecht!", flink kletterte Saiyana aus ihrem Versteck hervor und rannte die Rampe hinauf.
"He, schüttel mich nicht so!"
"Klappe, Glubschi!", tief Luft holend stürmte die Gnomin durch den schmalen Spalt, der von der offenen Bürotür noch geblieben war und betete zu Offler, dass ihre diversen Kleiderschichten nicht zu dick waren.
Langsam schloss sich die Bürotüre und erlaubte es der Saiyana gerade noch, hindurchzuschlüpfen, bevor sie sich mit einem leisen Klicken schloss. Jetzt gab es kein zurück mehr. Rasch ließ die Wächterin in dem großen Büro ihren Blick schweifen, um ein gutes Versteck zu finden. Die einzigen zwei Gegenstände, die groß genug waren, um die Gnomin zu verstecken, waren der alte Sekretär, der in der hinteren Ecke des Raumes stand, sowie eine Kommode, die mitten im Raum platziert war.
Ohne lange zu überlegen entschied sich die Saiyana für die Kommode und schlich leise durch das Büro dorthin. Ihre zu observierende Person, der Wächter Robin Picardo, stand gerade mit dem Rücken zum Schreibtisch und suchte scheinbar ein paar Akten zusammen.
"Und was machen wir jetzt da?", flüsterte Glubschi, dessen Auge aus der Umhängetasche ragte.
"PSCHT!", zischte Saiyana.
Robin blickte irritiert auf. Er hatte doch gerade etwas gehört.. . Suchend sah sich der Dobermann im Raum um, entdeckte jedoch nichts. Der Wächter kniff mehrmals die Augen zusammen und schüttelte dann den Kopf. Die Akten konnten warten. Er schien bereits vor lauter Schlafmangel Halluzinationen zu haben und so konnte man nicht arbeiten. Robin gab einen kurzen Grunzlaut von sich, schlurfte zu dem himmelblauen Bett und ließ sich mit einem Aufstöhnen hineinfallen. Es dauerte keine zwei Minuten, bis ein friedliches Schnarchen ertönte.
"Na toll! Jetzt hören wir dem beim Schnarchen zu!", Glubschi schüttelte empört sein Auge.
"Ich hab mir auch was spannenderes vorgestellt, aber was soll ich tun? Ich kann ihn ja nicht zwingen, etwas interessantes zu tun!", wütend starrte Saiyana ihren Übersetzungsdämonen an. Dieses Job entwickelte sich mehr und mehr zu Fiasko. Die Gnomin stand kurz davor, einfach alles hinzuschmeißen, sich bei ihrem Abteilungsleiter zu entschuldigen und eine andere Spezialisierung anzufangen.
"Hier ist wohl nichts mehr zu holen. Lass uns gehen und es..", mitten im Satz stoppte die Wächterin und spitzte die Ohren. Sie hatte gerade ihr "Opfer" etwas murmeln gehört.
"Nein... komm mir nicht zu nahe... verschwinde..", der Chief-Korporal wälzte sich unruhig in seinem Bett hin und her und streckte schützend die Arme von sich.
Saiyana zog den Stift aus dem kleinen Notizblock, den sie mit sich führte und notierte eifrig:
Chief-Korporal Robin Picardo dürfte unter Albträumen leiden. Hat er etwas zu verbergen? Was fürchtet er? Hat er... Weiter kam Saiyana nicht, denn die Tür zum himmelblauen Knahbenzimmer wurde aufgestoßen und Leopold von Leermach stürmte in den Raum.
"Robin, ich.."
"AHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHH!", mit einem lauten, entsetzten Schrei schreckte Robin aus seinem Albtraum und setzte sich kerzengerade auf.
" AAAAIIIIIIE", kam es von Leopold, der sich darauf hin einem lauten *plop* in eine Fledermaus verwandelte und hilflos zu Boden flatterte.
"Verdammt, Leo, musstest du mich so erschrecken?", fluchend rieb sich Robin seinen Kopf und schaute betreten auf die am Boden liegende Fledermaus.
Saiyana beschloss, dass sie genug gesehen hatte. Zwei Wächter in einem Raum machten es nicht gerade einfacher, jemand zu observieren. Mit einem vorsichtigen Blick um die Kommode vergewisserte sich die Wächterin, dass Robin gerade mit dem Fledermaus-Leo abgelenkt war und huschte leise aus dem Raum.
"Tja, das war ja gar nicht so unerfolgreich. Wen bespitzeln wir als nächstes?", grinsend sah Saiyana zu ihrem Übersetzungsdämon.
"Also ich hab genug davon. Wie die rumgebrüllt haben... Ich hab empfindliche Ohren!"
"Hab dich nicht so Glubschi, es war schon spannend, oder?"
"Das nennst du spannend?"
"Maul nicht immer rum. Wir werden uns einfach im ersten Stock irgendein Zimmer aussuchen, einverstanden?"
"Macht es einen Unterschied, wenn ich protestiere?"
"Nein..", noch immer zuversichtlich lächelnd wanderte die Gnomin langsam das Brett hinunter in den ersten Stock der Boucherie. Dort angekommen sah sie sich suchend um und entdeckte eine Bürotüre, die nur angelehnt war. Leise schlich die Wächterin näher und lugte vorsichtig in den Raum, den sie aufgrund seiner Farbe als das kahrmesinrote Ritherzimmer identifizierte.
Gefreiter Patrick Nichts war gerade dabei, die Taschen seines langen, schwarzen Mantels mit einer Unmenge an bunten Zetteln vollzustopfen.
Warum macht er das? Saiyana kratze sich stirnrunzelnd am Kopf und beobachtete weiter, wie der Gefreite versuchte, möglichst viel Papier in seinen Taschen unterzubringen.
Es muss irgendwie wichtig für ihn sein.Neugierig versuchte die Gnomin, mehr zu erspähen, doch Patrick schien fertig zu sein und drehte sich um.
Lautlos fluchend trat Saiyana den Rückzug an und verkroch sich hinter einer Topfpflanze, die neben der Bürotür stand. Wenn sie der Kollege gesehen hatte, würde es garantiert Ärger geben. Außerdem würde dann Harry erfahren, dass sie zum Observieren zu ungeschickt war und diese Blöße wollte sich die Gnomin nicht geben. In Gedanken betete sie zu Offler und wartete mit klopfendem Herzen auf den Moment, in dem die Tür aufgerissen und sie der Spionage bezichtigt wurde. Es dauerte einige bange Sekunden, in denen nichts geschah, dann wurde die Türe zum Büro des Gefreiten Nichts geöffnet und der schwarzgekleidete Wächter verließ mit langen Schritten seine Räumlichkeiten.
Erleichtert atmete die Gnomin, die hinter der Topfpflanze noch mal um gute 10 Zentimeter kleiner geworden war, auf und wartete, bis ihr Kollege außer Reichweite war.
"Puhh, das war knapp..."
"Ich habs dir doch gesagt. Wir hätten schon vorher aufhören sollen! Ich will das nicht!", maulte Glubschi.
"Sag nur, du bist nicht neugierig, was der Gefreite da in seine Taschen gestopft hat?", vorsichtig blickte sich Saiyana im Gang um, und als sie niemand entdeckten konnte, marschierte sie zu der immer noch unverschlossenen Bürotür und drückte diese vorsichtig auf.
Vor ihr erstreckte sich ein dunkelrot gestrichener Raum, in dessen Mitte ein großes Bett stand.
"Die Betten dürften wohl zu der Standardausrüstung gehören..", suchend sah sich Saiyana um und entdeckte einen Fetzen bunten Papiers, der unter dem Bett hervorlugte.
"Mal sehen, was das so interessantes ist."
Die Wächterin nahm den Bogen in beide Hände und zog ihn unter dem Bett hervor. Neugierig starrte sie auf die dunkle Schrift , die darauf stand, zog aber sogleich ein langes Gesicht.
"Äh, Glubschiiiiii?"
"WAS? Ich will damit nichts mehr zu tun haben...", kam es aus den unergründlichen Tiefen der Tasche.
"Und wenn ich verspreche, ganz höflich zu dir zu sein und dich nur mehr Glubanus spectare, der Erste zu nennen?"
"Hm.."
"Biiiiittteee!"
Ungeduldig hüpfte die Gnomin von einem Fuß auf den anderen. Verdammt, sie war neugierig, was auf dem Zettel stand, aber sie konnte es nicht lesen! Verdammtes morporkianisch!
Leise grummelte der Übersetzungsdämon, dann schob er vorsichtig sein Stielauge aus der Tasche. Er betrachtete kurz das Blatt Papier und las dann vor:
"Die Vereinigung der Gärtner lädt zu dem Nachmittagskurs:
Blumenstecken für Anfänger Lernen sie, wundervolle Gestecke anzufertigen und die Wirkung verschiedener Pflanzen miteinander zu völlig neuen Kreationen zu kombinieren!"
"Das ist nicht dein Ernst.", Saiyana grinste.
"Jetzt bezichtigst du mich auch noch der Lüge", beleidigt zog der Übersetzungsdämon sein Auge wieder zurück.
"Nein, ich glaubs dir schon..", die Gnomin lachte.
"Ich bin nur erstaunt, dass Patrick Nichts Flugzettel über einen Blumensteckkurs verteilt. Am Ende besucht er ihn noch selber!", die Wächterin wischte sich eine Lachträne aus dem Augen und notierte auf ihrem Block:
Gefreiter Nichts liebt Blumen und verteilt Flugzettel der Vereinigung der Gärtner. Ob so etwas ansteckend ist?Mit einem breiten Grinsen schob Saiyana das Flugblatt zurück unters Bett und verließ leise das Büro. Schön langsam gefiel ihr der Beruf des Observationsexperten. Ein Stockwerk hatte sie noch vor sich, dann konnte sie ruhigen Gewissens zu Harry zurückkehren und ihre Arbeit für beendet erklären.
Das Erdgeschoss der Boucherie war den Damen des Hauses vorbehalten. Die Gnomin schlich an einigen Türen vorbei, aus denen eindeutige Geräusche zu hören waren. Irgendwie klang nichts so wirklich interessant, doch plötzlich stutzte die Gnomin. Die Stimme, die sie gerade gehört hatte, kannte sie doch. Leise schlich sie zurück zur letzten Tür und lauschte.
"Ich bin dir dankbar, dass du etwas von deiner knappen Zeit erübrigen konntest.", sagte eine weibliche, laszive Stimme.
"Für dich hab ich doch immer Zeit.", die männliche Stimme, so befand Saiyana, klang sehr nach Hauptmann Daemon.
"Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde."
"Nana, du kennst doch sicher genug andere Männer, die das auch könnten."
"Aber keiner kann das so gut wie du."
Saiyana hörte mit offenen Mund zu. Das durfte doch nicht wahr sein.
"Jetzt übertreibst du aber..", der Hauptmann hörte sich deutlich stolz an.
"Nein, ehrlich, wie du mit deinem Werkzeug umgehst, ist einfach unglaublich."
"Na, wenn das so ist, dann werd ich’s gleich mal auspacken."
Die Gnomin lief rot an.
"Wo hättest dus denn gerne?", fragte Daemons tiefe Stimme.
"Ach, ich glaub hier.."
Saiyana hörte leise Federn quietschen und verfärbte sich bis unter die Haarspitzen dunkelrot.
"Ja, ich glaub da..", war die laszive Stimme der Näherin zu vernehmen, während die Federn lauter quietschten.
Daemon stöhnte.
"Das ist anstrengend!"
"Ach, komm schon Süßer, gleich hast dus geschafft..."
"Huch, was treibt ihr denn hier?", kam plötzlich eine zweite Frauenstimme durch die Tür geschallt.
"Huch!", rief der Hauptmann, "Was machst du denn hier?"
"Das ist Lieselotte, die ist nur schnell zum Duschen rübergekommen."
Vor der Tür des Zimmers beschloss eine kleine, krebsrote Gnomin, dass sie genug gehört hatte. Leise schlich sie davon und überließ den Hauptmann seinen Vergnügungen. Wenn sie an DER Tür noch länger lauschte, würde sie vermutlich bloß nur noch heißer glühende Ohren bekommen. Kopfschüttelnd stieg die Gnomin wieder die Treppe hinauf in den ersten Stock, um ihrem Ausbilder Bericht zu erstatten.
Im eben belauschten Zimmer steckte Hauptmann Daemon seinen Kopf unter dem Bett, dass er soeben repariert hatte, hervor und fragte: "Ist es jetzt besser so?"
"Du bist ein echter Schatz, Hauptmann. Was täte ich bloß ohne dich?"
"Vermutlich Rückenschmerzen bekommen vom Liegen in einem kaputten Bett.", grinsend erhob sich Daemon und steckte den Schraubenzieher wieder zurück in die Werkzeugtasche der Abteilung DOG.
"Freut mich, dass ich behilflich sein konnte. Wenn ihr mich jetzt entschuldigt. Ihr wisst schon, als Abteilungsleiter hat man eine Menge zu tun.", mit einem Nicken verabschiedete sich der Hauptmann und verließ den Raum.
Saiyana war inzwischen wieder in ihrem Büro angelangt und durchquerte gerade die Puppenstube auf dem Weg zu Harry. Gleichmäßiges Schnarchen verriet ihr, dass ihr Ausbilder seine Berichte wohl gerade im Schlaf verfasste.
"Haaaaarrrryyyyy!", eine angenehm klingende Stimme streichelte den schlafenden Gnom.
"Hmhmhmhm...", das Gesicht des Angesprochenen verzog sich zu einem wohligen Grinsen.
"HARRYYYYYYYY!"
"Äh, was? Chef, ich.." verschlafen setzte sich der Stabspieß auf und benötigte einen kurzen Moment, um sich zu orientieren. Sein Blick glitt über das Bündel Kleider, das vor ihm stand und dessen Augen ihn anfunkelten.
"Ach, Saiyana. Du bist es. Ich.. äh.. habe gerade darüber nachgedacht.."
"Nicht so wichtig. Ich wollte nur Meldung erstatten, dass ich mit meinen Observationen fertig bin."
"Oh. Schon? Hast du etwas interessantes herausgefunden?"
Saiyana überlegte. Die Geschichte mit Robin erschien ihr nicht interessant genug und auch Patricks Hobby war nicht wirklich aufregend, aber was der Hauptmann gemacht hatte...
"Ich hab gehört, wie Hauptmann Daemon bei einer Näherin war!", platzte es aus der Gnomin heraus.
"Dort ist er öfter..", erklärte Harry verdutzt.
"Najaaa, er war.. sie haben.. ich hab gehört wie.."
"Er war doch nicht.."
"Doch war er.."
Jetzt war Harry an der Reihe mit dem rot anlaufen.
"Ich glaube, das behalten wir lieber für uns, ja? Ich fürchte, es wäre nicht sonderlich gut, wenn so etwas herauskommt."
"Ist in Ordnung.", Saiyana nickte.
"Gut, dann befinde ich einfach, dass du deine Ausbildung abgeschlossen hast. Ich schreibe noch einen Bericht darüber, und dann kannst du offiziell deinen Job ausüben."
"Fein. Wollen wir zur Feier des Tages etwas Trinken gehen?", zwei grüne Augen strahlten Harry an.
Wieder besseren Gewissens versank der Gnom in den Untiefen dieser Augen und hörte sich selbst sagen: "Ja, warum nicht? Wieder in den Fuchsbau?"
Saiyana nickte begeistert, während Harry innerlich aufstöhnte. Das klang nach üblen Kopfschmerzen am nächsten Morgen. Aber was tat man nicht alles für solch eine verführerische Frau.
ENDE
[1] Alle Kostüme, auf die er damals gestoßen war, befanden sich jetzt im Kostümfundus der DOG, und die Puppen hat Harry weggeworfen... ehrlich!
[2] Eigentlich stammte der Sand aus Vico van Vermeers Büro, doch dieser ließ ihn mit dem Hinweis, dass dieses eklige Zeug bloß die Poren seiner makellosen Haut verstopfen würde, von einem armen, unterdrückten Wächter aufkehren und entfernen.
[3] in dem er sich mit seinem Lieblingsband von Freddy Frettchentöter bequem gemacht hatte, um Saiyana Zeit zum "Eingewöhnen" zu geben
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