Rekrutensorgen (Teil 2): Stille Nacht, höllische Nacht

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von Gefreiter Damien G. Bleicht (SEALS), G Gralon Banks (SEALS)
Online seit 09. 06. 2002
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 Außerdem kommen vor: SwiresHumph MeckDwarfVidG SchmiedehammerCim Bürstenkinn

Damien und Gralon, zwei geächtete Wächter, erfahren, zu welch dämonischen Taten der Glaube befähigen kann.

Dafür vergebene Note: 13

Zum Besseren Verständnis noch einmal der Hinweis der Verfasser: Diese Coop spukt seit Dezember 2001, als wir beide noch Rekruten waren, in unseren Köpfen herum. Zwei Monate lag sie, nachdem wir sie längst begonnen hatten, dann leider auf Eis. Deshalb sind wir in dieser Geschichte noch Rekruten und deswegen spielt das ganze noch in der "Schneevaterzeit" wie es von einigen seltsamerweise genannt wird. Wir bitten um Verständnis dafür, dass einige Ränge zurückgestuft wurden und einige ehemalige Ausbilder hier noch in ihrem Amt sind.

---Damien G. Bleicht---

Silvesterabend, zweiundzwanzig Uhr, Ankh-Morpork
Damien rannte mit flatterndem Cape durch die verschneiten Straßen, zerrte Gralon hinter sich her, der Schwierigkeiten hatte, mitzuhalten.
"Du Narr!!", schrie er immer wieder und wusste dabei nicht einmal, ob er damit Gralon oder sich selbst meinte, "DU VERDAMMTER NARR!!"
Schließlich bog er in einem scharfen Bogen nach rechts ab und zog Gralon in eine dunke Seitengasse. Keuchend lehnten sich die beiden Rekruten an eine Mauer und wischten sich den Schweiß von der Stirn.
"Du törichter Kerl!" zischte Damien als er wieder zu Atem gekommen war. "Was sollte das eben?! Deinetwegen können wir uns nach einem neuen Job umschauen!"
"Ähm, hör mal", begann Gralon, der leicht panisch feststellte, dass sich Damiens knochige Hände um seinen Kragen geschlossen hatten, "Sieh es doch mal so: Wir müssen doch nur diesen Fall lösen und dann wird man uns schon..."
Die Ohrfeige traf ihn nicht besonders hart, doch Gralon war überrascht genug um die Hand an die Wange zu heben. Er starrte in Damiens Augen, die vor Zorn funkelten. h
"Denkst du, es ist so leicht?" zischte dieser, "Hältst du das alles für ein Spiel? Ich brauche diesen Job! Ich brauche das Geld, um mich selbst und eine alte Dame zu ernähren! Bevor ich zur Wache kam standen wir kurz vor dem Hungertod und selbst mit dem Sold kamen wir mehr schlecht als recht über die Runden. Und nun soll das alles wieder von vorne losgehen? Nein, ohne mich!"
"Und warum hast du die Mappe dann nicht einfach zurückgegeben?" rief Gralon, als Damien sich umwandte.
"Wie bitte?" Damien zögerte verwirrt.
"Na, letztendlich warst du es doch, der dem Fähnrich die Mappe unterschlagen und sich damit aus dem Staub gemacht hat", sagte Gralon ruhig, "Ich habe dich zu nichts gezwungen. Gut, ich habe dir die Mappe zugeworfen, doch du hättest sie doch einfach zurück geben können."
Damien stutzte, als er begriff, dass Gralon die Wahrheit sagte. Warum hatte er dem Fähnrich die Mappe nicht einfach gegeben? "Ich..." begann er, doch weiter kam er nicht. Ihm fiel einfach keine vernünftige Erklärung ein. Stattdessen ließ er nun die Schultern hängen und kauerte sich an die Mauer. Gralon sah die bleiche, schwarz gekleidete Gestalt atemlos an, die nun plötzlich viel kleiner als sonst wirkte. Damien war ungefähr in seinem Alter, doch auf Gralon wirkte er jetzt sehr viel älter und vor allem sehr, sehr müde. Mitleid regte sich in Gralon Banks, als er die Verzweiflung in Damiens Gesichtszügen wahrnahm.
"Damien, ist dir denn nicht klar, dass wir der Abschaum der Wache sind?", begann Gralon leise. "Ich meine, es gibt hier niemanden, der uns wirklich für voll nimmt, selbst unsere Mitrekruten blicken auf uns herab. Erinnere dich nur an diese Waisenhaus-Geschichte. Was meinst du, warum ausgerechnet, wir uns zum Narren machen mussten? Weil alle anderen dies für unter ihrer Würde hielten. Und nun haben wir die Chance zu beweisen, dass wir eben nicht die Verliere sind, für die uns alle halten. Ich meine, wenn wir nicht die Initiative ergreifen, werden wir wohl noch bis ins Rentenalter hinein in der Grundausbildung verweilen, während unsere ach so erfolgreichen Kollegen, vielleicht sogar Leute die erst lange nach uns in die Wache eingetreten sind, sich in hohen Positionen befinden und spöttisch lächelnd auf uns herab blicken."
Damien schwieg. Er dachte über Gralons Worte nach. War nicht genau das der Grund gewesen, warum er dem Fähnrich nicht die Mappe zurückgegeben hatte, als dieser ihn dazu aufgefordert hatte? Er startete einen letzten halbherzigen Protestversuch: "Wir werden nicht den Rest unserer Zeit in der Grundausbildung verbringen. Vielmehr werden wir eine ganze Zeit lang ohne Arbeitsplatz sein!"
"Nein, das werden wir nicht", sagte Gralon mit ungewohnt fester Stimme, "Weil wir diesen Fall aufklären, den Mörder dingfest machen und ihn dem Fähnrich präsentieren werden. Wenn er sieht, dass wir es waren, die dem ganzen Schrecken ein Ende gesetzt haben, wird er bestimmt darauf verzichten, uns aus der Wache zu werfen und obendrein kommen wir endlich aus der verfluchten Grundausbildung raus!"
Gralon blickte Damien an, der nun immer nachdenklicher wurde. Schließlich stand der bleiche Rekrut langsam auf und richtete einen finsteren schwarzumrandeten Blick auf Gralon.
"Das ist das letzte Mal, dass ich auf dich höre, verstanden?" sagte Damien und hob einen knochigen Zeigefinger.
"Natürlich!" grinste Gralon, froh darüber, dass die gewohnte Härte in Damiens Tonfall zurückgekehrt war.
"Und natürlich halte ich deinen Vorschlag für vollkommen unsinnig", fuhr Damien fort, "Doch in Anbetracht der wenigen Möglichkeiten, die mir noch bleiben werde ich mich wohl oder übel damit befassen müssen..."
"Völlig klar", erwiderte Gralon fröhlich.
"Gut", sagte Damien G. Bleicht und holte die Mappe hervor, "Schauen wir uns das Ding doch mal genauer an..."

Schmiedehammer saß verärgert an seinem Schreibtisch und bedachte Cim Bürstenkinn, den er nach dem Vorfall in der Vorhalle im Wachhaus in sein Büro bestellt hatte, mit finsteren Blicken.
"Bürstenkinn, ich bin schwer enttäuscht von dir", sagte er tadelnd, "Es ist unverzeihlich, dass sich ein geschulter SEALS-Wächter von zwei Rekruten, quasi noch gar keine richtigen Wächter, einfach die Unterlagen zu einem der wichtigsten Fälle, die ihm je anvertraut wurden, aus der Hand reißen lässt!"
Cim salutierte nervös. "Sir!"
"Ich beauftrage dich hiermit, die beiden Mistkerle aufzuspüren und sie mir mitsamt der Fallunterlagen in mein büro zu schaffen! SO SCHNELL WIE MÖGLICH!", fügte er etwas lauter hinzu, um keinen Zweifel an der Dringlichkeit des Auftrags zu lassen.
Cim salutierte erneut. "Zu Befähl, Sir!" rief er, der Panik nahe.
Der Fähnrich salutierte ebenfalls. "Gut! Meine Leute und ich werden inzwischen versuchen, zu retten was von dem Fall noch zu retten ist! WEGGETRETEN!"
Cim salutierte ein drittes mal - diesmal so heftig, dass er sich beinahe selbst erschlagen hätte - und eilte aus dem Raum.

---Gralon Banks---

Immer noch brannte Licht im Wachehaus an der Kröselstraße. Damien und Gralon hielten sich in einer kleinen, schmalen Gasse auf und beobachteten das rege Treiben im Haus. Die beiden hörten die Stimme von Humph MeckDwarf, der sich fürchterlich über jene Rekruten aufregte.
"WENN ICH DIE ZU FASSEN KRIEGE!!!", seufzte Humph und fuhr fort. "SIE WERDEN VON MIR HÖCHSTPERSÖNLICH AUS DER WACHE GESCHMISSEN!!"
"Ich glaube...", lächelte Gralon. "Wir können heute Nacht nicht zurück."
Damien las laut in der Mappe über diesen Fall, wobei er immer wieder nach spendenden Licht suchte.
"Zwei Todesopfer: Einmal eine ältere Frau, zum anderen ein junges Mädchen! Scheinbar handelt es sich hierbei um einen Ritualmord. Die Todesursache konnte zumal in keinem der beiden Fällen festgestellt werden. Die Morde passierten in unmittelbarer Umgebung.", Damien stockte. "Scheinbar wurde schon vorher im Körper der Leichen rumgefuchtelt. Der Täter hat es auf das weibliche Geschlecht abgesehen. Motive: Unbekannt. Der Täter handelt krankhaft und hat allen Kontakt zur Realität verloren."
Gralon schluckte, als Damien den Beitrag beendet hatte, nachdem er die Mappe wieder schloss. "Oh, bei den Göttern! Abscheulich und grausam. Da haben wir ja alle Hände zu tun, um weitere Morde zu verhindern und den Täter zu finden."
"Wie wollen wir anfangen? Einfach drauf los, geplant, oder aufgeteilt?", Verzweiflung war Damiens Stimme deutlich anzumerken, wenn er auch versuchte, sie gut zu verstecken. "Hast du einen Plan?"
In diesem Moment schubste Gralon Damien, dem die Mappe auf dem Boden fiel, hinter eine Mülltonne, hielt den Zeigefinger vor Damiens Mund und nickte dann.
Zwei Gestalten marschierten Richtung Wachehaus, wobei sie den Kopf auffällig zu allen Seiten wendeten.
"Wo bin ich hier überhaupt?", teilte VidG Schmiedehammer sein Leid dem Verkehrsexperten Aragorn mit. "Jetzt müssen wir auch noch die eigenen Rekruten suchen. Als ob wir nichts besserer zu tun haben?"

Cim Bürstenkinn stapfte schwerfällig durch den Schnee, der sich an diesem Abend einige Zentimeter gestapelt hatte, und versuchte jede Handlung auf der Straße zu erspähen. Rekruten , zischte er und schlug sich an den Kopf. Ausgerechnet ihm musste so ein Ungeschick passieren. Gralon Banks und Damien G. Bleicht, die größten Trottel der Wache überhaupt, hatten ihm die Mappe entrissen, sich umgedreht und waren ,ohne auf den Befehl vom Abteilungsleiter Schmiedehammer zu hören, weggelaufen. Dabei hatte er noch die kleine Hoffnung gehabt, dass Gralon stürzte. Ungeschickt. Er stürzte nicht in die weiße Pracht. Und wenn hätte diese ihn wohl weich aufgefangen.
Plötzlich hatte Cim das Verlangen , einfach zu schreien, ohne jede Hoffnung.
"DAMIEN UND GRALON!! KOMMT SOFORT RAUS! GEBT MIR DIE MAPPE! ICH WERDE AUCH EIN GUTES WORT BEI SCHMIEDEHAMMER FÜR EUCH EINLEGEN!", schrie er verzweifelt heraus.
"Ruhe!", eine junge Dame hatte einen Tontopf heruntergeworfen, welcher den direkten Weg zum Obergefreiten suchte. Cim sprang rechtzeitig zur Seite, hörte nur den dumpfen Aufprall in den Schnee und stapfte dann kopfschüttelnd weiter.

Humph MeckDwarf hatte den verärgerten Fähnrich Schmiedehammer in sein Büro gebeten. Zuvor grölte der Zwerg wie ein kleiner Dämon im Vorzimmer der Wache herum und warf Humph Meck Dwarf einige wüste Ausdrücke an den Kopf. Dies sollte wenigstens den Rekruten erspart bleiben und Humph wollte nicht in ein noch schlechteres Licht gedrückt werden. So die Verlegung des ziemlich einseitigen Gespräches.
"Es kann doch nicht angehen, Humph.", er zögerte, um die richtige Wortwahl zu finden. "Die Rekruten machen einfach was sie wollen? Weißt du, was dort draußen los ist? Vielleicht wird gerade wieder ein armes Kind umgebracht. Und das nur, weil du deine Rekruten nicht bändigen kannst."
"Aber...", versuchte Humph einzugreifen. Keine Chance.
"Keine Ausreden. Willst du jetzt etwa sagen, dass die Rekruten doch gar nicht so schlimm sind? Warum ist das alles ausgeartet? Bin ich hier im Zoo?", Schmiedehammer schritt im Raum herum. Er hatte das Angebot sich auf den Stuhl zu setzten abgelehnt.
"Was soll ich denn noch alles tun? Außerdem gibt es auch noch andere Ausbilder wie Lavaelous oder Zaddam Boschnigg! Ich weiß wirklich nicht was in die beiden Gefahren ist? Aber die beiden Rekruten sahen im Kostüm vom Schneevater und Wampus richtig lustig aus.", ein weiterer Versuch den Zwerg zu beruhigen. "Sie werden bestimmt gleich wiederkommen, Sir!"
Fähnrich Schmiedehammer seufzte, holte mit seinem Bein aus und trat gegen den Humphs Stuhl. Der Zwerg unterdrückte den stechenden Schmerz, den die Widerstandskraft des Holzes auslöste, während Aragorn die Tür mit einem Ruck aufriss und das Übel begutachtete.
"Die Rekruten toben da draußen rum, Damien G. Bleicht und Gralon Banks sind in aller Munde. Das Chaos ist perfekt, Sir."
Beruhig dich , motivierte sich Schmiedehammer und versuchte ruhig zu bleiben. Er versuchte es:
"Wird den Rekruten heute denn keine Disziplin mehr beigebracht? Werden die Rekruten überhaupt ausgebildet, oder einfach auf die Straße mitsamt Glück geschickt? Du beseitigst jetzt das Chaos da draußen, verstanden.", grimmig blickte er Humph Meck Dwarf an. "SOFORT!"
Dieser schluckte, bevor er sich auf den Weg ins Vorzimmer machte, in dem gerade die Rekruten Schlacht spielten. Humph sog all die Luft ein, die seine beiden Lungenflügel aufnehmen konnten und schrie dann los.
"REKRUTEN! STILLGESTANDEN!!! AB ZURÜCK INS SCHLAFZIMMER! SEID IHR DENN VERRÜCKT?"
Stille. Ruhe. Keine Bewegung. Erst nach wenigen Sekunden fingen Wächter Sillybos und Wächterin Laura von Rosenstein an zu salutieren, gefolgt von allen anderen Rekruten.
"Wegtreten!", so schnell wie sie ins Vorzimmer mit der Nachricht von Gralon und Damien gekommen waren, verschwanden sie auch im Dunkel der Wache. Humph schritt schweren Beines zurück in sein Büro, in welchem er sich gar nicht mehr wohl fühlte.
Humph blieb vorsichtshalber auch stehen, dann schloss er die Tür : "Das wird für einige Rekruten Konsequenzen haben."
Schmiedehammer erwiderte, wobei er immer noch diesen bösen Blick hatte: "Nicht nur für einige Rekruten, Meck Dwarf. Einen schönen Abend wünsche ich noch."
Alle drei Wächter salutierten, wobei es bei VidG Schmiedehammer halbherziger denn je aussah. Dann, endlich, begaben sich Schmiedehammer und Aragorn, hinter ihm herwatschelnd, zurück zum Pseudopolisplatz.
Als Humph wieder alleine war, hob er den Stuhl auf und schlug mit seiner Hand auf den Tisch. "Freut euch auf das Wiedersehen, Rekruten!"

Damien und Gralon schlenderten über den leeren Hier-gibt's-alles-Platz, immer auf der Hut nach Wächtern, die in der Nähe sein konnten und somit den Traum vom Ende der Grundausbildung zerplatzen ließen. Der Weg war frei. Nur wenige Leute tummelten sich auf dem Platz, das lag wahrscheinlich an der Eiseskälte, die den Bürgern von Ankh-Morpork zu schaffen machte. Beide schauten sich um, suchten Merkmale, Details oder anderes Nutzbares.
"Sag mal, Gralon.", schnaufte Damien, während seine Knochenfinger zu zittern begannen. "Was wollen wir jetzt eigentlich tun?"
Gralon überlegte kurz angesichts der Möglichkeiten, die sie hatten. "Den Fall lösen. Wie? Keine Ahnung!"
"Aber...", Damien schüttelte demonstrativ seinem Kopf. "Ich dachte, du hättest schon eine Idee? Einen Plan? Wir stehen hier mit leeren Händen, werden von Wächtern gejagt, suchen einen Ritualmörder, uns droht der Rausschmiss und der gute Herr Gralon Banks hat nicht einmal einen Plan."
"Na, sehen wir es doch einmal von der positiven Seite: Was haben wir jetzt noch zu verlieren?"
Währenddessen waren sie an einer kleinen Taverne angekommen. Das Haus war nicht groß und jemand hatte mit aller Mühe ein altes Holzbrett aufgehangen, auf dem in großen Lettern "Hahnenkampf" stand.
"Ich glaube, wir könnten uns ein Bier gönnen?", grinste Gralon. "Wir sind quasi frei! Ich lade dich ein... komm schon. Außerdem kann man bei einem kühlen Bier auch gut nachdenken."
Damien zögerte, bevor er sich entschloss, in das brüchige Haus zu gehen. "Meinetwegen."
Sie blickten vorsichtshalber um sich , gingen vor und betraten dann die munter gefüllte Taverne.

Cim Bürstenkinn, derzeit Seals Seegurke, irrte, den Kopf gesenkt, die Hände in seinen wärmenden Mantel gehüllt, durch alle Straßen in Ankh-Morpork, die er bisher kannte, oder in denen er die beiden Wächter vermutete. Hier Fehlanzeige. Dort Negativ. Niemand, außer einigen Bürgern, die er mit seinem Dienstzeichen beeindruckte, wagten sich bei diesem Wetter auf die Strasse. Er stöhnte. Wenn ich die beiden verdammten Rekruten heute Nacht nicht gefunden habe, dann weiß ich nicht, was...., Cim hatte sogar Angst davor, seine eigenen Gedanken zu Ende zu führen. Er schluckte angesichts der Tatsache, es könnte wohl die letzte Nacht als Wächter für ihn sein. Schaudernd begab sich Cim vorwärts, woraufhin er mit einem Lichtstrahl Bekanntschaft machte. Cim schloss infolge dessen seine Augen, bis er merkte, dass der Ort (Cim hatte die Orientierung vollends verloren), auf welchem er befand, wieder pechschwarz wurde. Der weiße Schnee formte zum schwarzen der Nacht einen verblüffenden Kontrast wie Sonne und Regen zugleich.!
Cim öffnete langsam die Augen, schließlich wollte er nicht von seinem eigenen Gefühl betrogen werden. Plötzlich nahm er auch das Gemurmel war, welches die Richtung des Lichtstrahls einnahm. Cim überlegte kurz, nickte und bewegte sich kurzerhand auf den "Hahnenkampf" zu.

Fähnrich VidG Schmiedehammer saß auch nicht auf dem Stuhl und sonnte sich in seinem Büro. Nein, er hatte mittlerweile das komplette aktive Seals Team, welches aus Swires, Azrael, Aragorn und ihm selber bestand, in seinem hübschen Büro versammelt. Seine Miene war erstarrt und allenfalls geschockt, als er die Wächter über folgende Aufgaben in Kenntnis setzte.
"Wie ihr wisst, ist Cim draußen im kalten....", er zischte bei dem Gedanken an die Kälte. "Jedenfalls sucht er die übergeschnappten Rekruten mit seinem Fall. Auch wenn es nicht ganz fair für Cim war, ich gebe es ja zu, Abkühlung wird seinem überhitztem Kopf sicherlich gut tun. Wir müssen nun Kameradschaft beweisen, was die Seals ja immer ausgezeichnet hat. Darum habe ich euch alle von eurer derzeitigen Mission entbunden, um die Rekruten Gralon Banks und Damien G. Bleicht ausfindig zu machen, im Wachehaus an der Kröselstraße abzugeben und gleichzeitig egal wie es geht, Cims Fall zu lösen."
Der Zwerg verzog angesichts der schier unlösbaren Aufgabe seinen Mund, was allerdings durch seine Größe nicht weiter bei den Wächtern auffiel.
"Wir, oder besser gesagt ich, werde zwei Mannschaften aufteilen, die jenes probieren wird. Ich erwarte von euch, Cim aus der misslichen Lage zu befreien. Mannschaft eins besteht aus dir Aragorn.", er zeigte auf den Verkehrsexperten. "Und Azrael. Swires wird mit meiner Wenigkeit wohl gehen müssen. Noch irgendwelche Fragen?"
Azrael hob ängstlich den Finger, bis jeder Trottel erkennen konnte, dass es sich hierbei um eine Meldung handelte.
"Ja, Azrael?", Schmiede blickte genervt den Obergefreiten an.
"Wie lange sollen wir denn suchen? Ich meine....es bringt ja nichts, wenn wir einige Stunden lang am suchen sind, und bisher nichts als dem Geruch des Ankhs begegnet sind?"
Schmiede lächelte. "Bis es hell wird, will ich euch auf den Beinen.", Schmiede schaute auf Swires. "Oder anderem sehen. Und nun AUF GEHT'S!"
Alle Wächter begannen in der angespannten Atmosphäre zu salutieren, bevor Schmiede mit einem Zischen den ersten Fuß vor der Tür, und damit in die Kälte, setzte.

Gralon nippte langsam an seinem Bier, griff zielsicher in seine Tasche und zog eine Schachtel Zigaretten hervor.
"Nimm, beruhigt jedenfalls.", er öffnete die Schachtel, in welcher Damien nur 4 klägliche Zigaretten zu sehen bekam. "Macht zwar süchtig, kostet Geld und man wird krank. Doch das ist natürlich nicht so schlimm, auf gewisser weiße: Du kannst vielleicht schon früher mit Tod Bekanntschaft machen."
Dann nahm Damien sich eine Zigarette aus der Verpackung, die rot-weiße Muster aufwies. "Ich kenne Zigaretten."
"Noch Durst haben, Wächter?", fragte ein großer Troll die beiden am Tresen sitzenden Rekruten. Der Troll glich wie üblich den meisten anderen seiner Gattung. Keine besonderen Merkmale, keine besondere Größe, normal halt.
Gralon nickte. "Zwei Bier bitt...."
Damien erkannte die Situation und annullierte die Bestellung Gralons. "Nein, wir müssen gleich auch wieder raus."
Gralon nickte abermals. "Heißer Fall.", jetzt zündete er zuerst Damien und dann sich die Zigarette an. Die Taverne war nicht sonderlich groß, veraltete hölzerne Tische, dazu passende Stühle, Lampen die bald ihren Dienst aufgeben würden, waren die einzigen Dinge, die man in diesem Haus vorfinden konnte. Und das war noch Luxus, wenn man sich mal die alte vermoderte.....
Trotzdem hatten sich hier Trolle, Menschen, Vampire und sogar Zwerge zueinander gesellt, um brisante Geschichten des Tages zu klären, um zu spielen, oder einfach nur an ihrem Bier zu Grunde zu gehen.
Eine Person, verschreckt, ängstlich und eingeengt saß neben den beiden Rekruten und erweckte die Aufmerksamkeit Damiens.
"Was ist?", fragte er, mit dem Kopf am Bier starrend. "Ziemlich kalt heute."
"Ja.", nickte der Mann, ohne jedoch weiter auf Damien's Ausführungen einzugehen. Zusammengekauert trank er einen Schluck vom Bier, bevor er Damien anschaute.
"Du...du...bist Wächter?", stotterte er zusammen.
"Natürlich, wo kann ich helfen?"
"Bei uns....Mann....Sarah....töten."
Damien blickte entsetzt zum Boten, sah den Schweiß von der Stirn herunterrollen, wodurch er von einem hastigen Lauf schloss.
"Noch mal bitte...", Damien stoppte. "Ganz langsam."
"Ich..Flucht...Sarah...Kind....Mann....töten."
Jetzt schaltete sich auch Gralon ins Gespräch ein.
"Du bist vor dem Mann geflüchtet der diese Sarah ermorden will?"
Ein weiteres Nicken bestätigte die Aussage.
"Und was hast du da gemacht?"
"Ich...Aufpassen...auf Sarah...Muntere Straße....schnell!"
"Gut...auf geht's Gralon."
Wieder wurde die Tür geöffnet und eine verhältnismäßig kleine Person stand im Bereich zwischen der Dunkelheit dieser Nacht und der heiteren Stimmung innerhalb des Gebäudes. Der frische Wind nutze die einmalige Gelegenheit, stürmte in die Taverne herein, wobei Gralon von der kalten Brise erwischt wurde, der deshalb lauthals losschrie. "Verdammt noch mal, Tür zu..!"
Cim erschrak, diese Stimme hätte er auf hunderten von Metern, aus tausenden von Stimmen und noch viel mehr Blödkopfen heraushören konnte. Er schloss vorsichtig die Tür, blickte zur Theke, wo sich gerade die Fallklauer betranken, und musste furchtbar grinsen. Cim näherte sich vorsichtig, als plötzlich ein Zwerg vor dem Obergefreiten stand.
"Meine guten Augen sehen, du bist auch ein Wächter. Was ist denn hier los?", der Zwerg versperrte Cim den Weg. "Ist der Hahnenkampf jetzt die Auffangstelle für verarmte Wächter.", der Zwerg hatte die letzten Wörter so laut gesprochen, dass auch jeder in der Taverne diese mehr oder minder vernahm. Wie im Chor begann das Lachen.
Gralon zog ein letztes Mal kräftig an seiner Zigarette, bevor er in Damien's Ohren schrie. "Da ist Cim! Los, abhauen."
Damien drehte sich erschrocken um und sah Cim, der die ganze Zeit auf die beiden Rekruten starrten. Cims Augen funkelten wie ein Rohdiamant, der erst noch geschliffen werden musste.
Dann ging alles ganz schnell. "Wohin?", war das einzige Wort, welches Damien in seiner Hysterie herausbrachte. Hektisch durchsuchte Gralon den Raum, bis ein kleines Fenster hervorstach. Er hatte so etwas schon einmal im Kino gesehen, dachte Gralon und zerrte Damien hinter sich. Cim schubste den Zwerg an die Seite, mitten auf einen Tisch, der infolgedessen zerbrach. Die Rekruten drängelten sich dicht nebeneinander durch den kleinen Gang, der aus Tischen, Stühlen und Trollen bestand.
"Ihr müssen bezahlen Bier.", rief der Trollwirt G.Bleicht und Banks verzweifelnd nach.
Endlich vor dem Fenster angekommen, dauerte es nicht lange, bis Damien wieder ausflippte. "Und jetzt?...Nein, du willst doch nicht???"
Doch Gralon wollte, zog einen Stuhl hervor und zertrümmerte die Fensterscheibe, woraufhin das Chaos im Hahnenkampf ausbrach. Jetzt passte auch endlich der Name. Gralon war als erster an der Reihe und quetschte sich durch das Fenster in die vermeintliche Freiheit. Damien nahm Anlauf und sprang hoch, seine knochigen Finger konnten den Rahmen gerade so packen und drückte sich durch das Fenster.
"Stehen bleiben!", rief Cim hinterher und sprang an Damiens Bein.
Damien strampelte wie ein kleines Baby, doch ohne Erfolg, denn Cim hatte sich festgekettet, beide waren fast in einem verschmolzen.
"GRALON, ER HAT MICH!!!", waren die weiteren Worte vom strampelnden Damien.
Gralons Hände umschlungen jene Damiens und er stütze sich mit den Beinen an der Wand ab. Geschafft! Sekunden später lagen beide im tiefen Schnee, erfreuten sich dessen, wieder einmal schneller als Cim gewesen zu sein. Sie waren in einem kleinen Hinterhof angekommen, der muffige Gerüche in die Luft setzte. Alles roch vermodert, jedem wäre da wohl ein Gespräch mit Frau Willichnicht lieber gewesen, als hier hinten zu verweilen.
"Danke, Gralon.", bedankte sich Damien.
Gralon lächelte. "Na, wir haben das zusammen ausgefressen, also müssen wir da auch zusammen durch. Was ist eigentlich mit Cim?"
Cim Buerstenkinn hatte das Vergnügen mit dem Trollwirt Bekanntschaft zu machen, indem er beim herausklettern vom Troll am Kragen gepackt, zurückgerissen und in die Küche geschleppt wurde.
"Lass mich gehen, sie fliehen noch, im Namen der Stadtwache von Ankh-Morpork.", bat Cim den Troll .
"Du müssen bezahlen, was Wächter gemacht haben. Bier nicht zahlen, Fenster kaputt machen.", er zeigte auf die Stelle, wo man früher ein Fenster vermutet hat. "Du nun sehen, wie kalt sein hier in Taverne?"
Die SEEGURKE gefangen in den Pranken eines Trolls....

Gralon, Damien und die Kälte zogen weiter. Sie hatten Mühe im dunkel der Nacht einen Weg aus jenem Hinterhof zu finden. Schließlich quetschten sie sich durch eine enge Gasse, die eigentlich diesen Namen nicht verdient hatte. Zu eng, zu kurz und zu krumm war sie, um von den anderen Gassen in das ULAGVAM[1] aufgenommen zu werden.
Nachdem sie die Gasse verlassen hatten, blickten die beiden sich um und folgten ihrem Instinkt, oder eher Gralon's, und bogen rechts ab.
"Geschafft.", hechelte der Rekrut Banks immer noch. "Mörder, wir kommen."
"Na, dann.", stöhnte Damien.
Die Straße, auf der sie sich befanden war leer, man hörte die vereinzelt Stimmen, streunende Hunde und knirschende Türen. Damien schritt immer etwas hinter Gralon her, der mit einem Mordstempo seine Füße bewegte.[2]
Im nächsten Moment stoppte Rekrut Banks, woraufhin es sich nicht vermeiden ließ, dass Damien's Nase gegen Gralon's rücken prallte.
"Verdammt! Warum stoppst du?", seufzte Damien voller Wut.
Gralon flüsterte: "Schau mal dahinten! Da ist es, was der Mann uns erzählt hat!"
Damien's Blick glitt zu einem Haus, aus welchem ein dicke Person herausstürmte. Sie hatte es ziemlich eilig, lief davon und verschwand schließlich vollends in der Dunkelheit.
"Das war doch der dicke, den wir vorhin, auf dem Rückweg vom Gut Dude, gesehen haben!", schluchzte Damien G. Bleicht, wurde dabei sogar noch etwas bleicher, so dass man seine Hautfarbe gut als Taschenlampe benutzen konnte. "Erinnerst du dich?"
"Natürlich! Dann lass uns einmal schauen, was unser Freund denn gemacht hat. Im Auftrag der Stadtwache von Ankh-Morpork.", er lächelte.
Sie bewegten sich schnellen Schrittes auf das Haus zu, welches die dicke Person soeben verlassen hatte. Es war schon seit geraumer Zeit Bestandteil von Ankh-Morpork. Gralon tastete die Holztür sorgfällig ab, Damien schaute nach, ob jemand die beiden dabei beobachtete. Wenige Sekunden später nickte Gralon zufrieden. "Aufgebrochen, wie ich es mir gedacht habe. Willst du zuerst, Damien?"
Gralon öffnete die Tür, machte eine Handbewegung Richtung Damien und folgte ihm ins Haus. Sie durchquerten einen langen Flur, der sogar breit genug für beide war.[3]
Es dauerte eine Weile, bis Damien erneut vor einer Tür zu stoppen kam. Er wartete eine Zeit lang, doch schlug dann die Tür mit einem Ruck auf. Seine Glieder wurden schwer, der Körper nicht mehr tragbar, sein Kopf nur noch ein Spielball der Realität, Damien fiel bewusstlos zu Boden. Gralon reagierte, so oder so durfte ihm nicht das gleiche Schicksal ereilen, und bedeckte mit seiner Hand die Augen. Langsam zog er seine Hand herunter, konnte in den Augenwinkel etwas sehen. Kerzen. Licht. Gemälde bedeckten fast vollends die gestrichene Wand. Ein junges Mädchen wurde mehrere Male in verschiedenen Szenen porträtiert. Einmal mit weiteren Nebenakteuren die scheinbar ihre Eltern zu sein erschienen. Das andere Bild zeigte jenes Mädchen eine Taube streichelnd. So führte sich die Reihe fort. Gralon senkte langsam seinen Kopf, stoppte ihn abrupt, eine Blutlache mit riesigen Ausmaßen sehend. Das Unheil war sowieso nicht mehr zu stoppen, Gralon erschrak. Er sah das tote Mädchen in ihrem eigenen Blut liegend. Es fand ein grausamer Kampf statt, schloss Gralon aus dem Kissen, die am Boden lagen, dem umgedrehten Bett und einigen Pokalen. Seine Hand zitterte, beim Anblick dieser Szene.
"Ruhe in Frieden.", schnell wischte Gralon sich eine Träne aus dem Auge und näherte sich den Pokalen. Er hob einen dieser auf und las.
1. Platz. Sarah Fleißig, für ihre außergewöhnlichen Bereitschaft, anderen Bürgern zu helfen.
"Wieso trifft es immer die Wertvollsten?", mit diesen Wörtern legte er sanft den Pokal wieder an die Stelle, an der Gralon diesen vorgefunden hatte.
Augenblicklich klopfte Gralon Damien voller Haß, voller Wut, voller Trauer mehrere Male auf die Backe. Dadurch färbte sich jene Stelle rötlich und Damien wach auf.
"Bist du bereit?", Gralon schaute in die sich gerade geöffneten Augen Damiens. "Es drängt!"
Damien drückte ich mühevoll vom Boden ab, nickte und stand wackeligen Beines wieder auf. Damien beherzigte den Vorschlag Gralon's und bewegten sich wieder durch den Gang. Diesesmal ohne auf jegliche Details, die jene Wohnung ausmachte, zu achten. Verfolgung hieß das Stichwort.



Ort: Hahnenkampf ; Uhrzeit: Nur wenige Minuten später.
Cim Bürstenkinn stand regungslos in der Küche des Hahnenkampfes, wartete auf Regungen des Trolls. Er brauchte nicht lange warten.
"Du wissen müssen, Wächter. Ich brauchen Geld.....", erklärte der Troll sein Vergehen, einen Wächter festzuhalten. "Ich haben Familie."
Es war still geworden, die Kneipe leer, nicht mal Ungeziefer sind beim zerbrochenen Fenster und den daraus folgenden Temperaturen geblieben.
"Du musst auch wissen, dass ich durch diese beiden Idioten meinen Tschob verliere."
"Ich heißen Dornus.", ging der Troll nicht weiter auf Cims Ausführungen ein.
"Ich bin Cim....Cim Bürstenkinn.", er holte aus. "Oh ja, durch diese beiden Chaoten werden heute Nacht viele Mädchen ihr Leben verlieren."
Cim seufzte, was in dieser Leere unüberhörbar war.
"Sie sagen...heißer Fall...sie haben.", erinnerte sich Dornus.
"Heißer Fall, den sie mir geklaut haben, Dornus. Verstehst du es? Ich habe sie gejagt, Mitwächter, nur um Leben zu retten...jetzt werde ich nicht mehr gebraucht."
"Du können bei mir arbeiten.", bot der Troll an. "Du seien netter Mann."
"Danke, auf das Angebot werde ich sicherlich zurückkommen...", er stoppte. "müssen."
Dornus blinzelte. "Du haben Durst?"
"Nein, danke.", Cim schüttelte nachlassend den Kopf, als Dornus die Tür öffnete.
"Seien dir kalt?", er lächelte. "Du gehen... Kinder helfen.", meinte Dornus.
"Bis bald, Dornus. Danke!", er winkte, wobei er sich für das Angebot bedankte. Cim blickte um sich, dann ging er nach draußen, wo es wieder zu schneien begonnen hatte.

Swires begutachtete genau die Leiche der kleinen Sarah, schrieb jedes Details hastig in ihren kleinen Notizblock auf und musterte den Boden sorgfältig. Fähnrich Schmiedehammer hatte sich zwischenzeitlich an die Tür gelehnt. Seine Wut brannte, und mit jedem weiteren Mord wurde Öl in die Flammen gegossen.
"Okay, das war zuviel Rekruten. Swires, hast du alles?"
Swires bestätigte es kurz. "Ja, Sir."
"Hier soll SUSI sich weiter drum kümmern, wir haben wichtigeres zu tun.", schmollte Schmiede.
Auch diese beiden kehrten um, liefen zur Tür und folgten den Fußspuren der Rekruten.

Hustend blieb Cim Bürstenkinn stehen, bückte sich und formte ein wenig Schnee zu einer rundlichen Kugel. Damit tupfte er sich auf die breite Stirn und atmete tief durch.
"Das tut gut.", er rieb das schmelzende Eis weiter. "Wo jetzt her?"
Ein Schulterklopfen ließ Cim erschrecken. "Was zum....."
Zuerst erschien Verkehrsexperte Aragorn, gefolgt von Azrael.
"Was macht ihr denn hier?", ächzte Cim.
"Tja, Spezialauftrag von Schmiedehammer. Der ist übrigens auch unterwegs.", Aragorn wurde von Cim verwundert angeschaut. "Wir sollen dir helfen, den Fall aufzuklären."
"Wie? Erzähl doch mal."
"Also, Schmiedehammer ist mit Swires unterwegs, dazu, wie du siehst, wir beide. Sollen die Rekruten ausfindig machen, sie zum Wachhaus in der Kröselstraße bringen, dir helfen den Fall lösen.", lächelte Ara. "Dasselbe probieren die anderen auch. Aber ich bin ja so halb schon in den Fall eingebunden, weißt du ja... den Rest solltest du aber alleine machen, war auch vorher abgesprochen, wie du weißt. Wir mussten sogar von unseren anderen Aufgaben entbunden werden... nur um diese Spezialaufgabe auszuführen."
"Das tut mir leid.", entschuldigte sich Cim. "Sie haben mich wohl einfach überrumpelt..."
"Das braucht dir gar nicht leid zu tun.", entgegnete Azrael. "Ich saß gerade beim Papierkram."
Es fiel Cim schwer, in diesem Augenblick mit Azrael und Aragorn zu lachen.
"Lasst uns weitergehen.", drängte der Obergefreite Bürstenkinn.
Gedankenverloren setzte sich das Trio in Bewegung. Unscheinbar. Mitten in der Nacht. Wieder kehrte Ruhe ein, die Schlacht schien geschlagen. Leider.

Er hechelte. Lächelte. Wer wusste das schon? Zumal konnte er auch weinen, grinsen oder einfach nur gehen. Gesichtszüge und Konturen waren verborgen. Dem anderen den Vogel zeigen? Kein Problem. Wenn sie überhaupt ihre eigene Hand erkannten. Die Arme bewegten sich schnell, rhythmisch zu den Schritten der Beine, hingen nicht nur so als loses Körperteil herunter, wurden gebraucht. Gralon verschränkte seine Arme symbolisch ineinander. Der Kampf war angesagt, er und Damien wollten annehmen. Eine Kreuzung erkannte Gralon doch recht spielend. Diese Kreuzung war oft Zwischenweg auf seinen Streifengängen. Langsam kam er zum stoppen, blickte zur Seite und rief.
"Wo her jetzt?", er suchte Damien, der sich im Dunkel verbarg. Vergebens. Hoffend wartete Gralon auf die Antwort dessen's.

---Damien G. Bleicht---

"Damien?"
Stille
"Verdammt, das ist nicht witzig!"
Stille
Panisch blickte sich Gralon nach seinem Mitrekruten um, versuchte verzweifelt eine Bewegung in der Dunkelheit auszumachen. Nichts. Um ihn herum erstreckte sich nur schwarze, undurchdringbar scheinende Finsternis. Gralon atmete schwer. Er wand den Blick in alle Richtungen, horchte angestrengt nach Geräuschen, die ihm ein Lebenszeichen seines Kollegen vermittelten... vergeblich. Erschrocken stellte Gralon fest, dass er alleine war.
'Ein fröhliches Silvesterfest... GRALON BANKS!', flüsterte eine Stimme.
Gralon wirbelte herum. "Wer ist da?" fragte er mit zitternder Stimme.
'Kennst du mich denn nicht?', fragte die Stimme.
"Nein!" erwiderte Gralon nun in einem leicht hysterischen Tonfall, "Wer bist du? Wo bist du?!"
'Ich bin weit entfernt', sagte die schreckliche Stimme - Gralon merkte nun, dass er die Worte nicht wirklich hörte, sondern dass sie vielmehr in seinem Kopf erklangen, 'Und doch bin ich dir so NAH!'
Gralon schrie, drehte sich hastig um, wollte weglaufen, weg von diesem Ort, rutschte aus und fiel, mit dem Gesicht voran, in den Schnee. Benommen blieb er liegen, als die Stimme in seinem Kopf fortfuhr: ,Ihr Narren! Ihr glaubt, ihr könntet mich aufhalten? MICH?! Ihr armseligen Kreaturen, die ihr nicht einmal von euresgleichen respektiert werdet?'
Gralon lag benommen im Schnee. Sein Atem rasselte. "Wer bist du?", fragte er zum wiederholten Male.
'Jeder kennt mich', säuselte die Stimme, 'und dennoch weiß keiner WER ich bin.'
Gralon versuchte vergeblich, in den Worten einen Sinn zu erkennen. "Kannst du meine Gedanken lesen?"
'Wieso sollte mir daran gelegen sein, die Gedanken eines so erbarmungswürdigen Subjektes zu lesen? Jeder kann sie sehen, deine erbärmlichen Empfindungen und Gedankengänge. Und ich spüre FURCHT. Furcht, die wie ein junger Spross in dir keimt.'
Gralon zitterte.
'Kleine Wächter, ich möchte euch nichts zu Leide tun', flötete die Stimme, 'Doch ihr habt euch in etwas eingemischt, das mir sehr wichtig ist, von dem meine gesamte Existenz abhängt. Noch ist es nicht zu spät. Geh nach Hause, Wächterlein, leg dich unter deinen Silvesterbaum und schlaf, du wirst sehen, alles wird gut.'
Gerne hätte Gralon Banks den Worten geglaubt, spürte er doch das Verlangen, einfach alles hinzuschmeißen, am besten überhaupt nichts mehr mit dieser Angelegenheit zu tun zu haben und sich so weit wie möglich von Ankh-Morpork und der Wache zu distanzieren... Der letzte Rest Widerstand regte sich in ihm. "Nein", sagte Gralon fest.
'Dann werdet ihr beide STERBEN!', fauchte es in seinem Kopf. Dann wurde es still.
Gralon blieb liegen und seine Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit. Sein Blick glitt über den schneebedeckten Boden auf dem er lag, weiß und... Nein nicht weiß! Verwundert blickte er auf einen breiten roten Stiefelabdruck, der sich in den Schnee gedrückt hatte.
Rote Fußabdrücke?, dachte Gralon. Rot... Blut... Stiefel... Natürlich! Gralon zuckte zusammen, als ihm wieder das schreckliche Bild des toten Mädchens in den Sinn fuhr. Das Blut des Mädchens klebte an den Stiefeln des Mörders!, dachte Gralon und schauderte. Und war es nicht genau diese Spur gewesen, der sie die ganze Zeit über gefolgt waren? Schuldbewusst stellte Gralon fest, dass er sich bei der Verfolgung von seinen Gefühlen hatte ablenken lassen und der Spur wie im Rausch gefolgt war. Er richtete sich auf. Die Spur führte in eine abknickende Straße. Gralon folgte ihr zunächst zögernd, beschleunigte dann auf einen leichten Sprint. Schwer atmend lief er durch den tiefen Schnee, durch den sich wie ein rotes Band die Blutspur zog. Keuchend versuchte er seine Bewegungen zu koordinieren, während im entlegensten Winkel seines Unterbewusstseins die Frage aufkam, was er denn zu unternehmen gedenke, wenn er nun am Ende der Spur wirklich auf den Täter träfe. Die Möglichkeit, über die Antwort auf diese Frage nachzudenken erhielt er nicht mehr. Abrupt blieb Gralon stehen und kniff die Augen zusammen. Am Ende der Straße, nur knappe hundert Meter entfernt, konnte er eine schwarze Gestalt ausmachen, die sich langsam aber zielstrebig durch den Schnee bewegte.
Gralon verkrampfte sich. Da ist der Mistkerl. Und er macht sich nicht einmal die Mühe, SCHNELL zu verschwinden, dachte er bitter, Er hält uns überhaupt nicht für eine Gefahr! Voller Wut und verletztem Stolz schloss er die Hand um den Griff seines verrosteten Schwertes und spurtete los, rannte diesem Scheusal entgegen, das es über sich brachte, solche Greueltaten zu vollbringen. Als er die Gestalt fast erreicht hatte, stieß er sich mit beiden Füßen ab, zog im Sprung sein Schwert und stieß einen zornigen Schrei aus, der Wut und Entrüstung gleichermaßen zum Ausdruck brachte. Gralon prallte gegen den Rücken der Person, riss sie mit sich in den Schnee. Zwei Gestalten rollten über den Boden. Gralon presste die Knie auf den Brustkorb seines Gegners und hielt ihm das Schwert an die Kehle.
"So, Freund", brachte er mit vibrierender Stimme hervor, "Ich verhafte dich im Namen der Stadtwache von..." Er verstummte, als er in ein bleiches Gesicht blickte, aus dem ihn zwei von dunklen Ringen umrandete Augen zornig anfunkelten. "DU??"
"Runter von mir!" keuchte Damien und stieß seinen Kollegen unsanft zu Boden. Er richtete sich auf und schüttelte den Schnee von seiner Kleidung.
"Du Mistkerl", knurrte Gralon, "Mich einfach so stehen zu lassen! Weshalb bist du plötzlich verschwunden?"
"Wir müssen so schnell wie möglich den Mörder aufspüren, erinnerst du dich?" erwiderte Damien trocken, "Also bin ich der Spur gefolgt so schnell ich konnte."
"So schnell du konntest, ha! Ich habe gesehen wie gemächlich du die Straße entlang geschlendert bist. Ich habe dich für den Mörder gehalten!"
"Sei nicht dumm. Wir wissen, wer der Mörder ist. Dieser seltsame Dicke hat sich bereits selbst überführt, als er aus dem aufgebrochenen Haus spaziert kam."
"Können wir uns da sicher sein?"
"Ich bitte dich, es ist doch offensichtlich!"
Gralon zögerte. "Ich glaube, es könnte mehr dahinterstecken", murmelte er, "Eine seltsame Stimme..."
" ...sprach zu dir im Inneren deines Kopfes", vervollständigte Damien den Satz.
Gralon schnappte nach Luft. "Sie hat auch zu dir gesprochen?!"
"Ich höre sie schon die ganze Zeit über", erwiderte Damien leise.
"Was sagt sie?"
"Sie droht uns mit entsetzlichen Qualen, wenn wir die Ermittlungen nicht beenden", Damien zögerte, "Und sie sagt... noch andere Dinge."
"Was für Dinge?"
Damien schloss die Augen und horchte tief in sich hinein...
'Glaube... Macht... Kinder... Vergessen... Qual... will nicht sterben...'
"Es... ergibt keinen Sinn" antwortete er, "Die Stimme beschreibt... Empfindungen."
"Und weiter?" drängte Gralon.
'Leid... Furcht... Rettung... Wampus ...'
"Wampus?" brachte Damien verwirrt hervor.
"Wie bitte?" erkundigte sich Gralon.
"Die Stimme... sie hat eben den Wampus erwähnt..."
"Den Wampus??"
"Ja.", murmelte Damien nachdenklich.
"Das ist doch Unsinn!" entfuhr es seinem Mitrekruten, "Was soll eine Figur aus einer Geschichte für Kinder mit..."
"Vielleicht... habe ich es mir auch nur eingebildet", sagte Damien leise. Er war müde, hatte Kopfschmerzen und die ganze Geschichte erschien ihm mehr als seltsam... Am liebsten würde er einfach...
'...aufgeben, nach Hause zurückkehren und dich schlafen legen', flüsterte es in seinem Kopf.
Damien verkrampfte sich und presste die Zähne fest aufeinander. "Nein", sagte er fest, "So leicht kannst du mich nicht manipulieren!"
"Mit wem redest du?"
"Ähm...", Damien wischte sich den Schweiß von der Stirn, "Ich denke wir haben schon genug Zeit verschwendet. Irgend jemand will uns für dumm verkaufen. Wir müssen den Kerl so schnell wie möglich ausfindig machen!"
"Und wenn wir ihn haben?"
"Dann... sehen wir weiter!"
Sie setzten sich in Bewegung und rannten der Spur nach, so schnell sie konnten.

Inzwischen hatte der Schnee längst das Blut von den Stiefeln des Mörders gewaschen, doch im tiefen Schnee war es den Rekruten ein leichtes, den Fußspuren zu folgen. Damien rannte so schnell er konnte und Gralon hatte Schwierigkeiten, mit ihm mitzuhalten.
Aus den Augenwinkeln beobachtete Damien, wie Straßenschilder an ihm vorbei zu rasen schienen.
"Heldenstraße, Gottesstraße, Bäckerstraße..." An einer Kreuzung blieb er so abrupt stehen, dass seine Stiefel tiefe Furchen im Schnee hinterließen, vollführte eine neunzig-Grad-Drehung, schrie "Hier entlang!" und war auch schon in der Straße der Geringen Götter verschwunden. Keuchend folgte Gralon seinem Kollegen in das Tempelviertel. Sollte er entgegen aller Erwartungen doch noch eines Tages zum voll ausgebildeten Wächter befördert werden, würde er sich um einen ruhigen Posten bemühen. Ja, am besten einen schönen, entspannenden Schreibtisch-Job, dachte Gralon verträumt, während er durch den Schnee stolperte.
Weiter vorne vernahm er Damiens Stimme: "Komm schon, gleich haben wir... NEIN!!"
Schnaufend erreichte Gralon Damien, der stehen geblieben war. Vor ihnen stand ein alter, verwahrlost wirkender Mann, der den Schnee - jenen Schnee, der ihnen die Verfolgung des Hauptverdächtigen so erleichtert hatte - mit einer großen Schaufel beiseite schippte. Er blickte von seiner Arbeit auf und sah in zwei zornige Gesichter. "Is was, Jungs?" fragte er hilfsbereit.
Damien gab sich alle Mühe, sich zu beherrschen, doch es wollte ihm nicht recht gelingen. "Das... das ist UNGLAUBLICH! Wie kannst du nur..."
"Hee, die Priester bezahlen mir fünf Dollar dafür, dass die Straße hübsch geräumt ist!" verteidigte sich der Mann. "Und es ist ehrliche Arbeit!"
"Aus dem Weg, Alter!" Der Greis wurde unsanft beiseite gestoßen und die Rekruten rannten weiter.
"Ihr Rüpel!" rief ihnen der Mann verärgert hinterher, "Erst stößt mich so ein fetter Rohling an und jetzt ihr nutzlosen Wächter, die ihr der Stadt sowieso mehr Stolperstein als Stütze seid!"
Damien blieb ruckartig stehen und Funken stoben von seinen mit eisernen Beschlägen ausgestatteten Stiefeln, als er einige Zentimeter über das sorgfältig vom Schnee befreite Kopfsteinpflaster glitt. Er wirbelte herum und starrte den Alten an. "Wie war das?"
Der Mann wich einige Schritte zurück. "Hör mal, das mit den nutzlosen Wächtern meinte ich nicht..."
Damien winkte barsch ab. "Nein, nein, ich meinte das, was du davor gesagt hast."
Der Mann schnaufte verächtlich. "Ha! So ein Dickwanst kam hier vorbeigestürmt und hätte mich beinahe über den Haufen gerannt! Also der Jugend von heute sollte man..."
"Wohin lief er?" wurde er von einem ungeduldigen Damien unterbrochen.
Der alte zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Was geht mich das an? Das letzte was ich mitbekam war, wie er im Tempel dort hinten verschwand." Er streckte einen zitternden Zeigefinger aus. Damien schaute in die entsprechende Richtung und sein Blick fiel auf den Tempel der Geringen Götter.
Eine schreckliche Ahnung durchflutete ihn. "Verflucht noch mal..." knurrte er und setzte sich wieder in Bewegung. Gralon seufzte und folgte ihm. Kopfschüttelnd blickte der Alte ihnen nach. "Törichte Burschen", brummte er und fuhr damit fort, den Schnee von einer Straßenseite zur anderen zu schieben.
"Komm schon, wir müssen schnell handeln!" Keuchend näherten sie sich dem Tempel. Die breite Pforte war weit geöffnet und helles Licht schien aus dem Gebäude auf die ansonsten dunkle Straße. Die hallenden Geräusche von aufgeregten Stimmen drangen aus dem Inneren des Gebäudes nach draußen.
Damien hatte die Pforte fast erreicht, wollte gerade durch den Eingang hechten, als er einen kurzen Blick ins Innere der Götterhalle werfen konnte. Hastig machte er auf dem Absatz kehrt, drückte sich an eine nahe Mauer und zog Gralon, der Anstalten machte, das Gebäude zu betreten, zu sich in den Schatten.
"Pssssst!" zischte er. "Keinen Mucks."
"Was ist denn los?" flüsterte Gralon.
"Sieh doch selbst."
Vorsichtig spähte Gralon ins Innere des Tempels. In dem Gotteshaus herrschte reger Betrieb. Priester liefen wie aufgescheuchte Hühner durch die Halle. Im Zentrum verdichtete sich die Masse der anwesenden Personen. Alle schienen ihren Blick auf einen bestimmten Punkt in Bodenhöhe zu fixieren. Und inmitten des ganzen Trubels...
"Wächter!" stöhnte Gralon.
"In der Tat", bestätigte Damien trocken.
Einige SUSI-Wächter befanden sich im Tempel. Einige verstörte Priester wurden verhört. Ein Tatortsicherer versuchte verzweifelt, die Priester im Zaum zu halten. Ansonsten konnten die Rekruten nicht viel in der Halle erkennen, da der Rest in unzähligen Priestergewändern unterging. Jedoch ging aus den Gesprächsfetzen, die an ihre Ohren drangen, folgendes hervor:
Eine übel zugerichtete Frauenleiche war im Tempel vorgefunden worden. Ein Priester war in der Götterhalle erschienen, um das "Ritual des dämmernden Jahresabends" vorzubereiten, als er die Leiche im Taufbecken des Dreihändigen Shariva schwimmen sah. Die restlichen Einzelheiten gingen im allgemeinen Stimmengewirr unter, gelegentlich drangen Bruchstücke wie "...Eingeweide quer über den Boden verteilt..." und "...Bissspuren um den Mund herum..." an ihre Ohren.
Damien wandte sich von dem Geschehen im Tempel ab und wich weiter in den Schatten. "Verdammt", brummte er und ballte die Fäuste , "Wenn wir wenigstens wüssten, wer die arme Frau war..."
"Die Hohepriesterin des heiligen ,Dreihand' Shariva, Gründerin und einzige Anhängerin des Shariva-Kults", erklang eine Stimme hinter ihnen. Damien drehte sich um und sah in ein faltiges Gesicht. Vor ihm stand ein alter, weißhaariger Mann in einem grauen Priestergewand.
"Oh", sagte Damien leicht verwirrt, "...ähm, tatsächlich. Ich habe nie von dieser Religion..."
"Schreckliche Dinge bahnen sich an", wurde er von dem Priester unterbrochen.
"Ähm. Ja", erwiderte der bleiche Rekrut, der nicht wusste was er von diesem Greis halten sollte. "Ja, ich glaube das entspricht den Tatsachen. Wir hatten bereits das zweifelhafte Vergnügen, einige dieser Dinge am eigenen Leib zu erfahren."
"Jene Dinge werden euch banal vorkommen im Vergleich zu dem was noch kommen wird, wenn nicht rasch jemand der ganzen Sache ein Ende setzt", verkündete der Greis in unheilvollem Tonfall. "Oh, ich kenne den Grund eures Erscheinens, junge Wächter, doch ihr wisst nicht worauf ihr euch eingelassen habt. Die Wurzel allen Übels..."
"Entschuldige wenn ich dich unterbreche, Alter, aber wer bist du?" fragte Gralon genervt.
Der alte Priester sah ihn beleidigt an. Dann verneigte er sich leicht und sagte: "Pater Tiranus, dazu geboren, dem Volk zu Diensten zu sein."
Oh, einer von der alten Schule, dachte Damien und verdrehte die Augen. "Nun... Pater Tiranus", begann er unsicher, "Weißt du etwas über... das was momentan vor sich geht.
Der Priester schnaufte empört. "Ha! Ob ich weiß? Ich habe schon immer geahnt, dass so etwas passieren würde. Ich wusste schon immer, dass es nicht richtig ist, die alten Traditionen bis zur Unkenntlichkeit zu verdrehen!"
"Wie bitte?"
"ER ist zurückgekehrt!" entfuhr es dem alten Mann.
"Entschuldige mein Herr, aber ich verstehe immer noch nicht wovon du..."
"Oh, verzeiht", entschuldigte sich der Priester, "Es ist schwer, es jemandem verständlich zu machen, der nicht Bescheid weiß. Nun, es hat alles mit Göttern und der Macht des Glaubens zu tu..."
Der Brustkorb des Mannes brach auf. Eine riesige, mit wülstigen Fingern ,aus denen lange schwarze Krallen ragten, bestückte Pranke kam durch das klaffende Loch in der Brust zum Vorschein. Die Finger umschlossen etwas. Entgeistert stellten die Rekruten fest, dass es das Herz des alten Priesters war, das noch einige letzte Schläge tat, bevor die Pranke zudrückte und es zerquetschte. Blut spritzte den Wächtern ins Gesicht. Die Hand wich aus dem Körper des alten Mannes. Damien hob den Blick und sah...
"Das ist dieser schreckliche Dicke!" schrie Gralon.
Zum ersten mal hatte Damien Gelegenheit, die Gestalt aus der Nähe zu betrachten, wenn dies auch nur von kurzer Dauer sein mochte: Vor ihm stand der größte Mann, den er je gesehen hatte. Das Gesicht wurde fast vollständig von wild wuchernden Haupt- und Barthaaren verdeckt, nur zwei kleine, böse blitzende schwarze Augen starrten die Wächter aus dem Gewirr heraus an. Der Körperumfang des Mannes war nur mit dem Ausdruck "gewaltig" zu beschreiben. Und nun stand er vor ihnen, bis zu den Ellenbogen blutverschmiert, den toten Priester am weißen Haarschopf haltend, so dass der Leichnam nicht vornüberfallen konnte. Er neigte den Kopf nach hinten und ließ einen markerschütternden Schrei gen Himmel schallen. Dann hieb er mit seinen Klauen auf den leblosen Körper ein, zerfetzte nun endgültig das, was früher einmal Pater Tiranus gewesen sein mochte. Blut und Eingeweide spritzten den Wächtern entgegen, die entsetzt zurückwichen. Der abgetrennte Kopf des Priesters rollte ihnen vor die Füße.!
Das Monstrum wandte sich von den Überresten des alten Mannes ab und schenkte den Rekruten nun seine volle Aufmerksamkeit. Es knurrte und kam langsam näher. Gralon wich zurück, doch Damien bückte sich und hob mit zitternden Händen den Kopf des Priester an den Haaren hoch.
"Was tust du da?!?!" zischte Gralon entgeistert.
Damien schloss die Augen und wich ebenfalls einige Schritte zurück, während der dicke Schlächter immer näher kam.
"Fassen wir noch einmal die Ereignisse des Tages zusammen", sagte Damien leise und das Vibrieren in seiner Stimme verriet, dass er Mühe hatte, seine Furcht zu verbergen. "Heute morgen musste ich mich vor einigen Kindern und fast der gesamten Wache zum Narren machen..."
Der Dicke grunzte verwundert, blieb stehen und sah Damien verwirrt an.
"...Außerdem stehe ich kurz davor, meinen Job zu verlieren, musste mich von Kollegen jagen lassen, einige ziemlich unappetitliche Blutbäder mit ansehen und meine Psyche ist angeschlagener als je zuvor..." fuhr der dürre junge Mann fort und seiner Stimme war deutlich anzumerken, dass Zorn langsam den Platz von panischer Angst einnahm. "Um ehrlich zu sein: Dies wird mir langsam ZUVIEL!!" Mit diesen Worten schleuderte er den Kopf des Priesters von sich, mit aller Kraft die er aufbringen konnte. Jener raste auf den Dicken zu, prallte mit einem knackenden Geräusch von dessen Schädel ab und verschwand in der Dunkelheit. Das fette Monstrum brüllte schmerzerfüllt und walzte den Rekruten zornig entgegen. Diese wandten sich hastig um und versuchten zu flüchten. Doch das Wesen erwies sich als schneller, als sein Körperumfang vermuten ließ. Fast hatte es die Wächter eingeholt, da schlug Damien einen Haken und verschwand in der Dunkelheit.
Panisch blickte sich Gralon nach seinem Kollegen um. "Damien! Lass mich hier nicht mit diesem Irren allein, du verdammter Mistkerl!!" Er stolperte und sah wie der Dicke näher kam. Mit einer riesigen Pranke holte er aus und...
Plötzlich verzog der Berserker schmerzerfüllt das Gesicht und schrie auf. Gralon hob den Blick und sah Damien, der dem wild um sich schlagenden Mann in den Rücken gesprungen war und sich in seinen Haaren festkrallte. Hastig zog er sich an der zotteligen Mähne hoch, schaffte es, sich auf die Schultern seines Gegners zu setzen und schlang die Beine um dessen Hals. Mit einer Mischung aus Genugtuung und Entsetzen vernahm Damien ein gurgelndes Geräusch. Der Dicke wand sich hin und her und beinahe hätte Damien das Gleichgewicht verloren.
Wenn ich mich doch nur irgendwo besser festhalten könnte..., dachte er verzweifelt. Er vergrub die Hände in den Haaren seines Gegners und ertastete, zu seinem eigenen Erstaunen, zwei kleine schwarze Hörner, die er vielleicht bei einem Ziegenbock aber ganz sicher nicht auf dem Kopf eines menschlichen Wesens erwartet hätte. Er packte den "Bock" bei den Hörnern und zog einmal kräftig daran. Damiens Gegner gab ein schmerzhaftes Keuchen von sich und versuchte seinen "Reiter" abzuschütteln. Gralon, der sich wackligen Beines wieder aufgerichtet hatte, zog hastig sein Schwert und griff den Dicken, der durch Damien abgelenkt war, damit an. Er holte weit mit dem Schwert aus, stieß einen Schrei aus, von dem er hoffte, dass er die Wucht des Schlages erhöhen würde und schlug es in einen massigen Oberschenkel. Kein Blut spritzte. Das Schwert schien einfach in der enormen Masse aus Fett zu versinken, wie ein Zahnstocher der in weiche Butter gedrückt wird. Nur der Griff kuckte noch heraus. Der Dicke blickte Gralon an und stieß einen eher zornigen als schmerzvollen Schrei aus. Panisch versuchte Gralon, das Schwert wieder aus dessen Oberschenkel zu ziehen, doch er konnte es keinen Zentimeter weit bewegen. Der Dicke, mit Damien auf den Schultern, setzte sich zornig wieder in Bewegung und schlug immer wieder nach Gralon Banks, der verzweifelt versuchte, rückwärts zu flüchten, um gleichzeitig seinen Gegner im Auge zu behalten. Er spürte, wie seine Beine müde wurden, während sein Gegner immer näher kam. Verzweifelt versuchte er eine Möglichkeit zu finden, diesen Irren zumindest vorübergehend außer Gefecht zu setzen. Schließlich hatte er die, wie er glaubte, rettende Idee, nahm seinen Helm ab und schleuderte ihn dem Dicken zwischen die Beine. Keine besonders kluge Idee, wie sich kurz darauf herausstellen sollte: Der Dicke keuchte, stolperte, verlor das Gleichgewicht und schlug krachend auf dem Boden auf. Von der Wucht des Aufpralls wurde Damien von den Schultern seines Gegners geschleudert und prallte mit beachtlicher Geschwindigkeit gegen Gralon Banks. Beide brachen kraftlos zusammen und ihnen wurde schwarz vor Augen.

Pater Tiranus blinzelte. Verwirrt beobachtete er, wie der wahnsinnige Dickwanst aufstand, sich die beiden bewusstlosen Wächter unter den Arm klemmte und verschwand.
"Na so was...", murmelte er.
Einige Leute kamen aus dem Tempel gelaufen und starrten entsetzt auf das Blutbad, das hier angerichtet worden war. Schreie erklangen. Wächter strömten aus dem Gotteshaus.
Pater Tiranus war selbst erstaunt, wie wenig ihn die allgemeine Hysterie berührte. Er blickte einige Sekunden auf die Schweinerei auf dem Boden.
"Also so was." wiederholte er. Gleichgültig blickte er auf seine Hände und stellte fest, dass sie transparent waren.
"Oh..."
GUTEN ABEND.
Pater Tiranus drehte sich um und blickte verdrießlich die dunkle gestalt, die vor ihm stand an.
"Guten Abend Herr..."
TOD.
"Sehr erfreu..." Pater Tiranus beendete den Satz nicht, als ihm klar wurde, dass er keinen Sinn ergab. Niemand - außer Leuten mit gewissen... Neigungen - freute sich über die Anwesenheit jenes Besuchers.
"Ich bin also tot...", murmelte er und kam sich seltsam albern dabei vor.
JA.
"Ich verstehe das gar nicht...", sagte er leise, "Wieso habe ich den Burschen so etwas erzählt? Ich meine, warum sollte mir daran gelegen sein, einigen vertrottelten Stadtwächtern zu helfen?"
ES IST SCHWER ZU ERKLÄREN. ES HAT ALLES MIT DER NARRATIVEN KAUSALITÄT ZU TUN.
"Narrative Kausalität?"
DU WEISST SCHON. EIN MYSTERIÖSER INFORMANT VERHILFT DEN VERWIRRTEN POLIZISTEN ZUR ENTSCHEIDENDEN ERKENNTNIS, DIE ZUR LÖSUNG DES FALLES BEITRÄGT.
"Ich glaube kaum, dass sie aus den spärlichen Informationen, irgendwelche Erkenntnisse gewinnen konnten."
SIE HÄTTEN DIE ENTSCHEIDENDE ERKENNTNIS GEWONNEN, WÄREST DU NICHT UMS LEBEN GEKOMMEN, BEVOR DU AUSREDEN KONNTEST.
"Oh." Pater Tiranus einige Sekunden lang. "Und wieso wurde ich von diesem Monstrum getötet? Hängt das ebenfalls mit der Narrativen Kausalität zusammen? So wie: Mysteriöser Informant wird, kurz bevor er die entscheidende Information verraten kann, auf übelste Weise ermordet?"
NEIN. ICH SCHÄTZE, DU WARST EINFACH ZUR FALSCHEN ZEIT AM FALSCHEN ORT.
"Oh", sagte Tiranus abermals. "Es gibt keine Gerechtigkeit."
Tod nickte zufrieden. ES GIBT NUR MICH.

Dunkelheit. Graue Schleier, die die Sicht verhindern. Schmerzen. Dieses Gefühl von innerer Leere... War es gestern schon da? Gleichgültig. Alles ist einerlei, es existiert nur Schmerz und die Leere... diese endlose Leere... Bin ich tot?
Bunte Lichter schienen unter Damiens Netzhaut zu explodieren, als er die Augen aufschlug. Nein, aber ich wünschte beinahe, ich wäre es, dachte er. Er hob den Kopf und stellte fest, dass sich ein dünnes aber sehr massives Drahtseil quer über seine Brust spannte. Die beiden Enden des Seiles waren an zwei langen Nägeln befestigt, die jemand in festen Steinboden gehämmert hatte. Arme und Beine wurden auf die gleiche Weise festgehalten. Er drehte den Kopf und stellte fest, dass Gralon neben ihm ebenfalls an den Boden gefesselt war. Er biss die Zähne zusammen, als er Schmerzen spürte, die ihm durch alle Gliedmaßen fuhren.
Sie befanden sich in einem dunklen Keller (Hierbei sollte angemerkt werden, dass mit der Bezeichnung "Keller" nicht etwa ein vermodertes unterirdisches Gewölbe, mit Dutzenden von Folterinstrumenten und anderen, wenn man nach der Meinung von Groschenromanautoren geht, atmosphärischen Details, gemeint ist. Es handelte sich um einen ganz gewöhnlichen, deswegen jedoch nicht minder scheußlichen Keller, wie man ihn für gewöhnlich in billigen 2-Zimmer-Wohnungen findet.). Damien spürte, wie ihm grünliches Wasser von der Decke auf die Stirn tropfte. Er bedauerte, dass er nicht viel weiter als einen Meter sehen konnte, denn ein leise rasselnder Atem, der aus den Schatten erklang, ließ den Schluss zu, dass Damien und Gralon sich nicht als einzige Personen in dem Raum befanden. Desweiteren bedauerte er, dass sich seine Vermutung nur wenige Sekunden später bestätigte.
"Ah, wie erfreulich, ihr seid erwacht", erklang eine leise Stimme aus der Dunkelheit.
Bei solchen Gelegenheiten stellt es sich immer als Schwierigkeit heraus, eine angemessene Antwort zu geben. "Ähm", sagte Damien. "Ja. Dies scheint tatsächlich der Fall zu sein. Glaube ich."
"Nur keine Angst", fuhr die Stimme sanft fort, "Ihr seid hier in Sicherheit."
"Oh", erwiderte Damien zögernd, "Sind wir das? Das ist gut, nicht wahr? Die Umgebung und der Umstand, dass wir hier an den Boden gefesselt sind, ließen in mir zunächst Vermutungen zu, die ziemlich wenig mit dem Begriff "Sicherheit" zu tun haben. Ehrlich gesagt, ich hätte vielmehr darauf getippt, dass uns in wenigen Minuten der Tod erwartet."
"Oh, ihr werdet sterben. Zumindest werdet ihr von eurer sterblichen Hülle befreit werden. Doch eure Seelen werden zweifellos gerettet werden. Ihr könnt euch auf einen kurzen Augenblick des Schmerzes und anschließende ewige Erlösung freuen."
Verdammt, dachte Damien verzweifelt, Nichts ist schlimmer, als ein Spinner, der glaubt, das was er tut sei völlig richtig.
Er hörte die flüsternde Stimme Gralons an seinem Ohr: "Verflucht, wir sind erledigt. Was tun wir jetzt?"
"Keine Panik. Wir dürfen diesen Irren auf keinen Fall verärgern", zischte ihm Damien leise zu. "Tatsächlich?", sprach er laut weiter, "Das ist eine gute Nachricht! Religion, nicht wahr?"
"In gewisser Weise", erwiderte die Stimme aus dem Schatten.
"Sehr schön", fuhr Damien im Plauderton fort, "Ich sage immer: Für ewigen seelischen Frieden lohnt es sich, die sündige sterbliche Hülle zurückzulassen. Ein ordentliches Opfer reinigt die Seele. Es erfüllt mich mit stolz, unter der Hand eines solch gewissenhaften Jüngers aus dem Leben scheiden zu dürfen!"
Kurzes Schweigen schloss sich an. Entgeistert verarbeitete Gralon die Worte seines Kollegen und bekam Schweißausbrüche, als er ihren Sinn vollständig erfasst hatte.
Schließlich war das sanfte Säuseln aus der Dunkelheit wieder zu hören. "Deine Worte schmeicheln mir, Wächter. Doch leider muss ich dir im letzten Punkt wiedersprechen. Ich bin mitnichten der Jünger eines Gottes. Ich bin der Gott."
Damiens sah seine Vermutung, dass sein Gesprächspartner völlig ausgerastet sei, nun endgültig bestätigt. "Ah", sagte er und versuchte, den Eindruck zu erwecken, dem Wahnsinnigen jedes Wort zu glauben. "Dies macht die Ehre, die uns zuteil wird, nur noch größer. Jedoch... Es erscheint mir neu, dass solche erhabenen Wesen wie die Götter ihre Opfer selbst ausführen." Damien bemühte sich, seine Fragen so zu wählen, dass sich aus den Antworten sinnvolle Informationen ergaben.
"Eine durchaus berechtigte Frage", lautete die Antwort. "Um diesen Punkt zu klären, bedarf es einiger Erklärungen, die etwas Zeit in Anspruch nehmen könnten..."
Die Gestalt trat aus dem Schatten. Erstaunt rissen die Wächter die Augen auf, entsprach das, was sie sahen, doch so gar nicht dem, was sie sich eigentlich als Ursprung des ganzen Übels vorgestellt hatten. Ein Mann blickte auf sie herab und sein Erscheinungsbild wirkte auf die Wächter seltsam vertraut: Die Gestalt trug einen verfilzten roten Mantel, der schon bessere Tage gesehen haben mochte, dazu eine rote Zipfelmütze mit weißem Bommel, die traurig von einem seltsam kleinen Kopf herunterbaumelte. Damien kniff die Augen zusammen. Der verwahrloste weiße Bart, der dick gepolsterte Anzug, den die Gestalt nicht einmal halb ausfüllte, die abgetragenen Lederstiefel... Ja, der Mann wirkte wie ein trauriges Abbild von...
"Der Schneevater?", entfuhr es Gralon.
"Ja", sagte die Gestalt. "Und gleichzeitig: Nein."
"Nun, dies klingt... ungewöhnlich", sagte Damien vorsichtig. "Und lässt nur schwer einen Zusammenhang mit dem, was du noch kurz zuvor erwähntest, erahnen."
"Ihr werdet es gleich verstehen", sagte der vermeintliche Schneevater. "Ich werde es euch erklären, während ich das Ritual der Wiedergeburt vollziehe..." Der Schneevater hob die Hände und die Drahtseile, die die Wächter noch kurz zuvor am Boden festgehalten hatten, rissen krachend auseinander und die beiden Rekruten wurden angehoben und schwebten in der Leere. Ein blaues Glühen umgab sie und blaue Funken strömten von den Fingern des Schneevaters.
"Nun, wo soll ich beginnen...", begann er. "Ach ja... Es gab eine Zeit, da stand es noch gut um die Welt. Besser als heute. Damals verehrte man mich, ich hatte MACHT."
Damit fängt alles an, dachte Damien bitter, Es mögen noch so ehrenvolle Ziele als Vorwand dienen, letztendlich läuft es immer auf MACHT hinaus.
"Der Glaube der Menschen hatte mich erschaffen", fuhr der Schneevater fort, "Der Ruf nach jemandem, der sie führt, der sie beschützt. Ich erschuf ihnen ein Leben in Schutz und Geborgenheit... Zum Dank dafür brachte man mir Opfer dar. Tiere, bei besonderen Anlässen, wenn ein wirklich unglaublich göttliches Wunder erfordert wurde, auch Menschen. Zu jener Zeit, die heute die Sylvesternacht genannt wird, fanden rituelle Schlachtungen des Schweines zu meinen Ehren statt. Oh, wie herrlich diese Zeiten doch waren, sie waren mein Volk und ich war ihr Gott!" Erst jetzt bemerkte Damien die seltsamen Augen des Erzählers. Sie glühten weiß und schien über gar keine Pupillen zu verfügen. Er war sich inzwischen darüber im Klaren, dass es sich bei dieser Person keineswegs um den echten Schneevater handeln konnte (oder?), dieser seltsame Mann aber ebenfalls kein gewöhnlicher Irrer war, geschweige denn ein menschliches Wesen.
"Doch der Glaube der Menschen verändert sich", fuhr der Schneevater fort. "Entgegen einer verbreiteten Auffassung ist es keinesfalls der Gott, der über den Glauben bestimmt. Es ist vielmehr umgekehrt: Glaube formt Götter. Er ist der Ursprung allen göttlichen Lebens... Nun, die Vorstellung die die Menschen von mir hatten veränderte sich über die Jahrtausende hinweg..."
"Interessant...", murmelte Damien. "Ich habe einmal in einem Buch gelesen, dass die Legende des Schneevaters ursprünglich auf einen alten Wintergott zurückgeht..."
"Exakt!", bestätigte der Schneevater. "Nun, Ich war gezwungen, mich den Veränderungen im Glauben der Menschen anzupassen. Und so wurde ich schließlich... zum Schneevater! Nun, dies war am Anfang gar nicht so schlecht. Natürlich konnte man mich inzwischen nicht mehr direkt als Gott bezeichnen. Ich war vielmehr... eine anthropomorphe Personifizierung. Ja, ich glaube so lautet der richtige Ausdruck. Nun, die erste Version des Schneevaters war nur eine modifizierte Fassung meiner ursprünglichen Version. Es gibt da ein sehr hübsches Lied aus früheren Zeiten: ,Am Sylversterabent kommigt der Schneefater mit lautem Gebrüll und einem Schlitten, gezogen von fier furchteinflößenden Ebern. Ihr Kinderlein alle, nehmt euch in acht: Wenn ihr brav seid, bekommet ihr was mitgebracht: Blutwurst, Schinken, Haxen und Wein - und noch viele andere Spezialitäten vom Schwein. Doch wart ihr unartig, NEHMT EUCH IN ACHT! Der Schneevater hat seinen Wampus mitgebracht. Der Wampus ist groß und unglaublich fett. Er verhaut euch mit einer riesigen Salami..." Gralon verdrehte die Augen, als er an seinen Waisenhausbesuch und die Pappsalami dachte " ...das findet er nett. Und wenn ihr zuhaus sitzt, seihet lieber froh... Wenn ihr nicht hört von draußen das HOHOHO!!'"
"Sehr poetisch", kommentierte Damien, "Wampus... Ich glaube dieser Name ist mir nur zu vertraut..."
"Ah, wie unhöflich von mir!", entfuhr es dem Schneevater, "Ich habe euch ja noch gar nicht meinen Partner vorgestellt. Wampus!"
Der schreckliche Dicke, dessen zweifelhafte Bekanntschaft sie schon zuvor machen durften, trat vor.
"Wampus, sag unseren Gästen doch guten Tag, ich fürchte, wir werden uns nicht mehr lange mit ihnen unterhalten können."
Der Dicke grunzte etwas und winkte den in der Luft schwebenden Wächtern zu, als ob er nicht noch kurz zuvor versucht hätte, sie zu töten.
"Nun, das ist eine interessante Geschichte, Herr", sagte Damien langsam, "Doch sie erklärt nicht..."
"Oh, es geht noch weiter", wurde er vom Schneevater unterbrochen. "Wie gesagt, jene Tage waren nicht schlecht. Ich hatte ein wenig meines Einflusses verloren, aber zu wissen, dass Dutzende von Kindern jedes Jahr zitternd den Tag des Schneevaters erwarten... Es war ein völlig neues Gefühl von MACHT!" Sein Atem vibrierte vor Aufregung. "So ging es eine lange Zeit weiter. Es wurde Tradition. Doch dann... Vor einigen Jahren - eigentlich schon vor einer ganzen Weile - geschah erneut eine Veränderung... Eine Veränderung, die verheerende Folgen für meine weitere Existenz haben sollte. Ich machte Bekanntschaft mit einem neuen Phänomen:
Ungefähr zu der Zeit, als diese neumodischen Geschäfte entstanden... Wie heißen sie doch gleich? Sind große Gebäude in denen praktisch alles verkauft wird..."
"Kaufhäuser!" kam ihm Gralon zu Hilfe. "Es gibt eins in Ankh-Morpork."
"Ja...", schnaufte der Schneevater, "Kaufhäuser! Sie waren mein Untergang! Eines Tages kam einer der Kaufhausbesitzer auf die Idee, Profit aus dem Sylvesterfest zu schlagen. Also stellten sie hässliche Puppen in Schneevater-Anzügen in ihre Fenster, engagierten Gauner, die sich in Schneevater-Kostümen in die Kaufgrotten stellten und Geschenke an Kinder verteilten - Waren aus dem Kaufhaus, die vorher von den Eltern verkauft wurden. Nicht nur Schweinefleisch, einfach ALLES! Besonders der Verkauf von Spielwaren stieg rapide an. Ich wurde zu einem Vermarktungsartikel für Spielzeug!" empörte sich der alte Mann. "Erstaunlicherweise entfaltete dieser Humbug bald eine unglaubliche Macht. Irgendetwas veränderte sich in den Köpfen der Leute und plötzlich galt die allgemeine Annahme, der Schneevater sei ein fröhlicher alter Narr, der an Sylvester von Haus zu Haus zieht und kleinen Kindern Geschenke verteilt. Der Mythos des Schneevaters wurde völlig verdreht!"
"Und du verändertest dich ein weiteres Mal?" wollte Gralon wissen.
"Nein", sagte der Schneevater heiser. "Ich wagte etwas, das noch kein Geschöpf, das durch den Glauben der Menschen entstand, vor mir versucht hatte. Ich stemmte mich gegen die Macht der Glaubenskraft! Ich wollte nicht zu einer Witzfigur werden, die in den Köpfen der Menschen umhergeistert, würdelos, nur damit einige habgierige Geschäftsmänner die Taschen voller Geld hatten. Also leistete ich Widerstand. Zunächst schien die Situation aussichtslos: Der hohe Druck der Glaubenskraft hätte mich beinahe zerrissen. Doch ich schaffte es! Ich war nicht länger ein Gefangener des Glaubens, sondern lebte weiter, unabhängig von der Vorstellungskraft der Menschen, ohne mich zu verändern. Doch die Macht der Glaubenskraft ist unberechenbar: Als Schneevater stand ich nicht länger zur Verfügung. Also wurde... die Realität verändert. Ja, ich glaube das ist der richtige Ausdruck."
"Verändert? Was soll das heißen?", fragte Damien.
"Wie gesagt, der Glaube ist mächtig! Vorgegebene Strukturen im Glaubensstrom lassen sich nicht einfach verändern, da Glaube und Realität eng miteinander verknüpft sind. Also entstand eine Art... Krümmung im Gefüge der Realität...", der vermeintliche Schneevater zögerte, als versuchte er, einen komplizierten Sachverhalt in Worte zu fassen.
"Nimm dir ruhig Zeit", sagte Damien und hoffte, dass es höflich klang.
"Danke. Wie gesagt... Eine Krümmung in der Realität, besser noch, eine dimensionale Krümmung. Glaubenskraft ist in etwa mit einer sehr großen, elastischen Gummifläche vergleichbar. Dies bedeutet folgendes: Als sich die durch mich entstandenen Unregelmäßigkeiten im Glaubensgefüge bemerkbar machten, wurde die Geschichte einfach... "behoben". Das heißt alles entwickelte sich wie vorgesehen und mein Widerstand hatte niemals stattgefunden." Das Schneevater-Wesen blickte die Wächter erwartungsvoll an, die einige Sekunden verwirrt schwiegen.
"Ähm", begann Gralon, "Du sagtest, du hast dich gegen die Veränderung gewehrt."
"Ja."
"Und dann wurde es wieder... rückgängig gemacht..."
"Ja."
"Das heißt, du hast niemals Widerstand geleistet und existierst, wie es sein sollte, in der Form in der wir dich kennen?"
"In gewisser Weise, ja."
"Und wie kommt es dann, dass du..."
"Es ist schwer zu erklären", fuhr die Schneevater-Gestalt fort, "Das, was jede Sylvesternacht fröhlich durch Kamine springt, bin ich. Und gleichzeitig bin ich es nicht. Die von mir zuvor geschilderten Ereignisse - hiermit ist mein Wiederstand gemeint - sind nie geschehen. Eigentlich sollte ich logischerweise in der Form, in der ich jetzt vor euch stehe, gar nicht existieren. Dennoch stehe ich vor euch, was sich folgendermaßen begründen lässt: Vermeintliche Dinge, die nie hätten passieren sollen werden von der Realität rückgängig gemacht. Allerdings ist es oft schwer, solche... ,Fehler' vollkommen auszumerzen. Habt ihr jemals von der Hose der Zeit gehört?"
"Nein."
"Dachte ich mir. Es läuft auf folgendes hinaus: In gewisser Weise SIND die von mir geschilderten Ereignisse tatsächlich geschehen - allerdings in einer anderen Dimension, einer Art Paralleluniversum. Durch einen kleinen Irrtum in der Behebung dieses, hm, Fehlers bin ich wohl im falschen... Hosenbein gelandet."
"Du kommst also... aus einer anderen Realität...", sagte Damien langsam.
"Ja", bestätigte der ehemalige Schneevater. "Nun, Durch diese... Unzulänglichkeit hatte ich zwar meine Freiheit gewonnen, aber einen enormen Anteil meiner Macht verloren. Ich blieb zurück, als alter verwahrloster Narr, der eine Menge wirres Zeug redete. So schlug ich mich einige Jahre durch... verwundbar, sterblich. Ständig musste ich fürchten, dass ich dem enormen Druck des Realitätsgefüges nicht mehr standhalten konnte und endgültig aus die Realität ,gelöscht' zu werden."
"Nun...", begann Damien, "Wenn du uns dies alles erzählst - was wir eigentlich ja gar nicht wissen dürften - wird dadurch das Gefüge der...ähm...Realität nicht noch mehr durcheinandergebracht?"
"STÄNDIG pfuschen Zauberer und dergleichen am Realitätsgefüge herum!", entfuhr es dem ehemaligen Schneevater, "Die Paradoxien, die durch mich entstanden sind, sind harmlos dagegen, glaubt mir."
"Eine traurige Geschichte", sagte Damien. ABER., dachte er. An solchen Stellen kommt immer ein großes ABER.
"Aber...", begann der Schneevater. Bingo, dachte Damien. "Aber nach einer, mir wie eine Ewigkeit vorkommenden, Zeit schöpfte ich neuen Lebenswillen. Ich entdeckte eine Möglichkeit, wieder Glaubenskraft zu gewinnen und so mächtiger als je zuvor zurückzukehren: Das Ritual der Wiedergeburt!"
"Du hast es schon einmal erwähnt, ja."
"Es ist ganz einfach", fuhr der Schneevater fort, "Ich musste einfach die alten rituellen Schlachtungen aus der früheren Zeit an dem Geschöpf mit dem stärksten Glauben vollziehen: Dem Menschen! Durch das Opfer wird die Seele der verstorbenen Person freigesetzt und die in ihr keimende Glaubenskraft wird dem Gott, dem sie geopfert wurde zugeschrieben."
"Das ist doch absurd!" entfuhr es Gralon, "Nach dieser Logik bräuchte jede Person nur genug Leute sich selbst zu "opfern", um zu einer Gottheit zu werden!"
"Du irrst dich", widersprach ihm der Schneevater, "Es funktioniert nur bei bereits existierenden Göttern - Oder Personifizierungen, die früher einmal existierten..."
"Also hast du die rituellen Tötungen an dem Ort ausgeführt, in dem das Leben - und somit auch die Glaubenskraft - am stärksten vertreten ist: In Ankh-Morpork!" schlussfolgerte Damien.
"Oh, nicht ich persönlich", sagte der Schneevater, "Ich brauchte Hilfe, um meinen Plan in die Tat umzusetzen. Also drang ich in meine frühere Festung ein und befreite den Wampus; Ich versprach ihm sein Hauptnahrungsmittel, falls er mir helfen würde: Kinder."
"Ieeh, das ist ja grässlich!", entfuhr es Gralon.
"Rülps!" machte der Wampus.
"Wampus, das gehört sich doch nicht!" schimpfte der Schneevater, "Immerhin haben wir Gäste!"
"Tschuldigung", grollte die enorme Gestalt.
"Also fassen wir es noch einmal zusammen", begann Damien, "Der Wampus hat für dich die rituellen Tötungen begangen..."
"Ja."
"Um dir zu neuer Glaubenskraft zu verhelfen..."
"Ja."
"Damit du wieder zu einem Gott werden kannst..."
"Ja."
"Du warst es, der zu uns im Inneren unseres Bewusstseins gesprochen hat..."
"Ja. Ihr kamt dem Geschehen zeitweise gefährlich nahe, näher als eure törichten Wächtergefährten es vor euch vermocht hatten. Doch nun ist es einerlei, Ihr beide werdet die letzten sein, an denen wir das Ritual der Wiedergeburt vollziehen, und dann werde ich endlich zu neuer MACHT finden. Der uralte Gott, Sant Aclaus, wird zurückkehren!"
"Eine Frage noch, bevor die Welt nun der Epoche der guten Zeiten entgegensieht..."
Sant Aclaus hielt inne. "Ja?"
"Uns fiel auf, dass die Toten, die wir auffanden, ausschließlich dem weiblichen Geschlecht angehörten, den armen Pater Tiranus ausgenommen."
"Oh, das ist schnell erklärt: Im Grunde genommen ist es egal, an wem das Ritual vollzogen wird - Allerdings gibt es zwischen den Geschlechtern Unterschiede in der freigesetzten Glaubensenergie. Eine weibliche Seele enthält ungefähr anderthalb mal so viel Glaubenskraft wie eine männliche. Habt ihr nie einen Tempel besucht? Alte Frauen, die bei den Predigten immer in der ersten Reihe sitzen? Kleine Mädchen, die von ihren Müttern streng religiös aufgezogen werden? Angesichts der ungeheuren MACHT, die in diesen Menschen keimt, konnte ich viel schneller vorankommen, als es mir mit ausschließlich männlichen Opfern möglich gewesen wäre."
"Oh...", murmelte Damien, "Aber: Wir sind männlichen Geschlechts."
"Oh inzwischen wurde soviel Glaubenskraft freigesetzt, dass zwei männliche Opfer genügen, um die Wiedergeburt zu vollenden", sagte Sant Aclaus fröhlich. "Ich werde es sogar selbst durchführen können."
Damien versuchte, schnell nachzudenken. Verdammt. Er hat uns in seiner Gewalt. Wir können nichts tun. Obwohl... Meinte er nicht, dass die Glaubenskraft... ?
"Lebt wohl, tapfere Wächter", flüsterte Sant Aclaus. "Ihr wart mir zwei angenehme Gesprächspartner. Um so mehr schmerzt es mich, euch töten zu müssen. Doch mir bleibt keine Wahl."
Er hob die Hände und die Wächter stiegen höher. Gralon sah, wie sich die Lippen des ehemaligen Schneevaters lautlos bewegten.
Der Glaube bestimmt über die Macht von Göttern..., dachte Damien.
Gralon spürte, wie sich unsichtbare Hände um seine Kehle zu schließen schienen. Er röchelte.
Götter entfalten nur Macht, wenn es Leute gibt, die an sie glauben...
Die Adern unter der Haut schwollen an und schienen, jeden Moment zu platzen.
An was glaube ICH? dachte Damien. Diese Frage hatte er sich nie zuvor ernsthaft gestellt. Oder noch wichtiger: Was SEHE ich?
Er blickte nach unten und sah... Einen alten bärtigen Mann, in verfilzter Kleidung. Kein Gott..., dachte Damien.
Er spürte wie der Druck um seinen Hals nachließ und wie die Kraft, die ihn in der Luft hielt, geringer wurde. Mit beiden Füßen kam Damien auf dem Boden auf.
Verblüfft starrte Sant Aclaus die bleiche Gestalt an. "Wie bist du..."
Solange das Ritual nicht vollendet ist, ist er noch immer verwundbar, ging es Damien durch den Kopf. Er zog sein Schwert und versetzte Sant Aclaus einen heftigen Hieb damit. Schockiert starrte Sant auf eine klaffende Wunde an seinem Oberschenkel. Blut quoll daraus hervor und tränkte seinen weiten Mantel. Vor Schmerzen krümmte er sich zusammen und sank zu Boden. Die Kraft, die Gralon über dem Boden hielt, verschwand abrupt und der Rekrut prallte unsanft auf den Steinplatten auf.
Damien trat an den wimmernden Sant Aclaus heran und hob sein Schwert, um ihm den Gnadenstoß zu versetzen.
"MEISTER!!!" brüllte der Wampus, sprang auf Damien zu und schlug ihn so heftig, dass er an die gegenüberliegende Wand geschleudert wurde.
"Wampus...", röchelte Sant, "Bring mich fort von hier!"
Behutsam hob Wampus Sant Aclaus auf seinen Rücken und setzte sich in Bewegung. Er schlug die Kellertür auf und galoppierte aus dem Raum, eine schmale Treppe hinauf.
Benommen richteten sich die Rekruten auf. Nach einigen Schrecksekunden kamen sie wieder zur Besinnung.
"Schnell! Wir dürfen keine Zeit verlieren!"
Hastig verließen sie den Keller durch die offene Tür und eilten die Treppe hoch. Sie kamen in eine kleine, schlicht eingerichtete Wohnung. Blut tränkte den verfilzten Teppich, der den Boden bedeckte. Einige Leichen lagen am Boden, vermutlich die Bewohner jener Wohnung. Die Tür war aufgebrochen, von Sant Aclaus und dem Wampus fehlte jede Spur.
"Anscheinend hatten sie keine Schwierigkeiten, sich einen Ort, an dem sie ihr Ritual ausführen konnten, zu beschaffen", kommentierte Gralon.
"Wir haben jetzt keine Zeit dafür!" drängte Damien "Er darf uns nicht entkommen!"
Sie verließen die Wohnung und traten ins Freie. Damien blickte sich um. Am Ende der Straße erblickte er einen Schemen, der rasch kleiner wurde.
"Dort hinten sind sie!" rief er "Hinterher!"

Dreiundzwanzig Uhr dreißig - noch dreißig Minuten bis zum Jahreswechsel
"Verflucht noch mal!" ärgerte sich Schmiede. Er und Swires stapften verdrießlich durch den Schnee. "Da sind wir den zwei Mistkerlen dicht auf der Spur und dann kommt so ein alter Narr und fegt einfach den Schnee weg, mitsamt den Fußspuren, die uns zu den Rekruten geführt hätten!"
"Ich weiß nicht ob es richtig war, ihm die Schneeschaufel auf dem Kopf zu zertrümmern, Schäff", sagte Swires leicht vorwurfsvoll, "Vielleicht erstattet der Mann Anzeige gegen uns."
"Ha!" schnaufte Schmiede verächtlich, "Bei wem denn? Immerhin sind wir die Wache! Wir..."
"Aus dem Weg, Knirps!!" Ein Irrer von enormem Körperumfang preschte heran. Ohne dass der Fettwanst seine Geschwindigkeit verringert hätte, wurde der Zwerg umgerempelt und in den Schnee gestoßen.
Empört schüttelte sich der Zwerg den Schnee von der Uniform. "Sie dir das an! Solche Leute würde ich am liebsten verha..."
"Dürften wir bitte hier vorbei?! Dankeschön!" Erneut wurde Schmiede angerempelt.
Erbost blickte er den Gestalten nach. "DA SOLL MICH DOCH...", begann er zu brüllen.
"Äh, Schäff?" wurde er unterbrochen.
"Ja, Was ist denn?"
"Das waren die Rekruten!!"

Damien und Gralon rannten so schnell sie konnten und hatten Mühe, den Wampus nicht aus den Augen zu verlieren.
Es sollte doch eigentlich unmöglich sein, dass sich ein solch... umfangreiches Wesen mit einer derartigen Geschwindigkeit bewegen kann..., dachte Gralon.
Damien glaubte, zornige Stimmen hinter sich zu hören, doch das war ihm egal. Es gab wichtigere Angelegenheiten...

Schmiede schnaufte. "Lauf schneller, Schäff!" rief Swires, die auf seinem Helm saß. Man konnte nicht behaupten, dass es dem Zwerg an Kondition mangelte. Doch es war eine anstrengende Nacht gewesen und momentan fühlte sich der Fähnrich ausgelaugt und überfordert.
"Der Abstand vergrößert sich!", schrie Swires verzweifelt, "Wir verlieren sie!"

Der Wampus war um eine Ecke gebogen.
Hastig beeilten die Rekruten sich, die Kreuzung zu erreichen. Sie sahen, wie der Wampus in einem großen Gebäude verschwand, aus dem laute Musik erklang.
Damien blieb abrupt stehen. "Oh nein!" ächzte er.
"Was ist denn? Was ist das für ein Gebäude?"
"Dies ist die ,Schweinehalle', der größte Platz für öffentliche Veranstaltungen in Ankh-Morpork!"

"Sie sind da reingelaufen!" rief Swires.
"In die Schweinehalle?"
"Ja!"
Schmiedehammer stöhnte. "Das kann ja heiter werden..."
Er blickte auf eins der Plakate, die an der Fassade klebten.
"Jahres-Abschieds-Rogg-Konzärt", las er, "Die groesste Sylvesterfaiär däs Jahrtausänts!!! LAIF auf der Buehne: GROEHLSTEIN, die bäste Bänd allär Zaitän!!!"
Verwirrt blinzelte der Fähnrich. "Was ist ein Rogg-Konzert?"
Swires verzog das Gesicht. "Oh, das ist ein Trend, der sich vor einiger Zeit gebildet hat, Sör. Junge Leute stellen sich auf eine Bühne, wo sie, mit nicht besonders gut gestimmten Gitarren, meiner Meinung nach viel zu laute Musik spielen."
Schmiedes Miene erhellte sich. "Das klingt doch gar nicht so schlecht! Es gibt überhaupt nichts dagegen einzuwenden, dass sich die Jugend von heute den musischen Künsten widmet..." Er lauschte den wummernden Bässen und den kreischenden Gitarrenklängen, die aus dem Inneren des Gebäudes nach draußen drangen. "Nun, wenn ich von ,musisch' und ,Künsten' rede, meine ich damit..."
"Sir!"
Schmiede wandte sich um. "Bürstenkinn!"
Cim salutierte.
"Wo sind Aragorn und Azrael?" fragte der Fähnrich.
Cim wirkte verlegen. "Nun, Sir..."
"KAIN ALLOHOOOL ISCHT AUUCH KAAIIIINE LÖÖÖSUUUNG...!!" ertönten zwei lallende Stimmen hinter ihnen.
Fassungslos starrte Schmiedehammer Aragorn und Azrael an, die sich gegenseitig stützten. "ARAGORN!" donnerte er.
Aragorn versuchte zu salutieren und schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. "Schäffchen???" säuselte er.
"WIE KÖNNT IHR ES WAGEN, BETRUNKEN VOR EUREM VORGESETZTEM ZU ERSCHEINEN!!" brüllte Schmiede. "NOCH DAZU DU ALS STELLVERTRETENDER ABTEILUNGSLEITER!!" fuhr er Aragorn an.
Aragorn antwortete nicht sondern lächelte nur glücklich vor sich hin.
Der Fähnrich wandte sich an Cim: "Habt ihr Ergebnisse bei euren... Ermittlungen erzielt, Bürstenkinn?"
"Nun, Sir", begann Cim nervös, "Da ich die zwei Rekruten in einer Kneipe angtroffen hatte, kamen meine Mitwächter zu dem Schluss, dass sie vielleicht weitere Kneipen besuchen würden und dass es vernünftig sei, vor ihnen dort anwesend zu sein, um sie abfangen zu können." Er schwitzte vor Aufregung. "Um ehrlich zu sein: Wenn ich jetzt darüber nachdenke kommt mir die ganze Sache ziemlich idiotisch vor."
"In der Tat", bestätigte der Fähnrich. "Nun, belassen wir es dabei. Wir kennen bereits den Aufenthaltsort der Rekruten?"
"Ja, Sir?" Cim schaute Schmiede erwartungsvoll an. Schmiedehammer deutete auf das große Gebäude, dass sich hinter ihm befand und zog bedeutungsvoll die Brauen hoch.
Cim starrte die Schweinehalle an und lauschte dem Lärm, der aus ihrem Inneren zu hören war. "Verdammter Mist!" jammerte er. "Sir, wir werden doch nicht da rein..."
"Doch!" wurde er barsch von Schmiede unterbrochen. "Wächter, Haltung annehmen! Wir werden uns aufteilen und das Gebäude betreten! Das besagte Bauwerk, gemeinhin als Schweinehalle von Ankh-Morpork bekannt, verfügt über vier Eingänge. Aragorn nimmt den Südeingang, Azrael den Westeingang, Cim den Osteingang und Swires und ich nehmen den Eingang auf der Nordseite des Gebäudes! Wächter, weggetreten! Halt, eins noch...", Er bedachte Aragorn und Azrael mit einem kritischen Blick, "Es wird NICHTS getrunken, ist das klar?!"
"Ayaye, Sööööör!!" johlten Aragorn und Azrael im Chor.
"Gut! Haltet die Augen nach den beiden Burschen auf. Jetzt aber... WEGGETRETEN!!"

In der Schweinehalle war es dunkel und stickig. Und vor allem... LAUT! Auf der Bühne erblickten Damien und Gralon einige junge Männer mit seltsamen Haarschnitten in schwarzer Lederkleidung, die auf magisch verstärkten M-Gitarren spielten [4] Die magischen Bässe wummerten und die Gitarren jaulten, als die beliebte Häwwy-Mäddl-Band "GRÖHLSTEIN" spielte. Das Publikum jubelte, stampfte im Takt mit den Füßenund sang etwas, das wie "WIR WOLL'N, WIR WOLL'N ROGGEN!!!" klang.
"Wie sollen wir die zwei in diesem Gedränge bloß finden?!?!!!" brüllte Gralon in Damiens Ohr.
"WAS?!!?"
"ICH SAGTE...!!"
Etwas weiter entfernt, über Dutzende von Köpfen hinweg, erblickte Damien eine rote Zipfelmütze mit einem weißen Bommel.
"Da drüben sind sie!!" schrie er.
"WAAAS?!??
"Ach, komm einfach mit, in Ordnung?!!"
Sie kämpften sich durch die Menge aus dicht beieinander stehenden Personen.
"Los, schneller!"
"Wir kommen kaum vorwärts!!"
"Jetzt hab ich sie aus den Augen verloren!! Verdammt wo sind sie?!!" Verzweifelt hielt Damien nach der roten Zipfelmütze Ausschau, doch er konnte sie nirgends entdecken. Zornig stieß er die Leute in seiner Nähe beiseite, kämpfte sich vorwärts...
"HEY!", erklang eine Stimme, die sich kaum von dem Akustischen Durcheinander abhob.
Damien blickte zu einem großen, muskulösen Mann der ein verschwitztes ärmelloses Hemd trug und nach dem Geruch zu urteilen an diesem Abend bereits einiges an Alkohol hinter sich gebracht hatte.
"SAG MAL, KANNST DU NICHT AUFPASSEN WO DU HINTRITTST, DU KLEINER..." Das letzte Wort ging im allgemeinen Lärm unter, doch der Tonfall deutete an, dass es kein besonders netter Ausdruck gewesen sein konnte.
"Entschuldige bitte, mein Herr, es war nicht meine Absicht..." begann Damien.
"SUCHST WOHL STREIT, WIE?!?!" gröhlte der Mann. "DA BIST DU BEI MIR AN DER RICHTIGEN ADRESSE, DU WÜRSTCHEN!!" Mit diesen alkoholgeschwängerten Worten holte der Hüne aus und schlug Damien ins Gesicht. Damiens Kopf drehte sich mit der Ohrfeige. Für kurze Zeit waren an jener Stelle, an der ihn der Schlag getroffen hatte, vier rote Striemen auf seiner kalkweißen Wange zu sehen, die jedoch sofort wieder verschwanden. Gralon hielt erschrocken den Atem an.
Dann geschah einige Sekunden lang nichts mehr. Damien stand wie angewurzelt auf der Stelle, während der Trunkenbold in schallendes Gelächter ausbrach.
"NA, HAT'S DIR DIE SPRACHE VERSCHLAGEN, KNIRPS, HAR HAR HAR?!!
Langsam hob Damien den Kopf. Das hämische Grinsen verschwand aus dem Gesicht des Mannes, als er in zwei zu dunklen Schlitzen verkniffene Augen blickte, die ihn voller Hass anstarrten. Zeichnete sich der blasse Rekrut sonst durch eine eigentümlich emotionslose Ausstrahlung aus, die nie Aufschluss über seine derzeitigen Empfindungen gab, war ihm der Zorn diesmal deutlich anzusehen. Gralon blinzelte entsetzt und hoffte, dass ihn das Bild eines zornigen Damiens nicht bis in seine Träume verfolgen würde. Oh Nein!, dachte er, Jetzt LÄCHELT er wieder!!
Wie erstarrt beobachtete der streitlustige Mann, wie sich Damiens Mundwinkel langsam, doch unaufhaltsam, nach oben bewegten. Es war ein gewöhnliches Lächeln, doch es passte einfach nicht zu dem dazugehörigen Gesicht. Ein perfektes Lächeln, das in Kombination mit dem Rest jedoch nahezu grotesk anmutete.
Damien begann zu sprechen und obwohl die Worte in der allgemeinen Geräuschkulisse untergingen, genügten allein Damiens Lippenbewegungen, um die Temperatur im Raum um einige Grad sinken zu lassen: "Nein. Ich glaube nicht, dass ich hier Streit suchen muss. Ich habe ihn nämlich längst GEFUNDEN!!"
Mit einer Kraft, die Gralon dem dürren Damien niemals zugetraut hätte, schoss eine knochige Faust nach vorne und traf den kräftig gebauten Mann in der Magengrube. Der Mann ging in die Knie und gab ein ersticktes Keuchen von sich. Gralon gewann seine Fassung wieder und eine Idee nahm in seinem kopf Gestalt an.
"Gib's ihm, Damien!" jubelte er und hieb dem Mann die Faust ans Kinn. "ARGH!" Schmerzerfüllt verzog er das Gesicht. Woraus bestand diese Kinnpartie, aus Granit?

Cim hatte das Gebäude betreten und damit begonnen, in dem allgemeinen Durcheinander nach Gralon und Damien Ausschau zu halten.
Verdammt, wo sind die Mistkerle?, dachte er genervt. In dieser Nacht hatte er schon genug durchmachen müssen, fand Cim. Nirgends war eine Spur von... DOCH, da sah er sie!
Etwas weiter entfernt befanden sich Damien G. Bleicht und Gralon Banks. Was tun diese Idioten da?, dachte Cim entsetzt. Er beobachtete, wie Damien einen Mann in den Bauch schlug und wie, als sich der Bursche zusammenkrümmte, Gralon die Situation ausnutzte und ihm einen Fausthieb verpasste.
Verdammt, ich muss ihnen sofort Einhalt gebieten! Cim schob sich durch das Gedränge, den Rekruten entgegen.

Der muskelbepackte Herr richtete sich zu seiner vollen Größe auf und blickte drohend auf die Rekruten herab.
"IHR HABT MICH BERÜHRT!" brüllte er, um die Musik zu übertönen, "ICH MAG ES NICHT, WENN MAN MICH BERÜHRT!"
Gralon schluckte, als der Kerl die Faust ballte und ausholte. Damien packte seinen Mitwächter am Kragen und zog ihn mit sich auf den Boden. Der Schlag des Hünen verfehlte die Rekruten und traf einen Mann der hinter jenen gestanden hatte. Eine heftige Keilerei entbrannte. Mehrere Männer schlugen sich und verfehlten einander. Weitere Leute, die irrtümlicherweise eine Backpfeife erhalten hatten, wurden in die Schlägerei mit einbezogen.
Damien und Gralon krochen auf dem Boden umher.
"So finden wir sie nie!" rief Damien Gralon zu.
Gralon versuchte, einigen stampfenden Füßen auszuweichen. "Was sollen wir jetzt tun?!" rief er.
"Wir brauchen einen Ort, von dem aus wir einen besseren Überblick haben!" erwiderte Damien.
"Halt, du willst doch nicht etwa..."
Damien bewegte sich kriechend, an mehreren Beinpaaren vorbei, auf die Bühne zu.
"Bleib hier, du Narr!!"

Die Keilerei war in vollem Gange. Sechs Männer waren inzwischen daran beteiligt und da immer wieder Unbeteiligte angerempelt wurden, konnte die Zahl der Teilnehmer ständig steigen. Der Mann, der die ganze Aktion ja eigentlich in Gang gesetzt hatte, wollte gerade zu einem ordentlichen "Knochenbrecher-FlikFlak" ansetzen, als er im Bereich der Bühne die zwei Irren erblickte, die es gewagt hatten, sich mit ihm anzulegen.
Er ließ von seinem Gegner ab und streckte den Arm aus. "JUNGS, DA DRÜBEN SIND DIE ZWEI BASTARDE, DIE GLAUBEN, SICH MIT UNS ANLEGEN ZU KÖNNEN!!! LASST SIE UNS ORDENTLICH VERDRESCHEN, MÄNNER!!!!"
Die Männer, deren Alkoholpegel inzwischen ein beachtliches Pensum erreicht hatte, stießen grob einige Leute beiseite und steuerten, taumelnd aber zielsicher, der Bühne entgegen.

Das Publikum amüsierte sich prächtig. Ostie Ostsporn, Gründer und Sänger der Rogg-Gruppe "GRÖHLSTEIN" entlockte seiner M-Gitarre gerade einige knatternde Geräusche, die von einem Schlagzeuger, mit wenig Gefühl für Rhythmus dafür aber mit umso mehr Enthusiasmus, begleitet wurden. Die Zuschauer feuerten die Band gerade mit lautem Gestampfe und Gekreische an, als plötzlich etwas interessanteres ihre Aufmerksamkeit erregte:
Zwei junge Männer kamen über die kleine Seitentreppe auf die Bühne gestürmt, wobei das Publikum den schwarz gekleideten Bleichling sofort als Vampir erkannte. Zielsicher stapfte der Bleiche über die Bühne und kniff die Augen zusammen, als würde er nach jemandem Ausschau halten, während der zweite Bursche immer wieder hektische Gesten machte und dem Vampir irgend etwas unverständliches zurief.
Ostie Ostsporn blinzelte verwirrt, ohne jedoch in seinem Gitarrenspiel inne zu halten - schließlich war er ein Profi. Wer waren die zwei Typen? Er warf seinem Bassisten einen fragenden Blick zu, der jedoch ebenfalls nur mit den Schultern zuckte. Verzweifelt überlegte Ostie, wie er die Show fortsetzen konnte, ohne dass das Publikum merkte, dass der Auftritt dieser beiden Freaks - wenn er an "Freaks" dachte, meinte er damit Leute, die noch ausgeflippter waren als er selbst, was eigentlich kaum möglich erschien - nicht eingeplant war. Schließlich bezahlten ihn die Veranstalter dafür, dass er eine professionelle Performance ablieferte, was auch bedeutete, auf Zwischenfälle aller Art vorbereitet zu sein. Ihm kam eine Idee...
"HAUT REIN, JUNGS!" rief er den übrigen Bandmitgliedern zu, die sofort damit fortfuhren, ihre Instrumente zu traktieren. Ich werde diese zwei Idioten einfach musikalisch begleiten, dachte er. Er blickte das Bleichgesicht an und begann mit seiner rauen, rauchigen Stimme loszuschmettern: "DA IST EIN VAMPIIIIIR UNTER MEINEM BETT..."
Der blasse Bursche drehte sich um und bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick.
"Was soll das?", zischte der Bassist Ostie zu, "Das haben wir doch gar nicht geprobt!"
"Mach einfach mit, ja?" erwiderte Ostie flehend. Er fuhr mit seinem "Gesang" fort: "DER GRAAAF..."
Interessiert beobachtete das Publikum, wie weitere Personen die Bühne betraten. Sechs muskulöse, offenbar nicht mehr ganz nüchterne Männer torkelten die Treppe hinauf. Einer der Kerle deutete mit dem Finger auf die zwei jungen Burschen und brüllte etwas für die Zuschauer unverständliches. Der augenscheinliche Vampir drehte sich um und beobachtete, wie die Männer näher kamen. Er hob die rechte Hand und machte eine Geste, bei der die Hand zur Faust geballt war und nur Zeige- und Mittelfinger gestreckt wurden.
"PIEHSS MÄN, PIEHSS MÄN", kommentierte Ostie singend.
Einer der Trunkenbolde schlug sich mit der Faust in die flache Hand. Der Bleiche reagierte, indem er die Hand um hundertachtzig Grad drehte und den Zeigefinger einklappte, so dass nur der kommunikativste aller Finger übrig blieb.
"FACK JUH, FACK JUH.", johlte Ostie.
Die Zorn war den Männern deutlich anzusehen und sie kamen näher.

Gernold Geldsack, angesehener Bürger Ankh-Morporks und Veranstalter dieser... Veranstaltung hatte das ganze Schauspiel fassungslos mit ansehen müssen.
"Die Mistkerle ruinieren mir meine Show!" fauchte er, "Völlig umsonst habe ich in diese Deppenparade investiert! Nein! Ich lasse nicht zu, dass die Idioten alles verderben!" Er winkte zwei überdurchschnittlich große Trolle herbei. "Kümmert euch darum, Jungs!"
Das steinerne Grinsen der Trolle wuchs in die Breite, als sie auf die Bühne zuwankten.

"WAS TUN WIR JETZT?!", schrie Gralon Damien ins Ohr. Damien blickte sich um. Im Zentrum der Bühne befanden sich "GRÖHLSTEIN", die, den Geräuschen zu urteilen, anscheinend gerade versuchten, ihre Instrumente zu misshandeln. Rechts befanden sich die streitlustigen Raufbolde... und aus den Augenwinkeln konnte Damien zwei Trolle ausmachen, die die Bühne gerade von der linken Seite betraten. Panisch packte Gralon seinen Mitwächter am Kragen, als sowohl die Trolle, als auch die Raufbolde drohend näher kamen.
"DU VERDAMMTER NARR!", schrie er Damien an, "DAS HABEN WIR NUR DIR ZU VERDANKEN! TU WAS!!"
Damien starrte angestrengt ins Publikum. Alles was er ausmachen konnte waren dutzende von wippenden Köpfen, eine rote Zipfelmütze, ein Wächterhelm... EINE ROTE ZIPFELMÜTZE?! EIN WÄCHTERHELM?!! Er kniff die Augen zusammen und sah... Einen großen voluminösen Mann, der einen Greis im roten Gewand auf dem Rücken trug und sich drängelnd auf den Ausgang zu bewegte. Und, im Bereich vor der Bühne... CIM!
Was tun wir jetzt?, dachte Damien. Wir müssen einen Weg finden, Wampus und Sant zu erreichen, ohne dass uns Cim dabei erwischen kann. Und außerdem müssen wir irgendwie das Gedränge dort unten umgehen...
Ihm kam eine Idee...
"Sieh doch! Da kommen Sie! Die Trolle haben ihre Keulen gezückt! Und die Muskelberge da drüben kommen auch immer näher! Was tun wir jetzt?! NEIN! Du willst doch nicht... DAMIEN!!"
Damien wirbelte herum und rannte auf den Rand der Bühne zu. Als seine Stiefelsohlen die Bühnenkante erreicht hatten stieß er sich mit aller Kraft ab und segelte mit flatterndem Cape auf die Köpfe laut kreischenden Zuschauer zu. Erstaunt hob Cim den Kopf als er etwas über sich hinweg huschen sah.
"FLIEG, FLEDERMAUS, FLIEG!!", gröhlten Ostie und seine Jungs im Chor.
Einige Leute im Publikum sahen den schwarzen Schemen auf sich zu rasen, schrieen laut auf und hoben schützend die Hände über den Kopf. Damien landete unsanft, doch einigermaßen unversehrt auf einigen Händepaaren, die ihn mit Leichtigkeit stemmten. Zunächst ein erstauntes Schnaufen im Publikum zu hören, dann wurde der bleiche Rekrut zögernd von Hand zu Hand weitergereicht. Von oben betrachtet erweckte das ganze den Eindruck, als würde Damien in einem Meer aus Leuten "schwimmen" ("STÄITSCH-DAIWING" nannten Ostie und seine Jungs es später).
Gralon schnaufte entsetzt, als er das ganze mit ansah. Er drehte den Kopf erst nach links, dann nach rechts und stellte panisch fest, das aus beiden Richtungen inzwischen stämmige Gestalten mit lautem Gebrüll auf ihn zugestürmt kamen. Er schrie auf und sprang ebenfalls auf der Bühne. Er hörte noch die dumpfen Schläge die erklangen, als hinter ihm die Raufbolde mit den Trollen zusammenprallten, als er auch schon von einigen Händen abgefangen und über die Köpfe der Zuschauer hinweg weitergereicht wurde.
"Oh, Verzeihung, an jener Stelle bin ich kitzlig, vielleicht ein wenig weiter oben, ja, das tut gut..."
Verdammt! Cim fluchte, als er sah wie die Rekruten über den Köpfen des Publikums dem Ausgang entgegen glitten. Wütend kämpfte er sich durch das Gewirr aus Personen.

Damien und Gralon hasteten durch einen Hinterausgang ins Freie.
Gralon lachte. "Wow, das war ja mal was! Ich steh ja eigentlich nicht auf "Häwwy-Mäddl" aber das hier war wirklich..."
"Dort hinten läuft er!", rief Damien.
Am Ende der Straße erblickten sie die Silhuette des Wampus, die rasch kleiner wurde.
"Verdammt, die beiden holen wir doch nie mehr ein!", klagte Damien.
"Wie wäre es denn hiermit?"
"Meine Güte, was ist das denn??"
Ungläubig starrten die Rekruten auf ein unförmiges Gebilde, das vor einem Wohnhaus... "geparkt" war. Mit sehr viel Fantasie konnte man das Ding als einen Schlitten bezeichnen können... Allerdings wiesen gewöhnliche Schlitten keine solchen abscheulichen Schnitzmuster auf, von denen einige grässlich verzogene Gesichter darstellten. Vier große behaarte Eber waren vorne an den Schlitten gespannt.
"Oh nein!", stöhnte Damien, "Das ist doch nicht..."
"Ja, mir kommt das Ding auch ziemlich bekannt vor."
"Meinst du, wir können die beiden damit einholen?"
"Nun, es wäre zumindest einen Versuch wert."
Sie kletterten in den Schlitten und Damien ergriff die Zügel.
"Wie startet man das Ding?"
"Vielleicht mit ,Hü-Hott'?"
"Hü-Hott!"
Nichts geschah.
"Lass es mich mal versuchen", sagte Gralon. "Bohrer, Fresser, Keiler, Schnauzler - HÜ-HOTT!"
Die Eber bewegte sich nicht von der Stelle.
Damien starrte Gralon an. "Du hast dir die Namen der Schweine gemerkt?"
Gralon wirkte verlegen. "Nun, als Kind kriegt man die Geschichten erzählt und... ähh, versuch es doch mal mit ,Hü-Grunz'."
"Hü-Grunz!"
Abermals hatten die Worte keine Wirkung auf die Keiler.
"Verdammt!"

Zornig verließ Cim die Schweinehalle durch den Hinterausgang. Er hatte sich einige Blessuren und blaue Flecken zugezogen, beim Versuch, sich den Weg nach draußen zu erkämpfen.
Verdammt, wenn ich die erwische, dann... Er riss die Augen auf. Etwas weiter entfernt saßen die Rekruten in einem enormen Schlitten, vor den vier Eber gespannt waren und schrieen die Tiere an, die sich nicht von der Stelle rührten. Cim lächelte grimmig.
"Jetzt hab ich euch, Jungs."
Er lief los.

"Lauft endlich, ihr verdammten Biester!!"
"Ich glaube nicht, dass es Sinn hat, sie einfach nur anzuschreien, Damien."
"Hmm, es muss doch etwas geben, worauf Schweine reagieren...", murmelte Damien nachdenklich. "Jetzt weiß ich's!", platzte es aus ihm heraus.
"Sag schon!"
"MÖHREN!!", schrie Damien.
Die Eber grunzten aufgeregt und setzten sich in Bewegung.

Cim hatte den Schlitten fast erreicht, als die Keiler plötzlich losliefen. Nein!, dachte er, Ihr entkommt mir nicht noch mal!
Verzweifelt registrierte er, wie sein Abstand zum Schlitten größer wurde und bemühte sich, schneller zu laufen.
Die Kufen des Schlittens schnitten durch den Schnee und dann... dann hob der Schlitten plötzlich ab.
Es geschah recht langsam und auf eine eigentlich recht unspektakuläre Weise. Der Schlitten erhob sich recht träge in die Lüfte und es dauerte recht lange, bis er an Höhe gewann.
Alles oder Nichts!, dachte Cim. Er stieß sich mit beiden Füßen vom Boden ab, sprang und... hing zappelnd am unteren Teil des Schlittens. Verdammt! Er fühlte, wie seine Füße in leerer Luft baumelten. Der Schlitten stieg höher, dem Nachthimmel entgegen.

Auf dem Dach eines Wohnhauses, ganz in der Nähe, kletterte eine füllige Gestalt aus einem Schornstein. Sie trug einen dicken roten Mantel, sowie eine rote Zipfelmütze und einen wallenden weißen Bart. Der Dicke machte sich daran, vorsichtig vom Dach zu klettern, rutschte aus und landete im tiefen Schnee vor dem Haus.
Argh, manchmal hasse ich meinen Job, dachte der Schneevater. Na, wenigstens habe ich meinen Schlitten in der Nähe geparkt... Er hielt inne. Dort, wo zuvor noch sein Schlitten gestanden hatte, befanden sich nur noch einige Kufenabdrücke und ein paar Stiefelspuren.

"AARGH!!", brachte Gralon hervor, als er nach unten sah.
"Hsss, hsss, hsss!", machte Damien.
"Hör auf damit!", klagte Gralon, "Ich hasse es, wenn du versuchst wie der Schneevater zu lachen!"
"Da unten sind sie!"
Von oben sahen sie den Wampus, der durch die schneebedeckte Straße stürmte, Sant Aclaus auf seinem Rücken.
"Wir sind schon am Rand der Stadt!", rief Damien. "Er flieht durch das mittwärtige Tor!"
"Verdammt, wieso stellen die dort keine Wachen auf?!"
"Es stand eine Wache dort!"
"Und was ist mit dem Wächter passiert?"
"Frag lieber nicht!"
Der Schlitten flog über die Stadtmauern hinweg.
"Was tut er jetzt?!"
"Er... er schlägt sich in die Morpork-Wälder!"
"Verdammt!"
"Landen, wir müssen landen!"
"Wie denn?!"
"Keine Ahnung!!"
Die Eber machten keine Anstalten, tiefer zu fliegen, oder gar langsamer zu werden.
"Verfluchte Mistviecher!"
Damien zog ein kleines, verkrustetes Messer aus dem Gürtel.
"Verdammt, was hast du vor?!", rief Gralon. "Nein! TU BLOSS NICHT..."
Mit einer flinken Bewegung schnitt Damien die Zügel durch. Die Eber galoppierten ohne den Schlitten weiter durch die Nacht.
"WAS TUST DU DA, DU IRRER..." Gralon versetzte seinem Mitwächter eine Ohrfeige. Kurz darauf hielt er sich kreischend an Damien fest, als er den Boden und einige Baumwipfel näher kommen sah.
"Verdammt!, schrie Cim, als er spürte, wie ihm der schneebedeckte Boden entgegen zu rasen schien.
Der Schlitten mit den zwei schreienden Rekruten, plus einem kreischenden Cim Bürstenkinn, der an der Hinterseite hing, kam unsanft auf dem Boden auf und schlitterte durch den Schnee. Cim spuckte, als er durch die weiße Pracht gezogen wurde. Kraftlos ließen seine Hände nach und er blieb reglos im Schnee liegen.
Der Schlitten raste weiter, in den Wald hinein. Die Wächter schrieen, als der Schlitten splitternd an einem Baum zerschellte und sie durch die Luft geworfen wurden. Unsanft landeten sie in tiefem Schnee. Damien blieb liegen. Schmerz brannte in all seinen Gliedern und er hatte Blutgeschmack im Mund. Mühsam richtete er sich auf und blickte sich um. Im Wald war es finster. Nur einige Strahlen des Mondlichts schienen durch das dichte Geäst.
"Siehst du sie?", flüsterte Gralon.
"Nein." Damien straffte sich. "Wir sollten..."
Eine Gestalt sprang von einem Baum, riss ihn um und trat ihn in den Rücken. "Das Ritual ist noch nicht vollendet", hörte Damien Sant Aclaus' flüsternde Stimme an seinem Ohr.
Gralon wollte seinem Kollegen zu Hilfe eilen, doch der Wampus trat ihm in den Weg und versetzte ihm einen Schlag, der ihn zu Boden warf.
Damien rollte herum, sprang auf und schlug Sant die Faust ins Gesicht. Der alte Mann taumelte und spuckte Blut in den Schnee. "Du wirst sterben", sagte er heiser.
"Seltsam, es gibt da einige Leute, die behaupten würden, ich sei schon tot", erwiderte Damien.
"Vielleicht haben sie Recht!" Sant warf sich Damien entgegen. Sie rollten über den Boden, mal gewann der frühere Gott die Oberhand, ein anderes mal Damien. Damien trat den Greis in den Bauch, warf ihn von sich und zog sein Schwert.
Der Wampus ließ von Gralon ab, dem inzwischen Blut aus dem Mund lief, sprang auf Damien zu, der gerade mit dem Schwert ausholte, und versetzte ihm einen so wuchtigen Schlag, dass er einige Meter fortgeschleudert wurde. Damien rollte durch den Schnee und kam erst vor einem Stiefelpaar zum Stillstand. Er blinzelte und blickte zu einer, ihm nur allzu bekannten Person auf. "Cim?"
Cim zitterte vor Zorn. Seine Kleidung war durchnässt und Blut rann ihm aus dem Mundwinkel. "Damien G. Bleicht, im Namen der Stadtwache von Ankh-Morpork..."
"Cim, wir haben jetzt keine..."
"...bin ich autorisiert und verpflichtet..."
"Du verstehst nicht!"
"...dich bis auf weiteres in Gewahrsam zu nehmen..."
"Hör mir doch zu, wir müssen sofort etwas tun, sonst wird Gralon..."
"...bis der Vorstand der Wache entschieden hat..."
"AUS DEM WEG!!" Damien schwang sein Schwert und schritt drohend auf Cim zu.
"Du wagst es, dich mit deiner Waffe gegen einen Mitwächter zu wenden?!", brachte Cim fassunglos hervor.
"Nein", sagte Damien fest, "Ich muss einfach nur schnell zurück in den Wald, weil Gralon sonst..."
Ein Schrei unterbrach ihn.
"Himmel, was passiert dort hinten?!", fragte Cim.
"Das will ich dir doch die ganze Zeit erklären, aber du hörst mir ja nicht zu!!", rief Damien. "Wir haben den Mörder! Und Gralon ist allein mit ihm!!"
"Verflucht, warum sagst du das nicht gleich?!!"
Sie rannten zurück in den Wald, Damien voran. Cim schritt mit gezogenem Schwert den Geräuschen entgegen. Und dann sah er den Kampf der gerade in vollem Gange war:
Ein riesiger Mann hatte Gralon gepackt, schlug seinen Kopf gegen einen Baum, schleuderte ihn in den Schnee und fügte ihm Kratzwunden zu, während ein alter, bärtiger Mann in seltsamer Kleidung daneben stand und lachend zusah.
Cim schrie, blutige Tränen schossen ihm aus den Augen, als er auf den Wampus zustürmte.
"Cim, tu's nicht, du hast keine Chance!!", schrie Damien.
Cim schlug auf den Wampus ein, doch sein Schwert schien nutzlos im Fett des gewaltigen Mannes zu versinken. Und er schlug zurück. Die gewaltige Faust traf den Berserker und warf ihn auf die Seite. Sofort war er wieder auf den Beinen, und griff neu an. Der Wampus konnte nicht wissen, daß er in diesem Zustand nur durch Holz besiegt werden konnte. Doch das war gar nicht nötig. Blitzschnell drehte sich der Hühne, und traf ihn aus der Bewegung heraus so heftig, dass er von den Beinen gehoben wurde, mit dem Kopf gegen einen Baum knallte und reglos liegen blieb.
Damien rannte ebenfalls auf Wampus zu, obgleich er wusste, dass es aussichtslos war: Er war unbesiegbar. Blutend fand er sich im Schnee wieder, während Sant Aclaus auf den wimmernden Gralon zutrat.
"Hier haben wir den perfekten Abschluss für unser Werk, Wampus!", rief er triumphierend. "Ich kann die mächtige Kraft des Glaubens, die in seinen Adern fließt, deutlich spüren!" Er hob die Hände und Gralon wurde angehoben, schwebte in leerer Luft.
Damien lag röchelnd in einer sich langsam ausbreitenden Lache aus Blut und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie sein Mitrekrut sich in der Luft zuerst langsam, dann immer schneller um die eigene Axe drehte. Sowohl Gralon, als auch Sant Aclaus waren von grellem, blauem Licht umgeben. Gralon schrie, drehte sich so schnell, bis er schließlich nur noch eine Kugel aus bläulichem Strahlen zu sein schien. Sant hatte die Augen geschlossen und murmelte beschwörende Worte in einer Sprache, die Damien nicht verstand. Blaue Blitze entluden sich an seinen ausgestreckten Händen.
"Die MACHT!", schrie Sant, "Ich spüre, wie sie durch mich hindurch strömt!!!"
Aus den Augenwinkeln beobachtete Damien, wie die blaue Aura, die Sant umgab, heller wurde. Er spürte, wie er von einer überwältigenden Müdigkeit übermannt wurde. Plötzlich erschien ihm der Tod seltsam verlockend.
...Alles... nur... wegen... unserer schlampigen, chaotischen Realität..., dachte er... Moment mal!
Er startete einen Versuch, seine schmerzenden Gliedmaßen zu bewegen. Er streckte seine zittrigen Hände nach einem nahen Baumstamm aus. Stöhnend krallte er seine blutenden, zerkratzten Finger in furchige Rinde und ächzte, als er es schaffte, sich langsam auf die Beine zu ziehen und sich wacklig an den Baumstamm lehnte.
Schwer atmend blickte er Sant Aclaus an, der immer noch voll und ganz mit seinem Ritual beschäftigt war und öffnete den Mund: "Das... das ist...", brachte er zunächst nur mit leise zitternder Stimme hervor. Sant schien das leise Krächzen gar nicht wahrzunehmen. Damien startete einen neuen Versuch: "Das... ist eine..." Verzweifelt schüttelte er den Kopf und holte tief Luft. Sein ganzer Körper schmerzte, als er die Worte mit letzter verzweifelter Kraft hervorstieß, so laut, wie er es in seine derzeitigen Verfassung vermochte: "Die... DIE ZUSTÄNDE IN DIESEM BETRIEB SIND EINE ZUMUTUNG! ICH VERLANGE, SOFORT MIT JEMAND VERANTWORTLICHEM ZU SPRECHEN!"
Sant öffnete die Augen. Seine Konzentration ließ nach und dadurch wurde der Energiefluss, der durch ihn hindurchströmte, unterbrochen. Dies wiederum führte dazu, dass die Kraft, die Gralon durch die Luft schleuderte, nachließ und der Rekrut schwer atmend neben Damien im Schnee landete.
Sant blinzelte. "Was hast du gerade gesagt?", fragte er völlig verwirrt.
Damien antwortete nicht sondern wankte auf den anderen Rekruten zu und streckte eine zitternde Hand aus, um ihm aufzuhelfen. Dieser Versuch hatte zur Folge, dass Gralon und Damien zunächst mehrmals in den Schnee fielen, mehrere Male versuchten, sich wieder aufzurichten und sich schließlich ziemlich wacklig aufeinander stützten. Erst jetzt wandten sie sich wieder Sant Aclaus und seinem Gehilfen zu, die das Schauspiel mit einer Mischung aus Erstaunen und Faszination beobachteten: Die Wächter bildeten ein Bild des Jammers. Blut durchtränkte Damiens schwarzen Lederumhang und Gralons Kleidung war an vielen Stellen zerrissen, die den Blick auf blutige Wunden freigaben. Sie stützten sich auf den jeweils anderen und schafften es gerade noch, dass Gleichgewicht zu wahren.
"Damit kommst du nie durch...", brachte Damien schließlich krächzend hervor. "Ich bin sicher, dass es Regeln gibt, die so etwas verbieten.."
"Was?", keuchte Sant noch fassungsloser als zuvor.
"Ich verstehe, was du meinst", keuchte Gralon heiser. Und zu Sant Aclaus: "Du sagtest, dass du in gewisser Weise... in der falschen Dimension bist. Dennoch stehst du vor uns, obwohl du eigentlich in dieser Realität überhaupt nicht existieren solltest. Dies lässt nur auf... Schlampigkeit in der Realitätsführung hindeuten..."
"Exakt...", bestätigte Damien. "Und deshalb werden wir Beschwerde einreichen..."
"Ihr werdet was tun?!", entfuhr es Sant.
"Sieh es doch einmal so...", fuhr Gralon in beruhigendem Tonfall fort, "Dich trifft in jedem Fall keine Schuld. Du bist gewissermaßen ein Opfer der Umstände: Immerhin ist es nicht deine Schuld, dass niemand bemerkt hat, dass du dich in der falschen Realität befandest und hier dein blutiges Unwesen stiftetest. Hätte sich rechtzeitig jemand von oben darum gekümmert und dich... gelöscht, wäre uns allen - und zweifellos auch dir – eine Menge Ärger erspart geblieben. Aus diesem Blickwinkel gesehen tun wir dir sogar einen Gefallen!"
"Deswegen werden wir uns jetzt an höchster Stelle beschweren...", begann Damien...
"...und darauf warten, dass jemand kommt um diese Angelegenheit endgültig zu bereinigen", beendete Gralon den Satz.
Sprachlos beobachteten Sant Aclaus und Wampus, wie Gralon und Damien so gut sie konnten im Chor zu rufen begannen: "WIR REICHEN BESCHWERDE EIN! WIR REKLAMIEREN DIE UNZUMUTBAREN ZUSTÄNDE IN DER VERWALTUNG DER REALITÄT, IN DER NICHT EINMAL KLEINSTE UNZULÄNGLICHKEITEN BEHOBEN WERDEN!"
Sant hörte dem schrillen Singsang, den die Rekruten nun dauernd wiederholten, einen Moment lang zu, bevor er mit den Schultern zuckte und die Hände wieder hob. "Ihr seid verrückt", stellte er fest. "Na, mir soll es egal sein, ich werde jetzt das Ritual zu Ende bri..."
Plötzlich machte sich eine Veränderung in der Luft bemerkbar. Die Umgebung schien zu verschwimmen und kurz darauf materialisierten drei graue Schemen unmittelbar vor Sant Aclaus und den Wächtern. Sie hatten gewisse Ähnlichkeit mit leeren Mönchskutten, die einige Zentimeter über dem Boden schwebten.
Eine der Gestalten sagte: Wer von euch hat nach uns verlangt?
Es handelte sich nicht um gesprochene Worte in dem Sinne. Vielmehr entstand in den Köpfen der Wächter schlagartig die Erinnerung daran, dass etwas gesagt wurde.
"Das kommt darauf an", brachte Damien heiser hervor. "Bist du für den Laden hier zuständig?"
Wir sind die Revisoren der Realität. Ja, wir glauben, dass die von dir gewählte Bezeichnung tatsächlich auf uns zutrifft.
"Gut", sagte Gralon, der noch immer Schwierigkeiten hatte, sich auf den Beinen zu halten, "Dann sollten wir gleich zur Sache kommen: Wir möchten eine Beschwerde einreichen."
Wie bitte?
Damien deutete auf Sant Aclaus, der dem ganzen ungläubig zusah. "Kennt ihr dieses Individuum?"
Die Revisoren wandten sich dem kleinen Mann in seinem roten Gewand zu.
Er... wirkt vertraut, sagte eine der leeren Kutten.
Ja, bestätigte eine andere, ich glaube, ich habe ihn irgendwo schon einmal gesehen.
Kurze Stille
Einer fragte misstrauisch: Hast du eben gerade "ich" gesagt? Entwickeltst du etwa eine Persönlichkeit?
"Ich"?, erwiderte die andere Kutte erschrocken. Aber nein, ich wäre doch niemals so töricht... Oh, Mist!
Die Kutte verbrannte in einer blauen Flamme und fast sofort nahm ein anderes Geschöpf seinen Platz ein und sah genauso aus wie sein Vorgänger. Eine Zeit lang wurde wieder verlegen geschwiegen. Schließlich brach Gralon, dem die Schmerzen am ganzen Körper langsam unerträglich vorkamen, das Schweigen: "Um endlich zur Sache zu kommen..."
Ja?
"Bei dieser Gestalt hier", er deutete auf den ehemaligen Schneevater, handelt es sich um Sant Aclaus."
Die Gestalten musterten Sant, der nun langsam rot vor Zorn wurde.
Einer sagte: Sei nicht dumm... Mensch. Sant Aclaus ist dicker.
Und größer, sagte ein anderer.
"Nein", berichtigte Damien, "Ihr sprecht vom Schneevater. Dies hier ist ein übrig gebliebener Aspekt des alten Wintergottes Sant Aclaus, der irrtümlicherweise in die falsche Wirklichkeit – nämlich unsere – geriet."
"Wodurch eine Menge Chaos verursacht wurde..." merkte Gralon an.
"Und zwar durch eure Schuld" setzte Damien hinzu.
Unsere Schuld?
"Das ist ja wohl...", begann Sant.
Schweig, bis du gefragt wirst, wurde er von einer Kutte ebenso dezent wie bestimmt unterbrochen.
"Ja, Eure Schuld. Weil ihr nicht bemerkt habt, dass die durch Sant Aclaus verursachten Unregelmäßigkeiten im Realitätsgefüge nicht vollständig behoben wurden und er dadurch in einer Realität, die nicht für ihn bestimmt war, umherwandelte. Und deshalb verlangen wir, dass Sant Aclaus aus dieser Realität gelöscht und in sein eigenes Paralleluniversum zurückverfrachtet wird."
"ICH ERHEBE EINSPRUCH!" schrie Sant nun mit hochrotem Kopf.
Abgelehnt, erwiderte eine Kutte. Und zu den Rekruten: Wir werden uns sofort darum kümmern.
Damien und Gralon lächelten glücklich und selbst bei Damien wirkte es diesmal ehrlich und aufrichtig.
"Na dann ist ja alles klar", hauchte Damien. "Wenn ihr den Rest dann bitte unter euch ausmachen könntet..." Die beiden Wächter kippten erleichtert nach hinten und blieben reglos im Schnee liegen.
Fassungslos starrte Sant auf die beiden bewusstlosen Wächter und dann auf die beiden vor ihm schwebenden Revisoren. "Das... Das könnt ihr nicht mit mir machen!", brachte er hervor.
Einer sagte: Die Dinge müssen in Ordnung gebracht werden. Lässt man auch nur die kleinste Unzulänglichkeit bestehen... in diesem Fall stürzt man alles ins Chaos. Nicht nur die Welt, nicht das Universum, ALLES. Die gesamte Realität...
Wir mögen kein Chaos, sagte ein anderer.
"Ihr Mistkerle! Ich..."
Leb wohl.
Sant Aclaus bemerkte, wie er transparent wurde und sich allmählich auflöste. Er beschloss, sein nun nicht mehr zu vermeidendes Ende so würdevoll wie möglich zu besiegeln. Er straffte sich und sagte streng: "Ich komme wieder..." Dann verschwand er. Sein letztes Wort hallte leise zwischen den Bäumen wieder.
Das bezweifeln wir, sagte einer.
Sie wandten sich dem Wampus zu, der verständnislos auf die Stelle starrte, wo eben noch sein Herr gestanden hatte.
Du, sagte eine Kutte und deutete auf den Wampus.
Verwundert wandte Wampus sich um. "Häh?", grollte er.
Einer sagte: Kehre nach Hause zurück. Dann verschwanden die Kutten.
Die riesige Gestalt drehte sich zu den Wächtern um und warf ihnen einen letzten glasigen Blick zu, bevor sie transparent wurde und sich schließlich ganz auflöste.
Damien ließ den Kopf sinken. Von der Stadt hörten sie das leise Echo der Glocken, die zwölfmal schlugen. Das neue Jahr hatte begonnen.
"Gralon?", hauchte Damien.
"Ja?"
"Ein fröhliches Sylvesterfest..."
Den Wächtern wurde schwarz vor Augen.

Sant blickte sich um. Um ihn herum erstreckte sich undurchdringliche Schwärze.
SANT ACLAUS?, erklang eine hohle Stimme hinter ihm.
Er drehte sich um und blickte zu einer dunklen Gestalt auf. "Ich hätte niemals erwartet, dass ich dir einmal persönlich begegnen würde", brummte er und sein Tonfall vibrierte zwischen Faszination und grenzenlosem Schrecken.
FOLGE MIR BITTE.
Tod tat einige Schritte durch die Dunkelheit, bevor er stehen blieb und in seiner Kutte nach etwas zu suchen begann.
"Ähm. Entschuldige bitte", begann Sant Aclaus.
JA?, erwiderte Tod ohne aufzusehen.
"Es klingt vielleicht albern, aber... bin ich tot?"
NUN, NICHT DIREKT. ABER ICH WURDE BEAUFTRAGT, MICH UM DIESE ANGELEGENHEIT ZU KÜMMERN. AH, DA IST ER JA. Er zog einen kleinen, blau glühenden Schlüssel aus dem Umhang. Diesen führte er zu einem ganz bestimmten Punkt in der Dunkelheit, verharrte und drehte den Schlüssel. Eine Pforte im Nichts öffnete sich und helles Licht drang daraus hervor.
BITTE, sagte Tod, DIES IST DER WEG IN DIE FÜR DICH BESTIMMTE REALITÄT.
"Oh", sagte Sant, der das nicht erwartet hatte, "Vielen Dank."
Hastig durchschritt er die Pforte, welche sich hinter ihm schloss. Tod blieb einige Sekunden alleine in der Dunkelheit zurück, bevor er mit den Schultern zuckte und ebenfalls verschwand.

Schmiedehammers Büro, zwei Monate später
Schmiedehammer blickte von der Akte auf und bedachte den Gefreiten mit einem kritischen Blick.
"Du möchtest also Szenekenner bei den S.E.A.L.S. werden?"
"Ja, Sir", sagte Damien steif.
"Du bist dir im Klaren darüber, dass S.E.A.L.S. nur auf die hartgesottensten, ausdauerndsten und skrupellosesten Wächter zurückgreifen kann, oder?"
"Ja, Sir."
"Andererseits... Du hast es gewagt dich unbefugterweise in einen unserer Fälle einzumischen. Ich denke, skrupelloser kann man wohl kaum noch sein."
"Sir?"
"Melde dich morgen früh in meinem Büro. Dein Dienstantritt ist um sechs Uhr!" Der Fähnrich lächelte.
Damien salutierte. "Danke, Sir!"
Schmiede salutierte zackig. "Weggetreten, S.E.A.L.S.-Wächter!"
Schmiede blickte wieder auf Damiens Bewerbungsschreiben, als dieser das Büro verlassen hatte. Eigentlich närrisch von mir, ausgerechnet einen der beiden Typen einzustellen, die uns so viel Ärger bereitet haben. Andererseits: Wer die Nerven zu so etwas hat, verdient fast schon wieder Respekt. Naja, solange nicht auch noch der andere Kerl...
Es klopfte.
"Herein!", rief Schmiede.
Ein nervöser Gralon Banks streckte den Kopf zur Tür herein. "Äh, ich würde mich gerne mit ihnen unterhalten, Sir", stotterte er.
Schmiede stöhnte.
[1] 'Universelles Lexikon aller Gassen in Ankh-Morpork'. Jede Gasse muss eine Strenge Aufnahmeprüfung, deren Aufgaben (Un-)Verschmutzbarkeit, Breite, Länge und Schall sind, bestehen, um sich als Mitglied auszeichnen zu können.

[2] Wir wollen nicht von Laufen sprechen.

[3] Gralon bevorzugte allerdings die Variante, hinter Damien herzulaufen. Zuerst war es einmal sicherer und dann wusste er genau, welchen Weg er einschlagen musste, um richtig zu gehen.

[4] Die M-Gitarre war eine neue Errungenschaft auf dem Gebiet der Instrumententechnik. Gitarren, die in seltsamen Formen geschnitzt wurden und nach belieben bemalt oder lackiert werden konnten, wurden mit einem Draht ausgestattet über den pure magische Kraft in die Gitarre geleitet wurde. Das akustische Ergebnis bestand vor allem aus unglaublich schrillen und lauten Tönen; Ältere Leute fanden es furchtbar, doch erstaunlicherweise erfreute sich die Musik bei jugendlichen bald großer Beliebtheit, weshalb bald viele junge Leute ihre eigenen "Roggbänds" gründeten.




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