Die letzte Stunde

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von Agent Rince (IA), Hauptmann Daemon Llanddcairfyn (DOG)
Online seit 25. 03. 2003
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 Außerdem kommen vor: KolumbiniRobin PicardoEcatherina Erschreckja

Die Rekruten tanzen dir auf der Nase herum und benehmen sich total kindisch. DU hast lange genug zugesehen, doch jetzt ist genug!

Dafür vergebene Note: 12

Diese Cooperative-Mission spielt in der Zeit, als Daemon und Rince zusammen in G.R.U.N.D. als Ausbilder tätig waren.

[Daemon]
Daemon saß an seinem aufgeräumten Schreibtisch. Hell schien die Sonne in das große Büro. Gerade beendete er den Wochenbericht über seine vier Rekruten und heftete ihn sauber ein.
"Sag.", begann der Wächter und schloss den letzten der Ordner, "Welchen Tag haben wir heute?"
"Heute ist Freitag, Meister.", erwiderte Schmatzbart, der untote Igor-Zwerg, der Daemon diente, seitdem der Wächter seinen Herren, den Vampir Graf von Unterüberwald besiegt hatte. Natürlich war das nur möglich gewesen, weil Daemon kurz vorher seine Fähigkeit entdeckt hatte, sich vollkommen unsichtbar zu machen – natürlich machte er nicht so oft Gebrauch davon, nur, wenn es gerade nicht anders möglich war und es die beste Lösung zu sein schien. Noch immer überlegte der Oberstleutnant, warum er diese Möglichkeit hatte, aber er glaubte, es hinge mit dem Amulett zusammen, dass ihm der alte Gnomen-Zauberer geschenkt hatte, der ihm auch beigebracht hatte, wie man Feuerbälle warf und sein lichtschnelles Pferd Supertraber gegeben hatte.
"Freitag.", Daemon schloss den Aktenordner, "Dann ist es wohl Zeit für das wöchentliche Rekrutengespräch, sei so gut, und sag Rina, sie soll meine Rekruten herrufen." Schmatzbart nickte.
Kurz darauf erschien die Abteilungsleiterin mit den vier Wächtern.
"Ah, da seid ihr ja.", freute sich der Ausbilder und sprang auf.
"Danke, Rina, Du kannst jetzt gehen.", sagte Kollossus der Donnerer, einer der Rekruten. Der Fähnrich nickte.
"Sehr wohl, Sir.", sagte sie und verließ mit einer leichten Verbeugung den Raum.
"So, ich wollte euch, wie jede Woche fragen, ob ihr auch alle zufrieden seid", begann der Oberstleutnant, "oder ob wir nicht noch etwas mehr tun können, damit ihr hier glücklich seid."
"Nun.", sagte Hetatie, die omnianische Göttin und streichelte Felicia, ihre goldene Haus-Sphinx, hinter den Ohren, "Ich muss schon sagen, dass man doch sehr früh geweckt wird. Es würde meiner Meinung nach ausreichen, um zwei Uhr mit der Ausbildung zu beginnen. Es ist vollkommen übertrieben, uns schon zum Mittagessen zu wecken." Die anderen Rekruten nickten.
"Die ganze Ausbildung an sich ist überflüssig.", warf Stein ein, der dank seines selbstentwickelten Eishelms der klügste Troll und Wächter war, "Warum können wir als Mitglieder der Wache nicht sofort anfangen, die Welt zu retten?" Grunbald knurrte. Seine Werwolfinstinkte waren an diesem Tag sehr stark und er konnte sich kaum in seiner Zombiegestalt halten, hell glühte sein magisches Silberhalsband, das er immer trug, seitdem er es am Straßenrand gefunden hatte.
Ein Blitz durchbrach die Dunkelheit.
Der auf den Blitz folgende Donner ließ Daemon aufschrecken. Schwer atmend starrte der Oberstleutnant in die dunkle, kalte Umgebung des Zimmers. Vorsichtig tastete er über die kühlen, glatten Bezüge der Kissen, von denen eine Unmenge in dem großen Bett verteilt waren. Hastig schwang er sich unter der Decke hervor und stand auf. Zitternd zog sich der Wächter leise vor sich hinmurmelnd an. Lautlos fluchend öffnete er langsam die knarrende Tür des Büros im zweiten Stock des Boucherie Rouge und betrat bibbernd in der eisigen Morgenluft des ungeheizten Gebäudes den Flur. Schleichend näherte er sich in der Düsternis der Ausgangstür zur Dachterrasse und legte vorsichtig die Hand auf die Klinke. Bedächtig öffnete er die Tür. Nebelhaft stieg sein Atem in die Kälte hinaus. Schnell huschte er über die Fliesen der Terrasse und stieg fröstelnd die Außentreppe hinab zum ersten Stock, in dem sich die restlichen Büros der Dienststelle befanden. Der Oberstleutnant spähte vorsichtig in den dunklen Flur und schlich an den Türen der restlichen Büros vorbei. Er holte tief Luft, als er vor den Türen der Abteilungsleiter stand, dann trat er ganz langsam auf die oberste Stufe der Treppe, die ihn ins Erdgeschoss bringen sollte. Knirschend schabten die Sohlen seiner Stiefel durch die Stille des Hauses auf dem rauen Holz. Im finsteren Treppenhaus tastete der Oberstleutnant sich durch den kalten Staub, der in der Luft hing, zur vorletzten Tür, durch die er kommen musste. Schließlich fand er aufatmend das kalte Metall der Klinke. Daemon drückte sie herunter und betrat zögernd die Vorhalle des Boucherie Rouge, von deren Wänden leise unterdrückte Geräusche nächtlicher Arbeit widerhallten. Ein letztes Mal sah sich der Wächter um, ging langsam auf die Ausgangstür des Gebäudes zu und öffnete sie. Eiskalte, einsame Nacht empfing ihn dahinter. Der Wächter trat in die kalte Morgenluft, wandte sich um und schloss die Tür. Erleichtert atmete der Oberstleutnant auf. 'Das ging ja gut.', dachte er und drehte sich um zu gehen.
"Daemon!", rief Ecatherina, die direkt hinter ihm stand. Mit einem Aufschrei schrak der Wächter zurück und prallte mit dem Rücken gegen das Holz der Tür. Die Abteilungsleiterin grinste.
"Habe ich dich erschreckt?", sie ging noch einen Schritt auf ihn zu, "Ich kann nur spekulieren, was du hier um diese Zeit tust, aber ihn bin sicher, dass du nicht in deinem Büro übernachtet hast, was absolut inakzeptabel wäre, da du zur Zeit weder hier tätig bist, noch deine Diensträume in dieser Art nutzen darfst. Ist es nicht so?", sie sah ihn scharf an.
"...", sagte Daemon und versuchte, nicht zu auffällig sein Herz davon zu überzeugen, nach dem Schreck, den Ecatherina ihm eingejagt hatte, weiterzuschlagen.
"Es ist bestimmt so, dass du hier nur eine deiner Bekannten besucht hast, die du hier im Haus kennst, nicht wahr?" Daemon ächzte.
"Ich werde sicher das Bett in deinem Zimmer , das in deinem Büro steht, frisch bezogen und sauber gemacht vorfinden, sollte ich jetzt nach oben gehen und nachsehen, oder?"
"Sicher?", fragte Daemon, der sich des Zustandes des Bettes im zweiten Stock durchaus bewusst war.
"Nun, wenn das so ist, dann kann ich mir den Weg bis da oben ja sparen.", sie grinste noch einmal kurz und trat dann an dem Oberstleutnant vorbei in das Gebäude. Daemon sackte an der Wand zusammen und blieb eine Weile dort sitzen. Schließlich begann es zu nieseln.
***

Die Sonne war bereits eine ganze Weile aufgegangen und erste kühle Morgenstrahlen erreichten Ankh-Morpork, als der Offizier das Wachhaus in der Kröselstraße erreichte [1]. Er durchschritt die schwarze Eingangstür des Wachhauses und sah durch die dunkle Eingangshalle. Schwarz schimmernd stand der Tresen vor ihm, matt glänzte der Boden, ungewischt zwar, doch halbwegs sauber, den Verkehr darauf berücksichtigend. Jemand schien während eines langweiligen Nachdienstes die finsteren kleinen Teppiche zurecht gelegt zu haben, die Stühle hinter dem Tresen standen ordentlich dort. Nur ein Rekrut war nicht zu sehen. Daemon stutzte.
"Guten Morgen.", rief er in die Hallen. Er sah zur großen Standuhr an einer Wand des Raums, in der das große, schwarze Pendel die Zeit in winzigen Scheibchen immer weiter hinwegschnitt, wie die Sichel eines llamedonischen Druiden Kraut von einer Wiese schneidet. 'Nur, das die Zeit nicht nachwächst.', dachte Daemon.
"Es ist sieben Uhr dreiundzwanzig.", verkündete der Oberstleutnant dem leeren Raum, "Wo sind meine Rekruten?" Ein unartikuliertes Brummeln aus Richtung des Schlafsaals war die Antwort. Der Wächter sah sich noch mal in der großen, leeren Eingangshalle um, dann trat er langsam auf die Tür des Schlafsaals zu. Er zog sein Schwert, blank blitzte die Klinge im Morgenlicht. 'Drei Jahre Wacharbeit, ich renne doch nicht in eine Falle, die alle Rekruten erwischt hat.', Daemon brummte leise und öffnete die Tür ganz vorsichtig, wobei er neben dem Rahmen stand. Kurz wartete er, ob etwas passieren würde, dann streckte er sein Schwert seitlich in die Öffnung und drehte es langsam hin und her. In der Spiegelung auf dem blanken Metall konnte er auf den Betten große Bündel erkennen, jedoch war es zu dunkel, um weitere Einzelheiten zu erfassen. Wieder brummte Daemon und zog die Klinge zurück. Mechanisch steckte er sie weg und holte stattdessen eine kleine Armbrust hervor. Ganz sacht gab er der Tür mit seiner Hacke von der Seite einen Stoß, so dass sie langsam ganz aufschwang. Der Wächter ging in die Knie und sah in den dunklen Schlafsaal, um seine Augen an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Tief holte der Oberstleutnant Luft und schwang sich nah am Boden in den Raum.
"Jetzt HaaaAA!", helle Schreie gellten durch den Raum, Schläge prasselten auf den Kopf des Wächters, ein Fuß traf ihn dort, wo man ihn nicht haben will und hilflos knallte Daemon auf den Boden das Raums. Um ihn herum begann ein Murmeln und Brummen.
"Ruhe da."
"Will noch schlafen."
"W'ss'n d' l's?"
Der Offizier rollte auf den Rücken und sah zu Mefarina auf, der er beim Stürmen des Schlafsaals an Beine und Unterleib geschwungen war.
"Oberstleutnant!", schrie die Wächterin durch das sie umgebende Grummeln der übrigen, müden Rekruten, "Was hat das zu bedeuten?"
"Es tut mir leid.", Daemon hielt sich schützend die Arme vor sein Gesicht, "Ich dachte, ihr wäret in eine Falle geraten."
"Und deswegen fällst Du mich an? Was soll das für eine Falle gewesen sein?", das Gesicht der Rekrutin war hochrot vor Wut und Verlegenheit.
"Was weiß ich.", entgegnete der Liegende wütend und rappelte sich auf, "Wie sonst sollte man erklären, dass am helllichten Tage sämtliche Rekruten in ihren Betten liegen?"
"Vielleicht liegt es daran, dass die anderen Ausbilder zur Zeit nicht da sind?", entgegnete die Wächterin.
"Was heißt hier nicht da?", wollte Daemon wissen, "Wo sind denn alle?"
"Der Kommandeur ist bei Ermittlungen, die Chefin meinte etwas von Umzug und Fähnrich McMillian ist schon länger nicht mehr gesehen worden.", Mefarina sah den leicht schwankenden Oberstleutnant fragend an.
"Wenn Leutnant Lanfear nicht da ist, wer ist hier für die Aufstellung des Dienstplanes zuständig? Wer soll hier alle wecken und auf Trab halten, wenn alle weg sind? Wer hat hier das sagen und macht euren Unterricht?", etwas verspätet fiel ihm der Blick der Rekrutin auf den linken Teil seiner Uniform auf. Durch einen gewaltigen Zufall fiel in diesem Moment ein erster, intensiver Sonnenstrahl durch eine winzige Lücke in den Fensterläden des Schlafsaals genau darauf und ließ die drei kleinen, silbernen Sternchen aufglitzern.
"Oh."
Eine Weile später war auch der letzte Rekrut davon überzeugt worden, dass seine Anwesenheit beim Appell sich positiv auf die Möglichkeit einer weiteren Aktivität in der Wache auswirken würde und die Wächter standen – nicht gerade wach oder ordentlich gekleidet, aber zumindest in einer ungefähr geraden Reihe – im Vorraum des Gebäudes.
"Guten Morgen liebe Wächter.", rief Daemon ihnen entgegen. Zurück kam ein undeutliches Gemurmel, darunter auch Worte in anderen Sprachen, auf deren Übersetzung der Oberstleutnant lieber verzichtete.
"Nun ja.", begann er noch mal, "Wenn wir dann komplett sind, können wir ja frohgemut mit dem Tageswerk beginnen. Wer ist für den Tresenfrühdienst eingetragen?" Schüchtern zeigte ein zwerg-großer Troll auf.
"Ah ja, Beryl, nicht? Dann mal marsch ma..."
"Opal.", flüsterte Leopold, der nahe bei dem Wortführendem stand, ihm zu. Verwirrt hielt Daemon inne und sah den Vampir irritiert an.
"Was?", flüsterte er zurück, während eine leise, doch heitere Unruhe die übrigen Rekruten erfasste.
"Der Troll heißt Opal, nicht Beryl.", wisperte Leopold wieder zurück, während ein leises Kichern aus den Reihen tönte.
"Was soll das heißen, er heißt nicht Beryl?", rief Daemon.
"Wir haben keinen Beryl, Sir.", tuschelte von Leermach.
"Wir haben keinen Beryl.", verkündete der Oberstleutnant den Rekruten, woraufhin ein unterdrücktes Prusten erklang.
"Wer war das?", wollte Daemon wissen und trat auf die angetretenen Wächter zu, die sich verzweifelt bemühten, nicht loszulachen.
"Ichbleibdrin war's.", rief Jemand aus der hinteren Reihe.
"Rekrut Von Leermach. Notieren sie: Beim Mittagessen nur eine halbe Ration für Rekrut Ichbleibdrin.", streng sah der stellvertretende Abteilungsleiter die Reihen entlang, ohne eine Ahnung, wen er gerade bestraft hatte.
"Ich denke, wir haben keinen Ichbleibdrin.", antwortete Leopold. Nachdenklich blickte Daemon ihn an.
"Hast Du das überprüft?", fragte er schließlich.
"Ähm, nein.", gestand der Vampir, "Ich hielt es für einen Scherznamen. Wie: Boris Binichschondrin." Der Offizier sah Leopold misstrauisch an.
"Was ist so komisch an dem Namen Boris Binichschondrin?", langsam ging er auf den Rekruten zu, "Ich habe einen guten Freund in Gennua mit dem Namen Boris Binichschondrin." Lautes Lachen erschall hinter ihm.
"Ruhe jetzt!", herrschte der Oberstleutnant und sprang wütend auf und ab, "Rekrut Beryl, hinter den Tresen, aber flott, die Andren: Hergehört.", er atmete tief durch und fasste sich wieder, während Opal schleunigst an ihm vorbei rannte.
"Ich habe euch heute - vollkommen absichtlich, wie ich erwähnen möchte – länger schlafen lassen, damit ihr aufmerksam und ausgeruht dem heutigen Unterricht folgen könnt. Zunächst will ich euch zeigen, wie...", er stoppte seine Ausführung und sah die Wächter an, "... wie... man...", verzweifelt wühlte er in seinen Taschen und fand einen Zettel, triumphierend zog er ihn hervor und las laut die darauf geschriebenen Worte, froh, doch noch eine Lösung gefunden zu haben, mit der er sich aus dieser Sache herausholen konnte: "Die Kunst, eine Frau mit dem Zauber eines Gedichtes zu erobern!" Die Rekruten sahen ihren Vorgesetzten groß an – besonders die weiblichen -, Daemon kam ins Schwitzen, diesen Zettel hatte ihm eine der Näherinnen zugesteckt, in letzter Zeit machten sie ständig Andeutungen, dass es sich für einen Mann seines Alters nicht gehöre, allein zu sein und dass er sich endlich eine Frau suchen solle.
"Ähm ja!", der Oberstleutnant überlegte fieberhaft, seine Situation hatte sich in den letzen Minuten kaum verbessert, "Denn manchmal ist es wichtig... dass ihr... eine Zeugin zu einer Aussage überredet... oder eine... Verschwörerin gegen die Regierung der Stadt, die euch gefangen und kopfüber an eine Wand gekettet hat, direkt über einem gewaltigen Topf voller brodelnder Säure, und euch jetzt ganz langsam herunterlässt, während sie euch all ihre Pläne verrät, umgarnt.", Daemon räusperte sich, "Ein Talent, das von vielen Wächtern geringgeschätzt wird, aber das ich euch heute dennoch näher bringen will."
'Wenn ich nur wüsste, wie!'
Ausbildungspunkt 1: Die Gedichte

"Oh Maiden hold, die Du mich hältst,
in Ketten an der kalten Mauer,
so hast Du auch mein Herz umschlungen,
drob erfüllet mich ein warmer Schauer."

Daemon sah zu Lavendula hoch, die mit einem großen Schwert vor ihm stand.
"Wenn möglich, solltet ihr bei solchen Gelegenheiten knien", er erhob sich wieder. Die Rekrutin seufzte tief. "Das macht das Ganze eindrucksvoller und lässt das Gedicht früher und wahrscheinlicher zum Erfolg führen. Wenn ihr natürlich gefesselt seid, müsst ihr improvisieren, indem ihr vielleicht Blumen mit eurem Mund pflückt oder ähnliches, euch wird sicher etwas einfallen. Wichtig ist nur, dass die Frau merkt, dass die Worte vom Herzen kommen und ihr gewiss euer gesamtes, restliches Leben mit ihr verbringen wollt. Eine Packung teurer Pralinen, sowie ein großer Strauß Rosen können ebenfalls dienlich sein.", der Oberstleutnant war froh, in der kurzen Zeit, in der die Rekruten einen behelfsmäßigen Stuhlkreis geformt hatten, die Broschüre der Näherinnen hatte lesen können.
"So.", sagte Daemon, "Und jetzt Du, Rurik." Mit finsterem Blick trat der große Zwerg vor und stellte sich stämmig vor die Achatanerin.
"Hm Frau, Du bist eh wie Gold,
auch wenn Du nicht wie Gold glänzt,
und auch kein Gestein bist,
oder so wertvoll ähm wärest.
Aber trotzdem bist Du wie Gold.
Irgendwie.
Hm.
Gold?"

Rurik sah abwartend zu seinem Ausbilder.
"Ja.", murmelte Daemon, "Ganz... ordentlich. Für das erste Mal. Wir werden weiter daran arbeiten. Die große, scharfe Axt in deiner Hand hat vielleicht ein wenig gestört. Vielleicht noch jemand anderes? Du da vielleicht?", hilflos deutete er in die Menge der beobachtenden Rekruten.
"Ich sollen?", fragte Awentrus und trat vor. Daemon seufzte.
"Ja sicher, warum nicht auch noch das?", zerschlagen ließ er sich auf seinen Stuhl sinken und befürchtete das Schlimmste. Der Troll ging mit auf dem dunklen Holzboden donnernden Schritten nach vorn und ließ sich auf ein Knie nieder. Die dabei entstehenden Geräusche ließen sich am besten mit einer Kontinentalverschiebung im Zeitraffer vergleichen. Lavendula wich einen Schritt zurück, besann sich dann aber ihrer Rolle und sah Awentrus streng an.
"Frau, du mich hast gefangen.", begann der Troll,
"Jetzt ich hier und weg will.
Nicht schön sein, hängen an Mauer.
Obwohl gar nicht an Mauer hänge, nur so tun, als wenn tun.
Trotzdem nicht schön sein, an Mauer zu hängen, auch, wenn nur so tun, als wenn das so sein.
..."

"Ist das kalt draußen.", rief eine Stimme hinter ihnen, ein eisiger Luftschwall fegte durch den Raum und sog mit einem Mal alle Wärme aus dem Zimmer, als Rince mit einem Arm voller Aktenordner in das Gebäude trat, "Und ich muss da raus, um Akten zu holen, haben wir eigentlich keine Rekruten mehr?"
"Als ob die Grausamkeit der Unfreiheit
nicht schon der Strafe wäre volles Bemessen.
Nein, Dich zu schauen, Schönst der Schönen,
Ohn' Möglichkeit Dich zu erlangen,
will Sehnsucht mir das Herz zerfressen."

"Was ist denn hier los? Haben wir bald eine Hochzeit zu feiern?", flüsterte der Kommandeur zu einem der Rekruten in der hintersten Reihe und schloss die Tür. Sofort entfachte sich das Feuer im Kamin wieder und wohlige Wärme eroberte den Raum zurück.
"Jetzt will weg.
Frau."

Der Troll endete.
"Hm.", sagte Daemon, "Vielleicht hast Du Glück und die Verschwörerin will Dich erfrieren lassen.", er stand auf und sah den Kommandeur an der Rückwand des Raumes stehen.
"So!", rief er schnell, "Jetzt gebe ich Euch mal allen ein paar Minuten Zeit, um eure eigenen Gedichte aufzuschreiben. Die Leute, die schneller fertig sind, helfen denen, die Probleme haben, einen Stift zu halten. Ich sammle die Zettel dann später ein." Die Wächter verschwanden unter Stühle rücken und Gekicher in den Schlafsaal, aus dem schon bald einzelne, laut vorgetragene Gedichtsfetzen drangen. Rince grinste den Oberstleutnant durch den Raum an.
"Du hattest keine Ahnung, dass Du mit der Ausbildung dran bist, was?"
Daemon räusperte sich. "Ich halte mich über Wasser.", antwortete er.
"Ich wünsche Dir viel Spaß.", der Kommandeur zwinkerte, "Ich bin dann in meinem Büro und erwarte die Anzeigen.", leise in sich hinein lachend verließ er den Raum. Kurze Zeit später kam Leopold aus dem Schlafsaal gerannt, kurz gefolgt von Ledamahn.
"Er hat meinen Reim geklaut!", schrie der Vampir Daemon schon durch den Raum entgegen.
"Habe ich gar nicht.", rief Ledamahn und sprang Leopold von hinten an. In einem wilden Knäuel schlagender Hände und tretender Füße landeten sie vor dem Oberstleutnant.
"Jetzt mal langsam.", Daemon sah die beiden Rekruten ruhig an, die in der Rauferei einhielten, "Worum geht es überhaupt?"
"Er hat - hab ich nicht - meinen Reim - was will ich denn damit - so schön - keine Ahnung vom Reimen - das nimmst du zurück - na warte!", die Beiden begannen erneut mit der Schlägerei. Der Ausbilder nahm einen Zettel vom Boden, der Leopold aus den Händen gefallen war.
'So wie die Hand in der Handschelle ist mein
So soll dies Herz hier dein Sein.', stand darauf.

"Rekrut von Leermach?", fragte der Ausbilder.
"Ja?", erwiderte der Vampir und stand auf, während Ledamahn sich noch kurze Zeit mit seinem schweren Mantel balgte und den Gegner darin suchte.
"Hat Rekrut Ledamahn etwa auch den Reim von 'mein' und 'dein' verwendet?" Der Wächter nickte.
"Und kurz vorher hat er auf mein Blatt geschaut und ist kichernd davon gegangen.", er sah böse zu dem anderen Rekruten, der sich jetzt ebenfalls aufrappelte, "Was hältst Du von dem Gedicht bisher? Es ist gut, oder? Besonders der Schluss, ne?" Der Ausbilder besah zögernd das Papier.
"Ich denke.", begann er, "Es reimt sich.", er gab dem Vampir den Zettel zurück, "Tatsächlich reimt es sich so gut, dass ich denke, du solltest Anderen die Möglichkeit geben, diese großartigen Reim-Strukturen ebenfalls zu verwenden." Eifrig nickte Leopold und salutierte.
"Jawohl, Sir.", er wandte sich um und ging zum Schlafsaal zurück, leise murmelte er: "Oder auch 'kein' oder 'fein'."
"Oder 'klein'.", fügte Ledamahn hinzu, der ihm gefolgt war und auch seinen Teil beitragen wollte.
"Ah HA! Lauschen tust Du also auch noch!" Die Beiden verschwanden in einer wilden Staubwolke im Schlafsaal, Daemon ließ sich seufzend auf einen Stuhl sinken.
"Soll ich auch etwas schreiben?", ließ sich Opal von seiner Stellung hinter – und bei seiner Größe auch unter – dem Tresen vernehmen.
"Sicher, Rekrut, sicher.", antwortete der Oberstleutnant müde. Der kleine Troll kramte eifrig einen Zettel hervor und begann zu schreiben.
"Von Eifrigkeit Dein Tun soll ruhen,
Halkyonisch sollt' Dein Handeln sein,
Was hast Du vor mit diesem Hebel,
wird er zu meinem Schaden sein?..."

hörte der Ausbilder ihn bald murmeln. Daemon stutzte und wandte sich um.
"Sag, Rekrut, Du BIST doch ein Tr...?"
In diesem Moment öffnete sich die Tür des Wachhauses ein weiteres Mal. Laut scheppernd flog sie gegen die Wand, mit fauchend kaltem Wind kam eine von eisigen Regentropfen begleitete Gestalt herein und klammerte sich schlotternd an die Kante des Tresens. Das Feuer im Kamin flackerte in dem plötzlichen Luftzug, der Raum wurde dunkler und dämonische Stimmen schienen in den kalten Böen zu schreien und zu pfeifen. Die dunkle Person, die eingetreten war, zitterte und streckte dem Oberstleutnant eine eisblaue Hand entgegen. Schnell rannte Opal darum und schloss die Tür. Das Feuer begann wieder hell zu lodern und das Zimmer mit vorsichtiger Wärme zu füllen. Die Gestalt sackte zusammen und setzte sich zitternd auf den kalten Boden. Vorsichtig näherten sich Opal und Daemon.
"BAH!", fuhr die Gestalt hoch, "Ist das plötzlich kalt draußen.", Robin Picardo schüttelte den dunklen Umhang ab und ging eilig zum Kamin, wo er sich die Hände wärmte.
"Rekrut, warum kommst Du erst jetzt? Der Dienst hat längst begonnen.", Daemon trat zu dem Wächter und sah ihn streng an. Robin sah den Ausbilder irritiert an.
"Sir?", fragte er vorsichtig, während der Regen aus seiner Kleidung dampfte.
"Es ist fast neun Uhr, die erste Ausbildungseinheit ist beinahe vorbei und du tauchst jetzt ohne irgendeine Entschuldigung auf. Was fällt Dir ein?", der Oberstleutnant stemmte die Hände in die Hüften und wartete auf eine Antwort. Der Angesprochene dachte kurz nach und war sich kurzzeitig seiner Situation nicht sicher. Er erinnerte sich mit ziemlicher Sicherheit an seine Beförderungsfeier. Sicher, nicht an alle Einzelheiten, besonders die Ereignisse des späteren Abends waren in einen dichten, rosaroten Dunst gehüllt, aber er war sich gewiss, dass der Grund für die Feier seine Beförderung zum Gefreiten gewesen war und er damit nicht mehr am Ausbildungsprogramm in der Kröselstraße teilnehmen musste. Robin leckte sich über die Lippen und fasste sich ein Herz.
"Ich bin kein Rekrut mehr, Sir.", brachte er hervor. Daemon räusperte sich.
"W's?", fragte er und blinzelte verunsichert.
"Ich bin befördert worden. Vor ein paar Wochen. Du warst auf der Feier.", Robin deutete vorsichtig auf den Streifen, der auf seine Schulterklappe genäht war. Einige Zeit hörte man nur das Prasseln des Feuers im Kamin und der kleinen Regentropfen an den Scheiben. Dann kam ein weiteres Geräusch dazu, langgezogen und tief brummte es durch den Eingangsbereich des Wachhauses.
"Hmmmmm.", der Ausbilder grübelte noch etwas, "Du gehörst also gar nicht mehr hierher?", fragte er nach.
"Genau.", bestätigte der Gefreite erleichtert.
"Was tust Du dann hier?", Daemon sah ihn argwöhnisch an.
"Oh! Gefreite nefer und ich wollten nur unsere restlichen Sachen aus unserem Büro räumen, damit der Platz den nächsten Rekruten zur Verfügung steht, und vielleicht ein wenig die Möbel abstauben. Wegen dem guten Vorbild und so."
"Nun gut.", der Oberstleutnant nickte, "Dann könnt ihr ja nachher an unserer Ausbildungseinheit teilnehmen."
"Ähm, nein, Sir, wir sind nur hier, um unser Büro...", versuchte Robin noch einmal zu erklären.
"Es geht um die Möglichkeit, eine Zeugin mit einem Gedicht zur Aussage zu bewegen, ich bin sicher, ihr hattet diese Einheit in eurer Ausbildung ebenfalls.", fuhr der stellvertretende Abteilungsleiter fort.
"Sir, Gefreite nefer wird jeden Augenblick hier sein, wir werden einfach unsere Sachen packen und dann...", begann der Wächter.
"Gewiss habt ihr damals gut aufgepasst und könnt den Rekruten mit einem praktischen Beispiel die Sache näher bringen. Übrigens schreibt man Namen groß.", fügte Daemon hinzu.
"Eigentlich haben wir auch gar keine Ze...", Robin stockte dieses Mal von selbst und sah seinen Vorgesetzten verdutzt an.
"Also abgemacht, sobald die Gefreite eintrifft, werdet ihr den Rekruten zeigen, wie man mit einem Gedicht eine unwillige Zeugin dichterisch zur Aussage bewegt. Mittels eines Gedichts.", der Ausbilder wandte sich ab und summte leise vor sich hin, während das Prasseln der Regentropfen an der Fensterscheibe lauter wurde.
"Und schau ich in Dein Antlitz hold,
Wie schon Persokleus es muß gewollt,
So seh ich Flammen lodern aufgeregt,
in deiner Augen Iris ange... aufge... ähm... hmmm...", murmelte Opal im Hintergrund vor sich hin.

***

Gefreite nefer-pa-isis, die inzwischen eingetroffen war, stand in der Mitte eines wieder hergestellten Stuhlkreises unter den Blicken von mehreren Dutzend Rekruten. Skeptisch sah sie sich um und wünschte, sich in einem der Umzugskartons, die sie mitgebracht hatte, verkriechen zu können. Das Ganze war ihr mehr als peinlich. Sie wollte gar nicht daran denken, wie schlimm es für Robin sein musste, der vor ihr auf ein Knie gesunken war und ihr eine Rose entgegen hielt. Nun, da er ganz eindeutig Schuld daran war, dass sie sich in dieser Situation befand, würde sie es sich vielleicht später doch vorstellen und darüber lachen. Robin sah sich unsicher um, bis er Daemon erblickte, der hinter den Rekruten stand. Der Ausbilder nickte dem Gefreiten zu. Nervös räusperte sich der gescheiterte Arzt und machte eine großartige Geste zur Mumie, die davon vollkommen unbeeindruckt schien.
"Mit deiner Aussag' gute Frau,
bringst du Licht ins Dunkelgrau.
Die Täter könn mit deinem Wort
sich nicht verstecken an einem anderen Ort."

Robin stockte und sah sich um. Die Rekruten waren an die Kante ihrer Stühle gerückt und lauschten aufmerksam. Mit großen Augen beobachteten sie das Geschehen vor sich, das für sie eine Art Mischung aus Ausbildungsstunde, Theaterstück und Seelenstriptease darstellte. Robin schluckte und begann wieder.
"Sprich und hilf der Wach' von Ankh
Damit zur Streck' gebracht der Geisteskrank
Um zu lockern deine Zunge
Lass jetzt Luft in deine Lunge
Trage vor aus freien Stücken
Die Wahrheit ohne Lücken."[2]

Stille folgte auf diese Worte, die einige Zeit einsam blieb, bis eine erneute Windböe frostigen Regen gegen die Scheiben des Raums stieß und das monotone Prasseln in ein knallendes Stakkato winziger Eisgeschosse wandelte. Danach setzte die Stille wieder ein. Schließlich holte Daemon tief Luft.
"Mir scheint, dass der Gefreite nach seiner Ausbildung die Unterlagen über diese Einheit verschlampt hat.", folgerte er, "Wir wollen diesen Teil als abgeschlossen betrachten und mit einem weiteren, wichtigen Thema nach einer kurzen Pause fortfahren."
"Welches Thema wird das sein?", fragte Leopold aufgeregt, "Vielleicht könnten wir uns schon mal darauf vorbereiten."
"Nein, Rekrut, das denke ich nicht.", Daemon kratzte sich an der Nase, "Haltet euch bereit, bis ich euch rufe." Mit diesen Worten verließ er den Raum schnell und schloß hastig seine Bürotür hinter sich.
Ausbildungspunkt 2: Das Pendel

Unruhig lief Daemon Kreise um seinen Schreibtisch.
"Ein Thema, ein Thema.", intonierte er immer wieder. Nervös durchsuchte er die Schubladen des Tisches und lud den Inhalt auf die Tischplatte. Papiere, Akten und Heftchen flogen durcheinander. Der Wächter schnappte die Heftchen schnell und packte sie rasch wieder in die unterste Schublade.
"Ein Thema.", sinnierte er wieder und schob mit einem Finger vorsichtig die Blätter auseinander. Frustriert fegte er die Papiere vom Tisch. Wild trudelnd stoben sie durch den Raum. 'Und was jetzt?', fragte sich der Ausbilder. Er fasste in seine Hosentaschen und holte die enthaltenen Gegenstände hervor.
"Aha.", machte Daemon, "Stein.", er hielt das kleine graue Ding in die Höhe, "Muss wohl irgendwie da rein geraten sein.", er wühlte weiter in dem kleinen, staubigen Haufen herum, "Theaterkarte. Die fidele Ballade der Lady Faladala", Daemon stutzte, "Merkwürdig.", der Oberstleutnant suchte weiter, "Ein dünner, dreckiger, ekliger Bindfaden.", ein Grinsen trat auf sein Gesicht, "Perfekt."
"Du bist noch nicht lange hier, wie?", grinste Leopold. Vampire sind wahre Meister im Grinsen.
"Es ist heute auf jeden Fall besser als das eine Mal mit den magischen Gegenständen.", murmelte Lavendula.
"Rekruten zu mir!!", gellte es durch die Räume des Wachhauses. Leopold war als Erster an der Tür des Schlafsaals und wollte hinausrennen, als die Tür aufgerissen wurde. Der Rekrut schoss durch den Türrahmen hindurch, ein dumpfes Geräusch ließ darauf schließen, dass ein Abbremsen nicht vor dem Wachetresen möglich gewesen war. Daemon betrat den Schlafsaal, einige große Papierrollen unter den Arm geklemmt.
"Wo ich so drüber nachdenke, komme ich doch lieber zu euch.", verkündete er und suchte eine Möglichkeit, die mitgebrachten Rollen auszubreiten. Während die anderen Rekruten sich neugierig näherten und Leopold leise stöhnend wieder in den Raum kam, fand er eine Möglichkeit in zwei sauber gemachten, jedoch aneinander geschobenen Betten, über die er es vorzog, sich keine weiteren Gedanken zu machen.
"Während einer Ermittlung ist es oft nötig, die Position eines Gegenstandes oder Person zu finden. Den Täter eines Verbrechens, eine Entführte, einen gestohlenen Diamanten, was auch immer.", er strich mit der flachen Hand die Karte einigermaßen glatt, als die sich die Papierrolle entpuppt hatte. "Ankh-Morpork ist eine große Stadt und man kann schlecht durch die Straßen laufen und in jedem Haus einzeln nachschauen. Man muss das Gebiet ein wenig eingrenzen.", er kramte den Stein und den Bindfaden hervor und verband die beiden mit einem eher kreativen, denn stabilen Knoten, "Hier kommt uns das magische Feld unserer Welt zu Gute. Es kann uns helfen, mit einfachsten Mitteln das betreffende Gebiet auf einige Ar einzugrenzen.", er bemerkte die verwirrten Blicke der Rekruten, als er das alte Flächenmaß nannte, "Ihr werdet schon sehen, was ich meine.", murmelte er und sah die Wächter um sich herum an, "Alles, was wir tun müssen, ist, uns sehr stark auf den Gegenstand des Interesses konzentrieren, dieses Pendel über die Karte der Stadt zu halten und die Schranken des Vorstellbaren einen Moment lang zu verrücken."
"Verrückt ist das richtige Wort.", flüsterte ein Rekrut in dem Kreis und ein kurzes Kichern war zu hören.
"Ja, ja.", knurrte Daemon, "Ihr werdet schon sehen, wie diese uralte, bewährte Methode in dieser gut vorbereiteten Ausbildungseinheit funktionieren wird.", der Oberstleutnant räusperte sich und bewies den Anstand, kurz zu Boden zu schauen, dann richtete er sich auf und ließ den Stein am Faden über die Karte auf dem Bett schwingen.
"Nehmen wir an, wir wollten wissen, wo", er sah sich kurz um, "Rekrut Kniebeißer ist.", er ließ das Pendel in ruhige Schwingungen über der Karte kreisen, "Dann müssen wir nichts weiter tun, als uns sehr, sehr, sehr auf ihn zu konzentrieren und das Pendel erledigt den Rest für uns." Der kleine Stein drehte langsame Runden über dem Abbild der Stadt. In der Majestätik ungenannter Kontinuen durchbrach er in der Geschwindigkeit stetiger Alchemie die Sphären des Schein- und Unscheinbaren und durchwob die Luft des Raumes mit der Melancholie tiefster Magie. Dabei bewegte Daemon seine Hand unauffällig und schließlich pendelte das Steinchen über den Schatten. Schnell ließ er das behelfsmäßige Perpendikel nach oben in seine Hand schnellen.
"Seht ihr?", sagte er zu den eher irritierten denn erstaunten Rekruten, "So geht das."
"Und das funktioniert jedes Mal?", fragte Leopold mit offenem Mund. Daemon räusperte sich kurz.
"Sicher.", antwortete er dann.
"Ich glaub nicht dran.", Lavendula schüttelte ungläubig den Kopf, "Das ist doch alles nur Humbu..."
"Rekrutin Lavendula.", unterbrach der Ausbilder, "Solltest Du jetzt nicht den Tresendienst übernehmen?"
"Ähm, nein.", die Wächterin trat einen Schritt zurück, "Opal ist heute dran, ich war erst gestern..."
"Na, dann nichts wie auf, der Rekrut wartet sicher schon auf seine Ablösung. Hat irgendwer sonst noch Zweifel an der demonstrierten Methode?" Die Rekruten schüttelten synchron mit den Köpfen.
"Na dann sehen wir uns nach dem Mittagessen wieder.", der Oberstleutnant rollte die Karte zusammen und verließ den Raum.
Der Nachmittag: Herr Striegel

Zwei Stunden später kehrte Daemon in die Schatten zurück. Er war zum Essen ins Boucherie Rouge gegangen, unter Vermeidung des direkten Kontakts mit der Abteilungsleiterin der Dienststelle. Roxanne, eine der Damen des Boucherie, mochte auf den ersten Blick etwas merkwürdig erscheinen – besonders die ungewöhnlich tiefe Stimme - , aber kochen konnte sie und Daemon hatte es geschafft, ihr mit einer Kombination aus konstantem Betteln und mehr oder weniger charmanten Komplimenten, die ein oder andere Mahlzeit abzuringen. Merkwürdigerweise schien das fast mütterliche Bestreben der übrigen Damen, sich um die meist recht ungeordneten Junggesellen der D.O.G. zu kümmern, Roxanne in keinster Weise zu betreffen. Aber das Essen war gut.
Der Oberstleutnant erreichte im kalten Nieselregen das Wachhaus in der Kröselstraße und wollte gerade der ungewohnt klammen Nässe entfliehen. In diesem Moment fiel ihm ein, dass er zwar einige Zeit mit dem Hin- und Rückweg, mit dem Essen und mit ein paar Gesprächen in der Dienststelle verbracht hatte, jedoch nicht einen Gedanken daran verschwendet hatte, wie er mit der Ausbildung der Rekruten fortfahren sollte. Einige Minuten stand er im Regen vor dem Wachhaus, dann entschloss er sich zu einem Vorgehen, dass die unerwartete Situation des Ausbilders als Alleinverantwortlichen, sowie dessen momentanen Aufenthalt in einem unangenehmen, sich langsam aber sicher durch den Stoff der Uniform tastenden Nieselregens mit einschloss. Er öffnete die Tür und rief beim Eintreten laut:
"So, für den Rest des Tages haben alle Rekruten fraaa – IIIh!", ein entsetztes Quieken brach die Manifestation eines wohldurchdachten Plans ab. Die Rekruten standen unentschlossen an einer Seite des Raumes. Auf der anderen Seite stand ein allem Anschein nach betrunkener Mann. Er wankte und hielt sich mit Mühe auf den Beinen. Zum Glück befand er sich hinter dem Tresen und Rekrutin Lavendula bot ihm Halt. Etwas negativ fiel die Tatsache aus, dass er ihr einen Dolch an die Kehle hielt. Nach dem lauten Auftritt des Oberstleutnants galt ihm nun ein großer Teil der Aufmerksamkeit des Mannes, der Rest war auf die motorischen Fähigkeiten konzentriert, die derzeit hauptsächlich mit Aufrechtstehen und der Bedrohung einer Wächterin im Dienst beschäftigt waren.
"Oookay.", begann der Ausbilder und ging einen vorsichtigen Schritt auf den Tresen zu, "Wir können darüber reden. Alles wird gu..."

[Rince]
"Keinschritt weiter", unterbrach ihn der Mann mit vom Alkohol betäubter Zunge und drückte der Wächterin fester die Klinge an den Hals, "oder deine hicks Kollegin hat ne weitere Öffnung, durch die schie in Schukunft ihre Nahrung schaufeln kann", giftete er den sich nähernden Oberleutnant an.
Der Bewaffnete, welcher eine schwarzen Mütze, in die Sehschlitze geschnitten worden waren, über dem Kopf trug, fixierte Daemon.
"Tu was er sagt. Halt dich da raus, Daemon", sagte Rince ruhig aber bestimmt.
Der Kommandeur war gerade mit einem Stapel Papiere aus seinem Büro gekommen, jedoch weder er noch einer der vier anwesenden Rekruten machten Anstalten, etwas zu unternehmen.
"Ja, tut, waschder Dicke schagt", spie die Gestalt mit dem Messer aus, woraufhin Lavendula vom Alkoholgeruch seines Atems, der unaufhaltsam auch durch die schwarzen Mütze kroch, angewidert das Gesicht verzog.
"Hey, Vorsicht!", der verärgerte Rince erhob drohend seinen Zeigefinger.
"Von wegen Vorschicht, du hälscht deine Schnause, sonschtu ich der kleinen wassan", brachte er Rince zum Schweigen, so dass sich dieser entschloss, lieber nichts mehr zu sagen.
Plötzlich kam die Rekrutin Will Passdochauf hinter einer Ecke hervor und zielte auf den Geiselnehmer.
"LASS DAS MESSER FALLEN!", brüllte sie mit vor Aufregung zitternder Stimme "SOFORT!"
"Wenn du schiescht, schtechich schie ab", drohte der Bewaffnete und drehte Lavendula genau in Richtung von Will, um sich best möglichst hinter ihr verstecken zu können.
"Pack die Armbrust weg, Will!", befahl Rince mit barschem Ton. "Keine Waffen! Von niemandem!", an der Ernsthaftigkeit seiner Worte bestand kein Zweifel.
Will senkte die Armbrust und legte sie dann vor sich auf den Boden.
"So und jetz holt einer von eusch den Schlüssel schu den Schellen und dann holen wir einen meiner Freunde dort rausch", meinte der Mann mit Blick auf die Rekruten.
Die anwesenden Rekruten Leopold van Leermach, Mefarina, Kolumbini, Awentrus und Will Passdochauf schauten sich angesichts der Forderung des Geiselnehmers gegenseitig verunsichert an. Das Wachhaus in der Kröselstrasse hatte nämlich gar keine Zellräume.
"Zu den was?", fragte Kolumbini schließlich nach einiger Zeit.
"Schu den Schellen!"
"Zellen?"
"Schag isch doch! Willsch du mich veraschen?", lallte der Alkoholisierte.
"Welche Zellen?", fragte Kolumbini irritiert.
"Wie, welche Schellen?! Eure Schellen eben", rief der Mann gereizt.
"Keine Zellen haben in diesem Wachhaus", steuerte Awentrus bei.
Kolumbini nickte "Das ist hier ein Ausbildungswachhaus, wir machen hier in der Regel keine Gefangenen. Vielleicht verwechseln Sie dieses Wachhaus mit dem am Pseudopolisplatz, Sir. Wenn Sie wollen, kann ich mich für Sie nach Ihrem Freund erkundigen. Bitte beruhigen Sie sich und legen Sie die Waffe weg."
Kolumbini sprach mit einem möglichst beschwichtigenden und hilfsbereitem Ton.
"Ja, wir bekommen das schon hin", meinte auch Will mit ruhiger Stimme.
Die Gestalt zögerte und blickte die Wächter nacheinander verwirrt an. Als sein Blick auf Rince fiel, lächelte dieser verkrampft und zuckte die Schultern. Der Maskierte schien offensichtlich unschlüssig.
Auch die Rekruten bemerkten sein Zögern und hofften, dass er auf den Trick reinfallen würde, jedoch rechneten sie sich dafür keine guten Chancen aus, denn selbst der dümmste Geiselnehmer der Welt konnte sich ausrechnen, dass er sich mit Sprüchen wie ’Mein Fehler, nichts für ungut’, ’Oh, ein Versehen, also man sieht sich’ oder ’Hinter euch ein dreiköpfiger Affe’ nicht aus so einer Situation retten konnte.
Schließlich fasste der alkoholisierte Mann eine Entscheidung.
"Nüschts da! Ihr wollt misch nur sur Aufgabe swingen. Hier musch es Schellen hab’n. Daschier ischtein Wachhaus. Wassis hinter der Tür dort?", er nahm das Messer von Lavendulas Hals und zeigte damit auf eine verschlossene Tür. Dann überschlugen sich die Ereignisse.
Lavendula riss einen Arm frei und packte die Messerhand des Geiselnehmers. Gleichzeitig trat sie so fest sie konnte gegen sein Schienbein, woraufhin dieser das Messer losließ. Die Rekruten und Oberleutnant Daemon hechteten auf den die nun eindeutig im Nachteil befindliche Gestalt, so dass sofort ein Gewirr aus Armen und Beinen entstand, bei dem ein Außenstehender nicht mehr hätte unterscheiden können, zu wem welche Teile gehörten. Rince, der sich nicht am Kampf beteiligte, konnte in einem kurzen Augenblick sehen, wie eine Hand nach dem am Boden liegenden Messer griff.
"NEIIIIN!", rief Rince, doch bevor er noch mehr sagen konnte, löste sich Gewirr auf und der Alkoholisierte stand alleine da. In seiner Brust steckte das Messer, und seine Hände umschlossen seinen Griff. Er blickte fassungslos auf das Messer, doch er wagte es nicht, es herauszuziehen. Zwischen seinen Finger rann Blut aus der Wunde und tropfte auf den Boden.
Der Mann spuckte etwas Blut, schaute noch ein letztes Mal verwirrt auf Rince und brach dann zusammen. Auf dem Rücken liegend lag er nun in der Eingangshalle des Wachhauses, umringt von schockierten Wächtern.
"Was habt ihr getan?", flüsterte Rince schockiert.
"Leo hat gesteckt Messer in Brust von Mann", bot Awentrus hilfsbereit eine Zusammenfassung des Offensichtlichen an, doch Rince achtete nicht auf ihn.
"Ihr habt den Mann getötet, verdammte Scheiße! So sollte das nicht ablaufen." Panik stieg in Rince Stimme auf.
Lavendula streckte ihre Hand aus, um zu schauen, wie sehr sie vor Aufregung zitterte. Anscheinend fiel das Ergebnis eindeutig aus, denn Lavendula beschloss sich erst einmal hinzusetzen und tief durchzuatmen.
"Was meinst du mit ’so sollte das nicht ablaufen’", fragte Daemon, der den Kommandeur noch nie so ausfallend erlebt hatte.
Rince seufzte und setzte sich ebenfalls auf den Boden "Während du mit den Rekruten an den Gedichten gefeilt hast, hab ich für etwas Abwechslung gesorgt. Ich bin hier etwas durch die Schatten gelaufen und hab dem erstbesten der mich überfallen wollte einen Job angeboten. Das war dann diese abgerissene bettelarme Gestalt, die obendrein noch nicht einmal eine Lizenz als Straßenräuber hatte, mich aber trotzdem mit seinem Messer bedrohte", erzählte Rince mit Seitenblick auf die Leiche
"Du meinst, du hast den Mann nur angeheuert?", flüsterte Daemon fassungslos.
Rince bedeckte sein Gesicht mit den Händen. "Es sollte nur eine Übung sein. Er war unschuldig."
Plötzlich waren Würg-Geräusche zu hören. Wächter Leopold hatte sich in eine Ecke begeben und musste sich dort übergeben.
"Leo hat Messer in einen Unschuldigen gesteckt?", fragte Awentrus noch mal zur Sicherheit und bekam ein kollektives resignierendes Nicken von der versammelten Wächterschaft.
"Das nicht gut, richtig?", fragte Awentrus.
Mefarina achtete nicht auf den Troll.
"Es war ein Unfall! Er hat Lavendula bedroht. Für uns war das nicht von einer echten Situation unterscheidbar."
"Genau, wir haben keinen Fehler gemacht. Auch Leo nicht", stimmte Lavendula zu.
Rince schüttelte den Kopf. "Selbst, wenn er ein echter Geiselnehmer gewesen wäre. Er hatte sein Messer fallen gelassen und ihr wart zu siebt. Ihr hättet ihn auch so überwältigen können, ohne ihn zu töten."
Leo schaute auf und wischte sich den Mund ab. "Ich äh...hatte Angst. Zählt das?".
"Leider nicht", meinte Oberleutnant Daemon. "Vielleicht war es ungewollt, aber dennoch hast du ihn getötet. Und wir alle haben daran mitgewirkt. Das wird eine Untersuchung geben, die sich gewaschen hat und am Ende können wir wahrscheinlich alle die Uniform ausziehen."
"Nur, wenn jemand davon erfährt."
Alle Blicke richteten sich auf Rince.
"Wie meinen Sie das, Sir?", wollte Kolumbini wissen.
Rince’ Blick war starr geradeaus in die Leere gerichtet. "So einer wie der ist es nicht wert, dass wir uns unsere Karriere von der Geschichte verderben lassen müssen."
"Rince!", rief Daemon aufgeregt.
"Ist doch so!", Rince stand auf und blickte die Wächter an. "Oder will sich einer von euch der Verantwortung mit all ihren Konsequenzen stellen?"
Rince schaute in die Runde doch die Wächter mieden seinen Blick. Ihre Gedanken kreisten um tote Menschen mit Messer in der Brust und deren Fähigkeit die Zukunft der Wächter sehr zu ihrem Nachteil zu gestalten.
"Na also", sagte Rince nach einer Weile. "Vorschläge, was wir unternehmen?".
"Wir Leiche zerhacken. Ich das mal in Klicker gesehen", meinte Awentrus, woraufhin die anderen ihn schockiert anblickten.
"Awentrus, wie kannst du nur!", meinte Lavendula. "Und ich hab dich immer für einen friedlichen Troll gehalten."
"Aber er hat Recht, die Leiche muss weg", sagte Daemon mit einem leichten Kopfnicken. Langsam drang nach dem ersten Schock wieder der Offizier in ihm durch. "Außerdem sollten wir schleunigst dafür sorgen, dass wir keine weiteren Zeugen bekommen. Hier könnte jederzeit ein Bürger reinkommen oder einer der anderen Rekruten verfrüht aus der Mittagspause zurückkommen. Awentrus, schnapp dir die Leiche und trag sie in den Taubenschlag hoch."
Awentrus salutierte kurz, warf sich die Leiche über die Schulter und machte sich auf den Weg.
"Ich hole einen Eimer mit Wasser und einen Schrubber, damit wir das Blut hier wegwischen können", sagte Lavendula bereits davoneilend.
"Ich mach das dort sauber. In der Ecke meine ich", murmelte Leo etwas unsicher und eilte dann ebenfalls davon um geeignetes Reinigungsgerät zu besorgen.
Jetzt waren nur noch Will, Daemon, Kolumbini, Mefarina und Rince in der Eingangshalle.
"Was soll ich tun? Soll ich...", fing Kolumbini gerade an, als die Eingangstüre aufging.
***

Für Ledamahn war es einer der besseren Tage seines Lebens, was größtenteils damit zusammenhing, dass die Kopfschmerzen als Resultat des gestrigen Gelages wohl so früh am Morgen noch schliefen. Seiner Meinung nach war alles, was sich während der Stunden des widerwillig auf die Stadt niederprasselnden Tageslichtes abspielte früher Morgen. Dass seine Kollegen dafür Worte wie "Mittag" oder "späten Nachmittag" verwendeten, störte ihn nicht weiter. Außerdem neigte sich seine als überaus lästig empfundene Ausbildung endlich stark dem Ende entgegen, was wohl eher der Grund dafür war, dass der Rekrut mit weit ausladenden, betont lässigem Schritt pfeifend auf das Wachhaus in der Kröselstraße zuging und die Eingangstür schwungvoll aufriss.
Ohne inne zu halten ging Wächter Ledamahn weiter pfeifend durch die Eingangshalle in Richtung Kantine, wo er sich noch einen Kaffee genehmigen würde, bevor die Mittagspause vorüber war. In der Eingangshalle waren außer Leda noch seine Mitrekruten Kolumbini, Will Passdochauf und Mefarina sowie die Ausbilder Rince und Daemon anwesend. Nach kurzer Zeit, bemerkte Leda, dass die fünf Wächter wie angewurzelt da standen und ihn anstarrten.
Als der Rekrut dies bemerkte, hielt er ebenfalls inne.
"Bin ich irgendwo reingetreten oder was ist los?", fragte er grinsend.
Leda beobachtete, wie Oberleutnant Daemon aus seiner Starre erwachte und mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn zeigte.
"Du!"
"Sein Sie bitte vorsichtig mit dem Finger, Sir. Nicht, dass er noch losgeht", spaßte der gut gelaunte Leda und erhob abwehrend seine beiden Hände.
"Rekrut, raus hier!", wurde der Spaßvogel jedoch von seinem Ausbilder angeblafft, woraufhin er verdutzt die Hände sinken ließ.
"Wie bitte, Sir?"
"Du musst raus hier, weil, äh...", Leda beobachtete wie sein Ausbilder scheinbar nach Worten suchte, "... weil wir hier gleich Ausbildung machen und du darfst äh, nicht äh sehen, was wir vorbereiten".
Das Stammeln blieb von Ledamahn nicht unbemerkt, ebenso dass die drei anderen anwesenden Wächter nun ebenfalls aus ihre Starre erwachten, sich etwas vorbeugten und den Oberleutnant während des Sprechens mit einem Gesichtsausdruck anschauten, den Ledamahn nicht richtig deuten konnte und notfalls mit den Worten "skeptisch" und "interessiert" beschrieben hätte. Leda wunderte sich nicht weiter darüber, denn das Stammeln von Daemon war schon merkwürdig. So kannte er seinen Ausbilder eigentlich nicht. Jedoch nachdem, was er die Rekruten heute Vormittag bereits alles im Namen der Ausbildung hatte machen lassen, wunderte Leda nichts mehr.
"Ah, also eine Art Überraschung", freute sich Ledamahn. "Was behandeln wir denn heute Mittag, Sir?"
"Was?"
"Ich fragte, was das Thema der Ausbildung ist", wiederholte Leda unbekümmert.
"Wir äh... behandeln heute, äh...", während Rince, Kolumbini, Mefa und Will weiterhin Daemon anschauten, blickte dieser sich offensichtlich etwas suchend in Eingangshalle um.
Die Rekruten Lavendula und Leopold betraten nun die Eingangshalle. Sie trugen Putzgerät.
"Wir äh... behandeln heute...wie man, äh... an einem Tatort vorgeht", beendete Daemon seinen Satz. Neben ihm klatsche sich Kolumbini auf seine Stirn, woraufhin Dae ihn böse anblickte.
Leda war etwas verwirrt, da er nicht ganz verstand, was hier vor sich ging. "Ahja, ähm, das wird bestimmt spannend, Sir", entgegnete er schließlich.
"So, nun aber raus, raus!", rief der Ausbilder in nun wieder entschlossenem Ton. "Ich gehe gleich mit und bewache die Eingangstür, damit niemand mehr reinkommt, und sich den ganzen Spaß verdirbt", fügte er hinzu und nickte kurz in Rince’ Richtung.
"Aber ich wollte noch kurz einen Kaffee...", begann der Rekrut, wurde jedoch von Daemon unterbrochen, der ihn in barschem Ton vor die Tür beförderte und ihm folgte.
"Wartet noch einen Moment mit dem Aufwischen der Blutspuren, Lavendula", meinte Kolumbini. "Ich weiß nicht, ob wir hier den echten Tatort verwischen sollten oder einen neuen aufbauen. Was meinen Sie, Sir?", schaute er Rince fragend an.
"Soll ich schauen, ob ich uns eine, äh... Knochensäge besorgen kann, Sir?", bot sich die Rekrutin Will an, während Rince noch überlegte und kam sich bei der Frage sehr merkwürdig vor.
"Ich glaub, ich brauch mal Urlaub", meinte der Kommandeur und atmete tief durch.
***

Wenig später saßen Rince, Lavendula, Awentrus, Leo und Kolumbini oben im Taubenschlag. Sie saßen im Kreis um die Leiche und grübelten. Oberleutnant Daemon war unten und leitete die Ausbildung über Tatortarbeit bei einem Mord. Ein denkbar unangebrachtes Thema, da waren sich die Wächter einig. Jedoch von einer nicht abzustreitenden Bedeutung, wie sie schmerzlich zugeben mussten. Mefarina war ebenfalls unten, da sie sich für die Ausbildung als Leiche zur Verfügung gestellt hatte.
"Wir brauchen einen Plan", meinte Rince nachdenklich und blickte dann in die Runde. "Vorschläge?"
"Nun, unser Ziel", begann Kolumbini, "ist es, nicht des Mordes angeklagt zu werden, richtig?"
Die Wächter nickten ungeduldig und Kolumbini fuhr fort "Da haben wir mehrere Möglichkeiten. Erstens, der Mord wird nicht entdeckt, also wenn den Ermordeten niemand vermisst und er auch nicht gefunden wird. Zweitens, der Tote wird zwar vermisst aber nie gefunden. Ohne Leiche, kein Mord. Drittens, wir lassen es wie einen Unfall aussehen, der Mann könnte also bei einem Brand sterben." Beim Wort "sterben", machte Kolumbini mit seinen Fingern Anführungszeichen in der Luft und grinste hämisch.
"Kolumbini, du machst mir Angst", meinte Will Passdochauf und blickte Kolumbini argwöhnisch an.
"ICH mache DIR Angst? Miss Ich-hol-schon-mal-die-Knochensäge Passdochauf!", blaffte Kolumbini zurück.
"Hey, hey. Nicht streiten, das führt zu nichts. Kolumbini macht das schon richtig. Wir müssen klar denken, sonst unterläuft uns vielleicht ein Fehler", beruhigte Lavendula die beiden. "Eins hast du jedoch zuvor vergessen, was den Plan angeht, Kolumbini. Wir müssen dafür sorgen, dass es keine Zeugen oder Spuren gibt. Den Tatort haben wir ja schon gesäubert und jetzt darf es nur keine Zeugen geben", sagte sie, stand auf und drehte den Schlüssel in der Tür zum Taubenschlag, um ihre Wort zu unterstreichen.
"Ähm, wir haben schon einen Zeugen. Ledamahn hat uns alle zusammen am Tatort gesehen und das auch noch mit Putzzeug, was sehr auffällig war", merkte Leo an "und äh, Leda ist mein Freund. Und er ist unser aller Kollege", fügte er schnell hinzu, als er Kolumbini und Will ansah, die offensichtlich in Gedanken bereits ihren Plan überarbeiteten.
"Dagegen können wir nichts machen. Aber mir schien als sei ihm überhaupt nichts aufgefallen. Lassen wir Leda da raus", mischte sich Rince kurz ein und lehnte sich dann wieder zurück.
"Schließlich gäbe es noch eine vierte Möglichkeit", machte Kolumbini weiter. "Wir könnten es wie einen natürlichen Tod aussehen lassen."
"Ist sicher großes Loch in Brust. Das wirklich nicht aussehen, als sei Mensch gestorben im Schlaf, Kolumbini", gab Awentrus zu bedenken.
"Ja, klar, aber ein natürlicher Tod könnte auch die Ermordung durch die Meuchlergilde oder die Assassinengilde sein. Das heißt, wir fälschen einfach eine Quittung", konterte Kolumbini.
"Denkst du, du bist der Erste, der auf die Idee kommt?", fragte Lavendula und redete weiter ohne auf seine Antwort zu warten. "Ich habe letztens mal einen Botengang zu D.O.G. machen müssen und da hat mir Spieß Ecatherina Erschreckja gleich einen halbstündigen Vortrag gehalten, wie sie die Quittungen von den Gilden mit deren Auftragsbüchern und Tätigkeitsberichten abgleicht. Diese Möglichkeit scheidet also aus."
Die versammelten Wächter seufzten enttäuscht.
"Sir, hat das jemand mitbekommen, dass Sie dem Mann den Auftrag erteilt haben?", griff Leo das Gespräch wieder auf.
"Nein, es sei denn, er hat es nachträglich noch jemandem erzählt. Das kann ich natürlich nicht ausschließen", sagte Rince.
"Hm, das Risiko wäre mir zu groß", meinte Leopold dann entschlossen. "Wenn er jemandem von dem Auftrag erzählt hat und nun vermisst wird, dann führt eine Spur gleich zur Wache. Ich hätte keine Lust R.U.M. Fragen zu beantworten. Vielleicht ist es besser, wenn wir es wie einen Unfall aussehen lassen."
"Wie würdet ihr das machen? Leopold, du hast fast noch gar nichts gesagt", Rince sah den Wächter fragend an, woraufhin sich dieser räusperte.
"Nun, was Kolumbini vorhin sagte mit dem Brand. Dazu müssten wir die Leiche in ein Gebäude bringen und es anzünden und dann hoffen, dass sie bis zur Unkenntlichkeit verbrennt. Allerdings bräuchten wir dafür ein Gebäude. Und es darf uns dabei natürlich auch niemand beobachten. Aber im Prinzip läuft das auch nur darauf hinaus, dass wir die Leiche verschwinden lassen."
"Stimmt, das habe ich nicht bedacht", gab Kolumbini zu. "Ich wüsste dann aber keine Möglichkeit ein Messer im Bauch, wie einen Unfall aussehen zu lassen. Zum Glück passiert einem das nicht so einfach, wie mal zu verschlafen oder so."
"Dann wären wir also wieder beim Verschwinden lassen.", Leo kratze sich am Kopf "Das gefällt mir gar nicht. Die Spur könnte zu uns führen."
"Alibi!", rief Lavendula "Wir brauchen ein Alibi!"
Die Rekruten sahen auf. Dieses Stichwort war ihnen durchaus geläufig und eröffnete ganz neue Perspektiven.
"Sehr gut, Lavendula. Wir brauchen Zeugen, die bezeugen, dass wir zum Tatzeitpunkt gar nicht im Wachhaus waren. Am besten beschafft sich jeder ein eigenes Alibi, damit es nicht so auffällig ist.", Kolumbini blühte wieder auf.
"Aber Ledamahn hat uns gesehen", gab Leo wieder zu bedenken.
"Dann beschaffen wir uns eben ein Alibi bis 1 Minute vor dem Zeitpunkt als Leda uns gesehen hat. Damit hätten wir nur sehr wenig Zeit gehabt, den Mann zu ermorden und wegzuschaffen. Das ist zwar nicht optimal, da wir uns nicht komplett von Anschuldigungen im Tatzeitraum befreien können aber es hilft uns sicher ein Stück weit.", entgegnete Kolumbini. "Am besten jeder wendet sich an einen engen Vertrauten und lässt sich von ihm ein Alibi geben oder er drückt einem Barkeeper einer zwielichtigen Bar 10 AM-Dollar in die Hand, damit dieser aussagt, dass derjenige die komplette Mittagspause dort verbracht hat."
"Nicht schlecht. Sollten wir machen, aber wie du erkannt hast, ein richtiges Alibi ist es nicht. Aber da Leda uns gesehen hat, ist ein richtiges Alibi unmöglich ", nickte Rince zustimmend.
"Aber wie lassen wir nun die Leiche verschwinden?", fragte Leo und bekam gleichzeitig aus mehreren Mündern die Antwort.
"Anzünden"
"Zerstückeln und vergraben"
"Essen Menschen auf"
"Im Wasser mit Steinen versenken"
Scheinbar hatten sich die Wächter schon Gedanken gemacht.
"Eins ist klar", sagte Lavendula "Wie immer wir ihn aus dem Wachhaus rausbringen, wir können ihn nicht einfach an Armen und Füßen durch die Stadt tragen, selbst in Ankh-Morpork fällt das auf. Wir müssen ihn also tarnen."
"Müllsack"
"zerstückeln und verpacken"
"Teppich"
Kam es wieder wie aus der Pistole geschossen von den Wächtern.
Rince erhob sich grinsend "Gut, wir brechen hier ab."
"Abbrechen, Sir?", fragten die Wächter überrascht?
"Genau, abbrechen. Die Übung ist beendet." Als Rince nur überraschten Gesichter entgegenblickte, fuhr er fort "Ja. Ich habe dem guten Mann hier am Boden 5 Dollar gegeben, damit er sich in der Oper aus der Requisite ein Messer kauft, dessen Klinge beim Auftreffen auf den Körper einklappt. Außerdem hat er sich einen Farbbeutel gekauft um das Blut zu simulieren." Dann richtete Rince das Wort an die Leiche "Sie können jetzt wieder aufstehen Herr Dunkelgasse".
Herr Dunkelgasse gab keinen Mucks von sich sondern lag weiterhin mit geschlossenen Augen da und umklammerte das Messer mit seinen Händen.
"Herr Dunkelgasse?", Rince fluchte etwas Undeutliches und steckte dem Mann dann die vereinbarten 10 AM-Dollar in die Brusttasche seines Hemdes "Ich hatte bei dem Kerl gleich ein schlechtes Gefühl. Und jetzt kommt er hier auch noch sturzbesoffen an und pennt während der Übung hier auf dem Boden ein. Normalerweise sollte er sein Geld nicht bekommen. Es war auch wahrlich eine Schnapsidee für die Übung eine Geisel mit dem Vorwand der Befreiung eines Gefangenen aus den Zellen zu nehmen. Weiß doch jeder, dass es hier keine Zellen hat."
"Verstehe ich das richtig, Sir", meinte Will Passdochauf grinsend, "wir sollten dadurch, dass wir selber wie Mörder dachten, in Zukunft uns besser in die Sichtweise des Täters hineinversetzen können?"
"Exakt."
"Woher wussten Sie dann, dass wir den Mann, äh, Herrn Dunkelgasse mit seinem eigenen Messer erstechen würden, damit die Übung funktioniert?", hakte Kolumbini nach.
"Ich habe ihm die Anweisung gegeben, etwas nachlässig beim Bedrohen zu sein und euch so die Möglichkeit zum Eingreifen zu geben. Dass er allerdings so schnell überwältigt würde, hat mich überrascht. Du hast sehr gut reagiert Lavendula."
Leopold seufzte tief. Man könnte meinen, dass seine Gesichtsfarbe seit dem Ereignis etwas bleicher war als sie es bei ihm als Vampir ohnehin schon war.
"Mit Verlaub Sir, das ist ziemlich gemein, uns so einen Schrecken einzujagen" Leo hatte die ganze Geschichte wohl doch ziemlich mitgenommen.
"Ich dachte es wäre die bestmögliche Ausbildung, die ich euch bieten kann. Ich habe nicht einmal Daemon eingeweiht, damit es echter wirkt." Rince klopfte Leo auf die Schulter "Komm schon, jetzt ist es vorbei. Ich spendiere heute Abend eine Runde im Eimer für alle Teilnehmer unserer mörderischen Runde."
Das wirkte schon eher bei den Wächtern und Freude kam auf.
"Außerdem, die Ergebnisse, die ihr produziert habt, können sich wirklich sehen lassen. Abgesehen von dem Vorschlag, die Leiche aufzuessen", Rince schaute in die Runde und Awentrus blickte etwas verlegen zu Boden. "Auf jeden Fall, wenn ihr mal jemanden umbringen wollt, bin ich dabei", lachte Rince und zwinkerte verschwörerisch.
Die Wächter wanden sich zum gehen. Rince, der als letztes den Raum verließ, hielt noch mal inne und blickte auf die "Leiche" und sprach in Richtung von Herrn Dunkelgasse.
"Und wenn du deinen Rausch ausgeschlafen hat, dann machst du besser, dass du das Wachhaus verlässt und dich wo anders zu säufst", dann mehr zu sich selber "Wo das Pack nur immer das Geld für Alkohol herhat", Rince schüttelte den Kopf und schloss die Türe hinter sich.
[1] Es wird hier für nötig gehalten, auf die vergleichsweise geringe Lichtgeschwindigkeit der Scheibenwelt aufmerksam zu machen. Durch das hohe magische Feld, durch das die Scheibenwelt überhaupt erst möglich ist, wird das Licht stark verlangsamt und erhält eine sirupartige Konsistenz, so dass das Morgenlicht die Stadt Ankh-Morpork erst erreicht, wenn die kleine Sonne tatsächlich schon hoch über der Welt steht. Der Autor bedauert es, davon auszugehen, dass dieser Hinweis nötig war.

[2] © 2003, Thomas Renner




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